Читать книгу Beakys (Lügen-)Tagebuch - Barry Hutchison - Страница 4

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Wir hatten die Teller vom Abendessen weggeräumt und schleckten genüsslich unser Eis mit Schokolade, als es an der Tür klingelte. Destructo sprang auf und bellte sich die Seele aus dem Leib. Dad schaute Mom an und verzog seine Mundwinkel zu einem mageren Lächeln.


„Los geht’s.“

„Los geht’s“, sagte Mom, fasste zu ihm rüber und drückte seine Hand.


Es klingelte erneut. Destructo bellte noch lauter. „Wir sollten sie besser reinlassen“, sagte Mom.

Keiner bewegte sich.

„Ja“, stimmte Dad zu.

Aber noch immer bewegte sich niemand.

Dann klingelte es ein drittes Mal. Destructo bellte und bellte, nur dass er uns jetzt schief von der Seite ansah, als wäre er besorgt, wir seien plötzlich alle taub geworden. Die Spannung war nicht auszuhalten, und bevor es ein viertes Mal klingeln konnte, sprang ich hoch.

„Ich mach dann mal auf, in Ordnung?“, fragte ich in die Runde und ging zur Tür. In der Sekunde, als ich den Knauf umdrehte, drückte Tante Jas bereits so doll gegen die Tür, dass sie mich fast erschlagen hätte.


Sie klang wie eine Zauberin, der gerade ein echt genialer Trick gelungen war. „Wir sind daaahaaaa!“

Nun flippte Destructo komplett aus. Wie ein Irrer drehte er sich im Kreis und bellte und jaulte dabei. Tante Jas beobachtete ihn vorsichtig, während sie ihre Arme nach mir ausstreckte. „Oh, wie groß du geworden bist!“, stellte sie fest, und ihre glänzenden, roten Lippen formten sich bereits zum Kussmund.

„Das würde ich nicht tun“, warnte ich sie. „Ich habe den Braunen Tod.“


Jas zuckte zurück. „Der Braune Tod? Was soll das denn sein?“

„Der ist wie der Schwarze Tod, nur nicht ganz so schlimm“, erklärte ich. „Ich würde bisschen Abstand halten, wenn ich du wäre.“

Stirnrunzelnd schaute Jas zu Mom rüber. „Meint er das ernst?“

Mom schüttelte den Kopf. „Nein.“

Jetzt strahlte Jas übers ganze Gesicht. „Aah! Fast hättest du mich reingelegt! Komm her, du.“

Da war ich gefangen, in einer Wolke aus Parfüm und von Tante Jas, die mich ganz fest an sich drückte und mir einen großen, sehr nassen Kuss auf die Stirn drückte.


Über ihre Schulter hinw eg sah ich, wie sich drei weitere Gestalten durch die Tür schlängelten – zwei kleine, gefolgt von einer großen.

Wie könnte ich meinen Cousin Max und meine Cousine Sophie beschreiben? Nun, sie heißt Sophie und er Max, klar. Sophie ist ein paar Jahre jünger als ich und in einer etwas langweiligen Art und Weise ganz okay. Mom würde es ja nie zugeben, aber Sophie ist uns allen unheimlich, weil sie so gut wie nie etwas sagt und die ganze Zeit nur in der Gegend rumglotzt.


Max hingegen ist nicht ganz so unheimlich, dafür aber wirklich ein Kind des blanken ­Horrors.

Er ist sieben, liebt alles, was Lärm macht, ist verrückt nach Gewalt, und ich vermute, dass ein Teil von ihm dämonisch ist. Wenn er nicht gerade grundlos Leute verprügelt, reißt er Insekten die Beine raus, jagt Katzen oder zerstört alles, was ihm gerade vor die Nase kommt.


