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KAPITEL 2 // Die Ausbreitung
ОглавлениеDer Obduktionsbeobachtungsraum bot ihnen einen hervorragenden Blick von oben durch eine pyramidenförmige Glaskonstruktion in den Obduktionsraum hinunter. Doktor Schreier erklärte ihnen, dass der Fall Miro Sollik absolute Priorität habe, da dieser noch frischer sei als der des Walking-Mind-Angestellten, und zudem habe Sollik in dem dortigen Massengrab, welches nun als verseuchte Zone bekannt und gesperrt worden war, gearbeitet.
»Die Chancen stehen gut, neue Anhaltspunkte zu entdecken«, erklärte er ihnen.
Die mit Bewegungsmeldern ausgestattete vollautomatisierte pneumatische Tür unter ihnen öffnete sich mit einem leisen Zischen, und Miro Solliks Leichnam wurde von zwei Pathologen auf einer Rollliege in den Obduktionsraum gerollt und auf den abgenutzten und matt gewordenen Obduktionstisch gelegt.
»Guten Morgen, Harvey, Martin«, begrüsste Doktor Schreier die beiden Pathologen und winkte kurz zu ihnen hinunter.
»Morgen, Doktor Schreier«, nickte Harvey zurück.
»Na, so früh schon wieder Arbeit für uns?«, meinte Martin mit einem aufgesetzten Lächeln.
»Ja, leider«, zuckte Doktor Schreier schuldbewusst mit den Schultern. »Und bestimmt nicht zum letzten Mal, wie die Situation im Moment aussieht …«
Martin legte die Instrumente für die bevorstehende Obduktion bereit und kontrollierte, ob auch alles vorhanden sei und funktionierte, was sie benötigen würden. Harvey zog sich die obligate Schürze, die Handschuhe und den Mundschutz an und fixierte den Brustkorb der Leiche auf dem Obduktionstisch mit den dafür vorgesehenen Lederriemen. Er blickte abwartend zu ihnen in den Beobachtungsraum hoch, nachdem er von Martin die Bestätigung erhalten hatte, dass alles bereit für den Eingriff war.
»Wir wären dann so weit, Doktor Schreier«, sagte Harvey.
»Na dann, legt los«, wies Doktor Schreier die Pathologen an.
Harvey schritt langsam um den Obduktionstisch herum, während er den Leichnam inspizierte. Routinemässig sprach er die Daten für die Tonbandaufzeichnung, die bei solchen Eingriffen obligatorisch waren.
»Name des Toten: Miro Sollik. Alter: 44 Jahre laut den Papieren, die er bei sich hatte. Körpergrösse: 186 Zentimeter. Gewicht: 92 Kilogramm. Physische Reaktionen: negativ. Todeszeit: zirka neun Uhr morgens am Freitag, 24. September 2021. Nach Aussagen seiner Frau Jelena war Miro Sollik bis zwei Tage vor seinem Tod kerngesund. Er weist keine physischen Traumata auf, ausser an der linken Hand. Die linke Hand weist Spuren fortgeschrittener Verwesung auf sowie nässende nekrotische Stellen an Daumen, Zeige-, Mittelfinger und Unterarm. Martin, wir entnehmen einige Proben für die Analyse und führen dann eine Amputation des linken Unterarmes durch. Bereite die Instrumente und Behälter für die Proben vor.«
»Okay Harvey, wird sofort erledigt«, entgegnete Martin und machte sich gleich an die Arbeit, um alles für den Eingriff Notwendige vorzubereiten. »Nehmen wir unser Lied dazu, was meinst du?«
»Klar, wieso nicht«, stimmte Harvey ihm zu.
»Sie hören sich während ihrer Arbeit gerne klassische Stücke an«, klärte Doktor Schreier Dawn und dessen Team auf. »Das sei entspannend und inspirierend. Verkrampft zu arbeiten sei schlecht für die Konzentration, sagen sie. Kürzlich hörten sie sich Beethovens Fünfte an, als sie gerade eine Leiche untersuchten, die dem Brand im Magic Bill’s, einem Fastfood-Restaurant, zum Opfer gefallen war. Sie haben es vielleicht auf Ihrem Weg vom Flughafen hierher gesehen. Es steht … ähm … stand gleich gegenüber des Einkaufszentrums.«
Die ersten sanften Töne von »Peter und der Wolf« erfüllten den Raum unter ihnen, und sie konnten es den beiden Pathologen direkt ansehen, dass sich diese schon ganz in ihrer eigenen Welt befanden.
»Wundervoll, genau mein Geschmack«, schwärmte Charles, der die Augen geschlossen hatte und leicht mit dem Rhythmus mitwippte. »Peter und der Wolf, eines meiner Lieblingsstücke.«
Elvis hingegen meinte mit abschätziger Miene: »Meine Fresse, was ist denn das für Müll. Da lob ich mir aber meinen King allemal.«
»Ihr müsst euch das ja nicht anhören«, mischte sich Eddy in die Diskussion mit ein. »Passt jetzt besser mal auf, ihr zwei, sonst verpasst ihr ja noch die ganze Show.«
»Schluss jetzt mit dem Gerede«, zischte Dawn und warf den beiden einen Blick zu, der nicht hätte deutlicher sein können. »Wir sind hier nicht, um zu diskutieren, sondern um einen Job zu erledigen. Verstanden Jungs? Etwas Aufmerksamkeit, bitte!« Er trat näher an die Scheibenpyramide, um eine gute Sicht auf die Obduktion zu haben. Sein Team tat es ihm gleich.
Harvey blickte zu Doktor Schreier auf.
»Doktor Schreier, wir wären dann so weit.«
»In Ordnung Harvey, beginnen Sie mit dem Standardprozedere«, gab Doktor Schreier ihnen grünes Licht.
Harvey und Martin zogen Schürzen, einen Mundschutz und reissfeste Latexhandschuhe an, die ihnen bis über die Ellbogen gingen. Dann schaltete Martin das Tonband für die weiteren Angaben zur Obduktion wieder ein. Harvey nahm sich als erstes den linken Unterarm vor.
»Aktuelle Zeit: 9.35 Uhr«, sprach er. »Die linke Hand sowie Teile des linken Unterarms weisen Spuren akuter starker Verwesung auf. Die linke Hand sowie der linke Unterarm sind grün-schwarz gesprenkelt und weisen zahlreiche verfärbte Hämatome auf. Die nekrotischen Stellen an Daumen, Zeige- und Mittelfinger sowie am Unterarm sind nässend.«
Während Harvey die zu amputierende Gliedmasse, den linken Unterarm, weiter untersuchte und für den Eingriff abdeckte, bereitete Martin die Instrumente und Geräte für die Amputation vor.
»Die beiden sind ein gutes Team und sehr erfahren auf ihrem Gebiet«, erklärte Doktor Schreier Dawn und dessen Männern stolz. »Sie haben schon einiges zusammen gemacht und sind voll aufeinander eingespielt.«
Martin fixierte den Arm auf dem Obduktionstisch, während Harvey ein letztes Mal die chirurgische Minikreissäge auf ihre Funktion kontrollierte. Dann wechselten die beiden einen letzten Blick.
»Alles bereit?«, fragte Harvey.
»Alles bereit«, antwortete Martin.
Harvey setzte die Säge an und startete sie. Das abrupt aufheulende schrille Geräusch übertönte die im Hintergrund laufende Musik von Sergej Prokofjew genauso brutal, wie die Säge nun in den toten Körper drang. Langsam und gleichmässig trennte Harvey den linken Arm oberhalb des Ellbogens ab. Die Schreie der Säge wurden leicht gedämpft, als sie immer tiefer und tiefer in das Fleisch des Armes drang und wurden schliesslich von einem feinen, dumpf hämmernden Knacken begleitet, als sie sich durch den Knochen durcharbeitete. Blut und kleine Knochensplitter flossen aus dem Schnitt und verschwanden als Rinnsal in dem kleinen Abfluss, der dafür auf einer der Seiten des Obduktionstisches angebracht war. In diesem Moment begann die Leiche von Miro Sollik plötzlich zu vibrieren, ja richtiggehend zu zittern.
»Was war denn das gerade?«, fragte Harvey, der gerade mit dem Abtrennen des Armes fertig geworden war, erschrocken und warf Martin einen fragenden Blick zu.
»Reflexe?«, erwiderte Martin ebenso überrascht.
Harvey schüttelte den Kopf. »Doch nicht so lange nach dem Eintritt des Todes.«
Martin begab sich zu Harvey auf der anderen Seite des Obduktionstisches und musterte die Leiche noch einmal gründlich.
»Hat sich möglicherweise die Vibration der Säge über die Knochen auf sein Skelett übertragen?«
»Möglich wär es schon«, bestätigte Harvey, »aber er hat ja noch weiter vibriert, als ich die Säge schon abgesetzt hatte. Er hat bestimmt fünf oder zehn Sekunden länger vibriert. Doktor Schreier, haben Sie das auch gesehen?«
»Ja, Harvey«, nickte Schreier. »Ich habe es auch gesehen. Machen Sie einen speziellen Vermerk in der Akte und notieren Sie alles bis ins kleinste Detail. Versorgen Sie den Stumpf, und fahren Sie dann mit dem zerebralen Neurocheck weiter. Kontrollieren Sie bitte auch gleich die übrigen Nervenreizleitungen auf Reflexe, nur um sicherzugehen, dass wir nichts übersehen.«
Harvey bestätigte den Auftrag und gab Martin das Zeichen zum Weitermachen. Dann versorgte er den noch frischen Stumpf des abgetrennten Armes, damit dieser möglichst sauber blieb. Martin bereitete sich und die Geräte inzwischen für den Neurocheck vor. Sie brachten einige Klebeioden am Torso und am Kopf der Leiche an und testeten verschiedene Stromreize in diversen Stärken. Die Tests aber ergaben leider keine besonderen Resultate.
»Neurocheck negativ«, gab Harvey zu Band. »Martin, versuchen wir es noch mit dem visuellen Check, mal sehen, ob dabei mehr rauskommt. In Ordnung, wenn wir so weiterfahren, Doktor Schreier?«
»Ja, in Ordnung«, entgegnete Doktor Schreier, nachdem er einen Moment lang überlegt hatte. »Versuchen Sie es, Harvey.«
»Dann beginnen wir jetzt mit dem visuellen Check. Martin, du fixierst den Kopf, und ich werde seine Augen ausleuchten und testen, ob irgendeine Reaktion folgt.«
Martin fasste den Kopf des Leichnams, während Harvey mit einer Taschenlampe die Augen auszuleuchten begann.
»Die Augen weisen kaum noch Pigmentierungen auf, sie sind fast vollkommen weiss. Man kann den Rand der Pupillen und der Linsen nur noch sehr schwach erkennen. Versuchen wir es mal …«, sagte Harvey und schwenkte die Taschenlampe kontinuierlich von links nach rechts, zurück zur Mitte und dann nach unten und nach oben, wie es bei visuellen Standardtests üblich war. Nach ein paar Sekunden hielt er mitten in der Bewegung inne.
»Was ist denn …«, fragte Martin, als er das Erstarren seines Kollegen bemerkt hatte. Die restlichen Worte des Satzes brachte er nicht mehr über seine Lippen. Er starrte nun ebenfalls gebannt auf das, was auch Harvey hatte erstarren lassen.
»Seine Augen …«, stammelte Harvey, »seine Augen bewegen sich zum Licht der Taschenlampe. Das ist doch unmöglich. Wie kann das nur sein.«
Die Augen bewegten sich in ihren Höhlen. Die blassen Linsen huschten nervös über die Augäpfel und schienen sie richtig zucken und zwinkern zu lassen. Zuerst wirkte der Ausdruck der Augen fragend, dann entsetzt, und daraufhin erfüllte Schmerz und Hass den Blick. Miro begann plötzlich leise Laute von sich zu geben, ein Grunzen und Jaulen, das sich immer schneller in lautes, schmerzverzerrtes Gekreische steigerte. Es dauerte nur wenige Sekunden an.
Während Martin den Kopf noch immer mit beiden Händen krampfhaft umklammert hielt, war Harvey erschrocken einen Schritt zurückgewichen und dabei gegen einige Geräte gestossen. Diese gewährten ihm etwas Halt, sodass er nicht stürzte. Doktor Schreier schien ebenfalls wie gelähmt zu sein, schaffte es aber schliesslich irgendwie, sich aus dem Bann zu lösen.
»Harvey, Harvey«, schrie er dem Pathologen zu, »mein Gott, was ist das? Wie konnte das passieren?«
Harvey, der erst nach einigen Sekunden merkte, dass er mit der Frage gemeint war, schaute verdutzt nach oben zu Doktor Schreier, zuckte mit den Schultern und setzte zu einem »Ich … äh …« an, da drehte sich der Kopf in Martins Händen mit einer schnellen Bewegung und biss wie wild um sich. Geifernd und mit animalischem Gekreische schnappte der Kopf um sich. Bei der zweiten Drehung war Martin von der Abruptheit überrascht, und leider stand er auch viel zu nah. Die Zähne schnappten zu und bissen sich durch den Handschuh tief in das Fleisch seiner rechten Hand. Ein kleiner Sprühregen aus Blut besprenkelte sofort das blasse und hasserfüllte Gesicht der Person, die einmal Miro Sollik gewesen war.
Martin versuchte seine Hand aus dem Biss zu lösen und zerrte wie wild an seinem Handgelenk herum. Doch vergebens. Harvey schreckte ein paar Schritte zurück und stiess dabei erneut gegen die medizinischen Geräte und Tabletts, auf denen chirurgische Instrumente für den Eingriff bereitlagen. Skalpelle, Tupfer, Pinzetten und Klemmen, alles fiel kreuz und quer zu Boden. Auch der abgetrennte Arm kam zu Fall. Das Klirren und Scheppern der Tabletts und Instrumente, die auf den Boden knallten, verschwand gänzlich in dem Geschrei, das Martin im Kampf um seine Hand von sich gab. Er riss weiter wie ein Irrer an seinem Handgelenk.
»Du verdammter Bastard, du verdammter Hurensohn«, fluchte er lautstark. Nach einigen weiteren kräftigen Versuchen gelang es ihm schliesslich, sich aus dem Biss zu lösen. Sein Daumen war vollständig abgebissen worden. Ein Stückchen Sehne ragte noch aus dem Stummel, auf dem sich zuvor sein Daumen befunden hatte.
Während Martin sich befreite, schrie Doktor Schreier Harvey zu, er solle Martin doch um Gottes Willen von dem beissenden Ungetüm entfernen und sich um seine Hand kümmern. Doch Harvey starrte immer noch wie hypnotisiert auf die Leiche, die alles andere als tot wirkte und sich jetzt immer mehr vom Obduktionstisch loszureissen versuchte. Währenddessen kaute sie geifernd und gierig auf dem Rest des Daumens herum, würgte diesen schliesslich runter und schnappte dabei weiter wild um sich und kreischte wie von Sinnen.
Doktor Schreier forderte aus der Notaufnahme medizinisches Personal an. Sie sollten sofort Raul und Amos, die beiden Sanitäter, nach oben schicken. Es gebe hier einen verletzten Mitarbeiter, der dringend versorgt werden müsse.
»Bisswunden«, erklärte er dem Telefonisten aus der Notaufnahme, der die Erstabklärung telefonisch entgegennahm. »Ja, in den Obduktionsraum«, bestätigte Doktor Schreier und beendete das Gespräch.
Martin stand inzwischen an der sich langsam öffnenden Tür und hämmerte fluchend auf sie ein. Sie solle verdammt noch mal endlich aufgehen, stöhnte er, während der wiedererwachte Leichnam von Miro schreckliche Laute ausstiess und nun wie wild an den Riemen zerrte, die ihn auf dem Tisch fixierten.
Die Tür war auf. Wenigstens soweit, dass es Martin gelang, sich hindurchzuzwängen und auf den Stationskorridor zu gelangen. Beim Durchschlüpfen betätigte er geistesgegenwärtig den Türknopf, der den Obduktionsraum wieder verriegelte. Somit war der Raum fürs erste sichergestellt. Kaum durchgestiegen, sprintete er hastig in Richtung der Aufzüge und war aus dem Blickfeld verschwunden.
Doktor Schreier schrie Harvey zu, er solle den Raum ebenfalls so schnell wie möglich verlassen und Martin folgen.
»Harvey, halten Sie Martin solange fest, bis die Sanitäter hier oben sind und sich um ihn kümmern können. Nun machen Sie schon«, drängte Doktor Schreier, der langsam nervöser und ungehaltener wurde. »Und Harvey, verriegeln Sie um Himmels Willen wieder die Tür, wenn Sie draussen sind. Nun machen Sie schon, bevor er sich losgerissen hat …!«
Endlich rührte Harvey sich und eilte auf die Tür zu. Als er sie schon fast erreicht hatte, wurde er vom Toten zurückgerissen und scharf attackiert. Niemand hatte in der ganzen Hektik bemerkt, dass er es geschafft hatte, sich ganz von seinen Fesseln zu befreien. Nun zerrte er wie wild an Harvey herum und schnappte mit seinen Zähnen gierig nach ihm. Harvey schlug und trat auf ihn ein und versuchte sich mit Händen und Füssen zu wehren, aber die Gier und die Aggression des Toten waren zu stark. Er erwischte Harvey mehrmals an dessen Armen und Händen und biss dort ganze Stücke Fleisch aus ihm heraus. Noch gieriger arbeitete er sich dann weiter Richtung Schulter vor, prügelte und schlug dabei wie von Sinnen um sich und biss auf alles ein, was ihm vor den Kiefer kam. Harvey schrie wie am Spiess und blieb mit an den Brustkorb gepressten Armen und vor Schmerzen geschüttelt stehen, da wurde er erneut attackiert. Er wurde zu Boden gerissen und richtiggehend zerfleischt, bis er nur noch leicht zappelnd, von zahlreichen Bisswunden übersät, in einer riesigen und immer grösser werdenden Blutlache auf dem Rücken liegenblieb. Der Untote begann sein Opfer aufzufressen, indem er Harvey die Gedärme aus dem Leib riss.
Doktor Schreier eilte zur Tür und befahl Dawn und dessen Team, ihm in sein Büro zu folgen. Von dort aus könne er jeden Raum über die Kontrollkonsole sperren und kontrollieren. Von dort aus könne er auch alles, was im Gebäude geschehe, über die Videokameras beobachten. In seinem Büro angelangt, eilte Doktor Schreier an die Kontrollkonsole, sperrte sofort den Obduktionsraum und schaltete die Videoüberwachungszentrale ein. Auf einem der Monitore war gerade zu erkennen, wie Martin sich in einen Aufzug stürzte und sich die Tür des Aufzugs schloss. Der Monitor, der den Obduktionsraum zeigen sollte, baute gerade das Bild auf, als ein schrilles Klingeln die hektische Situation noch mehr verschärfte.
