Читать книгу 4 Schnecken und eine Nudel - Benjamin Webster - Страница 2

Kapitel 1 – Traurige Nachrichten

Оглавление

Es war Ende Oktober, die Sonne stand schon sehr tief am Abend. Thomas Bergmann hatte gerade einige Schriftsätze fertig gestellt, als sein Telefon klingelte. Er wollte das Gespräch zuerst nicht mehr annehmen, weil er noch einen Termin außer Haus hatte, nahm aber trotzdem ab. Er meldete sich: „Thomas Bergmann, Investment Abteilung, was kann ich für sie tun?“ Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche Stimme: „Guten Abend, Herr Bergmann, hier spricht Dr. Arnold, aus der Charité in Berlin. Sind sie der Sohn von Herrmann Bergmann?“ Thomas wusste im Moment noch nicht was die Frage sollte, aber antwortete: „Ja, der bin ich. Um was geht es denn?“ Dr. Arnold: „Ich habe ihre Adresse in den Unterlagen ihres Vaters gefunden. Dort stand, dass man sie bei einem Notfall benachrichtigen sollte.“ Thomas: „Was für ein Notfall? Ist meinem Vater etwas zugestoßen?“ Dr. Arnold: „Deshalb rufe ich sie ja an. Ich muss ihnen leider sagen, dass ihr Vater einen Unfall hatte und bei uns auf der Notaufnahme liegt. In seinen Unterlagen stand, dass man sie bei einem Notfall, als nächsten Angehörigen anrufen sollte. Es geht ihm nicht gut, sie sollten schnellstens zu ihm kommen.“ Thomas sah auf die Uhr und sagte: „Ich werde versuchen noch einen Flieger nach Berlin zu bekommen. Ist es sehr schlimm?“ Dr. Arnold: „Sie sollten sich beeilen. Ich weiß nicht, ob ihr Herr Vater die Nacht übersteht.“ Thomas legte auf und ging hinaus zu seiner Sekretärin, Frau Haber. Er beauftragte sie alle Termine für die nächsten drei Tage abzusagen, ein Ticket für den nächsten Flieger nach Berlin zu buchen und dies am Schalter zu hinterlegen. Thomas hatte Glück, er bekam noch ein Ticket für die Spätmaschine. Gegen 22:00 Uhr landete er in Berlin. Er nahm ein Taxi und fuhr direkt in die Charité. Als er auf die Intensivstation kam, sah er schon seine jüngste Schwester Franziska. Sie stand weinend vor dem Kaffeeautomaten. Als sie Thomas sah, lief sie gleich auf ihn zu und fiel in seine Arme. Thomas: „Hallo Franzi, wie geht es ihm?“ Franzi: „Nicht gut, die Ärzte haben die Hoffnung aufgegeben. Er wird die Nacht wahrscheinlich nicht überleben.“ Thomas: „Und wo ist Mutter?“ Jetzt fing Franziska erst richtig an zu weinen. Thomas nahm sie wieder in die Arme und Franzi sagte mit belegter Stimme: „Du weißt es noch gar nicht? Nein, scheinbar nicht. Sie saß mit im Wagen und hat den Unfall nicht überlebt. Sie ist noch am Unfallort verstorben.“ Diese Worte trafen ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Er fragte ungläubig: „Mutter ist tot?“ Franzi: „Ja Thomas, sie ist tot. Ich weiß immer noch nicht, wie und wann es geschehen ist. Wir sollen noch auf der Polizeiwache Spandau vorbeikommen, die wollten mit uns reden. Was ist, wenn Vater auch noch stirbt? Ich habe heute Mittag noch mit beiden gesprochen, bevor sie weggefahren sind. Alles war wie immer. Ich kann es immer noch nicht glauben.“ Ein Weinkrampf überfiel sie und Thomas setzte sie auf die Bank, die im Flur stand. Eine Schwester sah, dass es der jungen Frau nicht gut ging und holte einen Arzt herbei. Der wusste wer sie war und nahm Franzi mit in einen Behandlungsraum. Kurze Zeit später kam er wieder und fragte: „Sind sie ein Verwandter der jungen Frau?“ Thomas antwortete: „Sie ist meine Schwester. Ich bin Thomas Bergmann.“ Der Arzt gab ihm die Hand und meinte: „Angenehm. Ich bin Dr. Arnold, wir haben miteinander telefoniert. Ihrem Vater geht es nicht gut. Der Unfall war sehr heftig und ihr Vater hat zahlreiche innere Verletzungen. Wir haben alles getan was möglich war, aber für uns Ärzten gibt es auch Grenzen. Seien sie auf das Schlimmste gefasst. Ich bringe sie jetzt zu ihm. Wenn sie bitte mitkommen wollen?“ Thomas folgte dem Arzt, zu dem Zimmer seines Vaters. Er musste sich einen Kittel überstreifen und durfte dann zu ihm. Herrmann Bergmann sah sehr blass aus. Ganz anders als sonst. Das strahlende Leben war verschwunden, vor ihm lag ein Sterbender, dass fühlte Thomas. Er setzte sich neben ihn an sein Bett und meinte: „Hallo Vater, was machst du nur für Sachen? Hast du schmerzen?“ Der Vater blickte ihn mit feuchten Augen an und meinte: „Schön dich zu sehen, mein Junge. Gut siehst du aus. Wie geht es dir?“ Thomas antwortete: „Du solltest dir besser um deine Gesundheit sorgen machen, als um meine. Hast du schmerzen? Was haben die Ärzte gesagt?“ Vater Bergmann: „Du kennst doch die Ärzte, reden nur wirres Zeug das kein Mensch versteht. Aber dieses Mal habe ich es verstanden. Mein Junge, mein lieber Junge, ich gebe bald den Löffel ab..“ Weiter kam er nicht, da fiel ihm Thomas ins Wort: „Daran darfst du gar nicht erst denken. Das sind die Medikamente die dich so fertig machen. Du wirst sehen, in ein paar Tagen bist du wieder wohl auf.“ Sein Vater hob die Hand und streckte den Zeigefinger aus und sagte: „Unterbreche mich nicht. Ich weiß sehr wohl wie es um mich steht. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, also verplempere sie nicht mit Phrasen. Ich habe nur eine Bitte an dich. Werde ein besserer Chef als ich und kümmere dich um deine Schwestern. Zeige ihnen den richtigen Weg, ohne sie zu gängeln. Bringe die Firma wieder auf Vordermann. Du hattest damals Recht gehabt, ich hätte auf dich hören sollen. Aber mein verdammter Stolz hat es nicht zugelassen. Bitte verzeihe mir meine Fehler die ich gemacht habe.“ Seine Stimme wurde immer leiser. Dann sagte er zum letzten Mal: „Versprich es mir, bitte.“ Thomas hatte schon Tränen in den Augen und sagte: „Ja Vater, ich verspreche es. Ich hab dich immer geliebt, es gibt nichts, was ich dir verzeihen müsste.“ Ein leises: „Danke mein Junge, aber ich muss nun zu deiner Mutter, ich kann sie doch nicht so lange warten lassen“, war das Letzte was Thomas von ihm hörte. Herrmann Bergmann war soeben verstorben. Sein Gesichtsausdruck war friedlich und hatte ein kleines Lächeln hinterlassen. Thomas verließ nach einer Stunde das Zimmer. Er hatte sich in aller Ruhe von seinem Vater verabschiedet. Als er wieder auf den Flur kam, kamen gerade seine anderen drei Schwestern zur Tür herein. Sie sahen Thomas gleich an was geschehen war. Unendliche Trauer ergriff die vier, nur Franzi fehlte. Sie hatte von Dr. Arnold eine Beruhigungsspritze bekommen und schlief daraufhin fest. So hatten sich die fünf das Wiedersehen, nach über zwei Jahren, nicht vorgestellt.

Zehn Tage später. Die Beerdigung war schon einige Tage her. Thomas Bergmann saß im Arbeitszimmer seines verstorbenen Vaters und telefonierte mit seinem Büro in Frankfurt. Am anderen Ende der Leitung war seine Sekretärin Frau Haber. Thomas: „Hat Dr. Gordon nicht hinterlassen, wann er wieder kommt?“ Frau Haber: „Er hat nur gesagt, dass sie erst alles erledigen sollen, bevor sie wieder zurückkommen. Dr. Gordon bat mich ihnen auszurichten, dass sie bis Ende des Monats frei gestellt sind und das mit vollen Bezügen, praktisch als Sonderzulage für ihre Verdienste in der Bank.“ Thomas: „Das hat er so gesagt, Frau Haber?“ Frau Haber: „Wortwörtlich, Chef. Bitte bringen sie alles zu Hause in Ordnung. Aber ich muss dann wieder an meine Arbeit, Herr Vandenberg wartet auf einen Abschlussbericht und sie wissen ja, wie ungeduldig er ist. Ich bin froh, wenn sie wieder hier sind, Chef. Also, bis dann.“ Thomas konnte sich für das kleine Kompliment nicht einmal mehr bedanken, da hatte seine Perle, so nannte er sie, bereits aufgelegt. Auf sie war Verlass und sie hat immer loyal zu ihm gestanden. Er legte auf und sah zum Fenster hinaus. Der Wind strich durch die Äste der kahlen Bäume, die ringsum das Anwesen standen. Es war merklich kälter geworden und der Wetterbericht brachte wieder Frost mit Glatteisgefahr und Schneeschauer. Genau wie vor knapp zwei Wochen, als seine Eltern den Unfall hatten. Auf einer Brücke war es geschehen. Blitzeis hatte es dort gegeben und der entgegenkommende Fahrer eines Kleintransporters, bemerkte es zu spät. Der Unfall war dadurch unausweichlich und forderte zwei Todesopfer, seine Mutter und seinen Vater. Der Fahrer des Kleintransporters erlitt schwere Verletzungen, hatte aber überlebt. Franzi, seine jüngste Schwester, kam ins Zimmer. Sie erklärte: „Im Sommer ist es hier viel schöner. Es sieht dann nicht so düster und trostlos aus, aber das weißt du ja. Wann kommt der Anwalt?“ Thomas sah auf die Uhr und meinte: „In zwei Stunden, Franzi. Lass uns etwas essen. Sind die anderen schon da?“ Mit „anderen“ meinte er seine restlichen drei Schwestern. Sie nahmen es mit Terminen nicht so genau. Sie waren der Meinung, wenn ich da bin, bin ich eben da, basta. Tommi hasste dies. Er war es gewohnt stets pünktlich zu sein. Es war das A und O seiner Arbeit. Auch war es ein Zeichen von Höflichkeit, Verlässlichkeit und Respekt dem anderen gegenüber, wenn man pünktlich ist. Franzi schüttelte den Kopf und meinte: „Nein, die kommen bestimmt erst kurz vor dem Termin, du kennst sie ja und weißt wie sie sind.“ Tommi: „Franzi, ich weiß nicht wie sie sind, dafür war ich zu lange weg. Ich habe euch ja nur einmal in vier Jahren gesehen. Eigentlich weiß ich überhaupt nichts von meinen Schwestern. Ich habe nicht einmal eine Ahnung, was sie den ganzen Tag über machen, wo sie arbeiten und mit wem sie zusammen sind.