Ärger machen steht ganz oben auf seiner Liste der Lieblingsbeschäftigungen. Seine Eltern Jas und Steve scheinen es ihm aber irgendwie nie übel zu nehmen. Als sie letztes Mal hier waren, kippte er Orangensaft in die Stereoanlage, die war danach völlig im Eimer. Jas und Steve hatten damals nur gelacht und taten es als „kleinen Spaß“ ab.


Außerdem ist Max ein totaler Egoist. Eben zum Beispiel ist er schnurstracks zu Moms Nachtisch gelaufen und hat sich vollgestopft, ohne auch nur „Hallo“ zu sagen.


„Achtet nicht auf ihn“, meinte Jas nur. „Er ist in der Wachstumsphase und hat Hunger.“

„Er sieht nicht hungrig aus“, murmelte Dad, was keiner außer mir hörte, Destructos Bellen hat ihm den Arsch gerettet. Aber er hatte recht. Während Sophie klein und zierlich war, sah Max aus, als wäre er nur noch drei Burger entfernt von der perfekten Sphäre.

Steve kam ins Haus gestolpert, schwer wankend unter dem Gewicht der Koffer, die er trug. Er und Tante Jas waren schon seit fast fünfzehn Jahren zusammen, aber Steve hatte sich stets geweigert zu heiraten, er hielt es für ‚total uncool’. Mom ist der Meinung, dass er Angst vor den Verpflichtungen hat, aber Dad ist überzeugt, dass er vielmehr Angst vor Tante Jas hat.


Was auch immer der wahre Grund ist, ich hatte mal aufgeschnappt, wie Mom neulich sagte, Jas hätte die Nase voll davon, dass er sich vorm Heiraten drückt, und dass sie sich in letzter Zeit ständig darüber streiten. Na, das kann ja lustig werden …

Dad verzog sein Gesicht, als er die vielen Koffer und Taschen sah, die Steve hereinschleppte. Doch er biss sich auf die Lippen und sagte keinen Ton.

„Wo soll das hin, mein Quarktörtchen?“, fragte Steve Tante Jas. Er trug eine Sonnenbrille. Dass es draußen regnete, störte ihn wenig. Ach ja, ich erinnerte mich, Steve trug immer eine Sonnenbrille, selbst im Haus.

Quarktörtchen? Jodie und ich schauten uns verdutzt an.

„Egal“, sagte Jas, ohne sich umzudrehen.

Ihre Stimme klang leicht genervt, ich schätze mal, dass sie seine Frage unnötig fand.

„Destructo! Halt die Klappe!“, brüllte Jodie.

Sofort bellte Destructo nicht mehr und rollte sich auf den Rücken. Jodie ist die einzige Person in der Familie, auf die er hört, wahrscheinlich, weil sie am meisten Angst einflößend ist.

„Hallo, Tante Jas“, sagte Jodie. Das Zucken in ihrem Gesicht ähnelte einem Lächeln. Sie stand auf und gab Jas die flüchtigste aller flüchtigen Umarmungen, dann setzte sie sich wieder. So schnell das auch ging, Max hatte es geschafft, die Hälfte ihres Eises zu verputzen, und er schielte bereits auf meins. Schützend legte ich meine Arme um die Schüssel.


„Ich habe drauf geniest“, sagte ich und blitzte ihn an. „Zweimal. Absichtlich.“

Die nächsten paar Minuten gingen in lauter „Hallos“ und „So gut, dich zu sehen!“ und „Siehst du aber gut aus!“ unter. Max hatte sich über die noch übrigen Nachspeisen hergemacht, danach gegen den Tisch getreten, das Esszimmer verlassen und sich auf die Couch geschmissen und den Fernseher angemacht. Jas umarmte uns alle noch ein paar Mal und zeigte Steve noch immer die kalte Schulter. Sophie hing in einer Ecke des Zimmers ab und machte uns mit ihrer ruhigen, unheimlichen Art schon jetzt wahnsinnig.


Eine halbe Stunde nach Ankunft von Jas’ Familie stieg die Anspannung bei uns bereits deutlich.

