Читать книгу Fürstenkrone Staffel 13 – Adelsroman - Beate Helm - Страница 6
ОглавлениеAls Katja die Tür aufschloß, wunderte sie sich ein wenig, weil Kurt ihr nicht wie sonst entgegenkam. Aber wahrscheinlich hatte er sich so sehr in seine Zeitungslektüre vertieft, daß er sie gar nicht hatte kommen hören.
Kurt König stand kurz vor dem Staatsexamen und war in den letzten Wochen sehr nervös gewesen.
Katja, die als Sekretärin in einer großen Industriefirma arbeitete, hatte das in den vergangenen Wochen mehr als einmal unliebsam zu spüren bekommen. Aber da sie ihn liebte, war sie auch geduldig mit ihm.
Sie öffnete die Tür zu seinem Appartement, das er bescheiden als Junggesellenbude bezeichnete, und erstarrte. Da beugte sich
Kurt, ihr Kurt, gerade über ein Mädchen, das sie nur allzu gut kannte, und küßte es. Es war Angelika Vossen, ihre Freundin und Kollegin.
Kurt und Angelika mußten wohl gespürt haben, daß sie nicht mehr allein waren. Sie fuhren auseinander und starrten Katja erschrocken an.
Angelika faßte sich als erste. Sie lachte, knöpfte sich aufreizend langsam ihre durchsichtige Bluse zu und sagte mit ihrer rauchigen Stimme:
»Jetzt weißt du es also.«
Katja hätte gern etwas Niederschmetterndes von sich gegeben, etwas, was die beiden vor ihr in Grund und Boden hätte verschwinden lassen. Sie bewegte die Lippen, aber sie brachte keinen Ton hervor. Kurt erhob sich. Katja wurde sich schmerzlich bewußt, wie unwahrscheinlich gut er aussah. Aber dann brachte sie es doch fertig, ihn kühl anzusehen, obwohl niemand ahnen konnte, wie unendlich schwer ihr das fiel.
»Es tut mir leid, Katja, ich wollte nicht, daß du es auf eine so unschöne Weise erfahren solltest. Ich – ich habe auch keine Erklärung dafür, obwohl ich verzweifelt danach suche.«
»Es ist vielleicht besser, wenn du das nicht tust, Kurt. Mit Erklärungen kann man das wohl auch nicht aus der Welt schaffen.«
Sie nestelte an ihrer Handtasche und zog den Schlüssel zu seinem Appartement hervor.
»Hier ist dein Schlüssel. Ich nehme an, du hast jetzt eine andere Verwendung dafür.«
Sie wandte sich um. Da kam Kurt mit ein paar schnellen Schritten auf sie zu, ergriff ihren Arm und sah sie bittend an.
»Was hast du vor, Katja?«
»Nach Hause gehen, was sonst. Ich möchte gern allein sein. Ich denke, das ist wohl verständlich, nicht wahr?«
»Ja, schon, aber... Ich möchte nicht, daß du jetzt in deiner Kopflosigkeit eine Dummheit machst.«
»Mach’ dir deshalb keine Sorgen. Ich glaube nicht, daß ich eine Dummheit machen würde. Deinetwegen nicht, ganz sicher nicht. Das wärest du gar nicht wert, lieber Kurt.«
Sie riß sich von ihm los und machte auf dem Absatz kehrt. Mit weichen Knien ging sie die Treppe wieder hinab und stand gleich darauf wieder im Nebel, der sich noch mehr verdichtet hatte in der kurzen Zeit, die sie bei Kurt gewesen war.
Unwillkürlich sah sie auf die Uhr. War wirklich nicht mehr als eine Viertelstunde verstrichen, seit sie in Kurts Appartement getreten und Angelika in seinen Armen gefunden hatte? Es wollte ihr scheinen, als wär seither schon eine endlos lange Zeit vergangen.
Sie zuckte zusammen, als sie ihren Namen rufen hörte. Kurt war also geschmacklos genug, sie zurückrufen zu wollen, solange Angelika noch in seinem Appartement war. Sie erinnerte sich schlagartig an Angelikas triumphierende Miene, und dann stieß sie sich von der Hauswand, an die sie sich angelehnt hatte, ab und rannte davon.
»Bleib doch endlich stehen, Katja! So kannst du nicht gehen. Wir müssen uns doch aussprechen!« hörte sie Kurts Stimme. Sie klang ein wenig gedämpft. Aber wahrscheinlich kam das durch den Nebel, der mittlerweile so dicht geworden war, daß sie kaum noch etwas erkennen konnte.
Katja drückte sich gegen eine Hauswand und wartete. Aber es blieb alles still. Kurt schien eingesehen zu haben, daß es zwecklos war, sie in diesem Nebel einzuholen.
Aber dann rannen, ohne daß sie sie aufhalten konnte, die Tränen über ihr Gesicht. Katja lief los. Sie wollte sich verkriechen. Sie wollte allein sein in ihrer hübschen kleinen Wohnung, eine Schlaftablette nehmen und sich ins Bett legen, damit sie nicht mehr denken mußte.
Katja ging wie eine Träumende über die Straße. Der Fahrer des langgestreckten Wagens bremste verzweifelt. Aber obwohl er kaum Geschwindigkeit gehabt hatte, gelang es ihm nicht mehr, Katja auszuweichen. Der Nebel war einfach viel zu dicht, als daß er sie noch frühzeitig genug hätte erkennen können.
Es gab einen dumpfen Laut, als Katja von dem einen Kotflügel erfaßt und zu Boden geschleudert wurde. Sie kam nicht mehr dazu, auch nur einen Schrei auszustoßen. Sie blieb reglos liegen. Alles tat ihr weh. Sie sehnte sich nach einer erbarmungsvollen Ohnmacht, aber sie war nur ein klein wenig benommen.
Unsicher blickte sie zu dem großen Schatten, der vor ihr aufgetaucht war und sich zu ihr niederbeugte. Sie sah ein männliches Gesicht vor sich und hörte wie aus weiter Ferne eine tiefe, warme Stimme fragen:
»Sind Sie verletzt? Oder ist alles in Ordnung?«
»Ich – ja, ich glaube schon. Danke!«
Sie wollte sich aufrichten und erheben, aber das konnte sie nicht. Sie war wie gelähmt. Wahrscheinlich kam das durch den Schock. Katja wußte es nicht.
Da spürte sie, wie zwei kräftige Hände sich unter ihre Achseln schoben und sie aufrichteten. Und wenig später trug der hochgewachsene Mann sie zu seinem Wagen, der sie beiseite geschleudert hatte.
Sie seufzte leise, als sie in das warme Innere des Wagens geschoben wurde und auf einem weichen Sitz landete. Sie wandte leicht
den Kopf mit dem herrlichen dunklen Haar zur Seite, als der Fremde auf der anderen Seite einstieg. Er legte einen Arm auf ihre Rückenlehne und beugte sich ein wenig vor. Im Wagen herrschte ein angenehmes Dämmerlicht. Man kam sich wie abgeschirmt von draußen vor.
Katja wußte nicht, wie sehnsüchtig und schmerzlich das Lächeln war, das ihren sehr blassen Mund umspielte.
»Sind Sie wirklich in Ordnung?« fragte der Mann mit seiner weichen Stimme und sah sie besorgt an.
Katja nickte und griff sich an den Kopf, der plötzlich zu schmerzen begann. Gleichzeitig fühlte sie, daß ihr schwindlig wurde.
»Natürlich sind Sie nicht in Ordnung. Man sieht es Ihnen deutlich an. Ich werde Sie jetzt erst einmal zu einem Arzt bringen, und dann werden wir weitersehen.«
»Nein!« Katja faßte unwillkürlich nach seiner Hand, die auf dem Lenkrad gelegen hatte. »Nein, bitte nicht, ich möchte nicht zu einem Arzt. Alles, was ich brauche, ist erst einmal Ruhe. Dann gehen auch die Kopfschmerzen vorüber. Ich – bitte, ich möchte nach Hause.«
Sie blickte in ein braungebranntes Gesicht mit den hellen Augen, der geraden Nase und dem kantigen Kinn. Dem Fremden sah man an, daß er energisch und erfolgreich war. Er sah sehr gut aus.
»Also schön. Ich werde Sie jetzt nach Hause bringen. Aber Sie müssen es sich gefallen lassen, daß ich mich morgen nach Ihnen erkundige. Wollen Sie mir Ihre Adresse sagen?«
Katja nannte sie ihm und lehnte sich seufzend zurück. Es tat gut, hier zu sitzen und ihn neben sich zu wissen. Es ging etwas ungemein Zuverlässiges von ihm aus, etwas, das sie nicht zu beschreiben vermocht hätte. Aber es war etwas, was angenehm auf sie wirkte und auch sehr beruhigend.
Endlich stoppte er vor dem Appartementhaus, in dem Katja ihre kleine Wohnung hatte, und ging um den Wagen herum, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.
Er legte wie selbstverständlich einen Arm um ihre Schultern und führte sie zur Haustür. Dort nahm er ihr den Schlüssel aus der Hand und schloß auf.
Dann lag sein Arm wieder um ihre Schulter, bis sie im Lift standen. Katja drückte den Knopf. Leise setzte sich die Kabine in Bewegung.
Vor der Tür zu ihrem Appartement nahm er ihr abermals den Schlüssel aus der Hand und schloß auf. Dann stand er mit ihr in der winzigen Diele, in der sie die Garderobe hatte. Er half ihr beim Ablegen des Mantels und hängte ihn ordentlich auf einen Bügel. Dann ging er mit ihr ins große Wohnzimmer, das peinlich aufgeräumt und trotzdem nicht unpersönlich wirkte.
Katja ließ sich in einen Sessel gleiten und stützte den Kopf in die Hände.
Der Fremde stand vor ihr, schaute auf sie herab und meinte mit einem netten, kameradschaftlichen Lächeln:
»Ein ganz ordentlicher Schluck Alkohol würde Ihnen wahrscheinlich jetzt guttun. Wenn Sie mir sagen, ob Sie etwas da haben und wo Sie es aufbewahren, werde ich uns beiden gleich ein Glas einschenken.«
Sie wies mit einer schwachen Handbewegung auf den Schrank. Er öffnete ihn, fand eine Flasche Kognak und Gläser und kam gleich darauf zu ihrem Sessel zurück. Er sah sie forschend an und sagte: »Hier! Trinken Sie das! Ich glaube, davon wird Ihnen besser werden.«
»Danke. Es – es ist wirklich nett, daß Sie sich so sehr um mich kümmern. Aber es geht mir schon wieder einigermaßen. Ich möchte nicht, daß Sie glauben...«
»Sie werden sich jetzt zu Bett legen und versuchen, sofort einzuschlafen. Und morgen komme ich wieder, um nach Ihnen zu sehen. Sie müssen mir schon erlauben, daß ich mich ein bißchen verantwortlich für Sie fühle.«
»Vielen Dank«, murmelte sie. »Es war sehr nett, daß Sie mich heimgebracht haben.«
»Bis morgen also«, sagte er lächelnd, ehe er sich abwandte und die Treppe hinabging.
Katja fühlte sich deprimiert und allein gelassen. Aber sie hätte nicht einmal zu sagen vermocht, ob sie sich nach Kurt sehnte. Kurt, der sie so schmählich mit Angelika betrogen hatte.
Sie wäre erleichtert gewesen, wenn sie wenigstens ein bißchen hätte weinen können. Aber noch nicht einmal Tränen hatte sie.
Da seufzte sie, ließ die Gläser auf dem Tisch stehen und machte sich ihr Bett auf der breiten Couch zurecht.
Müde schloß sie die Augen und war auch schon nach wenigen Sekunden eingeschlafen, ohne noch lange über das nachzudenken zu können, was sie an diesem frühen Frühjahrsabend alles hatte erleben müssen.
*
Katja erwachte am nächsten Morgen zur gewohnten frühen Stunde. Wieder überfielen sie die Gedanken. Sie dachte an Kurt, sie sah Angelika mit der geöffneten Bluse aus durchsichtigem Stoff in seinen Armen liegen und hörte wieder ihre triumphierende Stimme, als sie sagte: »Jetzt weißt du es also.«
Nein, dachte Katja und sprang mit einem Satz empor. Sie hatte keine Kopfschmerzen mehr. Nein, ich will nicht mehr an das alles denken. Es ist vorbei. Ich will nicht mehr daran erinnert werden. Am besten bemühe ich mich so schnell wie möglich um eine neue Stellung und um eine Wohnung in einer anderen Stadt. Ich möchte keinem von ihnen beiden mehr begegnen. Das würde nur peinlich für uns alle drei werden. Das möchte ich uns allen ersparen.
Sie nahm ein Bad, fühlte sich danach ein wenig frischer und räumte ihre kleine Wohnung auf. Aber als sie dann nichts mehr zu tun fand, stellten sich auch die Gedanken wieder ein. Sie wollte nicht weinen, aber dann kamen die Tränen mit einer so elementaren Gewalt, daß sie die einfach nicht zurückhalten konnte.
Nur mühsam beruhigte Katja sich wieder. Dann saß sie eine Weile bewegungslos am Fenster und starrte hinaus in die helle Morgensonne. Es war klar. Der Nebel hatte sich restlos verzogen, und man konnte kaum noch glauben, daß er abends zuvor so dicht gewesen war, daß man kaum eine Hand vor Augen hatte sehen können.
Nun fiel ihr der kleine Unfall auch wieder ein. Sie hatte ihn absichtlich aus ihrem Gedächtnis verbannt. Sie sah das markante Gesicht des fremden Autofahrers vor sich auftauchen, hörte seine tiefe, sonore Stimme und sah seine hellen Augen besorgt auf sich ruhen.
Natürlich würde er nicht kommen. Das hatte er nur so dahingesagt. Er hatte sich ihr ja noch nicht einmal vorgestellt. Wahrscheinlich war er heilfroh, daß ihr nichts Ernstliches geschehen war und hatte sie schon längst wieder vergessen.
Katja spürte, wie leises Bedauern in ihr aufstieg. Gerade wollte sie sich energisch zur Ordnung rufen, als die Türglocke schrillte.
Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Ob das Kurt war? Sie wollte auf keinen Fall mehr etwas mit ihm zu tun haben. Sie wollte ihn am liebsten nicht mehr wiedersehen.
Mechanisch betätigte sie den Türdrücker und ließ die Tür zu ihrem Appartement angelehnt.
Wer es auch immer sein mochte, er sollte sie nicht verweint antreffen. Sie lief rasch in ihr kleines Bad, legte ein wenig Make-up auf und bürstete sich noch einmal das dunkle Haar durch.
Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, trat der Fremde in ihre Wohnung. Verblüfft starrte sie ihm entgegen und stammelte dann ungläubig:
»Sie? Ich habe nicht damit gerechnet, daß Sie wirklich noch einmal kommen würden.«
»Aber das habe ich Ihnen doch gestern versprochen, nicht wahr? Haben Sie das vergessen?«
Er kam lächelnd auf sie zu und überreichte ihr die Blumen, die er mitgebracht hatte. Mechanisch nahm sie die und erwiderte, noch immer unsicher:
»Nein, vergessen habe ich es nicht. Ich – ich habe aber nicht damit gerechnet, daß Sie es auch wahrmachen würden.«
»Jetzt wissen Sie es. Ich pflege wirklich immer das zu halten, was ich versprochen habe. Wenn ich es nämlich nicht kann oder will, verspreche ich es lieber erst gar nicht.«
»Ich danke Ihnen für die herrlichen Blumen.«
»Oh, das ist noch nicht alles. Ich habe auch etwas zu essen mitgebracht, weil ich nicht wußte, ob Sie sich wohl genug fühlen würden, um selber einkaufen zu gehen. Und weil ich Sie nicht allein lassen möchte, habe ich halt etwas mitgebracht.«
Katja blickte auf die vielen Tüten, die er vor sie hin setzte, und mußte, ob sie wollte oder nicht, lachen.
»Das ist ja beinahe wie Weihnachten«, sagte sie und nahm alles mit in die angrenzende Küche, während er sich auf der Couch niederließ.
Sie kochte Kaffee, machte ein richtiges üppiges Frühstück zurecht und fühlte sich plötzlich wieder so geborgen wie am Vortag, als er sie zu seinem Auto getragen hatte.
Nachdem sie gefrühstückt hatten und Katja den Tisch wieder abgeräumt hatte, setzte sie sich zu ihm auf die Couch. Sie schob ihm Zigaretten zu und sah, wie er sich eine nahm und anzündete. Dann blickte er sie forschend an.
»Ist Ihnen eigentlich gar nicht aufgefallen, Katja Bergstein, daß ich mich noch gar nicht vorgestellt habe? Sie wissen immer noch nicht, wer ich bin. Also, ich heiße Joachim Stolzenfels. Aber ich möchte Sie herzlich bitten, mich einfach Achim zu nennen. So sagen nämlich meine wenigen Freunde zu mir.«
»Es ist mir wirklich noch nicht aufgefallen, daß ich Ihren Namen nicht wußte.«
»Nun, ich habe keine Ahnung, ob das ein Kompliment für mich ist oder mir sagt, daß ich Ihnen schrecklich gleichgültig bin. Aber ich gebe mich auch mit einem Kompliment zufrieden. Nun aber wieder zu Ihnen, Katja...«
»Zu mir? Was soll denn schon an mir interessant sein?« meinte sie verwundert.
»Sie machen einen sehr unglücklichen Eindruck auf mich. Und manchmal ist es ganz gut, wenn man sich einem Freund mitteilen kann. Ich glaube, ich bin ein guter Zuhörer. Wollen Sie es nicht mal ausprobieren?«
Katja starrte ihn entgeistert an. Dann senkte sie den Kopf.
»Es ist wahr. Ich habe gestern etwas sehr Unangenehmes und Peinliches erlebt und...«
Da kamen ihr auch schon wieder die Tränen. Ehe sie wußte wie ihr geschah, lag sie an seiner Brust und schluchzte, als hätte sie nie mehr mit dem verzweifelten Weinen aufhören können.
Achim legte beide Arme um sie und drückte sie tröstend an sich. Als er spürte, daß das Schluchzen ein wenig nachließ, zog er sein Taschentuch hervor und tupfte dem jungen Mädchen behutsam und sehr geschickt die tränennassen Wangen ab.
Katja schämte sich entsetzlich, als sie sich von ihm löste und murmelte:
»Entschuldigen Sie! Ich bin sonst keine solche Heulsuse. Aber das Erlebnis gestern war doch zuviel für mich. Und ich – ich bin so allein, wissen Sie. Ich habe doch außer Kurt niemanden auf der Welt.«
»Ich kann Sie sehr gut verstehen. Das Alleinsein macht Ihnen wirklich zu schaffen. Aber wollen Sie nicht über die Dinge reden, die Sie anscheinend so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht haben? Oder haben Sie kein Vertrauen zu mir?«
»Ich – ich weiß nicht. Sie haben schon so viel für mich getan, daß ich Sie nicht noch mit meinen Problemen belästigen möchte.«
»Ach, Unsinn! Ich werde mich bemühen, Sie nicht zu unterbrechen, bis Sie fertig sind. Und dann versuchen wir, über alles einigermaßen vernünftig zu sprechen, ja? Einverstanden?«
Katja sah ihn skeptisch an. Was ging es diesen Mann namens Achim denn eigentlich an, mit welchen Problemen sie sich herumschlagen mußte? Nachher, wenn er sich verabschiedet hatte, würden sie sich vermutlich nie mehr wiedersehen und...
Aber dann erzählte sie ihm doch alles.
»Ich – es war so schockierend für mich. Ich stand da und konnte keinen Ton hervorbringen«, schloß sie voller Bitterkeit.
»Und jetzt leiden Sie wahrscheinlich, nicht wahr?« fragte er leise und sah sie mitleidig an.
Erstaunt erwiderte sie seinen Blick und schüttelte den Kopf.
»Nein, das ist ja eben das Erstaunliche. Ich leide gar nicht. Ich bin einfach nur total empört und schockiert. Aber leiden? Nein, im eigentlichen Sinne nicht.«
»Dann haben Sie diesen Kurt auch nicht geliebt!« entschied er nüchtern und fuhr fort: »Wenn man nämlich jemanden liebt, dann kann er tun und lassen, was er will. Man liebt ihn weiter, und es ist gleichgültig, was für ein Lump er ist. Man leidet einfach nur, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, ob sich das Leiden lohnt oder nicht. Das aber tun Sie nicht. Sie sind empört und enttäuscht, ja. Alle Dinge empfinden Sie als abscheulich und entwürdigend. Aber Sie lieben ihn nicht.«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht haben Sie recht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht. Ich wollte, ich könnte alles liegen- und stehenlassen und einfach auf und davon gehen. Dann würde ich sicherlich viel schneller wieder zur Ruhe kommen.«
»Warum tun Sie es denn nicht einfach?« erkundigte er sich und zündete sich noch eine Zigarette an.
»Na, Sie sind gut! Ich habe eine Stellung und...«
»Die kann man kündigen«, unterbrach er sie sanft und sah sie abwartend an.
»Natürlich. Man kann sie einfach kündigen. Auf dem heutigen Arbeitsmarkt gibt es Hunderte, die darauf warten, meinen Job zu ergattern. Aber ob ich auch wieder eine neue Stellung finden werde, das kann mir kein Mensch garantieren. Und so begütert bin ich auch wieder nicht, daß ich mich einfach auf die faule Haut legen könnte. Ich bin leider gezwungen, für meinen Lebensunterhalt zu arbeiten.«
»Sie haben bereits eine neue Stellung, wenn Sie wollen«, erklärte er und sah sie unverwandt an.
Katja fühlte, daß sie unter seinem Blick wieder ganz nervös wurde und lachte mit zitternder Stimme.
»Ach nein! Schütteln Sie neue Stellungen für Sekretärinnen nur so aus dem Handgelenk?« wollte sie wissen.
»Natürlich nicht. Aber ich können Ihnen eine Stellung verschaffen.«
»Als was?« Katja ließ keinen Zweifel darüber, daß sie mißtrauisch wurde.
