Читать книгу Mo Morris und die Anti-CO2-Maschine - Benedict Dana - Страница 4

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Der Weg hatte sie die Küste bis nach New London hinaufgeführt, wo sie ein Schnellboot nach Block Island bestiegen hatten. Sie hatten den Hafen von New Shoreham, dem kleinen Hautport der Insel, schnell hinter sich gelassen und waren mit dem Taxi zu den bekannten „Mohegan Bluffs“ an der Südküste aufgebrochen. Es handelte sich bei ihnen um bis zu 160 Yards hohe, teils schroffe und teils mit einer üppigen Busch- und Grasvegetation bewachsene Lehmfelsen, die eine wunderschöne Landschaft oberhalb des Strandes bildeten und alle Besucher der Insel anzogen. Die Eindrücke, die sie an diesem sonnigen Maitag unterwegs gesammelt hatten, hatten sie in eine unbeschwerte Urlaubsstimmung versetzt, die an dem sowohl steinigen als auch sandigen, an vielen Stellen wie unberührt wirkenden Naturstrand der Südküste seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Sie hatten es sich nicht nehmen lassen, die bekannte, lange Holztreppe zu einem der viel besuchten Teile des Strandes hinunter zu steigen und ein Stück am Meer entlang zu wandern, um sich schließlich in einer Felsnische ungestört von anderen Spaziergängern niederzulassen und das versprochene Picknick zu machen.

Mos Spannung, seinen neuen Auftraggeber kennen zu lernen, wuchs mit jeder Minute weiter an, da alles, was er in der kurzen Zeit über den 75jährigen Ronan Odhram Donovan herausgefunden hatte, schon vor ihrer ersten Begegnung zu einer ungewöhnlichen Vorstellung von dessen Charakter geführt hatte. Seine Vita las sich wie ein Märchen, das jedoch erst ab dem Alter von 65 Jahren durch eine schwere Krankheit begonnen hatte eine positive Richtung zu nehmen. Die Diagnose einer schleichend fortschreitenden Lungenfibrose, durch die er mittlerweile von einem Sauerstoffgerät abhängig war, hatte eine so mächtige Zäsur in dem Leben des stets erfolgsverwöhnten, scheinbar über jede Schwäche erhabenen Geschäftsmannes dargestellt, dass sie die Grenze bedeutete, an der es sich in zwei große, gegensätzliche Hälften schied. Der Nachfahre armer irischer Einwanderer, der zunächst Karriere bei einer großen Bank gemacht und sich später durch gewagte Finanztransaktionen ein gigantisches Vermögen aufgebaut hatte, musste erst zu einem der wohlhabendsten Männer der Ostküste aufsteigen, um danach eine plötzliche Metamorphose zu durchlaufen und sich von einem skrupellosen, egoistischen Kapitalisten zu einem Wohltäter der Menschheit zu entwickeln.

Die Sonne brannte so warm vom wolkenlosen Himmel hinunter, dass in Mo und Mary ein großartiges Gefühl von Frühlingserwachen aufkam. Der salzige, nach Ferne riechende Duft der See, das Geräusch der sich tosend an ein paar Felsen brechenden Atlantikwellen und der Anblick der sich im kräftigen Seewind neigenden und in schmalen Streifen die Felsabhänge der Mohegan Bluffs herunterziehenden Grasfelder wirkten nach dem langen und dunklen, in der Stadt verbrachten Winter wie eine große, das Herz und die Sinne öffnende Befreiung auf sie. Es schien Bedeutung zu haben, dass sie diese Befreiung gerade jetzt zum Zeitpunkt ihres ersten längeren gemeinsamen Ausflugs erlebten; es gab Mo den Mut, für einen kurzen Moment nach Marys Hand zu greifen, als sie wieder die Bohlen der langen Holztreppe bestiegen, um zurück auf den erhaben über den Felsabhängen thronenden Rücken der Insel zu steigen.

Am Ende der Treppe wurden sie von einem grandios weiten Ausblick über die sonnenüberstrahlte See empfangen, der sie für einen Moment glauben ließ, im Südwesten die äußersten Zipfel des 15 Meilen entfernten Long Islands zu erkennen, obwohl es sich nur um eine sich blass gegen den Horizont abzeichnende Wolkenbank handelte. Dann bewunderten sie ein weiteres Mal das bekannte Southeast Lighthouse, das stillgelegte, aus rotem Backstein errichtete Leuchtturmgebäude, das direkt am Rand der Klippen lag und als Wahrzeichen der Mohegan Bluffs galt.

Je mehr sie auf ihrem weiteren Weg etwas von der sich ringsherum ausbreitenden, an vielen Stellen von bunten Frühlingsblüten besprenkelten, fast baumlosen Gras- und Strauchlandschaft in sich aufnahmen, desto mehr teilten sie stillschweigend das Gefühl, dass es sich bei der gesamten Insel um ein eigenständiges Lebewesen handelte, bei dem jeder kleinere Bestandteil eine spürbare Beziehung zum größeren Ganzen einging. Als Mary nach einer Weile plötzlich stehen blieb, brach sie eine unausgesprochene Regel, die sie bis zu diesem Moment so eisern eingehalten hatten, als wäre sie fest vereinbart: Sie hatten bisher kein Wort über Donovan und den Auftrag verloren, um nicht der kurzen, unbeschwerten Zeit am Strand ihren besonderen Reiz zu nehmen. Nun aber lief die Zeit unaufhaltsam ab und keiner von ihnen konnte den eigentlichen Grund ihres Ausflugs noch länger auf den zweiten Platz verweisen.

„Du sagtest, Donovan wäre ein großer Naturliebhaber. Ich verstehe sehr gut, warum er sich seinen Sommersitz ausgerechnet hier eingerichtet hat. Es dürfte nicht allzu viele Orte geben, die sich so nah an New York und dem dicht besiedelten Teil der Ostküste befinden und dabei einen so friedlichen, von der rauen Welt abgeschirmten Charakter haben“, meinte sie mit einem Anflug von Neid auf die glücklichen Inselbewohner, die sich eine der sündhaft teuren Immobilien auf Block Island leisten konnten.

Sie hatten mittlerweile eine Gegend hinter sich gelassen, in der luxuriöse, im Cottagestil erbaute Landhäuser inmitten äußerst großzügig bemessener, natürlich bewachsener Grundstücke lagen. Das relativ dünn besiedelte Inselland wirkte an manchen Stellen wie ein einziger, von der Natur selbst entworfener Park, in den wie zufällig ein paar stolze Häuser verstreut worden waren.

„Donovan besitzt eines der größten Grundstücke hier. Es liegt etwas abseits in einem unbesiedelten Inselgebiet. Wenn wir da vorne abbiegen, dürfte es nicht mehr weit sein“, erklärte Mo mit einer Geste zu einem vor ihnen abzweigenden Kiesweg, der von der geteerten Straße wegführte und sich in einer unberührten Landschaft verlor. „Er soll übrigens mehr als nur ein einfacher Naturliebhaber sein. Nachdem er sich aus seinen früheren Geschäften zurückgezogen hatte, entwickelte er einen sehr speziellen, naturverbundenen Lebensstil. Er verfolgt eine Art ganzheitlichen Ansatz, der alle persönlichen Lebensbereiche wie Ernährung, Kleidung, Architektur und so weiter umfasst. Angeblich ist er dabei auch durch alle möglichen esoterischen Philosophien inspiriert. Wenn man diversen Quellen glauben darf, übt die ländliche Lebeweise seiner irischen Vorfahren den größten Einfluss auf ihn aus. Sein privates Leben soll im krassen Gegensatz zu seiner Tätigkeit als Entwickler und Finanzier von hochmodernen Geoengineering-Anlagen stehen. Er selbst liebt das einfache, natürliche Leben, während er einen großen Teil seines Vermögens in hochkomplexe Zukunftstechnologie investiert. Er scheint seine Interessen auf besondere Weise zwischen der reinen Natur und der modernen Technik auszubalancieren.“

Er hatte damit etwas sehr Wesentliches über Donovan gesagt und konnte zu diesem Zeitpunkt selber noch nicht ahnen, was unter „einfaches, natürliches Leben“ genau zu fassen war und wie weit und radikal Donovan einen ganz bestimmten Weg gegangen war. Obwohl es ein Weg war, auf dem es für Andere eine Vielzahl von äußerlich wahrnehmbaren Hinweisen auf eine ganz bestimmte Geisteshaltung gab, war es selbst für Donovans engste Vertraute kaum möglich, diese Haltung im Kern klar zu benennen. Sie musste sich für viele als das Mysterium eines Mannes erweisen, in dem die scheinbar unvereinbaren Züge eines progressiven amerikanischen Erfolgsmenschen, eines irischen, katholischen Traditionalisten und eines von allerlei esoterischen Ideen geprägten, modern-westlichen „Spirituellen“ die Türen zu einem seltenen und nur sehr schwer zu ergründenden Charakterspektrum aufgeschlossen hatten. Hätte man etwa versucht, dieses Spektrum durch Farben zu visualisieren, so hätte es vielleicht die Form eines bunt schillernden Gebildes aus sehr vielen verschiedenen, untrennbar ineinander übergehenden Farbtönen angenommen, die mit einer besonderen Energie auf irgendeine andere, höhere geistige Dimension verwiesen. Donovan war jemand, der ein ausgeprägtes geistiges Leben besaß, so viel war schon jetzt sicher, noch ohne auch nur ein persönliches Wort mit ihm gesprochen zu haben.

