Читать книгу Das Geheimnis um das Tatzmannsdorfer Wunderwasser - Barbara Trattner - Страница 6

II

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Früh am nächsten Morgen, lang bevor die Sonne aufgegangen ist, bricht Knecht Linhart auf und macht sich auf den Weg zum Schmied. Unter dem Arm hat er drei tote Hühner, die er geschlachtet hat, um sie später am Dorfplatz zu verkaufen. „Der Bauer braucht das Geld, um den Arzt zu bezahlen“, denkt er. Linhart ist ein junger Bursch von 16 Jahren und seit etwa drei Jahren Knecht am Hof des Bauern. Sein Vater ist Wagner in Oberwart und hat noch vier andere hungrige Mäuler allein zu versorgen, nachdem seine Mutter vor eineinhalb Jahren einer schweren Krankheit erlag. Da klar war, dass nur der älteste Sohn die Wagnerei übernehmen kann, musste Linhart die Familie verlassen, um für sich selbst zu sorgen. Obwohl das Leben in seiner Familie nicht immer harmonisch verlief, kommen Linhart die Tränen, wenn er an seine Eltern und Geschwister denkt. Er vermisst sie so! Es war nicht immer einfach zu Hause und oft stritten sie sich um das wenige das sie hatten, aber am Ende hielten sie immer zusammen wie Pech und Schwefel. Er schluckt und unterdrückt den Gedanken an sein zu Hause.

Linhart fröstelt in der bitterkalten Morgenluft. Am beinah schwarzen Himmel sind ja noch die Sterne zu sehen! Er zurrt seinen wollenen Umhang enger um den Körper und wandert entlang des Waldes von Jormannsdorf hinauf auf den Sulzriegler Hügel, wo das Haus des Schmieds steht. Schließlich lichten sich die Bäume des Waldes und die Landschaft verwandelt sich immer mehr in ein Sumpfgebiet. Der Weg wird matschiger und Linhart vernimmt das Knatschen des Bodens unter seinen Füßen. Rechts huscht ein Wiesel in die Büsche. Hoch oben in der Tanne ruft ein Käuzchen: „Schuhu! Schuhu!“ Linhart schaudert. Die Sumpfgebiete von Jormannsdorf sind wirklich ein gespenstischer Ort! „Es kommt nicht von ungefähr, dass man sagt, dass hier der Teufel zu Hause ist“, denkt er. Oft hörte Linhart, wie die Bäuerin den Kindern einprägte, ja niemals allein ins Moor zu gehen. Man sagt, es spuke dort und dass das Moor voll unwirtlicher Gestalten wäre. Der Boden hätte schon so manche unschuldige Seele zu sich genommen und nicht mehr frei gegeben. Linhart erinnert sich, dass auch der Jormannsdorfer Pfarrer schon mehrmals in der Sonntagspredigt darauf hinwies, dass das Moor vor allem arme Sünder in sich verschlingen und dem Teufel preisgeben würde.

Als der Himmel sich langsam lichtet, sieht Linhart wie die Nebelschwaden aus der Moorlandschaft aufsteigen. Der ganze Sumpf dampft in der frostigen Kälte. Nur schnell raus aus dieser Gegend! Linhart ist froh, dass zumindest der Gehweg mit Holzlatten befestigt ist, die unter seinen Schritten knarzen. Die Geräusche des Moors machen ihm Angst. Nervös beißt er sich die Lippe blutig und krallt sich mit den schmutzigen Fingernägeln in die Körper der toten Hühner. Jedes Rascheln in den Büschen des Sumpfes lässt ihn erstarren. Sein Herzschlag beschleunigt und er beginnt zu schwitzen, obgleich ihm fröstelt. Da ruft wieder das Käuzchen! „Schuhu! Schuhu!“ Linhart stolpert über einen Stein, richtet sich hastig wieder auf und merkt gar nicht, dass er sich die Beinlinge zerrissen hat und am Knie blutet. Er will nur weg von hier und schickt ein Stoßgebet zu Gott dem Herrn. „Bitte lass mich hier unversehrt wieder herauskommen!“, japst er mit aufgerissenen Augen und eilt kopflos den Weg entlang.

Langsam geht im Osten die Sonne auf und färbt den Himmel hellblau. Linhart denkt an Anna, um sich abzulenken, während er das Sumpfgebiet hinter sich lässt und den Sulzriegel hinaufwandert. Insgeheim ist Linhart in die Magd verliebt. Wenn er sie sieht, fängt sein Herz wild zu pochen an und in seinem Bauch rumort es. Ihre warme Stimme, ihre strahlende Haut, ihr gutherziges Wesen. Er möchte ihr so viel sagen, aber sobald er sie sieht, verschlägt es ihm die Sprache. „Das wäre eine Frau für mich“, denkt Linhart und ein sanftes Lächeln huscht über sein Gesicht. Schnell verwirft er jedoch den Gedanken und schüttelt den Kopf, denn er weiß, dass die Chancen zur Heirat eines Knechts und einer Magd schlecht stehen.