»Nun, nicht gleich als Sekretärin natürlich. Aber vielleicht als Freundin meiner Tochter, als Sekretärin für mich, wenn ich eine benötige und...«
»Ich möchte gern wissen, was Ihre Frau dazu sagen würde, wenn Sie ihr erklärten, Sie hätten ein Mädchen getroffen, das Ihnen leid getan hat. Und deshalb hätten Sie es einfach mitgebracht, nur so.«
»Ich habe keine Frau.«
»Verzeihen Sie.« Katja fühlte sich auf eine merkwürdige Weise schuldbewußt und gleichzeitig auch erleichtert. »Ich wollte weder neugierig noch taktlos sein. Ich...«
»Meine Frau hat mich kurz nach Danielas Geburt verlassen und ist später, ohne daß wir uns wiedergesehen hätten, mit dem Flugzeug abgestürzt. Daniela, meine Tochter, ist jetzt sechs Jahre alt und ein normales kleines Mädchen, das sich aber auf Stolzenfels schrecklich langweilt.«
»Stolzenfels ist wohl ein Gut, nicht wahr?« Katja tastete sich langsam weiter vor. Sie konnte sich ja mal erkundigen, ohne sich dabei etwas zu vergeben.
»Ja, eigentlich ist es ein Landsitz. Ach was, warum sollen wir um den heißen Brei herumreden. Stolzenfels ist die Residenz der Fürsten Stolzenfels gewesen, ihr Stammhaus sozusagen, als sie noch Lehnsherren waren. Heute ist es ein großes Schloß mit einem riesigen Gutshof, der viel Arbeit macht.«
»Oh, dann sind Sie der Fürst von Stolzenfels, Achim?«
Katja streckte unwillkürlich den schmalen Zeigefinger aus und wies auf ihn. Er lachte leise auf und sah sie amüsiert an.
»Ich fürchte, ich kann es nicht ableugnen. Sind Sie jetzt sehr enttäuscht von mir?«
»Nein, warum sollte ich? Sie können doch nichts dazu, daß Sie der Fürst von Stolzenfels sind.«
»Ich bin sehr beruhigt, daß Sie so vernünftig darüber denken. Aber nun sollten wir uns wohl lieber über meinen Vorschlag, den ich Ihnen machte, unterhalten. Was meinen Sie?«
»Oh! Meinten Sie es denn wirklich ernst?« erkundigte sie sich schnell.
»Natürlich. Wenn Sie mich besser kennen würden, brauchten Sie so etwas nicht noch zu fragen. Also, wie ist es? Bedenken Sie, daß Sie in einer neuen und fremden Umgebung viel besser vergessen können, was Sie hier erlebt haben. Und außerdem ist Stolzenfels ein sehr schöner Besitz, der Ihnen gewiß gut gefallen würde.«
»Ich gebe ganz offen zu, daß Ihr Angebot etwas ungemein Verlockendes für mich bekommt.«
»Nun, dann ist es einfach, es auch anzunehmen. Am besten besprechen wir gleich alles Notwendige miteinander, und Sie überlassen mir dann alles andere. Ich werde Sie einfach mit nach Stolzenfels nehmen und...«
»Aber so schnell geht das doch nicht. Ich muß drei Monate, bevor ich die Wohnung aufgebe, kündigen. Sonst ist die Miete doch umsonst bezahlt.«
»Ach, das lassen Sie nur meine Sorge sein. Sie brauchen nur ja oder nein zu sagen. Dann ist alles Weitere meine Angelegenheit.«
»Ich möchte sehr gern mit Ihnen nach Schloß Stolzenfels kommen. Ich weiß auch nicht, wieso ich das gern möchte. Ich habe das Gefühl, daß es der einzig akzeptable Vorschlag wäre, den man mir machen kann.«
»Braves Mädchen! Dann können wir am Montag gleich losfahren. Sie brauchen nur Ihre Koffer zu packen. Alles andere überlassen Sie mir. Ich werde das für Sie erledigen.«
*
Sie saßen nebeneinander in dem schönen, langgestreckten Wagen, der Katja beinahe zum Verhängnis geworden wäre, und unterhielten sich miteinander.
»Sie werden meiner Mutter sofort gefallen«, sagte Achim gerade lächelnd und warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. »Sie ist sehr besorgt um mich und natürlich auch um unseren alten Namen. Immerhin bin ich der letzte Fürst von Stolzenfels und habe auch nur eine Tochter. In gewissen Zeitabständen bestürmt Mama mich geradezu, wieder zu heiraten, damit sie noch einen Enkel erleben kann.«
»Ist das nicht gut zu verstehen? Warum tun Sie ihr den Gefallen nicht?« fragte Katja und strahlte ihn aus ihren blauen Augen übermütig an.
»Oh, ich bin das berühmte gebrannte Kind, das das Feuer scheut. Ich deutete Ihnen doch bereits an, daß meine Ehe nicht gerade sehr glücklich gewesen ist, nicht wahr?«
»Deshalb muß doch die zweite Ehe nicht auch unglücklich werden.«
»Ehrlich gesagt, ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Um meine Mutter zu beruhigen, habe ich ihr aber irgendwann einmal versprochen, mir einfach eine Frau mitzubringen, wenn ich mal von Stolzenfels weggewesen bin. Damit habe ich sie beruhigen können.«
Katja blieb völlig unbefangen und bemerkte nicht, daß er sie plötzlich mit ganz anderen Augen betrachtete.
Sie lächelte und sagte schnell:
»Erzählen Sie mir von Ihrer kleinen Tochter, ja? Ich möchte gern mehr über sie wissen.«
»Daniela? Oh, sie ist ein durchaus normales Kind. Ein bißchen einsam unter lauter Erwachsenen wahrscheinlich. Aber das war ich auch. Ich bin ebenfalls ein Einzelkind gewesen und habe darunter manchmal sehr gelitten. Aber Daniela scheint noch nicht darunter zu leiden, daß sie ein Einzelkind ist, denn sie ist sehr vernünftig und kann sich wunderbar mit sich allein beschäftigen. Sie ist sehr glücklich, daß ich sie dann und wann mal auf einen Ausritt mitnehme. Und sie freut sich schon auf die Schule, denn ich habe ihr fest versprochen, daß sie die ersten Jahre zur Dorfschule gehen kann, damit sie mit anderen Kindern zusammen ist. Dann wird sie wohl schon die eine oder andere Freundschaft schließen und die Kinder mit nach Stolzenfels bringen.«
»Ich bin sehr neugierig auf Daniela. Ob ich mich wohl gut mit ihr verstehen werde?«
»Ganz bestimmt. Mit Ihnen muß man sich doch gut verstehen, Katja. Ich habe Sie ja auch von Anfang an sehr sympathisch gefunden, nicht wahr?«
»Danke, Achim. Es ist sehr nett, daß Sie mir das sagen. Das macht mir ein wenig Mut, denn ich fühle mich unsicher, wenn ich an das Neue denke, das mir bevorsteht.«
»Dazu gibt es keinen Grund.«
Er bog von der breiten Straße auf eine schmalere Nebenstraße ein und hielt wenig später an. In der Abendsonne schimmerte ein See, an dem Schloß Stolzenfels lag. Das Schloß stand auf einem Hügel, der sich über den See erhob und sah aus, als wäre es von einem künstlerischen Zuckerbäcker geschaffen und in die grünen Wälder gestellt worden.
»Oh, wie schön!« sagte Katja und konnte sich kaum satt sehen an dem herrlichen Bild, das sich ihr bot.
Wenig später fuhren sie durch das weit geöffnete schmiedeeiserne Portal und den breiten Weg entlang, der vor die breite Freitreppe führte, auf dessen oberster Stufe eine Frau erschien. Sie wirkte schmal und streng in ihrem schwarzen Kleid und dem straff nach hinten gekämmten Haar, das sie im Nacken zu einem Knoten gebunden hatte.
»Das ist Josefa, unsere Haushälterin«, sagte Achim zu Katja und stieg aus.
Dann beugte er sich noch einmal zu ihr in den Wagen und sagte leise: »Sie brauchen sich nicht vor Josefa zu fürchten, Katja. Sie sieht sehr streng aus, aber sie hat ein Herz aus Gold. Das werden Sie auch noch feststellen, warten Sie es nur ab. Also, Kopf hoch.«
Katja war da eigentlich nicht so ganz sicher, aber sie hatte auch keine Gelegenheit mehr, etwas zu entgegen, denn Fürst Achim war um den Wagen herumgegangen und öffnete die Tür auf ihrer Seite.
Langsam ging er mit ihr die breiten, ein wenig geschwungenen Stufen empor und blieb vor Josefa stehen, die ihnen entgegenblickte.
»Guten Tag, Josefa. Das ist Katja Bergstein, die nun bei uns bleiben wird.«
Josefas dunkle Augen musterten Katja mißtrauisch, bevor sie lächelte und ihr die Hand entgegenstreckte. Nun sah Josefa nicht mehr halb so streng aus wie vorher. Nun wirkte sie wie eine mütterliche und warmherzige Frau, die sich freut, einen lieben Gast begrüßen zu können.
»Willkommen auf Stolzenfels, Fräulein Bergstein«, sagte sie freundlich und nickte Katja noch einmal zu, ehe sie ihre Hand freigab.
Dann wollte Achim wissen, wie es seiner Mutter ging.
»Der Föhn macht ihr arg zu schaffen. Dr. Berger meint, es sei besser, wenn sie im Bett bliebe. Die Fürstin hat zwar rebelliert, aber ich habe auch das Gefühl, als wenn sie ganz zufrieden in ihrem Bett ist.«
»Ich werde gleich zu ihr gehen. Am besten nehme ich Katja mit. Dann lernt meine Mutter sie auch sofort kennen.«
Er ließ Katja gar keine Zeit mehr, etwas zu erwidern oder abzuwehren, sondern zog sie ganz mit sich. Sie durchquerten eine Halle von riesigen Ausmaßen, die sich Katja aber kaum richtig ansehen konnte, weil Fürst Achim sie einfach mit sich nach oben zog. Als sie dort angekommen waren, löste sie energisch ihre Hand aus der seinen und sagte schnell:
»Meinen Sie wirklich, es sei richtig, wenn Sie mich gleich mit zu Ihrer Mutter nehmen, Achim? Sicherlich möchte sie Sie doch erst einmal für sich allein haben und...«
»Ach wo. Kommen Sie nur ruhig mit. Mutter wird sich freuen, Sie zu sehen. Und ich wette, sie wird darauf bestehen, daß Sie ihr auch ein wenig Zeit widmen.«
»Das will ich selbstverständlich gern tun, aber...«
»Na, dann ist doch alles in bester Ordnung. Und nun kommen Sie endlich, Mutter beißt nicht. Ich habe Ihnen doch erzählt, daß sie der gütigste Mensch ist, den ich kenne.«
Damit steuerte er auf eine der zahlreichen Türen, die auf den langen Gang mündeten, zu und öffnete sie. Dann schob er Katja vor sich her und betrat hinter ihr das Zimmer.
»Hallo, Mutter! Da bin ich wieder!« sagte er fröhlich und trat an das große Bett, das mitten im Zimmer stand und von einem herrlichen, gerafften grünsamtenen Baldachin förmlich beschirmt wurde. »Und ich habe dir auch noch jemanden mitgebracht, der ein bißchen Angst vor dir hatte, weil er nicht weiß, ob du ihn mögen wirst.«
Die Fürstin sah erstaunt auf Katja, von Katja wieder zurück in das lächelnde Gesicht ihres Sohnes und streckte dann die Hand aus.
»Du hast es also wahrgemacht, Achim? Du hast dir eine Frau mitgebracht? Und dabei habe ich immer geglaubt, du hättest damals nur gescherzt. Kommen Sie, mein Kind, damit ich Sie näher betrachten kann.«
Katja fühlte sich wie betäubt. O nein, dachte sie, nein, nicht schon wieder solche Komplikationen! Sie sah hilfesuchend auf Fürst Achim, der neben ihr stand. Er zuckte fast unmerklich die Schultern und machte ein hilfloses Gesicht.
Da entschloß sie sich, zu schweigen. Sie neigte sich ein wenig zur Fürstin hinab und stellte fest, daß sie die gleiche Augenfarbe wie ihr Sohn hatte und ihre Gesichtszüge weich und erstaunlich jung waren, obwohl sie doch schon weit über sechzig Jahre alt sein mußte.
»Katja heißen Sie?« fragte die Fürstin. Sie hatte eine dunkle, warme und angenehme Stimme, die Katja sofort für sie einnahm. »Das ist ein sehr hübscher Name. Und ich finde, er paßt auch ganz ausgezeichnet zu Ihnen.«
»Danke, Sie sind sehr freundlich, Durchlaucht.«
»Wir werden uns hoffentlich in der nächsten Zeit gut und näher kennenlernen. Bleiben Sie länger bei uns?«
Joachim warf ein:
»Solange sie nur will. Katja hat nämlich keine Verwandten mehr und steht ganz allein auf der Welt. Sie hat auf meinen Wunsch hin ihre Stellung als Sekretärin gekündigt und ist mit mir gekommen.«
»Sie hätten schon viel früher zu uns kommen müssen, Katja.«
Die Fürstin Stolzenfels lächelte freundlich. Man sah ihr an, daß sie sich nicht besonders gut fühlte. »Ich werde mich beeilen müssen, so schnell wie möglich mein Bett verlassen zu können. Ich möchte Sie und Achim nicht dazu zwingen, all Ihre freie Zeit an meinem Bett zu verbringen.«
»Ich – ich habe Katja eigentlich für Daniela mit hergebracht, Mutter.«
Man sah Achim nicht an, was er fühlte. Katja war wütend. Er würde seiner Mutter diese Komödie doch nicht noch länger vorspielen wollen? Warum stellte er diesen Irrtum nicht endlich richtig?
»Das ist sehr vernünftig. Aber jetzt Sind Sie sicherlich erst einmal schrecklich müde von der langen Fahrt, mein Kind, nicht wahr? Achim soll Ihnen Ihre Unterkunft zeigen. Und dann hoffe ich, daß wir uns heute abend noch sehen, ehe Sie sich schlafen legen, ja? Ich bin eine schrecklich neugierige Frau, fürchte ich.«
»Ich komme sehr gern zu Ihnen, Durchlaucht.«
Katja fühlte sich immer weniger wohl in ihrer Haut und war heilfroh, als sie endlich mit Achim das Zimmer der Fürstin wieder verlassen konnte.
Draußen auf dem Flur blieb sie stehen und funkelte Achim wütend an.
»Das haben Sie fein gemacht! Sie wissen wohl nicht, in welch eine prekäre Lage Sie mich gebracht haben, wie? Warum haben Sie den Irrtum Ihrer Mutter nicht gleich aufgeklärt? Warum haben Sie nicht die Angelegenheit richtiggestellt? In welchem Licht stehe ich jetzt da? Ich kann unter diesen Umständen kaum auf Schloß Stolzenfels bleiben, Achim. Das dürfte Ihnen wohl auch klar sein.«
»Kommen Sie erst einmal, Katja.« Er zog sie mit sich fort zu einer anderen Tür. Er stieß sie auf, und Katja betrat einen kleinen Salon, der sie sofort hellauf begeisterte.
Achim drückte Katja in einen der verspielt wirkenden Sessel und blieb vor ihr stehen, um nachdenklich auf sie niederzuschauen.
»Wenn ich es eben übers Herz gebracht hätte, dann wäre ich wahrscheinlich der letzte gewesen, der meiner Mutter eine solche Komödie vorgespielt hätte. Aber nun geht es nicht mehr anders, Katja. Ich kann nicht zu ihr gehen und ihr sagen, das Ganze sei ein Irrtum und Sie und ich – na, Sie wissen schon.«
»Aber, Achim! Sie bilden sich wohl hoffentlich nicht ein, daß ich dieses Theater mitmachen werde? Sie glauben doch nicht, daß ich mich als Ihre Braut behandeln lassen kann, wo ich doch in Wirklichkeit nur eine neue Stellung hier antreten will?«
Katjas Augen begannen seltsam zu funkeln. Man sah ihr deutlich an, daß sie sehr ungehalten war.
»Katja! Was ist denn schon eigentlich so Furchtbares geschehen? Meine Mutter hat sich gefreut, und für diese Freude einer Mutter bin ich Ihnen sehr dankbar. Ich kann einfach nicht zu ihr gehen und ihr sagen, das Ganze sei ein verhängnisvoller Irrtum gewesen. Das würde sie sich niemals verzeihen. Aber das wäre doch nicht das Schlimmste, Mutter würde sich erregen, und das wäre bei ihrem augenblicklichen Zustand Gift für sie. Das werden Sie doch einsehen.«
»Sie sah tatsächlich elend aus«, mußte Katja widerwillig zugeben. »Ist sie wirklich so krank, wie Sie sagten, Achim? Oder übertreiben Sie jetzt ein wenig?«
»Nein!« Er winkte ab. »Nein, ich übertreibe nicht. Wahrscheinlich ist Mutter noch viel elender, als sie es selbst zugeben möchte. Ich kenne sie doch.«
»Dann müssen wir dabei bleiben, wenigsten vorerst«, entschied Katja und zog unwillkürlich die Schultern zusammen, als friere sie. Und wirklich – es war auch so etwas wie ein Frieren, das von innen, aus ihrem Herzen herauszukommen schien, das sie ängstlich machte.
Was wird noch alles auf mich zukommen? fragte sie sich und wagte sich nicht vorzustellen, was für Situationen es noch sein würden, in die sie geraten könnte.
»Es ist besser, wenn Sie mir jetzt das Zimmer zeigen, in dem ich für die Dauer meines Aufenthaltes untergebracht werden soll. Ich möchte mich ein wenig frisch machen und...«
»Dies ist Ihr Zimmer, Katja. Das ist das Wohnzimmer, und nebenan geht es zum Schlafzimmer und dem dazugehörigen Bad. Ich hoffe, es gefällt Ihnen ein bißchen. Hierher können Sie sich immer zurückziehen, wenn Sie einmal allein sein wollen. Wenn irgend etwas nicht so ist, wie Sie es gern haben möchten, dann sagen Sie es mir jetzt, damit ich es ändern lassen kann.«
»Oh, Achim, wirklich? Soll ich hier leben dürfen, in diesem herrlichen Appartement? Ich kann es noch gar nicht fassen.«
»Schloß Stolzenfels ist sehr alt. Früher baute man noch viel großzügiger. Die einzelnen Besitzer haben dann immer wieder etwas modernisiert, so daß Stolzenfels gemütlicher und praktischer wurde. Deshalb finde ich es nur recht und billig, wenn Sie sich hier auch wohl fühlen können.
Ich warte mit dem Abendessen auf Sie, Katja. Wir treffen uns in einer halben Stunde. Ich werde Sie abholen, denn Sie könnten sich am Ende verlaufen. Beim Abendessen werden Sie auch Daniela kennenlernen. Ich werde ihr ausnahmsweise gestatten, mit uns zu speisen.«
»Ja, ja, natürlich.« Katja fühlte sich immer noch schrecklich verwirrt, einfach überrumpelt. Die Ereignisse rissen sie mit sich, ohne daß sie imstande gewesen wäre, sich zu wehren. »Was soll ich denn zum Abendessen anziehen?«
»Oh, wenn wir allein sind, machen wir keine großen Umstände. Aber wenn Mutter wieder aufstehen kann, dann legt sie den allergrößten Wert darauf, daß man sich zum Abendessen festlich kleidet. Ziehen Sie irgendein hübsches Kleid an, Katja.«
Er ging zur Tür. Dort drehte er sich kurz um und kam zu ihr zurück.
»Da ist noch etwas...«
»Ja?« Mißtrauisch sah Katja ihn an.
»Sie werden in den sauren Apfel beißen und mich duzen müssen, Katja. Meinen Sie, daß Ihnen das gelingen wird?«
»Jedenfalls werde ich mich bemühen«, erklärte sie steif. Sie wollte allein sein, sich nicht mehr mit ihm unterhalten müssen. Er sollte sie endlich in Ruhe lassen, damit sie nachdenken konnte.
Sie ging in das angrenzende Schlafzimmer, blickte nachdenklich auf das große Bett, das einen Baldachin trug, aber aus roséfarbenem Samt, der es gemütlich machte. Sie sah auf den Teppichboden, der ebenfalls rosa war und auf die verspielten Schleiflackmöbel, die mit Gold abgesetzt waren.
Wohin bin ich nur geraten? fragte sie sich. Ob es nicht am Ende doch besser gewesen wäre, wenn ich daheimgeblieben wäre?
*
Daniela war ein reizendes, guterzogenes Mädchen mit langen blonden Locken und herrlichen blauen Augen. Nur die schien sie vom Vater zu haben, denn sonst konnte Katja keinerlei Ähnlichkeit mit Achim bei ihr feststellen. Wahrscheinlich war seine erste Frau blond gewesen.
Unsicher ging Katja auf das kleine Mädchen zu und beugte sich zu ihm hinab.
»Du brauchst mich nicht so ängstlich anzusehen«, sagte sie und lächelte sanft. »Ich fühle mich dir gegenüber mindestens ebenso unsicher wie du dich mir gegenüber. Ich möchte so gern, daß wir beide uns gut vertragen. Meinst du, daß das möglich sein wird?«
»Großmama sagt, daß du Papa heiraten willst«, war Danielas zurückhaltende Antwort.
Katja holte tief Luft und sagte mit einem lieben Lächeln:
»Ich habe dich gar nicht bei deiner Großmama gesehen, als ich ihr guten Tag sagte.«
»Ich war ja auch eben erst bei ihr. Willst du Papa heiraten oder nicht?«
»Findest du nicht auch, Äffchen, daß du ein bißchen zu neugierig bist? Du bringst Katja ja regelrecht in Verlegenheit. Sie muß sich doch erst an Stolzenfels, an dich und an uns alle gewöhnen. Dann kannst du ihr eine solche Frage stellen. Vorher aber nicht.«
»Ich glaube, du bist in Ordnung, Katja. Ich kann dich gut leiden. Hoffentlich bleibst du auch tatsächlich für immer hier. Ich wünsche es mir jedenfalls.«
Katja warf einen hilflosen Blick zu Achim, der sie gespannt betrachtete. Dann erklärte sie entschlossen:
»Ich wünsche es mir auch, Daniela. Stolzenfels ist so zauberhaft schön, daß ich gern für immer hierbleiben möchte. Zeigst du mir morgen das Schloß und die Umgebung? Es muß überall sehr schön sein, oder?«
»Und im Sommer können wir im See baden. Papa hat auch ein tolles Motorboot, mit dem wir oft hinausfahren. Es wird dir gewiß gefallen.«
»Davon bin ich überzeugt.«
Katja vermied es, Fürst Achim anzusehen. Sie war noch immer wütend auf ihn, obwohl sie sich gerechterweise sagen mußte, daß er eigentlich nicht die Schuld trug an der Situation, in die sie der Irrtum der kranken Fürstin gebracht hatte.
