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Die Station

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Die Frau mit den langen, schwarzen Haaren trat vorsichtig auf den nassen Waldboden. Jeder Schritt erzeugte ein schmatzendes Geräusch. Sie drehte ihren Kopf zur Seite. Etwa fünf Meter neben ihr lief ein Mann mit einem Schwert. An seinem Vollbart tropfte der Regen ab, platschte lautlos herunter. Die Frau gab ein Zeichen, worauf er die Führung übernahm.

Ein junges Mädchen näherte sich von links hinten. Der Dauerregen hatte ihre rote Mähne vollkommen durchnässt, ebenso die Tunika, die sie trug. Trotzdem brachte sie ein zögerndes Lächeln zustande, hob ihren Bogen.

„Wir sind gleich da. Was werden wir finden?“

Die schwarzhaarige Frau zuckte mit den Schultern, deutete mit der Hand vorwärts. Sie hielt ebenfalls einen Bogen.

„In jedem Fall eine Antwort. Galam bleibt an der Spitze. Andra, du gehst weiter nach links und sicherst uns ab. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Hier ist einiges merkwürdig, das gleißende Licht am hellen Tag darf nicht sein. Das ist ein schlechtes Omen.“

„Die Götter sprechen manchmal durch Zeichen zu uns“, meinte Andra.

Die schwarzhaarige Frau lachte herzhaft, stoppte jedoch sofort, als Galam vor ihr verärgert mit der Hand fuchtelte. Lautlosigkeit war ihr einziger Vorteil, sie hätte ihn beinahe aufs Spiel gesetzt. Schuldbewusst gab sie Andra ein Signal. Das junge Mädchen schwenkte links vorbei, spannte den Bogen mit dem Pfeil. Vorsichtig stapfte sie inmitten des Pinienwaldes, ignorierte den herabfallenden Regen, den feuchten Boden und die nasse Kleidung.

Die Bäume standen dicht beieinander, ermöglichten nur eine begrenzte Sicht nach vorne. Niemand wusste, ob jemand vor ihnen lauerte. Das war das elementare Risiko. Feinde sah man erst spät.

Andra fühlte ein Kribbeln in der Nase, hielt sie sich schnell zu. Trotzdem konnte sie ein Niesen nur knapp unterdrücken. Galam warf ihr einen kritischen Blick zu, fuchtelte verärgert mit dem Schwert. Auch die schwarzhaarige Frau machte eine wütende Geste. Andra zuckte hilflos mit den Schultern, stapfte verdrossen voran. Schließlich stoppte sie, hob die Hand. Galam kniete, während die Frau hinter ihm vorwärts rannte, den Bogen schussbereit.

„Ein Mann liegt im Wald, ohne Waffen!“

Galam hielt das Schwert angriffsbereit gestreckt, als er wachsam zur Gestalt schritt. Nervös presste er die Lippen zusammen. Vorsichtig tat er einen Fuß vor den nächsten, ignorierte die schmatzenden Geräusche des nassen Bodens. Der stetig fallende Regen verursachte Rinnsale, die über das Gesicht liefen und im Kragen der wollenen Tunika einen kalten Fluss erzeugten.

Die liegende Person rührte sich nicht, auch als Galam ihm das Schwert an die Kehle drückte. Es hinterließ einen Kratzer, aus dem etwas Blut floss.

„Ein tiefer Schlaf.“

Die schwarzhaarige Frau legte den Pfeil zurück in den Köcher an ihrem Rücken und übergab den Bogen Andra. Über der Schulter hing eine Ledertasche, die sie bei dem männlichen Körper ablegte. Sie presste Zeige- und Mittelfinger an den Hals der Person.

„Er trägt merkwürdige Kleidung“, lautete der Kommentar von Andra.

Galam steckte das Schwert in die Scheide. Das schleifende Geräusch von Metall ließ Andra erschauern. Sie lehnte sich an einen Baum. „Wir dürfen uns nicht lange aufhalten. Der Wald ist unsicher, wir sahen schon öfters fremde Krieger herumstreifen.“

„Die Ängste einer Fünfzehnjährigen! Du solltest dagegen ankämpfen! Ständiges Verkriechen löst kein Problem.“

„Lass sie in Ruhe! Nicht jeder ist zum Krieger geboren.“

Galam seufzte, betrachtete den Mann auf dem Waldboden neugierig. Dessen Augen waren geschlossen, die Hände in einer verkrampften Haltung seitlich vom Körper abstehend.

„Seltsame Kleidung, Jane.“

Die Frau griff in die Tasche, zog eine Spritze heraus und drückte sie gegen den Hals des Liegenden.