»Das ist der Feueralarm«, rief Doktor Schreier und tippte hastig etwas in die Konsole ein. »Er wurde im Aufzug, in dem Martin nach unten fährt, ausgelöst.«
Martin stand im Aufzug und umklammerte sein rechtes Handgelenk. Als der Aufzug endlich das Erdgeschoss erreichte, brach er zusammen. Die Aufzugstüren öffneten und schlossen sich im Erdgeschoss, aber Martin lag bewusstlos am Boden. Nun hatten sich auch die grossen Feuertüren geschlossen, die bei einem Brand dafür sorgten, möglichst viele kleinere Bereiche voneinander abzutrennen, statt grosse Sektoren wie eine ganze Etage dem Feuer überlassen zu müssen. Vier Krankenschwestern, die nahe des Aufzugs plauderten, wurden auf den regungslosen Körper im Aufzug aufmerksam und eilten herbei, um Martin zu helfen. Doktor Schreier, Dawn und dessen Team hatten am Monitor verfolgt, wie Martin im Aufzug zusammengebrochen war und wie er jetzt von den Krankenschwestern Hilfe bekam.
»Kommen Sie, meine Herren«, sagte Doktor Schreier. »Ich führe Sie zum Aufzug, damit wir uns im Erdgeschoss selbst ein Bild machen können.« Er beteuerte ihnen, er überwache alles Weitere aus der Überwachungszentrale und gebe die Infos via CUs (»Communication Units») an sie weiter.
Im Erdgeschoss bemühten sich die Krankenschwestern, dem bewusstlosen Martin erste Hilfe zu leisten. Die Aufzugstüren öffneten und schlossen sich weiter ununterbrochen. Als die Türen sich wieder öffneten, stand Martin alleine im Aufzug, und alle vier Krankenschwestern lagen in eigenartiger Anordnung und Körperhaltung auf dem Boden der Aufzugskabine. Die Aufzugstüren schlossen sich erneut und öffneten sich daraufhin erneut mit ihrem typischen »Pling». Einige der in der Eingangshalle anwesenden Personen, die auf medizinische Hilfe hofften und das Geschehen beobachtet hatten, bewegten sich nun auf den Aufzug zu, um das Geschehen besser beobachten zu können. Als sich der Aufzug erneut mit seinem »Pling« zurückmeldete, standen zwei der Krankenschwestern neben Martin wieder auf den Beinen, allerdings in einer etwas ungewöhnlichen Haltung. »Pling« – der Aufzug schloss sich wieder und öffnete sich daraufhin sofort erneut. Die Leute waren inzwischen noch näher an den Aufzug herangetreten. Die dritte Krankenschwester war gerade dabei, sich vollends aufzurichten, während die vierte noch am Boden liegende Schwester ihren Kopf abrupt zu den Leuten in der Lobby drehte und gierig in deren Richtung keifte.
Martin, der mittlerweile eine Fratze aus Hass anstelle seines Gesichts hatte, liess einen schrillen Schrei aus seiner Kehle ertönen und hetzte aus dem Aufzug heraus und auf die versammelten Zuschauer los. »Pling« – die Aufzugtüren schlossen sich erneut und zerquetschten dabei Martins Kopf mit einem markigen Knacken. Der Druck der Türen war so stark, dass ein Auge aus Martins Kopf gequetscht wurde. Mit einem leisen Platsch fiel es vor dem Aufzug zu Boden. Die Menschen in der Lobby wichen erschrocken zurück, und mit einem erneuten »Pling« öffnete der Aufzug erneut seine Tore und gab nun den Blick auf alle vier geifernden Krankenschwestern frei.
Sie stürzten sich regelrecht aus dem Aufzug, stürmten in die Halle der Lobby und attackierten wild alles und jeden, der irgendwie zu fassen war. Die erste von ihnen, die aus dem Aufzug trat, trat dabei auf das am Boden liegende Auge und zerquetschte es so, dass es seitlich unter der Gummisohle ihres Sportschuhs als kleiner weisslicher Schwall über den Boden spritzte.
Als Dawn und sein Team im Aufzug nach unten in die Eingangshalle fuhren, hörten sie schon durch den Aufzugsschacht, wie die Menschen im Erdgeschoss schrien. Eine unglaubliche Hysterie schien dort zugange. Doktor Schreier stand wieder vor dem Monitor in der Beobachtungszentrale und sah, was für ein Spektakel in der Halle los war. Er warnte Dawn und dessen Männer über CU und konnte den Aufzug gerade noch ausschalten, als dessen Türen sich im Erdgeschoss schon um einige Zentimeter geöffnet hatten. So sahen Dawn und seine Leute den Horror, der sich in der Eingangshalle abspielte. Als sie erblickt wurden, versuchten vier oder fünf dieser Wesen sie auch gleich heftig anzugreifen. Sie versuchten sich durch den Spalt der Türen in den Aufzug zu zwängen und packten und griffen gierig kreischend nach Dawn und den anderen. Eines der Wesen versuchte gar, seinen Kopf durch den Spalt zu drücken, aber Dawn stand sofort einen Schritt zurück und trat dem Wesen mit voller Gewalt ins Gesicht. Dann packte er einen der durchgreifenden Arme und brach diesen ab.
»Scheisse! Zugriff Leute, Zugriff«, rief Dawn, und nun packte jeder von ihnen einen der Arme, die gierig nach ihnen griffen, und brach diese.
Charles hatte sich gerade einen zweiten Arm gepackt, als der Aufzug sich mit einem leichten Ruck zögerlich wieder nach oben zu bewegen begann. Er hielt den Arm der Bestie weiterhin fest umklammert, bis er am oberen Türrahmen des Aufzugs vom Boden des Aufzugs abgetrennt wurde. Ein wildes Gekreische ertönte, scheinbar realisierte die Kreatur den Verlust ihres Armes und dass sie ihre Gelegenheit auf einen »Imbiss« vertan hatte.
»Nix Häppchen, du verdammter Penner«, schrie Charles gegen den Grund des Aufzugs.
Als Dawn und seine Männer oben im Penthouse ankamen, wurden sie von Doktor Schreier, der den Aufzug nach oben geholt hatte, ungeduldig empfangen.
»Um Himmels willen, was ist denn da unten nur los?«, wollte er aufgebracht wissen.
Froh, dass sie es unbeschadet wieder nach oben geschafft hatten, klärte der Commander den Doktor über die Ereignisse in der Lobby auf.
»Es scheint, als hätten alle eine Art Tobsuchtsanfall. Sie zerfleischen einander gegenseitig regelrecht und weisen ein ungeheures Mass an Aggression und Brutalität auf. Was ist mit Harvey und Martin?«
Doktor Schreier setzte eine betroffene Miene auf. »Tot, glaube ich. Harvey liegt im Obduktionsraum, und Martin brach im Aufzug zusammen, kurz bevor er die Eingangshalle im Erdgeschoss erreicht hatte.«
»Tot, glauben Sie?«, fragte Dawn nochmals nach. »Sind Sie sich absolut sicher? Was wollte er denn eigentlich in der Eingangshalle, etwa zur Notaufnahme? Zu all diesen Menschen? Wenn eines dieser Biester durchbricht und zu uns vorstösst oder es sogar einzelne nach draussen schaffen, dann wird’s richtig hässlich.«
»Was haben denn Harvey und Martin mit dem Gemetzel in der Eingangshalle zu tun?«, wollte Doktor Schreier überrascht wissen. »Glauben Sie etwa, dass Harveys Unfall mit diesem Massaker in der Eingangshalle etwas zu tun hat?«
»Bei Harvey bin ich mir nicht sicher«, antwortete der Commander. »Aber Martin kommt ganz klar als Einziger in Frage, die Infektion übertragen zu haben. Nur er kann es sein. Er hatte als Einziger Kontakt mit der Kreatur und wurde dabei auch noch kontaminiert. Nur er konnte infiziert den Obduktionsraum verlassen. Er ist dann im Aufzug seinen Verletzungen erlegen, bevor er die Eingangshalle erreicht hat. Harvey wurde von Miros Leichnam im Obduktionsraum getötet. So wie es aussieht, hat Martin sich in der Zeit, als wir nach unten fuhren, in eine blutrünstige Bestie verwandelt. So wurde er zu einer Gefahr für die anderen und somit auch für uns«, fuhr er fort.
»Eine Gefahr für uns und andere?« Doktor Schreiers Stimme zitterte. »Sie reden hier über ehemalige Mitarbeiter von mir. Freunde, die nun als Tote auf die lebenden Menschen losgehen und diese fressen.«
»Moment mal«, meldete José sich zu Wort, »reden wir hier etwa von verdammten Zombies?! Untote, die warmes Fleisch zum Fressen brauchen? Hijo de puta! Meine Grossmutter hat mir als Kind immer davon erzählt, aber das sind Kindergeschichten, nichts Wirkliches, dachte ich zumindest immer.«
»Meinst du etwa damit, dass alle, die von diesen Biestern getötet und gefressen werden, auch zu diesen gefrässigen Zombies werden?«, wollte Dawn wissen.
»Ja, zumindest hat mir das meine Grossmutter immer so erzählt. Die Toten werden eines Tages kommen, um sich an den Lebenden zu rächen«, erklärte José. »Wie das genau vor sich gehen würde, wusste meine Grossmutter auch nicht«, fuhr er fort, als er sah, dass Charles, Commander Dawn und das restliche Team ihn mit fragenden Blicken ansah. »Sie benutzte nur häufig, wenn sie mir von den Untoten erzählte, ein Zitat aus einem dieser alten Kultfilme, die sie so liebte: Wenn es in der Hölle keinen Platz mehr hat, werden die Toten auf der Erde wandeln.«
»Und du glaubst, sie hatte recht? Woher konnte sie so etwas wissen?«, wollte Mark wissen.
»Was weiss ich«, rechtfertigte sich José, »ich war damals acht oder neun Jahre alt. Meine Grossmutter ist schon seit etlichen Jahren tot. Als Kind glaubt man noch so manches, was einem die Grossmutter oder der Grossvater erzählen.«
»Das klingt nach Arbeit, nach verdammt viel Arbeit«, fluchte Dawn leise vor sich hin. »Team, ich berufe eine Lagebesprechung ein. In fünf Minuten im Büro von Doktor Schreier. Abtreten.«
»Die Lage ist ernst«, begann Commander Dawn, als sich alle versammelt hatten. »Wie es scheint, haben wir es hier mit einer sehr schwierigen Situation zu tun. Nach dem ersten Eindruck, den ihr ja alle selbst bekommen habt, scheint es aussichtslos zu sein, mit diesen Wesen kommunizieren zu wollen. Sie greifen alles an, was lebt und sich bewegt. So wie es aussieht, scheint es momentan auch unmöglich zu sein, die Eingangshalle säubern zu wollen. Es sind viel zu viele dieser Untoten da draussen. Wenn wir nur eine Lücke haben und diese Kreaturen durchbrechen, ist es sofort aus mit uns. Unmöglich ist zurzeit meiner Meinung nach auch ein Zugriff von der zweiten Etage aus in die Eingangshalle. Wer weiss, wie viele dieser Dinger sich hier überall aufhalten und uns in den Rücken fallen könnten. Wir müssen also versuchen, das Gebäude von oben nach unten zu säubern. Daraus ergibt sich meiner Meinung nach nur eine Lösung für dieses Problem.« »Konsequente Vernichtung?«, fragte Elvis, ins Leere blickend.
Ed und José nickten beistimmend.
»Korrekt, Elvis«, pflichtete Dawn ihm bei. »Uns bleibt leider keine andere Wahl. Doktor Schreier hat mir zuvor erklärt, dass durch den Feueralarm, den Martin im Aufzug ausgelöst hat, die Feuertüren das Treppenhaus im ganzen Gebäude von den Etagen getrennt haben. Jede Etage wird durch mehrere weitere kleinere Feuertüren zusätzlich in sechs einzelne Sektoren und die Lobby, in der sich die Aufzüge befinden, unterteilt. So können grossflächige Brände vermieden und die Feuerherde eingedämmt und isoliert werden, wie uns Doktor Schreier bereits sagte. Doktor Schreier gibt uns noch den Hauptcode, damit wir die Feuer- und Sicherheitstüren bei Bedarf öffnen und schliessen können. So können wir uns Sektor für Sektor vorarbeiten, ohne auf Überraschungen zu treffen. Doktor Schreier wird unsere jeweiligen Einsatzzonen vom Kontrollraum aus über den Monitor beobachten und uns über die Geschehnisse in unserem Einsatzgebiet auf dem Laufenden halten. Und er wird uns natürlich warnen, falls eines dieser Biester plötzlich auftauchen sollte. Wir wissen nicht, ob einige der Infizierten in das Gebäude gelangt sind, bevor die Feuertüren die Etagen sicherten und wenn ja, wie viele es sind. Sicher ist nur, dass es im ganzen Gebäude an die fünftausend Patienten und rund fünfhundert Angestellte hat. Alle sind stark gefährdet oder möglicherweise schon von diesen Kreaturen angefallen worden. Wir können davon ausgehen, dass sie sich im Haupttreppenhaus bis ganz nach oben vorarbeiten können. Jedoch ist unklar, bis zu welcher Etage sie bislang eindringen und Menschen anfallen konnten. Fest steht: Wir müssen extrem vorsichtig vorgehen. Immer in Dreierteams, immer zusammen bleiben, einer schaut vorne, einer deckt hinten, und der in der Mitte inspiziert die Örtlichkeit oder die Räumlichkeit visuell. Macht keine ruckartigen Bewegungen oder unüberlegte Aktionen – schon gar nicht, wenn ihr Sichtkontakt zu einem dieser Zombies habt. Wir wissen nicht, auf was diese Dinger reagieren, gehen aber stark davon aus, dass sie sich hauptsächlich nach optischen und olfaktorischen Reizen orientieren und natürlich auch auf Geräusche reagieren.«
»Olfakt-was?«, wiederholte Mark mit fragendem Blick.
»Olfaktorisch bedeutet den Geruchsinn betreffend.«
»Dann reagieren sie also auf Gerüche, Geräusche und Sichtkontakt«, meinte Mark. »Toll.«
»Korrekt, Mark, korrekt«, nickte Dawn zustimmend und klopfte ihm auf die Schulter.
Elvis machte einen kleinen, für den King typischen Hüftschwung und meinte: »Na, dann hoffe ich doch, dass ihr alle geduscht habt, bevor ihr hier auf die Party gekommen seid.«
»Ruhe, Elvis«, ermahnte Dawn ihn scharf. »Die Lage ist ernst und verlangt Konzentration und Präzision. So wie diese Zombiewesen drauf sind, kann ein einziger kleiner Fehler, eine winzige Unachtsamkeit, tödlich für unser Team sein. Wir wissen noch nicht genau, wie wir sie erledigen können. Also seid wachsam, koordiniert euch und seid stets auf der Hut. Riskiert nichts und geht besser in eine sichere Zone zurück oder eröffnet das Feuer, bevor ihr plötzlich von diesen Dingern eingeengt werdet oder umzingelt seid. Noch Fragen? Dann kommen wir jetzt zur Teamaufteilung. José, du führst Team Alpha. Mark und Charles, ihr geht mit José. Team zwei sind Teddy … ähm … ich meine – Elvis und Ed, ihr kommt mit mir. Wir bleiben nonstop in Funkkontakt und halten uns ständig gegenseitig auf dem Laufenden, damit wir uns bei Gefahr so schnell wie möglich koordinieren und positionieren können oder uns gegebenenfalls auch aus dem Staub machen können. – Weitere Fragen? Keine? Na dann abtreten, Waffen fassen und ausrüsten. In fünf Minuten geht’s los«, befahl der Commander und liess seine Männer abrücken, um sich für den Einsatz bereitzumachen.
Nachdem sie sich mit Waffen und Munition ausgestattet hatten, machten sie letzte Checks.
»CU-Check, alle online? Team Alpha?«
»Ready«, bestätigte José klar und deutlich.
»Team Omega, ready«, meldete sich auch der Commander.
Doktor Schreier informierte sie, dass zur Zeit die 17. bis 20. Etage leer stünden, da dort gerade die jährlichen Desinfektions- und Renovationsarbeiten im Gange seien.
»Hier haben Sie den Code, den Sie benötigen, um die Feuer- und Sicherheitstüren zu öffnen«, fuhr er fort. »Er lautet zwei-zwei-sieben-sechs und funktioniert an jeder Tür im Gebäude.« Gerade als Doktor Schreier weitere Infos an Karl und dessen Team geben wollte, wurde er durch das Klingeln seines schnurlosen Haustelefons unterbrochen.
»Tag Doktor«, meldete sich Raul, der Sanitäter. »Sagen Sie mal, das hier im Obduktionsraum sieht aber nicht gerade nach einer kleinen Bisswunde aus. Da steht ein Typ drin, es scheint Harvey zu sein, und er sieht sehr ungehalten aus. Und, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, hungrig.«
»Um Gottes willen«, antwortete Doktor Schreier hastig. »Verschwinden Sie von dort, bevor Sie von ihm angegriffen werden. Er ist gefährlich. Er wurde vom Obduktionspatienten getötet, als dieser wie eine Furie auf ihn losging.«
»Von einem der zu obduzierenden Patienten?«, fragte Raul verdutzt. »Wie geht denn so was? War der nicht tot …? Egal, jedenfalls keine Sorge, den Raum haben wir gesichert, aber wir brauchen hier bestimmt den Hausdienst. Eine beachtliche Blutspur führt aus dem Raum hinaus und in Richtung des Aufzugs. Die kann doch unmöglich von ein paar Bisswunden stammen.«
Doktor Schreier wurde noch aufgeregter: »Mist, machen Sie schnell, dass Sie da wegkommen! Miro ist nicht mehr im Obduktionsraum. Vermutlich konnte er irgendwie entkommen.«
»Miro? Was?«, erkundigte sich Raul. »Sie meinen den Typen, der heute Morgen in der Eingangshalle verstorben ist und dessen Frau zu uns in die Notaufnahme kam und nun auf der IPS liegt?«
»Genau der!«, rief Doktor Schreier aus.
Raul wollte gerade noch etwas sagen, als er von Amos leicht an der Schulter angetippt wurde. Schon als er sich zu Amos umdrehte, bemerkte er am äusseren Rand seines Blickfeldes, worauf Amos ihn aufmerksam machen wollte.