*
Daniela zeigte ihr, wie wunderbar sie es fand, daß Katja am nächsten Morgen zu ihr ins Zimmer kam und ihr beim Ankleiden half. Sie schob ihre kleine Hand geschwind in Katjas, als sie miteinander zum Frühstück gingen. Katja hätte gern gewußt, ob auch Fürst Joachim mit ihnen gemeinsam frühstücken würde und wo – aber sie fragte nicht. Sie wollte nicht allzu neugierig erscheinen.
Und dann stand plötzlich Josefa vor ihnen und sah sie aus klugen dunklen Augen an. Josefa weiß, daß wir der alten kranken Fürstin eine Komödie vorspielen, dachte das junge Mädchen, aber sie neigte anmutig den schönen Kopf und nickte der Haushälterin zu.
»Ich glaube, der Fürst wird Sie auf Ihrem ersten Rundgang begleiten, Fräulein Katja. Er wartet schon auf Sie und Daniela.«
Katja wurde rot, ärgerte sich darüber und nickte nur. Sie fand, daß sie sich linkisch und hölzern benahm. Aber vor Josefa hatte sie einen höllischen Respekt. Sie fühlte sich in ihrer Gegenwart immer verunsichert und wünschte sich von ganzem Herzen, daß dieses störende Gefühl bald ganz verschwinden möge.
Joachim erhob sich höflich, als Katja mit Daniela das Frühstückszimmer betrat.
Er nickte ihnen zu und sagte launig:
»Wenn ihr erlaubt, möchte ich mich euch gern anschließen, wenn ihr nach dem Frühstück dann gemeinsam auf Entdeckungsreise geht.«
Daniela war von seinem Vorschlag begeistert. Katja sagte nichts dazu. Sie hätte gern mit Daniela alles angesehen. Seine Nähe machte sie nervös. Er hatte eine ungeheure Ausstrahlung, die gefährlich für sie war. Aber sie wollte sich nicht in ihn verlieben. Sie wollte frei sein und es auch bleiben, weil sie das Vertrauen zu allen Männern gründlich verloren hatte.
»Katja! Warum gibst du denn keine Antwort?« rief Daniela ungeduldig aus, als Katja nur nachdenklich vor sich hin starrte und nicht auf das hörte, was Daniela ihr gesagt hatte.
Sie riß sich gewaltsam zusammen und lächelte dem blonden Mädchen zu.
»Entschuldige, Kleines, ich bin unaufmerksam gewesen«, sagte sie und vermied es, Joachim anzusehen. Sie wollte nicht in seine spöttischen Augen blicken, weil er sonst vermuten konnte, daß sie sich in Gedanken mit ihm beschäftigt hatte.
»Mutter wird auch auf dich warten. Ich schlage vor, du widmest ihr vor dem Mittagessen eine Stunde, Katja.«
Sie nickte. Es war ihr schrecklich peinlich, mit der Fürstin allein sein zu müssen. Bestimmt würde sie wieder auf ihre Hochzeit mit Joachim zu sprechen kommen. Und darüber mochte Katja sich auf gar keinen Fall unterhalten. Diese Hochzeit würde doch sowieso niemals stattfinden.
Warum schmerzte dieser Gedanke denn nur so? Fürst Joachim hatte ihr doch erklärt, daß sie nicht von Stolzenfels fort müsse, wenn sie es nicht selber wollte. Und daß sie es nicht wollte, das stand fest.
Katja lächelte unwillkürlich bei diesem Gedanken, und als sie aufblickte, schaute sie mitten in seine hellen Augen. Sie wollte den Blick abwenden, aber das konnte sie nicht. Es war, als hätte er eine geheime Macht über sie und wäre sich ihrer auch voll und ganz bewußt.
Aber dann wurde es noch ein sehr unterhaltsamer Vormittag. Sie durchstreiften das Schloß, und zu jedem Zimmer gab es eine überlieferte Geschichte. Sogar Daniela konnte die eine oder andere erzählen und war ordentlich stolz, wenn sie merkte, daß Katja gefesselt war und ihr gespannt zuhörte.
»Soll ich mit dir zu Großmama gehen, Katja?« fragte Daniela schließlich, als sie auf dem langen Flur standen, auf den so viele Türen führten, daß man sie lieber erst gar nicht zählen mochte.
»Vielleicht ist es besser, wenn Katja erst einmal zu Großmama geht, Daniela. Großmama ist ziemlich krank und schwach, wie du ja weißt. Und wir wollen sie nicht überanstrengen, das siehst du doch ein, nicht wahr?«
Daniela nickte und schmiegte sich an Katja. Sie zeigte deutlich, wie sehr sie schon an ihr hing.
»Dann warte ich in meinem Zimmer auf dich. Ich habe sowieso noch alles mögliche einzuräumen. Josefa sagt, das muß ein kleines Mädchen selbst machen, damit es später einmal prüfen kann, ob die Diener es auch richtig machen.«
Katja mußte lachen, als sie in das ernsthafte Kindergesicht schaute. Sie beugte sich zu Daniela hinab und küßte sie auf die Wange.
»Ich finde, Josefa ist sehr klug, wenn sie dir solche Dinge sagt.«
Damit richtete sie sich auf, strich sich eine Locke aus der Stirn und klopfte bei der Fürstin an.
Freundlich blickte Fürstin Margareta ihr entgegen und rief dann lebhaft aus: »Kommen Sie, mein Kind! Setzen Sie sich ganz nah zu mir. Ich habe gern junge Leute in meiner Nähe.«
Sie wies mit der schmalen Hand auf einen Sessel neben ihrem Bett.
Gehorsam ließ Katja sich darin nieder. Dann schaute sie die alte Dame fragend an, weil sie nicht wußte, über was sie sich mit ihr unterhalten sollte.
»Erzählen Sie mir, wie Sie Joachim kennengelernt haben.«
»Oh, hat er Ihnen das noch nicht gesagt?« fragte Katja und wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte.
»Nein, natürlich nicht. Joachim hat Ihre Existenz ja ziemlich geheimgehalten, müssen Sie wissen. Deswegen war ich auch so überrascht, als Sie plötzlich mit ihm herkamen.«
»Nun, es war eigentlich überhaupt nicht romantisch, wie wir uns kennengelernt haben, Joachim und ich.«
Katja entschloß sich, die Wahrheit zu bekennen, jedenfalls, soweit ihr das möglich war. Sie war zornig auf Fürst Joachim, weil sie wieder einmal in eine Situation geraten war, aus der sie sich so schnell nicht herauswinden konnte.
»Es ist mit ein paar Worten erzählt, Durchlaucht. Joachim hätte mich im Nebel beinahe angefahren. Ich glaube, es war meine eigene Schuld, denn ich hatte nicht achtgegeben. Der Wagen erfaßte mich und schleuderte mich beiseite. Und plötzlich war dann Joachim da und brachte mich heim in meine kleine Wohnung.«
»Waren Sie damals eigentlich schon in ihn verliebt, Katja?« wollte die Fürstin wissen.
Katja wurde rot.
»Ich weiß nicht recht. Doch, wahrscheinlich. Ich habe an ihn gedacht, aber eben nicht damit gerechnet, daß er wiederkommen würde. Ich kannte ja nicht einmal seinen Namen. Aber das war uns beiden noch nicht einmal aufgefallen.«
»Und am nächsten Tag ist er dann wirklich gekommen? Ich kenne doch meinen Joachim.« Fürstin Margareta sah ordentlich stolz drein.
»Ja, er brachte mir Blumen und auch etwas zu essen. Und da erst stellte er sich mir vor. Ich erfuhr, daß er der Fürst Stolzenfels ist. Und da war ich eigentlich ziemlich schockiert. Ein Fürst und ich, das war etwas, was ich mir absolut nicht vorstellen konnte.«
»Und trotzdem sind Sie jetzt mit ihm verlobt. Oh, Katja! Ich finde es wundervoll, daß Joachim sich entschlossen hat, doch noch einmal zu heiraten. Sie müssen wissen, daß seine erste Ehe nicht besonders glücklich gewesen ist.«
»Er – er hat es angedeutet«, bemerkte Katja schnell.
Katja war das Gespräch peinlich. Sie überlegte gerade, wie sie dem eine andere Wendung geben konnte, als Fürst Joachim nach leisem Klopfen eintrat. Sie blickte ihm erleichtert entgegen und rief aus:
»Fein, daß du kommst, Joachim! Ich habe gerade deiner Mutter berichtet, wie wir uns kennengelernt haben.«
»O ja. Ich habe mein Lebtag keinen solchen Nebel erlebt wie an dem Tag.«
Er lächelte ironisch zu ihr hinüber und fuhr fort:
»Geh nur schon, Katja. Ich unterhalte mich noch ein wenig mit Mutter. Und vielleicht können wir sie morgen schon für eine Stunde zu uns herunterholen, damit sie endlich wieder im Familienkreis sitzen kann.«
Katja verabschiedete sich und ging eilig hinaus. Es hatte fast den Anschein, als befände sie sich auf der Flucht.
Nachdenklich schaute Joachim ihr nach, bevor er sich mit freundlichem Lächeln seiner Mutter zuwandte.
*
»Joachim!« Katja sah ihn entsetzt an und versteckte unwillkürlich die Hand auf dem Rücken. Ihre Augen funkelten empört, als sie fortfuhr:
»Ist es denn immer noch nicht genug, Joachim? Wie weit willst du es denn noch treiben? Hast du keine Ahnung, daß du eines Tages für den schändlichen Betrug an deiner armen Mutter bitter bestraft werden könntest?«
»Es muß aber sein. Und nun komm, gib mir deine Hand! Ich habe es wirklich vergessen, Katja. Mutter hat mich doch erst darauf aufmerksam gemacht, daß du immer noch keinen Ring am Finger trägst, dem man ansieht, daß ihn dir ein liebender Mann geschenkt hat.«
»Treib es nicht auf die Spitze!« herrschte sie ihn an. »Ich bin auch nur ein Mensch. Wie würdest du reagieren, wenn ich eines Tages zu dir käme, um dir zu sagen, ich würde nun nicht mehr mitmachen, weil mir die Angelegenheit allmählich über den Kopf zu wachsen beginnt und ich keinerlei Kontrolle mehr habe?«
Er sah sie forschend an.
»Du bist nicht der Mensch, Katja, der fahnenflüchtig werden könnte. Du nicht. Ich weiß, daß du weder Mutter noch Daniela oder mich im Stich lassen würdest.«
»Was hat Daniela damit zu tun?« fragte Katja hastig.
Das Herz wollte sich ihr im Leibe umdrehen, wenn sie daran dachte, mit welcher Liebe das Kind an ihr hing und welches Vertrauen es ihr entgegenbrachte. Sie kam sich wieder einmal abgrundtief schlecht vor, weil sie die Fürstin und das kleine Mädchen betrog.
»Was Daniela damit zu tun hat?« wiederholte er und sah sie immer noch zwingend an. »Du würdest sehr viel bei ihr zerstören, Katja, wenn du sie jetzt enttäuschen würdest. Ist dir denn das wirklich noch nicht klargeworden?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Alles ist so anders, als ich es mir vorgestellt habe, Joachim. Ich habe dich vor einigen Wochen noch nicht gekannt. Da hatte ich keine Ahnung, daß es dich überhaupt gibt. Und nun bin ich plötzlich mit dir verlobt und muß den Ring tragen. Das alles macht mich ganz krank.«
Joachim, dachte sie gequält, hätten wir uns unter anderen Umständen näher kennenlernen können, hätte ich mich wahrscheinlich in dich verliebt.
Sie hielt unwillkürlich den Atem an, als sie, ehrlich, wie sie nun einmal war, zugeben mußte, daß das schon längst geschehen war.
Sekundenlang dachte sie, daß das doch eigentlich eine wunderbare Lösung sei. Wenn Joachim sich auch noch in sie verlieben würde, könnte man ganz anders über alles denken. Dann hätte man alles nur eben ein klein wenig vorgezogen.
Als Katja erkannte, wie gefährlich diese Gedanken waren, rannte sie einfach davon. Sie stolperte und fiel gegen Fürst Joachim, den sie gar nicht bemerkt hatte. Entsetzt sah sie zu ihm auf.
Er lächelte sie an. Aber diesmal war sein Lächeln ohne Spott, beinahe zärtlich, als er leise sagte:
»Ich sehe dir deutlich an, mein liebes Kind, daß deine Gedanken sich in der gleichen Richtung wie die meinen bewegen.«
»Laß mich los, Joachim!« fauchte sie, als sie ihre Fassung wieder zurückgewonnen hatte. »Ich will allein sein.«
»Aber es ist bestimmt nicht sehr gut für dich, Katja, wenn du allein über alles nachdenkst.«
Er sagte es sehr ruhig und energisch, aber Katja war fest entschlossen, nicht nachzugeben. Sie wollte nicht mehr mit ihm zusammensein, denn seine Gegenwart wirkte auf sie lähmend wie ein süßes Gift.
Bevor er sie richtig festhalten konnte, war sie auf und davon. Es war vielleicht ganz gut, daß sie das zärtliche und sehnsüchtige Lächeln auf seinem Gesicht nicht sehen konnte. Es hätte sie bestimmt noch viel mehr verwirrt und verunsichert.
Ach, sie hätte wer weiß was darum gegeben, wenn sie hätte allein sein können, wenn sie einfach
hätte davonrennen können, um sich irgendwohin zu verkriechen. Sie wollte weinen, sie wollte sich
nicht mehr länger beherrschen müssen.
Und dann stand sie plötzlich vor dem Bett der Fürstin, sah ein wenig erschrocken auf sie nieder und fragte sich, wieso sie ausgerechnet hierhergekommen sei.
Was würde sein, wenn sie der alten Dame alles rückhaltlos beichtete? Würde sie sich sehr erregen?
Katja holte tief Luft. Nein, sie würde schweigen. Sie würde nichts sagen, ohne mit Joachim gesprochen zu haben. Sie würde seine Verlobte spielen und ihm nur dankbar sein, wenn er in Gegenwart seiner Mutter nicht auch zärtlich zu ihr wurde. Aber gleichzeitig wurde ihr auch bewußt, wie sehr sie sich nach seinen Zärtlichkeiten sehnte.
»Sie sehen verwirrt aus. Haben Sie sich mit Joachim gestritten? O nein, natürlich nicht. Joachim ist nur manchmal so – so ironisch. Ich weiß dann nie, wie ich reagieren soll.«
»Kümmern Sie sich am besten nicht darum. Joachim ist, seit er mit Ihnen zusammen ist, ein anderer Mensch geworden. Früher war er manchmal ganz fremd und kalt. Er war wie ein Mensch ohne Seele. Ich bin Ihnen so dankbar, Katja, daß ich Sie kenne. Und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie ihn lieben. Sie sind die einzige Frau, die ihn wieder fröhlich stimmen kann. Ich fühle das ganz genau. Ich – ich möchte Sie gern um etwas bitten, Katja.«
»Aber natürlich, Durchlaucht! Ich bin froh, wenn ich Ihnen einen Gefallen tun kann.«
»Es ist aber eine ziemlich intime Bitte. Ich möchte, daß Sie mir erlauben, du zu Ihnen zu sagen.«
Erleichtert ließ sich Katja neben ihr nieder und streichelte über die zarten Hände.
»Aber das ist doch selbstverständlich, Durchlaucht. Ich freue mich, wenn Sie mich mögen. Das macht mich glücklich.«
»Und wie geht es Ihnen mit mir? Mögen Sie mich auch ein klein wenig?«
»Ein klein wenig wäre da viel zu bescheiden. Ich mag Sie sehr, Durchlaucht, so sehr, daß ich am liebsten immer bei Ihnen bleiben möchte.«
»Dafür verdienst du einen Kuß, mein Kind. Und nun wollen wir unsere Freundschaft besiegeln, indem du mich auch Mutter nennst. Willst du?«
Katja starrte sie sprachlos an. Das ging doch nicht, das war zuviel. Das brachte sie einfach nicht fertig.
»Warum schaust du mich so entsetzt an? Ich werde doch über kurz oder lang deine Schwiegermutter sein. Und ich will nicht hoffen, daß du die Absicht hast, zu deiner Schwiegermutter Sie zu sagen.«
Da neigte Katja sich vor. Es ging nicht anders. Sie mußte es tun. Und sie spürte, daß die Ereignisse ihr langsam über den Kopf wuchsen. Was sollte sie nur tun?
Lieber Gott, steh’ mir bei. Ich habe keine Ahnung, was ich tun und wie ich mich weiterhin verhalten soll, dachte sie und schluchzte, als sie sich niederbeugte, um sich von der glücklichen alten Dame umarmen zu lassen.
*
Es war Tage später. Katja hatte Daniela an der Hand. Sie durchquerten die Halle, um hinauszugehen, weil sie sich vorgenommen hatten, einen Spaziergang zu machen.
Da flog die Tür auf, und eine wunderschöne junge Frau stand vor ihnen, sah verblüfft auf Daniela und Katja und fragte schließlich mißtrauisch:
»Was tun Sie denn hier?«
»Guten Tag«, erwiderte Katja und musterte die attraktive Frau neugierig. Sie hatte keine Ahnung, wer sie war.
»Ist Fürst Joachim daheim?« wollte die Fremde wissen.
Katja nickte. Sie hatte Joachim in seinem Arbeitszimmer verschwinden sehen.
»Na was ist? Wollen Sie mich Ihrem Dienstherrn nicht melden?« forderte die andere sie auf. Ihre Stimme klang rauchig und sehr sexy, aber sie war Katja vom ersten Augenblick an in der Seele zuwider.
»Dazu müßte ich erst einmal wissen, wer Sie sind«, gab sie eisig zurück.
»Ich bin Silvia Werner. Ich nehme doch an, daß Sie mein Bild schon in vielen Zeitungen, Zeitschriften und im Fernsehen gesehen haben.«
»Tut mir leid, bedaure. Ich lese keine solchen Zeitschriften. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen? Ich werde dem Fürsten sagen, daß Sie da sind.«
»Und wenn ich bitten darf – ein bißchen schnell, ja? Ich habe nicht die lange Autofahrt unternommen, um mich an Ort und Stelle von einem Kinderfräulein abspeisen zu lassen.«
Katja spürte deren verächtlichen Blick auf sich ruhen und hatte plötzlich Mitleid mit der schönen Silvia Werner, die, wie sie genau wußte, ein hochbezahltes und bekanntes Fotomodell war. In welchem Verhältnis stand sie zu Fürst Joachim? Katja konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß er sich in ein solches Mädchen verliebt haben könnte.
Mit ruhigen, ausgeglichenen Bewegungen ging sie durch die Halle. Sie wußte, daß Silvia ihr nachblickte. Daniela trippelte an ihrer Seite daher, aber sie hielt ihre Hand noch immer fest umklammert.
»Tut mir leid, Joachim, wenn ich dich störe. Aber du hast Besuch bekommen. Es ist Silvia Werner!«
»Silvia Werner! Wie, um alles in der Welt, kommt sie her, Katja?« fragte er und sprang auf.
Dann stand er in der Halle und sah nicht gerade erfreut auf Silvia, die ihn schmollend betrachtete. Aber dann flog sie ihm einfach um den Hals und küßte ihn, dabei zu Katja blickend, ob sie das auch mitbekommen hatte. Katjas Gesicht war eisig und unbewegt. Niemand hätte ihr anmerken können, daß sie vor Eifersucht nur so brannte.
»Ich habe solche Sehnsucht nach dir gehabt, Liebling«, flötete Silvia und verschlang die Hände in seinem Nacken.
Energisch machte er sich von ihr frei und sah sie kühl an.
»Das freut mich. Du hättest aber dennoch vorher Bescheid geben sollen. Wie lange willst du bleiben?«
»Ach, ich weiß noch nicht. So lange, bis ich keine Lust mehr habe, mich vor der Welt zu verstecken.« Sie lächelte ihm kokett zu. »Dein Kinderfräulein scheint nicht sonderlich begeistert zu sein, daß ich hier aufgetaucht bin. Sie war ziemlich unhöflich zu mir.«
»Erstens ist Katja kein Kinderfräulein, Silvia, zweitens würde Katja es niemals fertigbringen, unhöflich zu sein, und drittens scheint mir, daß du sie auch nicht gerade zuvorkommend behandelt hast.«
»Wenn sie nicht das Kinderfräulein deiner kleinen Tochter ist, wer ist sie dann?« fragte Silvia und warf Katja einen Blick zu, der ihr deutlich zeigte, wie sehr sie das Mädchen verabscheute.
»Katja ist meine Braut!« sagte Joachim mit Nachdruck.
Silvia erstarrte mitten in der Bewegung. Dann wandte sie sich zu Joachim um und zischelte:
»Sag das noch mal, Joachim. Ich fürchte, ich habe mich verhört.«
»Katja ist meine Braut, und ich hoffe, daß du sie auch dementsprechend behandelst, liebe Silvia.«
»Du hast dich mit ihr verlobt? Du hast dich mit einer anderen Frau verlobt, obwohl du genau weißt, wie sehr ich dich liebe? Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»O doch, es ist mein Ernst. Ich glaube, ich habe noch niemals im Leben etwas so ernst gemeint wie meine Verlobung mit Katja.«
Joachim legte einen Arm um Katjas Schultern und zog sie an sich, als müßte er Silvia auf diese Art zu verstehen geben, daß er sich als ihr zugehörig betrachtete.
»Nun, ich bin ja jetzt da!« erklärte Silvia in einem Ton, als wollte sie damit sagen, sie werde schon dafür sorgen, daß dieses Verlöbnis, mit dem sie ganz und gar nicht einverstanden war, nicht mehr lange andauern werde.