Sie waren erstaunt keinen Weg zu finden, der breit genug für einen Wagen gewesen wäre, und so blieb für sie der sich durch das prächtige Küstenbuschland schlängelnde Kiespfad der einzige Zugang zu dem Anwesen. Die offene, unbebaute Landschaft wurde erst in einigen hundert Yards Entfernung durch die stolzen Silhouetten außergewöhnlich großer, zum Teil historischer, im neu-englischen Kolonialstil errichteter Villengebäude begrenzt. Sie erreichten einen verwitterten Holzsprossenzaun, der sich ein Stück am Rand des Weges entlang zog und schützend ein kleines, blühendes Lavendelfeld umschloss. In dem Feld zirpten die Grillen und summten die Bienen und als sie kurz darauf in einen Hain aus geduckten Rotdornbäumen eintraten, sahen sie in dessen Wipfeln ein paar Silbermöwen sitzen, die bei ihrem Erscheinen ein lautes Geschrei anstimmten. Es klang wie ein Willkommensgruß aus einer anderen, mystischen Welt und war so laut, dass ihre Ankunft kaum noch unbemerkt geblieben sein konnte. Der Hain schloss in seinem Inneren eine Lichtung mit zwei kleinen Süßwassertümpeln und hohen Schilfgräsern ein, auf der einige Möwen- und Seevögelarten ein Brutgebiet hatten. Der Weg hielt den größtmöglichen Abstand zu den Vögeln und den Gewässern ein und mündete hinter einigen weiteren, knorrig gewachsenen Rotdornbäumen auf ein ansteigendes Grasland, auf dem eine Vielzahl von seltenen, in dem milden ozeanischen Klima prächtig gedeihenden Blumen und Pflanzen in Blüte stand.

Als sie eine kleine Anhöhe erreichten, trafen sie auf sieben wuchtige, im Kreis stehende Monolithen, die von Distel-, Farn- und Heidegewächsen wild umwuchert wurden und der gesamten Umgebung eine archaische und magische Stimmung verliehen. Dann wurden sie plötzlich durch ein lautes Geblöke aufgeschreckt, das von einer Gruppe dickfelliger, in einem Gatter grasender Schafe stammte.

Der Kiesweg verzweigte sich und nachdem sie das Monolithenfeld und das etwas abseits liegende, sich hinter ein paar Schwarzkirschbäumen versteckende Schafgatter hinter sich gelassen hatten, sahen sie am Ende einer großen, sich wellenförmig durch das Grasland schlängelnden Lorbeerhecke zum ersten Mal etwas, was wie ein Gebäude aussah. Es erwies sich als ein alter, halb verfallener Schuppen, der durch seine dicken, aus massiven Felsquadern bestehenden Mauern und sein Holzschindeldach einen historisch wirkenden Charakter besaß. Eine aus großen, unbehauenen Natursteinen lose zusammengefügte Mauer trennte hinter dem Schuppen den bewohnten Teil des Areals von dem freien Naturland ab. Sie gelangten durch ein schief in den Angeln hängendes Holztor auf einen Sandweg, der um eine hohe Buchenhecke herumführte und dahinter plötzlich einen unbeschränkten Blick auf das Hauptgebäude des Anwesens freigab.

Bei dem Anblick des länglichen, einstöckigen Steinquadergebäudes, das sich in unregelmäßigen und schiefen Formen einen von hohen Gräsern und Wildblumen überwucherten Hang hoch zog, blieben sie vor Erstaunen stehen und fühlten sich endgültig in eine andere Welt versetzt. Das Sommerdomizil des milliardenschweren Ronan Donovan sah wie das einfache Wohnhaus eines irischen Schafbauern aus und wirkte nur deshalb um einiges anspruchsvoller und moderner, weil hinter ihm eine große Solaranlage sowie eine mächtige Satellitenschüssel inmitten verwilderter Brombeersträucher aufragten. Es konnte keinen zweiten Ort wie diesen auf Block Island geben und fast meinten sie, sich nicht mehr auf dem Boden der USA, sondern auf dem eines autarken Natur- und Märchenlandes zu befinden, auf dem ganz eigene, ihnen unbekannte Gesetze galten.

Sie konnten förmlich spüren, wie von den sich hebenden und senkenden Konturen des mit schweren Schieferplatten gedeckten Daches und dem urigen Gemäuer mit seinen ungeformten, natürlichen Felssteinen und seinen zahlreichen länglichen Holzsprossenfenstern eine besondere, sich mit der umliegenden Natur verbindende Energie ausging. Sie hörten aus der Ferne das aufgeregte Bellen eines Hundes und nahmen es zum Signal, das letzte Stück des Weges zurückzulegen und durch den schmalen Spalt, den eine niedrige Rosenhecke offen ließ, den inneren Teil des Grundstückes zu betreten. Sie gingen durch einen großen Kräutergarten auf die offen stehende, zweiflügelige Eingangstür zu und wurden genau bei ihrem Erreichen von einer jungen, sportlich wirkenden Frau in Empfang genommen, die mit einem freundlichen Lächeln die Stufen einer breiten, ausgetretenen Steintreppe zu ihnen hinunter sprang.

Mo wusste sofort, dass es sich um die 30jährige Una Donovan handeln musste, Donovans einzige Tochter, deren Mutter seine zweite Ehefrau Susan war. Sie war diejenige, die im Auftrag ihres Vaters den Kontakt zu ihm hergestellt und ihn auf das Inselanwesen eingeladen hatte. Sie hatte ihre langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und steckte in einer einfachen, etwas schmutzig wirkenden, zerfransten Jeans, ein paar ausgetretenen Zehensandalen und einem naturfarbenen Wollpullover, der wie selbst gestrickt aussah. Eine lange Narbe, die sich durch ihre rechte Gesichtshälfte zog, schien ihr hübsches, jung und mädchenhaft wirkendes Gesicht nicht zu verunstalten, ja ihm sogar einen besonderen Reiz zu verleihen. Mo wusste durch seine Internetrecherchen, dass sie zu gefährlichen Sportarten und Abenteuern neigte und sich die Narbe bei einem Skiunfall in den Rocky Mountains zugezogen hatte.

Una musterte amüsiert die korrekte Kleidung der beiden Besucher, die bei Mary aus einem Blazer und bei Mo aus einem Sakko bestand, und lud sie unter ein paar kurzen Begrüßungsfloskeln ein, ihr auf eine Terrasse zu folgen. Diese befand sich linkerhand vor dem Haus, war mit schroffen, teilweise zersprungenen Schieferplatten ausgelegt und wurde von einem Holzspalier umschlossen, um das sich verschiedene wilde Rosengewächse rankten.

„Dr. Kelly und Dr. Morris also… Mein Vater erwartet Sie bereits und wird gleich kommen. Dass inzwischen bereits die Detektive Doktorentitel tragen, ist ja fast schon ein wenig lächerlich und zeigt, in was für einer überkandidelten Welt wir leben. Ich habe das College mit 25 Jahren geschmissen und meinen eigenen Internetblog aufgemacht. Ich halte nicht viel von Wissenschaft. Es sieht so aus, als könnte man durch sie alles erklären und erlangen und trotzdem hat der ach so kluge und gebildete Mensch die Erde an den Rand des Abgrunds gebracht. Mit nur ein bisschen mehr gesundem Menschenverstand würde vieles sehr viel besser laufen!“, ließ sie auf den wenigen Schritten zu der Terrasse bereits sehr viel von ihrer Einstellung und ihrem etwas rebellischen Charakter durchblicken. Sie hatte sich offenbar bewusst entschieden, jung zu bleiben und sich auch jenseits der 30 gegen die Erwachsenenwelt aufzulehnen, wie es auch ihre legere Kleidung bewies.

„Obwohl ich erst den Umweg über die akademische Kriminologie machen musste, um zum freien Detektiv zu werden, habe ich dies nie bereut. Die Erfahrungen, die wir auf unserem Lebensweg sammeln, haben alle ihren Sinn und Zweck und machen uns zu genau denen, die wir sind“, verteidigte Mo etwas beleidigt seinen Doktortitel, da der provokante Ton der jungen Rebellin zunächst etwas gewöhnungsbedürftig wirkte.

