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Kopfüber in die Hölle
ОглавлениеTrotz der finsteren Neumondnacht hatte Bruno Lammers nun das Loch tief genug mit dem kleinen Bagger ausgehoben. Etwa drei Meter tief war es und sollte doch wohl ausreichen, das Luder vor den Wildtieren und neugierigen Menschen tief genug zu verstecken. Das Luder, in Form eines menschlichen Leichnams, wurde nun vorsichtig in das zwar enge, aber tiefe Loch geschoben und verschwand mit dem Kopf zuerst in der Grube.
Hm, dachte Bruno, für einen Fahrradständer hat der Kerl noch zu viele Klamotten an. Ist auch glücklicherweise zu tief, um mit der Kimme noch rauszuschauen. Aber damit er in den nächsten hundert Jahren nicht von den ackernden Bauern wieder hoch gearbeitet wird, muss noch der Findling drauf. Dann sollten die restlichen eineinhalb Meter Tiefe ausreichen, um den Pflügen für lange Zeit keinen Widerstand zu geben. Hier, mitten auf dem abgeernteten Stoppelfeld, würde ihn sowieso niemand vermuten. Auch Füchse und Marder würden wohl an dem großen Stein, welcher ihnen die üppige Mahlzeit verwehrte, scheitern. Und wenn erst mal wieder gepflügt und ausgesät wurde, wäre auch nichts mehr zu sehen von der Bestattung.
Bruno war sehr zufrieden. Sein Zittern hatte aufgehört und war einer bleiernen Ruhe gewichen. Keiner hatte ihn des Morgens um halb zwei bei seinem Tun beobachtet, als er den Bagger auf der nahegelegenen Baustelle entwendet hatte. Wie war er, als leitender Angestellter einer bekannten Werbefirma bloß in diese prekäre Situation gekommen? Nachdem er abends von der Arbeit nach Hause gekommen war, schien noch alles in bester Ordnung zu sein.
Das Auto seiner Frau stand aber im Hof, sodass anzunehmen war, dass sie noch nicht, wie beabsichtigt, zu ihrer Mutter unterwegs war. Sie wollte diese besuchen, da sie bereits alt und auch im Kopf gebrechlich war und ihrer Hilfe bedurfte. Bruno war immer sehr froh, wenn es ihm erspart blieb, die gebrechliche Schwiegermutter mit aufzusuchen. Er hoffte sehr, dass ihm ein solches Schicksal erspart bleiben würde, und er fürchtete sich auch sehr davor zu verblöden.
Also, Bruno war hinten durch den Garten gegangen, um durch die Veranda ins Haus zu gelangen, wo sicher seine Ehefrau bereits auf ihn wartete. Es wurde Bruno heiß und kalt, als er an der Verandatreppe einen Mann bäuchlings noch halb im Gras liegen sah. Er stieß ihn leicht mit dem Fuß an. Keine Reaktion. Bruno fasste sich ein Herz und drehte den Mann mit einem Ruck um. Ein langes, stehendes Messer steckte bis zum Anschlag in der Brust des Fremden und hatte augenscheinlich sein Herz durchbohrt.
Das Gesicht kannte Bruno doch von Familienbildern aus der ersten Ehe seiner Paula. Ihr erster Mann, der ihm hier zu Füßen lag, war ein Schwerkrimineller namens Mann und hatte viele Jahre im Gefängnis zugebracht. Paula hatte damals mitgeholfen, ihn zur Strecke und ins Gefängnis zu bringen. Wie hatte er sie nur gefunden? Und wo war seine Frau? Hatten sie gekämpft und hatte sie ihren Ex erdolcht? Zuzutrauen wäre es ihr, denn zum einen war sie ein recht wehrhaftes Weib und zum anderen hatte sie immer noch einen gewaltigen Zorn auf diesen Unmenschen, da er ihr früher so manchen Knochen gebrochen hatte.