»Verdammt, er ist hier, er ist hier«, schrie Raul und zupfte dabei nervös an Amos’ Hemd herum. Keine zwanzig Meter von ihnen entfernt schleppte sich der von Blutspritzern völlig übersäte Miro um die Korridorecke. Am rechten Bein schauten nur noch der Unterschenkelknochen und das Schienbein hervor, und frisches Blut rann ihm aus seinem Maul. Seine Körperhaltung hatte mehr etwas Animalisches als etwas Menschliches an sich, während er mit zuckenden Bewegungen auf sie zukam. Er blieb an der Ecke stehen und schien irgendetwas in der Luft zu riechen. Seine Nasenflügel blähten sich heftig auf, als er die Witterung aufnahm, und er zuckte mit dem Kopf erregt und grunzend einer unsichtbaren Luftlinie nach, die scheinbar den Geruch der beiden Sanitäter zu ihm hinüberbeförderte.
»Warum hat die Feuertür zu Sektor sechs nicht geschlossen?«, fragte Amos. »Da liegt ja etwas zwischen der Tür. Ja, eine Trage blockiert die Feuertür!«
»Nun verschwinden Sie doch endlich von dort, bringen Sie sich in Sicherheit, schnell«, drängte Doktor Schreier ungeduldig durchs Telefon.
»Scheisse, scheisse, er kommt, Raul, er kommt«, fluchte Amos, der immer noch im Bann des Untoten stand.
Genau in diesem Moment hörte Miros Zucken auf. Die visuelle Bestätigung für den erschnupperten Geruch liess sein hässliches und von Blut gesprenkeltes Gesicht noch mehr zu einer von Gier und Hass erfüllten Fratze werden. Miros Leichnam stiess einen abscheulich gequälten Schrei aus, setzte sich schnell in Bewegung und kam holprigen und schlurfenden Schrittes auf Raul und Amos zu. Die beiden hatten kaum Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, schafften es aber gerade noch, sich im allerletzten Moment in die neben dem Obduktionsraum liegende Sterilisationskammer zu retten. Sie knallten die Tür ins Schloss und stemmten sich mit voller Kraft dagegen, als vom Korridor her ein aggressiver Trommelwirbel gegen die Tür begann, begleitet von unmenschlichem Gekreische und Geifern.
»Allmächtiger«, sagte Amos trocken und mit zittriger Stimme, »was geht denn mit dem Typen hier ab? Was ist bloss mit dem verrückten Kerl los?«
»Keine Ahnung.« Raul zuckte bloss die Schultern. »Schliess die verdammte Tür ab, dann sind wir hier fürs erste in Sicherheit.«
Draussen im Korridor hämmerte Miros Körper weiterhin ohne Unterlass und wie von Sinnen gegen die Tür und kreischte dabei wie wild vor Gier nach Blut und Fleisch. In der Dunkelheit der Sterilisationskammer bemerkte Raul erst nach einer Weile, dass Doktor Schreier noch immer über das Haustelefon mit ihm zu sprechen versuchte. Ob er ihn höre, rief er immer wieder, er solle doch um Himmels Willen antworten.
»Ja, Doktor Schreier«, antwortete Raul, »verdammte Scheisse, was geht denn mit dem Typen ab? Der ist doch tot. Wir konnten uns gerade noch in die Sterilisation neben dem Obduktionsraum retten.«
Doktor Schreier erklärte Raul, dass Dawn und dessen Männer auf dem Weg zu ihnen seien, um sie dort rauszuholen, als Amos plötzlich unter dem unablässigen Gehämmer von Miro aus einer der dunkeln Ecken der Sterilisation ein Gewimmer vernahm. Er zuckte zusammen und drehte sich ruckartig um.
»Scheisse, scheisse, Raul, schalt schnell das Licht ein, hier drinnen ist irgendetwas.«
Raul fummelte blitzschnell, aber ungeschickt an der Wand neben der Tür herum, durch die sie gerade in Sicherheit gekommen waren, und versuchte den Lichtschalter zu finden. Er hörte das Gewimmer nun auch, konnte aber auch nicht richtig einordnen, woher oder von was das elende Geräusch kam.
»Nun komm schon, komm schon du Dreckstück, wo bist du?«, knurrte Raul, immer noch suchend die Wand abtastend.
Amos hatte in der Zwischenzeit ein Feuerzeug in seiner Hosentasche gefunden und dankte Gott leise dafür, dass er noch rauchte und die vielen Versuche, es aufzugeben, allesamt nichts gebracht hatten. Er entzündete es. In dem spärlichen Licht fand Raul, wonach er gesucht hatte.
»Da!«, sagte er und schaltete das Licht ein.
Der Sterilisationsraum wurde nun zögerlich durch die alten Leuchtstoffröhren erhellt, zuerst flackernd, dann mit konstantem Licht. Raul und Amos standen nah zusammen, auf jede erdenkliche Begegnung vorbereitet. In einer der hintersten Ecke des Raumes entdeckten sie Dimitra Lobotov, ganz zusammengekauert und von Tränen überströmt und wimmernd. Amos und Raul waren sichtlich über ihren »Fund« überrascht.
»Dimitra, Gott sei Dank«, rief Raul erleichtert. »Aber was machst du denn hier?«
Dimitra wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und verschmierte dabei das ganze Augen-Make-up. Das kümmerte sie aber im Moment herzlich wenig.
»Ich war gerade auf dem Weg zu Doktor Schreier«, antwortete sie schluchzend, aber bemüht, die Fassung zu bewahren, »um dem Commander die nächsten Proben zu bringen, als der Aufzug aus irgendeinem Grund auf dieser Etage hielt. In Gedanken versunken bin ich ausgestiegen. Erst als der Aufzug bereits wieder weg war, bemerkte ich die grauenhafte Blutspur und dass ich auf der falschen Etage ausgestiegen war. Als ich dann diese schrecklichen Geräusche hörte, versteckte ich mich in der Sterilisation und hoffte, dass es schon bald vorbei sein würde. Doktor Schreier war gerade beim Aufzug, um Dawn und sein Team zu instruieren, als sie wegen Martin in die Haupthalle im Erdgeschoss wollten. Sie waren wohl gerade auf dem Weg nach unten, als Doktor Schreier auf dem Monitor sah, dass sich Martin irgendwie verändert hatte, auf die Menschen in der Eingangshalle losging und sie …«, sie schluckte kurz, »naja … auffrass.«
»Was?«, platzte Raul heraus. »Aber wir waren doch gerade eben noch in der Eingangshalle.«
»Vermutlich seid ihr aneinander vorbeigefahren, ihr rauf und Dawn und sein Team nach unten. In dieser Zeit muss sich Martin verändert haben, und Miro ist es in dieser Zeit irgendwie gelungen, durch die Tür des Obduktionsraums zu gelangen.«
Das Hämmern an der Tür liess allmählich nach.
Dimitra schnäuzte sich die Nase, bevor sie fortfuhr: »Als ich dann wieder auf den Knopf drückte und auf den Aufzug wartete, kam dieser Miro nur einige Meter von mir entfernt aus dem Obduktionsraum. Zu meinem Glück zuerst mit dem Rücken zu mir, doch als ich die Tür zur Sterilisation aufschloss, hatte er meine Witterung schon aufgenommen und hechtete richtiggehend auf mich los. Ich konnte mich im allerletzten Moment hier hineinretten. Eine Sekunde später, und er hätte mich garantiert erwischt.«
Raul ging nervös auf und ab, während er zuhörte.
»Willst du damit sagen, dass in der Eingangshalle das Gleiche abgeht wie hier?«, fragte er. »Mann, das wird ja immer schlimmer. Doktor Schreier hat mir eben noch gesagt, dass Dawn und seine Männer auf dem Weg seien, um uns hier rauszuholen. Ich schlage deshalb vor, wir bleiben erst mal hier, bleiben ruhig und warten, bis Dawn und seine Männer uns gefunden haben.«
Dimitra nickte stumm, und Amos tat es ihr gleich.
Im Feuertreppenhaus vor der Tür zur 15. Etage im Sektor drei angekommen, gab Commander Dawn noch einmal letzte Instruktionen an seine Teams durch.
»Team Alpha: Eingang sichern und Position halten«, befahl er. Dann bereitete er sich ebenfalls auf den Einsatz vor.
Die Mitglieder des Teams Alpha entsicherten ihre Waffen, und ein scharfes »Klick« bestätigte ihnen, dass ihre Waffen bereit zum Einsatz waren. Charles ging als erster los. Er öffnete langsam und vorsichtig die Brandschutztür um einige Zentimeter und spähte von der direkt vor ihm liegenden Wand zuerst nach rechts ans Ende des Korridors, der dort offenbar nur noch nach links weiterzuführen schien. Dann spähte er nach links und musste dabei seinen Kopf gefährlich tief in den Krankenhausflur strecken, um genug sehen zu können. Nach einem Moment zog er den Kopf zurück in Sicherheit und drehte sich zu seinem Team um.
»Sackgasse, aber sauber«, meldete er.
Sie stiegen nun alle nacheinander, leicht in der Hocke und mit vorsichtigen Schritten, durch die Tür auf den Abteilungskorridor und positionierten sich wie besprochen an ihren Stationen. Jeweils übers Kreuz und in alle Richtungen spähend, überwachte jeder von ihnen den direkt vor ihm liegenden Abschnitt des Korridors.
José, der den hinteren Abschnitt des Korridors, die Sackgasse, absicherte, gab ein »sicher« von sich und blickte zu Mark hinüber, der seine Position neben der Feuertür auch bereits eingenommen hatte. Mark meldete als nächster, dass sein Abschnitt »sicher« sei. Zuletzt folgte Charles, der sich langsam und anmutig wie eine Katze an die Ecke des Korridors vorpirschte, um einen Blick nach links in den weiterführenden Flur werfen zu können. »Sicher«, meldete er, ohne sich zu seinem Team umzudrehen, und hielt seine Position an der Ecke.
José, der Leader des Alpha-Teams, erstattete Dawn Bericht. Er meldete, dass die Luft abgesehen von dem leichten Geruch nach Desinfektionsmittel zwar sauber sei, aber er hier vorne ein dumpfes Poltern vernehmen könne.
Nach dem »Okay« von Josés Alpha-Team machte sich Dawns Team Omega, das im Feuertreppenhaus hinter der Tür gewartet hatte, bereit, nachzurücken. Nacheinander traten sie auf den Abteilungskorridor hinaus und schlossen zum Alpha-Team an ihren Positionen auf. Charles erhielt von Dawn das Okay-Handzeichen, sich weiter zur nächsten Ecke hin vorzuarbeiten. An der nächsten Ecke angekommen, spähte er nach rechts in den weiterführenden Korridor und schlich dann weiter links um die Ecke durch den anderen Korridor in Richtung des Hauptkorridors, der sie zum Obduktionsraum bringen sollte. Wieder an der nächsten Ecke angelangt, meldete er Dawn, dass bei ihm alles sauber sei, das Poltern jedoch lauter werde und zudem ein eigenartiges, animalisches Geräusch zu hören sei. Ebenfalls meldete er, dass die nächste Ecke nach rechts in den Hauptkorridor führe, der den Sektor drei mit dem Sektor sechs verbinde.
»Der Hauptkorridor sollte jetzt durch die Feuertüren in Sektor drei und sechs aufgeteilt worden sein«, meldete er zurück und wartete auf weitere Befehle seines Commanders.
Dawn meldete José, dass er verstanden habe und richtete sich dann an sein Team.
»Team Omega, Jungs – haltet die Augen offen. Nicht dass uns einer dieser Drecksäcke aus einem der hinteren Korridore in den Rücken fällt. Team Omega, unser Part besteht darin, den Hauptkorridor zu sichern und uns dann vorsichtig zur Sterilisation vorzuarbeiten. Team Alpha, ihr gebt uns Deckung und warnt uns, wenn eine dieser Kreaturen auftaucht. Eröffnet sofort das Feuer, wenn es nötig wird. Kein Risiko eingehen, verstanden? Wir haben gesehen, dass sie absolut unkooperativ sind. Den ersten Anzeichen nach greifen sie wahllos alles an, also verteidigt euch wenn nötig. CUs online und vorwärts, Jungs!«
Die beiden Teams meldeten über ihre CUs ihre Bereitschaft und hielten sich zum Vorrücken bereit. Team Omega schloss zu Charles auf, der seine Position an der Ecke hielt, dann schlichen sie vorsichtig um die Ecke und in den ersten Abschnitt des Hauptkorridors weiter. Kaum waren sie an Charles vorbei, erblickte Dawn auch schon den wandelnden Leichnam, der einst Miro Sollik gewesen war. Keine zehn Meter von ihnen entfernt torkelte er gegen eine Tür und machte sich ziemlich beharrlich daran, auf sie einzuschlagen. Dazu kreischte er wie ein wildes Tier. Es war die Tür zur Sterilisation. Genau dort befanden sich nach Doktor Schreiers Angaben die beiden Sanitäter Raul und Amos.
»Elvis, du deckst mich von dieser Ecke hier, und Ed, du hältst Elvis den Rücken frei. Team Alpha: Augen offen halten, wir gehen vor.«
Nach einem weiteren kurzen Blick in den Hauptkorridor bemerkte Dawn, als er gerade vorstossen wollte, auf der linken Korridorseite die grosse, von Blutspritzern übersäte Scheibe, die vom Korridor her Einblick in den Obduktionsraum gewährte. Erst jetzt fiel ihm die riesige Blutspur vor seinen Füssen auf, die von ihm weg direkt zu Sollik verlief.
»Da links ist der Raum, in dem die Obduktion von Miro stattgefunden hat«, meldete er den Teams über das CU und wagte sich einige Schritte vor. Als er unentdeckt von Miro etwa auf gleicher Höhe zur Tür des Obduktionsraums vorgerückt war, bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass da noch etwas im Raum war. Irgendetwas bewegte sich darin. Dawn drehte langsam seinen Kopf nach links, um mehr zu erkennen und sah nun, was es war.
»Scheisse«, entfuhr es ihm leise. »Harvey.«
Wie auf Kommando hörte Harvey sofort auf, sich an dem abgetrennten Arm von Miro zu laben und sah Dawn zornig mit einer bestialisch blitzenden Gier direkt in die Augen. Seine weissen, glanzlosen Augen starrten Dawn an und schienen ihn einen Moment lang zu fixieren, bevor es eine Sekunde später laut knallte und Harvey mit einem heftigen Trommelwirbel seiner Fäuste gegen die Innenseite der Obduktionstür schlug. Sein Gepolter wurde von aggressivem Gekreische und Gejaule begleitet. Er hämmerte wie von Sinnen auf die Tür ein und wollte raus.
»Verdammt!« Dawn wich erschrocken zurück.
»Dawn, Dawn, Miro auf zwölf Uhr«, meldete sich Elvis, der hinter ihm an der Ecke immer noch in Position stand, über das CU.
Der Leichnam von Miro war durch den Lärm seines kürzlich erworbenen Kollegen auf Dawn und seine Männer aufmerksam geworden und liess nun vorerst von der Sterilisationstür ab, um sich ihnen zuzuwenden. Er beschleunigte seine Schritte zusehends, während er humpelnd immer näherkam. Er musste sich in der Zeit zwischen seiner Befreiung und der jetzigen Zusammenkunft mit Dawn und seinen Männern irgendwo, irgendwie verletzt haben. Sein rechter Unterschenkel war gleich über dem Fuss nach innen geknickt, sodass er ihn mit jedem Schritt wie ein Sandsäckchen am Knöchel mit sich mitschleppte. Bei jedem seiner Schritte konnte man förmlich hören, wie sich die Knochen knackend und hölzern aneinander und unter seinem Gewicht am Boden rieben und sich vom Unterschenkelknochen und dem Schienbein splitternd ablösten, während er sich auf sie zu bewegte. Trotz dieser Beeinträchtigung setzte er seine Schritte, wenn auch etwas holprig, rascher und rascher in ihre Richtung fort und kreischte dabei schriller und bedeutend lauter als zuvor.
Dawn warf sich zu Boden.
»Feuer eröffnen«, schrie er, begann auch selbst auf Miro zu schiessen und traf ihn mit der ersten Salve von drei Kugeln in den Bauch.
Die Kreatur kam weiter unbeirrt auf sie zu. Elvis, der von der Ecke hinter Dawn aus Deckung gab, beteiligte sich mit einer Fünfersalve auf den Torso von Miro auch am Gefecht.
»Das gibt’s doch nicht«, rief Elvis, »fünf Volltreffer in die Brust, und der Kerl geht nicht zu Boden.«
Im Gegenteil. Die fünf Treffer rissen zwar grosse Löcher in Miros Leib, aber er schien eher noch etwas schneller auf das Team zuzukommen. Er blickte zorniger denn je auf seine Angreifer, liess seinem Hass mit einem weiteren, markerschütternden Schrei freien Lauf und setzte sich noch schneller und holpriger als zuvor in Bewegung. Elvis und Commander Dawn eröffneten erneut das Feuer auf Miro. Elvis’ Geschosse trafen Miro ein weiteres Mal in den Brustkorb und hinterliessen dort weitere grosse Löcher. Blut spritzte an die Wände. Charles schoss der Kreatur in die Beine. Zwei der Kugeln trafen den linken Oberschenkel, und eine weitere traf ihn ins Becken. Zwei weitere Kugeln folgten darauf aus Dawns Waffe. Sie trafen Miros rechtes Knie und zersplitterten es mit einem knorpeligen, matschigen Geräusch. Bei seinem nächsten Schritt tat die Schwerkraft ihren Teil dazu, und er knickte nach vorne ein, wobei ihm das Kniegelenk durch seine Instabilität nun nach vorne oben statt nach hinten zusammengeklappt wurde. Mit einem erneuten matschigen, dumpfen Plumpser ging er wie ein Mehlsack zu Boden und begrub sein Bein unter sich.
Harvey wurde wieder lauter und schriller als zuvor und begann wieder hinter der Tür zu randalieren, um rauszukommen. Das Glas zwischen ihm und dem Team isolierte den Lärm, so war das schrille Gekreische wenigstens vorübergehend auszuhalten. Ein erneuter bestialisch klingender Schrei gesellte sich zum bestehenden Krach. Miro – er regte sich noch immer – robbte nun aus einer immer grösser werdenden Lache seines eigenen Blutes mit den Armen auf sie zu. Er kreischte wild und blickte mit solch einer Gier in den Augen und so hasserfüllt auf seine Angreifer, dass es einem wahnhaften Ausdruck gleichkam. Das Blut rann ihm in kleinen Rinnsalen aus den etlichen Einschusslöchern in seinem Körper, doch unter grellem Gejaule stützte er sich auf seinem rechten Arm und dem Stummel, an dem einmal sein linker Arm gewesen war, ab und robbte weiter in ihre Richtung.
