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Kapitel 3: Menschen

Auszug aus dem Kompendium des Wissens:

Der Mensch ist ein höheres Säugetier aus der Ordnung der Primaten in der Untergruppe der Trockennasenaffen. Der Mensch ist die einzige überlebende höhere Spezies des Planeten Erde und seit ca. 13.8 Mrd. NUK fossil belegt.

Menschen gelten als die erste bekannte Spezies der Stufe 4 und erlebten ihre größte Ausbreitung im Jahre 28 Mrd. NUK. Nach dem Erreichen ihres kulturellen Höhepunkts erlebten sie eine Phase des Niedergangs, die fast zu ihrem völligen Aussterben führte (siehe Die große Einsamkeit). Erst der Kontakt zu weiteren intelligenten Arten ab dem Jahre 34 Mrd. NUK, beendete die kulturelle Stagnation und führte zu einer neuen Blütezeit.

Erfahren Sie mehr über die Menschen in den Abschnitten Geschichte, Lebensweise und Fortpflanzung.

»Willkommen Jim«, weckte ihn eine sanfte Frauenstimme. Er öffnete die Augen und sah auf die klinisch weißen Wände der Erwachungskammer. Seine Hände wanderten zu der Stelle, an der eben noch das Tentakel der Bellemon aus ihm geragt hatte. Die Berührung der unversehrten Bauchdecke beruhigte seine aufgewühlten Gedanken.

»Ich beglückwünsche dich zu der erfolgreich abgeschlossenen Mission«, sagte die Stimme in einem warmherzigen Tonfall.

Jim zog die nackten Augenbrauen hoch. Mit unsicheren Schritten trat er aus der Kammer und wankte zu einem Tisch hinüber. Ein Satz weißer Kleidungsstücke lag ordentlich zusammengefaltet vor ihm. »Waren wir erfolgreich?«, fragte er in den Raum hinein.

»Healy berichtete mir, dass die Bellemon mitsamt ihrer Eier abgezogen ist. Die Gobis haben ihre Angriffe eingestellt. Er lobte ausdrücklich dein Verhandlungsgeschick.«

Jim stieß ein verächtliches Lachen aus und zog sich das Hemd über den kahlen Kopf. »Dieser freche kleine Pelzball.« Er griff erneut zur Ablage und zog sich eine dünne Stoffhose an. »Das Vieh hat meine beste Jacke ruiniert!«, fluchte er. Missmutig hüllte er sich in einen schlichten Umhang. »Und meine Stiefel sehe ich auch nie wieder«, seufzte er beim Anblick seiner nackten Füße.

»Soll ich eine Bestellung aufgeben? Die Abrechnung des Auftrags erfolgt nach Aufwand und deckt alle Verbrauchsmaterialien ab.«

»Gehört dazu auch mein neuer Körper?«

»Selbstverständlich.«

»Für eine KI kannst du manchmal richtig witzig sein, Ruby.«

»Danke, Jim. Für einen Menschen bist du auch hin und wieder überraschend vernünftig.«

»Na, wenn das kein Kompliment ist«, antwortete Jim. Er winkte in eine der winzigen Überwachungskameras, die sich unauffällig im Inventar des Raumes versteckten.

Sacht strich er sich über die empfindliche Haut seiner Glatze. Es wird Monate dauern, bis die Haare nachgewachsen sind, dachte er mit Bedauern. Schon das zweite Mal in diesem Jahr. Jim prüfte nachdenklich die Reaktion der Muskeln und Gelenke auf die Befehle seines Verstandes.

»Manchmal glaube ich, ich bin zu alt für diesen Job.«

»Soll ich eine Löschung deiner Erinnerungszentren vorbereiten?«, fragte Ruby mit einem künstlich beigemengten Unterton der Besorgnis.

»So alt bin ich nun auch wieder nicht!«, wehrte Jim das Angebot ab und öffnete die Tür zu seinem Apartment.

Die Erwachungskammer grenzte direkt an ein geräumiges Wohnzimmer: ein großer Raum mit integrierter Küche und Schlafmöglichkeiten. Im Zentrum stand eine ausladende Couchgarnitur. Durch eine hohe Fensterfront sah Jim direkt auf den ewigen Sonnenuntergang der Dämmerungszone. Die erstarrte Rotation des Planeten fixierte die rot glühende Scheibe des nahen Zwergsterns knapp über dem Horizont. Durch die enge Umlaufbahn des Planeten füllte ihr Anblick die gesamte Höhe der Panoramascheibe aus. Auf der Terrasse vor dem Apartment drehten gerade einige der Pflanzen ihre lilafarbenen Blätter ins Licht und begannen Energie für die Fotosynthese zu sammeln.