»Das sehe ich. Und du hast gesagt, daß du bleiben möchtest. Gut, ich will dir zeigen, daß die Stolzenfels gastfreundlich sind. Josefa wird dir ein Zimmer zeigen. Und dann kannst du dich ein wenig frisch machen, wenn du magst.«
»Ich hätte eigentlich erst gern deine Mutter begrüßt, Achim.«
»Das wird sich nicht machen lassen. Meine Mutter ist leidend und deshalb auch bedauerlicherweise nicht in der Lage, Besuche zu empfangen. Du wirst dich wohl oder übel gedulden müssen, bis sich ihr Zustand gebessert hat.«
»Nach diesem netten Empfang habe ich fast das Gefühl, als wünschest du, ich solle wieder abreisen.«
»Niemand hat davon gesprochen.«
»Ich werde auch nicht abreisen. Ich habe mich viel zu sehr auf dich und auf Schloß Stolzenfels gefreut, als daß ich sofort wieder losfahren möchte. Ich bin auch gespannt, deine Braut näher kennenzulernen. Sie muß ja ein engelsgleiches Wesen sein, wenn sie Gnade vor deinen Augen gefunden hat. Wie kommt es, daß man in der Gesellschaft nichts von dieser Verlobung erfahren hat?«
»Wir müssen Rücksicht auf meine kranke Mutter nehmen. Sobald sie sich ein wenig besser fühlt, werden wir die offizielle Verlobung bekanntgeben. Aber du kannst uns auch jetzt schon gratulieren.«
Fürst Joachim machte ein recht spöttisches Gesicht. Aber das
schien die schöne Silvia absolut nicht zu stören.
*
Mit der beschaulichen Ruhe war es nun vorbei. Silvia hielt jeden in Atem. Stetig verlangte sie Aufmerksamkeit.
Immer spielte sie sich mit mehr oder weniger Geschick in den Vordergrund und versuchte Katja zu ignorieren.
Wenn Fürst Joachim sich nicht hin und wieder angelegentlich mit Katja beschäftigt hätte, hätte man ohne weiteres annehmen können, Silvia und nicht Katja sei mit ihm verlobt.
Das Kind übersah sie völlig. Sie schien Daniela nicht zu mögen, was aber auf Gegenseitigkeit beruhte. Wann immer sich eine Gelegenheit fand, machte sie spitze Bemerkungen Katja gegenüber. Katja aber reagierte nicht. Sie überhörte die Entgleisungen der schönen Silvia einfach und nahm ihr so den Wind aus den Segeln.
Joachim beobachtete sie dann und wann mit amüsiertem Gesichtsausdruck.
Das Gefühl drohenden Unheils, das näher kam, konnte sie ganz und gar nicht mehr loswerden. Warum hatte sie sich nur auf diese dumme Geschichte eingelassen?
Wann immer sie den anderen nur entwischen konnte, war sie bei der Fürstin anzutreffen. Margareta spürte die Nervosität des jungen Mädchens und fragte einmal geradeheraus:
»Was ist eigentlich mit dir los, Katja? Seit diese Silvia Werner auf Schloß Stolzenfels ist, bist du schrecklich nervös. Bist du am Ende eifersüchtig oder besorgt, Achim könnte sich ihr zuwenden?«
»Nein, eigentlich nicht, obwohl ich zugeben muß, daß ich erst ziemlich erschrocken war, als sie hier auftauchte und ganz offen erklärte, sie werde auch bleiben, bis sie keine Lust mehr habe, hierzubleiben. Aber ich sehe doch, daß Joachim ihre Gegenwart auch sehr lästig wird und...«
»Ach, mach dir deswegen keine Sorgen. Achim ist sehr höflich. Aber wenn er ihr eines Tages nahelegen sollte, zu gehen, dann wird sie nie mehr wieder herkommen, das weiß ich ganz sicher.«
»Daniela kann sie nicht ausstehen.«
Katja lächelte unwillkürlich. Und auch Fürstin Margareta mußte über diese Tatsache lächeln.
»Das Kind hat ein feines Empfinden. Wahrscheinlich ist das noch ein letzter Rest von Instinkt. Ich möchte, daß Silvia mich mal besucht. Wahrscheinlich kann ich bald wieder aufstehen. Dann darf ich ihr doch nicht ausweichen. Und deshalb möchte ich, daß ihr sie einmal zu mir laßt. Ich werde ihr schon deutlich zu verstehen geben, daß sie kein allzu willkommener Gast auf Schloß Stolzenfels ist.«
»Ich möchte nicht, daß du dich aufregst, Mutter.«
Katja staunte immer wieder aufs neue, wie einfach und leicht ihr dieser Name über die Lippen ging. Sie liebte die Fürstin tatsächlich, als wäre sie ihre Mutter. Und sie fürchtete sich vor der Stunde, da sie die Wahrheit bekennen mußte. Nein, sie wagte kaum, daran zu denken, denn sie wurde immer traurig, wenn sie so weit mit ihren Gedanken gekommen war. Die Stunde der Wahrheit bedeutete auch die Stunde der Trennung, das war ihr vollkommen klar.
*
Nach dem Abendessen, als sie Daniela zu Bett gebracht und Fürst Joachim sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte, ging Katja hinaus in den dämmerigen Park. Es roch nach feuchter, würziger Erde, es duftete nach Blüten und nach dem Harz der zahlreichen Nadelbäume. Es war unendlich friedlich hier.
Katja blieb stehen und schaute entzückt auf ein Beet, dessen Blumen in verschwenderischer Fülle blühten.
Als sie Schritte auf dem weißen Kies hörte, wandte sie sich nicht um. Sie bedauerte nur, nun nicht mehr allein, aufgestört worden zu sein.
Aber dann zuckte sie doch zusammen, als hätte man ihr einen harten und brutalen Schlag ins Gesicht versetzt.
»Guten Abend, Katja«, sagte Kurt König und sah sie bewundernd an. »Es war gar nicht so einfach für mich, endlich herauszubekommen, wo du dich aufhieltest.«
»Was willst du hier?« fragte sie eisig. O nein, sie würde sich nie und nimmer anmerken lassen, daß plötzlich Angst ihr die Kehle zuzuschnüren drohte.
»Na, hör mal! Du machst mir aber allmählich Spaß. Was ich will? Dich will ich zurückholen. Ich habe immerzu an dich gedacht. Das wirst du mir doch hoffentlich glauben, denn sonst hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, dich aufzustöbern und hier aufzusuchen, nicht wahr?«
»Tut mir leid. Ich kann mit deinem Besuch hier nichts anfangen. Ich möchte, daß du sofort wieder verschwindest. Ich dachte, mein Schweigen sei deutlich genug.«
»Das war es ganz und gar nicht. Ich bin doch nur hergekommen, weil ich verschiedene Dinge erklären möchte.«
»Du hast keinerlei Verpflichtung, mir etwas zu erklären, Kurt. Das, was ich erlebt habe, war mir Erklärung genug. Ich kann dir nur wünschen, daß du mit Angelika glücklich wirst.«
»Ich bin doch gar nicht mehr mit ihr zusammen, Katja.«
Nun sah sie ihn doch überrascht an.
»Nicht? Und ich dachte, ihr wolltet heiraten.«
»Aber nein. Ein Mädchen wie Angelika heiratet ein Mann doch nicht. Mit einem Mädchen wie Angelika hat ein Mann wohl mal ein flüchtiges Abenteuer, mehr aber nicht. Angelika und ich haben uns seit jenem denkwürdigen Tag nicht mehr gesehen.«
»Ach? Und da hast du dir gedacht, du brauchtest mich nur zu suchen, und die gute alte Katja würde dir strahlend vor Glück um den Hals fallen? Du hast dich getäuscht und hättest dir die Mühe sparen können.«
»Sei nicht sarkastisch, Katja. Das steht dir nicht, und ich mag es nicht an dir.«
»Oh, das finde ich sehr bedauerlich, aber ich kann es leider nicht ändern. Ich möchte, daß du wieder verschwindest, Kurt. Ich möchte dich nie mehr wiedersehen.«
»Verzeih mir, Katja! Ich bitte dich herzlich, mir meine Entgleisung mit Angelika zu verzeihen. Aber sie war so verführerisch und zeigte mir offen, daß sie ein Abenteuer mit mir erleben wollte, daß ich einfach nicht anders gekonnt habe. Ich habe dich mit ihr betrogen, ja. Aber es war kein richtiger Betrug, wenn du es genau wissen willst. Ich war doch nicht mit dem Herzen dabei. Das war eine andere Angelegenheit.
Mein Gott, Katja, sei doch nicht so verbohrt! Immerhin bin ich nur ein Mann. Und einem Mann muß man auch schon mal etwas verzeihen können. Ich kann dir doch nicht von heute auf morgen gleichgültig geworden sein.«
»Hättest du mich in einer derartigen Situation mit einem anderen Mann angetroffen – hättest du mir verziehen?« fragte Katja und sah ihn geringschätzig an.
Er fuhr auf und rief aus: »Wie kannst du auch nur einen Gedanken an etwas so Absurdes verschwenden? Das wäre doch eine ganz andere Sache, das weißt du.«
»Das weiß ich eben nicht. Für mich macht es keinen Unterschied. Du siehst, wir haben darüber eine völlig verschiedene Auffassung, und es hat meiner Meinung nach keinen Sinn, weiter darüber zu diskutieren.«
Sie machte Miene, sich abzuwenden. Aber da griff er schon nach ihrem Arm und hielt sie fest. Bettelnd sah er sie an.
»Katja, ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß ich ohne dich nicht leben kann.«
»Du wirst es aber können müssen, denn ich habe ganz und gar nicht die Absicht, mich wieder mit dir zu verbinden. Du selbst hast mir gründlich die Augen über dich geöffnet. Das ist aber auch das einzige, wofür ich dir dankbar bin.«
»Katja! Ich bin zu dir gekommen, um dir zu sagen, daß ich dich heiraten möchte.«
»Früher wäre ich wahrscheinlich sehr glücklich darüber gewesen. Aber heute kann ich darüber nur noch lächeln. Es tut mir noch nicht einmal leid, dir zu sagen, daß ich dich nicht mehr will.«
Sie strich sich erregt eine Haarsträhne aus der Stirn. Dabei blitzte der große, von Brillanten umgebene Rubin auf, den sie von Joachim bekommen hatte.
Überrascht griff Kurt nach ihrer Hand und pfiff durch die Zähne, als er den Ring betrachtete.
»Er sieht echt aus«, murmelte er und nickte.
»Du kannst Gift darauf nehmen, daß er echt ist.«
»Wie kommst du zu einem so wertvollen Ring, Katja?« fragte er und musterte sie aus zusammengekniffenen Augen.
»Es ist mein Verlobungsring, lieber Kurt. Ich bekam ihn von dem Mann, mit dem ich mich verlobt habe und den ich von ganzen Herzen liebe.«
»Nicht zu fassen. In dieser gottverlassenen Gegend bist du an einen Mann geraten, der ein Vermögen für einen Ring opfert? Wer ist denn dieser Kerl?«
»Es ist Fürst von Stolzenfels. Und nun laß mich endlich los. Ich will mich nicht länger mit dir unterhalten.«
Sie löste sich von ihm und wandte sich um. Schnell und flink lief sie davon.
Verbissen starrte er ihr nach.
»So ist das also. Aber da spiele ich nicht mit«, murmelte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Ich will dich haben. Und ich werde nicht eher aufgeben, bis ich dich bekommen habe. Ich war der erste Mann in deinem Leben und habe ein Recht darauf, es auch zu bleiben. Du wirst diesen Fürsten nicht heiraten, und wenn er dich in Gold aufwiegen würde. Darauf kannst du dich verlassen.«
*
Katja machte sich selbst nichts vor. Sie war nervös und gereizt, nachdem Kurt König so plötzlich wieder in ihrem Leben aufgetaucht war. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Ob sie einfach mit Joachim sprechen sollte? Ob er ihr helfen würde, wenn sie ihn bat, dafür zu sorgen, daß Kurt nie wieder das Grundstück betreten konnte? Aber wie sollte er das wohl machen?
Und eigentlich ging es ihn nichts an. Sie war doch nichts weiter als seine Zufallsverlobte. Irgendwann, wenn es der Fürstin wieder gutging, würden sie beide ihr in schonender Weise die Wahrheit eingestehen müssen. Ja, und dann würde sie Stolzenfels verlassen müssen, denn die gütige Fürstin würde entsetzt sein über diese gemeine Lüge.
Katja spürte, wie sich ihr das Herz im Leibe umkehren wollte, wenn sie so weit mit ihren Gedanken gekommen war. Aber sie sagte sich auch, daß es keinen Zweck hatte, sich selbst etwas vorzumachen.
Immer, wenn Daniela sie aufforderte, mit ihr spazierenzugehen, befürchtete sie, daß Kurt irgendwo auftauchen würde. Sie ahnte, daß er keine Rücksicht auf das kleine Mädchen nehmen würde. Er war ein Mensch, der rücksichtslos sein Ziel anstrebte und dabei weder nach links noch nach rechts schaute.
Ungeheure Wut ergriff manchmal von ihr Besitz. Er wird bei mir sein Ziel nicht erreichen, nahm sie sich dann kämpferisch vor. Er wird einsehen müssen, daß ich anders geworden bin. Niemand kann von mir erwarten, daß ich ihm noch vertraue, nachdem er mich schon einmal so schändlich hintergangen hat. Seine doppelte Moral ekelt mich an.
Nachdenklich stand Katja vor dem Spiegel, nachdem sie sich ihr helles Cocktailkleid übergezogen hatte. Sie würde sich einige Kleider kaufen müssen, damit sie nicht immer wieder in denselben unten erscheinen mußte. Sie hatte deutlich bemerkt, daß Siliva sie manchmal ausgesprochen mitleidig betrachtete. Nun ja, als Fotomodell besaß Silvia natürlich eine Menge Kleider und konnte unter ihnen stundenlang auswählen, während sie immer alle vier Kleider, die sie für solche Anlässe besaß, der Reihe nach durchgehen mußte, um dann wieder von vorn anzufangen.
Und prompt ließ Siliva eine gehässige Bemerkung fallen. Sie blickte Katja aufmerksam und fast neugierig an, als sie fragte:
»Haben Sie eigentlich nicht mehr Kleider mitgebracht, meine Liebe? Ich sehe, daß Sie immer wieder das eine oder andere Kleid anziehen.«
Katja lächelte säuerlich und erwiderte:
»Ich weiß, daß ich gegen Sie wie eine graue Maus wirken muß, Fräulein Werner. Aber nicht jeder ist ein gefragtes Fotomodell mit einer Riesenauswahl an Kleidern. Bisher war ich auch noch nie in der Verlegenheit, unter einer besonders reichhaltigen Garderobe auswählen zu können.«
Silvia fühlte sich offenbar geschmeichelt, weil sich Katja ihr gegenüber als graue Maus bezeichnet hatte. Deshalb sagte sie gnädiger als gewöhnlich:
»Nun, ich besitze tatsächlich sehr viele Kleider. Allein schon durch meinen Beruf. Wenn Sie mögen, können Sie einmal in mein Zimmer kommen und sich das eine oder andere Stück dann aussuchen.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, vielen Dank. Ich möchte aber lieber Ihr Angebot nicht annehmen, denn Ihre Kleider wären sicherlich nicht das Richtige für mich. Ich bin doch ein ganz anderer Typ als Sie. Das, was bei Ihnen besonders apart aussieht, würde an mir unmöglich wirken. Schon deshalb möchte ich Ihr freundliches Angebot nicht annehmen.«
»Schon gut. Ich wollte Ihnen ja nur einen Gefallen tun. Wenn Sie allerdings mein Angebot nicht annehmen wollen, ist das Ihre Sache.«
»Ich sagte ja schon, daß ich Ihnen sehr dankbar bin, Fräulein Werner.« Katja lächelte und sah dabei ziemlich unglücklich aus.
Fürst Achim sah gespannt zwischen den beiden jungen Frauen hin und her und lauschte aufmerksam ihrem Gespräch.
»Ich weiß nicht, was ihr eigentlich habt. Katja sieht immer bezaubernd aus, Silvia. Warum läßt du sie nicht in Ruhe?«
»Oh, niemand soll sagen, daß ich sie nicht in Ruhe lasse. Es war ja nur ein Angebot von Frau zu Frau, wofür ihr Männer höchstwahrscheinlich kaum Verständnis aufbringen könntet.«
»Da magst du recht haben.«
Joachim warf Silvia einen ungeduldigen Blick zu und aß dann schweigend weiter.
Katja wäre am liebsten aufgestanden und davongelaufen. Sie schämte sich entsetzlich. Natürlich hat Silvia recht, dachte sie, es muß ja auch merkwürdig wirken, daß ich als die Braut des Fürsten von Stolzenfels nicht über mehr als vier einfache Cocktailkleider verfüge.
*
Am nächsten Morgen nahm Joachim Katja beim Arm und sagte energisch:
»So, Daniela und wir beide werden jetzt eine kleine Ausfahrt machen, Katja. Das Kind weiß schon Bescheid und freut sich sehr darauf.«
»Und ich? Was soll ich den ganzen Morgen über machen?« fragte Silvia spitz.
Man sah ihr deutlich an, daß sie sich schrecklich ärgerte. Aber Joachim hatte sich anscheinend vorgenommen, darüber hinwegzusehen und es einfach nicht zu beachten.
»Du? Ich dachte, du bist nach Stolzenfels gekommen, um dich zu erholen, Silvia. Ich habe nicht im Traum daran gedacht, daß du auch mitfahren möchtest.«
»Natürlich fahre ich mit!«
Silvias Augen sprühten Blitze. Sie begriff, daß sie in einer verzwickten Lage war, weil sie eine Niederlage nach der anderen erlitt, aber sie wollte nicht aufgeben. Sie wollte Joachim beweisen, daß sie die Schönste und Begehrenswertere war.
»Also gut. Dann erwarte ich euch in zehn Minuten vor dem Portal. Ich möchte nicht lange warten müssen, Silvia. Versuche, ausnahmsweise mal pünktlich zu sein.«
Wenig später saßen sie im Wagen. Fürst Joachim fuhr zügig, aber nicht unkontrolliert. Sie sprachen wenig miteinander. An sich hätte Katja die Fahrt sehr genossen, aber, da Silvia auch mit im Wagen saß, hatte sie kaum rechte Freude daran.
Vor einem bekannten und sehr teuren Modeatelier hielt Joachim den Wagen an und stieg aus. Dann half er seinen drei Damen, wie er sich lachend ausdrückte, ebenfalls beim Aussteigen und steuerte auf die einladend offenstehende Tür des Modesalons zu.
Silvia warf Katja einen triumphierenden Blick zu. Katja fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Aber da wandte sich Joachim schon Daniela zu, die artig an Katjas Hand ging, und fragte schnell:
»Möchtest du ein paar neue Kleider, Äffchen?«
Daniela zeigte, daß sie ein richtiges kleines Mädchen war und fragte strahlend zurück:
»Darf ich sie mir selbst aussuchen? Oder muß ich wieder das nehmen, was du aussuchst?«
»Nein, diesmal nicht. Ich finde, du bist wirklich alt genug, um zu wissen, was du gern anziehen möchtest. Aber ich wäre natürlich sehr froh, wenn du dich von Katja beraten lassen würdest, kleine Dame.«
»Wieso von Katja?« mischte sich Silvia wieder ein und machte ein mitleidiges Gesicht. »Du solltest dich daran erinnern, mein Lieber, daß schließlich ich es bin, die sozusagen aus der Branche kommt, und nicht Katja.«
»Das mag für deine eigenen Kleider zutreffend sein, Silvia, wohl aber kaum für das, was ein sechsjähriges Mädchen anziehen sollte.«
Silvia machte keinen Hehl aus ihrer schlechten Laune. Hocherhobenen Hauptes marschierte sie davon und warf keinen Blick mehr zurück.
»Sie ist böse«, sagte Daniela und Fürst Joachim erwiderte lachend:
»Laß sie nur. Sie hat ja mitfahren wollen, obwohl ich viel lieber mit euch beiden allein gefahren wäre. Aber nun muß sie halt auch in Kauf nehmen, daß ich mich lieber euch widme statt ihr. So, nun wollen wir anfangen. Du kannst auszusuchen beginnen. Und wenn du fertig bist, dann werden wir uns für Katja noch einige nette Dinge vorführen lassen. Ich nehme an, du willst sie dann auch beraten, weil sie das bei dir ja auch tut, nicht wahr?«
Katjas Gesicht war wie in Blut getaucht. Am liebsten wäre sie aus dem Laden gestürmt und fortgelaufen. Sie kam sich wie eine Bettlerin, eine Almosenempfängerin, vor.
»Ich möchte das nicht annehmen, Joachim. Das geht zu weit. Ich benötige diese Kleider gar nicht.«
»Gestatte, daß ich da anderer Meinung bin als du. Ich finde es unverzeihlich von mir, daß ich nicht schon viel früher daran gedacht habe. Erst die taktlose Bemerkung Silvias hat mich darauf förmlich gestoßen.«
Katja schwieg und saß steif in ihrem Sessel, ließ sich die Kleider für Daniela zeigen und wurde wenig später vom Eifer des kleinen Mädchens angesteckt.
Sie zog sich nur wieder in sich selbst zurück, als der Fürst dann endlich verlangte, daß auch Kleider für sie, seine Braut, vorgeführt wurden.
Katja spürte nicht, daß Joachim sie scharf beobachtete. Immer wenn er ein Aufblitzen in ihren Augen sah, schrieb er sich eine Nummer in sein Notizbuch. Und hinterher verlangte er mit sicherem Blick ausgerechnet die Kleider, die Katja am schönsten erschienen waren.
Katja mußte sich erheben, mit einer der beiden Direktricen gehen und sich die Maße nehmen lassen. Dann, als sie wieder zurückkehrte, nickte die Direktrice Joachim zu und lächelte:
»Ihre Verlobte, Durchlaucht, hatte die gleichen Maße wie unser Mannequin. Eine Änderung ist also nicht nötig. Wenn die junge Dame die Kleider jetzt anprobieren möchte, werde ich...«
»Nein, danke, das ist nicht nötig«, entschied Joachim schnell, denn er sah Silvia auf sich zukommen. »Packen Sie die Kleider, die ich Ihnen bezeichnet habe, ein. Ich werde sie alle mitnehmen. Und natürlich auch die Kleider, die sich meine Tochter ausgesucht hat. Ich lasse Ihnen den Wagenschlüssel hier, denn wir werden jetzt ins gegenüberliegende Hotel zum Mittagessen gehen. Vielleicht kann man dann schon alles in den Kofferraum meines Wagens schaffen.«
*
Daniela saß artig bei ihrer Großmama und berichtete über alles mögliche, das sie interessierte, während Katja draußen mit einem Blumenkorb in den Park ging, um einige besonders schöne Rosen für die alte Dame zu schneiden.
Sie beugte sich gerade über die Beete, als Kurt Königs Stimme hinter ihr ertönte. Diesmal zuckte sie zusammen und funkelte ihn wütend an.