„In meiner Zeit trägt man das beim Reiten. Es ist sportlich.“

„Sport? Ein eigentümlicher Begriff. Was hat das mit Pferden zu tun?“

Jane fühlte nochmals den Puls des Unbekannten, verzog den Mund. Warum rührte er sich nicht?

„Wir bewegen uns in Autos, du solltest das von den Lehrfilmen kennen. Pferde sind Luxus, man benutzt sie aus Spaß, für Wettkämpfe und andere Sachen. Trotz der körperlichen Belastung, ausgelöst durch das Zeitportal, hätte die Spritze den Mann aufwecken müssen. Das ist komisch.“ Sie stand auf. „Wir bringen ihn in die Station, er braucht eine gründliche Untersuchung. Du wirst ihn tragen.“

Galam streckte den Kopf vor, hob die Augenbrauen. „Wie bitte?“

Jane hängte sich die Tasche um. „Wir sind Frauen. Ein Krieger wird von solchen hilflosen Geschöpfen doch keine anstrengenden Tätigkeiten verlangen?“

Galam fluchte lautstark und griff nach dem am Boden liegenden Mann.

„Dieses Geschwätz ist typisch. Ich werde es mir merken, wenn ich das nächste Mal von einer hilfsbedürftigen Person wie dir Befehle erhalte. Du pickst die Rosinen aus dem Kuchen.“

Andra stellte sich grinsend neben Jane. „Das machen wir Frauen gerne.“

*

Francis Stevens registrierte zuerst das helle Licht über ihm, das in den Augen schmerzte. Er wollte die Hände schützend vor das Gesicht halten, doch er konnte sie nicht bewegen. Riemen hielten sie seitlich am Körper fest. Sein Verstand begann langsam die Umgebung zu verarbeiten. Er lag auf etwas mit leichter Polsterung und es war angenehm warm.

„Sie sind gefesselt, aber wir können die Lampe dimmen“, sagte eine Frauenstimme.

Tatsächlich wurde es dunkler, so dass Francis die Augen stärker öffnete. Er sah eine Frau mit langen schwarzen Haaren, die locker über einen Rollkragenpullover fielen. Am meisten erstaunte ihn die Körpergröße, es mussten beinahe zwei Meter sein. Ein Mann mit Vollbart und weißem Shirt saß in der Ecke, zog an einer Pfeife. Die Rauchschwaden stiegen zur Decke des Raumes, bildeten einen Nebel, der in kleine Öffnungen abgesaugt wurde. Der bärtige Mann beeindruckte Francis durch dessen breite Schultern und das kantige Gesicht. Eine Art Bodyguard? Der Beschützer der anderen?

Francis sah neugierig herum, erkannte Glasvitrinen mit diversen Schachteln, ein umlaufendes Pult mit metallisch glänzender Oberfläche. Es roch leicht nach Pfeifenrauch und stark nach etwas Unangenehmen - Desinfektionsmittel. Dieser Geruch stieg Francis in die Nase und er verzog angewidert den Mund. Die Leuchte über ihm war rund und innen gewölbt, bestand aus mehreren einzelnen Lampen. Francis kannte die Konstruktion aus Operationssälen. Befand er sich in einem? Was sollte das bedeuten?

Die Frau trat an die Liege. Ein Bleistift steckte in ihrem Mund, den sie vor dem Sprechen herausnahm. „Ich heiße Jane Wilcox, neben mir steht unser Arzt John Robert. Willkommen im Jahr 902.“

Francis glaubte an einen Versprecher. „Was?“

Die Frau drehte den Bleistift unruhig in den Händen, warf dem Arzt einen kurzen Blick zu. Als dieser mit den Schultern zuckte, beugte sie sich über Francis.

„Sie hörten richtig, Mister. Jetzt bin ich am Drücker. Wie kamen Sie hier an?“

Francis versuchte die Arme anzuspannen, doch die Gurte verhinderten es. Erschöpft sank er zurück. Erneut hatten ihn Unbekannte in der Gewalt, die ihm Fragen stellten, die er nicht verstand. Die Pechsträhne hielt an.

Jane drehte das Gesicht von Francis schroff in ihre Richtung. „Es gibt nur eine Möglichkeit für Sie, Mister. Ich bin äußerst mies drauf und habe null Bock wütender zu werden! Zeitverschwendung hasse ich ebenfalls! Ihre Bewusstlosigkeit dauerte schon lange genug! Woher kommt der USB-Stick?“

Francis hob grimmig den Kopf. Diese verdammten Fremden mit ihren unverständlichen Fragen! Die Riemen drückten bei jeder Bewegung stärker. Auch die Füße waren festgebunden, ließen keinen Millimeter Bewegung zu. Die Erinnerung kam nur bruchstückhaft an die Oberfläche, das Reiterpaar, Eydis und ihre Pfeile. Stockend erzählte er, was er wusste. Am Ende antwortete niemand der Anwesenden. Francis sah den Arzt sich am Kinn kratzen. Jane hingegen hatte wieder den Bleistift im Mund, kaute auf ihm herum.