Nachdem sie auf einfachen, lehnenlosen Hockern an einem großen, runden Holztisch Platz genommen hatten, zerstreute Mary die latente Spannung, die zwischen Una und Mo aufgekommen war, indem sie meinte:

„Wenn Sie wissen, wer wir sind, wissen Sie ja auch, warum wir hier sind. Dann kann ich Ihnen auch gleich eine erste Frage stellen. Sie schreiben in Ihrem Blog über ökologische Themen, Miss Donovan, nicht wahr? Sie müssen entschuldigen, aber wir hatten in den zwei Tagen seit dem ersten Kontakt nicht viel Zeit, gründlich über Sie und Ihre Familie zu recherchieren.“

„Genauso ist es, Mrs. Kelly. Es stört sie doch nicht, wenn ich ihren Titel einfach mal unter den Tisch fallen lasse?“, hielt Una noch für einen Moment an ihrem frech-provokanten Tonfall fest, um dann plötzlich mit reinster Freundlichkeit zu fragen: „Möchten Sie eine Tasse Tee? Ich habe ihn extra für Sie vorbereitet. Seine Kräuter kommen direkt hier aus unserem Garten. Er wird sie nach der Reise hierher stärken. Die Fahrt von New York zieht sich ja mit der Fährüberfahrt schnell auf über 5 Stunden hin. Mein Vater wird gleich hier sein, er ist irgendwo draußen auf dem Gelände, um ein paar neu gepflanzte Bäume zu wässern.“

Sie schenkte den Tee aus einer bereit stehenden, bunten Keramikkanne in drei urige, scheinbar selbst getöpferte Tonbecher ein. Dann fuhr sie fort und zeigte sich schon gleich zu Beginn ungewöhnlich mitteilungsbereit.

„Da die Beiträge von mir und meinen Mitarbeitern mittlerweile millionenfach angeklickt werden, werde ich ständig auf meinen Internetblog angesprochen. Es fing alles vor fünf Jahren an und es ist sehr erstaunlich, was sich inzwischen daraus entwickelt hat.

Sie haben ja sicher von den größten und bekanntesten Geoengineering-Projekten meines Vaters gehört. Wie bei allen Projekten von Donovan EAW sind immer auch einige unserer Leute dafür zuständig, direkt vor Ort Beiträge für unseren internationalen, mehrsprachigen Internetblog zu verfassen. Auf diese Weise ist über die Jahre ein beachtlicher Pool von Text- und Bildmaterial entstanden, der dazu beitragen soll, das ökologische Bewusstsein der Menschen weltweit zu schärfen. Ich verfasse selber Artikel, aber meine Hauptaufgabe besteht darin, einen Teil der Texte zu lektorieren sowie ihre Themen und ihre Veröffentlichung zu koordinieren.“

„Damit haben Sie sich ein äußerst beachtliches Aufgabenfeld geschaffen, Miss Donovan!“, lobte Mo sie überschwänglich, um sie nach der kurzen Dissonanz etwas mehr für sich einzunehmen. „Wenn ich Ihren Namen in die Suchmaschine eingebe, werde ich erschlagen!“

„Sie sind ja auch nicht ganz ohne, Mr. Morris. Auch wir informieren uns. Ihre letzten beiden Fälle haben Sie recht bekannt gemacht, weshalb ich mich ausnahmsweise bemühen will, nett zu Ihnen zu sein. Stören Sie sich bitte nicht an meinem etwas frechen Mundwerk. Da ich gehört habe, dass Sie ein eher unangepasster Zeitgenosse sein sollen, werden Sie damit sicher umgehen können, oder nicht?“

Das gelöste Lachen, das daraufhin durch die kleine Dreier-Runde ging, schien den Grundstein für eine verlässliche, gegenseitige Sympathie gelegt zu haben. Mo verweilte nicht lange auf der kleinen Insel der Harmonie und nahm – wie so oft – die Rolle des von detektivischer Neugier getriebenen Fragestellers ein.

„Stimmt es, dass Sie Ihren Vater vor 15 Jahren als Jugendliche zu dem Firmennamen Donovan EAW inspiriert haben - Donovan Earth, Air, Water?“

„Das ist korrekt. Der Name soll die Bewahrung der Erde, der Luft und des Wassers symbolisieren, und damit quasi die des gesamten Planeten.

Wie ich hörte, sind Sie von Haus aus Psychologe, Mr. Morris. Dann können Sie vielleicht nachvollziehen, dass ich als jüngstes Kind und einzige Tochter ein besonderes Verhältnis zu meinem Vater habe. Meine beiden älteren Brüder, deren Mutter Ronans erste, verstorbene Ehefrau Lara ist, sind ganz anders als ich. Ich meine, sie sind natürlich ganz prächtige Kerle, aber man trifft sie meist nur in Schlips und Krawatte an. Sie leben als Manager in New York, wo sie die Finanzen meines Vaters kontrollieren. Die Investmentgesellschaft Donovan Global existiert auf dem Papier noch immer, auch wenn sie ihre früheren Aktivitäten eingestellt hat. Fast alle Gelder sind mittlerweile in Investmentfonds geflossen, die in Geschäftsfelder mit nachhaltigem und ökologischem Charakter investieren. Einige dieser Fonds hat mein Vater selber aufgelegt.“

„Klingt ja so, als ließe sich auch mit Ökologie viel Geld verdienen. Wie ich allerdings hörte, soll es mit den Finanzen von Donovan EAW und Donovan Global nicht zum Allerbesten stehen. Ist da etwas Wahres dran? Entschuldigen Sie, dass ich so etwas nach kaum fünf Minuten fragen muss, Miss Donovan, aber wir befinden uns mitten in einem ersten, wichtigen Gespräch, das mich zu einem neuen Fall hinführen soll.“

„Von mir aus dürfen Sie mir Fragen stellen, bis Ihnen Ihre Zunge fusselig wird, solange Sie mich nur Una nennen. Das kleine, brave, unverheiratete Mäuschen Miss Donovan, das es gar nicht erwarten kann, sich endlich in die schützenden Arme eines Ehemanns zu werfen, existiert für mich nämlich nicht. Meine Abneigung gegen Titel erklärt sich übrigens auch daraus, dass ich grundsätzlich nichts von Förmlichkeiten halte. Wenn ich nicht gerade hier auf Block Island oder auf dem Hauptwohnsitz meines Vaters in Conneticut bin, arbeite ich mit einem jungen Team in einem einfachen Loft in Brooklyn. Wir sind wie eine große Familie und kennen unseren eigenen Nachnamen schon gar nicht mehr!“

Als sie bemerkte, wie sehr sie vom Thema abgekommen war, schenkte sie sich einen Tee ein und kam auf die eigentliche Frage zurück. Für Mo und Mary war schon jetzt sehr klar, dass in ihrem Wesen nicht nur etwas Mitteilungsfreudiges, sondern auch etwas Sprunghaftes und leicht Unkonzentriertes lag.

„Was unsere finanzielle Situation betrifft, kann man immerhin Licht am Ende des Tunnels sehen. Im Moment verschlingen unsere Experimente und Innovationen zwar noch enorm viel Kapital, ohne dass es uns viel einbringt. Aber wir leben in einer Zeit, in der das allgemeine Umweltbewusstsein zunimmt. Je mehr die Problematik der Umweltzerstörung und des Klimawandels die Öffentlichkeit bewegt, desto mehr können wir mit den Fördergeldern von Sponsoren und Regierungen der ganzen Welt rechnen. Ich glaube sogar, wir werden eines Tages gigantische Gewinne einfahren, weil wir uns rückblickend als die Avantgarde eines der wichtigsten und zukunftsträchtigsten Wirtschaftszweige der Welt erwiesen haben! Aber das Geld ist mir nur wichtig, insofern es unseren Zielen dient. Ein hohles Luxusleben ist meine Sache nicht.“

„Es entspricht wohl dem Grundprinzip unserer westlichen, kapitalistischen Wirtschaftsordnung, dass das, was der Staat und Öffentlichkeit nur fordert, aber nicht selbst vollbringt, von ambitionierten und risikofreudigen Pionieren vorangetrieben werden muss“, bestärkte Mo ihren Optimismus voller Freundlichkeit.

Una nahm das Kompliment mit einem geschmeichelten Lächeln auf und hatte auf einmal eine kleine Warnung auszusprechen:

„Eines möchte ich Ihnen noch sagen, bevor gleich mein Vater erscheint. Er ist alles andere als ein einfacher Mensch. Für die Einen ist er nur ein Exzentriker und Spinner, der sein Geld für verrückte Projekte zum Fenster hinauswirft, doch für die Anderen ist er nicht weniger als ein Guru, der einige Bedeutung für das Anbrechen eines neuen Zeitalters hat. Ich erwarte von Ihnen nicht, dass Sie sich in das Lager seiner Verehrer schlagen, sondern nur, dass Sie etwas Nachsicht für einige Eigenheiten in seinem Charakter und Verhalten aufbringen.