Dawn ging in die Hocke.
»Das gibt es doch nicht«, knurrte er und setzte sofort einige weitere Kugeln auf Miro nach.
Eine der Kugeln traf seinen rechten Ellenbogen und riss ihm unter grausamstem Gekreische den kompletten, bisher unversehrt gebliebenen rechten Unterarm ab. Auf den verschlissenen Resten, die von seinen Armen übriggeblieben waren, robbte er weiter. Eine weitere Kugel streifte ihn an der rechten Schläfe, und die nächste Kugel traf Miro genau ins Auge und liess dabei sein Gehirn explosionsartig aus dem Hinterkopf an die Wand und auf den Korridor spritzen. Jetzt endlich erschlaffte der Körper und blieb regungslos auf dem Boden liegen.
»Endlich«, sagte der Commander erleichtert. »Keiner fasst hier irgendetwas an. Wir wissen nicht, wie ansteckend dieses Zeug ist, verstanden? Es scheint, als sei ihnen nur mit einem Kopfschuss beizukommen. Also schiesst ab jetzt wenn möglich direkt in den Kopf, falls es noch mehr von diesen Kreaturen geben sollte.«
Team Alpha und Omega bestätigten den Befehl, und Dawn machte sich daran, zur Tür der Sterilisationskammer vorzustossen.
»Ed, behalte Harvey im Auge«, befahl Dawn. »Elvis, Deckung geben, ich stosse weiter vor.«
Eddy und Elvis bestätigten ihren Auftrag und hielten die Augen offen, als sich Commander Dawn weiter zur Tür hin bewegte. Harvey polterte weiter, kreischte und schrie aus voller Kraft, als der Commander sich einen Weg um den toten Miro herum in Richtung der Tür der Sterilisationskammer bahnte. Als er die Tür erreicht hatte, klopfte er erst vorsichtig an und lauschte, indem er ein Ohr an die Tür legte, ob er etwas Ungewöhnliches hören konnte. Nichts. Dawn klopfte erneut, und nun endlich drang ein leises »Ja?« aus dem Inneren der Sterilisation an sein Ohr.
»Raul, Amos«, rief der Commander, »hier ist Karl Dawn. Wir sind hier, um Sie rauszuholen. Öffnen Sie die Tür, der Bereich ist sicher.«
Etwas zögerlich und mit nervösem Geklimper wurde der Schlüssel auf der anderen Seite ins Schloss eingeführt. Endlich drehte er sich, und die Tür wurde aufgeschlossen. Als sie endlich offenstand, sahen sie, dass nicht nur Raul und Amos sich in die Sterilisation hatten retten können, nein, bei ihnen war auch Dimitra.
»Dimitra, was zum Teufel machen Sie denn hier?«, fragte Commander Dawn überrascht, auch sie hier vorzufinden. Gerade als Dimitra zu erzählen beginnen wollte, unterbrach er sie abrupt: »Später, wir müssen jetzt erst mal weg von hier.«
Als sie auf dem Rückweg wieder an der Tür zum Obduktionsraum vorbeikamen, stand Harvey hinten im Raum an dem Tisch mit dem CD-Player und drückte an dem Gerät herum. Plötzlich erklang die Melodie von »Peter und der Wolf«. Harvey drehte sich zögerlich zur Tür, an der sie vorbeigingen, und wollte erneut auf sie los, um sie zu attackieren. Elvis schüttelte den Kopf, ging zur Tür hinüber und begutachtete Harvey durch die Scheibe. Harvey rastete erneut in einem unkontrollierten Wutausbruch aus und begann wieder auf die Tür einzuschlagen. Elvis schüttelte nochmals verständnislos den Kopf.
»Ach, halt doch endlich deine Fresse«, sagte er, zog seine 375er-Magnum aus dem Holster, hielt die Mündung bündig auf Kopfhöhe an die Panzerscheibe und drückte ab. Mit einem lauten Donnerschlag durchbrach die Kugel mühelos die Panzerglasscheibe und liess Harveys Kopf mit einem fleischigen Platschen explodieren.
»Jiaak«, jaulte Elvis auf, »wow, das ist Power, was, du Popspastiker.«
Zusammen und unter vorsichtiger Inspizierung jedes Korridors bahnten sie sich ihren Weg zurück zur Feuertür im dritten Sektor und gelangten über das Feuertreppenhaus zurück in Doktor Schreiers Büro.
Als Dawn Doktor Schreier von der unverschlossenen Feuertür erzählte, erklärte dieser ihnen, er habe sie auf dem Monitor gesehen, als er sie gewarnt habe, sie sei durch eine Trage blockiert. Doktor Schreier erklärte dem Commander, dass er die 15. bis 20. Etage via Videokamerasystem überprüft habe. Sie seien frei von diesen Wesen, und deshalb habe er die Etagen nacheinander über das Kontrollpult elektronisch verschlossen und gesperrt.
Das Klingeln von Doktor Schreiers Haustelefon unterbrach ihn. Er wurde vom befehlshabenden Kommandanten, der die um das SinAid aufgebauten Basis hielt, informiert, dass sie drauf und dran seien, sich Zugang zum Gebäude zu verschaffen, es aber im Moment noch nicht recht vorwärtsgehe. Sie hätten einen Elektriker aufgeboten, der die elektronische Sperre der Haupttüre aufbrechen solle. Dieser sei bereits auf dem Weg. Ein kurzes Knacken am Ende seiner Ansprache wies darauf hin, dass die Leitung wieder unterbrochen war.
Die Teams machten sich sogleich daran, die weiteren Etagen zu überprüfen. Dank den unzähligen Kameras, die im ganzen Gebäude angebracht waren, konnte jede Etage bis in die letzten Winkel begutachtet werden – mit Ausnahme einiger weniger Räumlichkeiten, bei denen man aus diskretionstechnischen Gründen auf eine Kamera verzichtet hatte.
Nach einem Moment meldete sich Mark, der mit Doktor Schreier die Videoüberwachung übernommen hatte, zu Wort: »Videocheck Etage vierzehn: sauber.«
Dann meldete sich Ed: »Etage dreizehn: auch sauber.«
»Zwölf sauber«, war Elvis zu hören.
»Moment noch …«, bat José, »okay, Etagen elf und zehn sind auch sauber.«
Sobald Doktor Schreier die Bestätigungen erhalten hatte, verschloss er die einzelnen Etagen fortlaufend über das Kontrollpult.
»Etage neun: sauber«, meldete Charles sich als letzter.
Doktor Schreier erhielt über das Telefon der Steuerkonsole, das nur in Notfällen benutzt wurde, erneut einen Anruf des befehlshabenden Kommandanten der Versorgungsbasis. Sie hätten die erste Hürde bereits geschafft, bräuchten aber noch etwas Zeit, um sich durch die Feuertür der Eingangshalle durchzuarbeiten. Der Elektriker komme in etwa dreissig Minuten und werde sich dann sofort an die Arbeit machen.
Doktor Schreier wurde leichenblass.
»Nein«, schrie er ins Telefon. »Um Gottes willen, öffnen Sie diese Tür auf keinen Fall und lassen Sie die Finger von der elektronischen Sperre. Hier drin sind …« Ein erneutes kurzes Knacken in der Leitung unterbrach Doktor Schreier.
»Hallo?«, meldete sich der Kommandant zurück. »Können Sie mich hören? Over. Kann mich irgendjemand da drin empfangen? Verdammt, ich fürchte, die Wände des Gebäudes sind zu dick, um mit den Standardkommunikationsgeräten Kontakt mit den Menschen im Innern des Gebäudes aufzunehmen.«
Doktor Schreier wurde noch blasser.
»Sie können uns nicht hören«, stammelte er leise. »Sie können uns nicht hören.« Dabei schüttelte er ungläubig und besorgt den Kopf. »Nicht auszudenken, was für eine Katastrophe auf sie und uns zukommt, wenn es dem Militär gelingt, die elektronische Sperre zu öffnen und die Feuertür der Eingangshalle zu durchbrechen. Alle diese Wesen würden entkommen und grossflächig jeden anfallen, der ihnen in die Quere kommt«, sagte er.
Der Commander wollte gerade etwas dazu sagen, als Mark sich meldete.
»Dawn?«, fragte er übers CU.
Dawn schaute direkt in die Kamera über ihm und nickte ihr erwartungsvoll zu, da er wusste, Mark würde ihn auf seinem Monitor sehen.
»Hier auf Etage acht, Sektor fünf, scheint sich etwas in der Bio-Entsorgung zu tun«, meldete sich Mark zurück. »Es scheint, als sei dort eine kleine Versammlung dieser Biester im Gange.«
»Wie viele sind es?«, wollte Dawn von ihm wissen.
»So wie es aussieht, sind es vier dieser Biester, aber bei den Lichtverhältnissen, die da unten herrschen, kann ich dafür keine Garantie geben.«
Doktor Schreier wurde bei diesem Satz aus seinen Gedanken gerissen und begab sich zu Mark hinüber mit den Worten: »Oh, entschuldigen Sie bitte vielmals, hier.« Er drückte auf einen der vielen Knöpfe am Kontrollpult vor Mark, und auf dem Monitor wurde der Bio-Entsorgungsraum langsam von den nervös aufflackernden Leuchtstoffröhren erhellt.
Es waren sieben dieser Kreaturen. Wie sich nun zeigte, waren drei der Wesen in der Dunkelheit unentdeckt geblieben.
»Gute Arbeit, Doktor Schreier«, lobte der Commander. »Das hat uns wohl soeben einen Haufen Ärger vermieden. Solche Überraschungen können wir im Moment gar nicht gebrauchen. Leuchtet jeden Raum bis in den letzten Winkel aus, damit wir hundertprozentig sicher sein können, wie viele dieser Kreaturen sich jeweils in unserem Einsatzgebiet befinden. Wirklich gute Arbeit, Doktor.«
Die Untoten machten sich an den Behältern für organische Abfälle zu schaffen. Sie drängten sich aneinander und keiften sich dabei gierig an. Jeder wollte die besten Stücke für sich beanspruchen. Zwei der Biester kämpften um ein scheinbar besonders delikates Stück, fauchten und kreischten sich gegenseitig an und versuchten, es dem Widersacher zu entreissen. Doktor Schreier beobachtete das Geschehen auf dem Monitor einen Moment mit grösster Aufmerksamkeit.
»Nun, was sollen wir nun unternehmen? Das Militär hört uns scheinbar nicht, sie können uns also nicht helfen. Und wenn sie das Gebäude öffnen, können alle diese Biester fliehen und überall in der ganzen Stadt Menschen anfallen.«
»Wir müssen versuchen, das Gebäude weitgehend zu räumen«, antwortete ihm Dawn. »Dabei versuchen wir möglichst viele der Infizierten auszuschalten. Da wir keine genauen Kenntnisse über das Ausmass der Situation haben und nicht viel Zeit bleibt, schlage ich vor, dass wir mit der Räumung des Gebäudes sofort beginnen. So können wir so viele dieser Wesen wie möglich ausschalten, bevor es das Militär durch die Haupttüre geschafft hat. Wie wir bei Miro – oder wohl eher: bei seinem Leichnam gesehen haben, kann einzig ein Schuss in den Kopf diesen Wahn beenden. Also seht euch vor. Doktor Schreier, Sie kennen sich am besten mit der Steuerkonsole aus. Sie bleiben an den Monitoren, überwachen die Etagen und erstatten uns Bericht, wenn sich im Gebäude irgendetwas tut. Team Alpha, Omega: weiter vorwärts!«
Sie verschafften sich Zugang zur Feuertür, die sie auf der achten Etage in Sektor sechs wieder auf den Abteilungskorridor führen würde. Als sie vor der Feuertür zu Sektor sechs standen, der unmittelbar rechts von Sektor fünf, der Bio-Entsorgung, lag, wurden sie von Doktor Schreier informiert, dass er in Sektor vier, links neben der Bio-Entsorgung, Bewegungen auf dem Monitor festgestellt habe.
»Commander Dawn«, meldete sich Doktor Schreier über die Hauskommunikationsanlage, »in der Nähe des Archivs in Sektor vier bewegt sich etwas. Ich kann noch nicht erkennen, wie viele es genau sind, aber seien Sie bitte äusserst vorsichtig.«
Sektor vier grenzte an Sektor eins an, der jetzt aber durch die Feuertür abgetrennt wurde. Doktor Schreier informierte das Team weiter, dass es in jedem Sektor an die zwanzig Patientenzimmer gebe. Die Sektoren zwei, drei und sechs sowie die »Lobby«, in der die Abteilungs- und Bettenaufzüge stationiert waren, seien sauber. An der Feuertür zu Sektor sechs angekommen, koordinierte der Commander die Teams für den Einsatz.
»Team Alpha: Gebiet sichern bis Sektor drei, um Überraschungen zu vermeiden. Team Omega: Wir sichern die untere Hälfte von Sektor sechs bis Sektor fünf. Treffpunkt bei der Feuertür zu Sektor fünf in fünf Minuten. Abrücken.«
Die Teams zogen los, und Team Alpha meldete sich kurz darauf über das CU.
»Alpha hier«, meldete sich José. »Sektor sechs ist sauber.«
»Bei uns auch, Jungs«, bestätigte Team Omega. »Wir sind schon bis zur Feuertür vorgerückt. Schliesst auf, sobald ihr könnt.«
José bestätigte.
Als sie bei der Feuertür zusammenkamen, war Ed schon damit beschäftigt, mit einem elektronischen Abhörgerät die Tür stellenweise nach Geräuschen von der anderen Seite her abzuhören.
»Sauber«, meldete er nach einem kurzen Augenblick. »Ich höre nichts – ausser einem ganz schwachen Gemurmel. Es scheint aber ein ganzes Stück entfernt zu sein oder aus einem anderen Raum zu kommen.« Er legte das Abhörgerät beiseite.
»Doktor Schreier, ist das hier der einzige Zugang zu Sektor fünf?«, erkundigte sich Dawn bei Doktor Schreier über sein CU, um zu erfahren, ob auf der anderen Seite der Tür mit Besuchern zu rechnen war.
»Nein«, erklärte ihm Doktor Schreier. »Sie könnten notfalls auch den Wartungskanal im Boden benutzen. Er verbindet jeweils die Sektoren eins bis drei und die Sektoren vier bis sechs. Dazu müssen Sie nur den Gitterrost abnehmen, auf dem Sie gerade stehen. So können Sie sich durch den Wartungskanal in die Sektoren fünf und vier bewegen. Der Vorraum zur Bio-Entsorgung ist zwar sauber, aber Vorsicht ist immer noch besser, als Überraschungen zu erleben.«
»Das stimmt«, pflichtete ihm der Commander bei. »Danke Doktor. Ihr habt’s gehört, Männer. Eddy, du verminst hinter uns alles und deckst uns zusammen mit Elvis den Rücken. Sichert uns den Rückweg. Der Rest kommt mit mir. Charles: Bodengitter öffnen. Alle andern: Waffen bereit, sichern und folgen.«
Nacheinander stiegen sie in den um einiges dunkleren Wartungskanal hinab und arbeiteten sich leise und geschickt unter der Feuertür nach Sektor fünf, den Vorraum zur Bio-Entsorgung, vor. Sie waren kaum unter der Feuertür durchgekrochen, als ihnen auch schon der eisenhaltige Geruch der organischen Abfälle in die Nase stieg. Charles gab das Handzeichen für »Position halten« und »Ruhe«, und alles blieb auf sein Kommando hin sofort mucksmäuschenstill an Ort und Stelle stehen. Darauf folgte das Handzeichen für »Leise vorwärts«, und alle folgten ihm in regelmässigem Abstand bis unter die Einstiegsluke im Bodengitter zum Vorraum der Bio-Entsorgung.
»Charles, Lage erkunden und Meldung erstatten«, befahl Dawn.
Charles pirschte sich vorsichtig unter die Einstiegsluke vor. Er hob sie in Zeitlupe und absolut geräuschlos soweit an, dass er gerade noch knapp einen Blick in den Vorraum der Bio-Entsorgung werfen konnte. Er hob die Luke noch ein Stück an und noch ein Stück und stützte sich schon mit der linken Hand auf dem Bodengitter ab, um durch die Luke zu steigen, als urplötzlich ein dumpfes Poltern, gefolgt von einem schrillen Kreischen, die Totenstille schlagartig verdrängte. Charles schnellte aus der Öffnung zurück, und das Bodengitter fiel mit einem lauten, metallischen »Kläng« in seine Vorrichtung zurück. Er ballte seine rechte Hand zur Faust und fluchte stumm vor sich hin, selbst etwas überrascht, wie schreckhaft er doch sein konnte.
»Alles in Ordnung, wir haben noch mal Glück gehabt«, sagte Elvis in mahnendem Tonfall.
»Von jetzt an ist absolute Vorsicht geboten. Charles, vorwärts«, schickte Dawn ihn wieder los.
Das Gekreische schien sich von der Tür zu entfernen. Oder hatten sich die Männer mittlerweile an die Geräusche gewöhnt? Wie bei diesen Mückenultraschallgeräten – zuerst stört einen der grelle konstante Pfeifton, doch nach wenigen Minuten nimmt man ihn dann nicht mehr wahr. Dasselbe mit der Luft. Sie hatten sich an die eisenhaltige Luft gewöhnt und gelernt, sie zu ignorieren.
Charles war durch die Luke gestiegen und hatte den Vorraum gesichert. José war bereits an der Tür zur Bio-Entsorgung angelangt, und Elvis und Eddy hatten zu ihnen in den Wartungskanal aufgeschlossen. Der Commander kontaktierte Doktor Schreier über das CU. Er meldete, dass sie in Position seien, und Doktor Schreier schilderte ihnen seinerseits die Lage im Innern der Bio-Entsorgung.
»Sie können sich den Raum so vorstellen«, begann er. »Er ist zirka zwanzig Meter lang und acht Meter breit. Auf der linken Seite befinden sich die Öfen zur Verbrennung der organischen Abfälle, und auf der rechten Seite ist ein Salzsäurebecken in den Boden eingelassen, zum Auflösen der Knochen. Am Ende des Raumes sind die Lagereinrichtungen, und im mittleren Bereich des Raumes stehen acht Verarbeitungstische …«
»Verarbeitungstische?«, unterbrach ihn Dawn. »Dort wird das Material selektiert, richtig?«
»Richtig«, bestätigte ihm Doktor Schreier.
»Aha«, antwortete Dawn nur knapp.
