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Kapitel 1 – Der Fall Henriette Berger

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Laut an die Tür klopfend, rief Linda: „Henriette, mach endlich die Tür auf, ich bin es doch, Linda.“ Nichts rührte sich, keine Antwort. Seit fünf Minuten, versuchte Linda ihre Freundin dazu zu bewegen, ihre Haustür zu öffnen. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und rief sie zum wiederholten Male an. Doch es war wieder nur die Mailbox, die sich meldete. Geduldig wartete sie bis der Ansagetext zu Ende war, dann schrie sie laut in ihr Handy: „Verdammt noch mal, geh endlich ran oder öffne die Tür. Ich weiß, dass du da bist. Ich gebe dir noch ein paar Minuten, dann hole ich Willi, der schließt mir auf. Du willst es ja nicht anders.“ Wütend begab sie sich nach unten in die Parterre Wohnung, wo Hausmeister Willi Bongartz residierte. Er war der Mann, dem nichts entging. Willi sah, hörte und wusste alles. Auch nicht, dass sein Arbeitgeber Herr Michael Henning, das Haus an ein potentes Konsortium, aus Frankfurt am Main, verkaufen wollte. Deshalb hing auch seit einiger Zeit der Haussegen in der Görlitzer Strasse 36, schief. Herr Henning versuchte seit geraumer Zeit, seine Mieter mit allen Mitteln loszuwerden. Und dabei waren ihm alle legale, sowie illegale Mittel Recht. Linda klingelte bei Willi. „Rrrrring, rrrrring“, machte es monoton, bis Willi öffnete. Der sah sie wütend an und sagte: „Du schon wieder. Vergeht denn kein Tag an dem du mir nicht auf die Nüsse gehst? Was ist es dieses Mal?“ Linda: „Ich wünsch dir auch einen schönen guten Morgen. Du musst mir sofort bei Henriette aufschließen.“ Willi: „Ich soll was?“ Linda: „Mir die Haustür von Henriette aufschließen. Sie reagiert weder auf mein klingeln, noch auf meine Anrufe. Irgendetwas ist da nicht in Ordnung.“ Willi: „Riecht es bei ihr nach Gas? Dringt Rauch aus der Wohnung? Schreit sie um Hilfe?“ Linda: „Nein, nichts von alledem. Es ist einfach nur still, viel zu still. Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen.“ Willi: „Vielleicht will sie einfach nur ihre Ruhe haben, oder schläft noch. Es gibt also keinen Grund, dass ich in ihre Wohnung eindringe. Henriette kann schließlich tun und lassen was sie will, alt genug ist sie ja.“ Linda: „Und gerade deshalb mache ich mir doch Sorgen. Sie wollte doch, dass ich sie zum Arzt fahre und anschließend zum Rechtsanwalt bringe. Du weißt doch ganz genau, dass sie immer pünktlich ist und nie einen Termin verpasst. Es muss was geschehen sein. Bitte, bitte, bitte lass uns nach oben gehen. Ich verspreche dir dafür, dass ich dich eine Woche lang nicht mehr nerve. Ehrenwort.“ Willi sah sie nachdenklich an und meinte: „Na gut. Aber bevor ich hoch laufe, rufe ich sie erst einmal an. Kann ja sein, dass du mich verarscht.“ Er zog sein Handy aus seiner Hosentasche und wählte Henriettes Nummer, die er, wie von allen Hausbewohnern, gespeichert hatte. Auch dieses Mal war nur die Mailbox dran. Willi ging wortlos zurück in seine Wohnung und holte den Bund mit den Ersatzschlüsseln, den er von allen Wohnungen im Hause hatte. Willi stieg mürrisch die Treppen bis in die zweite Etage hoch. Unterwegs fragte er: „Vielleicht hat sie Hans schon abgeholt. Der ist in letzter Zeit viel bei ihr.“ Linda: „Dann hätte sie mir doch Bescheid gegeben. Hans wollte doch erst gegen 10:00 Uhr kommen, da er noch zum Gericht muss. Irgendeine Zeugenaussage oder so etwas.“ Willi: „Das hat er nun davon. Warum muss er auch immer seine Nase in andere Leute Angelegenheiten stecken, der Herr Privatdetektiv. Wäre er besser bei der Kripo geblieben, da hätte er sein sicheres Einkommen und vor allem seine gute Pension gehabt.“ Linda: „Mein Gott Willi, leg doch einmal eine andere Platte auf. Seit Jahren hören wir nun diesen Spruch von dir. Du weißt doch ganz genau warum Hans, bei den Bullen aufgehört hat.“ Willi: „Ja, ja, weil man seine Frau erschossen hat und er nicht darüber hinweg kam. Die Platte ist aber auch schon uralt.“ Sie erreichten die Wohnungstür von Henriette. Willi läutete und meinte außer Atem: „Wehe, wenn du mich verarscht hast, dann hast du es bei mir bis zum Sankt Nimmerleinstag verschissen.“ Sie lauschten nun beide an Henriettes Haustür. Schweigen. Linda: „Was hab ich dir gesagt?“ Willi läutete erneut und klopfte dabei heftig an die Tür. Dann rief er: „Henriette, ich komme jetzt herein, wenn du nicht gleich öffnest. Hörst du?“ Keine Antwort. Willi suchte inzwischen den richtigen Schlüssel aus dem großen Schlüsselbund heraus und steckte ihn ins Schloss. Zu beider Verwunderung, war die Tür, wie sonst üblich, nicht verschlossen, sondern nur zugezogen. Willi: „Merkwürdig, sonst schließt sie doch immer ab.“ Er öffnete die Tür und rief ganz laut: „Henriette, ich komme jetzt herein, hörst du?“ Langsam lief er in den Flur und klopfte an die Tür der Küche. Keine Antwort. Linda ging das alles zu langsam und öffnete eine Tür nach der anderen und sah nach, ob sich Henriette in eines der vier Zimmer befand. Zum Schluss blieb nur noch das Wohnzimmer übrig. Es war dunkel, weil dort die Rollläden unten waren. Linda tastete sich an die Fenster und stolperte prompt über einen Stuhl, der am Boden lag. Fluchend landete sie unsanft am Boden. Willi sagte nur: „Mach ja kein Licht an. Ich sagte ja Henriette ist nicht…..“ Das Licht ging an und sofort verstummte Willi. Er starrte nur noch an die Decke über dem Wohnzimmertisch. Linda sah es nun auch und fing an zu schreien. An einem kurzen Seil hing Henriette, erhängt. Man sah gleich, dass sie nicht mehr am Leben war. Ihr Gesicht war bläulich verfärbt und die Zunge hing leicht geschwollen heraus. Sie musste seit Stunden Tod gewesen sein. Willi: „Hör endlich auf zu schreien, damit weckst du sie auch nicht wieder auf.“ Er griff nach Henriettes Fuß und stellte fest: „Sie ist ganz kalt. Ich rufe jetzt die Polizei.“ Linda hatte sich wieder gefangen und meinte: „Sollten wir sie nicht abschneiden und mit Wiederbelebung beginnen?“ Willis Antwort war entsprechend: „Linda, da gibt es nichts mehr zum wiederbeleben. So leid mir das für Henriette tut, aber sie hat den Löffel abgegeben.“ Willi wählte die 110 und sagte nur kurz und knapp: „Hier ist Hausmeister Willi Bongartz, aus der Görlitzer Strasse 36. Ich will einen Selbstmord melden. Frau Henriette Berger hat sich im gleichen Haus, in der zweiten Etage in ihrer Wohnung erhängt. Bitte veranlassen sie alles Weitere.“ Linda hatte inzwischen das Wohnzimmer verlassen. Sie konnte den Anblick, der dort hängenden Henriette nicht mehr ertragen. Blass und geschockt setzte sie sich in die Küche auf einen Stuhl. Sie stammelte immer wieder: „Warum hat sie das getan? Warum? Ihr ging es doch gut. Wie ist sie nur auf den Tisch gekommen? Sie konnte doch ohne Rollator, kaum gehen. Das ist kein Selbstmord.“ Willi setzte sich neben sie und fragte: „Was redest du denn da für einen Stuss? Wer um alles in der Welt sollte Henriette denn umgebracht haben? Und vor allem, warum? Nein Linda, das ist Selbstmord.“ Dann stand er auf und ging noch einmal zurück ins Wohnzimmer. Nach einer Weile kam er zurück und hielt ein Zettel in der Hand. Willi: „Lies das, vielleicht glaubst du mir jetzt.“ Sie nahm das Schreiben und las laut vor: „Hallo meine Lieben. Bitte seit mir nicht böse, dass ich diesen letzten endgültigen Schritt vollzogen habe. Ich kann einfach nicht mehr. Jeden Tag aufs Neue diese Mühe und Qual ertrage ich einfach nicht mehr. Und dazu kamen auch noch diese unerträglichen Schmerzen. Ich hoffe, ihr könnt mir irgendwann verzeihen. Eine letzte Bitte habe ich aber noch an euch. Ich möchte nicht, dass mich die Würmer langsam auffressen und wünsche mir eine Feuerbestattung. Ich hoffe, ihr seid nicht allzu traurig. Wir sehen uns auf Wolke 27 wieder. Eure Henriette.“ Willi: „So viel zu deiner Mordtheorie. Der Abschiedsbrief sagt doch alles.“ Linda: „Das hat sie nie und nimmer geschrieben.“ Willi: „Das ist doch ihre Unterschrift.“ Linda: „Der Rest ist auf einem Computer geschrieben worden, aber Henriette hat doch gar keinen Computer, geschweige einen Drucker. Sie kannte sich mit so was überhaupt nicht aus. Schluss jetzt, ich rufe Hans an, der muss sofort kommen. Nicht dass da etwas vertuscht wird. Ich bleibe dabei, es war kein Selbstmord.“ Durch die Schreie die Linda von sich gegeben hatte, wurden auch andere Hausbewohner angelockt. Es läutete an der Tür. Willi: „Das wird die Polizei sein, ich mache auf.“ Linda zog ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Hans. Nach einigem läuten, nahm Hans ab. Linda: „Hans, ich weiß das du bei Gericht bist, aber kannst du dich dort loseisen und zu uns kommen?“ Hans Kramer stutzte und fragte: „Ist etwas passiert, deine Stimme klingt nicht gerade erfreulich.“ Linda: „Es ist etwas mit Henriette, bitte komme sofort.“ Hans: „Was ist mit ihr? Mach es nicht so spannend. Ist sie gestürzt oder was ist mit ihr?“ Linda: „Schlimmer Hans, viel schlimmer. Sie hat sich angeblich, das Leben genommen. Ich denke, sie wurde ermordet.“ Hans verzichtete auf weitere Details und verließ sofort das Gericht. Ihm war es egal, dass er noch keine Zeugenaussage gemacht hatte, im schlimmsten Fall müsste er eben ein Ordnungsgeld bezahlen. Henriette hatte Vorrang. So schnell er konnte machte er sich auf den Weg in die Görlitzer Strasse 36. Willi hatte inzwischen die Haustür geöffnet, weil er dachte, es ist die Polizei. Doch dem war nicht so. Eine Abordnung von vier anderen Hausbewohnern stand vor der Tür. Der älteste, Herr Mielke, meldete sich zuerst zu Wort: „Willi, ist alles in Ordnung? Wir haben gerade Schreie aus Henriettes Wohnung gehört. Geht es ihr gut?“ Willi wollte es den Mitbewohnern so schonend wie möglich beibringen: „Das war nicht Henriette die geschrien hat, sondern Linda.