“ Franzi: „Mit wem sie zusammen sind, weiß ich ja selbst nicht. Das ändert sich manchmal täglich. Und arbeiten tun meine Schwestern bestimmt nicht, soviel ist sicher.“ Tommi: „Und was machen sie den ganzen lieben langen Tag?“ Franzi: „Sie sind halt beschäftigt.“ Tommi: „Beschäftigt mit was? Franzi: „Halt beschäftigt. Was denkst du, was eine Frau den ganzen Tag alles machen muss, wenn sie abends gut aussehen möchte?“ Tommi überlegte gut und erwiderte: „Duschen, Haare föhnen, anziehen und ein bisschen Make up auftragen. Ach ja, noch ein wenig Parfum sprühen, fertig.“ Franzi lachte laut und meinte: „Mein Bruderherz, du hast absolut keine Ahnung von Frauen. Wenn eine Frau ihr erstes Date hat, bedarf es etwas mehr Aufwand, glaube mir. Das fängt bei den Schuhen an, über Klomotten und Frisör, bis hin zur Kosmetik und dem rasieren. Oh, Mundhygiene hätte ich fast vergessen.“ Tommi hörte ihr interessiert zu und staunte immer mehr, je mehr Franzi aufzählte. Dann fragte er sie: „Wenn das wirklich so ist, warum macht ihr dies alles? Warum brezelt ihr euch so auf und vor allem für wen?“ Franzi schaute ihn entsetzt an und meinte: „Für wen wir das alles tun? Na, für die Herren der Schöpfung, für euch Männer. Welche Frau schaust du genauer an? Die, die aussieht wie Jennifer Lopez oder wie Gundula Meier?“ Tommi: „Wer ist Gundula Meier? Die kenne ich nicht.“ Franzi: „Das ist die graue Maus, die neben Jennifer Lopez steht. Die wird einfach übersehen von euch Männern.“ Tommi: „Es gibt aber noch andere Werte, wie ein gutes Aussehen. Charakter, Treue, Humor oder Loyalität, um nur einige zu nennen.“ Franzi: „Und warum schauen dann die Männer immer zuerst auf die Titten und den Arsch, wenn doch der Charakter und Treue so wichtig sind? Ich kann es dir sagen Bruderherz. Weil ihr Männer immer nur zuerst ans bumsen denkt und nur daran. Wenn ihr eine Frau sieht die in euer Beuteschema paßt, denkt ihr immer nur mit dem Schwanz. Tut mir leid, aber es ist so.“ Tommi: „Du sprichst schon fast so wie deine Schwester Charlotte. Bist du etwa auch eine Feministin geworden? Ist auch egal. Und ihr Frauen, wo schaut ihr zuerst hin, wenn ihr einen Mann sieht? Und komm mir nun ja nicht mit dem Spruch: „In die Augen“. Zuerst auf den Arsch und dann auf das, was er in der Hose hat. Später, welches Auto und wie dick sein Konto ist. Falls das alles paßt, dann erst kommen die Augen dran. Da kann der Typ noch so hässlich sein, das ist dann alles egal, denn Geld und Status machen immer sexy und sind erotisch. Man kann sich ja, wenn man ihn an der Angel hat, immer noch einen jugendlichen Liebhaber suchen.“ Franzi schüttelte mit dem Kopf und meinte: „Ich möchte nicht wissen, welche Dumpfbacken du auf den Leim gegangen bist. Bestimmt blond und vollbusig, aber einen IQ von Dosenbrot. Ich habe schon gesehen, ich muss dich mal mitnehmen, damit du richtige Frauen kennenlernst.“ Tommi: „Danke Franzi, aber meine Frauen suche ich mir noch immer selbst aus.“ Sie liefen nun hinaus zur Küche. Dort war die Hauswirtschafterin gerade dabei das Essen anzurichten. Sie hieß Maria Hall, war 52 Jahre alt und arbeitete bei den Bergmanns schon 25 Jahre. Maria kennt die Kinder von klein auf, hat allen das Fläschchen gegeben und auch manchmal die Windeln gewechselt. Sie kannte all ihre Stärken und Schwächen. Wenn jemand die Familie Bergmann kannte, dann sie. Maria war die gute Seele des Hauses. Bei ihr konnten sie sich ausweinen, wenn sie einmal ein Wehwehchen hatten. Tommi fragte sie: „Maria, was hast du uns denn heute wieder gezaubert?“ Maria: „Heute habe ich nicht gezaubert, sondern gekocht. Es gibt gebratenen Seelachs mit Kartoffelsalat und grünen Salat. Als Nachspeise einen Apfelstrudel.“ Franzi aß nicht so gerne Fisch, weil sie immer Angst hatte, eine Gräte könnte in ihrem Hals stecken bleiben und sie müsste dann ersticken. Maria wusste dies und sprach zu ihr: „Ich hab extra die geholt, die Grätenfrei sind.“ Dies sagte sie ihr jedes Mal, wenn sie Fisch machte und immer glaubte es ihr Franzi. Die Haustür ging auf und Charlotte, genannt Charly, kam herein. Thomas sah wie sie ihre Schuhe auszog und mit den Füßen an die Garderobe schleuderte. Danach warf sie ihre Jacke auf die Ablage und kam in die große Küche. Mit einem: „Hallo zusammen“, betrat sie diese und fragte Maria als Nächstes: „Was gibt es heute zu essen?“ Maria antwortete geduldig: „Gebratenen Seelachs mit Kartoffelsalat und grüner Salat, danach gibt es Apfelstrudel.“ Charly: „Prima. Hoffentlich sind keine Gräten im Fisch.“ Sie spielte auf die Angst vor Gräten von Franzi an, was seine Wirkung nicht verfehlte. Franzi meinte nur: „Es sind keine drin und wenn, bekommst du das Stück mit den Gräten, vielleicht bleiben sie dir dann auch einmal im Hals stecken, du blöde Kuh.“ Maria mischte sich ein: „Hört auf zu streiten, das muss doch nicht sein. Wascht lieber eure Hände, oder wollt ihr mit schmutzigen Fingern essen?“ Franzi: „Ich habe mir sie gerade gewaschen, aber bei Charly weiß man ja nie, wo sie gerade herumgespielt hat. Ich sage nur Sigi.“ Bevor Charly etwas sagen konnte ergriff Thomas das Wort: „Sind wir hier im Kindergarten? Erwachsene junge Frauen benehmen sich wie pubertierende Teenies. Ihr seit Geschwister, habt ein kleines bisschen mehr Respekt voreinander. Und wascht euch endlich die Hände.“ Die Diskussion war beendet. Die beiden gingen ins Bad und wuschen sich ohne weitere Diskussion. Marie sah Tommi an und meinte: „Endlich wieder ein Mann im Haus. Dem Herrgott sei Dank.“ Tommi: „Na, übertreib mal nicht, so schlimm sind die Mädchen doch gar nicht.“ Maria: „Warte es ab, wenn du etwas länger hier bist, werden dir noch die Ohren wehtun, mit dem was die Damen sich gegenseitig an den Kopf werfen. Tommi, ich weiß wovon ich spreche.“ Er fragte nach: „Sind sie wirklich so schlimm?“ Maria: „Jule geht noch, aber die anderen drei haben es faustdick hinter den Ohren. Pass auf, dass du nicht zwischen die Fronten gerätst. Die können ganz schön gemein sein. Das hat auch schon dein Vater zu spüren bekommen.“ Thomas: „Und ich dachte immer, die vier seien Papas Lieblinge gewesen. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie ihn jedes Mal um den Finger gewickelt haben.“ Maria: „Aber wenn dein Vater standhaft blieb, dann waren sie stinksauer. Und da sie dann etwas zum abreagieren brauchten, sind sie schon einmal aufeinander losgegangen. Dein Vater hat sie dann immer in ihre Zimmer gesteckt und gewartet, bis sie wieder normal waren. Du glaubst nicht, wie viele Male hier dicke Luft war.“ Thomas: „Und Mutter, hat sie sich nicht eingemischt?“ Maria: „Gott bewahre. Wenn dein Vater etwas gesagt hatte, war das wie ein Gesetz. Deine Mutter hat ihn meist unterstützt, bei Anwesenheit der Mädchen. Aber wenn sie alleine waren, haben sie oft darüber gestritten, ob das alles nötig oder richtig war.“ Thomas: „Ja, ich kann mich noch vage daran erinnern, wenn ich in den Ferien vom Internat hier war. Ich habe am wenigsten von allem mitbekommen. Meist war ich ja nur zehn oder zwölf Wochen im Jahr hier. Und als ich in Frankfurt studiert habe, war das genauso, wenn ich nicht gerade einen Ferienjob in unserem Werk gemacht habe.“ Maria: „Du hattest es auch nicht leicht, aber aus dir ist etwas geworden und hast aus deinem Leben etwas gemacht.“ Thomas: „Ja Maria, das war aber alles schwere Arbeit. Mir ist nichts geschenkt worden. Lass uns ein anderes Mal darüber reden. So langsam bekomme ich nämlich Hunger. Ich gehe mir nur noch die Hände waschen.“ Wenig später kam auch Cornelia zum essen. Sie mochte ihren Vornamen nicht so sonderlich und hatte es lieber, wenn man sie Nele rief. Die Einzige die noch fehlte, war Julia, genannt Jule. Sie ist noch „Arzt im Praktikum“, am Krankenhaus Süd in Neukölln. Jule hat in der Nähe des Krankenhauses eine kleine Wohnung, damit sie nicht jeden Tag zur Villa Bergmann, nach Potsdam-Süd fahren muss. Dies hat den Vorteil, dass sie schneller an ihrem Arbeitsplatz ist, wenn sie einmal zu einer Sonderschicht muss. Seit einem halben Jahr schreibt sie schon an ihrer Doktorarbeit, aber durch die viele Arbeit wird und wird sie nicht fertig. Ihr großer Traum ist es einmal eine eigene Praxis für Orthopädie zu haben. Nur dafür schuftet sie jeden Tag aufs Neue. Mit ihrem Verdienst von gerade einmal 1800.- Netto im Monat, wird es wohl noch lange ein Traum bleiben. Aber immerhin ist sie die Einzige der vier Geschwister, die eine klare Vorstellung von ihrer Zukunft hatte. Die anderen drei, sind noch unentschlossen, wie sie seit Jahren sagen. Im Klartext heißt das nichts anderes, dass sie auf Vaters Tasche liegen und als Berufsziel Tochter vor Augen haben. Thomas hat von all dem keine Ahnung. Er war der Meinung, dass alle einer Beschäftigung nachgehen. Denn wenn er in der Villa war, ist keine von ihnen anwesend gewesen. So nahm er es an. Aber er würde bald erfahren, wie seine Schwestern sich ihre Zukunft vorstellten. Aber der Reihe nach. Kurz vor 15:00 Uhr kam der Rechtsanwalt des Hauses, Dr. Franz Konrad. Er war der Anwalt von den Bergmanns seit 18 Jahren. Inzwischen ist er auch ein Freund des Hauses geworden. Er war meist bei allen Festlichkeiten eingeladen. Dr. Franz Konrad war der Testamentsvollstrecker. Herrmann und Inge Bergmann hatten bei ihm, wie jedes Jahr, ihr Testament erneuert. Geschäftliche Disharmonien und diverse Kredite veranlassten sie dazu, jedes Jahr ein neues Testament zu verfassen, schließlich sollten ihre Kinder einen genauen Überblick von ihrem Erbe haben. Die Bergmanns wollten klare Verhältnisse. Konrad begrüßte alle und Thomas führte ihn in das Arbeitszimmer seines verstorbenen Vaters. Dr. Konrad setzte sich hinter den Schreibtisch und öffnete seinen Aktenkoffer. Vor dem Schreibtisch standen sechs Stühle, für jedes Familienmitglied einen. Der sechste war für Maria Hall. Als alle anwesend waren, fing Dr. Konrad an dienstlich zu werden und begann mit der Testamentseröffnung: „Ich bin heute amtlich hier, um den letzten Willen von Herrmann und Inge zu vollstrecken. Ich habe hier drei Testamente. Das eine ist von Herrmann Bergmann, im Falle seines Ablebens, das Zweite von Inge Bergmann, für den Fall ihres Ablebens. Das Dritte ist für den Fall, das beide gemeinsam zu Tode kämen. Da dies der Fall ist, kommt dieses Testament zur Vollstreckung. Die anderen beiden Testamente, werde ich im Anschluss vernichten.