Er lädt übrigens selten Fremde hierher ein, weil dieser Ort sehr privat für uns ist. Wenn er bei Ihnen eine Ausnahme macht, beweist das vor allem, wie wichtig ihm sein Auftrag an Sie ist.“

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Sie hatten einige Zeit auf Donovan warten müssen und währenddessen von Una einige weitere interessante Dinge erfahren. Irgendwann sprang plötzlich ein Hund durch die Rosenhecke in den Kräutergarten, stob auf sie zu und tänzelte aufgeregt um dem Tisch herum. Er erwies sich als ein hübscher, blutjunger Irish Terrier, dessen Lebhaftigkeit, Neugierde und Verspieltheit Mo sofort gefiel und ihn an seinen eigenen Hund Dr. Watson erinnerte.

Bald darauf erschien eine stattliche Gestalt, die in ein paar groben Lederstiefeln, einer grauen, schmutzigen Jeans sowie einem halb offenen, naturfarbenen Leinenhemd steckte und auf den ersten Blick wie ein Bauer oder Holzfäller wirkte. Bei ihrem Näherkommen zeigte sich, dass ihr kerniges, von Falten durchzogenes und von einer breiten Boxernase dominiertes Gesicht zu einem ausgeprägten Charakterkopf mit dichten, schlohweißen Haaren gehörte, der sich auf den ersten Blick keiner eindeutigen Wesensrichtung zuordnen ließ. Ronan Donovan schien – so wie es wohl seiner Absicht und seinem Lebensstil entsprach - mehrere Persönlichkeiten in sich zu vereinigen, von denen er an diesem Tag offenbar die eines gemütlichen, unscheinbar wirkenden alten Mannes gewählt hatte, der in Begleitung seines Hundes zufrieden seine Runden über seinen Grund und Boden drehte. Lediglich eine teure Sonnenbrille, die er sich auf den Kopf hochgeschoben hatte, und eine spezielle, um seine rechte Schulter geschnallte Tasche, aus der der Schlauch einer kleinen Sauerstoffflasche hing, deuteten darauf hin, dass an ihm nicht alles so bodenständig und einfach war, wie es zunächst den Anschein hatte.

Seine Lungenfibrose zwang ihn, ein paar Mal zur Stärkung Sauerstoff aus dem Schlauch der Flasche zu inhalieren, bevor er auf sie zutrat, ein breites Lächeln auflegte und mit ein paar launigen Begrüßungsworten willkommen hieß. Dabei war nicht klar, ob die leichte Überschwänglichkeit, die sofort an ihm zu bemerken war, ein fester Bestandteil seines Charakters war oder der aufputschenden Wirkung des reinen Sauerstoffes zuzuschreiben war.

„Aha, da sind sie ja, die beiden Detektive aus Rutherford. Pünktlich und korrekt gekleidet, wie es sich gehört! Ich hoffe, Sie finden es nicht närrisch, dass ein alter, reicher Sack wie ich sein Herz so sehr an ein einfaches Stück Land mit ein paar Pflanzen und Tieren hängt. Manchmal denke ich, Block Island wäre die ideale Arche Noah. Man könnte auf der Insel eine Auswahl von Tieren und Pflanzen versammeln, damit sie den nächsten Weltuntergang überlebt. Ich fürchte nur, die rund 9700 Quadratmeilen der Insel wären fast zu klein dafür.

Na, kommen Sie, kommen Sie, ich werde Ihnen mal ein bisschen was zeigen, wenn Sie schon extra hier heraus gekommen sind! Sie haben sich hoffentlich etwas Zeit in Ihr Reisegepäck gesteckt!“

Die auffordernden Bewegungen seiner rechten Hand wirkten so energetisch wie ein starker Magnet und ließen Mo und Mary sofort aufspringen. Damit war schon jetzt klar, was für eine dominante und einnehmende Persönlichkeit Donovan besaß.

Mary, Mo und Una folgten ihm aus dem Garten auf einen schmalen, ausgetretenen Pfad, der durch ein hoch gewachsenes Gras- und Staudenfeld führte. Sie durchquerten einen Hain aus kleinen, frisch gepflanzten Gelbkiefern und hatten danach ein etwa 6 Yards hohes Türmchen aus lose aufgeschichteten Felssteinen vor sich. Sie betraten es durch eine türlose, gerundete Maueröffnung und stiegen eine eng gewundene Steintreppe zu einer kleinen Aussichtsplattform hinauf. Donovan schnaufte vor Anstrengung, steckte sich gierig saugend den Schlauch des Sauerstoffgerätes in den Mund und beruhigte danach seinen jungen, ihm stets auf den Fuß folgenden Terrier. Dann wies er mit einer theatralischen Handbewegung über die plötzlich weithin sichtbar gewordene Insellandschaft bis auf die in der Sonne glitzernde, in der Ferne mit dem Horizont in einem dunstigen Blau verschmelzende See hinaus.

„Ich möchte Ihnen ein bisschen etwas von der Energie vermitteln, die mich dazu bewegt, internationale Naturschutz- und Geoengineering-Projekte durchzuführen. Ich bin sicher, wenn Sie auch nur annähernd etwas von meiner Liebe zur Natur verstehen, werden Sie voller Begeisterung eine hervorragende Arbeit für mich leisten!

Sehen Sie nur, wie sich in diesem Bild aus Erde, Himmel, See und Licht alles so wunderbar ineinander fügt, als wollte es uns jede Minute und Sekunde etwas von der ewigen Schöpferenergie des Universums vermitteln! Diese Energie war von Anfang an da und wird für immer da sein. Sie ist ewig und göttlich und unzerstörbar. An diesem Ort muss man nur aufstehen und hinsehen und schon liegt etwas von dieser Energie wie ein anschauliches Bild vor einem!“

Donovans schwelgerischer Enthusiasmus war seiner Tochter etwas peinlich, weshalb sie glaubte, den beiden erstaunten Besuchern aus der Stadt leise erklären zu müssen:

„Die begeisterte Art meines Vaters kann manchmal etwas ungewöhnlich wirken. Sie müssen wissen, dass das auch ein wenig mit dem reinen Sauerstoff aus der Flasche zusammenhängt…“

Ihr Vater hatte alles gehört und schien derartige Bemerkungen gewohnt zu sein, da er in keiner Weise ärgerlich reagierte und unbeirrt an seiner pathetischen Art festhielt.

„Sehen Sie, ich war jahrzehntelang ein Mann, der nur das Geld und seine Vermehrung kannte. Viele wissen nicht, dass es nicht allein die Diagnose meiner Krankheit war, die einen tief greifenden Transformationsprozess in mir auslöste. Ich hatte nämlich ein fulminantes Gotteserlebnis, das alles in mir auf den Kopf stellte. Ich werde Ihnen die Einzelheiten jetzt ersparen, wichtig ist nur Folgendes: Seitdem wirkt das Licht in mir und alles, was mir das Licht gibt und sagt, bewegt mich dazu, alles herzlich umfangen, lieben und schützen zu wollen. Der Gott, dem ich folge, hat weniger mit der Religion als mit der alles umfassenden Liebe zu tun. Er hat mir die Aufgabe gegeben, den Reichtum, den ich früher zusammengerafft habe, zum Wohl der Erde und der Menschen einzusetzen. Ich werde diesem Auftrag bis an mein Lebensende folgen und hoffe, dass ihn danach meine Tochter weiterführt.

So, und nun lade ich Sie ein, mich zurück zum Haus zu begleiten, damit wir das Geschäftliche besprechen können!“

Er sog wie zur Besiegelung seiner Aufforderung ein paar Mal an dem Sauerstoffschlauch und schickte sich dann an, die kleine Aussichtsplattform wieder zu verlassen. Mo und Mary ließen seine hoch gestochenen Worte noch einen Moment auf sich wirken und bestaunten dabei eine kleine Gruppe junger Ponys, die friedlich auf einer wilden Wiese graste. Dann folgten sie Una die Treppe des Aussichtstürmchens hinunter.

Da Donovan sie einen anderen Weg zum Haus zurückführte, kamen sie an einem Geröllhaufen vorbei, den sie vorher nicht gesehen hatten und auf dem ein großes, verwittertes Holzkreuz mit der Aufschrift „Tully Cross“ stand.

„Tully Cross bedeutet so viel wie das Kreuz auf dem Berg“, erläuterte Donovan dazu. „So heißt das kleine Dörfchen an der westirischen Küste, von dem einst mein Vater aufbrach, um in der neuen Welt sein Glück zu machen. Ihm ist es leider nie wirklich gelungen, dafür mir umso mehr. Sie sehen also, dass mir meine Wurzeln wichtig sind.“

Er wollte bereits weitergehen, drehte sich dann aber um und meinte zu Mary:

„Ihr Name Kelly weist auf irische Vorfahren hin, während es bei Dr. Morris wohl englische sein müssen.“

Als Mary daraufhin einiges über ihre Herkunft und ihre irischen, in die USA ausgewanderten Großeltern zu erzählen begann, trat Donovan irgendwann auf sie zu und packte sie einfach mit seiner großen, kräftigen Pranke am Kinn. Er drehte ein paar Mal ihr Gesicht hin und her und begutachtete mit Kennerblick ihre helle Haut, ihre spitze, zarte Nase und ein paar feine, kaum zu sehende Sommersprossen auf ihren Wangen. Dann meinte er:

„Sie tragen einen Rotstich in ihren brünetten Haaren, durch den sie für mich schon fast eine waschechte Irin sind. Dann können Sie sicher auch etwas von der Sehnsucht verstehen, die alle Iren in ihren Genen tragen. Es ist die, sich auf eine fruchtbare grüne Insel zurückzuziehen, auf der nicht allzu viele Menschen leben und auf der man seine Ruhe hat. Genau wie ich es hier auf Block Island getan habe.

