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3 Reflexion des Handelns – eine grundlegende Kompetenz
Оглавление3 Reflexion des Handelns – eine grundlegende Kompetenz
Im folgenden Ausschnitt fordert Regula von Felten, dass erfolgreiche Lehrerinnen und Lehrer fähig und bereit sein müssen, ihr eigenes Handeln zu reflektieren und zu verändern. Dazu gehört, Routinen zu hinterfragen und sein berufliches Handeln einer reflexiven Rechtfertigung zu unterziehen.
< Reflexion als Mittel, eigenes Handeln zu entwickeln
Eine erfolgreiche Lehrperson verfügt über ausreichendes Wissen und Können, um die Anforderungen des Schulalltags zu erfüllen. Sie kann beispielsweise Lernziele formulieren und begründen, Inhalte sinnvoll strukturieren und verschiedene Lehr-Lern-Arrangements realisieren. Sie versteht es, Schülerinnen und Schüler zu beobachten, ihre Ressourcen und Defizite wahrzunehmen und sie individuell zu begleiten. Sie kennt Möglichkeiten, um ein Gespräch zu eröffnen und zu leiten, Konflikte in der Klasse anzugehen und die Gemeinschaftsbildung zu fördern. Sie kann auf die Vorwürfe eines Vaters an einem Elternabend oder auf die Kritik einer Schülerin angemessen reagieren. Sie weiß, in welchen Situationen sie eine weitere Fachperson beiziehen sollte, und kann alleine und im Team Verantwortung übernehmen. Von ihr wird vieles und ganz Unterschiedliches erwartet.
Nur ein umfangreiches Handlungsrepertoire macht es möglich, die vielfältigen Aufgaben des Lehrberufs zu bewältigen. Trotzdem muss eine Lehrperson stets damit rechnen, dass bisher bewährte Handlungen nicht zum Erfolg führen. Schülerinnen und Schüler, Eltern und Teammitglieder reagieren oft anders als erwartet. Eine Lehrperson sollte daher fähig und bereit sein, ihr eigenes Handeln zu reflektieren und zu verändern.
Probleme, die im Schullalltag auftreten, fordern heraus und bieten gleichzeitig die Chance, Handlungsroutinen aufzubrechen und die eigene Kompetenz zu erweitern.
«So notwendig und sinnvoll Routinen auch sind, sie verleiten dazu, Situationen zu nivellieren, die Sensibilität für Differenzen verkümmern zu lassen, den Blick für die geänderten Verhältnisse zu verlieren und schließlich sein eigenes pädagogisches Konzept nicht mehr infrage stellen zu wollen. Kompetentes Wissen und Handeln muss deshalb auf einer übergeordneten Ebene thematisiert werden. Es muss sich der reflexiven Rechtfertigung stellen» (Plöger 2006, S. 22).
Um die Bedeutung der Reflexion zu begründen, bezieht Wilfried Plöger die Systemtheorie Luhmanns ein und verdeutlicht, dass die Kompetenzen von Lehrpersonen Resultat von Selektions- bzw. Reduktionsprozessen sind. Handlungsroutinen kommen durch Negation anderer Möglichkeiten zustande. Eine Lehrperson hält an einmal Bewährtem fest. Sie kann und will sich nicht jeden Tag neu entscheiden, denn dann wäre sie letztlich handlungsunfähig. Pädagogisches Wissen und Können hat aber immer nur eine vorläufige Gültigkeit und muss als potenziell wandelbar angesehen werden. Eine Lehrperson muss offen bleiben für die vorerst ausgeschlossenen Möglichkeiten und diese wieder in die pädagogische Reflexion einbeziehen (ebd., S. 22 ff.).
Steht die Reflexion des eigenen Handelns im Vordergrund, beziehen sich die Argumentationslinien auch häufig auf Donald A. Schöns «Epistemologie der Praxis» (Wittenbruch 2007; von Felten 2005; Altrichter & Lobenwein 1999; Dick 1999; Herzog 1995). Schön zeigt in seinen beiden Werken «The Reflective Practitioner» (1983) und «Educating the Reflective Practitioner» (1987) auf, wie wichtig es ist, dass Praktikerinnen und Praktiker ihr Handeln aus Distanz betrachten. Befreit von Handlungsdruck, können Probleme überhaupt erst wahrgenommen werden. «In real-world practice, problems do not present themselves to the practitioner as givens. They must be constructed from the materials of problematic situations which are puzzling, troubling, and uncertain. In order to convert a problematic situation to a problem, a practitioner must do a certain kind of work» (Schön 1983, S. 40).
Diese Art von Praxisreflexion bezeichnet Schön als «reflection-on-action». Nach dem Unterricht analysieren Lehrpersonen Geschehenes. Sie beziehen bisher unberücksichtigte Aspekte ein, fassen das Problem, betrachten es aus unterschiedlichen Perspektiven und suchen nach möglichen Handlungsalternativen. Schließlich gilt es, neu entdeckte Handlungsmöglichkeiten in der weiteren Praxis zu erproben, ihre Wirkung zu überprüfen und das eigene Wissen und Können auf diese Weise zu erweitern und zu differenzieren.