“ Konrad legte zwei Umschläge zur Seite und öffnete den Dritten. Er räusperte sich und las das Testament vor: „Wir, Inge und Herrmann Bergmann, sind heute hierher gekommen, um unseren letzten Willen zu bekunden. Wenn euch Dr. Konrad diese Zeilen vorliest, ist dies ein unwiderrufliches Zeichen dafür, dass wir beide nicht mehr am Leben sind. Das ist zwar, zumindest von unserer Seite her sehr bedauerlich, aber nicht zu ändern. Ihr fünf wisst genau, dass wir euch sehr geliebt haben und hoffen, dass ihr uns in guter Erinnerung behält. Nun kommt der unappetitliche Teil unseres Testamentes, die Verteilung des Erbes. Wie ihr alle wisst, waren die letzten Jahre kein Zuckerschlecken, die Bergmann Werke zu halten. Uns ist dies nur, mit Hilfe verschiedener Banken und deren Kredite gelungen. Wir waren immer zuversichtlich, diese auch baldigst wieder ablösen zu können. Einzelheiten darüber entnehmt ihr aus der Anlage, die Dr. Konrad angefügt hat. Unser privates Vermögen, geht zu gleichen Teilen an unsere Kinder, Julia, Charlotte, Cornelia, Franziska und Thomas Bergmann. Jedes der Kinder erhält einen Anteil von 20%. Dazu gehört auch die Villa Bergmann und alle beweglichen Güter. Die Bergmann Werke werden auch aufgeteilt, aber mit einem anderen Prozentsatz. Unser Sohn Thomas Bergmann, erhält 50% der Geschäftsanteile und die vier Töchter je 12,5 %. Ihr werdet euch bestimmt fragen, warum das so ist? Hier ist die Erklärung. Während Thomas studierte und sogar ein Jahr im Werk gearbeitet hat, haben sich unsere Töchter, sehr zu unserem Leidwesen, sich den süßen Leben gewidmet. Sie waren nicht in der Lage, sich eine eigene Zukunft aufzubauen. Einfacher gesagt, sie waren einfach nur faul. Eine Ausnahme ist Julia, die sich zum Arztberuf entschlossen hat. Damit sie aber nicht glaubt, sie würde dafür bestraft werden, dass sie Ärztin geworden ist, wird ihr Bruder, bei der Ausstattung einer eigenen Praxis finanziell behilflich sein. Aber nicht grenzenlos, sondern höchstens mit einer Summe von 250.000 Euro. Das ist in etwa die Summe, die die anderen Mädchen für ihre sündhaft teuren Hobbys, in den letzten Jahren bekommen haben. Und als letztes, wollen wir auch Maria Hall, unsere unersetzliche Perle bedenken. Sie erbt das kleine Bootshaus unten am See und das dazugehörige Segelboot. Außerdem erhält sie 50.000 Euro in bar. Ihr habt nun sechs Wochen Zeit um es euch zu überlegen, ob ihr das Erbe annimmt, oder es ausschlägt. Unser Freund Dr. Konrad wird euch beratend zur Seite stehen. Mit der Unterschrift bestätigen wir und Dr. Konrad, dass wir das Testament aus freien Stücken und im Vollbesitz unsere geistigen Kräfte waren. Also, das war es. Wir haben unser Leben gelebt, lebt nun eures. In aller Liebe, eure Eltern.“ Dr. Konrad war fertig. Er holte die Anlage aus seinem Koffer und gab den Kindern je eine beglaubigte Kopie. Maria bekam eine über ihr Erbe. Es war still, keiner sagte etwas. Dr. Konrad fragte: „Wer hat noch Fragen, ich stehe euch gerne zur Verfügung?“ Jule war die erste die Aufstand. Sie gab Konrad die Hand, bedankte und verabschiedete sich von ihm. Sie entschuldigte sich bei allen mit den Worten: „Sorry, ich muss wieder ins Krankenhaus, habe noch bis 20:00 Uhr Dienst. Wir sehen uns morgen, da habe ich frei. Also bis dann, wir telefonieren.“ Sie verließ den Raum. Als nächstes stand Charly auf und meinte: „Ich muss noch zum Tennisclub, ich spiele morgen mit im Turnier. Also, Tschüss.“ Dann erhoben sich Nele und Franzi, sie wollten noch zum Gestüt fahren, um nach ihrem Pferd zu sehen und noch etwas ausreiten. Nun saßen nur noch Thomas, Dr. Konrad. so wie Maria im Zimmer. Thomas las die Anlage durch, die ihm Konrad ausgehändigt hatte. Maria meinte: „Das kann ich nicht annehmen. Das Häuschen gehört doch zu der Bergmann Villa. Und das Geld will ich auch nicht. Ich habe doch jeden Monat mein Gehalt für die Arbeit bekommen. Ich brauche doch nicht viel und zudem habe ich noch Erspartes. Kann ich es hier gleich ablehnen?“ Thomas drehte sich zu ihr und sagte: „Einen Teufel wirst du tun. Du nimmst das Erbe an. Du hast uns Kinder groß gezogen und warst immer für alle da. Und wenn meine Eltern sich auf diese Weise dafür bedanken, dann solltest du das respektieren.“ Dr. Franz Konrad fügte hinzu: „Ich sehe das genauso. Nehmen sie diese Anerkennung der Bergmanns an. Danach können sie mit dem Erbe machen was sie wollen. Sie können das Geld verschenken oder spenden. Machen sie Urlaub oder eine Kreuzfahrt. Die Kinder müssen dann auch einmal ohne sie auskommen.“ Thomas nickte zustimmend und Maria meinte nur: „Wenn ihr meint, dann nehme ich es eben an. Ich muss das Abendessen richten. Isst du mit, Franz?“ Jetzt wurde Franz wieder privat. Er nickte und antwortete: „Sehr gerne, Maria. Ich habe noch einiges mit Tommi zu besprechen, das dauert noch ein wenig.“ Als Maria den Raum verlassen hatte, zog Konrad einen Brief aus der Jackentasche und übergab ihn Tommi: „Der ist gestern Morgen in meine Kanzlei gekommen. Er ist an dich persönlich. Dein Vater hat ihn noch vor seinem Tod an dich geschrieben. Er dachte, er würde dich nicht mehr sehen. Wahrscheinlich hat er den Brief jemand gegeben und der hat ihn vergessen abzuschicken. Wie auch immer, hier ist er.“ Thomas nahm den Brief und legte ihn auf die anderen Unterlagen auf dem Schreibtisch. Dann forderte er Dr. Konrad auf mitzugehen in den blauen Salon. Es war das einzige Zimmer in der Bergmann Villa, indem geraucht werden durfte. Konrad blieb auf dem Weg dorthin stehen und meinte zu ihm: „Ich denke, es wird Zeit das du mich auch duzt. Ich heiße Franz und keine Widerrede.“ Für Thomas kam das doch überraschend, war doch Franz gefühlt doppelt so alt wie er. Er nahm das „Du“ an und sie gingen weiter in den blauen Salon. Sie setzten sich vor den Kamin, den Thomas nun anstellte. Da er mit Gas betrieben war, wurde es rasch warm. Franz zog eine Zigarette aus einem Etui und zündete sie an. Thomas tat es ihm nach und holte zwei Aschenbecher, die auf einen anderen Tisch standen. Franz zog den kleinen Beistelltisch zwischen die beiden Sessel und legte einige Unterlagen darauf. Franz Konrad fing an zu sprechen: „Dein Vater war vor zwei Wochen bei mir und hat mir sein Herz ausgeschüttet. Er wollte unbedingt mit dir sprechen. Hat er dich angerufen?“ Tommi: „Ja, auch zu dieser Zeit. Wir haben einen Termin auf morgen vereinbart. Aber leider kam es ja nicht mehr dazu. Weißt du was er wollte? Am Telefon hat er mir nichts gesagt.“ Franz Konrad zog an seiner Zigarette und antwortete: „Er hatte Probleme im Werk. Finanzielle und Personelle. Er wollte einen Rat von dir. Die finanziellen Probleme kannst du aus dem Anhang entnehmen. Sowohl Firma, als auch Villa Bergmann waren hoch belastet. Schau es dir an, die gesamte Aufstellung steht auf Seite drei.“ Tommi nahm das Schriftstück und blätterte auf die besagte Seite. Er musste zwei Mal hinsehen bevor er begriff was da stand. Private Verbindlichkeiten zweier Hypotheken 780.000 Euro. Verbindlichkeiten der Bergmann Werke gegenüber der Berliner Kredit Bank, insgesamt 2,85 Millionen. Verbindlichkeiten insgesamt 3,63 Millionen Euro, plus Steuern und andere Kosten. Thomas schaute Franz Konrad ungläubig an und fragte: „Ist das wirklich so? Ich meine, Irrtum ausgeschlossen?“ Franz: „Die Zahlen stimmen, ich habe sie mit Steuerberater Udo Arnold verglichen. Tut mir leid, dass ich dir nichts Besseres anbieten kann. Aber ich muss noch dazu sagen, dass die Auftragslage sehr gut ist. Für die Nächsten zwölf Monate sind Aufträge vorhanden. Falls die Bergmann Werke noch die eine oder andere Ausschreibung gewinnt, müsste sogar noch Personal eingestellt werden. Aber darüber solltest du dir am Montag ein eigenes Bild machen. Ich gehe mit dir als neuer Besitzer ins Werk und stelle dir die engsten Mitarbeiter deines Vaters vor. Du warst zwar lange nicht mehr im Werk, aber die meisten dürftest du noch kennen. Dein Vater hat die besten Mitarbeiter immer behalten und gut bezahlt. Sie stehen hinter der Firma, sie sind loyal.“ Thomas überlegte einen Moment und meinte dann: „Das hieße ja, es ist kein Barvermögen mehr da. Und was erben meine Schwestern? Die erwarten doch jetzt bestimmt einen Geldsegen.