“ Herr Mielke fragte weiter: „Und warum hat sie so geschrien? Haben wir wieder einmal Ratten im Haus? Hat unser lieber Herr Hauswirt wieder ein paar Tierchen ausgesetzt, damit wir schneller das Feld räumen? Nicht mit uns. Da muss er schon mit anderen Kalibern auffahren.“ Willi: „Nein, es war keine Ratte, die Linda gesehen hat.“ Die kam gerade aus der Küche und platzte in das Gespräch: „Hans kommt gleich. Hoffentlich kann er zur Aufklärung von Henriettes Tod etwas beitragen.“ Frau Dobler rief entsetzt: „Was, Henriette ist Tod? Das ist nicht wahr. Henriette, Henriette?“ Sie lief an Willi vorbei und die anderen drei folgten ihr. Willi meinte dann zu Linda: „Jetzt haben wir den Salat. Nicht das uns noch die beiden alten zusammenklappen und den Herzkasper bekommen.“ Man hörte auf einmal nichts mehr. Totenstill war es, im wahrsten Sinne des Wortes. Alle hatten sich um den Wohnzimmertisch versammelt und hielten inne. Alle bekreuzigten sich bis Frau Huber, gefasst sagte: „Wir sollten sie abhängen, das hat sie nicht verdient. Es ist ihrer unwürdig.“ Die anderen stimmten ihr zu, doch Willi und Linda behielten in dieser Situation einen kühlen Kopf. Linda: „Die Polizei müsste jeden Moment da sein, die müssen das machen, schließlich ist das ein Tatort.“ Dann gab sie ihnen ihren Abschiedsbrief zu lesen. Alle waren einer Meinung, dass diese letzten Zeilen, nicht von Henriette geschrieben wurden. Linda schickte alle wieder aus der Wohnung. Gerade noch rechtzeitig, weil die Polizei schon im Anmarsch war. Ein Streifenwagen mit zwei Polizisten klingelte bei Henriette und Willi ließ die Beamten herein. Wie sie an der Haustür von Henriette ankamen, wurden sie bereits von den Hausbewohnern gebührend in Empfang genommen. Frau Meier fragte gleich: „Wo bleibt der Arzt, vielleicht kann er ihr doch noch helfen?“ Willi mischte sich ein und sagte kurz und knapp: „Frau Meier da kann man nicht mehr helfen. Henriette ist schon ganz kalt. Und nun lass die Beamten ihre Arbeit machen.“ Der eine Beamte fragte ihn: „Haben sie bei uns in der Notzentrale angerufen?“ Willi: „Ja, meine Herren, wenn sie mir bitte folgen würden. Frau Berger hängt im Wohnzimmer. Wir haben alles so gelassen, wie wir es vorgefunden haben.“ Der Beamte ging vor und bat Willi draußen zu warten. In der Zwischenzeit, war auch Hans eingetroffen. Er stürmte in den zweiten Stock und fragte gleich Linda: „Was ist geschehen?“ Linda erzählte ihm was passiert war und Hans öffnete mit seinem Schlüssel die Wohnungstür. Er ging hinein und bekam gerade noch mit, wie der Beamte sagte: „… wir gehen von Suizid aus. Es ist auch ein Abschiedsbrief vorhanden.“ Hans Kramer sagte mit fester Stimme: „Guten Tag meine Herren, ich glaube wir kennen uns. Hauptkommissar a.D. Kramer, Morddezernat Berlin Mitte. Bei der Toten handelt es sich um meine Tante. Sie gestatten, das ich einen Blick auf sie werfe?“ Der Beamte antwortete: „Weil sie es sind. Wenn sie sich das unbedingt antun wollen, nur zu.“ Hans stand nun vor der hängenden Henriette. Kein schöner Anblick. Hans blendete alle Gefühle aus und konzentrierte sein Hauptaugenmerk alleine auf die Fakten. Seil zu kurz, oder Henriette war zu klein, so sein erstes Resümee. Dann las er den Brief. Nach einer Weile, meinte Hans zu einem der Beamten: „Rufen sie den Kollegen Wagner von der Mordkommission. Er soll den Gerichtsmediziner und die Spurensicherung gleich mitbringen. Das ist, meiner Meinung nach, ein als Selbstmord getarnter Mord.“ Der Beamte: „Und wenn nicht? Dann habe ich den ganzen Papierkram an der Backe.“ Hans: „Und wenn sie nicht gleich anrufen, dann haben sie mich an der Backe. Und das wird um einiges unangenehmer sein, wie ein paar Formulare auszufüllen. Rufen sie ihn endlich an, oder soll ich das für sie tun?“ Widerwillig rief der Polizist seinen Kollegen Klaus Wagner, bei der Mordkommission an. Nach einem kurzen Gespräch kam er aus der Küche zurück und übergab Hans das Telefon: „Herr Wagner möchte sie sprechen.“ Hans nahm das Telefon und Wagner fing gleich an zu sprechen: „Na, mein Freund, ich wusste gar nicht das du wieder im Dienst bist. Bei welchem Dezernat bist du gleich noch einmal?“ Hans: „Freut mich dich zu hören. Einmal Bulle, immer Bulle. Schick deine Leute, es ist eindeutig Mord. Wenn ich nicht Recht habe, lasse ich für alle ehemaligen Kollegen eine Grillparty springen. Du weißt ja, ich irre mich selten.“ Wagner: „Und du bist da ganz sicher?“ Hans: „Absolut sicher.“ Wagner: „Na schön, ich komme und schau mir den Tatort an, aber versprechen kann ich nichts. Wenn ich den geringsten Zweifel an deiner Theorie habe, dann bin ich wieder weg. Einverstanden?“ Hans: „Ist in Ordnung. Aber egal zu welchem Resultat du kommst, ich will auf jeden Fall eine Obduktion und das so schnell wie möglich. Du weißt ja selbst, dass KO Tropfen nur begrenzte Zeit nachzuweisen sind. Je schneller, desto besser.“ Wagner: „Schon vergessen, du bist nicht mehr mein Chef. Ich bin in 30 Minuten da, dann sehen wir weiter.“ Beide legten auf und Hans gab das Handy dem Beamten zurück. Der Polizist fragte: „Und, kommt der Hauptkommissar?“ Hans: „Ja. Sie sorgen inzwischen dafür, dass keiner mehr die Wohnung betritt. Ich mache noch ein paar Fotos von der Vorfinde-Situation, damit alles dokumentiert ist. Sicher ist sicher.“ Hans zog sein Handy aus der Hosentasche und machte ein paar Aufnahmen. Dann verließ auch er den vermeidlichen Tatort. Erst jetzt wurde ihm wieder klar, dass seine Tante da oben an einem Strick hing. Aber für Gefühle war es der falsche Augenblick. Er ging vor die Wohnungstür und traf dort auf die anderen Mieter der Görlitzer Strasse. Hans fragte Willy Bongartz: „Du und Linda habt sie gefunden, habt ihr irgendetwas im Zimmer verändert?“ Willy: „Ich glaube nicht. Es war ja stockfinster, man hat nichts gesehen, da die Rollläden unten waren.“ Linda fügte hinzu: „Das ist richtig. Aber ich bin in der Dunkelheit, über den Stuhl gestolpert, der umgekippt auf dem Boden lag.“ Hans: „Das heißt, das Henriette den Stuhl, zuerst auf den Tisch gestellt und dann auf den Stuhl gestiegen ist. Das muss doch ganz laut gepoltert haben, wie sie den Stuhl vom Tisch gestoßen hat. Hast du denn nichts mitbekommen, Willy? Schließlich wohnst direkt darunter.“ Willy: „Tut mir leid ich habe Fußball geschaut und irgendwann bin ich eingeschlafen. Sorry.“ Hans: „Schade, sonst könnten wir den genauen Todeszeitpunkt bestimmen.“ Linda: „Gehst du von Mord aus?“ Hans: „Worauf du einen lassen kannst. Alle Anzeichen, deuten daraufhin. Hat denn jemand von euch, einen Fremden im Haus gesehen?“ Diese Frage stellte er den anderen Bewohnern des Hauses, welche noch im Hausflur standen. Die schüttelten nur mit dem Kopf. Keiner von ihnen hatte etwas gesehen oder gehört. Linda fragte Hans: „Kommen jetzt deine ehemaligen Kollegen vom Morddezernat?“ Hans: „Wagner muss gleich da sein. Warten wir ab, was er meint. Ich werde mit ihm ein ernsthaftes Gespräch führen müssen.“ Er nahm einen Notizblock und notierte die Fakten, die seine Mordtheorie stützen sollten. Hans fragte Willy: „Hast du einen Zollstock?“ Willy: „Natürlich, ich hole ihn.“ Kaum das er wieder zurück war, kam auch Kriminalhauptkommissar Klaus Wagner mit seinem Kollegen, Oberkommissar Frank Steiner die Treppe hoch. Hans begrüßte beide mit den Worten: „Ich hätte mir auch ein schöneres Wiedersehen gewünscht, aber ich habe es mir auch nicht ausgesucht.“ Er gab ihnen die Hand und Wagner meinte: „Dann wollen wir mal. Hast du was angefasst oder verändert?“ Hans: „Es ist alles noch so, wie wir es vorgefunden haben.“ Hans ging voran und schloss die Haustür auf. Wagner: „Du hast einen Schlüssel für die Wohnung?“ Hans antwortete gereizt: „Na klar, schließlich habe ich hier ein Zimmer. Ich wohne seit drei Jahren hier. Wohnen ist zu viel gesagt. Meist war ich nur am Wochenende hier und hab Tantchen im Haushalt geholfen und meine Wäsche gewaschen.“ Wagner: „Dann musst du auch erkennungsdienstlich behandelt werden, um deine Fingerabdrücke auszuschließen.“ Hans: „Spar dir deinen Sarkasmus. Komm lieber ins Wohnzimmer und schau dir den Tatort an.“ Hans ging vor und zeigte auf seine tote Tante. Er zog den Zollstock aus seiner Hosentasche und maß den Abstand zwischen Tante Henriettes Füßen und dem Tisch. Dann zeigte er auf den Zollstock und stellte fest: „Der Abstand beträgt 75 Zentimeter. Und der Stuhl ist nur 52 Zentimeter hoch. Was sagt uns das?“ Hans reichte ihm den Zollstock. Wagner machte ein Foto von dem am Boden liegenden Stuhl, dann hob er ihn auf und stellte ihn auf den Tisch, direkt unter Tante Henriettes Füße. Wagner maß den Abstand zwischen Stuhl und Füßen, dann sagte er: „Über zwanzig Zentimeter fehlen zu einem festen Stand.“ Steiner machte ein Foto davon und meinte: „Chef, ich glaube, Hans hat Recht. Wie es scheint, ist es ein arrangierter Selbstmord.“ Wagner: „Ich rufe die SpuSi und den Gerichtsmediziner an. Wer hat deine Tante gefunden?“ Und Hans erklärte den beiden Ex Arbeitskollegen, wie Henriette aufgefunden wurde. Er übergab ihm dann den Abschiedsbrief. Wagner las ihn durch und meinte: „Und du sagtest, deine Tante hat keinen PC, Drucker oder Schreibmaschine?“ Hans: „So etwas hat sie noch nie besessen. Der Brief ist getürkt.“ Steiner: „Das ist alles schön und gut, aber warum sollte jemand die alte Dame töten? Was für ein Motiv hätte er gehabt?“ Hans: „Wenn ich das wüsste, wären wir dem Täter schon auf der Spur. Eins ist sicher, freiwillig ist sie nicht auf den Tisch, geschweige den Stuhl gestiegen. Ich denke, sie wurde vorher außer Gefecht gesetzt und dann erhängt. So wie sie aussieht, muss sie noch gelebt haben, als sie aufgehängt wurde.