»Übrigens befinden sich mittlerweile acht dieser Kreaturen in dem Raum«, fuhr Schreier fort.
»Acht? Wieso acht? Gerade eben waren es doch noch sieben«, fragte der Commander.
»Es scheint, als hätten sie, kurz bevor wir mit der Videokamera den Raum überwacht haben, noch eine Person im Innern des Raumes angefallen und getötet«, antwortete Doktor Schreier. »Zwischenzeitlich hat er sich auch in so eine Kreatur verwandelt. Allerdings haben ihn die anderen Kreaturen übel zugerichtet. Er sieht aus wie Bennet Grand, einer unserer teilzeitbeschäftigten Apparaturentechniker. Er krabbelt nur noch herum, diese Monster haben ihn in der Hälfte zerteilt und reissen noch immer an seinem Unterleib herum. Seine Beine und sein Becken liegen etwa drei Meter neben der Tür, aber sein Oberkörper kriecht gerade auch nach hinten zu den Containern mit den Bioabfällen. Mein Gott, wenn er wenigstens nicht auch noch seinen Darm hinter sich herziehen würde, der ihm aus dem Torso hängt. Ekelhaft«, fuhr der Doktor fort.
»In Ordnung, Doktor Schreier. Wir machen uns bereit und gehen rein«, entschied Dawn, und nachdem sie sich alle an der Tür positioniert hatten, gab er das Kommando zum Eindringen: »Los, los, los, los!«
Charles und Elvis, die beiden Scharfschützen, öffneten synchron die mächtigen Schwingtüren der Bio-Entsorgung nach innen, und José und Eddy positionierten sich links in der unteren Ecke des Raumes, während sich der Commander sofort in der rechten unteren Ecke positionierte. Die Luft war wieder viel satter mit dem Eisengehalt angereichert; man hätte meinen können, man habe eine Münze im Mund, so stark war der Geruch.
Die Untoten wurden sofort auf Dawn und seine Männer aufmerksam und blickten, sichtlich erbost über die Störung, wütend in ihre Richtung. Auch Bennet, der halbierte Untote am Boden, unterbrach seine Anstrengungen, an die Container zu gelangen. Er drehte den Kopf abrupt in ihre Richtung und eröffnete die rote Melodie des Todes mit einem fürchterlichen Gekreische. Er hatte mittlerweile nichts Menschliches mehr an sich. Sein Gesicht war zu einer Fratze des Hasses geworden, und das restliche Blut, das er noch im Körper hatte und ihm aus seinem Mund und der gewaltigen Wunde in seinem Unterleib floss, milderte dieses Bild keineswegs. Drei der Kreaturen hasteten auf das Team los.
Charles und Elvis erlegten zwei von ihnen, bevor sie die Hälfte des Raumes durchqueren konnten, mit ihren 50er-Kaliber-Gewehren. Die Untoten wurden buchstäblich in Fetzen gerissen, als die Projektile in sie eindrangen. Der dritte wurde von Josés M4A1 durchsiebt und schliesslich mit einem Kopfschuss zu Fall gebracht.
»Gleiches Prinzip, aber mehr Schuss«, schrie Elvis zu ihm hinüber.
Die anderen vier Kreaturen waren auch schon auf dem Weg zu ihnen, als Ed und Dawn das Feuer eröffneten. Charles erwischte erneut einen der Kerle mit seiner 50er, wobei dessen Kadaver gegen die ihm folgenden Angreifer geschleudert wurde und diese kurzfristig zu Boden warf. Die zwei anderen, die noch auf den Beinen waren, versuchten Charles und Dawn nun von rechts her anzugreifen und hasteten schon um die vorderen Verarbeitungstische.
Dawn reagierte blitzschnell und betätigte die Vorrichtung neben der Tür zum Öffnen des Säurebeckens. Beide Kreaturen fielen hinein und kreischten wie von Sinnen, als sie von der Säure zersetzt wurden. Der andere, der durch seinen Kollegen zu Fall gekommen war, war nun wieder auf den Beinen und setzte alles daran, sich für diese Schmach zu rächen. Wütend und schrill kreischend kam er quer durch den Raum auf sie zu und beschleunigte dabei seine Schritte enorm. Elvis stellte sich ihm gegenüber genau in der Mitte des Raumes auf und entsicherte seine 375er-Magnum.
»Komm zu Papa«, sagte er, zielte auf den Kopf seines Angreifers und drückte ab. Der Donnerschlag der Waffe hallte in dem grossen Raum wider und verschluckte das matschige Geräusch des platzenden Kopfes, das nur einen Bruchteil einer Sekunde auf den Donnerschlag der Waffe folgte. Der Leichnam lief noch einige Schritte mit ausgestreckten Armen weiter, sackte dann in sich zusammen und ging zu Boden.
»Achtung Jungs«, sagte Dawn, »ich kann diesen Bennet nirgendwo mehr sehen, seid auf der Hut!«
Und da war er auch schon. Er hatte es endlich geschafft, sich bis zur Tür zu robben und kreischte los, als er seine vermeintlichen Snacks im Blickfeld hatte. Der Commander richtete sofort seine Waffe auf ihn.
»Schnauze halten«, fluchte er und verpasste ihm zwei Kugeln aus kurzer Distanz direkt in den Kopf. Sie liessen diesen zerplatzen wie einen madigen Kürbis.
»Was für eine Sauerei«, rief der Commander, während er seine Kleidung auf Blutspritzer untersuchte.
Auf der rechten Seite war immer noch ein blubberndes Geräusch zu hören. Ed pirschte sich bis dorthin vor, um sich ein Bild der Situation zu machen. Eine der Kreaturen hatte es geschafft, sich am Rand des Säurebeckens festzuhalten, war jedoch bis auf einen Arm sowie einen Teil der Schulter und des Kopfes völlig von der Säure zerfressen. Sie bemühte sich sichtlich, aus dem Becken zu kommen, doch Eddy gab ihr einen heftigen Tritt gegen den Kopf, sodass auch der Rest des Wesens unter heftigem Fuchteln des verbliebenen Armes von der Säure im Becken zersetzt wurde.
»Nichts da, du bleibst schön da, wo du bist«, rief Eddy ihm hinterher und streckte dabei den Mittelfinger aus.
Doktor Schreier meldete sich wieder über das CU. Das Militär habe einen Weg gefunden, sich durch die Haupttüre der Eingangshalle zu arbeiten, teilte er mit. Sie seien mit Seitenschneidern daran, die Verschlussbolzen zu bearbeiten. Der Elektriker sei ebenfalls bereits vor Ort und mache sich in den nächsten Minuten an seine Arbeit.
»Verdammt, versuchen Sie sie unbedingt davon abzuhalten, Doktor«, befahl Dawn.
»Das geht nicht«, antwortete ihm der Doktor. »Sie können uns noch immer nicht hören, die Kommunikation kommt nicht zustande. Wir sind wohl weiterhin auf uns alleine gestellt und können nur hoffen, dass das Militär nicht so schnell den Durchbruch ins Gebäude schafft.«
»Ihr habt’s, gehört, Männer. Uns läuft die Zeit davon. Wir müssen uns beeilen, damit wir noch so viele Biester wie möglich erledigen können, bevor es zu spät ist«, sagte der Commander und gab seinem Team das Handzeichen zum Weitermachen.
Sie wollten gerade von der Bio-Entsorgung abrücken, als Doktor Schreier sie darüber aufklärte, dass in Sektor eins schon die nächste Überraschung auf sie warte.
»Dawn? Das in Sektor vier liegende Archiv verbindet Sektor vier mit dem darüber liegenden Sektor eins. Sie könnten also einfach über das Archiv bis nach Sektor eins vorstossen, ohne auch nur eine Feuertür öffnen zu müssen. Das Archiv ist auf meinem Monitor sauber, allerdings kann ich nicht mit Sicherheit sagen, dass es in Sektor eins keine Aktivität dieser Wesen gibt. Dort liegen einige Büros und Verwaltungsräume. Einige der Türen dort sind noch verschlossen, andere hingegen stehen offen. Möglicherweise sind dort noch einige dieser Kreaturen zugange. Seien Sie also vorsichtig«, informierte er Dawn und dessen Team.
»In Ordnung«, erwiderte Dawn. »Vorwärts Männer, wir schlagen uns nach Sektor vier durch und versuchen von dort über das Archiv bis nach Sektor eins vorzustossen.«
Sie machten sich bereit und versammelten sich direkt vor der Feuertür zu Sektor vier. Ed hatte wieder sein Abhörgerät an der Tür angebracht und lauschte angestrengt, damit ihm auch nicht der geringste Ton entging. Nach einigen Minuten meldete er, dass er ein Geräusch höre, das sich ununterbrochen zu wiederholen scheine. Es klinge aber nach einer Art Maschine.
»Möglicherweise ein Drucker, der noch in Betrieb ist und ausstehende Druckaufträge verarbeitet«, meinte er.
Dawn ging zur Eingabekonsole neben der Tür und tippte den Universalöffnungscode 2276 in die dafür vorhandene Tastatur ein. Mit einem Zischen, gefolgt von einem metallischen Geräusch, wich die Tür langsam zur Seite. Die Führungsschiene stöhnte unter dem mächtigen Gewicht der Feuertür, als sie zur Seite glitt und allmählich den Blick in den ersten Korridor von Sektor vier freigab. Daraufhin befehligte der Commander alle, sich für jede erdenkliche Begegnung bereitzuhalten und in Feuerbereitschaft zu sein. Die Teams entsicherten ihre Waffen und warteten das Öffnen der Feuertür ab. Mit einem erneuten Zischen und dem metallenen »Klack« des Sicherungsbolzens rastete die Feuertür wieder in ihrer Vorrichtung ein und blieb an Ort und Stelle offen stehen.
Charles pirschte sofort an die erste Ecke vor und erkundete die Lage.
»Alles sauber«, meldete er und schlich gleich weiter zur nächsten Ecke.
Die Teams schlossen zur ersten Ecke auf und hielten dort Position, bis Charles erneut meldete, dass der Hauptkorridor und die Feuertür auch hier sauber und dicht seien. Sie versammelten sich vor der Eingangstür zum Archiv. Charles öffnete sie vorsichtig, und einer nach dem anderen schlüpften sie durch die Tür.
Drinnen war die Luft trotz der Klimaanlage abgestanden und stickig. Aber wenigstens waren hier keine dieser Wesen anzutreffen – vorerst. Ohne Zeit zu verlieren, stiessen sie zur gegenüberliegenden Seite des Archivs vor und inspizierten dabei jeden Winkel und jedes Regal in dem Raum, der lediglich von alten Leuchtstoffröhren mit fahlem, gelblichem Licht erhellt wurde.
»Sauber«, meldeten alle Teammitglieder nacheinander und positionierten sich ein weiteres Mal vor einer verschlossenen Tür. Es war die Tür, die ihnen Zugang zu Sektor eins gewähren sollte.
Ed wollte sich gerade wieder mit seinem Abhörgerät an der Tür zu schaffen machen, als auf der anderen Seite der Tür ein Riesentumult losbrach. Er zuckte zurück, fiel auf seinen Hintern, rappelte sich aber blitzschnell wieder auf und legte sofort seine Waffe auf die Tür vor ihm an. Sie horchten aufmerksam, während sie einen Moment vor der Tür innehielten. Der Lärm dahinter wurde lauter und schien sich zu nähern. Plötzlich mischte sich wieder das unheimliche Gekreische dieser Wesen unter den Krach. Der Lärm schwoll an und verstummte dann urplötzlich.
»Bleibt ganz ruhig«, befahl der Commander. »Ich glaube nicht, dass diese Dinger auch noch Türen öffnen können. Das ist unser Vorteil. Möglicherweise schnuppert er etwas oder ist mit etwas beschäftigt. Warten wir einen Moment ab, was passiert.«
Der Lärm brach erneut mit Getöse los, dafür aber an einer anderen Stelle, die der Lautstärke nach weiter von ihnen entfernt lag. Nachdem sich der Lärm erneut gelegt hatte, winkte der Commander seine Männer zusammen.
»Wagen wir es, Leute. Macht euch bereit! Auf mein Kommando geht’s los.«
Sie hielten sich bereit, und Charles legte seine Hand um den Türgriff, um diese auf Kommando zu öffnen. In diesem Moment begann es in ihren CUs zu rauschen. Scheinbar versuchte jemand mit ihnen zu sprechen, aber aufgrund der dicken Mauern war die Verbindung denkbar schlecht. Der Anrufer, bei dem es sich zweifelslos um Doktor Schreier handelte, konnte sie nicht erreichen.
Vorsichtig öffnete Charles die Tür zum ersten Korridor in Sektor eins und inspizierte den sichtbaren Bereich.
»Sauber«, meldete er, und sie folgten ihm in den Korridor von Sektor eins.
Eddy trat gleich nach Charles durch die Tür in den Korridor.
»Buh«, meinte er, »schon wieder dieser ekelhafte Gestank. Ich hasse diese Krankenhausluft.«
»Immer noch besser als die Luft aus der Bio-Entsorgung«, sagte José. »Meine Güte, das war vielleicht ein Mief.«
Charles war weiter vorgedrungen, um sich ein Bild der tieferen Abschnitte der Korridore zu machen. Das CU knackte immer noch vor sich hin, langsam aber schien sich der Empfang zu bessern. Sie schlichen weiter und hatten gerade die erste Kreuzung von Sektor eins erreicht, als die Verbindung konstanter wurde. In Bruchstücken konnten sie nun Doktor Schreiers Stimme trocken durch ihre CUs vernehmen.
»Vor ihnen … nun die erst … Pa…zimmer …eien Sie …sichtig …«
Dawn klopfte mit dem Zeigefinger gegen seine CU-Einheit und hoffte, die Verbindung würde noch etwas deutlicher. Aber Doktor Schreiers Stimme war bereits wieder verklungen. Stattdessen hörten sie plötzlich Charles aus den tieferen Gefilden der Korridore schreien.
»Shit, Shit.« Er kam um die Ecke geschossen als sei der Teufel hinter ihm her, »Shit, sie kommen, sie kommen.«
Und da waren sie auch schon. Charles spurtete so schnell er konnte auf sein Team zu und hechtete die letzten Meter in ihre schützende Deckung. Beinahe so schnell, wie Charles angerannt kam, nahmen der Lärmpegel der ihn verfolgenden fürchterlichen Schreie und das grässliche Gekreische zu. Die ersten Untoten schossen um die Ecke und torkelten hastig und mit gierigen, hungrigen Augen in einem grossen Schwall auf sie zu. Ihr Wehklagen wurde jäh fürchterlich laut, als sie sich in den gleichen Korridor vordrängten, in dem sich auch Dawn und dessen Team befanden.
Sie eröffneten sofort das Feuer auf die sich rasch nähernden, kreischenden Kreaturen. Glücklicherweise konnte die erste Gruppe Zombies ihrer Feuerkraft absolut nichts entgegensetzen. Rasch waren die paar Kreaturen erledigt. Bei den nächsten drei schossen sie einer der Kreaturen mit der grosskalibrigen Waffe die Beine ab, doch sie versuchte sich ihnen auf dem Boden kriechend weiter zu nähern. José war am nächsten an ihr dran und rammte ihr sein Buschmesser mit voller Wucht mitten ins Gesicht. Die Klinge verschwand links neben der Nase komplett im Gesicht des Zombies, während dieser noch immer mit rudernden Armen und Händen nach José zu greifen versuchte. Die weissen, verdrehten Augen zuckten nervös in ihren Höhlen, und die gesprenkelte Zunge bleckte gierig über die gelben Zähne, bis José das Messer ruckartig um 90 Grad nach links drehte und so den Schädel mit einem trockenen, knackenden Geräusch wie eine Nuss öffnete. Der Schädel rutschte mit einem ruckligen Abgang über die oben an der Klinge angebrachte Säge und zog Schleimfäden zerebraler Substanz nach sich, als die Klinge herausglitt.
José blickte auf und sah schon die nächste Gruppe der Untoten auf sie zukommen.
»Achtung, da kommen noch mehr, Deckung geben«, rief er. Er spurtete zur Tür zum Archiv, erreichte diese innerhalb kürzester Zeit, öffnete sie und hielt sie für ihren Rückzug offen.
»Rückzug, Rückzug«, schrie Dawn seinen Männern zwischen lautem Gewehrfeuer und dem Gekreische der Untoten zu und behielt Position an der Tür, um seinen Männern den Rücken freizuhalten.
José und Eddy waren drin. Charles deckte mit Dawn den Korridor und feuerte jetzt gerade mit seinem 50er-Kaliber auf die anrückende Meute. Die Kugel traf den ersten Untoten der Horde in die linke Seite der Hüfte und hinterliess dort ein riesiges Loch. Gedärme platschten eklig auf den Boden, und der Zombie knickte auf der Seite ein und fiel zu Boden. Ed und Elvis hatten es nun ebenfalls ins Archiv geschafft und öffneten die nächste Tür, damit sie schnell verschwinden konnten. Der Commander eröffnete erneut das Feuer, um Charles Gelegenheit zum Nachladen zu geben. Plötzlich strömte eine weitere Welle der untoten Monster aus einem zweiten Korridor und schien sich mit der ersten Gruppe zu vereinen. Schlagartig waren da an die fünfundzwanzig bis dreissig dieser Wesen, und sie schienen verdammt schnell geworden zu sein, dabei bewegten sie sich nicht viel schneller als im Schritttempo.
Dawn legte seine Waffe auf Brusthöhe der Zombies an und drückte ab. Alle abgefeuerten Geschosse trafen die Angreifer und verursachten hässliche Löcher in ihren Leibern. Mit einem Donnerschlag meldete sich auch Charles zurück, indem er mit seiner 50er erneut einen wohlplatzierten Treffer landete. Seine Kugel traf einen der vorderen Untoten in den Bauch und liess diesen über dem Becken wie eine Wassermelone aufplatzen. Der Oberkörper wurde dabei zunächst hart gegen die nachfolgenden Untoten und dann an die Wand geschleudert, bevor die Kreatur zu Boden ging. Dort wurde er dann von den nachfolgenden Wandlern plattgelatscht und dabei ausgepresst wie eine ranzige Zitrone.
Charles hatte mit seinem Treffer gleich mehrere Zombies getötet und verwundet und so eine kleine Schneise in die Menge geschossen. Trotzdem waren es immer noch genug, um ihnen gefährlich zu werden. Dawn setzte seine Waffe nun auf Kopfhöhe an und versuchte mit gezielten Treffern, effizienter zu töten. Er zerfetzte mehrere der angreifenden Köpfe. Dabei spritzte ordentlich Gehirnmasse an die Wände.