„In seinem Blut fand ich ein Sedativum“, unterbrach dieser John schließlich die Stille. „Die Menge führte zu lang anhaltender Bewusstlosigkeit. Die Gesichtsverletzung stammt von Faustschlägen. Außerdem enthält der USB-Stick alle geheimen Daten des Ausbildungscamps inclusive der Baupläne. Es passt zusammen.“

„Ich bin skeptisch. Er trägt keinen Chip, nichts deutet darauf hin, dass er zu uns gehört. Was soll der Mist?“

„Man hat ihn noch nicht offiziell aufgenommen. Eydis handelte voreilig.“

„Wo ist dieses verdammte Biest?“, knurrte Francis. „Sie ließ mich auf einem runden Metallboden liegen. War das ein Fahrstuhl? Hier sieht es aus, wie in einem Bunker.“

Jane wandte den Kopf zum Arzt, wedelte mit dem Bleistift vor dessen Nase herum.

„Wenn Eydis, um die Daten zu schützen, den Typ zu uns schickte, ist im 21. Jahrhundert ordentlich was los. Die Meister der Zeit im offenen Angriff! Verdammter Bockmist! Was soll ich da mit einem Greenhorn anfangen? Eydis hat einen Knall!“

„Hallo?“, rief Francis. „Kann sich jemand um mich kümmern?“

Jane spielte mit dem Bleistift. Er glitt durch ihre Finger, vollführte kreisende Bewegungen. Die Frau überlegte anscheinend angestrengt, während ihre Augen Francis intensiv musterten. Dann steckte sie den Stift ein.

„Jetzt muss ich den Dreck aufwischen, verdammt! Wir hatten noch nie Fremde bei uns.“ Sie strich eine Haarsträhne zur Seite, atmete hörbar aus. „Also gut! Willkommen in der Organisation. Wir gehen locker miteinander um. Du kannst mich mit Jane anreden, John ist unser Arzt. Diese Station wird von mir geleitet.“

Sie löste die fesselnden Gurte, Francis richtete sich auf. Benommen blieb er sitzen, hielt den Kopf mit beiden Händen. Was sagten die Leute, wie hieß die schwarzhaarige Frau?

„Okay - Jane - richtig? Ich will weder mit der Organisation noch sonst irgendjemandem etwas zu tun haben. Der Stick ist jetzt hier, also ist mein Job erledigt. Mein Auto steht in Newton Mearns, ganz in der Nähe. Wenn ihr mich in Ruhe lasst, dann halte ich die Klappe und fahre nach Hause.“

„Deine Kiste ist über tausend Jahre weit weg.“

„Hört auf mit den Lügen!“, schrie Francis, fasste sich sofort an den Kopf. Verdammter Kreislauf! „Das mit dem Jahr 902 ist ein schlechter Witz! Zuletzt lag ich auf einem Metallboden. Ist das ein Bunker unter der verfallenen Hütte im Wald?“

Jane hob in einer hilflosen Geste die Hände. „Sorry, aber du hast eine lange Reise hinter dir. Ich habe genug Probleme und als Märchentante war ich noch nie gut.“

Francis rutschte von der Liege herunter, die Beine gaben nach, so dass Jane ihn stützen musste. John Robert öffnete die Tür zu einem Gang, mit Wänden aus Metall, der von LED-Lampen erhellt wurde. Die Luft roch frischer, hatte einen höheren Gehalt an Feuchtigkeit. Mit Hilfe der Frau humpelte Francis dort entlang, sah sich neugierig um.

„Ich habe richtig vermutet! Es ist ein Bunker.“

„So etwas Ähnliches; zur Hälfte ein Stollen im Berg und eine verschleierte Felswand als Tarnung. Stahl trennt uns von der Welt draußen. Tageslicht gibt es keines, deshalb sage ich scherzhaft U-Boot.“

Ein Bunker im Wald! Nicht gerade ein angenehmes Versteck, wie Francis fand. Aber es musste einen Ausgang geben und damit eine Fluchtmöglichkeit. Er wollte weg von den Verrückten, eine Polizeistation suchen. Dann konnten Spezialeinheiten das Nest ausheben.