»Was willst du hier?« fauchte sie. »Ich habe doch wohl deutlich genug gesagt, daß ich nichts mehr mit dir zu tun haben will, nicht wahr? Warum belästigst du mich dann noch?«
»Weil ich nicht glaube, daß du dich so schnell in einen anderen Mann verliebt hast. Ich kenne dich doch und weiß, daß du nur einem treu sein kannst.«
Er lachte. Katja betrachtete ihn forschend und fragte sich, ob es wirklich möglich gewesen war, daß sie sich einmal in dieses hübsche, aber nichtssagende Gesicht verliebt haben konnte.
Weder sie noch Kurt achteten auf Silvia, die sich bei Kurts Auftauchen schnell hinter eine Hecke geduckt hatte. Sie wollte sich nicht ein einziges Wort entgehen lassen. Vielleicht bekam sie nun endlich eine Waffe in die Hand, mit der sie Katja endgültig vernichten konnte. Dann wäre Joachim wieder frei. Und daß sie das Eisen schmieden würde, solange es heiß war, das konnte man ihr getrost glauben. Immerhin war sie auch kein unbeschriebenes Blatt mehr und hatte so ihre Erfahrungen gesammelt.
»Ich habe mich nicht in Joachim verliebt. Ich liebe ihn. Das ist ein himmelweiter Unterschied, wie ich finde. Aber ich verlange selbstverständlich nicht von dir, daß du ihn auch kennst.«
»Ich weiß nur, daß ich ohne dich nicht mehr leben will, Katja. Ich werde alles, was in meinen Kräften steht, tun, um dich wieder zu erringen. In der Liebe sind alle Mittel erlaubt, nicht wahr? Nun, ich werde jedes Mittel einsetzen, und wenn ich zum Fürsten gehen muß.«
»Gib dir keine Mühe, es ist zwecklos!« sagte sie wütend und ging einfach davon. Die Lust, für die Fürstin Rosen zu schneiden, war ihr gründlich vergangen.
Ich muß Joachim alles erzählen, dachte sie verärgert, ich muß ihn bitten, dafür zu sorgen, daß Kurt keine Gelegenheit mehr findet, hierherzukommen und mich zu belästigen.
Wütend blieb Kurt König zurück und zuckte zusammen, als er es neben sich rascheln hörte.
Silvia Werner stand plötzlich vor ihm, schön und verführerisch, und sie schaute einladend zu ihm auf. Da erwiderte er ihr Lächeln, denn er erfaßte instinktiv, daß er in ihr eine Verbündete haben würde.
»Ich bin Zeuge Ihrer Unterhaltung mit Katja geworden, ohne es zu wollen«, sagte sie sanft und machte den Eindruck eines schnurrenden, niedlichen Kätzchens, das gestreichelt werden will. »Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen. Es tut mir leid, mit ansehen zu müssen, daß Sie so leiden. Katja kann ziemlich grausam sein, nicht wahr?«
Sie unterhielten sich wenig später angeregt miteinander und gingen tiefer in den Park hinein, so daß man sie vom Schloß aus nicht mehr sehen konnte.
Silvia triumphierte innerlich. Das, was sie erfuhr, würde wohl reichen, um Katja von hier zu verjagen. Sie hatte schon einen kleinen Vorgeschmack auf ihre Rache und wußte, daß sie sehr süß sein würde.
Nicht einen einzigen Augenblick dachte sie an die kranke Fürstin, auf die jedermann im Schloß Rücksicht nahm. Silvia hatte bisher noch niemals im Leben an andere gedacht oder Rücksicht auf andere genommen. Für sie existierte wirklich nur sie selbst. Sie war in ihren eigenen Augen die wichtigste Person, die es auf der Welt gab.
*
Noch am selben Tag fand sich die Gelegenheit, Katja zu stellen.
Daniela war nach dem Nachmittagskaffee in die Küche gegangen, weil sie der Köchin beim Backen von kleinen Kuchen und Teegebäck zuschauen wollte. Katja saß in der Bibliothek über einem Buch, und Joachim war sofort nach dem Kaffee hinausgeritten, um die ersten Arbeiten auf den Weiden zu kontrollieren.
Niemand achtete darauf, daß Fürstin Margareta sich angekleidet hatte und nun auf der Terrasse vor der Bibliothek saß und verschmitzt lächelte. Sie würden staunen, wenn sie sie nachher begrüßen konnten.
Eine halbe Stunde später setzte sich die alte Dame ins Wohnzimmer, das an die Bibliothek grenzte, ohne daß jemand sie bemerkt hätte.
Katja hob den dunklen Kopf, als Silvia sich zu ihr setzte und die schlanken Glieder dehnte.
»Ich habe heute eine interessante Bekanntschaft gemacht«, begann sie.
Katja sah sie uninteressiert an und legte das Buch beiseite. Wenn Silvia sich mit jemandem unterhalten wollte, pflegte sie keine Rücksicht darauf zu nehmen, ob der andere vielleicht lieber etwas anderes tun mochte.
»Ich habe gar nicht bemerkt, daß Sie von Stolzenfels fortgewesen sind«, sagte Katja freundlich. Sie war auf der Hut, denn sie hatte schon mehrmals die Erfahrung gemacht, daß man Silvia besser nicht reizte.
»Oh, ich war auch nicht von Stolzenfels fort. Ich habe im Park einen hochinteressanten Mann kennengelernt, Katja. Ich nehme an, Sie wissen, wen ich meine.«
»Ich habe keine Ahnung, wen Sie meinen könnten, Silvia.«
Katja spürte die Gefahr, aber sie konnte sich nicht wehren. Sie mußte durchhalten. Irgendwann mußte es ja einmal kommen. Wenn doch nur Joachim da wäre! Wenn sie nur vorher schon eine Gelegenheit gehabt hätte, mit ihm über alles zu reden. Aber sie war Silvia allein ausgeliefert. Niemand war da, der ihr helfen konnte.
Weder sie noch Silvia bemerkten das ängstliche und gleichzeitig neugierige Kindergesicht an der Tür zur Terrasse.
Daniela sah unruhig von einem zum anderen. Aber irgend etwas hielt das Kind zurück. Daniela wollte lauschen und hören, was Silvia ihrer geliebten Katja antun würde. Dann wollte sie es Papa sagen und ihn bitten, Silvia einfach hinauszuwerfen.
»Nun, der Mann heißt Kurt König. Sehen Sie, ich wußte doch, daß er Ihnen nicht unbekannt ist. Sie wären sonst nicht so schuldbewußt zusammengezuckt.«
»Von schuldbewußt kann hier wohl kaum die Rede sein!« Katja richtete sich kerzengerade empor. »Ich kenne Kurt König zwar, aber ich habe ihm nicht erlaubt, hierherzukommen.«
»Das kann ich mir denken. Sie haben ja auch einen mehr als vollwertigen Ersatz für ihn gefunden, wie?«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Katja ruhig.
Silvia war enttäuscht, daß sie so ruhig blieb, aber sie hatte nun einmal begonnen, nun wollte sie die Sache auch zu Ende führen.
»Nun, es stimmt doch, daß Sie mit Kurt König verlobt gewesen sind, nicht wahr?«
»Zumindest habe ich das angenommen«, gab Katja unumwunden zu. »Ich habe mich als seine Verlobte betrachtet bis zu dem Augenblick, als ich ihn in den Armen meiner besten Freundin fand.«
»Ich weiß. Er hat mir erzählt, daß er einmal schwach geworden ist und den raffinierten Verführungskünsten Ihrer besten Freundin erlag.«
»Nun, zum Schwachwerden gehört nicht nur einer, es gehören immer zwei dazu. Wenn Kurt es nicht gewollt hätte, hätte er auf die Annäherungsversuche nicht einzugehen brauchen.«
»Sie liefen also davon und wurden von Joachim aufgegabelt, nicht wahr? Da hatten Sie nichts Besseres zu tun, als sich ihm an den Hals zu werfen und mit hierhernehmen zu lassen. Sie sehen, ich weiß alles.«
»Sie sind wohl doch einseitig orientiert. Ich wäre niemals auf den Gedanken gekommen, Achim um den Hals zu fallen. Er hat mich im Nebel angefahren und heimgebracht. Am nächsten Tag ist er wiedergekommen, um nach mir zu sehen. Und da ich Vertrauen zu ihm hatte und er mich fragte, aus welchem Grund ich so durcheinander war, habe ich ihm von meinem Erlebnis mit Kurt König erzählt. Joachim hat mir dann vorgeschlagen, mit nach Stolzenfels zu kommen, weil die kleine Daniela jemanden brauchte. Außerdem hatte er mich auch wohl als Gesellschafterin für seine Mutter vorgesehen, die, wie Sie wissen, kränklich ist.«
»Soweit, so gut. Ich habe wirklich durchaus Verständnis dafür. Daß Sie dann aber gleich als Achims Verlobte hier aufkreuzen, dafür fehlt mir doch jedes Verständnis.«
»Das war auch, wenn Sie so wollen, eine Panne. Fürstin Margareta nahm als sicher an, daß ich Achims Braut bin. Und weder er noch ich hatten das Herz, ihr die Wahrheit einzugestehen. Sie war so glücklich. Und sie war so krank. Es wäre ihr Tod gewesen, wenn...«
»Warum haben Sie denn den Irrtum nicht aufgeklärt, nachdem es der Fürstin wieder viel besser ging?« fragte Silvia kalt. »Geben Sie es doch zu! Sie waren auf den Geschmack gekommen und wollten die Braut des reichen Fürsten von Stolzenfels bleiben, nicht wahr? Dafür nimmt man schon ein freches, naseweises kleines Mädchen und eine lästige alte Frau in Kauf, wie?«
»Wie können Sie nur so etwas sagen, Silvia? Ihnen scheint aber auch gar nichts heilig zu sein. Ich liebe die Fürstin Margareta, als sei sie meine leibliche Mutter. Und ich liebe die kleine Daniela, als sei sie mein eigenes Kind.«
»Sie entschuldigen, aber das ist etwas, was Ihnen kein Mensch abnehmen wird. Ich werde selbstverständlich der Fürstin Mitteilung von dem machen, was ich da aufgedeckt habe. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, wenn Sie dann zur Audienz bei ihr erscheinen müssen, Katja.«
Damit ging Silvia hochaufgerichtet davon, ohne zu bemerken, daß da ein zitterndes, kleines Mädchen stand, das kaum etwas von dem begriffen hatte, was es gehört hatte. Daniela hatte nur begriffen, daß Katja und ihr Papa nun doch nicht heiraten würden. Katja würde also wieder von Stolzenfels fortgehen und sie allein lassen.
Leise, leise, um nur keine Aufmerksamkeit zu erregen, schlich sich das Kind davon. Tränen rannen aus Danielas Augen, als sie blindlings durch den Park rannte, als wäre eine Horde wilder Teufel hinter ihr her.
*
Fürstin Margareta saß wie erstarrt da. Sie weigerte sich eine ganze Weile, das zu glauben, was sie zufällig erfahren hatte. Sie spürte Stiche in der Brust, aber sie achtete nicht darauf.
Niemals, hätte sie geglaubt, daß Katja sich für so etwas hergeben würde. Aber Joachim schien sie doch zu lieben. Und Katja hatte auch so ehrlich ausgesehen, als sie zugab, Joachim zu lieben. Warum waren sie nicht offen gewesen? Man hätte sich doch arrangieren können.
Fürstin Margareta stöhnte leise. Sie sah keine Möglichkeit, das Glück auf Stolzenfels festzuhalten. Und dabei hätte sie wer weiß etwas darum gegeben, wenn sie es gekonnt hätte. Die Stiche in ihrer Brust wurden immer heftiger. Sie griff sich ans Herz. Aber sie fiel schon in tiefe Bewußtlosigkeit, bevor sie es recht begriff.
Leblos lag sie in ihrem Sessel, mit blauverfärbten Lippen und blassen, blutleeren Wangen.
*
Katja blieb in der Bibliothek sitzen und fühlte sich an allen Gliedern zerschlagen. Sie hörte und sah nichts mehr von ihrer Umgebung und hatte auch keine Ahnung davon, daß im Nebenzimmer die Fürstin ohnmächtig in ihrem Sessel lag, weil sie alles mit angehört hatte. Sie saß nur da, starrte vor sich hin und versuchte, ein wenig Klarheit in ihre Gedanken zu bringen, was ihr allerdings nicht gelingen wollte.
So fand Joachim sie, als er von seinem Ritt auf die Weiden zurückkehrte.
Mit einem Blick erkannte er das Leid in ihren schönen Augen. Er beugte sich über sie und fragte besorgt:
»Was ist geschehen, Katja? Ich sehe dir doch an, daß dich irgend etwas schwer erschüttert und aus dem Gleichgewicht gebracht hat.«
»Silvia hat Kurt König im Park getroffen. Ich – er hatte mir aufgelauert. Zum zweiten Mal schon. Er wollte mich wieder mit sich zurücknehmen. Ich – ich habe mich geweigert und ihn einfach stehenlassen. Da muß sie ihn getroffen haben. Und er hat ihr alles erzählt. Sie ist der Wahrheit sehr nahe gekommen. Ich brauchte nur noch einige Kleinigkeiten richtigzustellen. Und nun will sie es deiner Mutter sagen. Oh, Achim, ich habe schreckliche Angst.«
»Ich werde dafür sorgen, daß sie es nicht sagen kann. Beruhige dich, Katja. Es ist wirklich nicht notwendig, daß du die Nerven verlierst. Komm, sei ganz ruhig. Ich werde die Dinge jetzt erledigen.«
Katja nickte. Sie fühlte sich schon viel wohler, seit er da war.
»Ich werde zu Mutter gehen und sehen, wie es ihr geht. Möchtest du mich begleiten? Wir könnten ja feststellen, ob wir ihr nun die ganze Wahrheit sagen können und...«
Sie erhob sich hastig. Warum erregte sie es so sehr, daß er Silvia bei seiner Mutter zuvorkommen wollte? Sie hatte doch gewußt, daß sie nicht in Wirklichkeit seine Verlobte war.
Katja fühlte sich unglücklicher und elender als je zuvor in ihrem Leben.
Sie gingen durch das angrenzende Wohnzimmer und sahen beide gleichzeitig die ohnmächtige Fürstin in ihrem Sessel liegen. Katja schrie leise und entsetzt auf und war mit einem Schritt bei ihr, während Joachim nach dem Telefonhörer griff, um den Arzt zu rufen und ihn zu bitten, augenblicklich nach Schloß Stolzenfels zu kommen.
Unterdessen hatte Katja das Kleid der Fürstin am Hals geöffnet und stand nur vor ihr und sah sie hilflos an.
Achim schob sie sanft beiseite und nahm den leblosen Körper seiner Mutter auf die Arme, als hätte er kein Gewicht. Langsam und vorsichtig trug er sie nach oben zu ihrem Zimmer. Dort legte er sie auf ihr Bett und richtete sich auf, als Josefa kam und ihn fragte, wo Daniela eigentlich sei.
Dann fiel ihr Blick auf die reglose Gestalt der Fürstin. Sofort war sie neben ihr, hob ihren Kopf an und flößte ihr von den Tropfen ein, die auf dem Nachttisch standen. Die Fürstin seufzte leise. Da fragte Josefa noch einmal:
»Wo kann denn nur Daniela sein? Ich habe sie schon eine ganze Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen. Der Gärtner meinte, er habe sie vor etwa einer halben Stunde völlig aufgelöst und laut schluchzend in den Park hineinlaufen sehen.«
Ensetzt sah Katja zu Joachim empor. Er nickte ihr zu und sagte entschlossen:
»Am besten kümmerst du dich um sie, Katja. Zu dir hat sie das meiste Vertrauen gehabt. Ich kann hier nicht weg. Ich möchte dasein, wenn Mutter das Bewußtsein erlangt, damit ich endlich weiß, was geschehen ist. Wahrscheinlich hat sie deine Unterhaltung mit Silvia, ohne daß ihr es merktet, mitangehört.«
Davon war Katja ebenfalls überzeugt. Sie fühlte sich schuldig an dem schlechten Befinden der alten Dame und konnte doch nichts für sie tun.
»Ich werde Daniela suchen. Und ich werde sie bestimmt finden. Sie hat mir einmal alle ihre Lieblingsplätze gezeigt«, sagte sie hastig und rannte schon davon.
*
Sie begegnete niemandem in der Halle. Da nahm sie den Weg über die Terrasse und hetzte wenig später über die weite Rasenfläche hinter dem Schloß in den Park hinein.
Aber es nutzte auch nichts, daß sie laut nach Daniela rief. Überall, wohin sie auch kam, gab es keine Spur von dem Kind. Katja geriet allmählich in Panikstimmung.
Was war eigentlich mit Daniela geschehen? Warum war sie kopflos davongerannt? Das war doch sonst nicht ihre Art. Daß das Kind am Ende auch gelauscht haben konnte, auf den Gedanken kam Katja natürlich nicht. Sie hatte Daniela nicht gesehen. Wo hätte sie denn auch versteckt sein können?
Plötzlich fiel Katja die kleine Höhle wieder ein, die sie einmal gemeinsam mit Daniela entdeckt hatte. Bestimmt war das Kind dorthin gerannt. Daniela hatte ihr doch gezeigt, wie begeistert sie von der Höhle war, und hatte ihr gesagt, daß sie sich dort verstecken würde, wenn sie einmal allein sein wollte.
Es begann zu nieseln. Dieser feine Regen setzte sich in den Kleidern fest. Katja fröstelte. Aber sie rannte weiter, immer weiter, bis sie im Wald stand und die Richtung auf die Höhle einschlagen konnte.
Zuerst sah sie Daniela gar nicht. Als sie sich schon voller Furcht abwenden wollte, hörte sie ein leises Schluchzen.
Da kroch sie in die Höhle und blieb atemlos vor dem bitterlich weinenden Kind hocken. Sie wollte Daniela in ihre Arme nehmen und sie an sich drücken. Aber Daniela wehrte sich und stieß sie zornig fort.
»Laß mich in Ruhe, du! Warum hast du mich belogen? Warum hast du mir gesagt, daß du meine neue Mutter wirst, und in Wirklichkeit wolltest du das gar nicht? Du hast mich ebenso belogen wie Großmama.«
»Sei jetzt mal einen Augenblick lang vernünftig, Daniela. Ich möchte dir alles erklären.«
»Das brauchst du nicht. Ich habe alles gehört. Ich stand doch an der Terrassentür, als du dich mit Silvia gestritten hast. Da habe ich alles gehört.«
»Nein, du hast nicht alles gehört, Daniela, weil ich Silvia nicht alles gesagt habe.« Katja sprach leise, aber sehr ernst und entschlossen. Daniela sah sie mißtrauisch an, doch sie hatte aufgehört zu weinen.
»Du hast – du hast Silvia nicht alles gesagt? Lügst du mich auch nicht wieder an, Katja?«
Deren Herz drehte sich förmlich um, als sie das Kind so unglücklich vor sich sitzen sah. Zorn auf Silvia, die wieder einmal nur an sich selbst gedacht hatte, erfaßte sie und ließ sie tief Luft holen.
»Nein, Daniela, ich gebe dir mein Ehrenwort, daß ich dich nicht anlügen werde. Ich habe Silvia zum Beispiel nichts davon gesagt, daß ich deinen Papa, dich und deine Großmama sehr lieb habe. Ich habe ihr auch nicht gesagt, daß ich euch niemals mehr verlassen möchte, wenn ihr es nicht selbst wollt. Das ging Silvia doch nichts an, nicht wahr? Sie braucht das alles nicht zu wissen, denn sie würde es nicht verstehen und vielleicht nur wieder darüber lachen. Das möchte ich aber nicht.«
»Ich werde Papa bitten, sie von Stolzenfels fortzuschicken und dich ganz schnell zu heiraten.«
»Du wirst jetzt erst einmal mit mir nach Hause kommen, Liebling. Papa macht sich große Sorgen um dich. Großmama hat sich so über Silvia und mich aufgeregt, daß sie wieder sehr krank geworden ist. Ich glaube nicht, daß wir da sofort etwas verlangen können, Kleinchen.«
»Katja! Ist es wirklich wahr, daß du Papa und mich und Großmama liebhast? Ist es wahr, daß du uns nicht mehr allein lassen wirst?«
»Ja, es ist wahr, Daniela. Ich wäre sehr unglücklich, wenn ich fort müßte. Aber dennoch muß ich dich bitten, zu niemandem etwas von dem zu sagen, was ich dir anvertraut habe.«
»Es ist ein Geheimnis, das du mir anvertraut hast, nicht wahr, Katja?« fragte Daniela und sah Katja zwingend an.
Katja nickte.
Daniela schob ihre kleine Hand in die Katjas und sagte glücklich:
»Wollen wir jetzt zum Schloß zurücklaufen? Ich friere nämlich. Und du bist auch ganz naß geworden.«
»Komm, laufen wir los!« Katja lächelte und ging dann, so schnell das Kind folgen konnte, mit Daniela den Weg zurück. Sie war plötzlich ganz ruhig. Noch war nicht alles vorüber. Noch brauchte man sie auf Schloß Stolzenfels. Vielleicht brauchte Joachim sie auch noch. Das wäre das Schönste, was ihr passieren konnte.
*
Silvia Werner war verführerisch schön, als sie ins Speisezimmer trat. Sie schaute auf die leeren Plätze. Man hatte nur für eine Person gedeckt. Weder Katja noch Achim waren zu sehen.
Silvia kniff die Augen zu Spalten zusammen. Was sollte denn das schon wieder bedeuten? Hatte diese kleine raffinierte Schlange es fertiggebracht, Joachim aufs neue einzuwickeln?
O nein, dachte sie wütend, nein, ich werde dafür sorgen, daß sie ihr Spiel nicht weiterspielen kann. Sie ist eine größere Gefahr, als ich wahrhaben wollte. Aber nun soll sie erleben, daß man mich nicht so schnell beiseite schieben kann. Jetzt werde ich wachsamer sein und ihr deutlich zu verstehen geben, daß ihr Spiel aus und vorbei ist.
Sie ging zur Tür und rief Josefa, die gerade durch die Halle eilte, an.
»Warum ist nur für eine Person gedeckt, Josefa? Wo sind der Fürst und Katja?« wollte sie wissen.
Josefa blieb stehen und musterte sie mit dunklen Augen nachdenklich.
»Der Fürst ist bei der Fürstin, Fräulein Katja badet Daniela. Ich glaube, keiner von beiden wird heute zum Abendessen kommen. Ich habe Auftrag, das Abendessen für den Fürsten hinaufzubringen und für Fräulein Katja und Daniela ebenfalls.«
»Und warum das? Sollen jetzt neue Sitten eingeführt werden?«
Silvia kam sich verhöhnt vor, weil sich niemand um sie kümmerte.