“ Franz: „Das ist ein Problem, das viel Fingerspitzengefühl verlangt. Du musst es ihnen, so schonend wie möglich beibringen. Aber es kann noch schlimmer kommen. Wie ich von einem Kollegen gehört habe, ist da ein Investor, der hat seine Fühler nach dem Bergmann Werk ausgestreckt. Man munkelt, dass die Bank dem nicht abgeneigt ist, weil sie dabei einen guten Schnitt macht. Was du unbedingt brauchst ist cash. Kommst du nur einmal in Verzug mit den Tilgungen, kündigen sie bestimmt die Kredite und verkaufen euer Haus und das Werk an den Investor. Und wie Banken ticken, brauche ich dir als Banker nicht erklären. Also, lass dir etwas einfallen, oder es gibt kein Erbe mehr, weder für dich, Maria, noch deinen Schwestern.“ Thomas: „Und wenn ich das Werk verkaufen würde?“ Franz: „Ich glaube kaum, dass du dann soviel bekommen würdest, wie es wirklich Wert ist. Du wirst, denke ich, 30% unter Wert verkaufen müssen. Und dann ist ja noch die Villa Bergmann, da stehen, wie du mittlerweile weißt, auch noch Verbindlichkeiten auf.“ Thomas: „Und wenn ich das Erbe nicht antrete, krallt sich die Bank alles und verkauft es meistbietend. Falls das nicht reicht, verhökern sie noch die Villa. Wir stehen dann alle mit nichts da. Und was wird aus den Mitarbeitern? Ich glaube kaum, dass sie alle übernommen werden. Der Käufer wird sich die Filetstücke herausnehmen und dann das Werk schließen. Die Aufträge werden sie dann irgendwo in Fernost ausführen lassen.“ Franz: „Aber nicht die Aufträge vom Militär. Die unterliegen dem Waffenkontrollgesetz, dafür gibt es keine Ausfuhrgenehmigung.“ Thomas: „Und wie viel Prozent sind das?“ Franz: „Das kann ich dir nicht genau sagen. Dies kann dir am Montag der Prokurist, Walter Asmussen zeigen. Aber ich denke, es wird die Hälfte aller Aufträge sein.“ Sie unterhielten sich noch, bis Maria sie zum Abendbrot rief. Franzi war die Einzige die da war. Die anderen drei glänzten durch Abwesenheit. Jule musste noch arbeiten, aber die anderen beiden waren schon wieder am feiern. Franz fragte Maria: „Ist das jeden Abend so, dass die Mädels feiern und nicht zu Hause sind?“ Maria: „Ja, leider. Frau Bergmann hat sich dann immer aufgeregt. Herr Bergmann bekam das nicht so mit, weil er vielmals erst spät abends nach Hause kam.“ Thomas fragte Franzi: „Warum habt ihr keine Jobs, die ihr macht?“ Franzi empfand diese Frage als Beleidigung und meinte schnippisch: „Warum sollen wir arbeiten gehen? Wir haben ja nicht einmal ein fertiges Studium oder eine Ausbildung. Und zudem arbeitet eine Bergmanns Tochter nicht. Was glaubst du, was die Freunde über uns denken würden? Nachher meinen sie noch, wir hätten kein Geld mehr.“ Thomas schaute Franz an, der schüttelte kaum merklich mit dem Kopf, als wenn er sagen wollte: „Jetzt nicht.“ Thomas hakte aber trotzdem unverfänglich nach: „Jule arbeitet doch auch? Ach ja, ich übrigens auch. Was ist daran so verwerflich?“ Franzi: „Wenn es euch Spaß macht. Aber zur Arbeit muss man geboren sein. Wenn ich schon die verschwitzten Jungs sehe, die gerade von der Arbeit kommen und übel nach Schweiß riechen, dann stellen sich bei mir die Haare.“ Tommi: „Und glaubst du, du riechst besser? Jeder Mensch riecht wenn er schwitzt. Aber ich glaube nicht, dass es daran liegt. Ich meine, es ist einfach nur Faulheit, die euch drei beschleicht. Welcher Job würde dir denn Spaß machen, wenn du arbeiten müsstest?“ Franzi überlegte einen Moment und kam zu dem Schluss: „Keiner. Ich muss nicht arbeiten, schon gar nicht nach meiner Erbschaft. Wohnen kann ich umsonst und 12,5 % von den Gewinnen der Bergmann Werke, wird wohl zum Leben reichen. So, und nun entschuldigt ihr mich bitte, ich habe noch ein Date und muss mich richten. Einen schönen Abend wünsche ich noch.“ Sie stand auf und ging. Maria deckte den Tisch ab und ließ die beiden alleine in der Küche zurück. Franz meinte: „Da kommt ein hartes Stück Arbeit auf dich zu, falls du das Erbe annimmst. In deiner Haut möchte ich nicht stecken. Aber falls du Hilfe brauchst, helfe ich dir gerne.“ Die beiden tranken noch einen Kaffee zusammen, bevor sich Dr. Franz Konrad verabschiedete. Sie verabredeten sich auf Montagmorgen, um gemeinsam ins Bergmann Werk zu gehen. Thomas setzte sich noch etwas vor das Fernsehgerät, bevor er sich auf sein Zimmer zurückzog. Im Bett liegend, las er noch einmal das Testament, plus der dreiseitigen Anlage durch. Den Brief von seinem Vater wollte er aber erst morgen lesen. Eine Überraschung für den heutigen Tag hatte ihm gereicht. Er hatte immer noch die Worte von Franzi im Kopf, die da meinte, dass 12,5 % der Bergmann Werke jawohl zum Leben reichen würden. 12,5 % von nichts, ergibt nichts. Er war sich noch nicht im Klaren darüber, was er machen sollte. Das Geld zur Ablösung der Kredite hätte er ja, aber dann wäre er pleite. Sein ganzes Geld, welches er in den letzten vier Jahren verdient hatte, müsste er investieren. Wenn die Sache schief geht, stünde er vor dem Nichts. Und dann hatte er noch einen Vertrag mit der Bank in der er angestellt war. Frühestens Anfang nächsten Jahres, könnte er aus diesem aussteigen. Viele Fragen die sich ihm stellten, aber deren Antworten er noch nicht kannte. Thomas wollte sich alles in Ruhe ansehen, bevor er eine Entscheidung treffen würde. Aber da gab es noch den Faktor Schwestern. Er hatte keine Ahnung was die dazu sagen würden, wenn sie erfahren, dass die Bergmann Werke pleite sind. Sie müssten sich wohl oder übel nach einer anderen Geldquelle umsehen, um sich ihr Luxusleben weiter finanzieren zu können. Franz hatte Recht, als er meinte, dass auf Thomas harte Zeiten zukommen, falls er das Erbe antreten würde. Das Grübeln nutzte nichts. Was er brauchte waren Fakten, die er aber erst am Montag bekäme.

Thomas schlief lange, was bei ihm selten vorkam. Normalerweise stand er in Frankfurt, jeden Morgen um 6:30 Uhr auf. Das klingeln seines Handys weckte ihn. Am anderen Ende war seine Schwester Jule. Gut gelaunt, sagte sie: „Morgen Bruderherz, habe ich dich geweckt?“ Tommi sagte noch halb verschlafen: „Morgen Jule, ich bin gerade erst wach geworden. Was gibt es?“ Jule: „Wegen heute Mittag. Wann soll ich kommen?“ Tommi: „Ich bin den ganzen Tag zu Hause. Du kannst ruhig gleich kommen, dann haben wir Zeit uns einmal in aller Ruhe zu unterhalten. Es gibt einiges zu klären.“ Jule: „Geht klar. Ich bin dann um 11:00 Uhr in der Villa. Also, bis dann.“ Sie legte auf. Nachdem duschen ging er nach unten in die Küche zu Maria, die ihm bereits das Frühstück gerichtet hatte. Als er fertig damit war, setzte sich Maria zu ihm und fragte sorgenvoll: „Es geht der Firma nicht so gut, habe ich Recht?“ Tommi schaute sie an und meinte: „Dir entgeht wohl gar nichts. Aber wie kommst du darauf?“ Maria: „Dein Vater saß vor zwei Wochen abends auch hier und hat genauso bedröppelt geschaut, wie du jetzt. Ich habe ihn gefragt was los sei, dann hat er mir erzählt, dass er Probleme im Werk habe. Es wären längst fällige Zahlungen noch nicht eingegangen, deshalb habe er nun einen finanziellen Engpass. Aber das sei nicht so schlimm. Viel schlimmer seien die Probleme, die er mit der Buchhaltung und dem Vertrieb habe. Bestimmte Zahlen seien manipuliert worden und er weiß nicht von wem. Einer in der Firma, hat wohl regelmäßig in die Kasse gegriffen.“ Tommi: „Deshalb wolltest du das Erbe nicht annehmen, weil die Firma einen finanziellen Engpass hat? Maria, ich versichere dir, dein Erbe ruiniert die Firma nicht, versprochen.“ Sie fuhr mit ihrer Hand über seine Hände und sagte: „Wenn du das sagst, dann wird es wohl stimmen. Du bist ein guter Junge, hat auch dein Vater immer gesagt. Erst letztens, als wir hier saßen. So, ich muss dann einmal wieder weitermachen.“ Sie stand auf und ließ ihn alleine in der Küche. Er zog den Brief seines Vaters aus der Tasche, öffnete ihn und fing an zu lesen. Schon die Schrift verriet ihm, dass er körperlich nicht auf der Höhe war. Sonst hatte sein Vater immer eine schöne, klare Handschrift gehabt. Diese Schrift war aber zitterig und alles andere als klar. Er las: „Mein lieber Junge. Wenn du diese Zeilen liest, habe ich bereits das Zeitliche gesegnet. Gerade war der Arzt bei mir und hat mir erklärt, dass es nicht zum Besten mit mir steht. Er hat mir unmissverständlich gesagt, dass ich die Nacht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht überleben werde. Da du leider nicht hier bist, werde ich dir noch einen letzten Gruß schreiben. In den letzten Jahren haben wir uns ja kaum gesehen. Es ist schade, dass wir unsere Verabredung nächste Woche nicht einhalten können. Ich hätte noch so viel mit dir zu bereden gehabt. Der eigentliche Grund warum ich mit dir sprechen wollte ist die Tatsache, dass es im Werk nicht so läuft, wie ich es jahrelang gewohnt war. Zahlungen kommen später, die Bank benimmt sich merkwürdig und die Produktion erzeugt in den letzten Monaten viel zu viel Ausschuss. Die Zahlen stimmen mit der Buchhaltung nicht überein. Ich habe keine Ahnung, ob dies in einen Zusammenhang steht, oder ob es nur Zufall ist. Da ich nicht mehr in der Lage sein werde, dem allen auf den Grund zu gehen, bitte ich dich hiermit, es mir zuliebe zu tun. Prüfe bitte nach, was dahinter steckt. Sei aber vorsichtig was unsere Hausbank betrifft. Es könnte durchaus sein, dass sie vielleicht etwas mit den verspäteten Zahlungen zu tun hat. Wenn du Hilfe brauchst, wende dich Vertrauensvoll an Dr. Konrad, er wird dir ein guter Freund und Berater sein. Ich hatte stets vollstes Vertrauen zu ihm. Du wirst bestimmt ein besserer Chef sein als ich. Mache die Firma wieder flott und zeige allen, dass du der Richtige für den Job bist. Bitte führe das Erbe nach alter Tradition weiter. Lasse dir von deinen Schwestern nicht auf der Nase herumtanzen. Deine Mutter und ich haben zwar versucht, aber sind kläglich daran gescheitert, sie zum arbeiten oder zum studieren zu bewegen. Jule wird, genau wie du, ihren Weg gehen. Falls sie eine eigene Praxis eröffnen möchte, helfe ihr bitte dabei. Bei den anderen dreien bin ich mir nicht so sicher, ob sie auf deine Ratschläge hören werden, aber versuche es zumindest. Zeige ihnen den richtigen Weg. So, und nun mache ich Schluss. Ich bin sehr müde und merke, dass meine Energie weniger wird und das Leben mich verlässt. Deine Mutter und ich hatten ein schönes und erfülltes Leben. Es gibt keinen Grund zum klagen. Wir hatten alles und waren sehr glücklich. Aber das größte Glück von uns, waren immer unsere Kinder. Einen letzten Gruß sendet dir, dein dich liebender Vater.