Healy lag zusammengerollt auf dem Sofa und schaute mit seinen schwarzen Augen nach draußen. »Hallo Jim, wie geht es dir?«, fragte er mit heller Stimme.

»Wie neu geboren«, antwortete ihm Jim zynisch. Er schlurfte zur Küche und holte sich ein Glas Wasser. »Könntest du mich das nächste Mal etwas früher warnen?« Er ging zum Sofa und setzte sich neben den Wollon.

»Wieso? Lief doch super.« Healy streckte sich aus und robbte zu Jim. Der Wollon zog sich an Jims Bein hoch. Fordernd legte er sein flauschiges Kopfende in den Schoß des Menschen. Mit routinierten Handbewegungen begann Jim, ihm das Fell zu kraulen.

»Naja, mein letzter Körper wird gerade von einer Bellemon verdaut.« Jims Blick schweifte über die weite Ebene. Am Horizont erstreckten sich die ersten Ausläufer der Regenzone. »Wie hast du das eigentlich ganz alleine geschafft?«

Healy hob den Kopf und blinzelte Jim mit den großen runden Augen an. »Du kennst doch meinen Charme.«

»Allerdings.« Jim schmunzelte. »Deswegen wundere ich mich ja, dass sie dich nicht zum Nachtisch verspeist haben.«

»Ich hatte den Vorteil, dass sie bereits satt waren«, entgegnete der Wollon.

In diesem Moment blinkte ein rotes Symbol in der Mitte der Fensterscheibe auf. »Ein Anruf des Rates?«, wunderte sich Jim. »Anruf annehmen.« Die Scheibe wurde auf einer Länge von drei Metern undurchsichtig und verdeckte die Sonne.

Das Bild war pechschwarz. Ein weißes Licht blitzte auf und ließ für den Bruchteil einer Sekunde die Kontur eines pelzigen Wesens sichtbar werden. Jim erwiderte die Begrüßung, noch bevor der automatische Übersetzer die Arbeit aufnahm. »Ratssprecher Bol, es ist mir wie immer eine Ehre, mit Ihnen zu sprechen. Was ist der Grund Ihres Anrufs?«

Eine Folge farbiger Lichter zuckte über den dunklen Bildschirm. Es dauerte eine Weile, bis der Übersetzer die komplexen Signale interpretiert hatte: »Ich habe von den Komplikationen während Ihrer letzten Mission gehört und wollte mich bei Ihnen persönlich für Ihren Einsatz zur Erhaltung des Gleichgewichts bedanken.«

»Keine Ursache. Ich hoffe bloß, dass ich einer gewissen Bellemon kräftige Bauchschmerzen verursache.«

Ratssprecher Bol zeigte als Zeichen der Zustimmung eine Reihe neonweißer Reißzähne.

»Aber das wird doch bestimmt nicht der einzige Grund für Ihren Anruf sein. Gibt es Neuigkeiten vom Rat?«

»Sie haben Recht, Mensch«, flackerte seine Antwort über den Bildschirm. »Es gibt ein Problem. Es wurde eine Sondersitzung der Repräsentanten aller intelligenten Spezies der Stufe 4 angesetzt. Als einziger Vertreter der Menschheit wird Ihre Anwesenheit in der Halle der Zivilisationen erbeten.«

Jim wunderte sich über die laxe Übersetzung der letzten Impulsfolge von Bols Antwort. Die Farbnuance des Lichtes war alles andere als eine Bitte. Sie entsprach viel mehr einer höflichen, aber doch dringenden Forderung. Er setzte sich aufrecht hin und ignorierte Healys protestierendes Mauzen. »Die letzte Vollversammlung ist über eintausend Jahre her. Was ist passiert?«

»Das ist vertraulich«, blinkte Bol und ließ zum Abschied seine zwei langen Eckzähne aufblitzen. Jim erwiderte die Geste, indem er kurz die Oberlippe anhob. Die Verbindung unterbrach und das Fenster wurde wieder durchsichtig. Nachdenklich rieb sich Jim über die glatte Haut seines Kinns.