„Wie viele Personen arbeiten bei dir?“

„Neben mir und dem Doc sind es nur Galam und Andra. Sie gehören zu den sogenannten Natives, so nennen sich die jungen Leute aus dieser Zeitlinie, während sie uns als 21er bezeichnen. Sie kamen als Kinder zur Organisation, wurden umfassend ausgebildet und leben nun hier. Das ist vorübergehend, bis sie endgültig in das 21. Jahrhundert versetzt werden.“

„Keine Lügen! Wo genau liegt der Bunker?“

„Schottland, südwestliche Ausläufer der Grampian Mountains.“ Jane machte eine kurze Pause. „Im Jahre 902.“

John Robert trat hinzu. Ein feiner Rauchkringel stieg aus seiner Pfeife. „Wie war das Wetter, als dich Eydis betäubte?“

Francis verstand den Sinn der Frage nicht, versuchte sich aber trotzdem zu erinnern. „Ein heißer, sonniger Augusttag. Die Wettervorhersage prophezeite ein langanhaltendes Hoch.“

John grinste und deutete mit dem Daumen nach oben. Sein Blick traf Jane. „Das Turmzimmer wäre ideal. Was denkst du?“

Jane zuckte mit den Schultern, forderte Francis zum Folgen auf. Sie führte ihn zum Ende des Ganges, an dem eine Wendeltreppe stand. Gerippte Aluminiumstufen vermittelten denselben nüchternen Charme wie der Rest des Bunkers. Francis keuchte angestrengt während des Treppensteigens, fühlte sich wie ein alter Mann. Das Stockwerk darüber bestand wieder aus einem Flur und Zimmern, ein anderer Wohntrakt. Er lag in Dunkelheit, Francis sah kaum etwas. Das wenige Licht der Treppe ließ nur den Flur und eine unbekannte Anzahl von Türen erahnen. Jane ging weiter nach oben mit einer Geschwindigkeit, bei der Francis nicht mithalten konnte. Am oberen Treppenende schwang eine rechteckige Luke mit leisem Summen zur Seite, als Jane mit dem linken Arm eine Bewegung machte.

Francis passierte die Öffnung. Er stand in einer Art Felsengrotte, die wenige Quadratmeter umfasste. Einzelne Gräser hingen an der umlaufenden Steinmauer herab. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es eine Brüstung, die auch aus Fels zu bestehen schien. Als Francis sie anlangte, fühlte er jedoch Plastik und er beugte sich darüber. Vor ihm fiel eine fast senkrechte Wand hinab, getarnt als Felsen. Unten floss ein Bach und um die Grotte herum gab es Hügel ähnlicher Größe. Die Landschaft bestand bis zum Horizont aus Bergen. Ungewöhnlich fand er die vielen Bäume. Sahen die Highlands nicht anders aus, grasiger? Wo kamen die Bäume auf einmal her?

Etwas lief am Gesicht von Francis herunter, erst langsam und dann immer intensiver. Es verbreitete Kälte. Als er mit der Hand an die Haut langte, fühlte er Nässe. Verblüfft sah er nach oben. Dunkle Wolken standen am Himmel, ein Blitz zuckte und ein starker Strom aus Regentropfen fiel auf ihn herab. Wieso merkte er es erst jetzt? Verdammte Spritze von Eydis! Sein Gehirn schien aus Watte zu bestehen.

„Das hübsche Atlantiktief hängt da seit ein paar Tagen“, bemerkte Jane und folgte seinem Blick. „Den Platz hier nennen wir Turmzimmer. Unsere Energie beziehen wir aus Brennstoffzellen, deswegen passt für mich der Vergleich mit dem U-Boot. Hinten gibt es einen zusätzlichen offenen Bereich, den Pferdestall. Die Tiere sollen Sonnenlicht haben, außerdem lässt sich der Mist leichter entsorgen.“

Francis hatte Mühe, den Worten zu folgen. Ungläubig starrte er die Wolken an. Aus großer Schwärze zuckten hin und wieder Blitze. Viele Sekunden später folgte donnerndes Grollen. Der böige Wind peitschte den Regen in Francis´ Gesicht. Bewegungslos stand er an der Brüstung, unfähig zu klaren Gedanken. Er konnte den Blick nicht von dem Unwetter abwenden, den tief hängenden Gewitterwolken und den heftigen Blitzen. Verzweifelt suchte Francis nach vernünftigen Erklärungen. Hatte man ihn lange bewusstlos gehalten, bis zu einem Wetterwechsel? Die schmerzenden Wunden im Gesicht, das immer noch geschwollene linke Auge, sagten das Gegenteil. Seit dem Angriff der Reiter waren höchstens wenige Stunden vergangen. Das passte keinesfalls zusammen!

„Das ist unmöglich! Der Wetterbericht sprach von keiner Änderung in den nächsten Tagen!“

Jane Wilcox blickte missmutig zum Himmel. Der Regen sammelte sich auf ihrer Haut, lief den Hals hinunter.