»Warum? Nun, der Fürstin geht es nicht gut. Der Doktor ist bei ihr. Und Fräulein Katja hat Daniela, die fortgelaufen war, suchen müssen. Ich glaube nicht, daß sie
sich noch einmal umkleiden wird, um Ihnen Gesellschaft zu leisten. Sie sah nämlich ziemlich elend aus.«
»Das kann ich mir denken«, erklärte Silvia zufrieden. »Dazu hat sie nämlich allen Grund, finde ich. Sie können Bescheid geben, daß man servieren kann, Josefa. Ich bin anscheinend die einzige im ganzen Schloß, die noch ein bißchen Wert auf Atmosphäre legt.«
Damit wandte sie sich hoheitsvoll um und kehrte ins Speisezimmer zurück. Sie nahm sich vor, sich mit dem Essen zu sputen, damit sie Joachim noch sprechen konnte. Die Unterredung mit der Fürstin mußte sie ja wohl oder übel noch ein wenig zurückstellen, denn der alten Dame schien es tatsächlich nicht besonders gutzugehen.
Aber Silvias Laune wurde nicht besser. Wütend saß sie vor ihrem Teller, stocherte in den appetitlichen Sachen herum und schob endlich den Teller von sich. Dann entschloß sie sich, Katja aufzusuchen und zu erkunden, was sie nun vorhatte. Sie mußte begreifen, daß sie nichts mehr hier verloren hatte und das Feld räumen mußte. Es war ihr doch wirklich unmöglich gemacht worden, sich noch länger hier aufzuhalten, nachdem ihr schändliches Doppelspiel aufgedeckt worden war.
Die Fürstin kann mir dankbar sein, daß ich es herausgebracht habe, dachte sie und fand sich selbst bewundernswert. Immerhin habe ich sie doch davor bewahrt, eine Schwiegertochter an ihr Herz zu nehmen, die sie von Anfang an schon belogen und betrogen hat.
*
Katja saß in ihrem hübschen Salon und las in einem Buch. Aber sie brachte es nicht fertig, sich auch auf das zu konzentrieren, was sie las. Heimlich lauschte sie auf alle Geräusche im Schloß. Sie gab vor sich selbst zu, daß sie auf Achim wartete. Sie wollte mit ihm reden. Sie wollte von ihm erfahren, wieso es möglich gewesen war, daß die Fürstin unbemerkt alles gehört hatte, was sie und Silvia sich zu sagen hatten.
Da klopfte es. Katjas Stimme klang leise, als sie zum Eintreten aufforderte. Sie erhob sich, als sie Silvia erkannte.
Eisig sah sie das Mannequin an und fragte verächtlich:
»Was wollen Sie denn noch, Silvia? Haben Sie noch nicht genug auf Ihr Gewissen geladen?«
»Was fällt Ihnen ein? Wie reden Sie überhaupt mit mir? Bin ich als Betrügerin nach Schloß Stolzenfels gekommen oder Sie? Habe ich die Fürstin belogen, nach Strich und Faden oder Sie?«
»Wenn Sie nicht in Ihrem kleinlichen Rachegefühl alles mögliche gesagt hätten, Silvia, brauchten wir uns alle keine Sorgen um die Fürstin zu machen. Sie hat nämlich jedes Wort, das Sie und ich miteinander in der Bibliothek gewechselt haben, verstanden und sich furchtbar erregt, so daß sie einen Rückfall erlitten hat. Joachim ist gerade bei ihr.«
Silvia erschrak. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als hätte ihr jemand alles aus der Hand genommen, als wäre sie es nicht mehr, die die Geschichte steuerte, sondern als sei sie plötzlich zu einer Marionette geworden, die die Bewegungen ausführen mußte, die man von ihr verlangte.
»Ich glaubte, Sie hätten das Schloß schon längst verlassen, Katja«, begann sie dann wieder und blickte höhnisch in Katjas Gesicht. »Ich an Ihrer Stelle hätte versucht, so schnell wie möglich von hier wegzukommen.«
»Ich bin aber nicht Sie, Silvia. Mich halten hier verschiedene Dinge fest, die Sie wohl kaum jemals begreifen würden.«
»Da können Sie recht haben. Ich werde mich jedenfalls nicht mit Ihnen herumstreiten.«
»Dafür wäre ich Ihnen auch sehr verbunden. Mir steht nämlich nach dem heutigen Tag der Sinn auch nicht mehr nach Streit.«
»Ich werde aber mit Joachim reden, und...«
»Was willst du denn mit mir noch bereden, Silvia? Hast du nicht schon genug Unheil angerichtet?«
Fürst Joachim von Stolzenfels war unbemerkt eingetreten und stand nun vor Silvia, fremd und kühl und sehr nüchtern.
Sie wich einen Schritt zurück und zeigte ein verkrampftes Lächeln.
»Himmel, hast du mich aber erschreckt.«
»Nicht ich habe dich erschreckt. Ich nehme zu deinen Gunsten an, daß es dein schlechtes Gewissen ist, das dir im Nacken sitzt.«
»Na hör mal! Du machst mir aber allmählich Spaß. Was soll denn das nun schon wieder bedeuten? Warum soll ich ein schlechtes Gewissen haben? Meinst du nicht, du solltest dich da besser an deine eigene Nase fassen?«
»Ich dulde keinerlei Einmischung in meine Angelegenheiten. Und da Katjas Angelegenheiten auch die meinen sind, möchte ich dich bitten, auch Katja in Ruhe zu lassen. Tu, was du willst, aber laß uns beide und auch Mutter und Daniela endlich in Ruhe.«
»Ich würde mich nicht wundern, wenn du mir jetzt auch noch sagen würdest, daß ich dir nicht willkommen bin«, entgegnete Silvia wütend.
Joachim warf ihr einen durchdringenden Blick zu, dem sie nicht standzuhalten vermochte.
»Nun, ich würde lügen, wenn ich behauptete, daß du mir besonders willkommen bist. Und das ist nicht meine, sondern ausschließlich deine Schuld. Niemand würde dir eine Träne nachweinen, wenn du deine Sachen packen und von hier verschwinden würdest. Dann würden endlich wieder Ruhe und Harmonie hier einkehren.«
»Ich schreibe deine bodenlose und kaum zu glaubende Unhöflichkeit deiner Sorge um deine Mutter zu, Achim«, sagte Silvia, sich mühsam zur Ruhe zwingend. »Ich bedaure sehr, daß sie Zeugin unseres Gespräches geworden ist. Aber niemand konnte ahnen, daß sie uns belauschte. Sie weiß aber jetzt wenigstens, woran sie ist.«
»Ich glaube, das hat sie auch vorher schon gewußt. Es gibt nämlich Dinge, die du noch nicht bemerkt hast, weil du kein Gespür dafür hast.«
»Das ist eine Unterstellung. Vielleicht könntest du mir auf die Sprünge helfen.«
»Lieber nicht. Ich bin nicht in der Stimmung dazu. Und jetzt solltest du dich zurückziehen, Silvia. Ich bin nur hergekommen, um Katja über Mutters Zustand zu
unterrichten. Das ist wohl etwas, was dich nicht interessiert, nicht wahr?
Gute Nacht, Silvia. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du dir einmal überlegen würdest, wie undankbar es ist, wenn man sich in die Dinge anderer Menschen mischt, obwohl man nichts davon versteht.«
»Ach, spar dir doch endlich deine Predigten! Glaubst du, du könntest mich davon überzeugen, daß Katja unfehlbar ist?«
»Nein, das will ich nicht. Ich kann es auch gar nicht. Kein Mensch auf der Welt ist unfehlbar, das weiß jedes Kind. Es gibt nur solche Menschen, die mehr Fehler haben und solche, die eben weniger aufzuweisen haben. Das dürfte auch dir hinlänglich bekannt sein. Und jetzt, Silvia, laß uns bitte allein, ja?«
Sie warf ihm noch einen Blick zu, als wolle sie herausfinden, ob sie ihn nicht doch noch auf ihre Seite ziehen könnte. Aber dann warf sie den Kopf in den Nacken und ging zur Tür. Dort blieb sie jedoch stehen, wandte sich um und sagte betont:
»Dann bin ich noch nicht hinausgeflogen, Achim? Ich meine, du erwartest nicht von mir, daß ich abreise?«
»Ich werde es dir unmißverständlich zu verstehen geben, wenn wir dich nicht mehr hierhaben wollen, Silvia. Aber ich glaube, das hängt auch von dir und deinem Benehmen ab. Ich denke nicht, daß ich dir noch einmal etwas durchgehen lasse, das solche Auswirkungen hat wie dein Benehmen heute.«
»Das war eine Verkettung unglückseliger Umstände, wie du zugeben mußt, wenn du ehrlich bist.«
»Wir wollen es dabei bewenden lassen und nicht wieder von vorn anfangen, Silvia«, sagte er ungeduldig. »Ich glaube nämlich nicht, daß uns das weiterbringen könnte. Gute Nacht.«
Damit wandte er sich um.
Silvias Augen blitzten wütend, aber sie hielt es doch für richtiger, tatsächlich zu verschwinden. Joachim sah aus, als ob er ziemlich unangenehm werden könnte, wenn sie nicht ging.
Aber sie gab nicht auf, sie wollte nicht nachgeben. Irgendwie würde es ihr schon gelingen, ihn davon zu überzeugen, daß sie die einzig richtige Frau für ihn war. Dann war es Katja, die gehen mußte. Und sie würde ihr bestimmt keine Träne nachweinen, darauf konnte sie sich verlassen.
*
Tiefe Befangenheit nahm von Katja Besitz, als sie endlich mit Joachim allein war.
Er setzte sich, äußerlich ruhig und gelassen erscheinend, in einen Sessel und sagte beherrscht:
»Mutter geht es nicht so schlecht, wie ich zunächst befürchtet habe. Wir haben uns sehr lange unterhalten.«
»Wahrscheinlich hat sie dir aufgetragen, mir auszurichten, daß ich das Schloß so schnell wie möglich verlassen soll, nicht wahr?« fragte Katja mit einem bitteren Geschmack im Mund.
»Natürlich hat sie das nicht getan. Mutter hat dich nämlich wirklich liebgewonnen, Katja. Ich dachte, das hättest du gewußt.«
»Nun, heute morgen wäre ich auch noch überzeugt davon gewesen, daß sie mich mag. Ich habe sie auch sehr gern. Aber jetzt, nachdem sie weiß, daß wir sie getäuscht haben, muß sie doch schreckliche Haßgefühle mir gegenüber entwickeln. So stelle ich es mir jedenfalls vor.«
»Aber nein. Steigere dich nicht in etwas hinein, das in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist, Katja. Mutter ist natürlich nicht gerade begeistert davon, daß wir sie so getäuscht haben, aber sie weiß auch, daß nicht du dahintersteckst, sondern ich allein. Und sie hat ja auch recht damit, denn schließlich bin ich derjenige, der dich dazu angehalten und überredet hat, diese Komödie mitzuspielen, nicht wahr?
Ich habe ihr das gleich gesagt und ihr auch beschrieben, wie sehr du dich gewehrt hast. Sie begriff, daß wir alles nur aus lauter Sorge um sie getan haben. Und ich nehme an, wenn sie erst einmal darüber geschlafen hat, wird sie es noch besser verstehen und uns verzeihen. Jedenfalls hat sie mich gebeten, dir auszurichten, daß sie dich morgen früh erwartet.«
»O nein. Nein, Achim, das kann niemand von mir verlangen. Nicht einmal deine Mutter. Ich wüßte ja nicht einmal, wie ich sie anreden sollte. Ich kann sie doch nun wirklich nicht mehr länger als meine Schwiegermutter betrachten.
Das wird sie einsehen, und du bestimmt auch.«
»Ach, es kommt doch gar nicht darauf an, was ich einsehe, Katja. Die Hauptsache ist doch, daß das Verhältnis zwischen dir und Mutter nicht weiter belastet wird, sondern ungetrübt bleibt. Und – wenn du mich fragst – ich bin eigentlich fest überzeugt davon, daß sie dir nicht böse sein wird.«
»Ich habe Angst vor ihr«, sagte Katja, und man sah ihrem Gesicht an, daß sie die Wahrheit sprach. »Oh, Joachim! Ich wollte, wir hätten das nicht getan.«
»Jetzt ist es zu spät für solche Gedanken«, erklärte er und erhob sich. Bald darauf stand er vor ihr und hob ihr Gesicht mit dem Zeigefinger unter ihrem Kinn empor. Er schaute ihr mit leichtem Lächeln in die Augen und murmelte:
»Ach, Katja! Man möchte so vieles ungeschehen machen, was man im Leben verbockt hat. Manchmal fühlt man sich scheußlich hilflos. Aber Gott sei Dank ist das eine Stimmung, die nicht lange bei mir anhält. Und ich glaube, morgen siehst auch du die Dinge mit ganz anderen Augen an.«
»Ich weiß überhaupt noch nicht, wie ich die Nacht herumbringen soll. Ich werde an nichts anderes mehr denken können als daran, daß ich mich morgen vor deiner Mutter rechtfertigen muß.«
»Ach, so würde ich das nicht sehen. Du kennst Mutter anscheinend doch noch nicht so genau, wie ich dachte. Mutter ist der gütigste Mensch, den es gibt. Habe ich dir das nicht schon einmal gesagt?«
»Ja, schon, aber ich...«
»Kein Aber mehr, Katja. Du wirst dich in dein Bett legen und versuchen, ganz ruhig zu sein. Ich bin überzeugt, daß du dich mit Mutter morgen ausgezeichnet verstehen wirst. Es ist kein Grund vorhanden, Angst vor ihr zu haben. Sie hat dich viel zu gern, als daß sie dir lange böse sein könnte.«
Und ehe Katja wußte, was er vorhatte, küßte er sie sanft auf die zuckenden Lippen. Sie wehrte sich nicht, aber sie erwiderte seinen Kuß auch nicht. Sie stand mit hängenden Armen da und blickte ihm nach, wie er ruhig zur Tür ging, sich noch einmal zu ihr umwandte und grüßend die Hand erhob. Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.
Oh, Joachim, dachte Katja zitternd, ich wollte, ich dürfte dich spüren lassen, wie sehr ich dich liebe.
Dann zwang sie sich, ins Schlafzimmer zu gehen, sich auszukleiden und sich ins Bett zu legen. Sie war sicher, die ganze Nacht kein Auge zutun zu können. Aber bereits nach wenigen Sekunden war sie tief und fest eingeschlafen, ohne noch Gelegenheit gehabt zu haben, über alles, was geschehen war, nachdenken zu können.
*
Am nächsten Morgen fühlte sie sich sogar ein klein wenig schuldbewußt, weil sie so herrlich geschlafen hatte und sich so frisch und ausgeruht fühlte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Aber dann, als sie mit Daniela gefrühstückt hatte, und sich bei dem Kind entschuldigte, weil sie zur Fürstin gehen wollte, hatte sie doch wieder starkes Herzklopfen.
Als sie vor der Tür zu der Fürstin Schlafzimmer stand, verspürte sie plötzlich den unbezwinglichen Wunsch, einfach davonzulaufen und sich vor der Aussprache zu drücken.
Aber schon, als sie eine hastige Bewegung machte, um diesem Wunsch nachzugeben, rief die alte Dame von drinnen:
»Bist du es, Katja, mein Kind? Komm herein, ich habe schon auf dich gewartet!«
Da seufzte sie tief und drückte die Klinke herab. Als sie im Zimmer stand, wagte sie kaum, die Fürstin anzuschauen, die sie lächelnd betrachtete.
»Na, nun komm schon her, wie sonst auch, Katja. Ich beiße dich nicht. Ich habe nur das Gefühl, daß wir uns unterhalten müssen, damit alles zwischen uns in Ordnung kommt.«
Katja wagte einen schüchternen Blick zu der Fürstin. Das sah wahrlich nicht nach einem Strafgericht aus. Sie holte noch einmal tief Luft und sagte leise und zaghaft:
»Ich – ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich noch weiterhin du sagen darf.«
»Na, warum denn nicht? Ich sage ja auch noch du zu dir. Das müßte dir doch eigentlich deutlich zeigen, daß ich kein bißchen böse auf dich bin, nicht wahr?«
»Ja, aber es ist mir unverständlich, daß du nicht böse auf mich bist. Ich... immerhin habe ich dich doch schändlich belogen.«
»Ich glaube nicht einmal, daß du mich wissentlich belogen hast, mein Kind. Komm, setz dich zu mir. Im Anfang hast du dich gegen alles gewehrt. Das habe ich deutlich gespürt, ich konnte mir nur nicht erklären, aus welchem Grunde du so – nun, so zurückhaltend warst. Aber dann war das ja wohl vorbei. Ich vermute, du hast dich in die Rolle als Joachims Braut hineingefunden und zeitweilig sogar selbst geglaubt, daß du es tatsächlich bist. Habe ich recht?«
»Zumindest war es ungefähr so«, gab Katja zu und spürte, wie sie brennend rot wurde. Sie saß mit gesenktem Kopf an dem Bett der Fürstin, die ihre Hand ergriff und sie bat:
»Schau mich einmal an, Katja! Ich möchte gern mit dir über Joachim reden.«
»Ja?«
Katja, immer noch schüchtern, nahm sich vor, auf der Hut zu sein, denn die kluge alte Dame hatte die merkwürdige Fähigkeit, in ihren Gesichtszügen ganz genau zu lesen, was in ihr vorging.
»Erinnerst du dich noch, Katja, daß du mir ganz im Anfang deines Hierseins gestanden hast, daß du Joachim liebst? Hat das gestimmt, oder hast du es auch nur gesagt, um mich zu beruhigen?«
»Nein, es stimmt. Ich liebe ihn wirklich. Deshalb ist mir doch alles so entsetzlich schwergefallen. Ich liebe ihn, ich liebe Daniela und ich liebe dich. Aber ich habe mir niemals Illusionen gemacht. Ich habe immer gewußt, daß es eine einseitige Liebe war und auch bleiben muß.«
»Und wenn ich dir jetzt anvertrauen würde, Katja, daß das nicht stimmt? Ich meine, ich weiß ganz genau, daß Joachim dich sehr liebt. Mir ist nur nicht klar, aus welchem Grunde er sich dir noch nicht erklärt hat.«
»Oh, sprich nicht solche Dinge! Ich glaube, es würde über meine Kraft gehen, wenn ich mir Hoffnungen machte, die ich hinterher begraben müßte.«
»Eigentlich hatte ich bisher von mir selbst den Eindruck, eine ganz vernünftige alte Frau zu sein, die sich und anderen nichts vormacht.«
»So habe ich es doch auch gar nicht gemeint. Bei dir ist bestimmt der Wunsch der Vater des Gedankens. Du möchtest, daß aus Joachim und mir ein Paar wird. Und deshalb willst du auch glauben, daß er mich liebt und...«
»Nun, nun, ist denn das wirklich so abwegig? Schließlich liebst du ihn doch auch, nicht wahr? Aus welchem Grund sollte er dich denn dann nicht lieben können?«
»Ich – ich weiß nicht. Ich weiß wirklich nicht, welche Antwort ich dir darauf geben soll«, erwiderte Katja und schlang verzweifelt die Hände ineinander.
»Du kannst auch gar nichts darauf antworten. Es gibt darauf nämlich gar keine Antwort, mein Kind. Jedenfalls keine halbwegs vernünftige. Joachim liebt dich. Ich kenne doch meinen Jungen genau. Immerhin darfst du nicht vergessen, daß ich seine Mutter bin. Und er ist mir sehr ähnlich. Unter einer rauhen Schale verbirgt er seinen weichen Kern. Er will niemanden zeigen, wie verletzlich er eigentlich ist.«
»So kenne ich ihn aber gar nicht«, wehrte sich Katja immer noch.
»Ach, weißt du, ich glaube, du solltest alles auf dich zukommen lassen, mein Kind. Niemand kann mir die Überzeugung nehmen, daß ihr einmal sehr, sehr glücklich miteinander werdet, du und Joachim. Aber alles braucht eben seine Zeit. Ich wollte nur wissen, ob du ja sagen wirst, wenn er dir einen Antrag machen wird.«
»Meinst du wirklich, das würde er tun?« fragte Katja aufgeregt. Ihr Herz klopfte bei diesem Gedanken zum Zerspringen.
Die Fürstin lächelte und nickte ihr zu.
»Ja, das meine ich wirklich.
Wahrscheinlich noch nicht heute und auch nicht morgen, aber es wird bestimmt nicht mehr allzulange dauern, bis er dich fragt, ob du als seine Frau auf Schloß Stolzenfeld bleiben willst. Ich wollte nur gern wissen, was du auf eine solche Fragen antworten würdest.«
»Da kannst du noch fragen? Ich würde mit tausend Freuden ja sagen, ihm um den Hals fallen und ihm sagen, wie sehr ich ihn und euch alle liebe und wie glücklich ich ihn machen möchte.«
»Na also.« Fürstin Margareta machte einen überaus zufriedenen Eindruck. »Das war es, was ich gern wissen wollte. Im Augenblick hat mich nichts anderes interessiert als diese Frage. Nun weiß ich doch wenigstens Bescheid und kann mich auf die Zukunft freuen. Ich stelle mir alles schon bildlich vor, mußt du wissen. Und die Vorstellung, daß ich außer Daniela noch mehr Enkelchen heranwachsen sehe, hat etwas Faszinierendes für mich. Ich glaube, ich werde dann die gesündeste Frau sein, die ihr euch nur vorstellen könnt. Glück kann einen Menschen wirklich ganz gesund machen, nicht wahr?«
Katja mußte, obwohl sie sich in großer Verlegenheit befand, über den Eifer der Fürstin lachen. Dann neigte sie sich zu ihr und küßte sie spontan.
»Ich danke dir, Mutter, daß du nicht zornig auf mich bist. Ich hatte entsetzliche Angst vor dieser Unterredung mit dir. Aber nun bin ich froh, daß sie so verlaufen ist.«
»Ich auch. Natürlich war ich enttäuscht. Aber ich glaube, euch trifft keine Schuld an allem. Ich war es doch, die euch diesen Betrug aufgezwungen hat, weil ich wieder mal mit meinem Mundwerk sehr voreilig gewesen bin. Erinnere dich doch nur, wie ich dich empfangen habe. Kein Mensch kann euch übelnehmen, daß ihr da nicht gewagt habt, mir die reine Wahrheit zu sagen, aus lauter Furcht, ich könnte wieder mal umkippen.