»Hast du gesehen, wie für einen Moment seine Barthaare flatterten, als er am Ende seine Zähne zeigte?«, fragte ihn Healy. »Der Ratssprecher muss sehr nervös sein.«

»Ich habe bereits ein Fahrzeug geordert«, meldete sich Rubys Stimme aus dem Hintergrund. »Willst du sofort starten?«

»Ja.« Jim stand auf und zog den losen Mantel enger um seine Hüfte. Barfuß ging er zur Fensterfront und öffnete die transparente Tür zur Terrasse. Healy sprang auf seine Schulter hoch. »Die Versammlung ist nur für die offiziellen Repräsentanten einer Spezies. Ich glaube, du musst hier bleiben.«

Healy protestierte piepsend. »Wir Wollon haben keine Geheimnisse voreinander!«

»Ja«, meinte Jim zustimmend. »Ihr seid ja nicht umsonst als die geschwätzigste Spezies der gesamten lokalen Gruppe bekannt.«

Healy verzog schmollend den kleinen Mund. »Soll ich dich daran erinnern, wofür Menschen im Allgemeinen bekannt sind?«

Jim wandte sich ab und sah, wie auf der Terrasse ein automatischer Gleiter zwischen den Pflanzen landete. »Jetzt nicht«, wiegelte er das unangenehme Thema ab und ging nach draußen. Die Tür des Fluggerätes schwang vor ihm auf und gab die Sicht auf zwei Schalensitze frei. Wenigstens hatten sie diesmal eines der Modelle geschickt, die für seine Anatomie geeignet waren. Mit Schrecken dachte er an einen Flug von vor zwei Wochen zurück. Eine gefühlte Ewigkeit hatte er in einem Gleiter, angefüllt mit knietiefem Schlamm, ausgeharrt.

Nachdem Jim sich hingesetzt hatte, kroch Healy von der Schulter und rollte sich in seinem Schoß zusammen. Fast lautlos sprangen die Turbinen an und das wendige Flugzeug erhob sich in die Dämmerung. Auf einer Seite den feurigen Ball der Sonne, auf der anderen die ewige Nacht.

Die Beschleunigung drückte Jim in den Sitz. Mit hoher Geschwindigkeit folgten sie dem Streifen des Zwielichts nach Norden. Sie erreichten die Ufer des Ozeans. Schwimmende Inseln aus abgestorbenen Pflanzen und Baumstämmen trieben mit der Oberflächenströmung in die Dunkelheit. Der beständige Fluss transportierte sie weit in die Dunkelzone hinein. Bis hin zu den Gletschern, an deren Abbruchkante sich das warme Wasser mit dem Eis vermischte. In einem ewigen Kreislauf sank es zu Boden und kehrte mit den kühlen Unterwasserströmungen in das Licht zurück. Eine natürliche Wärmepumpe, ohne die sich der Planet längst in endlose Wüsten und ewige Eisfelder unterteilt hätte.

Nach etwa einer halben Stunde kam die Küste in Sicht. Hinter einer hoch aufragenden Steilwand erstreckte sich das Plateau mit dem Palast des Rates. Das langgezogene Gebäude erstreckte sich mehrere Kilometer quer über die Dämmerungszone und spiegelte die Extreme des Planeten wieder. Während ein Ende golden in der Sonne glänzte, verlor sich das andere in der Dunkelheit der Nacht. In seiner Mitte erhob sich die imposante Glaskuppel der Halle der Zivilisationen.

Der Gleiter landete auf einer Plattform vor dem Zentrum. Jim öffnete die Tür und stieg aus. Vor ihm glitt eine metallisch glänzende Halbkugel über den Boden. Direkt vor seinen Füßen blieb sie stehen.

»Spezies Mensch, bitte um Bestätigung und Identifizierung«, schnarrte eine mechanische Stimme.

»Bestätige Spezies Mensch. Der einzige auf dem ganzen Planeten.«

Der Roboter drehte sich um seine eigene Achse und rollte voran. »Bitte folgen Sie mir, Ratsmitglied Jim!«

Jim ging mit Healy auf dem Arm dem Roboter hinterher. Vor ihnen ragte die transparente Wand der Halle in die Höhe. Vom Fuß der Kuppel aus starteten in schneller Folge Transportkapseln und glitten über die Außenwand nach oben. Unermüdlich brachten sie die Repräsentanten der anderen Völker zu ihren jeweiligen Kabinen am Rand der Versammlungshalle.

