Читать книгу Aufstiegslieder - Beate Schütz - Страница 3

Der Weg des Friedens

Оглавление

Zur Einführung

… auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“ (Lukas 1,79) Mit dieser Bitte endet das Benedictus, der Lobgesang, den Zacharias auf die Geburt seines Sohnes Johannes anstimmt. Begeistert feiert er Gott dafür, dass der Erlöser endlich auf dem Weg ist. Der Retter aus der Höhe bringt sein Licht in die tiefsten Verliese des Todes und zeigt den Geretteten den Weg hinaus ins Leben. Er weist sie auf den ‚Weg des Friedens‘. Ich stelle mir vor, wie die Befreiten blinzelnd im hellen Tageslicht stehen und sich nach ihrer langen Kerkerhaft erst einmal fremd vorkommen in dieser bunten, lebendigen Welt. Wie funktioniert das Leben hier in der Freiheit noch mal?

Solche ‚Todeskerker‘ gibt es überall. Da ist der Geflüchtete, der miterleben musste, wie seine Kameraden im Meer ertranken; da ist die Nachbarin, die den Unfall als Einzige knapp überlebte; da ist die junge Frau, die nach jahrelangem Missbrauch ihren Peinigern entkommt. Für sie alle ist hinterher nichts mehr wie vorher. Die selbstverständlichen Sicherheiten sind zerbrochen. Das Vertrauen, dass das Leben und meine Mitmenschen es gut mit mir meinen, ist zutiefst erschüttert. Das Schlimmste ist geschehen und es kann jederzeit wieder geschehen. Wie kann einer, der den Todeskerker überlebte, wieder Fuß fassen im Land des Lebens?

Schon im Alten Testament finden sich Texte und Lieder, die um Sinn im Leiden ringen und den Weg aus der Dunkelheit zurück ans Licht suchen. Die kleine Gruppe der „Wallfahrtspsalmen“ beschreibt diesen Weg von der Todeserfahrung zu einem neuen, erfüllten Leben mit vielfältigen Bildern und Zusagen. Wörtlich übersetzt lautet die Überschrift: ‚Lied des Aufstiegs‘. Diese Aufwärtsbewegung kann man auf unterschiedliche Weise verstehen. Manche Ausleger deuten die Psalmen als Pilgerlieder für den Weg zur Bergstadt Jerusalem oder als Gesänge auf den Stufen des Tempels. Man kann sie aber auch als allgemeine Beschreibung einer Flucht aus Todesgefahr lesen und in ihnen Stationen eines Weges zurück ins Land des Friedens und des gesegneten Lebens entdecken.

Dabei treffen ganz unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Aspekte manchmal geradezu verstörend aufeinander. Die Lieder schreien die erinnerte Angst und den Schmerz heraus, mit dem die Gewalttat die Psalmbeter zurückgelassen hat. Sie beklagen die Zerbrechlichkeit des Friedens und singen von der Sehnsucht nach einem Leben in Sicherheit und in heilsamen Beziehungen. Tastend suchen sie, das zerschlagene Vertrauen wiederzugewinnen, jubelnd feiern sie die noch immer unfassbare Rettung, als längst alles verloren schien. Dabei ist der mühsame und schmerzhafte Weg in jedem Moment umfangen von der Zuversicht, dass Gott über jeden Schritt wacht. Am Ende mündet der Psalm ins Gotteslob, in die Feier seines Friedensreichs und seiner Gemeinschaft und in die Verkündigung seines Segens, der von der Gottesstadt ausgeht und die gesamte Schöpfung durchzieht.

Schritt für Schritt findet der Geflüchtete seinen Weg in die Gemeinschaft der Menschen, die Gott und seinen Frieden suchen. In der Sicherheit dieser Gemeinschaft kann er sich den verstörenden Erinnerungen stellen. Sie bietet ihm Bilder und Worte, sein Erleben auszudrücken und gleichzeitig Gottes rettendes Eingreifen darin zu erkennen. So kann sein Vertrauen auf Gottes verlässliche Zuwendung wachsen, die neue Perspektiven eröffnet und Kräfte freisetzt, auch zukünftige Schicksalsschläge zu überstehen. Als so Gesegneter wird er Teil von Gottes Segensstrom, der beständig in diese Welt der Zerstörung und des Todes fließt, um Leben zu schaffen, zu retten, zu erhalten und zu segnen.

Auch wenn es zunächst so scheinen mag: Die Lieder besingen keinen glatten Highway zum Schalom, dem befriedeten Leben. Die Reise dorthin ist komplexer als jedes noch so durchdachte Heilungsprogramm. Schon überwunden geglaubte Erinnerungen brechen erneut auf und der Gerettete muss wieder um das Vertrauen in Gott, seine Mitmenschen und in die Zukunft ringen. Der Frieden, den er sucht, scheint flüchtig, und doch führt ihn jeder Schritt tiefer in das Friedensland hinein. Manche der Bilder, mit denen der Sänger sein Erleben beschreibt, sind uns heute fremd, ja verstörend, und wir müssen sie uns erst mühsam erschließen. Nicht alles lässt sich bis ins Letzte erklären, aber hinter allen Berichten, Schreien und Gebeten finden wir dieselben Fragen, Gefühle, Sehnsüchte und Hoffnungen, die uns auch heute noch umtreiben.

Das Zeugnis der Sänger beginnt mit dem dankbaren Ausruf: „Ich rief zu Jahwe in meiner Not und er antwortete mir!“ Die Antwort Jahwes leitet uns durch fünf Zyklen von je drei Psalmen. Jede dieser Runden baut auf das auf, was der Wanderer in der vorigen Runde erkannt und verinnerlicht hat. So gleicht der Weg aus dem Kriegs– ins Friedensland einer Spirale, die mehrfach dieselben Themen abschreitet, so dass die im Kriegsland geschlagenen Wunden auf immer tieferen Ebenen Heilung finden. Schritt für Schritt findet der Wanderer in die Gemeinschaft der Friedensmenschen hinein, immer wieder gehen das Ich und das Wir ineinander über. Der einsame Pilger findet seinen Platz in der Solidargemeinschaft seines Volkes Israels. In dessen Geschichte findet er den eigenen Weg vorgezeichnet, sie wird ihm zur Quelle der Zuversicht. Israel kennt die Bedrohung des Lebens im Alltag wie in der großen Geschichte. Zugleich lebt es aus der Erfahrung, dass Gott seine Leute wundersam vor ihren Feinden rettet. So versichern sich der einzelne Wanderer und die gesamte Pilgergruppe immer wieder gegenseitig der rettenden, bewahrenden und segnenden Gegenwart des treuen Gottes auf ihrem langen Weg bis zum Ziel - Leben in Ewigkeit.

Aufstiegslieder

Подняться наверх