“ Wagner stieg auf den Tisch und sah sich die offenen Augen und die Wangen der Toten an. Nach prüfendem Blick, meinte er: „Sie hat Blutungen auf der Netzhaut und an den Wangen, dass heißt sie wurde stranguliert. Deine Tante hat auf jeden Fall noch gelebt, als sie erhängt wurde. Auch ihre blauen Lippen sprechen dafür.“ Er sprang vom Tisch und zog sein Handy aus der Tasche und meinte zu Hans: „Egal was wir bei unseren Ermittlungen herausfinden, du machst nichts auf eigene Faust und hältst die Füße still.“ Hans: „Wenn ihr eure Arbeit gründlich und korrekt macht, ist das kein Problem für mich. Sollte ich aber das Gefühl haben, ihr verbockt es, dann kann ich für nichts garantieren. Ich bin schließlich Ex Bulle und jetzt privater Ermittler.“ Wagner: „Soll das eine Drohung sein?“ Hans: „Nein, nur Fakt. Ich will den Mörder meiner Tante. Sie hat niemanden etwas getan und hat einen solchen Tod nicht verdient. Darum bin ich ja einmal Bulle geworden.“ Steiner: „Keiner hat dich gezwungen aus deinem Job auszusteigen.“ Hans sah ihn scharf an und erwiderte: „Hättet ihr damals besser auf meine Frau aufgepasst, dann würde sie heute noch leben.“ Wagner: „Hört auf, alle beide. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir sollten uns jetzt besser der Gegenwart widmen, als in der Vergangenheit zu wühlen.“ Hans: „Ausnahmsweise einmal ein vernünftiger Satz von dir. An mir soll es nicht liegen.“ Insgeheim dachte Hans nicht im Geringsten daran, die Ermittlungen seinen Ex Kollegen, alleine zu überlassen. Wagner: „Du musst noch aufs Präsidium kommen und dich erkennungsdienstlich behandeln lassen.“ Hans: „Ihr habt doch meine Fingerabdrücke, was soll der Scheiß?“ Wagner: „Du kennst die Vorschriften. Bring bitte gleich diesen Hausmeister und die Frau mit, die deine Tante gefunden haben. Fehlt denn irgendetwas? Wurde etwas gestohlen?“ Hans: „So viel ich sehe, ist noch alles da. Bis auf den Hausschlüssel, vermisse ich nichts. Wenn ihr mit der SpuSi fertig seid, werde ich genauer nachsehen.“ Steiner: „Dann können wir Raubmord schon einmal ausschließen.“ Hans verließ die Wohnung, auf dem Weg nach unten kam ihm Linda entgegen. Die fragte: „Und, gibt es was Neues?“ Hans: „Bisher nicht. Die SpuSi muss erst alles sichern und auswerten. Und dann müssen wir die Obduktion abwarten. Du und Willi, sollt Morgen ins Präsidium kommen, um eure Aussagen zu machen. Wenn ihr wollt, nehme ich euch gegen 10:00 Uhr mit.“ Linda: „Geht klar. Und wann darfst du wieder in die Wohnung?“ Hans: „Zwei Tage wird es wohl dauern.“ Linda: „Wenn du möchtest, kannst du solange bei mir bleiben.“ Hans: „Danke Linda, aber ich schlafe so lange im Büro.“ Linda: „Du kannst ruhig bei mir schlafen, ich lasse dich auch in Ruhe, obwohl mir das sehr schwer fällt.“ Hans schmunzelte, wusste er doch, dass Linda einer Liaison oder Verhältnis nicht abgeneigt wäre. Hans antwortete: „Ich will dich nicht in Versuchung bringen. Und deshalb ist es wohl besser für uns beide, dass ich im Büro schlafe.“ Linda trat ganz dicht an Hans heran und fragte: „Was gefällt dir an mir nicht? Habe ich zu wenig in der Bluse, oder ist mein Arsch zu klein? Kann es sein, dass ich hässlich bin? Ah, ich bin dir wahrscheinlich zu alt.“ Bevor sie weitere Details aufzählen konnte, meinte Hans: „Süße, die Diskussion hatten wir doch schon einmal. Du bist eine wunderbare Frau, sehr hübsch und sexy. Ich könnte mir keine bessere Frau an meiner Seite vorstellen, aber wie ich dir schon damals sagte, habe ich den Tod von meiner Frau noch nicht überwunden. Und du bist nun einmal keine Frau für eine Nacht.“ Linda: „Hans, das hast du mir schon beim letzten Mal gesagt. Irgendwann muss man auch loslassen können. Ich glaube, deine verstorbene Frau würde es genauso sehen.“ Hans: „Wenn ich darüber hinweg bin, wirst du es als Erste erfahren, versprochen.“ Linda: „Wer nicht will, der hat schon. Du weißt ja gar nicht, was dir alles entgeht. Stunden der Wollust und Triebe, gepaart mit Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Und von den entgangenen Höhepunkten, möchte ich erst gar nicht sprechen.“ Hans: „Ich hole dich morgen früh um 10:00 Uhr ab. Also, bis dann.“

Der Tod von Henriette Berger, machte im Viertel, in Windeseile die Runde. Willi Bongartz sorgte dafür, dass jeder der es hören wollte, von der grausamen Tat erfuhr. Hans fuhr an diesem Tag noch einmal in sein Büro und wickelte die letzten beide Aufträge noch ab, bevor er neue Aufträge auf unbestimmte Zeit verschob. Den Kunden war das zwar nicht Recht, aber verschoben war allemal besser, als abgesagt. Seine Kunden waren mit seiner Arbeit äußerst zufrieden. Sie schätzten seine Diskretion und seine Erfolgsquote, die immerhin bei 96% lag. Manche Fälle konnte auch er nicht lösen. Aber in den meisten Fällen, stellte er seine Auftraggeber zufrieden. Die Bandbreite seiner Kunden, war zum größten Teil in der Industrie angesiedelt. Wirtschaftsspionage, Patentverletzungen und Datendiebstahl standen an oberste Stelle. Ab und zu kam es auch vor, dass er vermisste Personen suchte. Zumeist kamen diese Aufträge von Banken, die verzweifelt nach eventuellen Erben, für die Bankeinlagen ihres Kunden suchten. Aufträge von der Abteilung „Mord und Totschlag“, lehnte er grundsätzlich ab. Das hing auch mit seinem letzten spektakulären Fall zusammen, bei dem seine Frau im eigenen Haus ermordet wurde. Der Täter konnte bis heute nicht ermittelt werden. Hans kündigte damals seinen Job bei der Kripo Berlin Mitte und verkaufte anschließend sein Haus. Ein halbes Jahr später, machte er sich als Privatermittler selbstständig. Und er hat es bis heute nicht bereut. Im Gegenteil, Hans war froh darüber. Ständig hatte er es mit Leichen und Verbrechern der übelsten Art zu tun. Stets war der Tod präsent. Die Bilder der Toten verfolgten ihn sogar nachts bis in seine Träume. Oft wachte er schweißgebadet auf, weil er wieder einmal einen Albtraum hatte. Hans packte noch die Schmutzwäsche in eine Tasche, bevor er sein Büro verließ. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr Richtung Innenstadt zu einer kleinen Pension. Dort quartierte er Kunden von sich ein, die über Nacht in Berlin bleiben mussten. Die Pension Krause war billig, sauber und sehr diskret. Der Besitzer stellte nie unnötige Fragen und der Service war gut. Hans buchte ein Zimmer für zwei Nächte. Herr Krause gab ihm sein bestes Zimmer, das sehr ruhig war. Es hatte ein großes Fenster zum Hinterhof, der wie ein kleiner Park aussah. Nachdem er sein Gepäck verstaut hatte, machte sich Hans noch etwas frisch und fuhr zurück in die Görlitzer Strasse 36. Er wollte alle Hausbewohner befragen, vielleicht hatte ja doch jemand etwas gesehen oder gehört. Aber dem war nicht so. Keiner der Anwohner hatte etwas bemerkt. Außer das am Wochenanfang der Schornsteinfeger da war und die Kamine reinigte. Und am gleichen Tag, wurden auch noch die Heizungen abgelesen und mit neuen Röhrchen bestückt. Sonst war nichts geschehen, was zur Aufklärung des Todes Tante Henriette beigetragen hätte. Seine Befragung endete bei Linda Hofmann. Die 32 jährige war gerade von der Arbeit zurückgekehrt. Sie arbeitete abwechselnd in verschiedene Supermärkte als Auffüllkraft. Sie musste dabei die Regale mit den verkauften Waren wieder befüllen, so dass immer genügend Artikel im Regal standen. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Supermarkt, als leere Regale. Der Kunde würde dann mit Sicherheit bei der Konkurrenz einkaufen. Er läutete bei ihr und Linda öffnete. Linda: „Komm rein. Ich dachte, du schläfst im Büro?“ Hans: „Ich habe alle Nachbarn befragt, ob sie was gesehen oder gehört haben. Aber das hätte ich mir sparen können. Es muss aber jemand bei Henriette gewesen sein. Sie muss ihn hereingelassen haben.“ Linda: „Henriette musste ihn kennen, einem Fremden hätte sie nie und nimmer aufgemacht.“ Hans: „Das sehe ich genauso. Aber kannst du dir einen unserer Nachbarn als Mörder vorstellen?“ Linda: „Mit Sicherheit nicht. Der Einzige der körperlich dazu in der Lage wäre, ist unser Tratschweib, Willy. Ich habe immer noch das Bild im Kopf, wie sie da hing. Warum sie? Was hat sie getan, das man sie umbringt?“ Hans: „Ich weiß es doch auch nicht. Mir fällt kein Motiv ein.“ Linda ging in die Küche, holte zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank und stellte sie zusammen mit einem Öffner auf den Tisch. Hans öffnete die Flaschen und beide nahmen einen Schluck. Hans: „Und der Witz ist, nichts fehlt, außer dem Schlüsselbund.“ Linda: „Vielleicht hat sie ihn verloren und der Mörder hat ihn gefunden?“ Hans: „Dann hätte sie dir oder mir Bescheid gesagt. Du weißt doch, dass Henriette immer den Schlüssel sofort ins Schloss steckte, wenn sie nach Hause kam.“ Linda: „War ja nur so ein Gedanke. Warum hat er ihn mitgenommen?“ Hans: „Ich glaube, damit der Mörder die untere Haustür unbemerkt aufschließen konnte. Willy schließt ja immer um 22:00 Uhr die Haustür ab. Wir müssen das Ergebnis der Gerichtsmedizin abwarten. Bevor wir nicht den etwaigen Todeszeitpunkt haben, können wir nur spekulieren.“ Linda: „Du musst noch einmal nachsehen, ob wirklich nichts gestohlen wurde. Vielleicht hatte sie Bargeld unter der Matratze versteckt.“ Hans: „Bei der Rente? Sie hatte gerade genug um über die Runden zu kommen. Ich habe ihr jeden Monat 250.- Euro Miete für das Zimmer gegeben, sonst hätte sie die Wohnung schon längst aufgeben müssen.“ Linda: „Und was wird jetzt aus der Wohnung?“ Hans: „Wie so? Ich behalte sie, schließlich stehe ich mit im Mietvertrag.“ Linda: „Das wird dem Henning gar nicht schmecken. Aber seit wann stehst du mit im Mietvertrag?“ Hans: „Seit ich hier eingezogen bin. Henriette bestand darauf, weil sie keine Scherereien mit dem Amt und mit dem Vermieter, Michael Henning haben wollte. Du kennst sie ja, pardon, kanntest sie ja.