Da die Verandatür verschlossen war, hastete Bruno ums Haus und schloss mit leicht zittrigen Fingern die Eingangstür auf. „Paula! Paula!“, rief Bruno immer wieder und suchte im ganzen Haus nach ihr. Aber es war keine Paula zu finden. Sie ist bestimmt geflüchtet, dachte er. Aber das Auto ist doch noch da. Sie muss unter Schock gestanden haben und Hals über Kopf weggelaufen sein.
Was sollte er tun? Bruno war völlig verwirrt und es dauerte eine Weile, bis er wieder zu einigermaßen klaren Überlegungen fähig war. Sollte seine Frau dieses Kerls wegen in den Knast gehen? Nein, niemals würde er das zulassen. Eventuell würden die Behördensäcke ihr auch noch einen Mord anhängen wollen. Bevor er seine Frau suchen würde, sollte er erst ihren Dreck beseitigen.
Bruno ging wieder zurück zu dem Leichnam, der ihm so viel Ungemach bereitete. Schaudernd durchsuchte er den Toten. In der Tasche der Leiche fand er einen Autoschlüssel und die Wagenpapiere. Auch das noch. Wenn man den Wagen des Toten hier im Dorf finden würde, wären sie sofort seiner Frau auf der Spur, dachte er. Bruno lief nach vorn zur Straße und drückte auf den elektronischen Türschlüssel. Eine schwarze Limo meldete sich mit dem bekannten Piepsen und Blinken.
Die musste auch noch weg, weit weg. Aber erst mal musste er sich um die grandiose Hinterlassenschaft seiner Paula kümmern. Was sollte er nur tun? Bruno war verzweifelt. Dann fasste er einen Entschluss und sich ein Herz. Er ging zu seinem Gartenhäuschen, welches ihm bereits manche schöne Stunde und manche Ausweichmöglichkeit vor einer ärger-lichen Paula beschert hatte.
Bruno holte sich seine Gartenhandschuhe und einen großen Seitenschneider aus dem Gartenhäuschen und ging zur Baustelle am Rande des Dörfchens. Dort stand ein mittelgroßer Bagger, bereit zur Vertuschung einer Untat. Knack, dass große Stahlriegelschloss gab den Weg frei und den Bagger in Brunos verantwortungsvolle Hände. Zwischenzeitlich war es Geisterstunde und stockduster. Die Bürgersteige waren hochgeklappt und alles Volk war im Bett. Um die Idylle und die Ruhe nicht zu sehr zu stören, ging Bruno vorerst zurück zum Gartenhäuschen und legte sorgsam wie es seine Art war den Seitenschneider wieder an seinen Platz.
Sodann begab er sich zur Leiche und nahm diese widerwillig in den Rettungsgriff. Dann schleifte Bruno seinen toten Vorgänger bis zum Bagger und platzierte ihn in der Baggerschaufel. Endlich hatte sich der sonst unsinnig scheinende Erste-Hilfe Kursus einmal bezahlt gemacht.
Bruno schwitzte und dampfte aus allen Poren. Er pumpte wie ein Maikäfer und schnappte nach Luft. So, der hat einen Logenplatz, dachte Bruno. Er ließ den Bagger an und fuhr, immer noch schweißgebadet von der Anstrengung, zum Dorf hinaus und durch den kleinen Wald. Als er das Wäldchen hinter sich gelassen hatte, bog er links auf das große Stoppelfeld ab und fuhr bis zur Mitte. Hier machte er sich ans Werk.
Die gefährlichste Arbeit war getan. Stahlschloss, Messer und auch die Leiche waren ihrer Bestimmung übergeben und hoffentlich zu seinen Lebzeiten nicht mehr aufzufinden. Sollten sich doch in tausend Jahren die Altertumsforscher bei ihren Ausgrabungen die Köpfe, ob solcher merkwürdigen Begräbnisriten, zerbrechen.
Nun musste er nur noch ein wenig mit der Baggerschaufel die Spuren verwischen. Vorsichtshalber fuhr Bruno dann auch noch ein wenig auf dem Grab hin und her, um seine Bemühungen endgültig zu vertuschen. Dann fuhr er zufrieden und erleichtert zurück und stellte den Bagger wieder sorgsam auf seinen Platz auf der Baustelle. Die Bauarbeiter wunderten sich am Morgen über das verschwundene Schloss und den noch vorhandenen Bagger.