Jim und Healy folgten ihrem Führer in eine der Gondeln. Der kleine Roboter rollte zu einer Eingabefläche und ließ seine schnarrende Stimme hören. Ein Ruck ging durch den Boden und die Kapsel beschleunigte. Bereits nach wenigen Sekunden Fahrt bremste sie wieder ab und erreichte den Ratssitz der Menschen. Von einer hüfthohen Brüstung umgeben, ragte die halbrunde Plattform in die Halle hinein. Die erhöhte Position erlaubte einen weitläufigen Rundumblick auf die anderen Ratsmitglieder.

Gemäß ihrer Lebensbedingungen befand sich der Platz der Menschheit zwischen der Tag- und Nachtseite. Alle 327 Völker des Planeten hatten sich zusammengefunden. Am äußersten Ende der Halle saßen die echsenartigen Bewohner der Kernwüste unter grellen Wärmelampen. Lautstark beschwerten sie sich über zu niedrige Temperaturen. Am gegenüberliegenden Ende, in fast völliger Dunkelheit, verharrte die Spezies der Dunkelzone. Regungslos standen sie vor den Aggregaten ihrer Klimageräte und genossen den eiskalten Luftstrom.

Nicht weit entfernt entdeckte Jim die Abordnungen der Bellemon und Gobis in ihren Schlammbecken. Misstrauisch funkelten sich die beiden verfeindeten Arten an und tauschten verdeckte Drohgebärden aus.

Beim Betreten der Halle schlug Jim ein unangenehmer Gestank entgegen. Nach dem ersten Atemzug drückte Healy das Gesicht angeekelt in sein Fell. »Es liegt etwas Bedrohliches in der Luft«, hörte Jim die gedämpfte Stimme seines Partners. »Die Stinker können ihre Aufregung kaum verbergen.«

»Jeder spricht auf seine Art«, sagte Jim und hielt sich ebenfalls die Nase zu.

Der Schlag eines Gongs hallte durch die Kuppel. Der durchdringende Ton wurde von einer Reihe von Lichtsignalen und chemischen Botenstoffen begleitet. Sie alle forderten auf ihre spezielle Art nach Aufmerksamkeit. Die Aktivitäten der Ratsmitglieder verebbten. Alle Sinnesorgane wandten sich der zentralen Plattform des Sprechers zu.

Die schwarze Gestalt von Ratssprecher Bol erschien. Scharfe Klauen an vier stämmigen Gliedmaßen schabten über den Boden. Ähnlich einem Gorilla stapfte er aus einer dunklen Nische in das gedämpfte Licht seiner Plattform. Eine metallene Maske auf dem Gesicht des Ratssprechers schützte seine empfindlichen Augen vor der Helligkeit.

Ein Punkt auf Bols Stirn begann zu flackern. Die automatischen Übersetzer der jeweiligen Spezies nahmen ihre Arbeit auf. Aus einem verborgenen Lautsprecher an Jims Plattform drang eine emotionslose Stimme. »Ich grüße euch, Repräsentanten der Völker des letzten Planeten.« Bol wartete, bis seine Begrüßung in alle Formen der Kommunikation übersetzt worden war. »Ich habe euch zusammengerufen, weil es etwas gibt, das uns alle angeht.«

Eine angespannte Stille legte sich über die Halle. Die Glaskuppel hinter Bol wurde intransparent und zeigte eine Ansicht des Planeten. »Unsere Satelliten haben vor wenigen Tagen Folgendes aufgezeichnet.« Er hob seinen behaarten Arm und zeigte mit einer der langen Krallen auf den Bildschirm.

Der Hintergrund wurde schwarz. Ein blasser Punkt schob sich aus der Tiefe des Weltraums auf die Anwesenden zu und wurde zunehmend größer. Ein vielstimmiges Raunen, begleitet von unangenehmen Gerüchen, zog sich durch den Saal. Eine der Spezies links unterhalb von Jim holte tief Luft und trompete die Befürchtung der Anwesenden hinaus. »Ein schwarzes Loch!«

Bols Stirn fing erneut an zu blitzen. »Diesbezüglich kann ich euch beruhigen. Es handelt sich definitiv nicht um ein schwarzes Loch«, tönten seine Worte in allen Sprachen und Tonlagen aus den Übersetzern. »Unsere Aufklärung hat die Struktur eindeutig als ein Raumschiff identifiziert. Und es ist hierher unterwegs.«

Zusammen mit 326 anderen Spezies hielt Jim den Atem an.