“ Linda: „Und was ist wenn der Henning dahinter steckt?“ Hans: „Ach was, man bringt doch niemand um, nur um einen lästigen Mieter loszuwerden. Und zudem stehe ich auch im Mietvertrag. Nein, ihr Tod ist bestimmt eine Verwechslung oder ein Versehen.“ Linda: „Weißt du was, wir gehen jetzt ins „Scharfe Eck“, zu Jupp. Ein bisschen Abwechslung tut uns ganz gut.“ Hans: „Aber morgen früh um 11:00 Uhr müssen wir spätestens auf dem Polizeipräsidium sein. Du musst mittags auch wieder arbeiten.“ Linda zog sich schnell um und zu Fuß liefen sie die paar Meter zum „Scharfen Eck“. Die Kneipe war gut besucht. Linda und Hans setzten sich an den Stammtisch, wo auch, wen wundert es, auch Willy Bongartz saß. Er hatte schon einiges intus, was er aber geschickt mit lockeren Sprüchen und flachen Witzen überspielte. Kaum das Linda und Hans saßen, wurde es merklich ruhiger. Alle schauten die beiden gespannt an, in der Hoffnung, dass sie die neusten Infos von Henriettes Tod erfahren würden. Hans merkte das und setzte den Erwartungen gleich ein Ende. Er sagte: „Keine Fragen zu Henriettes Tod. Willy hat bestimmt schon alles erzählt. Wir sind hier um in Ruhe ein Bier, oder zwei, zu trinken.“ Enttäuschung machte sich breit. Wohl oder übel mussten sie sich der Entscheidung der beiden beugen. Der Rentner Otto Häusler, ergriff das Wort: „So langsam aber sicher, werden es immer weniger hier auf dem Kiez. Erst vor zwei Monaten, ist der Erwin Linde in der Spree ertrunken. Dabei saß er doch im Rollstuhl. Die Bullen haben gesagt, er war besoffen und ist dann zu dicht am Ufer entlang gefahren. Tragischer Unfall.“ Herr Koslowski fuhr fort: „Und was war mit Herbert Kimmig? Der ist aus unerklärlichen Umständen von der Straße abgekommen, hat sich mehrfach überschlagen. Ist noch an der Unfallstelle verblutet. Und beide wohnten in der Görlitzer Strasse.“ Hans wurde hellhörig, aber tat so, als wenn es nur ein Zufall gewesen ist. Hans: „Unfälle gibt es jeden Tag. Und wenn man älter ist, kommen auch noch körperliche Defizite. Da kommt es schnell einmal zu einem tödlichen Unfall. Meist ist ein Schwächeanfälle, Herzinfarkte oder Zuckerschocks, die Auslöser von diesen Unfällen.“ Frau Wiener, meinte aber: „Und wenn jemand Topfit ist? Wie erklärst du dir dann, das eine gesunde Frau, plötzlich Herzprobleme bekommt?“ Linda: „Vielleicht hat sie früher schon gesundheitliche Probleme gehabt, die nur nicht erkannt wurden.“ Der Rentner, Herr Lang fügte hinzu: „Frau Wiener meint bestimmt, Frau Matuschek. Ich habe sie gut gekannt und die war mit Sicherheit kerngesund. Mysteriöser erscheint mir der Unfalltod von meinem Freund, Justus Memminger. Der ist angeblich beim hinabsteigen der Kellertreppe gestürzt und hat sich das Genick gebrochen. Fakt ist, das in diesem Viertel viele ältere Menschen, ganz plötzlich zu Tode gekommen sind. Sei es durch unerklärliche Unfälle, oder durch plötzliche Erkrankungen. Da muss man sich schon fragen dürfen, ob da System dahinter steckt. Zumal die meisten davon in Wohnungen von Herrn Henning gewohnt haben. Man munkelt schon, dass so Wohnungen entmietet werden.“ Hans machte dieser Satz nachdenklich. Er wollte aber nicht das die Gerüchteküche weiter brodelt und sagte: „Lasst uns doch sachlich bleiben. Die Polizei ist doch nicht blöde. Wenn da etwas faul gewesen wäre, hätten die es bestimmt herausgefunden. Die machen einen guten Job und bekommen dafür wenig Geld. Was haltet ihr von dem neuen Mietgesetz? Mietpreisbremse nennt sich das, glaubt ihr, das das funktioniert?“ Nun kam Feuer unter dem Kessel. Jeder hatte seine eigene Meinung, genau das, was Hans wollte. Weg von den Mordtheorien, hin zur faktischen Diskussion. Die Themen wechselten sich nun ab. Nach der Miete, kam die Rente dran, dann die Flüchtlinge und zum Schluss Hartz IV. Kein gutes Haar wurde an der Regierung gelassen, jeder bekam sein Fett ab. Gegen 22:30 Uhr verabschiedeten sich Linda und Hans von dem Stammtisch und machten sich auf den Heimweg. Unterwegs, meinte Linda: „Schon komisch, das so viele alte Menschen plötzlich versterben, die in Wohnungen von Michael Henning wohnen, besser gesagt wohnten.“ Hans antwortete: „In anderen Wohnungen in Berlin wird auch gestorben. Und wenn man über 70 ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man den Löffel abgibt wesentlich höher, wie wenn man 30 ist. Du kennst doch die Leute hier, da wird schon einmal aus der Mücke ein Elefant gemacht.“ Linda: „Du hast ja Recht, aber an jedem Gerücht, ist ein Funken Wahrheit.“ Hans: „Du glaubst doch nicht, dass Henning durchs Viertel geht und alte Menschen killt. Das sind alles Hirngespinste von senilen alten Rentnern, die nichts anderes zu tun haben. Ich halte das alles, für Stammtischgeschwätz.“ Linda: „Mein Angebot gilt immer noch, du darfst gerne bei mir übernachten. Du brauchst jetzt nicht extra mit dem Taxi ins Büro fahren.“ Hans: „Du kennst meinen Standpunkt. Sei mir bitte nicht böse, aber ich muss noch einmal ins Büro, weil ich für morgen früh noch ein paar Unterlagen brauche. Schlaf gut.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und schob sie durch die Tür der Görlitzer Strasse 36. Dann lief er zum nächsten Taxistand, der nur einige Meter um die Ecke lag.

Am nächsten Morgen, war Hans unterwegs zu Linda. Sie musste noch ihre Aussage zu Protokoll geben. Er hatte in dieser Nacht nicht viel geschlafen. Zu viele Gedanken schwirrten in seinem Kopf herum. Dinge wie Unfälle und mysteriöse Todesfälle bei einigen Bewohnern der Görlitzer Strasse, machten ihm Kopfzerbrechen. Wenn da wirklich etwas dran wäre, hieße es nichts anderes, dass der Vermieter Henning einige Menschenleben auf dem Gewissen hätte. Und der Tod von Henriette bekäme ein Gesicht. Aber Hans war Profi genug, dass er diese Gedanken gleich wieder beiseiteschob. Er wollte erst einmal das Ergebnis der Obduktion abwarten. Er holte Linda ab und fuhr zum Polizeipräsidium Berlin Mitte. In der zweiten Etage lag das Büro von KHK Klaus Wagner. Hans klopfte an und betrat mit Linda das Büro. Dieses Büro war noch vor Jahren sein Arbeitsplatz. Er war der Chef der damaligen Mordkommission und Wagner wurde sein Nachfolger. Wagner stand auf und begrüßte die beiden: „Guten Morgen, Frau Brinkmann, Hans.“ Linda: „Ich heiße Hoffmann, Linda Hoffmann.“ Wagner: „Pardon, Frau Hoffmann. Wenn sie bitte zu meinem Kollegen Herrn Oberkommissar Steiner nach nebenan gehen würden. Der nimmt ihre Aussage auf. Übrigens der Hausmeister war bereits hier.“ Linda verließ das Büro und Hans nahm als Besucher an seinem alten Schreibtisch Platz. Hans: „Wie ich denke, ist an meiner Vermutung wohl was dran, sonst hättest du Linda nicht weggeschickt. Also, ich höre.“ Wagner zog eine Aktenmappe von einem Stapel und schlug ihn auf. Dann sagte er: „Das Obduktionsergebnis ist da. Deine Tante ist tatsächlich erstickt.“ Hans: „Das weiß ich selbst, das hat man gesehen. Wir beide haben schon genug erdrosselte, erstickte, erwürgte und Suizide gesehen. Ich will wissen, ob sie vorher betäubt wurde.“ Wagner reichte ihm das Obduktionsergebnis rüber und Hans fing gleich an zu lesen. Wie er die erste Seite gelesen hatte, meinte er: „Hab ich es nicht gesagt? GBH Gamma – Hydroxybuttersäure. Die schreiben hier was von einer Lungendepression, heißt das, sie ist daran erstickt?“ Wagner: „Der Pathologe meint, sie hat eine dreifach höhere Dosis im Blut gehabt. Sie muss also nach wenigen Minuten ohnmächtig geworden sein und ist an Lungenversagen erstickt. Das aufhängen hätte sich der Täter sparen können. Es sollte damit, lediglich ein Suizid vorgetäuscht werden.“ Hans las weiter und erfuhr so, wie es ihr verabreicht wurde: „Das GBH wurde mit aller Wahrscheinlichkeit mit Einnahme von Rotwein verabreicht.“ Wagner: „Wir haben aber kein gebrauchtes Weinglas gefunden. Trank deine Tante überhaupt Rotwein?“ Hans: „Ja. Sie trank jeden Abend vor dem zu Bett gehen ein Achtele. Schlummertrunk nannte sie das. Der Todeszeitpunkt war zwischen 22:00 Uhr und 22:30 Uhr. Das heißt, dass der oder die Mörder noch sehr spät bei ihr waren. Deshalb fehlten auch die Hausschlüssel. Sie mussten wissen, dass Willy jeden Abend um 22:00 Uhr die Haustür abschließt. So konnten sie unbemerkt das Haus verlassen. Kann sein, dass er oder sie, erst ein oder zwei Stunden später gegangen sind. Sie mussten Henriette erst noch aufhängen und das Glas abspülen. Vielleicht haben sie dann auch alle Spuren noch beseitigt. Und, was machst du jetzt?“ Wagner: „Wir haben bereits die Ermittlungen aufgenommen. Aber bisher noch nichts Neues in Erfahrung bringen können. Was uns brennend interessiert, ist das Mordmotiv. Hast du da eine Idee? Ich weiß, ich habe dich das schon einmal gefragt, aber vielleicht ist dir inzwischen etwas eingefallen. Hatte sie Feinde?“ Hans: „Mir fällt beim Besten willen niemand ein. Sie war eine friedliebende, alte Dame, die im ganzen Haus beliebt war. Der einzige Mensch mit dem sie Ärger hatte, war Michael Henning. Der wollte sie unbedingt aus der Wohnung haben. Mich hat er überhaupt nicht kontaktiert.“ Wagner: „Und warum sollte er das?“ Hans: „Weil ich auch im Mietvertrag stehe.“ Wagner: „Deswegen bringt man keinen um. In Deutschland werden jeden Tag Wohnungen entmietet. Wenn jeder Vermieter seinen Mieter deshalb umbringen würde, hätten wir jeden Tag ein paar Hundert Opfer.“ Hans: „Das habe ich ja auch gesagt. Die anderen Hausbewohner hatten diesen Verdacht auch schon geäußert. Ich kann überlegen wie ich will, aber ich finde einfach kein Tatmotiv. Vielleicht war es ein Versehen und jemand ganz anderes sollte umgebracht werden.“ Wagner: „Das glaube ich nicht. Denke an das Testament. Weil deine Tante keinen PC hatte, muss es woanders geschrieben und ausgedruckt worden sein.