„Bist du nun überzeugt, im Jahr 902 zu sein? Die Organisation kann das Wetter nicht beeinflussen, sendet aber ausgebildete Kinder in das 21. Jahrhundert.“

„So wie Eydis Leifsdottir“, brummte Francis leise. Die Erkenntnis traf ihn hart. Sie hatte die Wahrheit gesprochen, ihn durch ein Zeitportal geschickt und nun war er weit weg, gefangen in einem fremden Jahrhundert. Was hatte die schwarzhaarige Frau gesagt? Man schreibt das Jahr 902? Wie sah eine Rückkehr aus?

Jane redete erneut, diesmal mit einem Lächeln im Gesicht. „Eydis ist ein freches Biest, das ist wohl eine Spezialität dieser Skandinavierinnen. Wir hatten hier auch einmal so eine, sie hieß Inga.“

„Ist die schon im 21. Jahrhundert?“

Das Lachen von Jane erstarb, ihr Gesichtsausdruck wurde unvermittelt ernst. Scheu blickte sie für einen Moment zur Seite.

„Nein, sie ist desertiert!“

Francis riss überrascht die Augen auf. „Ach! Fangen die Kinder selbstständiges Denken an, wenn sie älter werden? Schütteln sie die Fesseln ab, solange sie auf vertrautem Terrain sind?“

„Das hat nichts mit uns zu tun, Mann! Die Kinder werden klasse behandelt, wesentlich besser als bei den Meistern der Zeit. Inga hat einfach einen verdammten Dickkopf.“

„Du kannst mir viel erzählen!“

Jane zeigte auf die rechteckige Luke. „Hier kommt Wasser von oben und ich habe heute schon geduscht. Die Kantine ist trockener und wärmer. Schwing die Hufe!“

Francis fügte sich notgedrungen. Zwei Etagen tiefer betrat er einen Raum, gefüllt mit Tischen und Bänken. Hinter einer Theke erkannte er Küchengeräte. Nur zwei Personen saßen in der Kantine. Francis bemerkte ein Mädchen mit dunkelroten Haaren, gekleidet in Jeans und einem unbedruckten Shirt. Die Statur war schmächtig, die Arme dünn. Neben ihr saß ein bärtiger junger Mann, muskulös und mit schlankem Körperbau, der einen durchtrainierten Eindruck vermittelte. Jane stellte die beiden als Andra und Galam vor. Das Mädchen nahm ab und zu einen Schluck aus einem Becher mit Orangensaft. Ansonsten starrte sie intensiv auf ihren Reader für elektronische Bücher und nahm von niemandem Notiz.

Galam schilderte ein Problem mit dem Huf eines Pferdes, woraufhin er mit Jane die Kantine verließ. Andra rührte sich nicht, als Francis sie neugierig ansprach. Erst als er mit der Hand vor ihr herumwedelte, sah sie auf.

„Was liest du?“

Andra legte den Reader auf den Tisch. „Aristoteles! Ich lese es im Original.“

Francis hob erstaunt die Augenbrauen. Eine heftige Lektüre für ein junges Mädchen. „Alte Sprachen? Nun, ich musste Alt-Irisch lernen.“

Andra kicherte und hielt für einen Moment die Hand vor den Mund. Dann wollte sie ein ernstes Gesicht machen, was ihr aber misslang. Ihre Aussprache ähnelte der von Eydis, betont deutlich, langsam und ohne jeden Dialekt.

„Das ist meine Muttersprache! So, das nennt ihr alt in eurer Zeit. Du bist ein lustiger Typ.“

Ihre Zähne schimmerten ebenfalls weiß, doch sie sahen nicht so perfekt wie bei Eydis aus. Francis fand es unwillkürlich beruhigend, dass sie noch die natürlichen Zähne besaß. Was hatte das junge Mädchen in die Arme der Organisation getrieben? Bevor er eine Frage stellen konnte, kam Jane Wilcox zurück, wollte dem Neuankömmling sein Zimmer zeigen. Es befand sich auf der Etage der Kantine. Francis betrachtete einen kleinen Raum mit einem Bett, Schränken aus Sperrholz und einem separaten Badezimmer. Zweckmäßig eingerichtet, jedoch winzig. Jane versprach ihm Unterwäsche und Oberbekleidung aus den Vorräten.

„Ich lebe komfortabler, weil ich der Boss bin. Theoretisch könnten bis zu fünfzehn Leute bei uns wohnen, doch wir sind chronisch unterbesetzt. Die meisten Kids haben noch nicht das richtige Alter und der Nachschub an Typen aus dem 21. Jahrhundert ist verbesserungsfähig.“

Francis hörte kaum hin. Jane vermittelte zusätzliche Informationen.

