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EISKALTER WINTER – ENTTÄUSCHUNG AM ZWEITEN ADVENT
ОглавлениеEisig fegt der Wind über die weite Asphaltfläche, der Schneeregen peitscht von der Seite, das Wohnmobil ruckelt bei jeder Windböe. Von Landschaft oder so keine Spur. Ein grauschwarzer Himmel geht nahtlos in die Düsterkeit über, die über dem dunklen Wasser der Elbe liegt. Ein Wetter, bei dem man keinen Hund hinausschicken würde, sagen die Menschen. Und von genau diesem Wetter trennt uns nur die dünne Kunststoffschicht des Wohnmobils. Der eisige Regen pladdert aufs Dach, hinterlässt ein Rauschen, was ich angesichts der Kälte und Intensität als bedrohlich empfinde. Noch haben wir nicht genug Wasser und noch keinen Strom. Denn wir sind soeben auf diesem Platz angekommen.
N. läuft zur Höchstform auf, sie schafft es noch mit eisigen Fingern und Händen, die 50-Cent-Stücke für den Stromkasten einzuwerfen, das Grauwasser abzulassen und das Stromkabel inklusive Verlängerung an die Außensteckdose anzuschließen. Ohne die Miene zu verziehen, tut sie das einfach. Sie hat meine tiefe Bewunderung, bei dieser unwirtlichen Kälte und Nässe hinauszugehen und diese für uns jetzt hier so elementaren Aufgaben zu erledigen. Andere Menschen verbringen jetzt den zweiten Advent zu Hause auf dem Sofa, schauen in den Kamin und freuen sich an allem, was sie umgibt. Ich hingegen breche fast in Tränen aus. Müde, frierend und enttäuscht sitze ich stattdessen einfach nur noch auf meiner angestammten Seite des Tisches. Eingehüllt in meinen blauen Fleecemantel, den ich im Winter so gerne trage. Unser Plan vom Winterquartier für die kommenden vier bis sechs Wochen hat sich gerade zerschlagen.
Aber wir haben es selber so gewählt – ausprobieren, es zu tun statt es nicht zu machen. Wie viel einfacher wäre es jetzt, mit dem Wohnmobil nach Spanien oder in andere südliche Gefilde zu fahren. Aber nein, das wäre nicht meines. Ich gehe den Weg mit den Steinen, nicht den leichten. Denn aufgeben kann ich immer noch.
N. kommt nass und durchgefroren herein, wir umarmen uns lange, doch dann muss sie sich die Finger wärmen. Wir machen Tee, trinken einen Grappa auf diesen zweiten Advent. Nähe tut gut.
Leben ist Veränderung – in jedem Moment, also auch in diesem.
Wir schauen aus dem Fenster; auf der anderen Elbseite ist oben an der Kirche ein riesiger Weihnachtsbaum aus Lichterketten angebracht. Das ist unser zweiten Advent – doch halt, wir machen auch eine zweite Kerze an. Wir sind allein und haben unsere Ruhe. Frieden in mir, in uns und unserem kleinen Universum. Weit und breit kein Mensch. Sicher ist dieser Platz im Sommer schön, doch jetzt gehen die Windböen peitschend über uns nieder. Gut, dass wir zu zweit sind. Alleine zu sein, scheint mir schwerer zu sein.
Meine Mutter fehlt mir, gestehe ich mir ein. Wahrscheinlich könnte sie gerade nichts verbessern, aber allein der Gedanke, dass sie da wäre, ist tröstlich. Sie lebt aber nicht mehr, ich kann mir ihre Nähe nur in Gedanken herbeizaubern. Und das tut gut.
Da wir Strom haben, hole ich meinen Laptop aus dem Schrankfach und mache Musik. Dies ist ein Ritual, das uns schon oft über schwierige Momente hinweggeholfen hat: Wir tanzen im Wohnmobil. Auch wenn kaum Platz ist, tut es gut, die Musik voll aufzudrehen und zu tanzen. Mindestens eine Viertelstunde lang wählen wir einen Lieblingstitel nach dem anderen aus und tanzen, mal ruhig, mal wild, trotzen dem Wetter draußen und vergessen die Welt um uns herum.
Morgen schlafen wir aus, morgen früh sehen wir weiter, stimmen wir zusammen an, als wir eine Flasche Wein aufmachen und diesen Tag innerlich begraben.
Und während der kleine Elektropüster leise klickt, schlafen wir später ein. Und werden immer wieder wach.
Dieses Wetter in der Nacht zeigt uns wieder einmal unsere Zerbrechlichkeit und Nähe zur Natur und zu den Elementen. Mit beginnendem Hagel wird es noch schlimmer. Laut prasselt er aufs Dach, wir liegen quasi wenige Zentimeter unter den auftreffenden Hagel- und Eiskörnern und hören ihr Hüpfen und Springen. Wetter hautnah – an Schlaf ist nicht zu denken. Denn nur die dünne Kunststoffhaut schützt uns vor den Wettern.
Solch eine Nacht macht müde. Der fehlende Schlaf zieht sich – erfahrungsgemäß – in den nächsten Tag.
Aber Nächte wie diese gehören eben dazu. Sie lassen mich die Kostbarkeit der anderen Nächte noch mehr schätzen.