“ Thomas hatte Tränen in den Augen. Er faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn zurück in die Tasche. Mit einem Papiertaschentuch wischte er seine Augen wieder trocken und schnäuzte sich die Nase. Er stand nun auf und ging hinaus in den riesigen Park des Hauses. Es war ein schönes Anwesen, dessen Grundstück am See endete. Hier stand auch die kleine Hütte, die seine Eltern, Maria vererbt hatten. Es war kalt und der Frost zog durch seine dünne Jacke die er an hatte. Frierend lief er rasch zurück, nahm die Zeitung und ging in den blauen Salon. Dort setzte er sich vor den warmen Kamin, zündete sich eine Zigarette an und las die Zeitung. Das flackern des Feuers tanzte so stark auf der Zeitung, dass er sich fast nicht auf das geschriebene konzentrieren konnte. Der Brief, das Werk, seine Schwestern, alles bewegte sich wirr in seinem Kopf herum. Er hatte absolut keinen Plan, wie er all das alleine stemmen sollte. Alleine die Aufgaben im Werk waren für ihn im Augenblick nicht zu bewältigen. Zwar hatte er Ahnung von der Materie, aber das alleine reichte nicht aus, um ein Werk dieser Größenordnung zu führen. Immerhin ging es um 120 Arbeitsplätze die es hieß zu erhalten. Irgendwie war es gut, dass er nach seinem Masterabschluss, ein Jahr für seinen Vater in der Firma gearbeitet hatte. Thomas kannte die Abläufe und die Strukturen und das war schon einmal ein Vorteil. Auch kannte er das Personal der Führungsebene, so wie einen großen Teil der Belegschaft. Nur mit der Programmierung der Software und der Bestückung der Hardware, hatte er keine Ahnung. Vertrieb und Marketing war das kleinste Problem, so waren seine Überlegungen. Nur was würde sein Chef dazu sagen? Er müsste erst einmal aus seinem Vertrag herauskommen. Vor nächstes Jahr Februar, wäre das nicht möglich. Was geschieht mit der Bergmann Villa? Verkaufen, oder vermieten? Wie reagieren seine Schwestern? Inmitten seinen Gedanken, klopfte ihm seine Schwester Jule auf die Schulter. Er hatte sie nicht kommen hören, weil er völlig in Gedanken versunken war. Thomas schreckte auf und Jule meinte: „Na, hast du ein schlechtes Gewissen?“ Tommi: „Entschuldige, ich war ganz in Gedanken. Schön das du da bist, endlich jemand mit dem ich sprechen kann.“ Julia gab ihm ein Kuss auf die Wange und antwortete: „Hol doch deine Freundin hierher. Wie heißt sie noch einmal?“ Tommi: „Isabell von Graben. Aber dass ist keine gute Idee. Wir haben im Augenblick einige Disharmonien um es milde auszudrücken.“ Jule: „Warum das denn? Hat es etwa mit der Erbschaft zu tun?“ Tommi nickte und erklärte: „Sie hatte für uns eine andere Lebensplanung gemacht. Aber die gefällt mir nicht.“ Jule: „Und wie sollte ihre Lebensplanung mit dir aussehen?“ Tommi: „Sie will unbedingt mit mir nach New York ziehen. Ihr Vater hat ihr den Floh ins Ohr gesetzt. Ich sollte für meine Bank in New York eine Filiale eröffnen. Als wenn es dort noch nicht genug Investment Banken gibt. Warum sollte ich dorthin? Ich habe doch in Frankfurt alles was ich brauche.“ Jule: „Und wie sieht deine Lebensplanung aus?“ Tommi: „Wenn ich das nur wüsste. Einerseits habe ich in Frankfurt einen guten Job, der auch noch sehr gut bezahlt wird. Andererseits, würde es mich schon reizen, unser Erbe anzutreten. Da würde Isabell auf keinen Fall mitmachen. Für sie sind doch die Bergmann Werke nur eine Klitsche. Wenn sie das sagen hätte, würde sie alles verkaufen, oder den Laden dicht machen und Insolvenz anmelden.“ Jule: „Bist du nicht ein bisschen zu streng mit ihr, schließlich bist du mit ihr verlobt?“ Tommi: „Das glaube ich aber nicht. Wenn es nach ihr ginge, müssten wir jeden Abend auf einer anderen Veranstaltung auftauchen. Theater, Oper, Benefizkonzert und was weiß ich noch alles. Ich habe es so satt, das glaubst du nicht. Nur weil sie und ihre Familie zum alten Frankfurter Geldadel gehören, muss ich doch nicht jeden Abend on Tour sein. Ich würde viel lieber zu Hause sitzen und kuscheln oder sonst was tun. Ich habe es den ganzen Tag mit Reichen, Superreichen und Proleten zu tun, da brauche ich das abends nicht auch noch. Ich will schlicht und einfach eine stinknormale Familie gründen, mit ein oder zwei Kindern. Zwei Mal im Jahr in Urlaub fahren und ein kleines Häuschen im grünen haben, sonst nichts.“ Jule: „Und Isabell will keine Kinder?“ Tommi: „Nein, sie möchte sich doch nicht ihre Figur versauen, so ist ihr Hauptargument.“ Jule: „Hat sie einen Job?“ Tommi: „Sie hatte einen. Zwei jahrelang war sie Model und dann war nichts mehr. Sie wurde von einem Tag auf den anderen nicht mehr gebucht. Keine Ahnung warum. Und seitdem macht sie den lieben, langen Tag nichts.“ Jule: „Sei mir nicht böse, aber das sieht nicht so aus, als wenn ihr beide glücklich seit.“ Tommi: „Davon sind wir meilenweit entfernt. Ich trage mich schon seit längeren mit dem Gedanken sie zu verlassen und die Verlobung zu lösen. Aber bitte sage den anderen nichts davon, dass geht sie nichts an.“ Jule: „Selbstverständlich nicht. Das fällt unter die brüderliche Schweigepflicht. Ich habe alles durchgelesen, vor allen den Anhang. Es sieht nicht gut aus mit der Firma. Wir haben über drei Millionen Schulden und die Villa ist auch mit Hypotheken belastet. Gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit aus dem Schlamassel herauszukommen?“ Tommi: „Es wird schwierig, aber es ist machbar.“ Jule: „Und woher willst du das Geld nehmen?“ Tommi: „Geld brauchen wir im Augenblick nur für die laufenden Kosten, wie Löhne, Kreditraten und so weiter. Und so wie die Auftragslage ist, können wir das bis Ende nächsten Jahres tun. Nur wenn die Einnahmen weiter verzögert hereinkommen, dann bekommen wir große Probleme.“ Jule: „Und die Villa, was wird aus ihr?“ Tommi: „Wenn wir unsere Raten pünktlich bezahlen, bleibt alles so wie es ist. Nur wenn wir in Verzug damit kommen, kann die Bank die Kredite kündigen und alles verkaufen. Und wie Franz meinte, soll sich schon ein Investor für unser Werk interessieren. Es könnte gut sein, dass die Bank unseren Kredit weiterverkauft.“ Jule: „Angenommen, die Villa kommt unter den Hammer, was geschieht dann mit unseren Geschwistern?“ Tommi: „Dann müssen sie eben ausziehen und selbst Geld verdienen, so leid mir das auch tut. Und wenn ich ehrlich bin, würde mich das diebisch freuen. Ich mag nun einmal keine faule Menschen, nicht einmal wenn es meine Schwestern sind.“ Jule: „Apropos Schwestern, wo sind die eigentlich?“ Tommi: „Wo sollen sie schon sein? Die liegen noch in der Kiste und erholen sich von ihren nächtlichen Eskapaden.“ Jule: „Das gibst doch nicht. Wenn sie schon nichts arbeiten, könnten sie wenigstens Maria ein wenig im Haushalt zur Hand gehen, dass ist doch das Mindeste. Ich verstehe nicht, wie man so faul sein kann.“ Tommi und Jule unterhielten sich noch bis 13:00 Uhr, dann holte sie Maria zum Mittagessen. Charly, Nele und Franzi kamen erst viel später und mussten sich ihr essen selbst aufwärmen, weil Tommi und Jule mit Maria zum See hinunter gingen. Jule hatte den Schlüssel für das kleine Häuschen aus Vaters Schreibtisch geholt. Als sie an der Hütte ankamen, sagte Jule zu Maria: „So Maria, den ersten Teil deiner Erbschaft überreichen wir dir hiermit. Das ist der Schlüssel für die Hütte und das Bootshaus. Ab jetzt gehört es dir.“ Maria wollte zuerst den Schlüssel nicht nehmen, aber als ihr Jule den Schlüssel einfach in die Hand drückte, nahm sie ihn an. Tommi hatte eine Flasche Sekt und drei Gläser mitgenommen, um darauf anzustoßen. Maria schloss auf und das Erste was sie sagte war: „Hier muss dringend wieder einmal aufgeräumt und saubergemacht werden. Ich gehe schnell hoch und hole einen Eimer und Putzzeug.“ Aber Tommi und Jule bestanden darauf, dass sie sich erst einmal etwas ausruhen sollte. Gemeinsam tranken sie die Flasche aus und gingen danach wieder zurück. Als sie zurückkamen, war Charly schon weg. Sie musste in den Tennisclub, weil sie an einen Turnier teilnahm. Franzi und Nele lagen derweil im Wohnzimmer und sahen sich einen Film an. Als Thomas die beiden auf dem Sofa liegen sah, musste er an den Film „La dolce Vita“ – Das süße Leben, von Federico Fellini denken. Trefflicher geht es wohl nicht. Für ihn war klar, dass sich dies bald ändern musste.