»Bäääng«, meldete sich Charles mit einem erneuten Donnerschlag zurück, als er seine 50er ein weiteres Mal zum Einsatz brachte. Langsam zog er sich zur Tür des Archivs zurück.
Der Commander folgte ihm und versuchte weiter die anrückende Menge in Schach zu halten, so gut es ging. Die Kreaturen waren nun schon so nahgerückt, dass er ihr totes Fleisch riechen konnte und ihre kalten Finger schon fast auf der Haut zu spüren glaubte. Charles und Dawn konnten sich gerade noch unbeschadet ins Archiv zurückziehen, als die Menge der Gierigen sich schon wieder um ein Mehrfaches vergrössert hatte. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich so schnell wie möglich in den hinteren Teil des Archiv zurückzuziehen, um ihre Haut zu retten.
Die Zombies strömten zuhauf hinterher und drängten sich an der Tür zum Teil so stark aneinander, dass einige von ihnen dabei grösseren Schaden nahmen. Das Kreischen wurde lauter und lauter, je mehr der untoten Kreaturen es durch die Tür schafften. Commander Dawn gab den Befehl, sie weiterhin mit Waffengewalt zurückzuhalten, damit Eddy eine Claymore-Sprengladung platzieren konnte. Während die anderen auf die Wesen schossen, wurden deren schrilles Kreischen noch lauter.
Eddy zögerte keinen Moment. Er spurtete los, um seine Fracht zu platzieren. José und Charles hielten Position an ihrer Fluchttür und sicherten so ihren Fluchtweg, während Elvis und Dawn Eddy Deckung gaben. Eddy platzierte die Claymore auf einem der mittleren Regale, genau auf Höhe der Oberkörper ihrer Angreifer. Er fragte den Commander, ob er gleich noch eine zweite Ladung legen solle, wenn die Zeit reiche – er habe noch eine zweite Ladung dabei. Der Commander gab ihm das Okay für die zweite Ladung, mahnte Eddy jedoch zur Eile. Und so platzierte dieser die zweite Ladung einige Meter von der ersten entfernt auf dem Boden.
Als er sich wieder erhob, hatten es bereits zwei der Zombies geschafft, sich ihm bis auf ein paar Meter zu nähern. Trotz etlicher Einschusslöcher und Verletzungen gaben sie es nicht auf, sich eindringlich darum zu bemühen, einen leckeren Bissen frischen Fleisches zwischen die Zähne zu bekommen. Eddy wich zurück und zog seine Waffe, während sich einer seiner Angreifer gleichzeitig seiner zu bemächtigen versuchte. Eddy drückte aus Reflex ab, und seine Waffe entlud sich auf kürzeste Distanz in das gammelige Fleisch der Bestie und drängte diese für einen kurzen Augenblick zurück.
Elvis eilte herbei, zog sofort seine 375er-Magnum und briet dem modrigen Eindringling ein tennisballgrosses Loch in den Schädel, dort, wo zuvor noch sein Ohr gewesen war.
»Wuah, Teddy, du verdammter Mistkerl«, schrie Eddy laut auf und wischte sich mit leichtem Ekel eine frische Portion klebriger Schädelteilchen von den Kleidern. Er sah Elvis für einen Moment entsetzt an und fragte: »Hast du den anderen nicht gesehen, oder was?«
»Welchen anderen?«, fragte Elvis zurück. »Komm jetzt, wir müssen weg.« Er packte Eddy am Ärmel und schleppte ihn in Richtung Fluchttür.
»Mann, da standen zwei dieser Penner«, keuchte Eddy, »und wollten mir an die Eier. Du hast beiden die Birne weggeblasen, als du abgedrückt hast. Wuah, meine Klamotten …!«
»Jetzt jammer hier nicht rum«, grinste Elvis, »sondern beweg dich. Sie kommen schon wieder.«
Einer nach dem anderen von Dawns Team wich durch die Tür. Sie feuerten aus allen Rohren auf die angreifende Menge, die sich schon bis zur Hälfte des Raumes vorgedrängt hatte. An der Eingangstür war das Gedränge noch um einiges grösser, als es eine Minute zuvor gewesen war. Eddy reichte Elvis den Zünder und feuerte drauflos, während Elvis sich bereitmachte, die erste der Claymores, die Eddy auf dem Regal angebracht hatte, zu zünden. Als sie auf dem Korridor vor dem Archiv standen, zündete er – und mit einem ohrenbetäubenden Knall zerriss die Claymore alles, was sich vor ihr befand, in Tausende von Fetzen. Dabei aktivierte sie sogleich die Sprinkleranlage im Archiv.
Als der Pfeifton in ihren Ohren nachliess und sich der Rauch im Raum etwas lichtete, konnten sie zuerst gar nichts erkennen. Erst als sich ihre Augen auch an das herabschiessende Wasser der Sprinkleranlage gewöhnt hatten, das den ganzen Raum mit einem leichten Grauschimmer überzog, wurde sichtbar, dass die Explosion so heftig gewesen war, dass sie nebst vielen Zombies auch sämtliche Leuchtstoffröhren an der Decke mit ihrer Druckwelle zerstört hatte. Elvis schaute in den Raum, der einst das Archiv gewesen war, und leuchtete ihn mit seiner Taschenlampe aus, um sich zu vergewissern, dass es auch alle der widerlichen Kreaturen erwischte hatte.
»Sagt mal, Leute, sieht der Raum nicht irgendwie anders aus?«, fragte er in die Runde, während er mit dem Lichtkegel der Taschenlampe jeden Winkel ausleuchtete.
Eddy trat zu ihm, wich dann aber rasch zurück und zog Elvis ebenfalls ruckartig von der Tür weg.
»Mann, was ist denn mit dir los?«, rief Elvis.
Eddy zeigte in das Innere des Raumes.
»Schau mal auf den Boden.«
Beim Anblick dessen, was er zu Gesicht bekam, blieb Elvis still. Da waren drei Krabbler mit zerfetztem Unterleib und krabbelten auf ihn und Eddy zu. Eingeweide quollen an unzähligen Stellen aus ihren Körpern, und dennoch wollten sie scheinbar nicht auf ihr Fresschen verzichten. Hinten im Raum, an der anderen Eingangstür, stiess schon die nächste Welle dieser Wesen durch und bahnten sich ihren Weg auf sie zu. Elvis schloss sofort die Tür und sperrte die ganze kreischende Brut im Archiv ein. Der Raum füllte sich rasend schnell mit den Wesen, und durch den Schlitz mit der Sicherheitsscheibe in der Tür konnten sie genau beobachten, was drinnen vor sich ging. Das Gedränge wurde grösser, die Menge der Zombies nahm mehr und mehr zu, und auch das Gepolter an der Tür nahm zu.
Im nächsten Moment zündete Elvis die zweite Claymore, die sich noch im Raum befand. Erneut gab es einen ohrenbetäubenden Knall, gefolgt von einem matschigen Geräusch, als ob etliche grosse Wasserballons gleichzeitig zerplatzten. Die Sicherheitsscheibe in der Tür erstrahlte für einen beachtlichen Augenblick in gleissendem Licht. Das gurgelnde Geräusch verstärkte sich, und nach wenigen Sekunden begann der matschige Brei, der den bescheidenen Rest der Untoten darstellte, unter der Tür hindurch auf den Korridor zu fliessen.
»Wuah, ist ja eklig.« José machte einen Schritt zur Seite und wandte sich von der Tür ab.
Elvis rümpfte die Nase. Dann klopfte er Eddy anerkennend auf die Schulter.
»Danke Mann«, sagte er, »um ein Haar hätte es mich erwischt.«
Eddy drehte sich zu ihm und lächelte.
»Kein Problem, Mann. Darum halten wir ja gegenseitig die Augen offen. Und ein kleines bisschen mag ich dich ja auch leiden«, schmunzelte er.
Im Archiv kehrte Ruhe ein, und schlussendlich war es so still, dass sie sich mehr oder weniger sicher waren, dass der Raum nun sauber war. Sie entschlossen sich dennoch, einen letzten Blick hineinzuwerfen, nur um sich zu vergewissern, dass sich da nicht doch noch jemand aus dem Staub machen wollte.
Doktor Schreier informierte Commander Dawn, dass Sektor eins und das Archiv nun sauber seien und bat sie, zurückzukehren. Dawn und sein Team machten sich sofort auf den Weg zurück zur Einstiegstür in Sektor sechs. Als sie dabei erneut an der Bio-Entsorgung vorbeikamen, nahm der Eisengehalt in der Luft wieder deutlich riechbar zu.
Charles, der sichtlich erleichtert war, nicht noch einmal in die Bio-Entsorgung hineinzumüssen, hielt sich die Nase zu, als sie daran vorbeigingen und vermied es um jeden Preis, auch nur einen kleinen Blick ins Rauminnere zu werfen. José und Ed waren ihnen schon ein Stück voraus und hatten bereits die Feuertür zu Sektor sechs geöffnet, als der Rest des Teams zu ihnen stiess. Sie verschlossen die Türe sofort wieder, als sie durchgestiegen waren.
Das Feuertreppenhaus hatte in der ganzen Hektik etwas Beruhigendes. Es war im Vergleich ein wahrer Ort der Stille, kaum ein Geräusch war zu vernehmen. Commander Dawn und sein Team waren schon zwei Etagen aufgestiegen, als sich Doktor Schreier wieder über das CU meldete.
»Dawn, bitte kommen. Bitte kommen. Ich habe mehrere Ziele auf der siebten Etage registriert. Scheinbar gelang es einigen der Untoten, sich bis dorthin vorzuarbeiten. Es wimmelt dort nur so von diesen Wesen«, erklärte der Doktor.
Dawn meldete ihm, dass sie sich sofort darum kümmern würden und wollte wissen, wie weit wohl das Militär schon mit dem Öffnen der Haupteingangstür sei, als Doktor Schreier ihn mitten in seiner Frage unterbrach.
»Das Militär hat nur noch einen Bolzen zu entfernen, dann ist die Haupttüre offen«, teilte er ihnen mit. »Sie kommen leider ziemlich gut voran, sodass Ihnen und Ihren Männern wohl nicht mehr sehr viel Zeit bleibt. Der Elektriker hat schon die ersten Kontakte freigelegt. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis sie es geschafft haben. Und dann – Gnade uns Gott. Wenn die elektronischen Schlösser entriegelt werden, öffnen synchron dazu im ganzen Gebäude alle Feuertüren gleichzeitig. Alles, was elektrisch gesperrt war, wird dann automatisch entriegelt.« Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Sie werden alle entkommen und unglaublich viel Schaden und Leid über die Menschen bringen. Ist dies das Ende …?«, fragte er besorgt.
»Verdammt«, entfuhr es José, »sonst sind die doch auch immer so langsam. Warum müssen sie denn ausgerechnet jetzt …«
»Commander«, meldete sich Doktor Schreier wieder zu Wort, »am besten wird sein, wenn Sie und Ihre Männer versuchen, so schnell wie möglich auf der siebten Etage für Ordnung zu sorgen. Hoffentlich gelingt es Ihnen, möglichst viele dieser Wesen zu vernichten, bevor das Militär die Haupttüre zu öffnen vermag.«
»Wir geben unser Bestes, Doktor«, entgegnete Dawn und befahl seiner Truppe im nächsten Moment, sich sofort auf den Weg zu machen. Weiter über die Feuertreppe gelangten sie schliesslich zur Feuertür zu Sektor sechs, diesmal allerdings auf der siebten Etage, und machten sich bereit für den Zugriff. Mark, der mittlerweile aus dem Monitorraum zu ihnen gestossen war, um sie mit seiner Feuerkraft zu unterstützen und Eddy luden ihre Waffen nach, während Charles sich an der Tür zur Etage mit seiner Abhörgerätschaft zu schaffen machte. Er versuchte sein Glück an mehreren Stellen an der Tür, bevor er Meldung machte.
»Klingt nach reichlich Ärger da drinnen. Ich kann nicht sagen, um wie viele es sich handelt und aus welcher Entfernung der Lärm kommt. Doktor Schreier soll die Etage noch einmal inspizieren, während wir uns hier bereithalten.«
Der Commander gab den Wunsch an Doktor Schreier durch, und dieser machte sich gleich an seine Arbeit. Einen Moment später berichtete er ihnen, dass es in Sektor sechs nur so von den Untoten wimmle, dass sich aber die meisten von ihnen im hinteren Abschnitt mit der Röntgeneinrichtung befänden.
»Wenn Sie auf die Etage kommen, können Sie rechts den Korridor entlanggehen. Von dort gelangen Sie am Ende durch die Tür und befinden sich im Lager. Es ist ein Lager mit Medizinalgeräten und solchen Dingen. Durch diesen Raum können Sie direkt bis vor die Röntgenabteilung vorrücken, ohne sich dabei auf dem Korridor einer Gefahr auszusetzen«, erklärte er ihnen.
Dawn bestätigte Doktor Schreiers Anordnung und gab seinen Männern den Befehl zum Vorrücken. Charles öffnete vorsichtig die Feuertür zu Sektor sechs, inspizierte die ersten Abschnitte des sichtbaren Bereichs des ersten Korridors und schlüpfte dabei durch die Tür auf den Korridor hinaus. Elvis folgte ihm auf dem Fuss und deckte ihn und den Hauptkorridor, der direkt vor der Einstiegstür lag, von der Tür aus. Die meisten der Leuchtstoffröhren an der Decke funktionierten einwandfrei, einige wenige warfen jedoch ein nervös flackerndes Licht in die weiten Korridore. Charles forderte das Team auf, ihm zu folgen. Er machte sich auf zur Lagertüre, und Elvis sicherte weiterhin den oberen Bereich des Hauptkorridors. Das Lied der Untoten war hier nur leise zu hören, hatte jedoch nichts von seiner Wirkung eingebüsst.
José verdrehte die Augen, während er sich ein Bild der Lage machte.
»Dieses dauernde Gejaule macht einen ganz wirr im Kopf«, stöhnte er.
»Ja Mann, es nervt richtig«, pflichtete Ed ihm bei. »Wird Zeit, dass wir ihnen den Hahn zudrehen.«
»Verdammt richtig«, bestätigte Elvis. »Also macht mal vorwärts, damit das hier ein Ende nimmt.«
Charles hatte sich derweilen Zugang zum Lagerraum verschafft und war schon bis zur gegenüberliegenden Tür gelangt. Während die anderen nachrückten, schlich Charles weiter auf den Korridor hinaus und machte sich auf den Weg zur Röntgenabteilung. Da gingen vor ihm auch schon die ersten Scheiben des Röntgenraums zu Bruch. Sie positionierten sich so schnell sie konnten im Korridor und deckten dabei die Gänge in beide Richtungen ab, um nicht in einen Hinterhalt zu gelangen.
Kaum waren sie halbwegs nachgerückt, wurde das Jaulen jäh lauter, und mit Gekreische strömten auch schon die ersten Untoten aus dem Röntgenraum und wankten auf direktem Weg auf sie zu. Die ersten kreischten wild und gierig nach ihnen. Einem von ihnen rann dunkle Flüssigkeit aus einem Loch an der Stelle, an der früher einmal sein Mund gewesen sein musste. Allerdings war dort jetzt nur noch ein grosses ausgefranstes Loch, und man hatte freien Einblick auf die Kieferknochen und die schlechtgepflegten Zähne. Seine weissen und nach hinten verdrehten Augen zuckten wild, während er seine Arme immer weiter nach ihnen reckte und auf sie zu torkelte. Zwei weitere Wesen folgten ihm unbeholfen, auch sie kreischten gierig und verteilten die Körpersäfte, die ihnen aus den Wunden rannen, überall, wo sie vorbeikamen.
Mark schnappte sich einen Hefter vom Tisch und warf ihn nach den Zombies.
»Jiiihaaa, Arschloch. Getroffen, haha!«, brüllte er.
Der Hefter hatte einem der Untoten eine ordentliche Verletzung beschert. Er hatte ihm von der Stirn über dem linken Auge bis hinters Ohr die Haut abgeschält. Der Zombie griff sich mit seiner bleichen und an den Fingerspitzen bläulich gesprenkelten Hand verwundert an die Stelle am Kopf, die er offensichtlich als unangenehm wahrnahm, und machte einen Moment lang ein verdutztes Gesicht. Kurz darauf aber wich die Verwunderung einer anderen Emotion. Hungrig und erbost setzte er sich noch zügiger als zuvor in Bewegung.
Dawn eröffnete das Feuer und erledigte die Angreifer sauber und diskret mit einigen Hals- und Kopftreffern. Leider hatten die drei untoten Penner sie etwas zu sehr in ihren Bann gezogen, denn die nächste Welle der Untoten drängte sich bereits um die linke Ecke des Korridors. Zweifellos hatte es auf der anderen Seite noch einen zweiten Eingang in den Röntgenraum, und aus diesem strömten sie nun auf sie zu. In Unmengen strömten sie in den Korridor hinaus, bestimmt an die zwanzig, dreissig Stück, und wie es aussah, hatten sie alle übelsten Kohldampf.
Der erste der Zombies wollte wohl gerade nach dem Scheisshaus fragen, als Elvis’ »Mama« – die 375er-Magnum, die er von ihr zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte –, ihm unter höllischem Getöse den Schädel zerfetzte. Elvis jaulte laut auf.
»Kaboom!«, schrie er in Richtung der anrückenden Horde. »Du Son of a bitch, the King got you!«
Auch Mark und José hatten das Feuer wieder eröffnet. Der Commander hielt seine Waffe im Anschlag und bemerkte, dass hinter dem einen Zombie, den Elvis erlegt hatte, sich eine Schneise bisher unbekannten Ausmasses öffnete.
Er schmunzelte einen Moment, bevor er zu Elvis hinüberrief: »Elvis, du Spinner, man sieht bis zu der verdammten hirnverspritzten Wand am Ende des Korridors.«
»Jaaaa«, schmunzelte Elvis zurück, »Mama kocht eben doch am besten. Kaboom!« Nach diesen Worten ertönte »Mama« erneut und mit derselben vernichtenden Wirkung, diesmal allerdings auf Bauchhöhe.
Das Geschoss durchdrang die Kreaturen wie ein heisser Lötkolben die Butter und zerriss dabei alles, was sich ihm in den Weg zu stellen versuchte. Als die ersten Zombies mit geplatzten Bäuchen zu Boden gingen und von dort aus weiter auf sie zu krochen, zielte Dawn mit seiner Waffe auf ein Ziel hinter den Untoten. Die erste Kugel traf einen angreifenden Kopf anstelle seines anvisierten Zieles und liess diesen explosionsartig gegen die Wand spritzen. Die zweite Kugel sass, und er traf den anvisierten Feuerlöscher hinter den Zombies. Dieser ging hoch wie eine Rakete und zertrümmerte bei seinem Überflug gleich noch ein paar matschigen Gästen, die sich der vorangegangenen Wirbelsäulenextraktion von »Mama« hatten entziehen können, die Schädel.