»Wir müssen es zerstören!«, hallten die ersten spontanen Ausrufe von den Rängen herab. Gleichzeitig begann sich ein unerträglicher Gestank auszubreiten. Jim brauchte keinen Übersetzer, um die Bedeutung der chemischen Botenstoffe seiner Nachbarn zu verstehen. Sogar die Männchen am Körper der Bellemon schwangen aggressiv ihre Tentakel.

Bol tippte mit der Klauenspitze auf einen verborgenen Schalter. Erneut mahnte der Gong die Anwesenden zur Ruhe. »Ich kann eure Aufregung verstehen. Ich teile eure Sorge um das Gleichgewicht unserer Gesellschaft. Die Ankunft des letzten Flüchtlingsschiffes ist mehr als 800 Millionen Jahre her. Seitdem leben wir in Frieden.«

Abgesehen von gelegentlichen Streitereien, dachte Jim und strich über seine Glatze.

»Wir werden das Schiff nicht zerstören, es wird eine andere Lösung geben!«, sagte Bol eindringlich. Das Leuchten auf seiner Stirn war mit einem matten Rot hinterlegt.

Empörung verbreitete sich auf den Rängen der Halle. »Wir werden keinen Quadratmeter Sumpf abtreten«, hörte Jim das Gluckern der Gobis aus dem Wirrwarr heraus. Die Vertreterin der Bellemon stimmte der Äußerung ihrer Rivalen mit einem lauten Klappern ihres Schnabels zu.

Healy rollte sich aus und ließ sich locker über Jims Schulter hängen. »Der Planet ist aufgeteilt. Alle bekannten Spezies sind hier versammelt. Niemand wird bereit sein, Platz zu machen«, flüsterte er dem Menschen ins Ohr. Jim nickte dem Wollon zu.

Ein erneuter Schlag des Gongs brachte die Menge zum Schweigen. »Wir haben die Bauweise des Schiffes analysiert.« Bol ließ eine bedeutungsschwangere Pause folgen. »Mit einer Wahrscheinlichkeit von 93 Prozent handelt es sich um Menschen.«

Ein tosender Sturm brach über Jim herein. »Menschen!«, flutete es in allen Klängen, Formen, Farben und Gerüchen durch die Halle der Zivilisationen. Mehrfach wurde der Gong geschlagen, um die Völker zur Ruhe zu bringen. Erst als Ratssprecher Bol sein Maul aufriss und die Reihen seiner neonweißen Zähne zeigte, verebbte das vielstimmige Gezeter.

»Ich möchte alle Anwesenden daran erinnern, dass jede Spezies, ungeachtet ihrer Herkunft oder Vergangenheit, auf diesem Planeten willkommen ist. Für jede wurde ein Platz vorgesehen. Das gilt auch für die Menschen!«, dröhnte es aus den Übersetzern.

»Aber wir haben doch bereits mehr als genug von ihnen!«, rief jemand in die entstandene Pause hinein. Unzählige Augen, Fühler und Nasen richteten sich auf Jim. »Die Menschen sind wie ein Krebsgeschwür. Sie werden das Gleichgewicht mit Füßen treten«, durchzog ein empörter Kommentar die Halle.

Reglos stand Jim auf seiner Plattform und bat mit erhobener Hand, um das Recht zu sprechen. Bols Stirn blinkte auf »Die Menschheit hat das Wort.«

Jim trat an den Rand der Plattform.

»Versuche, nicht wieder gefressen zu werden«, flüsterte Healy ihm zu.

Jim räusperte sich. »Ruhe«, zischte er seinem Partner zu. Nachdem er tief Luft geholt hatte, begann Jim zu sprechen. »Als offizieller Vertreter der Menschheit möchte ich für die Taten der Vergangenheit um Vergebung bitten. Im falschen Glauben an die eigene Überlegenheit brachte die Menschheit unaussprechliches Leid über die Völker der lokalen Gruppe. Aber ich stehe heute vor ihnen als ein Wächter des Friedens. Als jemand, der jeden Tag seinen Körper riskiert, um das Gleichgewicht zu erhalten.« Jim machte eine Pause. Er fühlte, wie hunderte misstrauische Blicke auf ihm ruhten.