Oben am Gipfel sieht Linhart das Haus des Schmieds bereits beleuchtet. „Die arbeiten schon in der Werkstatt!“, denkt Linhart. Das Feuer in der Schmiede brennt und aus dem Rauchfang raucht es gen Himmel. Im Hof der Schmiede tummeln sich Gesellen, Mägde und Kinder. In der Schmiede hämmert und klopft der Schmied bereits glühendes Metall im Lichte des Feuers. Linhart klopft zaghaft an die alte, schwere Holztür. Der Schmied schaut vom Feuer auf, unterbricht das Klopfen und mustert Linhart. „Wer bist du? Was willst du?“, fragt er knapp. Sein derbes Gesicht ist rußverschmiert. Die schwarzen Stirnfransen lugen hinter der Leinenhaube, die er am Kopf trägt, hervor und kleben am Schweiß der Haut fest. Der Schmied legt das Metallstück ab, klopft mit den schwarzen, kräftigen und von Schwielen übersäten Händen auf seine dicke Lederschürze und geht langsam auf Linhart zu. „Der Bauer Mathes aus Jormannsdorf schickt mich“, sagt Linhart, „Ich bin sein Knecht. Die Frau des Bauern ist schwer krank und braucht dringend einen Arzt. Der Bauer glaubt zu wissen, dass der Arzt Martin aus Oberwart heute Ihrer Mutter einen Krankenbesuch abstattet und bittet Sie den Arzt im Anschluss zu uns zu schicken.“ „Hmm, hmm, geht in Ordnung“, brummt der Schmied in seinen buschigen Schnurrbart und zuckt zweimal rasch mit den Augenwinkeln. „Was willst du mit den Hendln?“, fragt er und schielt mit den Augen auf das Federvieh, das Linhart sich über die Schulter geworfen hat. Er leckt mit der Zunge über seine Lippen. „Die soll ich in Tatzmannsdorf verkaufen“, antwortet Linhart. Der Schmied bewegt seine klobige Hand unter die schwere Schürze und vergräbt sie in der Tasche seiner Tunika. Er bringt ein paar Münzen hervor, hält sie gegen das Feuer und zuckt dabei wieder mit den Augenliedern. Dann drückt er mit dem Daumen und Zeigefinger zwei Münzen in Linharts Hand und steckt die restlichen zurück in die Tasche seiner Tunika. „Hier hast du zwei Silberpfennige! Bring ein Huhn zu meiner Frau in die Küche. Ich brauche Fleisch, sonst verlier ich meine Kraft!“ Dann dreht er sich grußlos wieder um, schiebt das Metallstück in die Glut und beginnt aufs Neue zu klopfen. Linhart steckt das Geld in seine Tasche und geht über den Innenhof zum Wohnhaus. Er klopft an die angelehnte Küchentür, die sich sogleich knarzend öffnet. Eine alte Magd sitzt am Tisch, knetet einen Teig und summt dazu beiläufig ein Lied. Ihre Schürze ist derart verschmutzt, dass sich die ursprüngliche Farbe des Stoffes nicht mehr feststellen lässt. Das Gesicht der Magd ist verschwitzt und ihre gräulichen Haare, die hinter der Leinenhaube hervorstehen, sind voller Mehl. Sie unterbricht die Arbeit, lässt die Hände im Teig ruhen und sieht Linhart fragend an. „Der Schmied hat ein Hendl von mir gekauft. Ich soll es in die Küche bringen.“ Die Magd weist mit ihren Augen auf eine Kredenz gegenüber der Küchentür. Linhart legt ein Hendl dort ab. „Auf Wiedersehn“, verabschiedet er sich. Doch die Magd nimmt keine Notiz mehr von ihm und ist bereits wieder summend in das Kneten des Teigs vertieft.

Mittlerweile ist der blaue Himmel von weißen Quellwölkchen übersäht. „Es scheint ein schöner Tag zu werden“, denkt Linhart frohen Mutes als er den Sulzriegel hinab marschiert, um nach Tatzmannsdorf zu gelangen, wo allmorgendlich die Straßenhändler ihre Waren feilbieten. Es ist ein kurzer Spaziergang von etwa zwanzig Minuten, entlang Wiesen und Felder. „Der Schmied hat Glück, dass er nicht so entlegen wohnt und bei seinen täglichen Besorgungen nicht das Moor queren muss!“, denkt Linhart. In der Ferne sieht er wie die ersten Feilbieter am Dorfplatz ihre Waren arrangieren. Er setzt sich auf einen Baumstamm am Ende des Platzes und legt die Hühner vor sich auf den Boden. Es kommen bereits die ersten Mägde zum Platz, um Waren fürs Mittagessen zu besorgen. „Hendln! Frische Hendln!“, ruft Linhart so laut er kann. Er hofft, dass er das Fleisch bald los wird und nicht allzu lang herumsitzen muss, bis sich ein Käufer findet. Linhart haucht in seine kalten Hände und reibt dann eifrig die Handflächen aneinander, um sie aufzuwärmen. „Ich muss einen guten Preis raushandeln, damit die Bäuerin behandelt werden kann“, denkt er. „Der Schmied war wirklich ein Glücksgriff!“ Ein Lächeln huscht über Linharts Gesicht.