Aber ein Schloss war leicht zu ersetzen und keiner machte sich weiter Gedanken über die Sache. Schließlich war die Baumaschine noch an ihrem Platz und hatte nicht einer fremdbestimmten Verwendung im nahen Ausland entgegengesehen, wie es häufig der Fall war.
Bruno ging nach Hause und verschnaufte erst einmal. Dann nahm er ein kurzes karges Nachtmahl ein, da er durch die körperliche Arbeit doch ein wenig Hunger verspürte. Kurze Zeit darauf packte Bruno eine Tasche mit Ersatzwäsche, Anzug und Hemd und suchte ein Paar weiße Handschuhe, die er als Schiedsrichter beim Billard zu tragen hatte und zog diese über. Dann setzte er noch eine Kappe auf und zog diese tief ins Gesicht. So unkenntlich gemacht ging Bruno mit der fremden Limo auf Reisen.
Der Arbeitsweg, den er sonst mit dem Zug zurücklegte, da er eine Monatskarte sein Eigen nannte, war mit dem Auto wesentlich angenehmer zu bewältigen. So fuhr Bruno, obgleich es ein Sonnabend war, nach Hamburg, jedoch nicht zu seiner gewohnten Arbeitsstelle. Er fuhr niemals zu schnell und vermied, sofern er die Standorte wusste, Verkehrskameras.
Auf der Brücke über den Bahngleisen am Hauptbahnhof waren noch keine Überwachungskameras angebracht, aber dafür um diese frühe Tageszeit reichlich freie Parkplätze vorhanden. Hier stellte er das Fahrzeug ordnungsgemäß ab und kaufte einen Parkschein, den er hinter der Windschutzscheibe platzierte. Eigentlich hätte Bruno nun den kompromittierenden Ort verlassen können. Er konnte es aber nicht lassen, einen Blick in den Kofferraum der Limousine zu werfen.
Im Kofferraum befanden sich eine Reisetasche und ein kleinerer Alukoffer. Seine Neugier war geweckt. Bruno öffnete die Reisetasche. Er staunte nicht schlecht, als diese randvoll mit durchsichtigen Tüten, in denen sich ein weißes Pulver befand, gefüllt war. Na toll, ein Backpulververtreter, dachte Bruno. Oder ist Paulas Ex wieder auf dem falschen Weg gewesen? Egal, nun ist er auf dem richtigen. Mit dem Kopf zuerst in die Hölle. Wollen schauen, was im Koffer ist.
Bruno öffnete den Alukoffer und fand etwas Brauchbares. Der Koffer war voll mit Geldscheinen. Bruno nahm nur seine eigene Tasche und den Koffer, den hier kein anderer mehr brauchte. Die Tütchentasche ließ er unangerührt. Dann warf er den Wagenschlüssel in den Kofferraum, klappte zu und ging eiligen Schrittes zum Bahnhof.
Auf der Bahnhofstoilette zog Bruno sich um und auch die weißen Handschuhe aus. Die Tasche mit diesen Sachen verschwand später in einem DRK Spender, damit keine Fremd-DNA ihn verraten könnte. Der Koffer aber ging diesen Weg nicht. Bruno saß zufrieden mit seinem wohlverdienten Finderlohn im Morgenzug gen Heimat.
Zuhause angekommen war Paula immer noch nicht von ihrer Flucht zurückgekehrt. Er machte sich zwar weiterhin Sorgen um sie, war aber zu kaputt, um noch handlungsfähig zu sein. Bruno nahm eine Dusche und fiel wie ein Stein ins Bett und in einen traumlosen Schlaf. Es war bereits Mittagszeit, als Bruno seinen Namen rufen hörte und langsam wach wurde. Seine Paula war zurückgekehrt. „Schöne Grüße von meiner Mutter“, hallte es ihm entgegen. „Nicht so laut, ich hab schlecht geschlafen und Unsinn geträumt.“
Paula war Anfang dreißig und von recht hübscher Statur. Ihre blonde, gewellte Mähne, mit der sie auch einst Bruno überzeugt hatte, wäre auch dazu angetan gewesen, jeden rassigen Südländer wild zu machen und zu unbedachten Liebesschwüren hinzureißen. Leider hatte sie durch ihr Vorleben charakterlich arg gelitten und zwischenzeitlich nicht nur Haare sondern bereits Zöpfe auf den Zähnen, was sie aber nicht weniger reizvoll, aber reizbarer erscheinen ließ.