»Wir können uns einfügen!«, rief er in die Halle hinein. »Die Menschheit wird das Gleichgewicht akzeptieren und sich seinen Regeln unterwerfen.«

Die Vertreterin der Bellemon schob sich an den Rand ihres Schlammbeckens und streckte zwei ihrer Tentakel ins Jims Richtung aus. Anklagend zeigten ihre gebogenen Krallen auf ihn. »Sie haben uns einst fast ausgerottet«, dröhnte ihre tiefe Stimme aus dem verborgenen Schnabel. »In ihrer grenzenlosen Arroganz bezeichneten sie uns als Monster. Wo sie uns fanden, jagten sie uns und machten Trophäen aus unseren Körpern.«

Das war vor mehr als achtzig Billionen Jahren!«, entgegnete Jim auf die Anklage.

»Ganz schlechte Antwort«, hörte er Healy piepsen.

Die Bellemon stemmte sich auf ihren Tentakeln in die Höhe. »Und was geschah vor zwei Tagen, als der Mensch eine schutzlose Mutter zusammen mit einer Horde Gobis angriff?«

»Das ist eine Falle«, meldete sich Healy erneut.

Jim ignorierte die Anmerkung des Wollon. »Sie war in fremdes Gebiet eingedrungen und störte das Gleichgewicht!«, verteidigte er sich empört.

»Hört ihr das?«, richtete sich die Bellemon an die übrigen Repräsentanten. »Er streitet den Angriff nicht einmal ab! Anstatt Neutralität zu bewahren, verbündete er sich mit den Gobis und attackierte eine verirrte Mutter mit ihren Kindern.« Sie wandte sich wieder an Jim. »Haben dich die hübschen goldenen Flossen dieser Sumpfspringer betört, Mensch? War es ihr rotes Blut? Oder erinnerten dich ihre Hände an deine eigenen?« Die Männchen auf ihrer grauen Haut wedelten angriffslustig mit den Tentakeln. »Wolltest du sie vor dem Monster beschützen?«

Jim kochte innerlich vor Wut. Er ballte die Fäuste und setzte mit bebenden Lippen zum Sprechen an. In dem Moment strich ihm Healys pelziger Körper über die Wange. Jim schubste ihn mit einer Handbewegung beiseite, blieb aber stumm. Wütend schaute er zu der Bellemon hinüber.

Der Schlag eines Gongs beendete die angespannte Situation. Bols Stirn leuchtete in die Stille hinein. »Friedenswächter Jim hat im Einklang mit den Regeln des Gleichgewichts gehandelt. Seine Verdienste für unsere Gesellschaft sprechen für sich. Die Auswertung unserer Informationen ergab eine 98 Prozent Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Integration der Menschen. Allerdings auch eine Wahrscheinlichkeit von 86 Prozent für Konflikte. Die KI des Rates hat daher eine Liste von Maßnahmen ausgearbeitet, die die Aufnahme der Menschen unterstützen sollen.«

Vor Jim entstand das Hologramm eines Textes. Eine lange Liste von verbotenen Technologien und weiteren Einschränkungen wanderte vor seinen Augen von unten nach oben. »Repräsentant der Menschheit, nehmen sie die Auflagen an?«

»Ja«, antwortete Jim laut und deutlich.

»Damit ist die Aufnahme der Menschen in das Gleichgewicht beschlossen.« Erneut setzte ein offener Tumult in den Rängen ein. »Hiermit beende ich die Sitzung«, fügte Bol mit einem hastigen Blinken hinzu. Die Plattform des Sprechers zog sich in die Dunkelheit zurück.

Um Jim herum brandeten aufgeregte Diskussionen. Wiederholt wurde er das Ziel misstrauischer Blicke.

»Also ich freue mich auf die Menschen«, sagte Healy und strahlte Jim mit seinen großen Augen an.

»Na, wenigstens einer«, meinte Jim mit hängenden Schultern.