Sie und Dr. Morris dürfen sich freuen, dass Ihr Auftrag Sie in die Nähe der Heimat Ihrer Vorfahren führen wird. Ich werde Sie nämlich nach England, beziehungsweise vor die Küste Englands, schicken. Näheres dazu erfahren Sie gleich.“

Noch bevor Mary über das ihr zugedachte Reiseziel protestieren konnte, hatte Donovan sich schon wieder umgedreht und seinen Marsch Richtung Haus fortgesetzt. Die Art, wie er ihr Gesicht gefasst hatte, hatte allgemeine Verhaltensregeln verletzt, doch Mary, Mo und Una zerstreuten das Gefühl leichter Peinlichkeit durch Gelächter. Una hatte sie über einige Eigenheiten ihres Vaters vorgewarnt und so konnten sie ihm nichts übel nehmen.

Sie gelangten von einem Graspfad auf einen Sandweg und sahen in einiger Entfernung ein kleines Steinhaus im irischen Cottagestil, in dem – wie Una erklärte - die Familie des für die Pflege und die Sicherheit des Grundstückes zuständigen Angestellten lebte. Bald darauf erreichten sie das Haupthaus von der hinteren Seite, betraten den Kräutergarten durch ein kleines Holztürchen und wurden von Donovan hinein gebeten. Als sie eine dunkle, mit dicken Steinplatten ausgelegte Diele betraten, drang von allen Seiten ein intensiver Pflanzenduft auf sie ein. Er stammte von den Kräutern, die Una auf einem schmalen und langen Holztisch zum Trocknen ausgelegt hatte und dem Haus direkt bei seinem Betreten eine besondere Note gaben. Eine zweiflügelige Holzkassettentür mit aufwändig geschnitzten floralen Ornamenten ließ sie direkt in den Hauptraum gelangen, der sich ohne Zwischenwände durch das gesamte Erdgeschoss zog und nur durch ein paar dicke, tragende Balken strukturiert wurde. Der Boden war mit breiten und groben Holzdielen ausgelegt und die unverputzten, von länglichen Holzsprossenfenstern durchzogenen Felssteinwände wurden hier und da von Sideboards gesäumt, die durch ihre schlichten, zeitlosen Formen und ihre aufwändig furnierten Oberflächen an den Art-Deco-Stil erinnerten. Zwischen Ihnen befanden sich massive Holzbänke, die durch ihre mit Schaffellen bespannten Lehnen fast so wirkten, als wollten sie imaginären mittelalterlichen Fürsten oder Kelten-Oberhäuptern Platz bieten. Ein großer, an der Wand hängender indianischer Federschmuck war womöglich eine Anspielung darauf, dass Block Island ursprünglich von Indianern besiedelt gewesen war.

Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der eklektische Stil, der Elemente verschiedener Epochen in Form von Andeutungen zu einem einzigartigen, kaum definierbaren Ganzen zusammenfügte, einer genau durchdachten Absicht entsprungen war. Als Mo und Mary klar wurde, dass ein Haufen von Schafsfellen, der am Ende des Raumes vor einem großen, aus Felssteinen gemauerten Kamin am Boden lag, Donovans Schlafplatz darstellte, hatten sie endgültig kapiert, wie sehr er sich an diesem Ort in eine eigenwillige Parallelwirklichkeit jenseits des modernen Amerikas zurückgezogen hatte.

Sie bekamen kaum Gelegenheit, sich genauer in dem Raum umzusehen, da Donovan trotz seines unverkennbaren Hangs zum Ungewöhnlichen offenbar einem geordneten Zeit- und Tagesplan folgte.

„Kommen Sie, Dr. Morris und Dr. Kelly. Da ich später noch an einer Videokonferenz mit einigen meiner Leute in England teilnehmen muss, möchte ich Sie bitten, mich in mein Arbeitszimmer ins Obergeschoss zu begleiten.“

„Nennen Sie mich Morton bitte. Ich habe nämlich das Gefühl, dass unsere heutige Begegnung der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit sein wird…“, entgegnete Mo mit einem tiefgründigen Lächeln, so als läge seiner Bitte irgendeine besondere Ahnung zugrunde.

„Von einem solchen Gefühl lasse ich mich gerne leiten. Ich hoffe, es wird sich bewahrheiten. Da bei Donovan EAW grundsätzlich ein lockerer Umgangston herrscht, können Sie beide Ronan zu mir sagen. Wir sind ja schließlich alle nur Menschen und die Förmlichkeiten, wie sie heute noch Geltung haben, können eigentlich nur Adelige und arrogante Snobs erfunden haben.“

Donovan schickte seinen Terrier, den er „Cyrus“ nannte, in den Garten und begab sich zu einer offen im Raum liegenden Treppe, die mit jedem seiner Schritte unter seinem schweren Körper so ächzte und knarrte, als wäre sie viele hundert Jahre alt. Auf einem Absatz drehte er sich um und erklärte:

„Una wird an unserem Gespräch teilnehmen. Sie muss in die Aufgabe hineinwachsen, mir einiges abzunehmen. Sie wird eines Tages die Führung von Donovan EAW übernehmen, wozu Ihre Brüder meiner Meinung nach nicht fähig sind. Die Beiden werden wohl noch viele Jahre dem Mammon die Stiefel lecken müssen, bevor sie vielleicht eines Tages aufwachen und ihr höheres Selbst entdecken.“

Er lachte und stapfte den Rest der Treppe ins Obergeschoss hinauf. Es war im Gegensatz zum Erdgeschoss in Räume eingeteilt und besaß in seiner Mitte einen langen, schmalen Gang, dessen Wände aus gemauerten Felssteinen und den tragenden Balken der schweren Dachkonstruktion bestanden. Er zog sich über die gesamte, fast 50 Yards betragende Länge des Hauses hin und besaß in unregelmäßigen Abständen kleine Holzkassettentüren, die in diverse Dachkammern führten. Lediglich Donovans Büro besaß eine breite, Licht spendende Milchglastür, durch die sie in eine riesigen, bis zum Firstbalken nach oben offenen Raum gelangten, der sich in einer länglichen Grundfläche an der Dachneigung entlang zog. Er verfügte über eine ungewöhnlich breite, gerundete Gaube, durch deren Sprossenfenster die Solaranlage und die große Satellitenschüssel zwischen den wilden Brombeersträuchern des Gartens zu sehen waren.

Mo und Mary fielen sofort die Skizzen und Abbildungen technischer Anlagen und Gebilde ins Auge, die so zahlreich und chaotisch an die geneigte, holzverkleidete Dachunterseite geheftet waren, als hätte in dem Raum Tag und Nacht ein emsiger Erfinder sein Werk getan. Große Teile der innen liegenden Wände waren von hohen Holzregalen bedeckt, die bis in den letzten Winkel mit Buchbänden voll gestopft waren; dazu passend waren auf der Sitzfläche einer großen Couch hohe Stapel diverser wissenschaftlicher, halbwissenschaftlicher und esoterischer Zeitschriften zu sehen. Donovan, der nie das College besucht hatte, war allem Anschein nach nicht nur ein gute Zeichner, sondern auch ein fleißiger und wissbegieriger Autodidakt, der seine Fühler in viele verschiedene Richtungen ausstreckte. Er leitete den entscheidenden Teil ihres Gespräches mit einer seiner scheinbar typischen pathetischen Anwandlungen ein, indem er sich in der Mitte des Raumes aufstellte, einmal rundherum mit ausgestreckter Hand um sich wies und meinte:

„Normalerweise lasse ich hier niemanden außer Una und meiner Frau Susan hinein und wenn ich bei Ihnen eine Ausnahme mache, hat das natürlich seinen guten Grund.

Ich wurde nämlich ins Herz getroffen, jawohl mitten ins Herz, und es wird Ihre Aufgabe sein, diese schwere Verwundung zu lindern und zu heilen!“

Er begab sich zu einem sehr langen Schreib- und Zeichentisch, der direkt unter den Fenstern der Gaube auf einer Vielzahl von Holzböcken stand, tippte auf einem bereitstehenden Laptop herum, woraufhin auf einem großen, über dem Tisch hängenden LCD-Screen das Foto einer besonderen technischen Anlage erschien. Es handelte sich um eine gestochen scharfe Satellitenaufnahme von „Aqua City“, einer großen, aus mehreren schwimmenden, künstlichen Inseln zusammengefügten Forschungsanlage, die als Donovans derzeitiges Top-Projekt galt. Es sollte den sowohl ideellen also auch finanziellen Durchbruch bringen, um in Zukunft mit den Geldern von Regierungen und privaten Spendern im großen Stil Anti-CO2-Anlagen in der gesamten Welt zu bauen und so die Erderwärmung durch Geoengineering gezielt zu bremsen.