„Unser Job ist die Beschaffung von Kindern für das Ausbildungscamp. Leider ist das für mich mit den wenigen Menschen hier recht schwer. Die Kinder müssen todkrank sein, damit die Zeitlinie nicht beschädigt wird. Ihr Verschwinden aus diesem Jahrhundert muss folgenlos bleiben. Die Medizin dieser Zeit ist ein Witz, ein echter Dreck, und bei dem Klima kann aus jeder Erkältung eine saftige Lungenentzündung werden. Dann gibt es die typischen Krankheiten, wie Typhus und Tuberkulose, wenn ein Haufen Leute auf demselben Platz herumsitzen. Hätte ich mehr Personal, wären das gute Jagdgründe.“

„Jagdgründe?“ Francis betrachtete Jane und verzog angewidert den Mund. „Du sammelst Kinder und nennst das eine Jagd? Du stiehlst sie!“

Jane bekam ein rotes Gesicht und hob den Zeigefinger. „Hör zu, du Universitätsfuzzi! Die meisten Kinder sind Mädchen, die werden mit Kusshand abgegeben, sobald sie ernsthaft erkranken. Nur Krieger sind in dieser bescheuerten Gesellschaftsordnung etwas wert. Die Jungs bekomme ich höchstens von Sklavenhändlern, denn krank erzielen sie keinen guten Preis. Ich habe einen Silbervorrat im Keller, von dem bezahle ich die Kinder, wenn ich sie nicht als Geschenk erhalte. Hör auf, mich in eine komische Ecke zu stellen!“

Francis murmelte eine Entschuldigung, allerdings nicht aus Einsicht, sondern um das Gespräch weiterlaufen zu lassen. „Darf ich erfahren, warum du für die Organisation arbeitest?“

Jane bot überraschend eine Besprechung in ihrem Zimmer an. Es war geräumiger als sein eigenes Quartier, doch trotzdem verhältnismäßig karg. Die Wände besaßen eine Holzvertäfelung, was dem Raum eine angenehme Atmosphäre gab. Ein Schreibtisch aus lackiertem Holz mit einem breiten Flachbildschirm füllte ihn aus. Ein schmales Bett sah Francis nebenan. Zwei gepolsterte Stühle vor dem Tisch sollten wohl Besucher aufnehmen. Nur der Stuhl von Jane hatte eine hohe Nackenlehne und einen schwarzen Lederbezug. Anscheinend wollte man ihren Rang so verdeutlichen.

„Was deine Frage betrifft, so sind es zwei Gründe. Natürlich bezahlt man gut. Andererseits reizt mich der Job. Andra beispielsweise kam mit Typhus zur Organisation, stand an der Schwelle des Todes. Nun liest sie griechische Klassiker und heitert die Station mit ihrer lustigen Art auf. Galam sollte einmal Mönch werden, doch Wikinger überfielen das Kloster. Er versteckte sich und wäre anschließend beinahe verhungert. Unsere Leute fanden ihn und brachten ihn in das Ausbildungscamp.“

„Ist ja alles eine tolle Geschichte“, knurrte Francis. „Die barmherzigen Samariter helfen kranken oder verhungernden Kindern. Davon findet man auch im 21. Jahrhundert jede Menge! Warum kümmert sich die Organisation nicht um die?“

Jane nahm auf dem Bürostuhl Platz, schlug lässig die Beine übereinander. Dann zog nachdenklich den sichtlich angekauten Bleistift aus einer Tasche und steckte ihn zwischen die Zähne.

„Vielleicht, weil diese keine hundertprozentig ergebenen Mitarbeiter sein würden?“

Francis zuckte einen Moment zurück. Eine derart offene Antwort hatte er nicht erwartet. Jane griff nach dem Bleistift und spielte damit herum. Ob sie so Unruhe bekämpfte? Schon im Behandlungsraum war ihm die komische Marotte mit dem Stift aufgefallen. Francis konnte die Frau schwer einschätzen. Sie gab sich überraschend gesprächig, machte eine ausholende Handbewegung.

„Reden wir mal über mich. Ich habe diverse schwarze Gürtel in Kampfsportarten. Ein Kindheitshobby, neben Schusswaffen. Meine Jobs - nun - vielschichtig ist ein passendes Wort. Einige Zeit arbeitete ich als Türsteherin vor Diskotheken und auf Umwegen landete ich schließlich hier.“

Der Bleistift fiel aus der Hand. Sie fing ihn geschickt auf, lächelte triumphierend. Francis fand es albern. Von ihm aus konnte sie auf drei Stiften gleichzeitig herumkauen, es interessierte ihn nicht. Er wollte weg!