»Ja, man kann so toll auf euch reiten.«

»Warte, bis wir kommen, um aus euch Schals und Handschuhe machen«, seufzte Jim nachdenklich. Mit Healy auf der Schulter ging er zurück zu der Transportkapsel und ließ sich an den Fuß der Kuppel hinunterfahren. Zügig ging er auf den wartenden Gleiter zu und stieg ein. Er verspürte keine Lust auf weitere Diskussionen mit den anderen Ratsmitgliedern.

»Nach Hause«, wies er die Steuerung des Fahrzeugs an.

»Eingabe nicht akzeptiert. Vorrangiges Prioritätsziel wird angeflogen«, schnarrte eine automatische Stimme aus der Steuereinheit. Noch bevor er reagieren konnte, hob der Gleiter ab. Er richtete den Bug auf den dunklen Horizont, hinter dem sich die ewige Nacht verbarg.

»Hey!«, empörte sich Jim und rüttelte an den Kontrollen.

»Möchtest du vielleicht lieber mit einem Stock oder Faustkeil darauf einschlagen?«, kommentierte Healy seine Bemühungen.

»Vielleicht hilft es ja, wenn ich einen Vertreter der einzigen intelligenten Spezies dieses Planeten darüber rolle.«

Die Frontscheibe flackerte auf. Das eingehende Videosignal versperrte die Sicht auf die graue Landschaft. Der schwarze Schatten eines behaarten Wesens zeichnete sich im Hintergrund ab. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich das Ziel Ihres Gleiters geändert habe«, wurde das flackernde Licht auf der Stirn des Aliens sinngemäß übersetzt.

»Ratssprecher Bol, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ich möchte, dass Sie ihre Artgenossen willkommen heißen«, antwortete der Ratssprecher ohne Umschweife.

»Dazu hätten Sie mich nicht entführen müssen.«

Bol zeigte eine Reihe blitzender Zähne. »Ich möchte, dass Sie zur Begrüßung dem Flüchtlingsschiff entgegen fliegen, seine Systeme übernehmen und jede potentielle Bedrohung ausschalten.«

Jim nickte ihm zu. »Ich verstehe. Die üblichen Feinheiten der intergalaktischen Diplomatie.«

Bol blitzte ihm zustimmend an. »Ich habe Ihre KI bereits auf eines unserer Schiffe transferieren lassen. Sie müsste in der Lage sein, die Steuerung zu übernehmen, die Datenbanken zu scannen und alle ihre Entscheidungen umzusetzen. Eine Horde schwerbewaffneter Menschen ist das Letzte, was wir auf dem Planeten brauchen. Genauso müssen wir verhindern, dass ihre Waffen in die falschen Hände fallen.«

»Habe ich freie Hand?«, fragte Jim zurück.

Bol zögerte einen Moment, bevor seine Stirn eine blasse Farbe annahm und langsam wieder erlosch. »Ja« schnarrte die Stimme kurz und knapp aus dem Lautsprecher. Jim verstand dieses Wort der Lichtsprache auch ohne Übersetzer. Es war ein Ja, verbunden mit der Warnung, dass seiner Freiheit Grenzen gesetzt waren.

Der Bildschirm erlosch und gab den Blick auf die Dämmerungszone frei. Je tiefer sie in die endlose Nacht eindrangen, desto mehr wurden die purpurnen Pflanzen durch dichte Dunkelwälder verdrängt. Tiefschwarze Blätter absorbierten die letzten Reste an Strahlung. Früchte unterschiedlicher Formen und Farben fluoreszierten zwischen den schwarzen Baumstämmen. Wie winzige Lichttupfer glänzten sie in der Dunkelheit.

Es wurde kälter. Die Wälder verschwanden und die Lichter des Gleiters spiegelten sich in ausgedehnten Flächen aus Packeis. Kurz vor dem Zentrum der Nachtseite gingen die Gletscher in kargen Fels über. Ein leichter Schauer aus Kohlendioxid fiel aus den höheren Schichten der Atmosphäre herab. Beim Erreichen der wärmeren Bodenströmungen verdampfte er in trüben Schleiern. Durch den Kältenebel hindurch sah Jim eine Reihe heller Punkte am Horizont. Healy hüpfte auf seinen Schoß und robbte näher an die Sichtscheibe heran.

»Der Raumhafen«, piepste er aufgeregt. Vor ihnen schälte sich der Rumpf einer Rakete aus der Dunkelheit.

Am Ende der Zeiten

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