“ Hans: „Kaminfeger und Heizungsableser, waren die einzigen Fremden im Haus. Hake da einmal nach, vielleicht haben die etwas bemerkt.“ Wagner: „Oh, hat der Herr Ex Bulle schon Ermittlungen angestellt? Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich da raushalten. Du bist nicht mehr in unserem Verein. Also, lass die Finger davon.“ Hans: „Diese Info habe ich zufällig gestern Abend am Stammtisch gehört. Die Leute machen sich eben ihre Gedanken, vergönnen kann man es ihnen nicht.“ Wagner: „Und was hast du noch an deinem Stammtisch gehört? Habt ihr noch ein paar andere Verdächtige gefunden?“ Hans stand auf und zog einen Zettel aus der Hosentasche. Diesen übergab er ihm. Wagner: „Und was soll ich damit?“ Hans: „Das sind zwei Unfallopfer, die auch in der Görlitzer Strasse gewohnt haben. Kann sein das es da einen Zusammenhang gibt. Bitte such mir doch freundlicherweise die Akten heraus. Ich möchte nur ganz sicher gehen, dass es keine parallelen zu Henriettes Tod gibt. Der eine hatte einen Unfall im Rollstuhl und ist in der Spree ertrunken. Und der andere hatte einen Verkehrsunfall mit anschließender Fahrerflucht. Wäre schön wenn du einmal reinschaust. Wie gesagt, nur um alles auszuschließen. Wann kann ich wieder in die Wohnung?“ Wagner: „Morgen gebe ich sie wieder frei. Solange bleibst du aber draußen, verstanden?“ Hans: „Klar doch, wie der Hauptkommissar befiehlt.“ Wagner: „Das will ich auch schwer hoffen. Und, wie geht es dir so? Ich meine, vor allem beruflich. Ist das nicht eintönig, betrügenden Ehemännern und Schwarzarbeitern hinterher zu schnüffeln?“ Hans erklärte ihm, dass er nur für die Industrie oder Banken arbeite. Wagner: „Rentiert sich das denn überhaupt? Ich meine finanziell?“ Hans: „Ich will nicht prahlen, sonst wirfst du deinen Job auch hin. Und wenn ich etwas nicht gebrauchen kann, dann ist das Konkurrenz. Man kann auf jedenfall gut davon leben. Bitte überprüfe noch einmal die beiden Unfälle. Ich hoffe, Steiner ist mit Linda fertig, ich habe nämlich noch Termine.“ Wagner: „Ach ja, die sterblichen Überreste deiner Tante, werden morgen oder übermorgen frei gegeben, so dass du sie Anfang nächster Woche beerdigen kannst. Es tut mir Leid, dass ich im Moment nicht mehr für dich tun kann. Wir werden alles Menschenmögliche tun, um den Mörder zu finden.“ Hans verabschiedete sich von Wagner und bat ihm zum Schluss, dass er ihn doch bitte telefonisch von den neuesten Ergebnissen unterrichten sollte. Klaus Wagner saß am Schreibtisch und telefonierte mit dem Archiv: „Mein Gott, das kann doch nicht so schwer sein, zwei Unfälle herauszusuchen.“ Von der anderen Seite sagte ihm eine sympathische Frauenstimme: „Herr Hauptkommissar, ist es auch nicht, wenn sie mir Namen, Aktenzeichen oder Datum des Unfalls nennen. Unter welchen Namen soll ich nun suchen?“ Wagner verzweifelte fast, hatte er der guten Frau schon mehrfach die Namen genannt: „Erwin Linde, soll mit dem Rollstuhl verunglückt und ertrunken sein. Und der andere Fall ist Herbert Kimmig. Verkehrsunfall mit Fahrerflucht.“ Die nette Dame: „Ich sagte ihnen bereits, dass hier im Archiv keine Akten unter diesen Namen abgelegt sind. Versuchen sie es doch einmal beim Verkehrsdienst. Vielleicht haben die ja noch die Akten, weil sie noch nicht abgelegt sind. Tut mir leid, mehr kann ich nicht für sie tun.“ Aufgelegt. Wagner blieb nichts anderes übrig, bei den Kollegen nachzufragen. Und tatsächlich, sie hatten immer noch die Akten. Wagner ging zum Verkehrsdienst und fragte bei dem Wachhabenden Polizisten nach den Akten. Der Wachhabende, POM Lieblich: „So, da sind die beiden Fälle. Sie liegen immer noch hier, weil die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Die Kollegen sind scheinbar auf Ungereimtheiten getroffen, deshalb sind die Akten noch nicht im Archiv. Der Oberstaatsanwalt Herr Klausen, sieht aber keinen weiteren Handlungsbedarf. Im Fall Kimmig wird zwar noch nach dem flüchtigen Fahrer wegen Fahrerflucht ermittelt, das wars dann aber auch. Der Unfall mit dem besoffenen Rollstuhlfahrer ist inzwischen erledigt. Der hatte über zwei Promille und hat dadurch die Kontrolle über den Rollstuhl verloren. Deshalb ist er in die Spree gefallen und ertrunken. Ex und hopp.“ Wagner: „Geben sie mir trotzdem eine Kopie der Akten. Kann sein, dass die beiden Unfälle mit einem anderen Fall zu tun haben. Ich möchte nur alle Eventualitäten ausschließen.“ Wagner machte sich Kopien und las sich in seinem Büro alles durch. Sein Kollege Steiner fragte: „Seid wann machst du die Arbeit von den Streifenhörnchen? Hast wohl nichts zu tun, oder warum beschäftigst du dich mit Verkehrsunfällen?“ Wagner: „Hans hat mir die Namen der beiden Toten gegeben. Und wie du weißt, hatte er immer ein gutes Näschen, was mit Mord und Totschlag zusammenhing.“ Steiner: „Das war damals, aber er arbeitet nicht mehr bei uns. Der mächtige Schatten von Hans Kramer schwebt wohl immer noch über deinem Haupt. Du bist jetzt der Leiter der Mordkommission und nicht mehr er.“ Wagner: „Schön das du mich dran erinnerst. Hast du nichts zu tun? Wie weit seid ihr mit den Befragungen der Nachbarn im Fall Henriette Berger? Gibt es Neuigkeiten von der KTU?“ Steiner: „Wir sind dabei. Aber wie Hans bereits erklärte, waren nur zwei Fremde in dieser Woche im Haus, der Schornsteinfeger und der Heizungsableser. Mit beiden haben wir morgen früh einen Termin. Von den Nachbarn hat keiner was gehört noch gesehen. Es sieht nicht gut aus. Wenn uns nicht Kollege Zufall hilft, fürchte ich, dass wir den Mörder nicht finden werden.“ Wagner: „Was ist mit Henning, dem Hausbesitzer? Hat der ein Alibi? Überprüft alles von ihm. Finanzieller Hintergrund, Familienverhältnisse. Hatte er zu Frau Berger Kontakt etc.“ Steiner: „Wenn du meinst, dann überprüfen wir ihn.“ Wagner: „Und ob ich das meine. Und bitte gründlich, nicht das Hans irgendwann kommt und zaubert uns den Mörder aus dem Hut.“ Steiner: „Hans hinten, Hans vorne. Man könnte gerade meinen, du hast Angst vor ihm.“ Wagner: „An die Arbeit, noch einmal sage ich das nicht.“ Steiner verließ wortlos sein Büro und Wagner widmete sich wieder dem Studium der Akten. Wie er damit fertig war, griff er zum Hörer und rief die KTU an. Er fragte nach, ob der Rollstuhl von Herrn Linde und der Wagen von Herrn Kimmig noch da waren. Der Leiter der KTU Herrmann Boll, sagte: „Ist beides noch da. Warum fragst du?“ Dann erklärte er ihm, dass er den Wagen auf fremde Lackspuren und den Rollstuhl auf eventuelle Manipulationen untersuchen sollte. Wagner wollte damit beweisen, dass Fremdeinwirkung nicht vorliegt. Zuerst hielt er alles nur für Hirngespinste von Hans und seinem Stammtisch, aber wie er die Adressen der beiden ansah, bekam er doch Zweifel. Alle Opfer wohnten tatsächlich in Wohnungen von Henning. Es musste schon ein großer Zufall sein, dass drei Opfer die in ein und derselben Strasse und beim gleichen Hausbesitzer wohnten. An solche Zufälle glaubte er nicht. Wie es schien, hatte Hans wieder einmal den richtigen Riecher. Wagner schrieb die drei Namen auf die große Wand und schrieb darunter, was er aus den Akten erfahren hatte. Als er damit fertig war, sah er sich noch einmal alles an und schrieb in Klammer darüber (Serienmord) und drei Fragezeichen dahinter. Eine Stunde später kam Steiner wieder zurück in sein Büro. Misstrauisch sah er sich, die mit Zettel bespikte Wand an. Sein Kommentar: „Das ist nicht dein Ernst. Bist du völlig durchgeknallt?“ Wagner: „Einen anderen Ton, bitte. Das ist eine Hypothese, beruhend auf Indizien und Vermutungen. Wir müssen erst die Ergebnisse der KTU abwarten. Sollte sich mein Verdacht bestätigen, dann haben wir es tatsächlich mit einem Serienmörder zu tun.“ Steiner: „Hat dir Hans diesen Floh ins Ohr gesetzt? Klar, wer denn sonst, von allein wärst du nie auf solch einen Schwachsinn gekommen.“ Man spürte förmlich die Antipathie die Steiner gegenüber Hans hegte. Wagner: „Wenn du nicht Augenblicklich mit deinen Beleidigungen aufhörst, gibt es eine Abmahnung. Vielleicht solltest du einmal darüber nachdenken, ob ein Wechsel auf ein anderes Kommissariat nicht sinnvoller für uns alle wäre. Deine ewigen Nörgeleien hält ja keiner mehr aus. Entweder reißt du dich zusammen oder ich werde Konsequenzen ziehen müssen. Ich hoffe, du hast das verstanden. Und mein lieber Freund, ganz nebenbei gesagt, solltest du morgens noch einmal mit einer Alkoholfahne ankommen, werde ich dich sofort vom Dienst suspendieren. Das ist alles. Und nun mache deinen verdammten Job.“ Eine klare Ansage. Steiner kochte innerlich vor Wut. Er drehte sich um und verließ das Büro mit einer laut knallenden Tür. Wagner meinte nur lakonisch: „Die ist zu.“ Er sah Steiner an diesem Tag nicht mehr. Am anderen Morgen, teilte Wagner die Kollegen neu ein. Er hatte keine Lust darauf mit Steiner zu ermitteln. Ihn teilte er, einen Kommissar-Anwärter zu, der gerade frisch von der Polizeischule kam. Der war, wie man so schön sagt, jung, dynamisch und hatte immer die entsprechenden Paragraphen zur Hand. Rechtlich ohne Fehl und Tadel, ein typischer Streber eben. Steiner verzog keine Miene und sagte nur zu dem jungen Kollegen: „Na, auf was warten sie denn, Strobel. Jetzt können sie, von einem alten Hasen, etwas lernen.“ Der junge Strobel antwortete: „Ich freue mich schon darauf, Herr Kriminaloberkommissar.“ Alle im Raum mussten grinsen. Mit Strobel den Dienst machen war alles andere als erfreulich, aber genau die Richtige disziplinarische Maßnahme, um Steiner wieder herunter zu holen. Wagner musste mit Oberkommissarin Martina Weber vorlieb nehmen. Sie war der Typ Frau, der man als Mann nichts abschlagen konnte, wenn sie erst einmal ihren sanften Ton auflegte. Wagner sagte zu ihr: „Sie sind genau die Richtige. Ich brauche weibliche Unterstützung.