Das Wochenende lag hinter ihm und heute wollte er in das Bergmann Werk gehen. Dr. Franz Konrad holte ihn pünktlich ab und gemeinsam fuhren sie in die Firma. Unterwegs fragte Franz: „Und, wie hast du das Wochenende im Löwenkäfig verbracht?“ Thomas: „Na, ganz so schlimm ist es auch nicht. Ich habe mich am Samstag lange mit Jule unterhalten. Sie hat mir erzählt, dass sie im Krankenhaus viele Sonderschichten arbeiten muss. Ihr Chef Prof. Dr. Kaufmann der auch ihr Tutor ist, lässt sie immer mehr arbeiten, als sie normalweise müsste. So haben sich in der Zwischenzeit über 400 Überstunden angesammelt. Sie musste deswegen schon die Abgabe ihre Doktorarbeit zweimal verschieben. Zudem hat sie noch keinen Urlaub dieses Jahr gehabt.“ Franz überlegte und meinte: „Wenn das so stimmt, muss sie ihre Überstunden so schnell wie möglich nehmen. Soll ich mich einmal fachlich mit dem Professor austauschen?“ Thomas: „Das wäre nicht schlecht, aber nicht das sie danach mit Repressalien rechnen muss, das möchte ich nicht.“ Franz: „Keine Angst, ich weise ihn nur auf Tarif- und Arbeitsrechtliche Bestimmungen hin, mehr nicht. Ist sie eigentlich noch mit diesem blonden Schönling zusammen?“ Thomas: „So wie sie erzählt hat, ist sie schon seit einem Jahr solo. Ich denke ein Freund würde ihr auch ganz gut tun. Ach ja, da fällt mir gerade ein, am Samstag haben Jule und ich, Maria symbolisch den Schlüssel für die Hütte und das Bootshaus am See überreicht. Das Erste was sie sagte war, dass hier wieder einmal aufgeräumt werden sollte. Stell dir vor, sie wollte gleich das Putzzeug aus der Villa holen.“ Franz lachte und meinte: „Das ist typisch für Maria, immer nur die Arbeit im Kopf. Sie sollte einmal Urlaub machen. Hat sie etwas über das Erbe gesagt, ich meine, hat sie alles gelesen? Was ist mit Jule, hat sie alles verstanden, weiß sie wie es mit den Finanzen geschäftlich und privat aussieht? Thomas: „ Sie hat mir ihre Unterstützung zugesagt, falls ich sie brauche. Ich habe von ihr eine unterschriebene Vereinbarung, in der sie mir ihre Stimmanteile überlässt. Ich habe somit die Stimmenmehrheit und kann alleine entscheiden, ohne die Zustimmung meiner anderen drei Schwestern.“ Franz: „Das ist sehr gut, wenigstens eine der Damen, die ihren Verstand benutzt. Hast du dir schon einmal Gedanken gemacht, ob du das Erbe antrittst? Ich meine, so ganz generell?“ Thomas: „Reizen würde es mich schon. Wozu habe ich denn meinen Master gemacht? Es gibt nur noch einige private Dinge, die ich klären muss. Aber ich habe noch einen Vertrag mit meinen jetzigen Arbeitgeber und der läuft erst im Februar nächsten Jahres aus, bzw. bis dahin läuft meine Kündigungsfrist. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich da früher heraus komme.“ Franz: „Gib mir deinen Arbeitsvertrag, vielleicht kann man da etwas machen. Ich schaue ihn mir einmal an.“ Thomas: „Ich möchte aber nicht im Streit auseinandergehen, immerhin habe ich dort die Chance meines Lebens bekommen und habe sehr gut verdient.“ Konrad fuhr nun auf das Firmengelände der Bergmann Werke. Der Pförtner an der Schranke erkannte Dr. Konrad sofort und ließ ihn mit den Worten passieren: „Dicke Luft in der Belegschaft, gehen sie lieber hinten rein.“ Franz fragte nach: „Wie so dicke Luft, was ist passiert?“ Der Pförtner antwortete: „Die Gehälter sind noch nicht überwiesen. Kein Geld, keine Arbeit sagt der Betriebsrat.“ Thomas fragte nach: „Wie so kein Geld, wer hat das angeordnet?“ Der Pförtner beugte sich weiter herunter und sah erst jetzt Thomas Bergmann. Daraufhin sagte er: „Entschuldigung Herr Bergmann, aber ich habe sie erst gar nicht erkannt. Aber wenn sie Näheres wissen wollen, fragen sie Walter Asmussen.“ Franz bedankte sich und fuhr, wie es der Pförtner gesagt hatte, an den hinteren Eingang. Von dort aus konnten sie sehen, wie viele Angestellte vor der Treppe standen, die hoch in die Geschäftsleitung führte. Thomas stand ratlos da und meinte zu Franz: „Warum hat Asmussen die Gehälter nicht ausbezahlt, Geld dafür ist doch auf dem Konto? Das wirft doch die Produktion wieder um Tage zurück.“ Franz: „Fragen wir ihn, bin gespannt was er dazu sagt.“ Sie gingen über die seitliche Treppe ins erste Obergeschoss. Über einen langen Flur gelangten sie in die Führungsetage. Die Tür war offen, sodass sie ungesehen an das ehemalige Büro von Tommis Vater gelangten. Franz öffnete die Tür und sie sahen, dass Asmussen hinter dem Schreibtisch saß. Thomas war doch sehr überrascht das Asmussen sich hier breit gemacht hatte. Er fragte ihn: „Was machen sie im Büro meines Vaters?“ Walter Asmussen hatte die beiden nicht kommen hören und sah erschrocken aus. Nachdem ersten Schreck, meinte er: „Meine Arbeit, was sonst. Wie kommen sie hier herein und wen haben sie da mitgebracht, Herr Dr. Konrad?“ Franz antwortete: „Das ist ihr neuer Chef, Asmussen. Darf ich vorstellen, Thomas Bergmann, der Haupterbe der Bergmann Werke, Walter Asmussen, Prokurist der Firma.“ Asmussen stand nun auf und fragte: „Warum erfahre ich nichts davon, das sie der neue Chef sind? Man möchte ja wissen, wer zuständig ist, und für wen man arbeitet.“ Er streckte Thomas die Hand hin und sagte: „Guten Tag, Herr Bergmann. Auf eine gute Zusammenarbeit.“ Thomas gab ihm auch die Hand und fragte gleich: „Warum ist da unten ein Aufstand der Belegschaft, was ist los?“ Asmussen zuckte mit den Achseln, hob die ausgestreckten Hände hoch und meinte: „Greifen sie einem nackten Mann in die Tasche, oder anders formuliert, wir haben kein Geld mehr auf dem Konto. Unsere letzten Zahlungen sind noch nicht eingegangen und die Bank stellt sich quer, die Gehälter auszubezahlen.“ Thomas fragte weiter: „Ist unser Auftraggeber mit den Zahlungen in Verzug?“ Asmussen: „Ich habe schon angerufen, aber der sagt, er habe die Anweisung schon letzte Woche Montag herausgegeben. Aber unsere Bank sagte, sie konnten keinen Eingang verbuchen. Und da wir noch sehr hohe Verbindlichkeiten bei ihnen haben, sind ihnen die Hände gebunden.“ Franz gab Asmussen die Anweisung, alle Daten herauszusuchen. Er brauchte den Verantwortlichen des Auftraggebers und den Chef von dessen Bank, sowie den Chef der Hausbank von den Bergmann Werken. Asmussen: „Ich gehe in die Buchhaltung und besorge ihnen die Unterlagen. Sie sollten sich vielleicht an die Belegschaft wenden, damit die Stimmung nicht kippt. Auf mich hören sie ja nicht.“ Dabei schaute er Thomas an und verließ den Raum. Franz meinte: „Er hat Recht, du solltest dich der Belegschaft vorstellen, aber nur, wenn du auch wirklich der neue Chef sein möchtest. Jetzt bist du am Zug.“ Thomas begriff sofort was Konrad meinte. Er überlegte einen Augenblick und sagte zu Franz: „Muss ich nicht erst die Erbschaft annehmen?“ Franz: „Das ist eine reine Formalität. Eine Unterschrift und dir gehören die Bergmann Werke und die Villa.“ Konrad öffnete seinen Diplomatenkoffer, holte ein Formular heraus und legte es auf den Schreibtisch. Dann reichte er ihm einen Kugelschreiber und bemerkte: „Wenn ich bitten darf, Chef?“ Er lächelte dabei und Thomas unterschrieb das Formular und sagte: „Wenn ich das nicht noch bereue. Ich muss doch bescheuert sein, 3,6 Millionen in eine Insolvente Firma zu stecken.“ Franz schaute ihn fragend an und meinte: „Wie soll ich das verstehen? Du brauchst doch keinen Cent, die Firma finanziert sich doch von selbst, mit den regelmäßigen Einnahmen.“ Thomas: „Du glaubst doch nicht, dass ich mir von einer Bank etwas diktieren und mich vorführen lasse. Wen ich schon Chef bin, dann der eigene und nicht eine Marionette irgendeiner Bank.“ Franz: „Du willst doch nicht damit sagen, dass du über so viel Geld verfügst, um die Verbindlichkeiten abzulösen?“ Thomas nickte und sagte: „Nicht ganz so viel, aber wenn ich meine Wohnung in Frankfurt verkaufe, dann müsste es gerade reichen.“ Franz schüttelte den Kopf und meinte: „Du bist der Richtige, räum den Laden auf und bring ihn auf Vordermann. Dein Vater hatte Recht indem er sagte, wenn es einer schafft, dann du. An dem Tag als er den Unfall hatte, wollte er abends noch zu mir in die Kanzlei kommen. Er hatte vor dir die Firma zu überschreiben. Dein Vater war am Ende mit seinen Kräften, er wollte nicht mehr. Herrmann hatte es satt, jeden Tag die Spielchen der Bank und die Machenschaften von einigen in der Firma mitzumachen. Aber leider ist es nicht mehr dazu gekommen. Ich gratuliere dir, du bist mehr als nur ein Nachfolger, da bin ich mir sicher. Du musst jetzt vor deine Belegschaft sprechen. Stell dich vor und sage ihnen, dass alles in Ordnung ist. Und danach gehen wir zu deiner Hausbank, bei denen die Firma ihre Konten hat.“ Thomas ließ Franz den Vortritt, als sie vor der Belegschaft standen. Franz bat die Belegschaft um Ruhe, dann stellte er Thomas vor und der ergriff das Wort: „Ja, wie Dr. Konrad schon sagte, bin ich der neue Inhaber der Bergmann Werke. Wir alle haben vor knapp zwei Wochen einen großen Verlust hinnehmen müssen. Sie haben ihren Chef und Chefin verloren und ich meine Eltern. Der Verlust ist für uns alle sehr groß. Aber wie heißt es doch, lasst uns nach vorne sehen. Wie ich gerade von Herrn Asmussen gehört habe, sind ihre Gehälter vom letzten Monat noch nicht überwiesen worden. Ich werde mich sofort darum kümmern. Ich verspreche ihnen hiermit, dass dies nie wieder vorkommen wird. Dr. Konrad und ich klären das gleich ab und morgen haben sie ihren Lohn auf dem Konto. Bitte geben sie mir noch ein paar Tage Zeit, mich an die neue Situation zu gewöhnen. Ich brauche sie, helfen sie mir den Betrieb wieder dahin zubekommen, wo er einstmals war. Helfen sie mir, aus den Bergmann Werken wieder die Nummer eins, mit unserer Technik zu machen. Ich lege mein Vertrauen und meine Hoffnung in ihre Hände. Wenn wir an einem Strang ziehen, schaffen wir das. So, und nun muss ich mich um ihre Löhne kümmern, alles andere muss warten. Ich möchte doch zufriedene Mitarbeiter haben. Ich Danke euch.“ Kurz und knapp war die Rede, der Beifall war länger. Die einhellige Meinung der Belegschaft war, der bringt neuen Schwung in den Laden. Sie sollten sich nicht täuschen. Thomas und Franz gingen nun den regulären Weg über die Treppe nach unten. Asmussen hatte Franz inzwischen die Unterlagen gegeben. Thomas musste unzählige Hände auf den Weg zum Wagen schütteln. Erst als beide im Auto saßen, konnte Thomas wieder einen klaren Gedanken fassen. Franz gab ihm die Unterlagen die Asmussen zusammengestellt hatte. Er las sie auf der Fahrt zur Berliner Kredit Bank durch. Es lag nicht am Auftraggeber, dass das Geld noch nicht auf dem Konto gutgeschrieben war, sondern an der BKB. Sie hatte den Eingang schon am Dienstag gehabt, aber das Geld fast eine Woche nicht gutgeschrieben. Thomas sagte: „Wenn ich das richtig deute, kommt in mir der Verdacht auf, dass die BKB das extra macht. Ich glaube, die wollen tatsächlich die Firma haben. Aber warum verkaufen sie nicht einfach den Kredit weiter?