War es wirklich alles nur ein Traum gewesen? Paula verhielt sich ganz normal und plapperte fröhlich vor sich hin. Es gab ein reichliches Frühstück und als er zu Wort kam, fragte er Paula, wie sie zu ihrer Mutter gekommen sei und ob sie ihren Ex irgendwo gesehen hätte. „Ich bin etwas eher mit der Bahn gefahren“, sagte Paula und „wieso fragst du nach meinem Ex? Den hab ich schon seit hundert Jahren nicht mehr gesehen und gehört.“ Bruno war wie benebelt. Hatte er wirklich nur geträumt? Paula plapperte derweil weiter. – „…und übrigens, die Markise ist kaputt. Die musst Du noch reparieren.“
Nach dem Frühstück ging Bruno über die Terrasse zum Gartenhäuschen, um sich dort einen Kreuzschlitzschraubendreher zu holen. Nicht nur augenscheinlich er, sondern auch die Markise hatte eine Schraube locker und bedurfte einer Reparatur. Es hatte in der Nacht genieselt, aber da waren noch rote Spuren im Gras.
Bruno schwante Furchtbares. Er ging weiter zum Gartenhäuschen und fand dort neben dem Werkzeug auch einen Alukoffer vor. Sein Alptraum wurde wieder Realität. Alles Mögliche an Szenarien schoss durch seine Gedanken. Hatte Paula ihn so täuschen können oder hatte ein Anderer die Bluttat begangen, welche er offensichtlich des Nachts vollständig vertuscht hatte? Der Alukoffer war immer noch voll der papierenen Versuchung und bei näherer Betrachtung waren die Scheinchen echt.
Der Alukoffer wurde von Bruno vorsichtshalber ausgeräumt, um die Beute besser verstecken zu können. Ab mit dem Papier in eine Plastiktüte und sicher hinter dem alten, ausgedienten Hornissennest im Gebälk verstaut. So, das war erledigt. Nun musste er nur noch den verräterischen Koffer loswerden. Na ja, erst mal unter die Werkbank damit, dass Paula nicht fragen konnte, was es mit dem guten Stück auf sich hatte.
Bruno verspürte etwas Erleichterung, auch wenn die Gesamtsituation noch auf ihm lastete. Er nahm seinen Kreuzschlitzschraubendreher und lief zur Veranda. Dann stolperte Bruno über den Rasensprenger und viel bäuchlings den Kreuzschlitz tief in die Schulter bohrend ins Gras, welches wieder einmal die rote Farbe annahm. Bruno heulte vor Schmerz laut auf. Im selben Moment traf ihn der Pfeil der Erleuchtung wie ein Blitz.
Der Kerl wollte sie ermorden und so hatte der Ex selbst seinen Exitus herbeigeführt. Bruno lachte. Er lachte und weinte zugleich. Er lachte bis der Arzt kam und er lachte auch noch vor der OP, sodass der Narkosearzt fragte, ob der Patient bereits Lachgas bekommen hätte.
Nach der OP und zwei Tagen eines fröhlichen Krankenhausaufenthaltes war Bruno wieder daheim und erholungsbedürftig. Er genoss Paulas Fürsorge und Pflege. Später eröffnete er dann seiner holden Paula, dass er eine Sondergratifikation erhalten hätte und sie nun endlich einen Urlaub planen könnten. Die Kubareise wurde, nachdem Bruno wieder einsatzbereit war, gebucht und bar bezahlt. Eine Woche später saßen beide, in Erwartung eines Langzeiturlaubes nebst Rundreise, im Flugzeug nach Havanna.