Der Anblick von „Aqua City“ mit seinen kreisrunden, durch Stege verbundenen Inseln und seinen wie kleine Schlote in den Himmel ragenden „Rüsseln“ erstaunte Mo aus ganz bestimmten Gründen nicht sehr. Durch seine zuletzt durchgeführten Recherchen über Donovan hatte er nämlich die Ähnlichkeit Aqua Citys zu dem Traumbild, aus dem er tags zuvor in seinem Arbeitszimmer durch die feuchte Zunge seines Hundes Dr. Watson aufgeweckt worden war, sehr schnell festgestellt. Der hauptsächliche Unterschied zu dem Traumgebilde bestand darin, dass das Zentrum von Aqua City aus einer großen schwimmenden Plattform mit einem mehrstöckigen Aufbau bestand, in dem Forschungslabore und Unterkünfte untergebracht waren. Um diese zentrale Plattform herum waren wie Blätter um eine Blüte in zwei kreisförmigen Ringen weitere Schwimminseln angebracht.

Während Mo und Mary näher an den Bildschirm traten, begann Donovan zu erklären:

„Sie werden bereits einiges über Aqua City gehört haben. Zurzeit hat die Insel unweit von London und der Themsemündung wenige Meilen vor der englischen Küste festgemacht. Bevor ich auf den springenden Punkt komme und Ihnen verrate, was mich so tief getroffen hat, möchte ich Ihnen die wesentlichsten Hintergründe des Projekts erläutern.

Aber Eines noch vorweg: Ich bin natürlich überzeugt, dass es das Beste wäre, die Abholzung der Regenwälder sofort zu stoppen und die gesamte Erde radikal aufzuforsten, um die Bäume und alle sonstigen Pflanzen als natürliche CO2-Umwandler und Sauerstoffproduzenten für uns arbeiten zu lassen. Da es aber keine Anzeichen dafür gibt, dass dies schnell genug und in ausreichendem Maß geschehen könnte, sind wir gezwungen zusätzlich nach technischen Mitteln zu suchen, um ausreichend Zeit für natürliche und nachhaltige Lösungen zu gewinnen.

Die Zeit rennt. Sie wissen, der Erderwärmungsprozess beschleunigt sich unter anderem durch das zusätzliche CO2, das aus den sich erwärmenden Ozeanen aufsteigt, oder etwa durch das Methan, das durch die auftauenden Permafrostböden frei wird. Wir befinden uns mitten in einem gigantischen Klimaveränderungsprozess, der auf die alleinige Reduktion des von Menschen Gemachten CO2 so reagieren wird, wie ein Wassertropfen, der auf einen heißen Felsblock fällt.

Wenn wir also eine steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre wirklich als eine ernsthafte Bedrohung für das Leben auf Erden erkennen wollen, dann müssen wir logischerweise nicht nur auf Vermeidung, sondern auch auf die Umwandlung von CO2 setzen. Es wird kaum möglich sein, das Problem auf andere Weise ernsthaft anzugehen.

Ich persönlich zweifle übrigens etwas daran, dass unsere heutigen Klimaphänomene allein vom Menschen hervorgerufen worden sind. Ich glaube vielmehr an einen natürlichen, zyklischen Erwärmungsprozess, der durch das von Menschen verursachte CO2 sowie die allgemeine Umweltzerstörung verstärkt wird. Es gibt nämlich Belege dafür, dass auch die Temperaturen auf anderen Planeten unseres Sonnensystems in einem großen, weit gefassten Zeitrahmen zyklisch steigen und fallen. Hier wirken kosmische Zusammenhänge, die über die alleinige Beobachtung der Natur unserer Erde weit hinausgehen und zu komplex für die öffentliche Diskussion sind.

Sie wissen, die Politik und die Öffentlichkeit brauchen einfache Parolen und Erklärungen, die niemanden überfordern und die Massen auf eine bestimmte Linie einschwören. Insofern äußere ich auch nur im vertraulichen Rahmen, was ich gerade gesagt habe.“

Als sich Donovan hier unterbrach, beeilte sich seine Tochter einzuwerfen:

„Was mein Vater damit sagen will, ist, dass das Erdklima zu komplex für vereinfachte Diskussionen ist, die abweichende Denkweisen nicht zulassen. Außerdem sollte man grundsätzlich zwischen denjenigen Kräften unterscheiden, die ernsthaft an der Bewahrung unserer Natur und Schöpfung interessiert sind, und denen, die das Klimaproblem als ein willkommenes Vehikel für die Durchsetzung bestimmter politischer Interessen sehen.

Wir wollen das hier nicht weiter diskutieren, weil unser derzeitiges Problem in eine ganz andere Richtung geht. Ich überlasse es meinem Vater, es Ihnen zu erläutern.“

„Das werde ich gleich tun. Aber zuvor möchte ich noch etwas Wesentliches über Aqua City sagen“, zog Donovan wieder das Wort an sich. Nachdem er ein paar Mal Sauerstoff inhaliert und sich ächzend auf einen gepolsterten, vor dem Schreibtisch stehenden Bürostuhl fallen gelassen hatte, fuhr er fort:

„Man muss Aqua City vor allem als ein Versuchsprojekt betrachten, mit dem wir erst noch erforschen wollen, inwieweit Geo-Engineering überhaupt sicher, sinnvoll und möglich ist. Es existieren noch viel zu wenige Erfahrungswerte hierfür. Zum Beispiel weiß niemand genau, was passieren würde, wenn wir der Atmosphäre in kurzer Zeit in sehr großem Umfang CO2 entziehen. Immerhin sind ja alle Fotosynthese treibenden Pflanzen auf CO2 angewiesen. Genau so wenig ist die Frage der dauerhaften Umwandlung und Speicherung von CO2 ausreichend geklärt. Vielleicht haben Sie schon von dem niederländischen Projekt Porthos gehört. Es geht darum, eine Leitung aus dem Hafen von Rotterdam in die Nordsee zu legen, in die ansässige Unternehmen ihre Abgase leiten. In Zukunft sollen jährlich 5 Millionen Tonnen CO2 aus den Abgasen herausgezogen und durch die Leitungen in leere Gasfelder gepumpt werden, die 12 Meilen vor der niederländischen Küste in fast 2 Meilen Tiefe in porösem Sandgestein unter dem Meeresboden liegen. In einer chemischen Reaktion werden die Abgase gereinigt, komprimiert, verflüssigt und dann in die Sandsteinformationen gepresst. Kritiker befürchten allerdings, dass lokale Ökosysteme durch austretendes CO2 versauern könnten.

Die dauerhafte Speicherung von CO2 in sehr großen Mengen ist nun einmal das größte Problem. Wir in Aqua City forschen auf vielen verschiedenen Ebenen dazu.“

Als Donovan sich abermals schnaufend an den Schlauch seines Sauerstoffgerätes hing, warf Mo ein:

„Man kann also die Funktion von Aqua City als eine Art schwimmendes Forschungslabor verstehen… Es geht zurzeit noch nicht darum, der Atmosphäre relevante Mengen an CO2 zu entziehen, sondern vor allem darum, zunächst umfangreiche Experimente mit CO2 durchzuführen.“

„Genau so ist es, Morton“, bestätigte Donovan. Er wies zu dem Bildschirm mit der Satellitenaufnahme von Aqua City und meinte:

„Sie sehen ja dort die schlotförmigen Rohre auf den äußeren, sich um das Zentrallabor herumgruppierenden Inseln. Sie saugen große Mengen Luft an, aus der wir mit verschiedenen Methoden das CO2 extrahieren und versuchsweise in verschiedene Speicherformen überführen. Zurzeit forschen wir etwa nach isländischem Vorbild daran, wie man CO2 in vulkanischem Basalt mineralisieren kann. Das Kohlendioxid reagiert mit dem Basalt und bildet Karbonate. Der Vorteil ist, dass es danach nicht mehr entweichen kann. Ein anderes Forschungsprojekt beschäftigt sich zum Beispiel damit, mit Hilfe von CO2 Algen aufzuziehen, die man später als Biokraftstoff verwenden kann. Vielleicht haben Sie ja auch schon einmal von künstlichen CO2-Bäumen gehört, mit deren Hilfe man am Rande von Autobahnen CO2 aus der Luft filtern kann.

Übrigens beschränken sich unsere Forschungen in Aqua City nicht nur auf CO2. Wir interessieren uns für alle Arten von Umweltthemen. Wir betreuen beispielsweise auch eine Plastikmüllreinigungsanlage, die sich momentan genau wie Aqua City in der Nähe der Themsemündung vor der englischen Küste befindet.“

„Es scheint, als ob Sie eine ganz besondere Beziehung zu Wasser hätten, Ronan“, stellte Mary daraufhin mit einem bedeutungsvollen Lächeln fest. „Aqua City, Ihr Sommersitz auf einer Insel, eine Plastikreinigungsanlage auf dem Meer und dann all diese Abbildungen hier…“

Sie deutete zu den Bildern und technischen Entwurfszeichnungen, die an der Wandschräge über dem Schreibtisch hingen und von denen viele in irgendeiner Form eine Beziehung zur See aufwiesen.