“ Franz: „Ich denke, dass da eine Sperrklausel im Kreditvertrag eingebaut ist, der dies untersagt. Wenn das so ist, dann versuchen sie es eben anders. Du kennst doch die Möglichkeiten die sie haben, du bist ja aus dem Metier.“ Thomas: „Das war auch ein Grund dafür, dass ich mich für die Bergmann Werke entschieden habe. Ich muss aber in den nächsten Tagen nach Frankfurt, um einiges zu klären. Wenn ich zurückkomme, werde ich mit meinen Schwestern Tacheles reden. Das geht so nicht weiter, Faulheit unterstütze ich nicht. Tut mir leid, auch wenn es meine Schwestern sind. Machst du bitte die vertraglichen Angelegenheiten fertig? Ich bin nur froh, dass ich das Vorkaufsrecht habe, es wäre nicht auszudenken, wenn meine Schwestern ihre Anteile an irgendeinen Investor verkauft hätten, nur um Kohle für ihren Lebensstil zu haben.“ Franz: „Das wird ihnen gar nicht gefallen. Ich glaube, die denken immer noch sie bekommen jeden Monat Geld von dir.“ Thomas: „Ich werde es ihnen schon erklären, wie der Hase in Zukunft läuft. Ich gebe dir noch Bescheid, wann ich wieder zurück komme aus Frankfurt, denn ich möchte, dass du dabei bist, wenn ich es ihnen sage. Richte auch dafür alle Unterlagen zusammen.“ Sie waren an der BKB angekommen. Franz ging voran und bat die Dame beim Service, den Geschäftsführer zu verständigen. Wenige Minuten später kam der Filialleiter. Er kannte Franz und Thomas nicht und fragte: „Was kann ich für sie tun?“ Franz: „Ich bin Rechtsanwalt Dr. Konrad und vertrete die Interessen der Bergmann Werke und die von Herrn Thomas Bergmann.“ Dabei deutete er auf Thomas. Der Filialleiter stellte sich nun auch vor: „Ich bin Klaus Gerster, der Chef dieser Filiale. Um was geht es?“ Franz: „Das sollten wir besser in ihrem Büro besprechen.“ Gerster nickte und bat die beiden mit in sein Büro zukommen. Sie nahmen Platz und Franz fing an zu sprechen: „Wie sie unschwer aus diesem Kontoauszug erkennen können, hat ein Auftraggeber meines Mandanten, eine Überweisung auf das Konto getätigt. Normalerweise schreibt der Gesetzgeber vor, muss die Überweisung innerhalb von zwei Tagen auf dem Konto gutgeschrieben sein.“ Franz legte beide Kontoauszüge auf den Tisch und sprach weiter: „Aber wie sie sehen, war bis heute um 11:00 Uhr noch immer nichts gut geschrieben. Ich wollte nur noch darauf hinweisen, dass es sich bei den Guthaben, um 850.000 Euro handelt. Wir wollen nun von ihnen wissen, wo das Geld geblieben ist?“ Gerster sah sich beide Kontoauszüge an und gab die Daten in seinen PC ein. Er wirkte nervös und angespannt. Beiläufig fragte er: „Sie sind der Sohn von den verstorbenen Bergmanns?“ Franz und Thomas nickten. Gerster: „Nachträglich noch mein Beileid, Herr Bergmann. Wir haben ihre Eltern nicht persönlich gekannt, aber man liest ja Zeitung. Schrecklich, wenn man so seine Eltern verliert. Da haben wir es ja. Ihr aktuelles Guthaben beträgt 985.000 Euro. Letzter Zahlungseingang war genau vor einer Stunde.“ Thomas: „Rechnen sie schon einmal die Zinsen aus, die sie meiner Firma schulden. Zins für eine Woche. Und dann rufen sie bitte das aktuelle Kredit Konto auf. Ich hätte gerne eine gesamte Aufstellung.“ Gerster: „Ich werde ihnen alles per Mail schicken. Kann ich sonst noch etwas für sie tun?“ Thomas: „Sie bereiten alles sofort vor, für einen Kontoausgleich meines Kreditkontos und dabei berücksichtigen sie alle …..“ Was nun folgte war nur noch Fachchinesisch. Es ging vor allem darum, dass Thomas nicht bereit war die kompletten Zinsen für die gesamte Laufzeit zu bezahlen. Auch standen noch Gebühren zur Debatte, die von der BKB nicht berechnet werden durften. Als Gerster gar nicht einlenken wollte, drohte Thomas mit einer Anzeige bei der Bankenaufsicht. Das zeigte Wirkung. Gerster stand auf um mit der Hauptfiliale zu telefonieren. Er musste erst mit seinem Big Boss sprechen, um sich zu informieren, was er Nachlass gewähren darf. Das Gespräch ging fast eine halbe Stunde. Da es inzwischen schon nach 12:00 Uhr war, wollte Gerster sie auf den Nachmittag vertrösten, aber Thomas und Franz bestanden auf eine sofortige Lösung. Um 13:30 Uhr verließen beide die BK Bank. Draußen sagte Franz: „Mein lieber Scholli, dich möchte ich auch nicht zum Feind haben. Du hast denen ja mächtig eingeheizt. Aber herzlichen Glückwunsch, du hast soeben die Bergmann Werke mit dem gesamten Familienanwesen gekauft.“ Thomas: „Jetzt bin ich aber auch pleite. Ich muss noch meine Wohnung verkaufen, dann bin ich wieder flüssig. Nun kommt noch die Erbschaftssteuer, plus die 50.000 Euro an Maria. Na ja, wenn nicht pumpe ich dich an.“ Franz lachte und meinte: „Ein- oder zweihundert Euro kann ich dir immer leihen, das ist doch klar.“ Beide lachten. Sie hatten alles mit der Bank geklärt. Jetzt fuhren sie weiter zur Zentral Bank Berlin. Dort eröffneten sie ein neues Konto. Thomas schrieb noch eine E-Mail an die BK Bank, in der er sein bisheriges Konto kündigte. Anschließend schrieb er eine Überweisung von seinem alten Konto, auf sein Neues bei der ZBB. Es mussten nur noch die Kontoverbindungen auf den Briefbögen und in der Buchhaltung geändert werden. Das Kapitel Berliner Kredit Bank war damit beendet. Unterwegs hielten sie noch am berühmten Kurfürstendamm und setzten sich dort in eines der zahlreichen Cafés und ließen noch einmal alles Revue passieren. Sie besprachen noch die nächsten Schritte, die Thomas in der Firma erledigen wollte. Thomas fragte Franz: „Ich könnte ein bisschen professionelle Hilfe gebrauchen, hättest du nicht Lust mir dabei, gegen Honorar versteht sich, zu helfen?“ Franz: „Aber klar doch. Und über das Finanzielle werden wir uns schon einig. Ich muss nur zwei Mal die Woche in meine Kanzlei, um aktuelle Fälle auf dem Laufenden zu halten.“ Thomas: „Wir können uns ja absprechen. Ich werde heute und morgen mit der Belegschaft reden, um mir ein Bild von allem zu machen. Und danach kommt die Geschäftsleitung und Betriebsrat an die Reihe. Die Buchhaltung muss mir die Zahlen aus den letzten vier Jahren heraussuchen, dass ich auch da einen Überblick habe.“ Franz setzte Thomas im Werk ab und fuhr in seine Kanzlei, um den nötigen Papierkram für Thomas zu erledigen, während dieser sich auf den Weg in das Büro seines Vaters machte. Die Einrichtung des Büros war zwar nicht nach seinem Geschmack, aber fürs Erste würde es reichen. Kaum das er saß, kam eine junge Frau und fragte: „Wie hätten sie denn ihren Kaffee?“ Thomas: „Wer sind sie und was machen sie?“ Die junge Frau erwiderte: „Ich heiße Klara Schönfeld und bin ihre Sekretärin.“ Thomas: „Schön Frau Schönfeld, man muss ja wissen mit wem man es zu tun hat. Ich denke, dass ich in Zukunft meinen Kaffee selbst zubereiten werde. Aber gut dass sie hier sind. Ich habe da ein paar Dinge die erledigt werden müssen. Wenn sie sich das bitte notieren möchten?“ Sie verließ das Büro und holte sich einen Notizblock und etwas zu schreiben. Anschließend diktierte ihr Thomas, was Klara Schönfeld erledigen sollte. Als sie wieder den Raum verließ sagte Thomas: „Weiß, mit zwei Stück Zucker.“ Klara verstand und machte umgehend den Kaffee. Als sie den Kaffee brachte, fragte er sie: „Können sie mir einen Arbeitskittel besorgen?“ Klara fragte nach: „Sie meinen einen blauen Kittel, wie sie unsere Arbeiter in der Produktion tragen?“ Thomas: „Genau so einen meine ich. Größe 48 oder so.“ Klara: „Ich werde mich sofort darum kümmern. Ist noch etwas, Herr Bergmann?“ Thomas: „Ja. Ich weiß nicht, wie ich den Herrn Hansen erreiche. Wenn sie so gut wären sich darum zu kümmern?“ Klara: „Selbstverständlich, Herr Bergmann. Soll er gleich zu ihnen kommen oder zu einer bestimmten Uhrzeit?“ Thomas: „Er möchte bitte gleich kommen. Danke Frau Schönfeld, das wäre alles.“ Karl Hansen war der Chauffeur von seinem Vater gewesen. Er kümmerte sich, wenn er nicht fahren musste, um den Fuhrpark der Firma und die PKWs der Familie. Kleinere Reparaturen machte er selbst, den Rest musste die Vertragswerkstatt erledigen. Karl Hansen war bereits 50 Jahre alt und fuhr Herrn oder Frau Bergmann bereits seit 28 Jahren. Er hatte bei seinem Großvater angefangen und war äußerst zuverlässig und absolut verschwiegen. Thomas spielte zuerst mit dem Gedanken ihn zu entlassen, aber Franz hatte ihm davon abgeraten, weil er doch sehr viel unterwegs sein würde. Viele Termine würden weit ab von Flugplätzen liegen, so dass er auf ein Auto angewiesen wäre. Er gehörte, wie Maria, schon zum Inventar der Familie Bergmann. Tommi kannte ihn schon von klein auf. Karl hatte ihn schon oft zur Schule gefahren, oder ihn nach einer durchzechten Nacht abgeholt, wenn er nicht mehr in der Lage war zu fahren. Thomas durchsuchte den Schreibtisch seines Vaters. Es war aber nur Briefpapier und andere Büroutensilien darin, nichts Privates. In den Schränken sah es nicht anders aus. Nur in der Garderobe hingen ein Jackett und ein Mütze von ihm. Er räumte die Garderobe aus und legte die Sachen auf den kleinen Tisch, welcher unter dem Fenster stand. Klara Schönfeld klopfte und trat ein. In ihren Händen hielt sie mehrere Arbeitskittel. Nagelneu und noch verpackt. Sie sagte: „Sie müssen selbst probieren, welcher ihnen paßt. Aber ich denke, dieser hier dürfte genau der Richtige sein.“ Sie streckte ihn Thomas hin und er riss die Schutzhülle auf. Als er ihn entfaltete, sah er gleich, dass er viel zu groß war. Aber aus Spaß zog er ihn an und meinte: „Na, wie mache ich mich als Dressman?“ Klara fing an zu lachen und meinte: „Da müssen sie noch ein paar Schnitzel essen, bis sie da rein gewachsen sind. Nehmen sie den anderen, der wird passen.“ Sie packte ihn aus und Thomas probierte diesen an. Er passte wie angegossen. Klara fragte: „Geben sie mir noch ihre Handynummer? Falls etwas Wichtiges ist, kann ich sie immer erreichen.“ Thomas gab ihr die Nummer, bat sie aber niemanden weiterzugeben, was sie für selbstverständlich hielt. Dann machte er sich auf den Weg zur Produktion. Kaum war er die Treppe nach unten gegangen, kam ihm Karl entgegen. Er begrüßte ihn und fragte: „Hast du gerade Zeit, wenn ja, könntest du mich begleiten und mir alles zeigen. Es hat sich doch einiges verändert, seit ich das letzte Mal hier war.“ Karl antwortete: „Sie sind der Boss. Was möchten sie zuerst sehen?“ Thomas: „Hoppla, sind wir auf einmal per „Sie“? Ich kann mich noch gut daran erinnern, das wir uns geduzt haben.“ Karl: „Ja, das stimmt, aber ich denke, hier in der Firma ist das „Sie“ besser angebracht.