Wir hatten unseren Esstisch jetzt auch verlassen und fläzten uns im Wohnzimmer auf die Couch. Max war rüber gerückt auf Dads Fernsehsessel, hatte es sich dort kopfüber bequem gemacht und schaute Trickfilme.

Dad warf ihm ein paar böse Blicke zu, aber Max war viel zu vertieft in den Lärm des Fernsehers, als dass er es bemerkt hätte.

„Also, ich vermute, du hast noch nichts geplant fürs Wochenende?“, sagte Jas mit leicht vorwurfsvollem Ton.

Moms ganzer Körper erstarrte. „Eigentlich hatte ich das“, antwortete sie.

Jas zog die Augenbraue hoch. „Oh? Was denn?“

Mom zögerte. „Es ist ein Geheimnis“, sagte sie schließlich.

„Ein Geheimnis?“

Mom nickte. „Ja.“

Jas lächelte. „Kein Stress, wenn du nichts geplant hast. Wir können auch einfach hier rumgammeln wie ihr, das passt schon.“

„Rumgammeln?“, fragte Mom. „Was soll das heißen?“

Ich lehnte mich zwischen den beiden von hinten übers Sofa, bevor noch ein Unglück geschehen konnte. „Du kannst es ihr ruhig erzählen, Mom“, sagte ich.

Verdutzt sah sie mich an.

„Der Ausflug, den du geplant hast. Mit dem Besuch auf dem Schloss und dem ganzen schönen Kram.“

„Ach so … klar. Der Schlossbesuch“, sagte Mom und musste vor Erleichterung fast schmunzeln. „Na ja, jetzt ist es wohl kein Geheimnis mehr.“

„Und am Sonntag geht’s in den Hochseilgarten“, fügte ich hinzu.

Moms Blick verengte sich und schnell legte ich meine Arme um ihre Schultern.

„Seit Monaten wünsche ich mir das schon“, sagte ich zu Jas, „aber immer wieder hieß es, es ist zu teuer und wir können uns das nicht leisten. Zum Glück nicht für euch! ‚Nichts ist zu teuer für Tante Jas und ihre Familie‘ … Das hast du doch gesagt, nicht wahr, Mom?“


Mom biss die Zähne zusammen und presste ein Lächeln hervor. „Genau meine Worte.“

„Außerdem wolltest du mein Taschengeld erhöhen“, fuhr ich fort und kniff ihr in die Schulter.

Jetzt blitzten mich ihre Augen von der Seite an. „Vorsicht, nicht übertreiben.“

„Na, das klingt doch genial“, hörten wir Steve hinter seinen verspiegelten Gläsern rufen. „Nicht wahr, Kids?“ Er hielt beide Daumen hoch. Er fand sich supercool. Dabei war er nur peinlich.


„Find ich nicht“, maulte Max. Sophie sagte nichts, starrte nur weiter starr im Raum rum.

„Gut, solange wir uns nicht auf deinen Orientierungssinn verlassen müssen“, sagte Jas mit heuchlerischem Lächeln. „Dann wären wir nämlich ziemlich aufgeschmissen.“

Steve seufzte. „Komm schon, Schnuckelputz, ich bin einmal falsch abgebogen.“

„Viermal. Und zum Schluss standen wir im Feld. Wir hätten schon vor Tagen hier sein können, wenn wir uns nicht andauernd wegen dir verfahren hätten.“


Dad beugte sich zu mir und flüsterte: „Ich wusste doch, dass Steve auch eine gute Seite hat.“

Mom warf ihm einen bösen Blick zu, und so schwieg er.