“ Sie wusste nicht was Wagner damit meinte, doch der drückte ihr die drei Akten in die Hand und meinte trocken: „Durchlesen, Wand anschauen und dann melden.“ Das Telefon klingelte, er nahm ab und verzog gleich das Gesicht: „Dir auch einen guten Morgen. Danke, mir geht es auch gut. Was kann ich für dich tun?“ Es war Hans Kramer. Der stellte nur eine Frage: „Gibt es etwas Neues?“ Wagner: „Bisher sind wir noch beim befragen der Nachbarschaft. Ich habe dir doch gesagt, wenn es etwas Neues gibt, rufe ich dich an. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich habe alle Hände voll zu tun. Tschüss.“ Hans ahnte da schon, dass ihm Wagner was verheimlichte. Das war auch ein Grund mit dafür, dass Hans beschloss selbst Ermittlungen anzustellen. Doch dazu musste er erst noch einmal zum Stammtisch gehen. Er wollte so mehr erfahren, über die Gerüchte von den unheimlichen Todesfällen. Hans wusste genau, dass er mehr von den Stammtischbrüdern erfahren würde, als seine Ex Kollegen von Dezernat. Erstens, kannte man sich und zweitens, würde Alkohol die Zunge ungemein lösen. Wagner hatte in der Zwischenzeit einen Termin beim Hausbesitzer Michael Henning vereinbart. Zuerst sollte Steiner in befragen, aber Wagner hielt es für sinnvoller, es selbst zu tun. Er wollte behutsam abklopfen, was Henning mit den Häusern in der Görlitzer Strasse vorhatte. Die Entmietung mit solchen Ausmaß ließ nur einen Schluss zu, dass er die Häuser entweder auf breiter Front modernisiert und Luxuswohnungen entstehen, oder schlicht und einfach, an einen Investor verkaufen. Nicht einmal Hausmeister Bongartz wusste genaueres und das sollte was heißen. War er es doch der immer genau wusste, was im Viertel geschah. Martina kam nun zurück und meinte: „Chef, ich habe mir alles angesehen und die drei Fallakten gelesen. Angenommen sie haben Recht, müssen sie das erst einmal beweisen können.“ Wagner: „Und wie machen wir das?“ Martina: „In dem wir ermitteln und Beweise sammeln. Wenn sie aber nicht Recht haben, kann sie das ihren Job kosten. Steiner wartet nur darauf, auf ihren Stuhl zu sitzen. Er ist ja schon kräftig am sägen.“ Wagner: „Deshalb müssen wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, um den Mord aufzudecken. Das sind wir unseren Beruf und den Opfern schuldig.“ Martina: „Und auch Hans. Schade, dass er uns verlassen hat, er war ein guter Polizist und netter Kollege.“ Wagner: „Ich weiß, aber leider ist das seine Entscheidung und die hat er, ganz alleine für sich getroffen. Ich habe mich nicht um den Job als Leiter dieser Abteilung gerissen. Er wurde mir, mehr oder minder aufgenötigt. So, genug gequatscht. Auf geht’s in die Höhle des Löwen. Wollen wir doch einmal sehen, was der feine Herr Henning so alles aus den Viertel machen möchte und vor allem wollen wir was wissen?“ Martina: „Ob er ein Alibi hat?“ Wagner: „Wie scharfsinnig sie sind. Sie sollten zur Polizei gehen.“

Hans hatte die Freigabe der Wohnung erhalten. Alle Untersuchungen der Spurensicherung waren abgeschlossen. Die Untersuchungen liefen noch auf vollen Touren. Hans holte seine restlichen Klamotten aus seinem Büro ab und warf gleich die Waschmaschine an. Er stellte das Programm 60° mit schleudern ein und machte sich dann auf Spurensuche. Zuerst kamen die Weingläser dran. Eins nach dem anderen überprüfte er, ob er vielleicht noch Fingerspuren finden würde. An den ersten beiden fand er keine. Sie waren ganz vorne gestanden. Auf den Gläsern dahinter befanden sich jede Menge Fingerabdrücke. Hans war sich sicher, dass die von Linda oder Henriette stammten. Das sich auf den ersten Gläsern keine befanden, war ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie jemand mit Handschuhen säuberte, abtrocknete und hinein gestellt hatte. Als nächstes waren die Weinflaschen dran. Die angefangene Flasche im Kühlschrank war auch fein säuberlich abgewischt worden. Überhaupt war die Küche tipptopp sauber geputzt. Man sah es daran, dass die Spurensicherung überall das Grafitpulver hinterlassen, aber nichts gefunden hatte. Da er keine weiteren Spuren fand, wechselte er als nächstes den Schließzylinder seiner Haustür aus, weil der Hausschlüssel, trotz intensiver Suche fehlte. Das ließ nur den Schluss zu, dass der oder die Täter ihn mitgenommen hatten. Ganz zum Schluss überprüfte er noch die kleinen Röhrchen an den Heizkörpern. Sie sind am Ende der Heizperiode, meist nicht mehr ganz voll, weil ein Teil der Flüssigkeit verdunstet war. Hans sah bei jedem Heizkörper nach und stellte fest, dass alle Röhrchen ganz voll waren. Ergo, wurden sie bereits von der Heizungsfirma gewechselt. Das heißt, dass ein Fremder am Mordtag, oder einen Tag davor, in der Wohnung war. Er fand aber kein Protokoll das üblicherweise beim Wechsel der Röhrchen ausgestellt wird. Trotz intensiver Suche, war keins vorhanden. Hans rief daraufhin sofort Wagner an. Dieser erklärte ihm, was er entdeckt hatte und bat noch einmal darum die SpuSi vorbeizuschicken, um eventuelle DNA Spuren an der Weinflasche oder Fingerabdrücke an den Heizkörpern zu sichern. Wagner: „Und du sagst, die Röhrchen wurden bereits gewechselt?“ Hans: „Ja, sie sind alle neu. Es muss also ein Fremder in der Wohnung gewesen sein. Findet bitte heraus, wer die Röhrchen gewechselt hat. Vielleicht hat der Typ etwas gesehen oder bemerkt.“ Wagner: „Das ist schon in Arbeit. Schornsteinfeger und Heizungsinstallateur sind auf Montagmorgen einbestellt. Wie du siehst, waren wir nicht ganz untätig. Sei mir nicht böse, aber jetzt habe ich Feierabend. Also, bis dann.“ Hans dachte für sich, wie gut es doch Wagner hatte. Beamter, freitags um 16:00 Feierabend, acht Wochen Urlaub im Jahr, fette Pension und Ortszulage. Auf all das hatte er ja freiwillig verzichtet, als er die Kripo verließ. Dafür war er jetzt selbstständig, hatte keinen Chef der ihn bevormundete und das Wichtigste, er konnte sich seine Auftraggeber aussuchen. Gefiel ihm eine Nase nicht, konnte er den Job ablehnen. Hans kam gerade aus der Dusche, als es an der Haustüre läutete. Es war Linda, die sich mächtig aufgebrezelt hatte. Hans fragte sie: „Gehst du zum Opernball, oder warum hast du dich so herausgeputzt?“ Linda: „Ich dachte wir zwei gehen heute ein bisschen aus. Lecker Essen, und anschließend noch in einen Club.“ Hans: „Da muss ich dich leider enttäuschen, auf mich wirst du verzichten müssen. Ich verbringe den Abend im „Scharfem Eck“ bei Jupp.“ Linda: „Nimmst du mich mit?“ Hans: „Dann zieh dich bitte um, mit den Klamotten treibst du die Männer vom Stammtisch in einem Hormonschock. Die haben dann nur noch Augen für dich und eine gescheite Unterhaltung ist nicht mehr möglich.“ Linda: „Mir wäre es lieber du würdest einen Hormonschock bekommen und mir dabei die Kleidung vom Leib reißen und mich stundenlang leidenschaftlich lieben.“ Hans lachte und meinte: „Rede ruhig weiter. Es ist interessant, was für Fantasien Frauen so haben. Du hast das innige küssen und das Vorspiel vergessen.“ Linda: „Es wird der Tag kommen, da wirst du mich begehren. Aber ich werde dir dann nur die kalte Schulter zeigen. Ich gehe mich schnell umziehen, warte bitte so lange. Du nimmst mich doch mit, zu deinen Ermittlungen? Vier Ohren hören mehr wie zwei. Und wenn dir die Männer nicht antworten, dann knöpfe ich meine Bluse auf. Was glaubst du, wie die dann anfangen zu reden.“ Hans: „Du liest zu viel Krimis. Das wird nur ein Stammtisch Gespräch, mit viel Schnaps und Bier.“ Linda verließ die Wohnung und kam 10 Minuten später zurück. Sie war nicht wieder zu erkennen. Hans: „Jetzt siehst du aus, wie eine graue Maus. Ist Schlabberlook überhaupt noch angesagt?“ Linda: „Immer hast du etwas an mir auszusetzen. Mal bin ich zu fein, mal bin ich schlabbrig. Du solltest mich einmal in Natur sehen. Mein Lieber, da würde es dir schwindlig werden.“ Hans: „Nee, lass man. Ich kann es mir vorstellen und das reicht für den Moment. Lass uns endlich gehen. Ach ja, in der Wohnung war die Wartungsfirma und hat die Röhrchen an den Heizkörpern gewechselt, wann waren sie eigentlich bei dir?“ Linda: „Bei mir war noch niemand. Es war lediglich ein Aushang unten am schwarzen Brett, dass in den nächsten Tagen jemand kommen würde.“ Linda bückte sich und sah nach, welche Farbe die Röhrchen dieses Mal hatten. Linda: „Komisch, sonst wechselt die Farbe jedes Jahr. Mal ist die Flüssigkeit rot, dann grün und letztes Jahr waren sie gelb. Und die hier sind wieder gelb.“ Hans: „Das ist doch Wurst, welche Farbe sie haben. Der Inhalt ist doch immer gleich, wie beim Sprit.“ Linda: „Und ich dachte die wechseln die Farbe jedes Jahr, damit man nicht betrügen kann.“ Hans: „Da muss ich noch einmal nachhaken, nicht das ich bei der nächsten Ablesung doppelt bezahlen muss. Wagner hat den Monteur auf Montag einbestellt, da kann er gleich nachfragen, warum hier die gleiche Farbe drin und wo das Protokoll ist.“ Es läutete. Hans öffnete und sah erstaunt, dass es die Ex Kollegen von der Spurensicherung waren. Er begrüßte sie und Dieter Mayer fing gleich an zu schimpfen: „Wegen dir müssen wir Überstunden schieben, während der gnädige Herr mit der hübschen Dame zum dinieren geht. So schön möchte ich es auch einmal haben.“ Hans antwortete entsprechend: „Hättet ihr euren Job richtig gemacht, dann müsstet ihr nicht noch einmal kommen. Alle Weinflaschen, die Gläser und sämtliche Heizkörper sind zu überprüfen. Die offene Flasche im Kühlschrank auch auf DNA Spuren untersuchen, den Rest nur auf Fingerabdrücke. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet, aber die Dame und ich, haben eine Verabredung. Ach ja, wenn ihr geht, zieht einfach die Tür hinter euch zu. Schönen Abend und frohes schaffen wünsche ich noch.“ Linda und Hans verließen die Wohnung und liefen die paar Meter ins „Scharfe Eck“.