„Ja, bist du das Linhart?“, ruft eine kleingewachsene, alte Frau ihm zu und klatscht in die Hände. Grübchen bilden sich auf ihrem lachenden Gesicht, während sie sich emsig an den anderen Menschen vorbeischiebt und ihm näher kommt. Seine Tante! „Mutters Schwester“, denkt Linhart und sein Gesicht hellt auf. Er hätte fast vergessen, dass sie in Tatzmannsdorf lebt. Sie hatte den hiesigen Bäcker geheiratet, lange bevor Linhart zur Welt kam. Die grobgliedrige, stämmige Frau, mit dem dickgeflochtenen, schwarzen Zopf, durch den sich schon weiße Strähnen ziehen, umarmt Linhart stürmisch. Sie erinnert ihn an seine eigene Mutter und die Tränen schießen ihm in die Augen. Er presst heftig die Augenlider aneinander, um sich nichts anmerken zu lassen. „Was für eine Freude dich zu sehen, mein Kind! Bist du groß geworden!“ Sie klopft ihm auf den Rücken und reibt mit der Hand seinen Oberarm. „Was machst du denn hier?“, fragt sie ihn und schaut tief und eindringlich in seine Augen. „Ich soll die Hühner hier für den Bauern verkaufen“, sagt er mit belegter Stimme. „Die Bäuerin ist krank und der Bauer braucht das Geld, um den Arzt zu bezahlen.“ „Was für eine Schande!“, sagt Linharts Tante und schüttelt ihren Körper. „Die arme Frau! Gib mir ein Huhn! Mein Mann hat heute Geburtstag. Er wird sich über das Fleisch freuen!“ Die Tante drückt Linhart zwei Silberpfennige in die Hand. Linhart steckt das Geld ein und gibt ihr ein Huhn. „Wie geht es dir, Linhart?“, fragt sie ihn freundlich und legt ihre kleine Hand sanft auf seine Schulter. „Gut“, sagt er leise. Obwohl er ihr gerne sagen möchte wie einsam er sich fühlt, wie sehr er sich freut sie zu sehen, bringt er keine Worte hervor. „Wenn du mal frei hast, komm mich doch besuchen, Linhart!“ Sie zeigt mit dem Zeigefinger auf ein kleines Haus am Ende der Straße. „Dort vorne ist die Bäckerei! Du bist uns immer willkommen! Ich würde mich wirklich sehr freuen!“ Sie drückt Linhart fest an sich und küsst ihn auf die Stirn. Linhart lässt sich für einen Augenblick in ihren weichen Körper versinken und atmet ihren Geruch ein. „Danke, Tante!“, sagt er. Die Tante nimmt das Huhn an den Krallen und geht beschwingt in Richtung Bäckerei. Sie dreht sich noch einmal um und winkt ihm lächelnd zu. Linhart hebt die Hand. Er sinkt auf dem Baumstamm zusammen und denkt an seine eigene Mutter. Wie sie ihn als Kind am Schoß hielt und drückte und dazu so lange summte bis er einschlief. Wie besorgt sie war als es ihm eines Winters nicht gut ging. Nächtelang saß sie an seinem Bett und hielt seine kleine Hand fest. Er erinnert sich noch an ihren sanften Blick, der auf ihm wachsam ruhte, wann immer er aus seinen Fieberträumen wieder zu sich kam. „Ist das Huhn zu verkaufen?“, wird Linhart aus seinen Tagträumereien gerissen.“ Ja, für zwei Silberpfennige!“ Linhart schaut auf in das Gesicht einer hageren, komplett in schwarz gekleideten Frau. „Zwei Silberpfennige?“, fragt sie ungläubig und hebt demonstrativ die Augenbrauen. „Das ist doch Wucher für so einen kleinen Vogel!“, regt sie sich auf. „Ich hab schon zwei um den Preis verkauft“, entgegnet Linhart ruhig und zuckt mit den Schultern. Die hagere Frau bläst Luft durch die gespitzten Lippen. „Na gut, dann gib mir halt das Hendl für zwei Silberpfennige“, und drückt ihm mürrisch zwei Silberpfennige in die Hand. „Danke“, sagt Linhart, „Vergelt’s Gott!“ Dann streckt er seine eingefrorenen Beine durch, steht auf und macht sich auf den Weg zurück zum Hof.

Das Geheimnis um das Tatzmannsdorfer Wunderwasser

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