Ed, Elvis und Charles hatten die rechte Seite der Röntgenräume unter Kontrolle gebracht und luden bereits wieder ihre Waffen nach, als von der linken Feuertür vor ihnen schreckliche Schreie zu hören waren. Als sie dort ankamen, tippte der Commander den Universalcode in die zickige kleine Tastatur und hoffte inständig, dass er die richtigen Zahlen eingab. »2276« erschien auf dem kleinen blauen Display über der mickrigen Zahlentastatur, und sie wurden kurz darauf mit einem hohen anhaltenden Pfeifton belohnt. Ein schweres metallisches Knacken folgte, und die Feuertür machte Anstalten, sich zu bewegen. Das Stöhnen der metallischen Zahnräder, die unter dem Gewicht der riesig wirkenden Tür ächzten, vermischte sich mit den wehklagenden Schreien der Untoten, wurde dann lauter und übertönte das Schreien auf der anderen Seite. Mit jedem Zentimeter, mit dem der Türspalt breiter wurde, schwollen auch die kreischenden Laute der Zombies an.
Charles machte sich daran, durch den schon entstandenen kleinen Schlitz in der Wand zu schielen, als er beiläufig fragte: »Öffnet sich die Tür zuerst nur ein bisschen oder gleich ganz in einem Stück?«
Dawn zuckte mit den Schultern und griff nach seiner Waffe.
»Warum meinst du, Charles? Ist das denn so wichtig?«, fragte er. Doch als er Charles Blick sah, verstand er sofort, was dieser mit seiner Frage andeuten wollte. »Zurück Männer, zurück!«, befahl Dawn, packte Charles am Kragen seines Kampfanzugs und zog ihn mit einem kräftigen Ruck nach hinten.
Charles landete etwas unsanft, dafür war er aber den ersten angreifenden Armen der Untoten entkommen. Nun hatten auch Ed und die anderen ihre Waffen entsichert und angelegt. Ein schrecklich entstellter Kopf erschien im Spalt, dann noch einer, und immer mehr und mehr Arme versuchten gierig nach ihnen zu greifen. Das Gekreische der Wesen schwoll rapide an und wurde immer erregter und lauter. Ed wechselte jetzt zu seiner Schrotflinte, hielt den Lauf in den immer grösser werdenden Spalt und drückte den Abzug durch. Mit der ersten Ladung erlegte er gleich zwei mit gezieltem Kopfschuss. Der folgende Schuss war zwar noch effektiver, er liess jedoch Ed, der vor ihm stand, eine ganze Menge organischer Masse und Schädelteile um die Ohren fliegen. Beim nächsten Schuss duckte sich Eddy gerade noch rechtzeitig und entging einer weiteren Ladung, während Elvis und Mark hinter ihm dafür eine umso grössere Portion Körperreste kassierten.
Elvis wurde langsam stinksauer. Er begann in einer seiner Taschen nach etwas zu suchen und wurde, wie er mit einem lauten »Jiiihaaa« kundtat, fündig. Er lief lässig auf die Feuertür zu, spielte mit einem kleinen, goldig glänzenden Etwas in seiner Hand herum und grinste dabei immer breiter und breiter.
»Erinnert ihr euch noch, Jungs, als ich damals aus Vegas zurückkam?«, fragte er. »Ich habe euch doch von diesem Typen aus Kanada erzählt, dem ich beim Pokerspielen ein beträchtliches Sümmchen abgenommen habe, nicht wahr?« Sie schauten ihn einen Moment fragend an, doch bevor jemand etwas sagen konnte, sprach Elvis schon weiter, während er mit dem kleinen goldenen Teil in der Hand gemächlich auf die Tür zuschritt: »Dem hab ich das letzte Hemd abgeknöpft, am Schluss musste er sogar noch etwas drauflegen. Als er aber nichts mehr ausser seiner Unterwäsche hatte, drehte er mir diese kleinen Schätzchen als Entschädigung an.«
»Jetzt mach aber hin, Elvis, wir haben hier nicht den ganzen Tag Zeit. Was soll das für ein Ding sein, mit dem du da die ganze Zeit herumspielst?«, wollte Dawn endlich von ihm wissen.
Leicht beleidigt reckte Elvis die Nase etwas in die Höhe.
»Kretins, das ist ein ganz besonderes Spielzeug. Es verströmt ein hochentzündliches Gas-Ethanol-Gemisch, das danach durch einen Elektroimpuls gezündet wird. Das bedeutet: Alles, was sich im Radius von zirka sechs Metern befindet, wird geröstet wie eine verdammte Wurst. Übelst, oder?«
Sie waren mittlerweile wieder heftig damit beschäftigt, die Untoten von der Feuertür fernzuhalten, als Dawn Elvis zurief: »Dann benutz das verdammte Ding endlich! Sie brechen gleich durch!«
Schmunzelnd ging Elvis noch ein, zwei Schritte auf die Tür zu und drehte an dem goldenen Teil herum. Dann warf er es über die Köpfe der Untoten hinweg, die sich fleissig durch die mittlerweile halb offenstehende Tür zwängten, auf die andere Seite des Raumes.
»Zurück, Leute«, rief er und rannte, unter dem Feuerschutz seiner Teamkollegen, zu ihnen zurück in sichere Distanz zur Feuertür.
Sie konnten zwischen dem Gezanke und Gekreische der Kreaturen leise das Geräusch entweichenden Gases hören, während sie auf alles schossen, was sich durch die Tür auf sie zu zu bewegen versuchte.
»Achtung, runter und Deckung«, rief Elvis nach hinten und war selbst schon tief in die Hocke gegangen.
Als sie in Deckung waren, hörten sie, wie sich der kleine elektrische Spannungsentlader an dem goldenen Teil mit einem ansteigenden Ton auflud. Kurz darauf entlud er sich und entzündete so das Gas im Raum. Ein lautes drachenartiges Fauchen gefolgt von einer riesigen Stichflamme, die durch die Tür schlug, zeigte ihnen die Wirkung des kleinen goldenen Teils, das Elvis auf die andere Seite geworfen hatte. Einige Sekunden lang peitschten die Flammen kräftig durch den Spalt, dann waren sie wieder verschwunden. An der Tür selbst war nichts mehr zu sehen, geschweige denn zu erkennen. Überall flogen brennende Fetzen herum, offenbar die Überreste ihrer Widersacher.
Dawn trat näher an die Tür heran, und als er genauer hinsah, erkannte er auf seiner Seite der Tür eine noch fast unversehrte Hand, die einige Zentimeter hinter dem Handgelenk bis auf die Knochen verkohlt war, aber sich noch immer an der Türkante festhielt.
»Einmal gut durch bitte«, gab Elvis wieder einmal seinen Senf dazu.
Mark rümpfte nur die Nase und wollte von den anderen wissen, ob sie dieses Geräusch auch hörten und diesen Gestank auch wahrnahmen. Jetzt, wo er es ansprach, hörten und rochen sie es auch. José machte einige Schritte auf die sich noch immer weiter öffnende Tür zu, damit er auf die andere Seite schauen konnte.
»Verdammt, das hört sich ja an, als würde da jemand eine ganze Pfanne voller Speck braten. Wuah, nur riechen tut das hier viel schlimmer.«
Er hatte recht. Es hörte sich tatsächlich so an, als ob etwas brutzeln würde, und es stank fürchterlich. Als sich José optisch die erste Ladung reinzog, würgt er einmal abrupt und kotzte gleich durch die Tür auf die andere Seite, während er sich dabei am Türrahmen abstützte. Als ihm die erste Portion durch den Kopf gegangen war und er erneut sah, was hinter der Tür lag, drehte er sich mit einem Ruck zu seinem Team, liess unter erneutem Gewürge gleich noch eine Ladung seines bereits teilverdauten Mageninhalts auf den Boden klatschen und spuckte die restlichen Klümpchen hinterher.
»Und, wie sieht es da drüben aus?«, fragte ihn der Commander, während sie nachluden. »Scheinst ja nicht besonders begeistert zu sein«, sagte er grinsend.
»Meine Fresse, leck mich am Arsch. Das da drüben sieht aus wie eine riesige, verdammt verbrannte Lasagne«, hustete José und vermied es dabei, auch nur im Geringsten mehr von der anderen Seite der Türe zu sehen, wo der »Speck« immer noch am Brutzeln war.
»Sektor sechs und Sektor drei sind sauber, Doktor Schreier«, sprach der Commander in seine CU-Einheit. »Ich hoffe doch, dass uns nicht noch mehr solcher Überraschungen zuteil werden.«
Doktor Schreier meldete sich zurück und gab ihnen zu verstehen, dass sich in Sektor zwei und Sektor eins niemand mehr aufhalte. Eine gute Nachricht für Dawn und seine Männer. Allerdings erkenne er in Sektor fünf und Sektor vier noch Feindbewegung, die wohl ihre Aufmerksamkeit erfordere, fügte Schreier hinzu.
So machten sie sich auf, um zur Feuertür in Sektor fünf zu gelangen, wo sich die Operationssäle befanden, und bereiteten sich auf ein neues Zusammentreffen mit den Untoten vor. Die Feuertüren dämpften die Geräusche so stark ab, dass man auf der anderen Seite einen ruhigen Garten hätte erwarten können, doch die Ruhe täuschte – wie so oft vor dem Sturm.
Sie öffneten die Tür und bahnten sich ihren Weg langsam durch die ersten Korridore in Sektor fünf. Plötzlich blieb Charles einige Meter vor den anderen abrupt stehen und gab das Handzeichen für absolute Stille. Sie erstarrten sofort auf seinen Befehl hin, und Charles winkte Commander Dawn zu sich. Als Dawn bei ihm angekommen war und sah, was Charles hatte stoppen lassen, musste er grinsen.
»Zu komisch«, sagte er, sich zu seinen Männern umdrehend. Dann winkte er sie herbei, damit sie selbst sahen, was Charles entdeckt hatte.
Als sie aufgeschlossen hatten, mussten auch Elvis und Mark schmunzeln. Elvis wollte sofort wieder zu seiner »Mama« greifen, aber Mark und José konnten ihn gerade noch in seinem Vorhaben bremsen.
Die Operationssäle lagen zu beiden Seiten des Korridors vor ihnen und hatten jeweils ein grosses Fenster, damit die auszubildenden Chirurgen bei den Operationen zusehen und lernen konnten. Nun war in den Operationssälen allerdings keine Operation zu beobachten, sondern in praktisch jedem der geschlossenen Säle standen mehrere der Untoten. Sie hatten vermutlich die Chirurgen und deren Assistenten, während sie noch an ihrer Arbeit waren, überrumpelt und sich über sie sowie über die zu operierenden Patienten hergemacht. Es war erstaunlich still – wenigstens bis sie von den Kreaturen wahrgenommen wurden. Als die Untoten registrierten, dass ihre Besucher nicht als Imbiss in Frage kamen, gerieten sie in Rage. Sie begannen nach und nach, sich an den Scheiben der Säle aufzureihen und versuchten sich mit wildem Gekreische erfolglos einen Weg nach draussen zu verschaffen. Einige von ihnen waren an den Armen von frischen und zum Teil noch stark blutenden Bisswunden übersät, andere wiesen noch mehr Bissspuren an Hals, Händen und Beinen auf. Und dort, in einem der Säle, zwischen den Untoten, stand einer, der aussah, als sei er einer der Patienten gewesen, die gerade operiert worden waren, als das Gemetzel losbrach. Sein Brustkorb war noch immer mit den Klammern geöffnet, die bei Herzoperationen verwendet wurden. Er stand da und sah ziemlich grimmig drein, als wollte er sagen: »Da erzählen einem die Ärzte, ich würde sterben, wenn ich mich nicht operieren lasse. Und was passiert? Ich bin gestorben, weil ich mich operieren liess.«
Dawn und sein Team liessen alles genauso, wie es war und machten sich weiter auf den Weg zu Sektor vier, um auch dort nach dem Rechten zu sehen. Elvis und Ed hielten bei den Operationssälen die Stellung, während die Restlichen des Teams sich einen Zugang zu Sektor vier verschafften. Dort trafen sie, zu ihrem Glück, nur auf vier weitere dieser untoten Kerle. Einem von ihnen fehlte ein Arm, ein anderer war bei seinem Tod durch diese Monster am Brustkorb bis auf die Knochen abgenagt worden. Keine wirkliche Herausforderung, also leichte Beute für sie, nachdem sie sich zuvor gegen bedeutend grössere Mengen hatten zur Wehr setzen müssen. Als die vier Zombies erfolgreich erledigt waren, rückten Elvis und Ed zu ihnen nach.
Sie hatten es wieder zurück durch die Feuertür ins sichere Feuertreppenhaus geschafft, als sie von Doktor Schreier über die neusten Ereignisse unterrichtet wurden. Ein kurzes Knacken in der Leitung, und er war wieder weg.
»Männer, Etage sechs steht teilweise in Flammen, die Sprinkleranlagen haben zwar schon einen grossen Teil der Flammen wieder gelöscht, aber laut Doktor Schreier hat es noch etliche Feuer- und Gefahrenquellen und vermutlich auch noch einige dieser krepierten Bastarde«, informierte Dawn sein Team. »Aufteilen und wieder zwei Teams bilden. Team Alpha: José, du gehst mit Charles und Mark von Sektor sechs nach Sektor drei. Versucht euch bis nach Sektor zwei durchzuschlagen. Team Omega: Elvis und Eddy, ihr kommt mit mir. Wir übernehmen die anderen Sektoren. Treffpunkt in der Küche in Sektor zwei in zwanzig Minuten. Vorwärts, Männer«, befahl der Commander und setzte sich mit seinem Team in Bewegung.
Die Korridore lagen dunstig und trüb von Rauch und Russ vor ihnen, als sie die ersten Schritte taten. Über den Türen blinkten die kleinen Brandmelder wie Christbäume wild durcheinander und warfen im Halbdunkel verrückte Muster an die Korridorwände und auf den Boden, und dies erst noch in Rot.
»Gibt’s denn die Dinger nicht in einer anderen Farbe, Gelb oder so? Das muss ja jetzt nicht auch noch sein …«, brummte Dawn vor sich hin und winkte Elvis und Ed zu sich.
»Wir sind mit Sektor sechs fertig«, meldete sich José von Team Alpha. »Wir kommen jetzt nach Sektor drei. Alles sauber. Over.«
Der Commander bestätigte und stiess mit seinem Team weiter vor. Als sie die Feuertür zu Sektor fünf wieder verschlossen hatten, machten sie sich weiter auf zu ihrem Ziel, dem Zentrallager. Die rauchige Luft wurde immer beissender. Der dicke Qualm drang durch die Löcher und Risse der Wand, die Sektor fünf und vier verband, und füllte den Korridor immer mehr. Hustend arbeiteten sich Ed und Elvis weiter in die Korridore vor. Weitere dicke Schwaden schwarzen Rauchs stiegen aus den Löchern in den Wänden empor, krochen an ihnen hinauf und verdunkelten den Korridor vor dem Zentrallager von der Decke herab mit der schwarzen beissenden Luft.
»Beeilung, Jungs, rein da«, drängte Dawn die beiden.
Diese verschafften sich sofort Zugang zum Lager und sicherten den ersten Bereich, während der Commander weiter Wache hielt.
»Sauber«, meldete Ed, ging weiter ins Innere des Lagers und nahm sich die linke Seite des Raumes vor, während Elvis ihm folgte und die rechte Seite des Lagers sicherte.
»Team Alpha, wo seid ihr?«, erkundigte sich Dawn. »Wir sitzen hier fest. Sektor vier steht in Flammen. Ich wiederhole: Sektor vier steht in Flammen. Ich sehe keine Chance, von unserer Seite her da reinzukommen. Over.«
»Wir sind auf der anderen Seite des Zentrallagers«, meldete José sich sofort zurück. »Hier ist bis jetzt alles ruhig, jedenfalls beinahe. Ganz schwach ist das Lied der Untoten zu hören.«
»Haltet die Augen offen, José, und passt auf euch auf«, erwiderte Dawn. »Und meldet euch bei Bedrohung oder Rückzug, okay?«
»Okay, ihr auch«, bestätigte José den Befehl. Dann war er aus der Leitung verschwunden.
Ed sah sich im Lager um, aber er entdeckte nichts Ungewöhnliches. Alles war voll gepackt mit den Standardgeräten für Untersuchungen und Analysen. Berge von Papieren, Akten und Unterlagen, fallengelassene Kugelschreiber und Stifte, Hefter, umgekippte Stühle und Papierkörbe – alles lag wirr durcheinander. Das Chaos liess erahnen, was hier vor noch nicht allzu langer Zeit passiert sein musste. Ein Kampf zwischen Lebenden und Untoten hatte hier erbarmungslos gewütet. Ed wühlte in einem Papierkorb, während Commander Dawn die Schreibtische inspizierte. Elvis sah sich einige Pinnwände und eine Arbeitswand näher an, als sich Doktor Schreier wieder mit ihnen in Verbindung setzte.
Doktor Schreiers Stimme war extrem trocken und stockte, als er ihnen mitteilte, dass der Elektriker in spätestens fünf Minuten mit seiner Arbeit fertig sein würde und das Militär nur noch auf das Okay des befehlshabenden Kommandanten der Basis wartete.
Fünf Minuten.
»Scheisse Männer, wir müssen weg hier«, gab Dawn dem Team Alpha durch und winkte Ed und Elvis zu sich, damit auch sie sich zurückziehen konnten.
José bestätigte den Befehl ohne Rückfrage, und so begaben sie sich zur Einstiegstür in Sektor sechs. Team Alpha meldete sich über das CU zurück. Sie hätten sich gerade oben in Sektor sechs eingefunden und Sektor drei unbeschadet und sicher hinter sich gelassen. Dawn und seine Männer hatten Sektor fünf verlassen und machten sich daran, die Feuertür zu Sektor sechs zu öffnen, als Doktor Schreier sie erneut über das CU mahnte.
»Beeilen Sie sich, um Himmels Willen, beeilen Sie sich. Ihnen bleibt kaum noch Zeit.«
»Beruhigen Sie sich, Doktor, wir machen so schnell wir können«, antwortete der Commander. »Wir sind beinahe schon in Sektor sechs am Feuertreppenhaus angekommen.«
Vier Minuten.