„Sehen Sie, laut der Evolutionstheorie kommt doch alles Leben aus dem Meer. Stirbt das Meer, stirbt auch das Leben, nicht wahr?“, konstatierte Donovan mit einem schmerzlichen Seufzen. „Die tragische Verseuchung der Meere mit Mikro- und Makroplastik, aber natürlich auch die unserer gesamten Umwelt inklusive der Nahrungskette ist etwas, was mich besonders stark bewegt und beschäftigt. Allein schon deshalb, weil es gar nicht so schwer wäre, Plastikverpackungen abzuschaffen und durch unschädliche Alternativen zu ersetzen. Solange eine große Industrie sehr viel Geld mit Kunststoffen verdient, werden Veränderungen nur durch drastische Verbote und politische Interventionen möglich sein. Mittlerweile bin ich sicher, nicht die USA, sondern die EU wird Vorreiter bei diesen Verboten sein, weil sie effektiver als wir im Reglementieren ist. Dies kann man sowohl positiv als auch negativ verstehen.“

„Sie wissen ja sicher, dass mein Vater noch in eine ganze Reihe weiterer Projekte investiert ist, die im weitesten Sinne mit Naturschutz und dem Klimawandel sowie seinen Folgen zu tun haben“, mischte sich daraufhin Una wieder ein. „Donovan EAW kauft beispielsweise bedrohte Regenwaldgebiete auf, betreut Wiederaufforstungsprojekte oder entwickelt etwa an der westafrikanischen Küste Meerwasserentsalzungsanlagen zur Bekämpfung der Dürre. In den USA betreiben wir einige Farmen, die sich auf artgerechte Tierhaltung und Biolandwirtschaft spezialisiert haben.

Viele unserer diversen Zweige befinden sich noch im Aufbau und können auf Dauer nur durch die Zuwendungen von Geldgebern vorangetrieben werden. Wenn es nämlich so weitergeht wie bisher, könnte eines Tages das Kapital meines Vaters aufgezehrt sein.

Die Gründe, warum wir Sie beide engagiert haben, beziehen sich momentan allein auf Aqua City. Wir rechnen allerdings jederzeit damit, dass sich dies ändern kann. Wie ich Morton ja bereits am Telefon andeutete, gab es einige Sabotageakte. Das ist das, was meinen Vater – wie er es eben formuliert hat – so sehr ins Herz getroffen hat!“

„Leider weigerten Sie sich am Telefon, mir mehr darüber zu berichten“, beklagte sich Mo, während er mit Mary den Platz auf dem zur Hälfte mit Zeitschriftenstapeln bedeckten Sofa einnahm, der ihnen kurz zuvor durch Donovan zugewiesen worden war.

„Ich wollte erst sicher sein, dass Sie wirklich hierher kommen und den Auftrag annehmen. Wir versuchen die Sache geheim zu halten, damit unsere Geldgeber nicht verunsichert werden. Außerdem sollen keinen Nachahmer auf Ideen gebracht werden“, hatte Una sofort eine plausible Erklärung parat. Dann ging sie zu dem Laptop hinüber und rief eine weitere Abbildung von Aqua City auf.

„Es handelt sich hier um eine jüngere Satellitenaufnahme als die erste. Ich bin sicher, Ihnen wird der Unterschied sofort ins Auge fallen!“

Tatsächlich konnten sie gleich erkennen, dass eine der äußeren Inseln im nordöstlichen Bereich einfach fehlte. Es war so offensichtlich, dass Una ihre Reaktion hierauf nicht abwartete, zu der entsprechenden Stelle auf dem Bildschirm deutete und erklärte:

„Das fehlende Modul von Aqua City heißt Gamma 2 und wurde vor rund drei Wochen nachts abgetrennt, irgendwohin auf See geschleppt und nach aller Wahrscheinlichkeit versenkt. Jedenfalls hat sich die Spur der Schwimminsel nach einer vergeblichen GPS-Ortung vollkommen verloren, was anders schwer erklärlich ist. Es gab vorher bereits eine Reihe kleinerer Sabotageakte, die ich ihnen in einer Liste zusammengestellt und erläutert habe. Ich händige Sie Ihnen nachher zusammen mit anderen Unterlagen aus. Das Verschwinden von Gamma 2 stellt bisher das mit Abstand größte Ereignis dar. Die Hauptinsel heißt übrigens Alpha 1, während sich die 16 kleineren Forschungsmodule in den zwei, versetzt zueinander liegenden Ringen zu je 8 Inseln um sie herumgruppieren. Gamma 2 lag somit ganz außen im so genannten Gamma-Ring und stellte die Nummer 2 unter insgesamt 8 Schwesterinseln dar.“

„Es wird höchste Zeit, uns zu verraten, wen Sie hinsichtlich dieser Sabotageakte verdächtigen. Am Telefon klangen Sie für mich so, als gäbe es bereits Vermutungen“, forderte Mo mit unverhohlener Ungeduld.

„Obwohl ich meiner Tochter gern die Rolle der Wortführerin überlasse, möchte ich Ihnen dies selber darlegen“, erklärte Donovan diesen wichtigen Punkt zur Chefsache. „Zunächst sei gesagt, dass der Verlust des Bereiches Gamma 2 einen Schaden von fast 5 Millionen Dollar darstellt. Glücklicherweise war die Insel unbewohnt und zum Zeitpunkt des Verschwindens hielt sich niemand auf ihr auf.

Gamma 2 hat sich mit einem unserer sensibelsten und wichtigsten Forschungen befasst: Die künstliche Nachahmung des natürlichen Fotosyntheseprozesses, durch den Pflanzen mit Hilfe des Sonnenlichtes aus Wasser und CO2 Energie gewinnen und Sauerstoff freisetzen. Sie werden wohl sofort verstehen, dass ein nachhaltiger Durchbruch in der Künstliche-Fotosynthese-Forschung eine der denkbar besten Lösungen des CO2-Problemes wäre. Es gibt übrigens auch Ansätze, industrielle CO2-Abgase mit einer fotosyntheseähnlichen Technik zu Methanol oder Kohlenstoffmonoxid umzuwandeln, was etwa in Brennstoffzellen Verwendung finden kann.

Aber bleiben wir bei der Sache. Sie wollen etwas über die Saboteure wissen. Sie werden es mir vielleicht nicht glauben, aber es gab ein Bekennerschreiben in Form einer Email, in der sich eine fundamentalistische religiöse Vereinigung dazu bekennt, die Insel zerstört zu haben.“

„Eine fundamentalistische religiöse Vereinigung? Das klingt ziemlich absurd! Mit was für einer Begründung hat sich diese Vereinigung bekannt?“, rief Mary spontan aus.

„Sie werfen uns vor, wir würden mit unseren Forschungen Gott ins Handwerk pfuschen“, erwiderte Donovan mit einem bitteren Lachen. „Diese Vereinigung, falls sie wirklich existiert, glaubt laut ihres Bekennerschreibens, dass die Entwicklungen auf Erden vorherbestimmt sind und der Klimawandel der Beginn der sieben großen Plagen ist, mit dem Gott die so genannte Endzeit einleitet. Ich nehme an, Ihnen ist die Offenbarung des Johannes in dieser Hinsicht bekannt. Wenn das Ganze kein riesengroßer Quatsch ist, dann hätten wir es mit einer extrem deterministischen Weltbetrachtung zu tun, die Geoengineering als eine unzulässige technische Einmischung in natürliche, von Gott angeleitete Prozesse deutet.“

„Wenn mein Vater von einem riesengroßen Quatsch spricht, bedeutet das nicht, dass wir religiöse Interpretation nicht bis zu einem vernünftigen Grad respektieren könnten“, milderte Una die Worte Donovans etwas ab. „Uns fällt nur schwer zu glauben, eine christlich-fundamentalistische Vereinigung könnte über genügend kriminelle Energie und technische Mittel verfügen, um einfach so eine 500 Quadratmeter große Schwimm-Plattform auf hoher See verschwinden zu lassen!“

Sie trat an den Schreibtisch, nahm einen dicken, bereit liegenden Umschlag und zog ein Papier heraus.

„Wir haben Ihnen hier alle relevanten Informationen zusammengestellt, die Sie sich später ihrem Hotel ansehen können. Sie bleiben doch über Nacht auf der Insel? Behandeln Sie das Material bitte absolut vertraulich, da ein Anschlag auf Aqua City ein gefundenes Fressen für die Medien wäre. Und dies hier ist dann noch das Bekennerschreiben.“

Als sie daraufhin Mo sowohl den Umschlag als auch das Papier übergab, fand er in dem denkbar kurzen Text des Bekennerschreibens keine weiteren Informationen, die über die bisherigen Erläuterungen hinausgegangen wären. Donovan setzte derweil dazu an, Ihnen seine Interpretation der Dinge darzulegen.