„Jetzt bin ich hier. Natürlich kenne ich die Ziele meiner Firma. Sie unterwandern mit den erwachsenen Kindern einflussreiche Institutionen. Personen, die sich nur für Geld begeistern, wechseln vielleicht schnell die Seiten. Mitarbeiter aus früheren Jahrhunderten können es nicht. Du weißt schon, der Urkundenfirlefanz. Das erzeugt Abhängigkeit.“

„Wieso machst du bei so etwas mit? Ist dir das Geld wichtig?“

Jane legte den Bleistift auf dem Tisch ab, faltete die Hände hinter dem Kopf.

„Teilweise. Nun leite ich eine Station, trage viel Verantwortung. Die Einheimischen sind ganz nett und das Kindersammeln macht Spaß. Die Resultate meiner Vorgänger sehe ich mit Andra und Galam jeden Tag vor mir. Aber kommen wir zu dir. Der USB-Stick enthielt auch dein Dossier. Offizier, Universitätsstudium. Normalerweise halte ich von Universitätsfuzzis wenig, aber ich kann dich brauchen. Personal ist knapp.“

Francis Stevens ballte erbost die Fäuste und lief rot im Gesicht an. Glaubte sie tatsächlich, dass er sich dieser obskuren Geheimgesellschaft anschließen würde?

„Im Gegensatz zu dir bin ich nicht freiwillig hier, sondern weil eine junge Frau mich hereingelegt hat! Ich werde nicht arbeiten und irgendwelche Kinder besorgen. Ich liefere keine Rekruten für finstere Planungen. Ich will in meine Zeitlinie zurück!“

„Bedauerlicherweise ist der Wunsch unerfüllbar. Eydis benutzte ein Notfallportal, eine Art Einbahnstraße. Eine Rückreise muss von der Organisation arrangiert werden. Falls du mit guten Leistungen Eindruck ...“

Francis hieb mit der Faust auf den Tisch. „Ich habe einmal als Soldat für mein Land gekämpft! Mit der Vergangenheit schließt man sich nicht Leuten an, welche die Gesellschaft unterwandern.“

„Es geht in dieser Zeit primär um die Rettung von Kindern. Andra beispielsweise ...“

„Wird ebenfalls eines Tages eine Sklavin sein! Ich mache keinen Finger für die Organisation krumm. Ich mache überhaupt nichts! Ich werde alles verweigern, bis deine Auftraggeber den Klotz am Bein zurückschicken!“

Er stürmte aus dem Zimmer und knallte die Tür zu. Jane zuckte kurz zusammen, begann wieder am Bleistift zu kauen.

„Hat mich auch gefreut, mit dir zur reden“, knurrte sie.

*

Die folgenden Tage gewann Francis Stevens einen Eindruck von den Abläufen in der Station. Es gab außer dem Mittagessen keine geregelten Essenszeiten. Jeder kam und ging in die Kantine, wie es ihm passte. John Robert, der Arzt, schien überwiegend an Langeweile zu leiden. Er lud Francis zu Schachpartien ein und erzählte dabei von seiner Vergangenheit. Nach mehreren Jahren als Assistenzarzt in der Chirurgie hatte er ein Gespräch mit der Organisation, willigte ein. Es sei die neue Herausforderung gewesen, bekannte er freimütig.

Jane und Galam verließen regelmäßig die Station zu Ausritten, die im Regelfall bei Sonnenaufgang begannen und bis zum späten Abend dauerten. Francis glaubte, eine steigende Besorgnis bei Jane zu erkennen. Sie schwieg über die Ergebnisse der Ausflüge, zog sich mit Galam und dem Arzt zurück zu Besprechungen, deren Sinn und Zweck ihm verschwiegen wurden.

Am Anfang gefiel Francis die Rolle des Außenseiters, er kümmerte sich wenig um die anderen. Er blieb lange im Bett liegen, aß alleine in der Kantine. Was ihn störte, war die Abwesenheit alkoholischer Getränke. Entweder gab es sie nicht oder sie standen in verschlossenen Schränken. Missmutig trank er Säfte und Wasser.

Francis inspizierte die Station, um die Zeit totzuschlagen. Die Zimmer in dem Stockwerk über der Kantine waren zwar offen, doch leer. Sie rochen nach frischen Möbeln und abgestandener Luft, glichen in der kargen Ausstattung seinem Quartier. Die Lagerräume weiter unten enthielten Lebensmittel und Kleider. Andere Räume hatten Türen aus Stahl ohne erkennbares Schloss. Wie öffnete man sie?