„Es war nicht meine Schuld“, protestierte Steve, „Max hat die ganze Karte vollgekritzelt!“

Tante Jas lächelte zwar immer noch, aber man sah deutlich, dass es ihr schwerfiel. „Er hat einen Dinosaurier gemalt, und du hast versucht, drum herum zu fahren“, fauchte sie. „Hast du wirklich gedacht, dass es eine Region gibt, die ‚Vorsicht Drachen‘ heißt, wenn man die 4 verlässt?“


„Vielleicht nicht, wenn man die 4 verlässt“, merkte ich an, „aber an der Anschlussstelle 12 auf der 6 hatten die immer mit Drachen zu kämpfen, also früher, ihr wisst schon. Natürlich hieß sie damals nicht 6, denn Zahlen waren da ja noch nicht erfunden. Sie nannten die Straße ‚Der Alte Drachenweg‘. Wegen der vielen Drachen“, fügte ich erklärend hinzu.

Alle starrten mich schweigend an. Besonders Sophie, die sowieso schwieg, aber doppelt so komisch glotzte.

Dann sagte Jas: „Wenn du mich einfach nur das Navi benutzen lassen würdest, wie jeder normale Mensch, dann wäre es egal, was Max auf diese Karte zeichnet, oder?“

„Und wo bleibt dann der Fahrspaß?“, fragte Steve und wollte die Situation durch ein hilfloses Lachen retten.

„So, für dich ist diese Reise also ein Spaß?“ Jas explodierte gleich.


„Okay, okay“, sagte Dad, sprang vom Sofa auf und erschreckte uns damit alle. „Ich gehe schlafen.“

Mom blickte zu ihm auf. „Was? Aber es ist noch nicht mal halb acht?“

„Verflixt. Kein Wunder, dass ich so müde bin“, sagte Dad und wuselte durch das Gewirr der Beine um den Couchtisch. „Nacht zusammen!“

Er presste noch ein Gähnen hervor und ging aus dem Zimmer.

Und dann wagen es Leute, mich einen Lügner zu nennen? Zu so einer Aktion würde ich mich niemals herab­lassen.

Oder doch?

Ich streckte mich, fing überzeugend an zu gähnen und erhob mich. „Ich glaube, ich gehe heute auch mal früher schlafen. Mein Bett ruft.“

„Äh, meins auch, ja“, stammelte Mom. Sie schaute rüber zu Jodie, die wie abwesend auf ihr Smartphone starrte, und dann zu mir. „Du und Jodie, ihr müsst zusammen schlafen.“

Jodies Kopf schnellte hoch.

„Was? Warum?“


„Wegen des Platzes. Jas, Steve und die Kinder schlafen in Dylans Zimmer, und Dylan kann bei dir auf dem Boden schlafen.“

„Nein, kann ich nicht“, protestierte ich. „Ich habe einen kaputten Rücken.“

„Nein, hast du nicht.“

Jodie blitzte mich mit einem ihrer üblen Blicke an. Sie hat viele unterschiedliche, und alle können einem Angst einjagen. Das eben war ihr „Übertreib es jetzt bloß nicht“-Blick. Ich hatte trotzdem nicht vor, mich davon beeindrucken zu lassen.

„Habe ich sehr wohl“, antwortete ich. „Ich hab mich letzte Woche beim Fußball verletzt. Die Krankenschwester denkt, es ist ein Bandscheibenvorfall, also fürchte ich, uns bleibt nichts anderes übrig, als mir das Bett zu geben.“

Mom warf mir einen misstrauischen Blick zu. „Wieso hast du mir nichts davon erzählt?“

„Weil du schon genug im Kopf hast, Mom“, sagte ich und legte meine Hand auf ihre. „Das Letzte, was ich will, ist, dich in Sorge zu versetzen.“

„Du kriegst das Bett nicht“, knurrte Jodie.

„Da bin ich anderer Meinung“, sagte ich. „Erstens wegen meines schlechten Rückens und zweitens, weil ich schneller laufen kann.“

Mit den Worten verließ ich das Zimmer, rannte die Treppe rauf, zwei Stufen auf einmal, und haute mich in Jodies Bett.


Beakys (Lügen-)Tagebuch

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