Aber ich schwöre dir, Katja, daß ich mich noch mehr zusammennehmen werde. Ich werde nicht mehr ohnmächtig werden. Und ich werde mich auch nicht mehr aufregen, ganz egal, welche Gespräche auch immer ich belauschen sollte.«
»Darf ich doch noch um etwas bitten, Mutter?« fragte Katja nach einer kleinen Weile.
Die Fürstin sah sie verschmitzt an und nickte ihr herzlich zu, bevor sie antwortete:
»Nein, darum mußt du mich nicht erst bitten, Katja. Es ist ganz klar, daß ich Joachim nicht gleich brühwarm erzähle, wie sehr du ihn liebst.«
»Danke«, hauchte Katja errötend, denn das war es gewesen, um was sie die alte Dame hatte bitten wollen. »Ich finde, du bist die wunderbarste Mutter auf der ganzen Welt. Und ich habe dich sehr lieb.«
»Du glaubst nicht, wie stolz es mich macht, das zu hören. Und nun lauf endlich. Ich werde noch eine Stunde schlafen. Dann sehen wir uns wieder. Ich glaube, ich werde bald wieder aufstehen können. Aber ich wünsche mir sehr, daß Achim endlich diese gräßliche Silvia Werner von hier fortschickt. Ehe sie das Schloß nicht verlassen hat, kann ich nicht mehr richtig atmen. Ich möchte sie auch nicht mehr in meinem Zimmer sehen. Ich kann dieses Mädchen einfach nicht ausstehen. Sie hat genug Unheil über uns gebracht.«
Katja erhob sich und nickte der Fürstin lächelnd zu. Weder sie noch Fürstin Margareta hatten eine Ahnung davon, daß Silvia Werner noch einmal ausholen würde, um alle ins Unglück zu stürzen. Und es war vielleicht ganz gut, das es keiner von ihnen ahnte, denn sonst hätten sie nur noch Furcht und Unsicherheit empfunden.
*
Falls sich Silvia Werner eingebildet hatte, daß sich in dem Verhältnis zwischen Joachim und Katja nun etwas ändern würde, so mußte sie nach spätestens zwei Tagen einsehen, daß sie sich gründlich getäuscht hatte.
Sie hatte Joachim förmlich aufgelauert, weil sie das Gefühl hatte, die Neugierde nicht mehr länger bezähmen zu können. Sie wartete darauf, daß Katja ihre Siebensachen packte und das Schloß verließ. Aber sie wartete bereits zwei Tage und immer noch machte Katja keine Anstalten, zu packen.
Deshalb schlenderte Silvia auf dem Schloßhof umher, als es an der Zeit war, daß Joachim zur Kaffeestunde heimkehrte.
Endlich sah sie ihn kommen. Als sie erkannte, wie gut er im Reitdreß aussah, flammte die Leidenschaft in ihr empor. Sie wollte ihn haben. Sie wollte in seinen Armen liegen, weil sie nur zu genau wußte, welches Feuer der Leidenschaft er entwickeln konnte.
Sie erinnerte sich nur zu gern an ihr kurzes, aber dafür um so stürmischeres Abenteuer mit ihm. Sie konnte eigentlich nicht einmal sagen, aus welchem Grunde sie sich aus den Augen verloren hatten. Aber wahrscheinlich war sie es wieder gewesen, die einen anderen Mann kennengelernt hatte, den sie für sich haben wollte.
Der Fürst war ein Mann, wahrscheinlich der einzige, der ihr jemals im Leben begegnet war, für den sie alles hätte aufgeben können. Ja, sie war sogar fest davon überzeugt, daß sie ihm auch rückhaltlos treu sein konnte, wenn er ihr nur endlich sagen würde, daß er sie liebe und auch heiraten wolle.
Daß er jetzt noch Katja heiraten wollte, das kam ihr gar nicht mehr in den Sinn. In Katja sah sie wirklich keine Konkurrentin mehr, die ihr gefährlich werden konnte...
»Hallo«, sagte er und sprang vom Pferd. Man konnte ihm nicht anmerken, daß er wieder ungeduldig war, wie immer, wenn er unversehens Silvia gegenüberstand. Er begriff einfach nicht, daß sie immer noch auf Schloß Stolzenfels war, und fragte sich, ob er vielleicht doch ein wenig deutlicher sein sollte, damit sie endlich verstand, daß man sie nicht mehr haben wollte. Nur – als sehr höflichem Mann widerstrebte es ihm, einer Frau gegenüber hart sein zu müssen.
»Mir scheint, als hättest du auf mich gewartet«, sagte er, nur um etwas zu sagen.
Silvia lächelte ihn verführerisch an.
»Da hast du nicht mal so unrecht, Joachim. Ich habe tatsächlich auf dich gewartet. Ich möchte gern verschiedene Dinge von dir wissen.«
»Na gut. Dann also los.«
Er sah sie nicht gerade freundlich an. Aber Silvia hatte sich nun einmal vorgenommen, sich endlich Sicherheit und Gewißheit zu verschaffen, und sie wollte auch nicht eher Ruhe geben, bis ihr das gelungen war.
»Eigentlich würde mich nur brennend interessieren, wie lange Katja noch hierzubleiben gedenkt.«
»Es ist überhaupt nie die Rede davon gewesen, daß sie von hier fortgeht«, erwiderte er verblüfft und sah sie forschend an. »Wie kommst du überhaupt zu einer solchen Frage?« wollte er dann wissen.
»Erstaunt es dich, wenn ich eine solche Frage stelle?« erwiderte sie spitz und sah ihn ungeduldig an. »Immerhin weiß deine Mutter jetzt Bescheid, daß ihr in Wirklichkeit gar nicht miteinander verlobt seid. Katja muß also keineswegs hierbleiben.«
»Gestatte, daß ich da anderer Meinung bin als du, Silvia. Mit welchem Recht mischt du dich schon wieder in Dinge, die dich absolut nichts angehen?«
»Ich nehme mir dieses Recht, Achim. Und – kannst du dir nicht selbst ausrechnen, aus welchem Grunde ich mir ein solches Recht nehme?«
Auffordernd und beinahe schon schmachtend wurde ihr Blick. Der Fürst rückte unwillkürlich ein Stückchen weiter von ihr ab, als fürchtete er, sie könnte sich ihm im nächsten Augenblick an den Hals werfen.
»Nein, ich habe keine Ahnung. Ich finde, du benimmst dich überhaupt reichlich seltsam, Silvia.«
»Nun, dann will ich es dir sagen. Wahrscheinlich gehörst du zu der Art von Männern, die sich gern erobern lassen.«
»Aber das will ich keineswegs, ich weiß nicht mal, ob...«, begann er abwehrend. Aber Silvia war entschlossen, sich nun nicht mehr bremsen zu lassen.
Sie sah ihn immer noch schmachtend an und sagte flüsternd, aber bebend vor Leidenschaft und Begehren:
»Ich liebe dich, Joachim. Was meinst du wohl, aus welchem Grunde ich hergekommen bin? Weil ich dich liebe! Und was glaubst du, wie sehr ich gelitten habe, als ich annehmen mußte, du hättest die Frau des Lebens gefunden, als du mir sagtest, daß Katja deine Verlobte sei.«
»Und? Was hat sich daran geändert?« wollte er mißmutig wissen.
»Alles, Joachim. Alles hat sich doch geändert. Du bist nicht mit ihr verlobt. Du brauchst dich in keiner Weise an sie gebunden zu fühlen. Du bist frei. Und ich hoffe sehr, daß du wieder frei für mich bist. Ich bin eine ganz andere geworden. Das beweist doch schon ganz allein die Tatsache, daß ich hergekommen bin, zu dir, nicht wahr?«
»Sprich nicht weiter, Silvia, damit es nicht noch peinlicher für dich wird!« erklärte er gelassen. »Ich bin nicht frei. Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie du das wohl anzunehmen scheinst. Mein Herz ist gebunden. Ich liebe Katja nämlich. Und es wird auch nicht mehr sehr lange dauern, bis ich sie frage, ob sie für immer als meine Frau bei mir bleiben will.«
Nun zuckte sie doch zurück und starrte ihn an, als begriffe sie den Sinn seiner Worte nicht.
»Du – du meinst das doch nicht im Ernst«, stammelte sie und holte tief Luft. »Du willst mir doch nicht einreden, daß du dieses schreckliche Mädchen tatsächlich liebst und heiraten willst?«
»Doch! Es ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht so ernst gewesen wie meine Liebe zu Katja. Ich hoffe, daß wir sehr glücklich miteinander werden und wir noch ein langes gemeinsames Leben vor uns haben.«
»Aber du weißt doch, daß sie mit diesem König liiert gewesen ist!« rief sie zornig aus und stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
»Na und? Warum sollte sie nicht? Du willst mir doch hoffentlich nicht weismachen, daß ich der einzige Mann bin, den du kennst, oder?«
»Das ist auch etwas ganz anderes!« Silvia wurde unsachlich und sehr wütend, als er amüsiert lachte.
»Silvia!« sagte er schließlich.
»Wir sind doch keine kleinen Kinder mehr. Ich finde, wir sollten vernünftig bleiben. Es tut mir leid, aber ich erwidere deine Gefühle für mich nicht. Ich bin sogar fest davon überzeugt, daß sie gar nicht so tief gehen, wie du dir selbst weismachen willst. Ich bin nur eben mal ein Mann, den du nicht haben kannst. Und schon bildest du dir ein, daß du mich unter allen Umständen haben willst.
Das ist gefährlich, Silvia. Aber wenn du erst einmal von Stolzenfels fort bist, wenn du ein klein wenig Abstand gewonnen hast, dann wirst du einsehen, daß ich recht getan habe.«
»Soll das heißen, daß du meine Liebe zurückweist?« zischte sie wütend. In ihren Augen stand blanker Haß, der ihn überraschte.
»Wenn du es denn genau wissen willst – also ja, ich weise deine Liebe zurück, Silvia, weil ich sie nicht erwidern kann.«
»Und du willst wirklich Katja heiraten, nachdem sie so viel Unglück über deine Mutter gebracht hat?«
»Nun, ich denke, an dem Unglück sind wir wohl alle ein wenig schuld. Du auch, Silvia, denn du hast versucht, Katja von hier zu vertreiben und hast ihr eine heftige Szene gemacht. Das war auch nicht recht von dir.«
»Deine Mutter wird niemals damit einverstanden sein, daß du eine Frau heiraten willst, die sich schon als deine Verlobte ausgegeben hat, als sie es noch gar nicht war.«
»O nein, da kann ich dich beruhigen, Silvia. Meine Mutter liebt Katja über alles und würde sich sehr glücklich schätzen, wenn ich sie ihr als Schwiegertochter bringen würde.«
»Das verstehe ich nicht!« Silvia seufzte. Ihre Augen sprühten vor Haß und Zorn und Enttäuschung.
Da trat Joachim auf sie zu und faßte nach ihrem Arm. Und dann sagte er beruhigend:
»Silvia! So sieh doch endlich ein, daß keinerlei Hoffnung besteht, daß ich mich dir am Ende noch einmal zuwenden könnte. Gewiß, die Zeit mit dir war sehr kurz, aber dafür auch sehr nett. Wir haben beide damals nichts Ernsthaftes erleben wollen. Weder du noch ich. Und wenn der eine von uns dann plötzlich der echten Liebe begegnet, dann sollte der andere sich eigentlich darüber freuen. Auch du wirst einmal einem Mann begegnen, der alles in dir zum Aufruhr bringt und der dir...«
»Ich bin diesem Mann schon begegnet, Joachim, dir. Ich kann nicht auf dich verzichten. Mein Leben ist leer ohne dich. Und das sage ich nicht nur so dahin. Ich werde unglücklich sein, wenn es mir nicht gelingt, deine Liebe zu erwecken.«
»Tut mir leid, Silvia. Das ist leider unmöglich. Ich liebe Katja, und ich werde sie heiraten. Ich kann dich nicht lieben, auch dann nicht, wenn es Katja nicht gäbe.«
»Wenn ich nicht glücklich mit dir sein kann, dann soll sie es auch nicht werden können«, zischelte Silvia erregt und wandte sich ab. Sie lief weinend zum Schloß zurück. Kopfschüttelnd blickte der Fürst ihr nach. Silvia war manchmal sehr verdreht. Aber wenn sie sich ein wenig beruhigt hatte, würde sie hoffentlich einsehen, daß es am besten war, wenn sie Stolzenfels verließ und so schnell nicht wieder herkommen würde. Deutlicher konnte er ihr gegenüber doch nun wirklich nicht werden.
Er schüttelte das leise Unbehagen, das von ihm Besitz ergriffen hatte, einfach ab und ging in die Halle, wo Daniela ihm entgegenlief, und ihn voll und ganz in Anspruch nahm, so daß er die unerfreuliche Unterhaltung mit Silvia Werner erst einmal zurückdrängen konnte.
»Habt ihr einen schönen Nachmittag verbracht?« erkundigte er sich, als auch Katja nun auf ihn zutrat und lächelte.
»Denk dir nur, Papa, Katja und ich werden angeln gehen. Wir haben drüben im Schuppen eine Angel gefunden. Und nun will Katja mir zeigen, wie man einen Fisch fängt. Im See gibt es doch sicher sehr viele Fische, nicht wahr?«
»O ja, das glaube ich auch. Nun, ich bin gespannt auf den ersten Fisch, den du mir als selbstgefangen zeigen kannst.«
Sie gingen zu dritt zur Fürstin, die ihnen strahlend entgegenblickte. Sie sah schon wieder viel besser aus. Man merkte ihr an, daß sie glücklich und zufrieden war. Und man konnte ihr auch deutlich ansehen, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis sie das Bett verlassen konnte.
Joachim war überzeugt davon, daß Katja großen Anteil an den gesundheitlichen Fortschritten seiner Mutter hatte, und nahm sich vor, am selben Abend noch, wenn Daniela in ihrem Bett lag, mit Katja zu sprechen und sie zu fragen, ob sie seine Frau werden wollte.
*
Aber das Schicksal hatte anderes mit ihnen vor. Silvia ließ sich zum Abendessen entschuldigen. Katja sah erstaunt auf, als Josefa ihnen erklärte, daß Silvia Kopfschmerzen habe und nicht mehr gestört werden wolle.
Da wurde Joachim verlegen und sagte, so daß die kleine Daniela ihn nicht verstehen konnte:
»Ich halte es auch für richtiger, wenn sie heute abend nicht mehr erscheint. Ich hoffe, daß sie nun endlich bald von Stolzenfels abreisen wird. Wir hatten eine wenig erfreuliche Unterredung miteinander, als ich heimkam.«
»Es tut mir leid. Hoffentlich bin ich nicht wieder schuld an Silvias Verstimmung.«
Katja sagte es ebenso leise wie Joachim und wagte kaum, ihn bei ihren Worten anzuschauen.
»Oh, es war keineswegs eine Verstimmung.« Joachim nickte Daniela auffordernd zu, als sie ihn bittend ansah. Da erhob sie sich und sprang davon, froh, noch ein wenig Zeit herausgeschunden zu haben, ehe sie unweigerlich ins Bett mußte.
»Keine Verstimmung?« Katja fühlte, daß er auf diese Frage gewartet hatte.
»Nein ganz sicher nicht. Es war – also, sie hat mir eigentlich, wenn ich es recht bedenke, einen Heiratsantrag gemacht.«
Katjas Blick wurde fassungslos. Sie konnte sich nicht gut vorstellen, daß eine Frau einem Mann einen Heiratsantrag machte. Auch, wenn eine Frau sich noch so emanzipiert vorkam, war das ihrer Ansicht nach etwas Unmögliches.
»Das ist unvorstellbar für mich«, stieß sie hervor und lächelte gequält.
Joachim nickte und schaute ihr tief in die Augen.
»Das würdest du sicher nicht fertigbringen, wie?« wollte er mit gutmütigem Spott wissen.
Prompt wurde Katja rot und schüttelte den Kopf.
»Nein, um nichts in der Welt würde ich das fertigbringen. Ganz bestimmt nicht.«
»Silvia ist da wohl nicht ganz so zart besaitet wie du. Ich habe ihren Antrag leider nicht annehmen können, deshalb hat sie es wohl auch vorgezogen, nicht zum Abendessen zu erscheinen. Ich hoffe nur von ganzem Herzen, daß sie jetzt endlich Stolzenfels verläßt. Nun wird sie doch eingesehen haben, daß es zwecklos ist, wenn sie länger bleibt.«
Katja war da nicht so sicher, aber sie sagte nichts dazu. Ihr Herz jubelte. Joachim hatte sich der schönen Silvia also doch nicht zugewandt. Katja hatte es so sehr gehofft, aber sie hatte doch ein wenig Furcht gehabt, daß Silvia in ihrer Schönheit und mit all ihrer Verführungskunst doch wohl nicht ohne Eindruck auf Joachim geblieben wäre.
Sie wollte seinen Blicken entfliehen, weil sie fürchtete, er könnte in ihnen die Liebe wahrnehmen, die sie ihm entgegenbrachte. Deshalb erhob sie sich hastig und sagte leise:
»Ich werde Daniela jetzt erst zu Bett bringen.«
»Hast du Lust, noch einen Spaziergang mit mir durch den Park zu machen?« fragte er und sah sie bittend an.
Wieder wurde Katja rot und bekam Herzklopfen, das sie nicht unterdrücken konnte.
Sie nickte und ging schnell hinaus. Und sie mußte an das denken, was Fürstin Margareta ihr gesagt hatte.
Ob Joachim ihr endlich seine Liebe gestehen wollte?
Ach, sie wünschte es sich doch so sehr.
Daniela schien zu merken, daß Katja nicht mit den Gedanken bei ihr war, denn sie lachte sie aus und sagte:
»Du hast mir noch niemals so merkwürdige Antworten gegeben, Katja wie heute abend. Ich werde dich morgen noch einmal fragen, ja?«
»Entschuldige, Kindchen. Ich habe wirklich nicht aufgepaßt.« Katja hauchte ihr einen Kuß auf die Wange. »Ich verspreche dir, morgen wirklich aufmerksamer zu sein.«
»Morgen werden wir die Angeln untersuchen. Ich glaube, man muß da viele Dinge beachten.«
»Ja, Liebling, das muß man. Aber ich verspreche dir, daß ich auf alles achten werde und viel aufmerksamer bin als heute abend.«
»Katja?« fragte Daniela, als sie schon ihre Puppe an sich drückte und in ihrem Bett lag.
»Ja, mein Kleines?« Katja drückte sie an sich.
»Katja, ich habe dich sehr lieb. Und ich finde es wunderbar, daß du dein Versprechen gehalten hast und auf Stolzenfels geblieben bist.«
»Aber das ist doch selbstverständlich. So, und nun wird geschlafen, sonst bist du morgen noch müde und kannst nicht mal die Angel auswerfen.«
Gehorsam rutschte Daniela unter die Decke und blickte Katja lächelnd nach. Alles an dem Kind war vertraut und fröhlich.
*
Katja wußte, daß sie einen großen Anteil an dem veränderten Wesen des früher so scheuen Kindes hatte. Und das machte sie auf eine besondere Weise sehr glücklich.
Ihr Herz klopfte, als sie durch die Halle ging. Sie würde mit Joachim in den Park gehen. Und sie wollte sich anhören, was er ihr zu sagen hatte. Sie wünschte sich so sehr, daß er ihr endlich seine Liebe gestehen sollte. Sie würde ihm beweisen, wie glücklich sie ihn machen wollte, wenn er es ihr nur gestattete.
Aber da tauchte Silvia auf. Sie trug einen engen schwarzen Hosenanzug, der ihre ausgeprägten weiblichen Formen freizügig zeigte. Katja blieb unwillkürlich stehen.
»Joachim wartet auf Sie. Ich glaube, er ist schon in den Park vorausgegangen. Er war ziemlich ungeduldig, weil Sie noch nicht da waren.«
»Oh, danke, daß Sie es mir ausgerichtet haben. Ich werde ihm sofort nachgehen, damit er nicht noch länger auf mich warten muß«, entgegnete Katja lächelnd und ging schnell an Silvia vorüber, die steif in ihrer Ecke stehenblieb.
Silvia holte tief Luft und flüsterte:
»Ich wollte es vermeiden, aber ihr habt es beide nicht anders gewollt. Nun müßt ihr eben sehen, wie es ist, wenn man doch nicht glücklich werden kann, obwohl man schon geglaubt hatte, nur nach dem Glück greifen zu müssen, um es festhalten zu können.«
Dann verschwand sie, ohne ein Geräusch zu machen, im Arbeitszimmer Joachims, das sie dann leise über die Terrasse verließ. Sie war kaum von den Bäumen zu unterscheiden in ihrem dunklen Hosenanzug. Sie hatte ihn eigens aus diesem Grund ausgewählt, ohne sich vorher zu überlegen, was sie tun würde.
Nun aber, wußte sie es. Es war ganz leicht gewesen, eines der Jagdgewehre aus dem Jagdschrank zu nehmen. Natürlich wollte sie Katja nicht erschießen. Dazu war sie doch nicht fähig. Aber sie wollte ihr einen ordentlichen Denkzettel verabreichen, den sie lange nicht vergessen sollte.
Silvia ging ein wenig geduckt, das Jagdgewehr im Anschlag. Joachim hatte sie gar nicht gesehen. Sie hatte Katja nur im Park haben wollen, damit sie ihr endlich Angst einjagen konnte, tödliche Angst. Sie hoffte und wünschte sich nur von ganzem Herzen, daß sie dann endlich von Stolzenfels fortgehen würde.
Sie lächelte böse. Wie gefährlich das war, was sie vorhatte, machte sie sich erst gar nicht klar. Sie konnte auch nicht mehr vernünftig denken, denn alles in ihr fieberte förmlich danach, Katja zu treffen und ihr solche Angst einzujagen, daß sie Hals über Kopf vom Schloß verschwinden würde. Dann war der Weg wieder frei.
Und dann würde sich Joachim auch ihr, Silvia, zuwenden. Es lag ja in ihrer Hand. Männer waren wie Kinder und kleine Tiere. Sie wandten sich immer demjenigen zu, der gerade greifbar war. Sie konnte und mochte nicht einsehen, daß es bei Fürst Joachim anders sein sollte.
*
Katja verbarg die Hände in den Taschen ihres weiten, schwingenden Rockes. Sie zitterten vor Aufregung und waren ganz feucht.