Wagner hatte am Freitag noch einen Termin beim Vermieter Michael Henning bekommen, aber auch nur weil er ihm freundlich, mit einer Vorladung auf Montagmorgen gedroht hatte. Während er seine Häuser in Berlin hatte, residierte Henning im feudalen Potsdam. Es war eine große Villa mit reichlich grün drum herum. Schätzwert einige Millionen Euro. Hier konnte man förmlich das Geld riechen. Martina Weber meinte beim Anblick nur: „Von Beruf Sohn. Chef, wir hatten die falschen Eltern.“ Wagner: „Augen auf bei der Berufs- und vor allem Partnerwahl. Sie brauchen sich doch nur einen reichen Schnösel anlachen und heiraten, dann haben sie auch so eine Villa. Bei uns Männern sieht das nicht so gut aus. Welche reiche Lady will schon einen Kripobeamten.“ Sie fuhren die Einfahrt hinein und zwei deutsche Doggen begrüßten sie gleich mit lautem Gebell. Martina: „Ich steige da nicht aus, es sei denn ich darf meine Waffe benutzen.“ Wagner: „Ach, die sind doch harmlos, die wollen bestimmt nur spielen.“ Wagner fackelte nicht lange und öffnete seine Tür, was er besser nicht getan hätte. Beide Doggen stürzten sich sofort auf die offene Tür und Wagner schaffte es gerade noch sie wieder zu schließen. Martina: „Chef, nur Mut, die wollen doch nur spielen.“ Wagner: „Wie war das mit der Waffe?“ In diesem Augenblick öffnete sich die Eingangstür der Villa. Ein Mann kam heraus und rief laut: „Wotan, Hermes aus. Sofort auf euren Platz.“ Die Hunde folgten aufs Wort und liefen hinter die Villa. Wagner und Martina stiegen aus und der Hausherr begrüßte sie gleich: „Tut mir leid, aber die zwei Rabauken sind manchmal recht ungestüm. Sie sind harmlos, sie wollen nur gestreichelt werden und ein wenig toben. Sie sind bestimmt die Herrschaften von der Polizei. Henning, Michael Henning.“ Wagner und Martina stiegen erleichtert aus und zeigten gleich ihre Dienstausweise. Wagner: „Ich bin Hauptkommissar Wagner und das ist meine Kollegin Weber. Danke, das sie uns so kurzfristig einen Termin gegeben haben.“ Henning: „Bitte kommen sie rein, wir müssen uns nicht zwischen Tür und Angel unterhalten.“ Henning führte sie ins Wohnzimmer und bot ihnen Platz an. Henning: „Womit kann ich ihnen behilflich sein? Ich gehe einmal davon aus, dass sie keine Wohnung suchen, denn da müsste ich sie leider enttäuschen, denn wir haben im Augenblick keine freie Wohnungen.“ Wagner: „Nein, wir suchen keine Wohnung. Wie ich bereits am Telefon sagte, sind wir von der Mordkommission und ermitteln im Todesfall Henriette Berger, die in einer ihrer Wohnungen in der Görlitzer Strasse 36 wohnte.“ Henning: „Oh ja, mein Angestellter Herr Bongartz hat mir darüber berichtet. Schreckliche Sache. Aber was hat das mit mir zu tun, wenn einer meiner Mieter freiwillig aus dem Leben scheidet? Ich kannte Frau Berger nur durch zwei oder drei flüchtige Begegnungen.“ Weber: „Wir reden hier nicht über Selbstmord, sondern von Mord.“ Henning: „Mord? Aber mein Hausmeister hat doch gesagt, die alte Dame hätte sich aufgehängt, weil sie so große Schmerzen hatte. Er hat sie, zusammen mit einer anderen Mieterin gefunden. Und sie hätte einen Abschiedsbrief hinterlassen.“ Wagner: „Das war der erste Eindruck. Inzwischen haben wir gesicherte Erkenntnisse, dass es eindeutig Mord war. Und so müssen wir in alle Richtungen ermitteln, auch ihren sozialen Hintergrund. Wir haben ein Schreiben von ihnen bei Frau Berger gefunden, indem sie ihr nahelegen, sich eine andere Wohnung zu suchen. Uns interessiert nun, warum sie Frau Berger loswerden wollten?“ Henning: „Ich plane umfassende Sanierungsarbeiten in meinen Häusern. Und das ist für ältere Bewohner doch eine hohe gesundheitliche Belastung. Schmutz, Staub und Lärm sind da nun einmal nicht zu vermeiden. Und da biete ich allen Bewohnern an, dass sie in eine Ersatzwohnung von mir umziehen, oder ich finde sie mit einer Einmalzahlung ab.“ Martina: „Aber doch nicht in allen Häuser gleichzeitig?“ Henning: „Je früher ein Haus leer steht, desto schneller können sie wieder einziehen. Manche Mieter schalten da auf stur und schöpfen alle rechtliche Mittel aus. Und dann verzögern sich die Sanierungsarbeiten. Das kostet mich viel Geld.“ Martina: „Was spricht dagegen, dass sie eine Wohnung nach der anderen sanieren?“ Henning: „Das würde ich ja gerne tun, aber da spielen die Handwerker nicht mit. Welcher Fliesenleger kommt schon, wenn nur ein paar Quadratmeter Fliesen auszutauschen oder zu verlegen sind. Die Kosten dafür verdoppeln sich und ich muss das leider wieder auf die Miete umlegen.“ Wagner: „Und wie hoch ist die Miete nach der Sanierung?“ Henning: „Das kann ich nicht genau sagen. Aber in der Regel zwischen 40% und 60%.“ Weber: „Können denn die jetzigen Mieter das überhaupt bezahlen?“ Henning: „Viele nicht. Deshalb biete ich ihnen auch Ersatzwohnungen an. Gut, die sind dann etwas kleiner, aber sie können dann wenigstens die Miete bezahlen.“ Wagner: „Und wie finanzieren sie das? Ich meine, verfügen sie über so viele Rücklagen oder müssen sie Kredite in Anspruch nehmen?“ Henning: „Der laufende Unterhalt meiner Immobilien kostet viel Geld. Dauernd muss etwas repariert oder erneuert werden und das kostet. Der Fiskus will auch seinen Teil, da bleibt nicht viel übrig. Ich muss eben zur Bank oder einen Investor ins Boot holen. Aber konkrete Pläne gibt es noch nicht.“ Weber: „Wo waren sie eigentlich vorgestern Abend zwischen 21:00 Uhr und 23:00 Uhr?“ Henning: „Sie verdächtigen mich? Ich bringe doch niemand um, was hätte ich denn davon?“ Weber: „Aber nein, das ist eine reine Routinefrage. Die müssen wir allen stellen, auch ihnen, um sie als Täter auszuschließen. Also, wo waren sie?“ Henning: „Zuhause. Ich bin gegen 21:00 Uhr aus meinem Büro gekommen und danach haben meine Frau und ich etwas gegessen. Gegen 22:30 Uhr sind wir zu Bett gegangen. Meine Frau wird ihnen das gerne bestätigen.“ Wagner: „Ist ihre Frau hier? Dann könnten wir sie gleich fragen.“ Henning: „Nein, sie ist nicht hier. Sie kommt erst am Sonntagabend wieder.“ Weber: „Haben sie eigentlich Kinder?“ Henning wurde plötzlich ruhiger und antwortete mit leiser Stimme: „Ich hatte zwei Kinder, 4 und 6 Jahre alt. Wir machten damals Weihnachturlaub in Thailand. Alles war gut, bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag, da kam dann plötzlich das Wasser. Meine damalige Frau und die beiden Kinder haben die Katastrophe nicht überlebt. Es war eine schmerzliche Zeit. Glauben sie mir, ich weiß was es heißt einen geliebten Menschen zu verlieren.“ Martina sagte zu Henning: „Das tut uns sehr leid, aber wir machen auch nur unseren Job und da müssen wir eben auch unangenehme Fragen stellen. Dann wohnen sie und ihre Frau ganz alleine in dieser riesigen Villa?“ Henning antwortete genervt: „Und wenn schon. Sind sie neidisch, oder hat diese Frage etwas mit dem Tod von Frau Berger zu tun?“ Wagner: „Wir sind doch nicht neidisch Herr Henning, ganz im Gegenteil. Wir gönnen ihnen doch das alles. Nur haben wir uns gefragt, wer diese wunderschöne Villa pflegt. Das sind doch bestimmt ein dutzend Zimmer die wöchentlich gereinigt werden müssen. Haben sie noch Personal, dass sie dabei unterstützt?“ Henning: „Wir haben einen Gärtner und eine Haushaltshilfe, die täglich hier sind. Beide sind ordnungsgemäß versichert und angemeldet. Einen Fahrer habe ich auch noch. Haben sie noch Fragen die Frau Berger betreffen?“ Martina: „Wie viel Geld haben sie Frau Berger geboten das sie auszieht?“ Henning: „Nun ja, zusammen mit der von ihr errichteten Kaution waren das 5000.- Euro. Aber das hat sich ja jetzt erledigt.“ Wagner: „Das glaube ich aber nicht. Was ist mit ihrem Neffen, der noch in der Wohnung wohnt? Meinem Wissen nach, hat er einen gültigen Mietvertrag. Wollen sie ihm auch eine Kündigung schicken?“ Henning schaute die beiden ungläubig an und fragte nach: „Was für ein Neffe? Davon weiß ich nichts. Ich höre das jetzt zum ersten Mal. Aber ich denke, dass er auch froh sein wird, wenn er diese alte Wohnung los ist. In zwei Wochen fangen wir an mit den Baumaßnahmen. Zuerst kommen die Bäder und die Küchen dran.“ Wagner: „Dann wünsche ich ihnen viel Spaß dabei. Wenn ich ihnen einen Rat geben darf, halten sie sich dabei an die Gesetze, sonst haben sie eine Flut von Anzeigen an der Backe. So, und nun müssen wir gehen, denn wir haben noch andere Fälle die bearbeitet werden müssen. Ach ja, bitte senden sie mir doch eine Liste aller Häuser und Grundstücke die sie in Berlin haben.