„Ich vermute, die Bekenneremail zielt nur darauf ab, deutlich zu machen, dass es sich um einen feindlichen Sabotageakt handelt. Und da die Saboteure nicht verraten können, wer sie wirklich sind, schieben sie eben eine imaginäre religiöse Vereinigung vor. Im Grunde macht man sich damit noch zusätzlich über mich lustig.

Ich bin überzeugt, die Konkurrenz steckt dahinter. Sehen Sie, all diejenigen, die entscheidende Patente für eine technisch und wirtschaftlich machbare Umwandlung von CO2 anmelden, können sich dadurch im besten Fall einen riesigen Zukunftsmarkt erschließen. Die künstliche Fotosynthese und ihre artverwandten Prozesse, mit denen sich etwa auch Wasserstoff für emissionsfreie Antriebe gewinnen ließe, spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Aber natürlich auch viele, viele andere Verfahren, wie etwa die schon lange bekannte Möglichkeit, aus Wasser und CO2 synthetische Kraftstoffe zu gewinnen. Aus CO2 lässt sich etwa auch Düngemittel herstellen und neuere Ansätze versuchen sogar, CO2 mit Hilfe eines Elektrolyseprozesses bei Raumtemperatur in festen, gefahrlos aufzubewahrenden Kohlenstoff zurückzuverwandeln. Glücklicherweise gibt es mittlerweile so viele Ansätze, dass es einige Hoffnung auf Lösung des Klimaproblems gibt.

Langer Rede kurzer Sinn: Wahrscheinlich möchte man mich und meine Entwicklungsarbeit gezielt schwächen, um in den entsprechenden Forschungsbereichen an Vorsprung zu gewinnen. Obwohl es mir selber nicht ums Geld geht und ich in alle Richtungen für technische Kooperationen offen bin, sieht das irgendjemand gar nicht so. Sein Kalkül könnte aufgehen, da durch jeden Sabotageakt Geldgeber abgeschreckt werden und unsere kostspielige technische Entwicklungsarbeit stark verzögert wird.“

Als Donovan daraufhin inne hielt und Mo und Mary einen Moment nachdenklich ansah, bekam er eine spontane Idee.

„Wissen Sie was? Warum bleiben Sie nicht einfach über Nacht hier? Wir haben hier schönere Gästezimmer, als sie Ihnen jedes Hotel auf Block Island bieten kann. Ich schlage vor, Sie studieren jetzt in Ruhe das Material und ich kümmere mich derweil um einige Geschäfte. Dann werden wir gemeinsam zu Abend essen und danach alles Weitere im Detail besprechen. Ich möchte Sie sehr gründlich instruieren, bevor ich Sie beide nach Aqua City schicke!“

Für Mary wurde es allerhöchste Zeit, ein Missverständnis zu korrigieren, weshalb sie sehr entschieden rief:

„Sir, ich werde nicht mit Morton nach England reisen!“

Da sie ihm das Rollenspiel nicht offenbaren konnte, auf das sie sich Mo zuliebe eingelassen hatte, fügte sie als Begründung hinzu:

„Ich habe noch an einigen anderen Dingen zu arbeiten und werde Morton vom Büro aus behilflich sein.“

„Aber, aber mein Kind, Sie wollen sich doch wohl nicht der wichtigen Aufgabe, die Ihnen das Schicksal zugeteilt hat, verschließen? Das kann ich nicht akzeptieren! Ich hatte mich so gefreut, dass Morton eine solch reizende Kollegin mit irischen Wurzeln hat. Obwohl er einen außerordentlich guten Ruf als Detektiv besitzt, wäre es verrückt, einen einzigen Mann auf einen solchen Fall anzusetzen. Ich wollte ursprünglich sogar ein ganzes Team anheuern, aber meine Wahl fiel auf ihn, weil er eine erstklassige Aufklärungsrate vorweisen kann. Wenn Morris Investigations den Auftrag einstreichen will, erwarte ich allerdings, dass mit mehreren Leuten gearbeitet wird. Als ich mich über Sie informierte, fielen mir immer wieder drei Namen ins Auge: Tim Diamond, Betty Cadena und Michael King. Was ist mit den Dreien? Würden sie zur Verfügung stehen, um mit Ihnen nach England zu reisen?“

„Normalerweise läuft es so, dass ich zunächst allein eine Spur aufnehme und erst bei Bedarf auf Miss Cadena und Mr. King zurückgreife. Mr. Diamond arbeitet grundsätzlich nur im Hintergrund von seiner eigenen Detektei Diamond Investigations aus, da er sich bei einem unserer letzten Fälle schwerwiegende Verletzungen zugezogen hat“, versuchte Mo so etwas wie eine übliche Vorgehensweise plausibel erscheinen zu lassen. Dabei verfluchte er insgeheim den Namen Diamond, der an ihm so fest zu kleben schien, als entspräche es irgendeinem höheren Schicksalsplan. Er hatte den Ehrgeiz, den Fall alleine zu lösen und dieses Mal nicht auf Diamonds Hilfe angewiesen zu sein. Allerdings ahnte er schon jetzt, dass dies kaum möglich sein würde.

„Gut, akzeptiert, aber Mrs. Kellys aktive Mitarbeit mache ich zur Bedingung! Wenn Sie schon so restriktiv mit der Mitarbeit Ihrer Kollegen umgehen, sehe ich keinen Grund, warum auch sie in New York zurückbleiben sollte. Das wäre ja geradezu lächerlich und käme einer nicht nachvollziehbaren Verweigerungshaltung gleich!“

Natürlich wollte Mary sofort protestieren, aber Mo warf ihr ein paar so scharfe und flehende Blicke zu, dass sie instinktiv verstummte und nach Luft rang. Als hätte Donovan geahnt, was in Wahrheit in ihr vorging, beeilte er sich,. die Türen für jegliche Rückzugsmöglichkeiten sorgfältig zu verschließen, indem er einen Scheckblock aus einer Schreibtischschublade zog, zwei Schecks ausstellte und Mo und Mary jeweils einen überreichte. Als Mary die Summe sah, blieben ihr zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit die Proteste im Hals stecken und sie stieß bloß ein paar überraschte, unartikulierte Laute aus. Der harmlose Frühlingsausflug nach Block Island mündete für sie in einen schwerwiegenden Entscheidungskonflikt, der sie fassungslos nach Worten ringen ließ.

„Nehmen Sie dies als Spesenvorschuss und kleine Anzahlung. Die Höhe der Summe dürfte für Sie ein unmissverständlicher Indikator dafür sein, wie wichtig mir die Aufklärung der Angelegenheit ist. Ich kann mich unmöglich allein auf Interpol sowie die britische Polizei und Küstenwache verlassen. Es wäre zwar möglich, dass sich heimlich der britische Geheimdienst GCHQ eingeschaltet hat, aber in dieser Hinsicht verfüge ich über keinerlei Informationen.

Und nun möchte ich Sie bitten, sich unten in die Gesellschaft meiner Tochter zu begeben, damit ich ein paar Telefonate erledigen kann. Wir reden dann wie gesagt nach dem Dinner weiter. Die Frau unseres Haus- und Grundstückwartes Mrs. Wilson ist eine exzellente Köchin und wird es uns nachher zubereiten. Sie ist eine äußerst nette Person und da sie für uns mehr als nur eine Angestellte ist, wird sie uns beim Essen Gesellschaft leisten.

Aber was machen Sie denn bloß für ein saures Gesicht, Mrs. Kelly? Oder müsste ich vielleicht sogar Miss Kelly sagen und den glücklichen Burschen beneiden, der ihr Herz noch erobern darf? Sie haben Geld und einen wirklich interessanten Auftrag, was wollen Sie denn mehr?

Sie beide werden übrigens meiner Frau Susan auf Aqua City begegnen. Sie arbeitet dort zurzeit als meine rechte Hand und hält mich regelmäßig auf dem Laufenden. Sie wird Sie nach Ihrer Ankunft in den allgemeinen Stand der Dinge einweihen.

So, und nun entschuldigen Sie mich bitte. Obwohl dieses Haus mein Sommer- und Urlaubssitz ist, wartet immer auch etwas Arbeit auf mich!“

Als Donovan sich hierauf abwandte und am Schreibtisch zum Telefonhörer griff, hatte Mary die vorerst letzte Chance verpasst, ihn über ihren wahren Beruf aufzuklären. Sie verließ mit Mo und Una den Raum und überlegte fieberhaft, wie sie die Reise nach England umgehen konnte, ohne dass Mo den Auftrag verlor. Aber ihr fiel nichts ein und selbst am Abend noch, als sie alle gemeinsam im Erdgeschoss an einem schweren, antiken Eichentisch beim Dinner saßen, war es, als bliebe sie die ganze Zeit in eine dichte Wolke von Ratlosigkeit gehüllt…

Mo Morris und die Anti-CO2-Maschine

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