Die schwere Feuertür zu Sektor sechs setzte sich unter lautem Gestöhne auf ihren alten Zahnräder in Bewegung, glitt langsam zur Seite und gab den Weg frei. Doktor Schreier wurde immer nervöser und sprach immer hektischer davon, wie ihnen die Zeit davonlaufe, während sie bereits wieder mit dem Schliessen der Feuertür beschäftigt waren. Seine Stimme überschlug sich, während er nervös von den Fortschritten des Militärs sprach. Sie beeilten sich ja.
Drei Minuten.
»Feuertür verschlossen«, meldete Elvis, während Doktor Schreier noch immer referierte.
An der nächsten Korridorecke trafen Dawn und sein Team auch schon auf Team Alpha. Zusammen kontrollierten sie die verbleibenden Korridore auf ihrem Rückweg, um weitere Überraschungen zu vermeiden.
»Der erste hier ist sauber. Bleibt noch einer«, meldete Team Alpha.
Sie checkten den Korridor, der zur Etagenlobby führte, ab. Dieser endete jeweils in der Mitte jedes Stockwerks, dort, wo sich auch die Haupt- und Bettenaufzüge befanden.
»Vorwärts«, befahl José seinen Männern, und Team Alpha rückte vor, um den vor ihnen liegenden Bereich zu sichern.
Zwei Minuten.
»Alles sauber, ihr könnt nachkommen«, hörte Dawn José sagen, als es auf einen Schlag stockdunkel wurde. »Scheisse, Männer. Scheisse, wir sind unterwegs. Dawn, hört ihr uns?«
Ein ansteigendes elektrisches Summen begann sich Gehör zu verschaffen, während der Strom, der aus den Leitungen gesogen worden war, vom Militär nun wieder mit voller Power in die Leitungen zurückgepumpt wurde. Ein kurzes Klacken erklang, als würde eine Sicherung wieder eingeschaltet, und schon meldeten sich die ersten Leuchtstoffröhren zurück, während ihnen die restlichen zögerlich und flackernd folgten. Team Alpha kam kurz darauf angerannt und erreichte Team Omega atemlos.
»Puh, jetzt hab ich aber einen Riesenschreck gekriegt«, sagte José.
»Kann ich gut verstehen«, antwortete ihm der Commander, und zusammen steuerten sie die Tür zum Feuertreppenhaus an, um sich in Sicherheit zu bringen.
Eine Minute.
»Hallo, können Sie mich hören, Dawn?«, meldete sich Doktor Schreier. »Der Elektriker hat es geschafft. Das Militär bearbeitet jetzt den letzten Sperrbolzen der Haupttüre. Er wird nicht mehr lange halten.« Im sicheren Feuertreppenhaus konnten sie sich eine kurze Verschnaufpause erlauben, während der Doktor sie über die weiteren Schritte des Militärs unterrichtete: »Es kann sich nur noch um Sekunden handeln, bis sie den Durchbruch geschafft haben, Commander«, sprach der Doktor weiter.
»Dann kommen wir jetzt zuerst zu Ihnen nach oben, Doktor. Hier unten können wir ohne den Schutz der Feuertüren nicht über die Etagen, geschweige denn in die Haupthalle gehen. Bleibt uns nichts anderes übrig. Rückzug, Jungs.«
Nach vielen Stufen durch das Treppenhaus hinauf erreichten sie das Büro des Doktors. Dieser wurde gerade vom Militär informiert, dass sie nun das Gebäude aufbrechen würden, um die Menschen im Innern zu retten. Doktor Schreiers Versuche, mit dem Kommandanten der Basis in Kontakt zu treten, scheiterten. Aus irgendeinem Grund konnte der Doktor den Kommandanten hören, dieser den Doktor aber nicht. Und so kam es, wie es kommen musste.
Null.
Das Militär hatte kaum Zeit, sich über die hervorragende Arbeit, die es beim Öffnen der Haupttüre geleistet hatte, zu freuen. Den Soldaten blieben nur wenige Sekunden, bevor sie von den heranpreschenden Untoten wortwörtlich überrannt wurden. Es sah aus, als habe jemand mit einem Stock in einem Ameisenhügel herumgestochert und dessen Bewohner dabei so erbost, dass diese allesamt schnell und nervös aus dem Hügel, in unserem Falle dem Gebäude strömten. Die ersten Stellungen der Militärs waren nach wenigen Sekunden überrannt. Der Rest der Truppen feuerte aus allen Rohren, doch es reichte auch ihnen nicht, sich so schnell in Sicherheit zu bringen. Sie wurden ebenfalls nach einer kurzen Verzögerung, die ihre Waffen herbeiführten, von den Untoten zerfleischt, bevor diese durch die Basis brachen und in Richtung Stadt strömten.
Doktor Schreier zeigte verdutzt auf einen der vielen Untoten vor dem SinAid.
»Um Gottes willen, das ist Doring! Philip Doring, mein Assistent! Das darf doch nicht wahr sein …«
Dimitra legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter.
»Er wollte noch in die Personaladministration im zweiten Stock, um seinen Ferienantrag pünktlich einzureichen. Dabei muss er wohl zum Zeitpunkt des Ausbruchs in unmittelbarer Nähe gewesen sein. Verdammt nochmal, er hat bestimmt noch den Speicherstick bei sich, auf dem sich sämtliche Daten der bisherigen Analysen befinden und auch die ersten Resultate der Tests eines möglichen Gegenmittels gegen diese Krankheit, an der so viele sterben. Vielleicht könnten wir die Formel brauchen und sogar weiterentwickeln. Auf dem Stick sind auch sämtliche Resultate der ersten Blutwerte von Miro Sollik vor seinem Ableben. Vielleicht würde uns das irgendwie weiterbringen …«
Charles schnappte sich sofort seine 50er, sprintete geistesgegenwärtig auf die Fensterfront zu, öffnete hastig eines der Fenster und legte seine Waffe zu einem gezielten Schuss an. Der dumpfe Knall, den die Waffe von sich gab, hallte im Tal nach, als Doring vom eben abgefeuerten Projektil zwischen die Schulterblätter getroffen wurde und dabei regelrecht bis zum Becken zerplatzte. Mit einem matschigen Plumpsen ging sein restlicher Körper zu Boden.
»Wow«, meinte Elvis anerkennend und diesmal ohne ein Spur seines sonst so typischen Sarkasmus. »Hut ab, Charly, Spitzenschuss.« Er tätschelte Charles lässig auf die Schulter und blickte dabei nochmals zu Dorings Leiche hinab, während Charles die Waffe absetzte und sie neben sich unter dem Fenster an die Wand stellte.
Doktor Schreier war sichtlich bedrückt.
»Ich bete zu Gott, dass es dieses Opfer wert war, dass alle diese Opfer es wert sind«, brachte er trocken und mit fast tonloser Stimme hervor, während er ausdruckslos aus dem Fenster auf Dorings Überreste starrte.
»Ja, hoffen wir es«, pflichtete ihm der Commander bei.
Dimitra führte ihn hinüber zu der Couch und nahm dort mit ihm Platz. Kaum hatten sie sich gesetzt, verliessen auch schon die letzten der Untoten die Trümmer der Basis und verschwanden aus ihrem Blickfeld in Richtung der Stadt.
»Also Männer«, befahl der Commander, »holen wir uns den Stick und hoffen wir, dass sich darauf auch etwas Brauchbares befindet.«
Nun, da die ganzen Kreaturen das SinAid verlassen hatten, konnten sie ohne Probleme bis zur Feuertür im Erdgeschoss und in die Eingangshalle vorstossen. Hier sahen sie sich dem Resultat des stattgefundenen Massakers direkt gegenüber. Die Wände und Bänke, der Fussboden, die Stühle und sämtliche Regale waren über und über mit Blut verschmiert und mit eigenartigen rohrschachtestähnlichen Mustern aus teils bereits getrocknetem Blut übersät. Das Getöse der Baumaschinen, die sie bei ihrer Ankunft in der Halle noch deutlich hatten vernehmen können, war bis auf einen unscheinbaren kleinen Rest verstummt, und sie konnten, während sie die Eingangshalle durchquerten, stellenweise nur ihre eigenen Schritte hören. Diese hörten sich an, als wateten sie durch sumpfiges Gebiet. Platsch, platsch, matsch. Ansonsten war es still.
Überall lagen abgerissene und abgebissene Körperteile wie Hände, Teile einiger Arme, Finger, ein Ohr, ja sogar Beine herum. Eines davon war bis auf seine Unterschenkelprothese abgenagt worden. Die Bissstellen an den abgetrennten Gliedern schimmerten noch frisch und feucht in dem fahlen Licht der Eingangshalle. Die Luft in der Halle war schwer durch den hohen Eisengehalt des vielen Blutes, der in ihr hing. Das bisschen frische Luft, das durch die offenstehende Haupttüre langsam in das Gebäude kroch, reichte bei Weitem nicht aus, um den Gestank zu vertreiben.
Unterdessen wurde die Stadt von den vielen Untoten förmlich überrannt. Alles, was provisorisch in Betrieb war wie Tankstellen, Imbissstände, Fabriken und Firmen, aber auch das halbwegs intakte Einkaufszentrum und die öffentlichen Plätzen wurden innerhalb weniger Minuten von ihnen eingenommen. Sie griffen alles an, was sich bewegte.
»Meine Fresse, was für ein Gemetzel das hier gewesen sein muss, und wieder dieser Gestank«, meinte Charles mit nasaler Stimme und steuerte mit vorgehaltener Hand auf die Eingangstür zu. Die anderen folgten ihm zügig ins Freie. Die Luft draussen war besser, aber das war auch schon das Einzige, was besser war. Die Militärbasis, die sich um das SinAid erstreckte, glich einem Schlachtfeld mit Dutzenden verstümmelter Leichen. Überall um sie herum lagen die zerbissenen und geschundenen Leichen der Soldaten, die zuvor die Basis verteidigt hatten.
»Vorsicht Männer, der dort drüben bewegt sich noch«, sagte Mark und zeigte mit dem Finger auf den Körper, der neben dem Wachehäuschen der Zubringerstrasse lag. Unmittelbar neben ihnen räkelte sich ein weiteres der zerfleischten Opfer mit zuckenden Bewegungen. Der nähere Untote begann sogleich zu schreien, zuerst noch leise, doch schon bald würde er ein hysterisches Gekreische hören lassen. Etwas entfernt von ihnen waren soeben zwei weitere Kreaturen auf die Beine gekommen. Verwirrt hielten sie ihre verwundert starrenden Gesichter mit offenstehenden Mäulern in den grauen Himmel empor. Mit gierig aufblitzenden Augen schwankten sie dann auf Dawn und seine Männer zu. Sie knurrten und kreischten grell, während ihr Blut weiter ihre Kleider durchtränkte, bis es schlussendlich in kleinen Rinnsalen über den Boden floss und hinter den Untoten eine deutliche Spur hinterliess.
Ed eröffnete den Tanz mit einem donnernden Stottern aus seinem MG auf einen der nahenden Untoten. Er hatte ihm ein halbes Magazin in die Eingeweide geblasen und ihm dabei ein riesiges, dunkel klaffendes Loch in den Bauch geschossen. Die Körpersäfte spritzten nur so heraus und besudelten alles um ihn herum. Der Untote wirkte verblüfft, als er einen Moment lang das Loch in seinem Bauch betrachtete. Seine Hose verfärbte sich in der oberen Hälfte in tiefes Rot, dennoch schritt er unbeirrt und zielbewusst weiter auf sie zu.
Das ganze Team eröffnete das Feuer und stieg in das Gewitter von Eds Waffe mit ein, um der immer grösser werdenden Anzahl der auferstandenen Zombies Herr zu werden. Schädel- und Körperteile spritzten in alle Himmelsrichtungen, als ob jemand mit einer UZI auf unzählige blutgefüllte Wasserballons feuern würde. Das Gekreische klang draussen zum Glück leiser als in den Räumen und Korridoren des SinAids, deren Wände den Lärm um ein Mehrfaches zurückgeschleudert hatten. Doch unter dem Getöse ihrer Waffen wäre es so oder so untergegangen.
Durch seine stetige Bemühung, ihnen immer weiter auf den Pelz zu rücken, hatte sich das Loch im Wanst des einen Zombies massiv vergrössert. Frisches Blut quoll heraus, während er sich ihnen näherte. Beim nächsten Schritt vollzog er eine abrupte, unnatürlich scharfe 90-Grad-Drehung nach links, bevor er mit dem Fuss aufsetzte und seitlich, mit einem lungenauspressenden »Hmpf«, ungebremst auf den Boden knallte. Zögerlich und mühsam rappelte er sich wieder auf und schwankte einen Moment lang bedrohlich. Eine seiner Darmschlingen, die ihm aus seiner Bauchwunde gequollen war, hatte sich an einer noch im Boden steckenden Spitzhacke verfangen und ihn zu Fall gebracht. Stöhnend stand er da und fingerte mit verblüfftem Ausdruck im Gesicht tollpatschig an den grauen Würsten herum, die ihm aus dem Leib baumelten, während Dawns Leute weiter mit der Dezimierung seiner Kumpels beschäftigt waren.
Elvis erblickte die zerfetzten Überreste von Dorings Körper, und Mark bestätigte den Sichtkontakt zu ihrem Ziel. Charles gab ihnen Feuerschutz, als sie sich vorsichtig Stück für Stück dem Kadaver näherten. Mark war Elvis einige Schritte vorausgegangen und hatte den an der Spitzhacke hängengebliebenen Zombie bereits passiert, als Elvis bei diesem angelangt war. »Ausser ihm hier scheint alles sauber zu sein«, gab Elvis ans Team durch und hielt beim Zombie Position.
Mark hatte sich Dorings Überresten nun bis auf einige Schritte genähert und inspizierte die Leiche aus sicherer Distanz. Als er sich sicher war, dass Doring auch ganz bestimmt tot war, durchsuchte er die Taschen des Toten auf der Suche nach dem Speicherstick. In dessen linken Hosentasche wurde er fündig.
»Ich hab ihn«, bestätigte er seinen Fund und machte sich auf den Rückweg zu seinen Kameraden.
Dawn rief ihm zu, er solle zuerst noch das offene Haupttor verschliessen, sodass sich fürs Erste wenigstens um das SinAid herum ein sicherer Bereich ergeben würde. Gesagt, getan. Nun hatten sie einen Bereich im Radius von etwa fünfzig Metern rund um das SinAid gesichert. Elvis, der den Spitzhackenhänger noch immer beobachtend umrundete, beorderte Mark zurück zum Team. Man sah es Elvis direkt an, dass er angestrengt überlegte, wie er ihn wohl am angemessensten töten konnte. Mit einem Fingerschnippen und den Worten »Jetzt hab ich’s!« kam er zurück zum Team und liess »Spitzhäckchen« vorerst unversehrt an Ort und Stelle stehen. Als er wieder bei der Gruppe war, legte er Charles freundlich die Hand auf die Schulter.
»Mein lieber Charly«, fragte er und schmunzelte dabei noch breiter, als ihn vermutlich je einer gesehen hatte. »Wäre es deiner Meinung nach möglich, dass ich mir dein 50er-Schätzchen für zwei bis drei Schüsse ausleihe?«, säuselte er. »Nur um etwas zu üben, versteht sich.«
Charles überlegte einen Moment, warf dem Commander einen leicht verblüfften Blick zu und zuckte dabei fragend mit seinen Schultern. Im Normalfall hätte Commander Dawn so etwas natürlich um jeden Preis verhindert, Mord gehörte schliesslich nicht zu ihren Aufgaben. Aber in Anbetracht der Lage und der Tatsache, dass der »Hängengebliebene« so oder so zu erledigen war, nickte er ihm bereitwillig sein Okay zu.
Elvis legte die 50er bereits an, während Charles ihm noch einige Tipps bezüglich Wind und Distanz gab. Ein explosionsartiges »Blaam« zerriss die angenehme Ruhe, doch der Schuss ging gute drei bis vier Meter an seinem Ziel vorbei. Holz splitterte und zerlegte anstelle seines Zieles einen der kleineren Bäume, der mit einem Durchmesser von rund vierzig Zentimetern ausserhalb der Basis stand. Laut fluchend lud Elvis nach, und Charles überprüfte nochmals die Konfigurationen der Waffe. Ed und José hatten sich zwischenzeitlich eine Zigarette angezündet und beobachteten die beiden Scharfschützen interessiert und amüsiert.
»Jetzt macht aber mal hin, Mädels, wir wollen mal eine feine Schau sehen«, gab José neckisch von sich, worauf Ed ihm mit dem Ellbogen einen leichten Seitenhieb in die Rippen versetzte.
»Gut Ding will Weile haben«, meckerte Elvis zurück und setzte erneut mit der 50er an. Der zweite Schuss traf den Untoten wider all ihrer Erwartungen in den Hals und zerfetzte dabei die obere Hälfte des Torsos tausendfach. Sein dadurch abgerissener Kopf hüpfte beim Einschlag des Geschosses ein kleines Stückchen über die Schultern, bevor er, wie der Rest von ihm, auf den Boden klatschte.
»Jiiiihaaaaa, du wolltest doch nur sterben, damit du tot bist, du Bastard«, jaulte Elvis triumphierend, doch zu seinem eigenen Erstaunen war das nicht ganz richtig. Bei näherem Hinsehen bemerkte er nämlich, dass er dem Zombie zwar stark zugesetzt hatte, der Kopf jedoch noch immer nicht tot war.
Sie folgten Elvis, der mürrisch und meckernd vorausstapfte, zu dem Kopf, der noch immer mit tonloser Stimme zu schreien versuchte. Der Mund des abgetrennten Kopfes klappte gierig, aber stumm auf und zu, während sie sich ihm näherten. Sie standen im Kreis um den am Boden liegenden Schädel, und Elvis war sichtlich erbost über seinen »Misserfolg«. Er schritt näher an den Kopf heran.
»Verdammter Scheisskerl, hast du denn immer noch nicht genug?«, brüllte er, während er gleichzeitig sein rechtes Bein nach oben hin anzog und ihm seine Ferse mit voller Kraft mitten in die Fresse stampfte. Ein markiges Knacken, gefolgt von einem leicht matschigen Geräusch begleitete die Szene. Elvis’ Stiefel brach einige Zentimeter tief im Gesichtsschädelknochen der Kreatur ein, und er zog ihn mit einem angeekelten »Wuah …« schnell wieder heraus.
»Du warst wohl früher ein bekannter Gesichtschirurg, wie?«, grinste Mark.
Elvis fuhr herum und hielt ihm den Mittelfinger vor die Nase.
»Ach leck mich doch«, meinte er dann nur, schmunzelte und entfernte sich langsam von seiner »Beute«.