“ Thomas: „OK, wenn sie meinen, Herr Hansen.“ Karl ging voran und sagte: „Dann sollten sie sich zuerst die neue Produktionsstraße ansehen. Sie wurde vor einem Jahr neu installiert. Es sind insgesamt acht neue Roboter, welche man auf alle Arten von Platinen einstellen kann. Egal was sie bestücken möchten, einmal programmiert und sie machen alles selbsttätig. Man muss nur noch die entsprechenden Materialien einfüllen und hinten kommt das fertige Modul heraus.“ Karl reichte ihm zwei Ohrstöpsel und meinte: „Die werden sie brauchen.“ Und Karl hatte Recht. Es war schon richtig laut in diesem Teil der Produktion. Die Roboter bewegten sich hin und her, die Arme gingen immer rauf und runter. Es war schon faszinierend dem Treiben zu zusehen. Ein Arbeiter füllte die Roboter auf, ein anderer entnahm die fertigen Module und verpackte sie. Er hatte eine elektronische Strichliste, die er immer wieder auf die Module hielt. So wusste er immer, welches Modul wohin musste. Thomas merkte gleich, dass hier eine Unterhaltung mit den Mitarbeitern nicht möglich war. Sie verließen diesen Teil der Produktion und gingen eine Tür weiter. Sie standen im Versand. Hier wurden die Module verpackt und versandfertig gemacht. Dies betrifft aber nur Massenware, die man in jedem Computerladen auch kaufen könnte. Andere Produkte, die speziell für die Industrie oder das Militär angefertigt wurden, werden per PKW ausgeliefert. So wird sichergestellt, dass die Soft- oder Hardware zum richtigen Empfänger gelangt. Sicherheitssysteme für das Militär hingegen, werden von einer Sicherheitsfirma abgeholt. Dabei wird die Hardware und Software getrennt versandt, um zu gewährleisten, dass keiner etwas damit anfangen kann, solange er nicht über beide Teile verfügte. Die aufwendigste Abteilung ist die Programmierung. Es ist das Herzstück, so wie das Gehirn der Bergmann Werke. Hier entstand alles, was der Kunde wünschte. Hier wird am Computer simuliert und entwickelt. In dieser Abteilung arbeiten über 50 Programmierer. Eine andere Abteilung, überprüft die fertige Hard- oder Software auf eventuelle Fehler. Erst wenn die Produkte dort getestet wurden, gelangten sie zum Kunden. Karl kannte sich gut aus im Werk, weil er öfters den alten Herrn Bergmann im Werk suchen musste, wenn er ihn abholen kam. Dabei hat ihm Bergmann alles Wissenswerte über die jeweilige Abteilung erzählt. Es war nun bereits 17:00 Uhr und die Belegschaft machte sich auf den Weg nach Hause. Thomas holte nur noch seine Sachen aus dem Büro und Karl fuhr ihn in die Bergmann Villa. Am nächsten Morgen, kam Thomas zu seinem ersten Arbeitstag. Punkt 8:00 Uhr ging er in das Büro seines Vaters. Klara Schönfeld war schon da und brachte ihm einen Kaffee und legte ihm die Post hin. Sie fragte: „Was kann ich noch für sie tun, Herr Bergmann?“ Thomas antwortete: „Geben sie mir noch zehn Minuten, ich möchte nur noch die Post durchsehen und in aller Ruhe meinen Kaffee trinken.“ Er nahm einen Schluck Kaffee und fügte hinzu: „Der schmeckt ausgezeichnet.“ Klara: „Danke, Herr Bergmann, das war die Lieblingssorte ihres Vaters. Vielleicht überlegen sie sich das noch einmal, dass sie ihren Kaffee selbst zubereiten.“ Dann schloss sie die Zwischentür zu ihrem Vorzimmer und seinem Büro. Thomas nahm die Post und sah sie durch. Das Telefon klingelte und er nahm den Hörer ab. Klara sagte: „Ein Herr Hoffmann von der BK Bank möchte sie sprechen. Sind sie da?“ Thomas: „Ich bin für die BK Bank überhaupt nicht mehr zu sprechen. Das Kapitel hat sich erledigt. Machen sie das diesem Herrn Hoffmann unmissverständlich klar.“ Thomas überlegte und dachte für sich: „Zuerst einem die Daumenschrauben anlegen und sich an den Werken bereichern und jetzt kriechen sie einem in den Hintern. Einfach nur widerlich, diese Geier.“ Eine viertel Stunde später kam Klara wieder in sein Büro. In der Hand hatte sie einen Notizblock und einen Stift. Thomas bot ihr Platz an und fing an ihr zu diktieren: „Als Erstes brauche ich zwei neue E-Mail Adressen. Die eine ist für mich in der Firma privat und die Zweite geschäftlich. Wenn es geht so kurz wie möglich. Als Nächstes brauche ich ein neues Namensschild an meinem Büro. Einfach nur Thomas Bergmann, dass reicht. Etwas Modernes sollte es sein, kein Messing oder so ein Schnickschnack. Dann brauche ich bis nächsten Montag alle Verkaufs- und Umsatzzahlen der letzten vier Jahre. Weiter möchte ich die Einkaufslisten über alle Halbleiter Produkte der letzten zehn Monate. Auch die Zahlen von unseren Niederlassungen aus Österreich und China.“ Klara: „Auch die Bilanzen?“ Thomas: „Auch die Bilanzen. Weiter stellen sie mir eine Tabelle zusammen, von den wichtigsten Mitarbeitern in den einzelnen Abteilungen. Und als Nächstes möchte ich mit dem Betriebsratsvorsitzenden sprechen. Ach ja, schicken sie doch bitte den Hausmeister noch zu mir, ich möchte etwas mit ihm bereden. Bitte buchen sie mir einen Flug für morgen früh nach Frankfurt, Rückflug am Freitagmorgen. Lassen sie dass Ticket am Schalter hinterlegen. Das wäre alles Frau Schönfeld, danke.“ Klara fragte nach: „Dann sind sie erst wieder ab Freitag zu erreichen? Ich frage nur, falls etwas Wichtiges sein sollte.“ Thomas: „Sie haben ja meine Handynummer, da können sie mich jederzeit erreichen. Freitagmittag bin ich wieder zurück. Danke, das wäre alles für den Moment, Frau Schönfeld.“ Fünf Minuten später klopfte es an seiner Bürotür. Es war der Hausmeister, Jürgen Wuttke. Er war auch zehn Jahre in der Firma. Thomas kannte ihn noch von früher, als er das eine Jahr im Werk gearbeitet hatte. Thomas: „Na Wuttke, altes Haus, alles in Ordnung?“ Wuttke: „Klar doch Chef. Schön das sie den Laden jetzt schmeißen. Was liegt an, Chef?“ Thomas: „Für dich immer noch Thomas. Ich habe einen Anschlag auf dich vor. Komm wir gehen in den alten Konferenzraum, ich zeige dir was ich möchte.“ Sie gingen zum alten Konferenzraum und Thomas öffnete die Tür. Hier standen alte Büromöbel, Werbeplakate und sonstige unnütze Sachen, die eigentlich schon lange auf den Sperrmüll gehörten. Thomas: „Bitte räume mir den ganzen Plunder hier raus. Wirf alles auf den Sperrmüll. Dann alle Tapeten herunterreißen und wenn nötig verspachteln. Auch die Decke muss weg. Schaffst du das bis zum Wochenende?“ Jürgen schaute sich im Raum um und meinte: „Da brauche ich noch jemanden, der mir bei den Möbeln tragen hilft. Aber sonst, sehe ich da kein Problem. Nur muss noch jemand die Tapeten besorgen.“ Thomas: „Das besprechen wir am Freitagmittag, wenn ich wieder hier bin.“ Mit Wuttke war alles besprochen und Thomas ging zurück in sein Büro. Dort wartete bereits der Betriebsratsvorsitzende Hubert Rohwein. Er war 51 Jahre alt und arbeitete schon seit 24 Jahre im Werk. Seit 12 Jahren gehörte er schon dem Betriebsrat an. Er kannte wie kein anderer, die Sorgen und Nöte der Belegschaft. Thomas kannte auch ihn, aber hatte arbeitstechnisch noch nichts mit ihm zu tun. Er gab ihm die Hand, begrüßte ihn und bat ihn in sein Büro. Klara brachte beiden einen Kaffee und ging wieder. Thomas begann das Gespräch: „Herr Rohwein, sie werden in nächster Zeit viel Arbeit wegen mir haben.“ Und Thomas erklärte ihm, was er alles vor hatte. Darunter auch die Angelegenheit des hohen Ausschusses in der Fertigung. Rohwein konnte ihm auch nicht den Grund dafür nennen, versprach aber Augen und Ohren aufzusperren und der Sache auf den Grund zu gehen. Als Thomas ihm noch darum bat, einen Kummerkasten für Beschwerden von der Belegschaft aufzuhängen, hatte er das Gefühl, dass alles seinen richtigen Weg nimmt. Thomas wollte auch, dass er einmal die Woche zu ihm kam, um eventuelle Probleme mit Mitarbeitern zu klären. Ihm lag es sehr am Herzen, dass ein gutes Betriebsklima herrschte. Er verabschiedete sich und Thomas zog seinen Arbeitskittel an und mischte sich unter seine Mitarbeiter. Den ganzen Tag ging er durch das Werk und sprach mit vielen Arbeitern. Dabei ließ er sich die einzelnen Abläufe der Fertigung und des Versandes erklären. Am späten Nachmittag läutete das Handy. Es war seine Verlobte Isabell, die ihn sprechen wollte. Er nahm das Gespräch an und lief dabei aus der Montagehalle ins Freie: „Hallo Isabell, was hast du auf dem Herzen?“ Isabell: „Hallo Tommi, wann kommst du morgen nach Frankfurt?“ Thomas: „Ich muss erst fragen, wann meine Maschine fliegt. Ich gebe dir später Bescheid, versprochen. Sonst alles klar in Frankfurt? Wie geht es deinem Vater?“ Isabell: „Dem geht es wieder besser, es war ja nur eine Erkältung die er hatte. Das Fieber ist jedenfalls weg. Ich denke, dass er morgen wieder in der Bank ist. Du fehlst mir. Ich freue mich schon auf morgen. Soll ich dich vom Flieger abholen?“ Thomas: „Wenn du Zeit hast, sehr gerne. Aber bitte nicht im offenen Cabrio.“ Isabell: „OK, dann komme ich mit Vaters Wagen. Also gebe mir noch Bescheid.“ Thomas legte auf. Ihm war klar, dass dies kein schmerzfreies Wiedersehen gibt. Er musste Isabell beibringen, dass er, ohne es mit ihr abzusprechen, das Erbe angenommen hatte. Damit stand auch fest, dass sein Lebensmittelpunkt nicht mehr Frankfurt, sondern Potsdam ist. Auch ihre Pläne, mit ihm gemeinsam nach New York zu gehen, wären damit geplatzt. Insgeheim wünschte er sich, dass er auf einen Schlag drei Tage älter wäre, damit er alles hinter sich hätte. Auf jeden Fall, wollte er Isabell dazu bewegen, mit ihm eine Woche nach Potsdam zu kommen. Sie sollte ihm doch wenigstens eine Chance geben und alles in aller Ruhe anzusehen. Mehr wollte er doch gar nicht. Auf der Heimfahrt, erklärte er Karl, was dieser machen sollte: „Du kommst bitte mit dem Kleintransporter am Donnerstag nach Frankfurt. Ich muss einige Dinge mitnehmen, die ich in hier dringend brauche. Ich lasse alles von einer Firma auf den Transporter aufladen und du fährst bitte am Freitagmorgen wieder zurück. Ich weiß noch nicht, ob ich mit meinem Wagen zurück fahre, oder ob ich fliege. Ich überlege es mir noch, vielleicht bringt auch ein Freund von mir nächste Woche den Wagen mit, wenn er den Betrieb inspiziert." Karl: „Ich darf auch dicke Brummis fahren, falls du deinen Hausstand gleich mitnehmen möchtest. Musst nur Bescheid sagen. Aber am Wochenende darf ich mit dem nicht fahren, erst wieder Sonntagnacht ab 22:00 Uhr.“ Thomas: „Nein, so eilig habe ich es doch nicht. Nur die paar Sachen vorerst. Ich muss auch noch mit meinem Chef und meiner Verlobten sprechen. Kennst du keinen, der das für mich übernimmt?“ Karl: „Ich glaube, das kann dir keiner abnehmen. Aber wie ich dich kenne, schaffst du das ganz bestimmt. Augen zu und durch, hat dein Vater immer gesagt.“

4 Schnecken und eine Nudel

Подняться наверх