Um die Fähigkeit zur Reflexion und zur Entwicklung des eigenen HandeIns – in eben beschriebenem Sinne – zu erwerben, sieht Schön (1987) ein spezifisches Ausbildungssetting vor. Anhand von Beispielen aus der Ausbildung von Architektinnen und Architekten illustriert er, wie Studierende im reflexiven Praktikum mit ihren Coachs zusammenarbeiten. Begleitet von erfahrenen Praktikerinnen und Praktikern, üben sich Architekturstudierende darin, Probleme in der Praxis zu erkennen, nach adäquateren Handlungsweisen zu suchen und so das eigene Wissen und Können schrittweise zu entwickeln.
Erfolgreiche Praktikerinnen und Praktiker verfügen aber nicht nur über die Fähigkeit, ihr Handeln im Nachhinein zu reflektieren, sie sind auch in der Lage, unvorhergesehene Situationen während des Handelns neu zu interpretieren und geschickt darauf zu reagieren. Schön spricht in diesem Zusammenhang von «reflection-in-action».
«Reflection-in-action has a critical function, … we may, in the process, restructure strategies of action, understandings of phenomena, or ways of framing problems […]. Reflection gives rise to on-the-spot experiment. We think up and try out new actions intended to explore the newly observed phenomena, test our tentative understandings of them, or affirm the moves we have intended to change things for the better» (Schön 1987, S. 28).
«Reflection-in-action» meint also ein Neurahmen («reframing») einer Situation während des Handelns. Die Situation erscheint dadurch in neuem Licht und weist der Lehrperson die Richtung für weitere Handlungsschritte. Dieses Im-Austausch-mit-der-Situation-Sein («reflexive conversation») und das unmittelbare Reagieren auf Unerwartetes erfordert Präsenz, Gefühl und Kreativität. Entscheidungen fällt die Lehrperson dabei intuitiv, und es wird ihr im Nachhinein nicht auf Anhieb gelingen, das Geschehene zu erklären. Was nicht heißt, dass das Wissen und Können von Lehrpersonen irrational ist (Dewe, Ferchhoff & Radtke 1992, S. 85).
«Reflection-in-action is a process we can deliver without being able to say what we are doing. Skillful improvisers often become tongue-tied or give obviously inadequate accounts when asked to say what they do. Clearly, it is one thing to be able to reflect-in-action and quite another to be able to reflect on our reflection-in-action so as to produce a good verbal description of it» (ebd., S. 31).
Um Ereignisse im Unterricht klar zu fassen und das eigene Handeln zu begründen, sind daher Phasen der Rechenschaftslegung unabdingbar. In diesen beziehen sich Lehrpersonen auf ihre persönlichen Überzeugungen, was eine gute Schule bzw. guter Unterricht ausmacht, und haben Gelegenheit, diese aufzuarbeiten.» ›
Literatur
Altrichter, H. & Lobenwein, W. (1999). Forschendes Lernen in der Lehrerbildung? Erfahrungen mit reflektierenden Schulpraktika. In U. Dirks & W. Hansmann (Hrsg.), Reflexive Lehrerbildung. Fallstudien und Konzepte im Kontext berufsspezifischer Kernprobleme (S. 169–196). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Dewe, B., Ferchhoff, W. & Radtke, F. (1992). Das «Professionswissen» von Pädagogen. Ein wissenstheoretischer Rekonstruktionsversuch. In dies. (Hrsg.), Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern (S. 70–91). Opladen: Leske + Budrich.
Dick, A. (1999). Vom Ausbildungs- und Reflexionswissen in der LehrerInnenbildung. In U. Dirks & W. Hansmann (Hrsg.), Reflexive Lehrerbildung. Fallstudien und Konzepte im Kontext berufsspezifischer Kernprobleme (S. 149–167). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Felten, R. von (2005). Lernen im reflexiven Praktikum. Eine vergleichende Untersuchung. Münster: Waxmann.
Herzog, W. (1995). Reflexive Praktika in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Beiträge zur Lehrerbildung, 13 (3), S. 253–273.
Plöger, W. (Hrsg.) (2006). Was müssen Lehrerinnen und Lehrer können? Beiträge zur Kompetenzorientierung in der Lehrerbildung. Paderborn: Schöningh.
Schön, D. A. (1983). The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action. New York. Basic Books.
Schön, D. A. (1987). Educating the Reflective Practitioner. San Francisco: Jossey-Bass.
Wittenbruch, W. (2007). Stichwort: Reflexives Lernen, Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule, 1, S. 31–43.
Auszug aus: Felten, R. von (2011). Lehrerinnen und Lehrer zwischen Routine und Reflexion. In H. Berner & R. lsler (Hrsg.), Lehrer-Identität – Lehrer-Rolle – Lehrer-Handeln. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren © 2011 Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler; Verlag Pestalozzianum, Zürich.