“ Henning: „Die können sie gleich mitnehmen.“ Er druckte die Liste aus und die beiden verabschiedeten sich. Martina stellte abschließend noch eine Frage: „Wechselt jedes Jahr die gleiche Firma die Verdunstungsröhrchen an den Heizkörpern aus?“ Henning: „Die haben einen fünf Jahresvertrag. Und der endet bei der Firma Walter erst in zwei Jahren.“ Sie stiegen in ihren Wagen und fuhren zurück ins Präsidium. Kaum das die beiden die Villa verlassen hatten, griff Henning zum Telefon. Er sprach mit seinem Verwalter Ralf Gebhard: „Gebhard, die Kripo war gerade da. Die hat gemeint, dass die Berger noch einen Neffen hatte, der jetzt noch in der Wohnung wohnt. Er soll sogar mit im Mietvertrag stehen. Sagen sie mir bitte, dass das nicht stimmt.“ Gebhard: „Da müsste ich erst nachsehen.“ Henning: „Dann tun sie das, für was bezahle ich sie. Und wenn die Kripo Recht hat, lassen sie sich etwas einfallen, wie wir diesen Neffen ohne großes Aufsehen aus der Wohnung bekommen.“ Henning beendete das Gespräch. Wütend sah er aus dem Fenster in seinen riesigen Garten und zischte dabei: „Wenn man nicht alles selbst macht.“ Noch hatte die Presse nichts von dem Mord an Henriette Berger mitbekommen. In der Presseerklärung der Polizei, war anfangs nur die Rede von dem Selbstmord einer 70 jährigen Rentnerin. Einer von circa 10.000 im Jahr alleine in Deutschland. Suizid ist eben ein Thema, über das man nicht gerne in der Öffentlichkeit spricht. Er wird weitgehend tabuisiert, ist mit Makel behaftet. Früher wurden Selbstmörder nicht einmal christlich beerdigt. Die Kirche weigerte sich, diese Menschen in geweihter Erde zu beerdigen. Die Presse nimmt zwar Notiz davon, berichtet aber selten über die Hintergründe, wie es dazu kam. Es sei denn, ein reicher oder Prominenter verübt ihn. Dann wird er monatelang ausgeschlachtet und füllt die Nachrichten. Aber Fakt bleibt, dass sich jeden Tag in Deutschland knapp 30 Menschen das Leben nehmen. Und so erschien auch nichts in der Presse. Ein Glücksfall für die Polizei, konnte sie doch ohne Presserummel, in aller Ruhe ermitteln. Hans und Linda hatten einen feucht- fröhlichen Abend im „Scharfem Eck“. Der Stammtisch erwies sich als sehr gesprächig. Die Zunge saß locker, was auch dem Bier und Schnaps geschuldet war. Hans und Linda tranken nicht sehr viel Alkohol, meistens Kaffee, Wasser oder Tee. Sie waren die Einzigen die beim Feierabend noch nüchtern waren. Jupp, der Wirt, schloss wie immer gegen 23:00 Uhr das Lokal und ließ dann nach und nach die letzten Gäste nach Hause gehen. Ganz zum Schluss, saßen nur noch Linda und Hans am Tresen. Jupp, der eigentlich Josef Altmeier hieß, stellte drei Schnapsgläser hin, schenkte ein und erhob sein Glas: „Geht aufs Haus. Trinken wir auf Henriette.“ Sie stießen an und Jupp fragte: „Hast du Neuigkeiten erfahren?“ Hans: „Was meinst du?“ Jupp: „Ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen. Du warst einmal bei der Kripo und sitzt dann kurz nach dem Tod deiner Tante am Stammtisch und stellst Fragen. Wenn die Leute das nicht merken, weil sie schon einem im Tee haben ist das ihre Sache, aber ich bin Wirt und habe immer Augen und Ohren offen. Du ermittelst doch. Wenn ich dir in irgendeiner Form helfen kann, so sag es mir.“ Linda: „Wir können jede Hilfe gebrauchen.“ Hans: „Nicht wir, sondern ich. Du hältst dich zurück, das ist kein Kindergeburtstag.“ Jupp: „Wie mir scheint interessierst du dich auch für andere Todesfälle. Glaubst du, es gibt da einen Zusammenhang?“ Hans sah ein, dass Jupp kein Idiot war. Hans: „Ich weiß es nicht. Erzähle aber niemand davon. Ich muss zuerst einmal mit den Angehörigen und Hinterbliebenen sprechen, erst dann kann ich mir ein Bild machen. Auf jeden Fall wird es nicht einfach.“ Jupp: „Wenn du mich fragst, hängt alles mit den Wohnungen zusammen. Alle die in letzter Zeit das Zeitliche gesegnet haben, waren Mieter von Hennings Wohnungen. Der entmietet im Augenblick, was das Zeug hält.“ Hans: „Vorsicht! Das kann Zufall sein. Die beiden Unfälle zum Beispiel, da wurde keine Fremdeinwirkung festgestellt. Na ja, bis auf die vermutete Fahrerflucht bei Herrn Kimmig. Und wenn eine alte Frau oder ein alter Mann an Herzschwäche stirbt, ist das normal. Eine Frau ist an Krebs gestorben. Der Einzige erwiesene Mord, ist bisher an Henriette. Und da haben wir bisher noch kein Motiv gefunden. Mit Vermutungen kommen wir da auch nicht weiter.“ Linda: „Aber komisch ist das schon. Es sterben Leute, die sich einfach dagegen wehren, aus ihren Wohnungen vertrieben zu werden. Ich glaube, das ist kein Zufall.“ Hans: „Glauben heißt, nichts wissen. Beweisen muss man es können. Glaubst du wirklich, dass ein Hausbesitzer, seine Mieter umbringt, nur weil sie nicht ausziehen? Da gibt es doch andere Mittel, um die Mieter herauszubekommen. Lärm, Staub und Schmutz, Wasser abstellen oder Strom kappen, nur um einige Möglichkeiten zu nennen.“ Jupp: „Oder Psychoterror.“ Hans: „Auch das. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass Henning etwas damit zu tun hat.“ Jupp: „Aber du hast Zweifel.“ Hans: „Ich will es zumindest ausschließen können.“ Jupp: „Ich hatte schon zweimal diese Woche Besuch vom diesem schmierigen Hausverwalter Ralf Gebhard. Stellt euch vor, die wollen mich hier raus haben. Das ganze Viertel soll saniert werden, auch das „Scharfe Eck“. Hier würde dann ein Szene Bistro hineinkommen. Ich könnte es ja pachten, allerdings für eine Pacht von 7500.- Euro im Monat. Das ist fast das Doppelte, was ich derzeit an Pacht abdrücke. Er hat mir am Montag 50.000 Euro dafür geboten, wenn ich sofort aus dem Vertrag aussteige. Das habe ich natürlich abgelehnt, mit dem Ergebnis, dass er heute Morgen schon wieder auf der Matte stand. Nur dieses Mal hat er mir 75.000 Euro geboten und ich dürfte die ganze Theke mitsamt der Zapfanlage mitnehmen. Er hat mir bis Mittwoch Zeit gegeben das Angebot zu überdenken. Als er dann auf der Toilette war, habe ich den Plan abfotografiert. Es ist die Frontansicht der neuen Görlitzer Strasse.“ Er holte sein Smartphone aus einer Schublade und lud das Bild auf das Display. Hans und Linda sahen sich es an und Hans sagte: „Das sind ja mindestens 10 Häuser, die hier ganz verschwinden sollen. Hat Henning überhaupt eine Baugenehmigung dafür?“ Jupp: „Keinen blassen Schimmer. Aber wenn er schon die Pläne dafür hat, wird er sie wohl haben.“ Hans: „Kannst du mir das Foto überlassen?“ Jupp schickte ihm das Foto. Linda meinte erschrocken: „Das sind ja über 80 Wohnungen die verschwinden werden. Und das alles für ein Hotel und ein paar Eigentumswohnungen. Rechnet sich das denn?“ Jupp: „Es sind ja nicht nur die Wohnungen die zur Strasse gehen, sondern auch die gesamten Hinterhöfe. Und wenn das, was auf dem Plan steht stimmt, dann sind das 40 Apartment Eigentums- und 40 Mietwohnungen. Dazu die Dachterrassen, ein Bistro, 2 Geschäftseinheiten und das 100 Betten Hotel. Wenn sich das nicht rentiert, dann weiß ich auch nicht.“ Hans: „Das stimmt schon, aber das kann doch Henning nie und nimmer alleine stemmen. Verfügte er denn über so viele Mittel?“ Linda: „Du kannst ihn ja einmal fragen. Ich glaube es nicht. Der hat doch in den letzten Jahren die halbe Strasse aufgekauft. Immer wenn ein Eigentümer verstorben ist, stand er an vorderster Front und hat sich das Gebäude unter den Nagel gerissen.“ Jupp: „Das stimmt. Henning hat ein wenig Farbe und Tapeten an die Wände geschmissen und danach die Mieten ordentlich erhöht. Ihm gehört inzwischen die halbe Strasse. Und wenn alles bezahlt ist, bekommt er auch genug Kohle von der Bank, so einfach ist das.“ Hans sah sich noch einmal das Bild an und meinte: „So wie das hier aussieht, reißt er die ganzen Häuser ab, um dann neu zu bauen. Nein, so blöd ist keine Bank. Ohne Mieteinnahmen hat er auch keine Sicherheiten mehr. So ein Bauobjekt dauert doch bestimmt zwei Jahre. Der braucht mindestens 10 - 15 Millionen, wenn nicht sogar mehr. Ich glaube eher, da ist noch ein finanzkräftiger Investor der seine Finger mit im Spiel hat. Man müsste diesem Gebhard einmal auf den Zahn fühlen.“ Jupp: „Wenn du gerne viel Whisky trinkst, dann komm am Mittwochnachmittag gegen 17:00 Uhr vorbei. Dann ist er wieder hier und will sich meine Antwort abholen.“

Tatort Berlin - Görlitzer Park

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