Aber sosehr sie sich auch nach Joachim umschaute, sie vermochte ihn nirgendwo zu entdecken. Schließlich war sie sicher, daß Silvia sich mit ihr wieder einen ihrer Scherze erlaubt hatte und Joachim gar nicht in den Park vorausgegangen war.
Verärgert, weil sie wieder auf Silvia hereingefallen war, machte sie kehrt, um zum Schloß zurückzugehen.
Aber sie blieb wie angewurzelt stehen, als sie ein Geräusch hörte und dann auch glaubte, einen dunklen Schatten gesehen zu haben.
»Joachim?« rief sie lauschend in das Dunkel.
Es kam keine Antwort. Katja hatte plötzlich das Gefühl drohender, ja, tödlicher Gefahr. Sie hatte Angst. Und irgendwie wollte sie wieder ins Helle, ins Schloß zurückgelangen. Aber dazu war es zu spät.
Sie hörte einen scharfen, peitschenden Knall und spürte im gleichen Moment einen heißen Schmerz an ihrer Schulter. Sie wollte aufschreien, Joachims Namen rufen, damit er ihr zur Hilfe eilen konnte, aber sie stöhnte nur leise. Dann wußte sie nichts mehr. Sie spürte schon gar nicht mehr, daß sie lang ins Gras hinschlug.
Der dünne weiße Pullover, den sie zu ihrem schwingenden Rock trug, färbte sich rot...
*
Silvia ließ das Gewehr sinken und stand eine Weile wie erstarrt. Habe ich sie doch getroffen? Ich wollte sie doch nicht töten. Der Schuß sollte über sie hinweggehen.
Wie von Furien gehetzt rannte sie zurück zum Schloß, das sie auf dem gleichen Weg erreichte, auf dem sie es verlassen hatte.
Zitternd stellte sie das Jagdgewehr in den Schrank zurück und eilte nach oben in ihr Zimmer.
Dort zog sie sich mit fliegenden Händen aus und schlüpfte unter die Bettdecke, die sie sich über die Ohren zog. Am besten war es, wenn sie nichts mehr hörte und sah. Aber sie ahnte, daß sie doch nicht würde schlafen können.
Wenig später schlug sie die Decke wieder zurück und lauschte auf die Geräusche im Schloß. Hörte man denn immer noch keine aufgeregten Stimmen?
Nein, es blieb alles still. Man hatte Katja noch nicht gefunden.
Silvia beruhigte sich langsam. Wahrscheinlich war Katja tot. Man würde ihr, Silvia, nichts nachweisen können. Niemand hatte sie gesehen. Und niemand ahnte, daß sie sich ein Gewehr genommen hatte, um Katja in Angst und Schrecken zu jagen, damit sie endlich von Stolzenfels fortging. Also würde auch niemand auf den Gedanken kommen, sie zu verdächtigen.
Silvia fühlte sich sicherer werden.
Vielleicht war es noch nicht einmal das Schlechteste, wenn Katja tot war. Dann war der Weg wirklich frei für sie. Und dann würde sie Joachim nie mehr loslassen.
Aufatmend ließ sich Silvia in ihre Kissen zurückgleiten, als sie so weit mit ihrem Gedanken gekommen war. Bei ihr bewahrheitete sich das Sprichwort vom guten Gewissen, das ein sanftes Ruhekissen bedeutet, keineswegs, denn wenig später schlief sie tief und fest. Silvia Werner hatte überhaupt kein Gewissen...
*
Joachim wurde allmählich ungehalten. Er hatte Katja gebeten, mit ihm in den Park zu kommen. Warum erschien sie nicht?
Er wartete noch eine halbe Stunde, dann ging er allein in den Park, wütend und enttäuscht, daß Katja ihn nicht begleiten wollte, obwohl sie es ihm doch fest versprochen hatte.
Er schob die Hände, die er unwillkürlich zu Fäusten geballt hatte, in die Taschen seiner hellen Hose und hatte den Kopf ein wenig vorgeneigt.
Unruhig ging er über die gepflegten Parkwege und überlegte sich gerade, ob er nicht einfach an Katjas Zimmertür klopfen und sie fragen sollte, ob sie ihn ganz vergessen hätte.
Als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen und gelähmt, so plötzlich blieb er stehen, als er die zusammengesunkene Gestalt auf der Erde entdeckte.
Noch ehe er sie umgewendet hatte, wußte er, daß es niemand anders als Katja war.
Er drehte sie vorsichtig um. Und dann starrte er entsetzt auf den Flecken an ihrer Schulter, der langsam größer wurde.
»O nein«, stammelte er. »Katja! Was haben sie dir nun wieder angetan? Wer mag das nur gewesen sein?
Wer haßt dich so sehr, daß er deinen Tod wünschen könnte?«
Behutsam hob er sie auf und trug sie, so schnell es ging, zum Schloß. Josefa sah ihn voller Entsetzen an, als er die Halle betrat.
»Schnell! Kommen Sie und helfen Sie mir, Josefa! Und dann muß nach Dr. Berger telefoniert werden. Katja ist anscheinend schwer verletzt.«
Josefa rannte die Treppe empor und öffnete Katjas Zimmertür. Sie schloß sie sofort wieder, als Joachim eingetreten war. Behutsam legte er die leblose Katja auf ihr Bett und sagte keuchend:
»Sie sollten sie vielleicht auskleiden, Josefa, während ich mit Dr. Berger telefoniere.«
Er wartete Josefas Reaktion erst gar nicht ab, sondern eilte hinaus zum Telefon.
Wenig später kam er zurück. Josefa hatte die verletzte Schulter Katjas notdürftig verbunden. Aber auch der Verband half nicht viel. Das Blut sickerte langsam, aber stetig hindurch.
»Dr. Berger kommt sofort, Josefa. Wie konnte das nur geschehen?«
»Wenn Sie mich fragen, Durchlaucht, dann ist das eine Schußwunde«, erwiderte Josefa und sah ihn offen an.
Joachim zuckte zusammen und betrachtete Josefa, als zweifelte er an ihrem Verstand. Aber Josefas Blick war klar, er war wachsam und zeigte, daß sie beileibe nicht den Verstand verloren hatte.
»Aber wer sollte sie denn so hassen, daß er sie hat töten wollen?« fragte er und gab sich gleich darauf die Antwort selbst.
Silvia, dachte er, sie hat mir doch wortwörtlich gesagt, daß sie auch nicht glücklich mit mir werden soll. Sie hat auf Katja geschossen.
Mein Gott, dachte er voller Abscheu und Verzweiflung. Ich habe gewußt, daß sie boshaft ist. Aber ich hätte mir niemals träumen lassen, daß sie dazu fähig sein könnte, auf Katja zu schießen. Welche Abgründe tun sich einem auf?
*
Er stand noch vor Katjas Bett, als Dr. Berger eintraf und den Verband, den Josefa ihr angelegt hatte, löste.
Auch Dr. Berger erschrak, als er feststellte, daß Josefa recht gehabt hatte, als sie behauptete, es handle sich um eine Schußwunde.
»Man hat tatsächlich auf die junge Dame geschossen. Aber gottlob ist es ein Streifschuß. Es ist eine Fleischwunde. Sie wird ein bißchen erschöpft sein, weil sie ziemlich viel Blut verloren hat. Ich werde die Wunde behandeln und ihr eine Tetanusinjektion geben. Dann ist sie bald wieder in Ordnung. Aber ich würde an Ihrer Stelle doch Nachforschungen anstellen, Durchlaucht. Derjenige, der so etwas tut, wird beim nächsten Mal besser zielen.«
»Es wird für diesen Verbrecher kein nächstes Mal geben. Ich möchte Sie bitten, lieber Dr. Berger, Stillschweigen zu bewahren. Oder sind Sie verpflichtet, diese Art von Verletzungen zu melden?«
»Nun, ich würde sagen, es ist eine reine Ermessensfrage. Sie scheinen Wert darauf zu legen, daß Stillschweigen gewahrt bleibt.«
»Allerdings«, stieß Joachim zwischen den Zähnen hervor. »Ich habe absolut kein Interesse daran, daß diese Sache an die große Glocke gehängt wird. Wenn es sich also mit Ihrem Gewissen vereinbaren läßt, dann bewahren Sie bitte Stillschweigen.«
»Sie können sich auf mich verlassen, Durchlaucht. Sie scheinen den Täter zu kennen. Und sicherlich werden Sie auch dafür sorgen, daß es sich nicht wiederholen kann.«
Dr. Berger hatte den Riß, den die Kugel gezogen hatte, mit zwei Klammern geschlossen und klebte ein ansehnliches Pflaster über die Wunde. Dann richtete er sich auf, machte Katja eine Injektion und erhob sich.
»Ich werde morgen noch einmal vorbeischauen. Aber es wird einige Tage dauern, bis ich die Klammern entfernen kann. Machen Sie sich keine Sorgen, Durchlaucht. Die junge Dame wird außer einer kleinen Narbe nichts zurückbehalten. Sie hat noch einmal Glück gehabt.«
Joachim nickte. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Katja sah aber auch zu blaß und elend aus. Und wenn er daran dachte, daß er seiner Mutter alles erzählen mußte, wurde ihm ganz übel. Irgendwie mußte er es vertuschen. Er würde sich überlegen müssen, was er den anderen erzählte. Niemand sollte wissen, was sich hier zugetragen hatte.
»Soll ich bei Fräulein Katja sitzen bleiben, bis sie aus ihrer Ohnmacht aufgewacht ist?« wollte Josefa wissen, nachdem sie den blutbesudelten Pullover und auch die Verbandsreste fortgeräumt hatte, so daß das Zimmer wieder sauber war und man nichts mehr merkte.
»Nein, vielen Dank, Josefa. Ich werde bei ihr bleiben.«
Josefa sah ihn aus klugen Augen wissend und zufrieden an. Dann nickte sie ihm zu und ging schnell aus dem Zimmer, als hätte sie deutlich gefühlt, wie begierig er war, endlich mit Katja allein sein zu können.
*
Joachim löschte das große Deckenlicht, als Josefa gegangen war, und stellte die hübsche Lampe auf dem Nachttisch so, daß ihr Schein nicht auf Katjas Gesicht fiel und sie stören konnte. Dann ließ er sich langsam und behutsam auf ihrem Bett nieder und war entschlossen, nicht eher wieder das Zimmer zu verlassen, bis er davon überzeugt sein konnte, daß es ihr besserging.
Wie lange er so gesessen und ihr schönes Gesicht betrachtet hatte, wußte er hinterher nicht mehr zu sagen, denn er hatte das Gefühl für die Zeit vollständig verloren.
Katja seufzte einmal leise und drehte den Kopf unruhig zur Seite. Da strich er ihr über die Stirn und flüsterte ihren Namen.
Als hätte sie nur darauf gewartet, von ihm angerufen zu werden, zuckte sie zusammen und öffnete mühsam die Augen.
Sie erkannte ihn sofort, aber sie schien noch nicht zu wissen, was mit ihr geschehen war, denn sie sagte leise:
»Oh, Joachim, da bist du ja. Ich habe im Park auf dich gewartet. Aber du bist nicht gekommen.«
Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Sie hatte bemerkt, daß sie in ihrem Zimmer, in ihrem Bett lag, und sie sah ihn entsetzt an.
»Joachim!« stammelte sie, und er sah voller Mitleid, wie ihre Lippen vor Angst zu zittern begannen.
»Sei ganz ruhig, Katja, mein Liebes! Sei ganz ruhig. Ich bin bei dir. Niemand kann dir mehr etwas tun.«
»Ich – ich glaube, jemand hat auf mich geschossen.«
»Ich weiß«, sagte er. »Ich habe dich gefunden, als ich, ziemlich verärgert, weil du nicht kamst, allein in den Park gegangen bin. Warum hast du denn nicht auf mich gewartet, Katja?«
»Aber Joachim! Erinnerst du dich denn nicht mehr? Du hast mir doch ausrichten lassen, daß du im Park auf mich warten würdest.«
»Wer hat dir das ausgerichtet?« fragte er aufhorchend, und wußte die Antwort ehe sie etwas sagte.
»Silvia! Ich begegnete ihr in der Halle. Und da sagte sie mir...«
»Natürlich habe ich ihr nichts gesagt, ich habe sie noch nicht einmal gesehen. Ich würde ihr zu allerletzt etwas für dich ausrichten, weil ich doch genau weiß, wie schrecklich eifersüchtig sie auf dich ist.«
»Oh! Daran habe ich nicht gedacht. Ich fürchte, ich habe überhaupt an nichts gedacht, außer daran, daß ich so schnell wie möglich in den Park wollte.«
Da konnte er sich nicht mehr länger zurückhalten. Er neigte sich über sie und küßte zart ihre Lippen und dann ihre schönen blauen Augen.
»Katja! Ich wäre meines Lebens nicht mehr froh geworden, wenn dir etwas zugestoßen wäre!« raunte er an ihrem Ohr.
»Du glaubst, daß sie es gewesen ist, nicht wahr?« wollte sie leise wissen. Alles war gut. Er war bei ihr und hatte sie geküßt. Nun konnte ihr nichts, aber auch gar nichts mehr geschehen.
»Ich bin überzeugt davon, daß sie es war. Aber du sollst nicht mehr daran denken, Liebes. Sie wird keine Gelegenheit mehr haben, noch etwas Böses zu tun. Morgen werde ich sie zum Teufel jagen.«
»Es klingt vielleicht sehr roh, aber ich bin heilfroh, wenn sie nicht mehr hier ist.« Katja lächelte und sah ihn verliebt an.
»Ich liebe dich, Katja. Ich liebe dich seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Es scheint mein Schicksal zu sein, dich immer verletzt aufzufinden und auch immer in irgendeinem Zusammenhang mit deiner Verletzung zu stehen. Ich schwöre dir, Liebling, das wird nie mehr vorkommen, denn ich werde dafür Sorge tragen, daß du von heute an der am besten beschützte Mensch auf Stolzenfels bist.«
»Ich bin so glücklich«, murmelte Katja und sah ihn verliebt an. Ihre Augen glänzten, aber es waren Tränen des Glücks, die sie so funkeln ließen.
Er neigte sich immer wieder über sie, um sie zu küssen, denn er hatte das Gefühl, als hätte er eine ganze Menge nachzuholen.
Es war schon Mitternacht, als Katja endlich ermattet und glücklich einschlief. Joachim setzte sich in einen Sessel und deckte sich eine Decke über, denn er wollte Katja, solange Silvia noch im Schloß war, nicht allein lassen.
*
Silvia wollte gerade zum Frühstück nach unten gehen, als Josefa an ihrer Zimmertür klopfte. Silvia sah sie erstaunt und unsicher an.
»Was wollen Sie denn schon so früh hier, Josefa? fragte sie kalt.
»Ich habe Ihnen vom Fürsten auszurichten, daß er Sie augenblicklich im Arbeitszimmer erwartet.«
»Noch vor dem Frühstück?« fragte Silvia und bemühte sich vergebens, ihrer unsicheren Stimme einen vorwurfsvollen Ton zu verleihen.
»Noch vor dem Frühstück, Fräulein Werner.«
Josefa blieb ganz ruhig, was Silvia immer mehr verunsicherte, obwohl sie sich alle Mühe gab, sich das nicht anmerken zu lassen.
»Na schön. In diesem Schloß braucht man sich wohl allmählich über gar nichts mehr zu wundern.«
Silvia warf ihr Haar in den Nacken und ging nach unten.
Fürst Joachim saß hinter seinem Schreibtisch, als sie bei ihm eintrat. Sobald er ihrer ansichtig wurde, erhob er sich und kam ihr um den Schreibtisch herum entgegen.
»Du siehst ziemlich feierlich aus, wie ich feststellen muß«, begann sie spöttisch.
»Es ist gestern abend im Park auf Katja geschossen worden.«
Silvia starrte ihn an und murmelte dann mit zuckenden Lippen:
»Aber das ist ja entsetzlich! Weiß man schon, wer es war?«
»Niemand weiß es außer Katja und mir!« Joachims Blick schien sie nicht mehr loslassen zu wollen.
Silvia fuhr sich unwillkürlich mit den Händen an die Kehle und stieß hervor:
»Und wer war es?«
»Du, Silvia!«
Sie starrte ihn an, zitternd, unsicher und angstvoll, ein Bild des schlechten Gewissens.
»Joachim!« stieß sie hervor. »Wie kannst du denn so etwas behaupten? Welchen Grund sollte ich zu einer solch schrecklichen Tat haben?«
»Eifersucht«, sagte er und zuckte die Schultern. »Aus Eifersucht ist schon viel Unheil angerichtet worden!«
»Aber doch nicht von mir!« schrie sie gepeinigt auf.
»Warum hast du auf sie geschossen?«
»Ich war es nicht, Joachim, du mußt mir glauben! Ich kann gar nicht mit einem Gewehr umgehen.«
»Das wird sich feststellen lassen, wenn man die Fingerabdrücke nimmt und sie mit deinen vergleicht.
Es gibt auch verräterische Schmauchspuren.«
»Aber das ist unmöglich! Ich habe doch Handschuhe angehabt.«
Zu spät erkannte Silvia, daß sie ihm in die Falle gegangen war. Kraftlos sank sie in einen Sessel und bedeckte schluchzend das Gesicht mit beiden Händen. Sie bot ein Bild des Jammers.
Aber Fürst Joachim war weit davon entfernt, noch Mitleid mit ihr zu empfinden.
Groß und drohend stand er vor ihr und blickte kalt auf sie herab.
»Du wirst Schloß Stolzenfels augenblicklich verlassen, Silvia, wenn du nicht willst, daß ich dich der Polizei übergebe! Und du kannst mir glauben, daß es mir auf einen Skandal nicht ankommen würde. Es ist kaum zu vermuten, daß du ungeschoren aus der Sache herauskommen würdest.«
»Aber – aber ich habe es doch nur aus Liebe getan.«
»Nein, das ist keine Liebe. Das war nichts weiter als haßerfüllte und tödliche Eifersucht. Ich will dich nie wieder hier sehen, Silvia. Während ich hier mit dir gesprochen habe, hat Josefa mit zwei Mädchen deine Koffer gepackt. Der Chauffeur hat den Auftrag, deinen Wagen vorzufahren. Du wirst nicht eine Minute ohne Aufsicht sein, bis du Stolzenfels endlich verlassen hast. Solltest du die Dreistigkeit besitzen, noch einmal hier aufzutauchen, würde ich dich der Polizei ausliefern. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt.«
Sie duckte sich unter seinen harten Worten. Man sah ihr an, daß sie nun wirklich litt. Aber Fürst Joachim war nicht in der Lage, Mitleid mit ihr zu empfinden. Er blickte ihr aus kalten Augen nach, als sie sich endlich erhob und unsicher davonwankte.
»Denk daran, Silvia, ich will dich nie mehr hier sehen! Halte dich daran, dann wirst du vielleicht Ruhe vor mir haben.«
Sie wandte sich noch nicht einmal um, als sie davonwankte. Sie mußte sich am Treppengeländer hochziehen, so kraftlos fühlte sie sich plötzlich.
Droben an der Treppe stand Josefa und sah sie verächtlich an.
»Ihr Gepäck befindet sich schon in Ihrem Wagen. Es ist nichts mehr in Ihrem Zimmer, Fräulein Werner.
Kommen Sie, ich werde Sie zu Ihrem Wagen bringen.«
Silvia drehte sich um und stieg die Treppe hinab. Als sie an Joachim vorüberging, sah sie ihn bittend an. Aber seine hellen Augen schienen nur durch sie hindurchzusehen. Da schluchzte sie noch einmal und ging hinaus. Ihre Schritte wurden immer schneller, bis sie schließlich zu ihrem Wagen lief, sich hineinwarf und mit lautem Knall die Tür hinter sich zuwarf.
Ruhig stand der Fürst am Portal und blickte ihr nach, wie sie davonfuhr. Dann atmete er tief durch, als wäre er von einer schweren Last befreit, und wandte sich um, um zu Katja zu gehen und sich zu erkundigen, wie es ihr ging.
*
Ein Jahr war vergangen. Es war Sommer. Katja, ihr Mann, ihre Schwiegermutter und Daniela saßen auf der großen Wiese beim Kaffee. Es war Katja deutlich anzumerken, daß sie bald ein Kind haben würde.
Niemand konnte Fürstin Margarete noch ansehen, wie krank sie einmal gewesen war.
»Ihr solltet vielleicht einen Spaziergang machen, ihr zwei«, forderte sie Katja und Joachim auf und lächelte ihnen zu. »Bewegung kann Katja nicht schaden. Ich glaube, das ist nur gut für sie. Wer weiß, wie lange ihr noch im Park spazieren gehen könnt.«
Daniela lehnte sich zärtlich an die Großmama und blickte Vater und Mutter nach, wie sie eng umschlungen zwischen den prächtig blühenden Bäumen und Blumen verschwanden. Auch das kleine Mädchen machte einen zufriedenen und ausgeglichenen Eindruck.
»Wann wird denn nun endlich das Brüderchen zur Welt kommen, Großmama?« fragte Daniela.
»Bald, mein Herzchen, bald«, erwiderte die alte Dame mit glücklich strahlenden Augen und nickte.
»Irgendwann, in den nächsten Tagen oder Nächten, wird es dasein. Und es wird ein niedliches kleines Kind sein, das du bestimmt sehr lieb haben wirst.«
»Ich habe schon so lange darauf gewartet.« Daniela umarmte ihre Großmama und sah zu ihr auf. »Werden sie mich auch immer noch liebhaben, wenn das Brüderchen da ist?«
Da legte die Fürstin beide Arme um das schmale Körperchen des kleinen Mädchens und drückte es fest an sich.
»Papa und Mama werden dich immer liebhaben, Herzchen. Auch wenn du schon groß bist und selbst Kinder hast, werden Papa und Mama dich noch so lieb haben wie jetzt.«
Da war Daniela etwas beruhigt. Sie sah zum Schloß hinüber, wo Josefa erschien und eisgekühlte Limonade brachte. Daniela lief ihr entgegen. Josefa konnte wundervoll von kleinen Kindern erzählen.
Fürstin Margarete blickte ihr lachend nach. Sie wußte, daß das Glück nie mehr von Stolzenfels fortgehen würde, solange die Liebe daheim war. Und daß sie das sein würde, das sah doch ein Blinder. Sie hatte noch nie im Leben ein glücklicheres Paar gesehen als Joachim und Katja.