Читать книгу Palmströms Tagebuch in Zeiten von Corona - Barbara von Stryk - Страница 7
ОглавлениеVorwort
Christian Morgenstern (1871-1914) schrieb seine Galgenlieder, zu denen auch die Palmström-Geschichten gehören, mit Anfang zwanzig, „für einen lustigen Kreis“ auf einem Ausflug zum sogenannten Galgenberg bei Potsdam. Als sie 1905 zum ersten Mal veröffentlicht wurden, nachdem ein Verleger sie zuvor „als zu großes Wagnis“ abgelehnt hatte, bemerkt er: „Zu den Galgenliedern braucht man nichts als Unbefangenheit, Naivität, sie sind von einem großen Kind für große Kinder geschrieben. Es sind dumme kleine Schmetterlinge, auf der Wiese geistiger Freiheit gefangen“. Von diesem Bild habe ich mich in den letzten Monaten leiten lassen. Der verträumte Palmström und der geistreiche Herr von Korf sind zwei liebenswerte Fantasiegestalten, deren überraschend origineller Umgang mit dem Leben und dessen Fragestellungen belustigen, aber auch zum Nachdenken anregen können. In verblüffender Einfachheit bieten sie Lösungen für fast jedes Problem und zeigen, dass manches oft anders ist, als es erscheinen mag. So sind sie als eine Art erste Querdenker in die Literatur eingegangen.
In der, noch vor wenigen Monaten unvorstellbaren Situation eines weltweiten Ausnahmezustandes, hat mir die Betrachtungsweise von Palmström und Korf geholfen, die unfassbaren Ereignisse zu verarbeiten.
Dabei habe ich versucht, möglichst viele Aspekte und
Facetten der unterschiedlichen menschlichen Gefühle und Überlegungen in Palmströms Tagebuch mit einzubeziehen. Es handelt sich nicht nur um persönliche Erfahrungen und eigene Stimmungen, sondern auch um Manches, was mir von anderen zugetragen wurde. Nie zuvor habe ich mit so vielen mir bis dahin unbekannten Menschen das Gespräch gesucht und bin dankbar für die Offenheit und das Vertrauen, die mir bei dieser privaten Meinungsumfrage entgegengebracht wurden. Ratlosigkeit, Wut, Empörung, Trauer, Angst aber auch Freude und Dankbarkeit für die unerwartete Ruhe und Auszeit prägten diesen Austausch. Ebenso lieferten mir die wechselnden Pressemeldungen und Regierungsbeschlüsse, die zu den verschiedenen, oft genug widersprüchlichen Maßnahmen führten, die jeweilige Aktualität.
Ohne Zweifel kann Covid 19 zu schweren Erkrankungen und zum Tod führen, jedoch gibt es noch viele unbeantwortete Fragen: War der Umfang der Maßnahmen wirklich angemessen? Wie groß werden die Kollateralschäden sein und wie lange werden wir an den Folgen zu tragen haben? Wird die Angst vor einer möglichen Ansteckung auf Dauer für unsere Gesellschaft vielleicht gravierendere Folgen haben als das Virus selbst? Genügt es wirklich, ausschließlich die physische Gesundheit in den Focus zu nehmen und die Faktoren der psychischen, sozialen, ethischen, kulturellen und gesellschaftlichen Gesundheit außer Acht zu lassen? Hängt das, was unser Leben schützt und lebenswert macht, wirklich nur von Hygienemaßnahmen, Impfungen und einer zunehmenden Digitalisierung ab? Geht es vielleicht um etwas ganz anderes, wenn es um den Menschen geht? An dieser Stelle möchte ich auch Dr. Bodo Schiffmann aus der Schwindelambulanz in Sinsheim danken, der in seinen zahlreichen Beiträgen sehr authentisch, mit gesundem Menschenverstand, Mut und Ausdauer nach Antworten gesucht hat.
Seitdem in einem nie dagewesenen Umfang unsere gewohnten Lebensabläufe erst angehalten und dann einschneidend verändert wurden, haben sich in den letzten Monaten viele Menschen gefragt, ob das, was geschieht Wirklichkeit, oder nur ein schlechter Traum ist. Vielleicht wäre alles einfacher gewesen, wenn man die Entscheidungen Palmström übergeben hätte… Christian Morgenstern lässt diesen auf seine Weise mit einer „unmöglichen Tatsache“ umgehen:
Eingehüllt in feuchte Tücher,
prüft er die Gesetzesbücher….
Und er kommt zu dem Ergebnis:
nur ein Traum war das Erlebnis,
weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.
So möchte ich Sie, liebe Leser, mit einem Lächeln dazu auffordern, ein wenig über die Phänomene unserer Zeit nachzudenken und wünsche uns allen, dass die Welt in nicht zu fernen Zeiten aus der Pandemie der Angst zu neuen Kräften erwachen möge.