Nachdem er alle begehbaren Teile der Station erkundet hatte, wurde für Francis die Langeweile größer. Er vermisste das regelmäßige Bier. Die Wände seines Quartiers schienen näher zu kommen, je länger er sich darin aufhielt. Ziellos wanderte er dann durch die Gänge, wartete in der Kantine auf die nächste Schachpartie mit John Robert. Als das Wetter besser wurde, schlug der Arzt das sogenannte Turmzimmer vor. Francis genoss den unverhofften Sonnenschein und den Ausblick auf die Berge. Die unübliche Menge an Wald faszinierte ihn. So sah Schottland also früher aus.

„Ich kenne einen alten Spruch aus Arabien, der auf dich passt“, meinte John Robert und blies den Rauch seiner Pfeife in die Luft.

„Ach, was?“

„Wer in die Wüste geht, trifft dort sich selbst.“

Francis seufzte. So ein Unsinn! „In Schottland gibt es keine Wüsten.“

„Das ist richtig, aber viel Landschaft und Einsamkeit. Wenn du in eine bewohnte Gegend kommst, werden die Dinge dich schockieren. Die Eingewöhnung an die Zustände dieser Zeit braucht Zeit. Interessante Dopplung, oder?“

„Was du nicht sagst!“

John zog an der Pfeife. „Die Natur in den Bergen ist ein Spiegel, so wie die Wüste. Sie wird deine Gedanken reflektieren und du wirst darin dich selbst erkennen. Manchmal ist das Abbild erschreckend.“

Francis verzog unwirsch den Mund. Er hasste pseudophilosophisches Geschwätz. Die Faulenzerei sorgte auf Dauer für Ungeduld und aufsteigende Wut. Man saß nutzlos herum als Gefangener in einer falschen Zeit.

„Schach!“ John Robert grinste, was Francis überrascht registrierte.

„Noch bin ich nicht am Ende“, wehrte er ab und betrachtete die Figuren.

„Ich bin froh, endlich wieder einen menschlichen Gegner zu haben. Der Computer ist eintönig. Früher spielte ich gegen Inga.“

„Die Deserteurin?“ Francis hatte bemerkt, dass Jane das Thema konsequent totschwieg. Aber vielleicht war der Arzt gesprächiger.

„So würde ich Inga nicht bezeichnen. Es ...“

„Wie soll man sonst jemanden nennen, der seine Pflichten und Freunde im Stich lässt?“

Francis sah Jane. Er hatte sie nicht gehört. Ging sie immer so leise die Stufen hoch?

„John,“ redete sie weiter, „ich plane aufgrund der letzten Erkenntnisse einen langen Erkundungsritt in den Osten. Wir sind mindestens eine Woche weg. Aus Sicherheitsgründen will ich einen Arzt mitnehmen.“

Sie verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Francis runzelte die Stirn. „Was geht da draußen vor?“

„In den Bergen passieren merkwürdige Dinge. Die Einheimischen haben Angst.“ John seufzte. „Jane ist zusätzlich belastet durch die Abwesenheit von Inga. Sie waren ein Herz und eine Seele.“

„Wieso ist diese Inga geflohen?“

Der Arzt stand auf, blinzelte in die Sonne.

„Sorry, aber die Vorbereitungen für morgen müssen getroffen werden.“

Zu seinem Leidwesen teilte John nicht mehr mit, verschwand mit eiligen Schritten. Am folgenden Tag brach Jane auf, ließ Francis und Andra in der Station. Das Mädchen las regelmäßig in ihrem Zimmer, tauchte selten in einem öffentlichen Raum auf.

Francis Stevens fühlte nach der Abreise der Gruppe schnell aufkommende Unbehaglichkeit. Er konnte keine exakte Ursache finden, registrierte lediglich ein körperliches Unwohlsein und verließ sein Zimmer. Die Kantine war leer, das Summen der Kühlschränke bildete die einzige Geräuschkulisse. Der monotone Klang zerrte an den Nerven. Plötzlich hatte er den Eindruck, dass noch jemand anderes im Raum war, drehte sich um. Er sah niemanden. Einbildung? Francis sah verärgert auf die Uhr, wartete mit steigender Ungeduld. Eigentlich sollte Andra auftauchen, ihr Mittagessen einnehmen. Es wurde Zeit für ein Gespräch mit Menschen.

Die Minuten zogen zäh dahin, summierten sich. Andra betrat nicht die Kantine.

Francis verwarf den Gedanken, an der Tür ihres Zimmers zu klopfen. Es würde einen schlechten Eindruck hinterlassen. Allein mit einem fünfzehnjährigen Mädchen in der Station und gleich diese direkte Kontaktaufnahme? Man könnte es falsch auslegen. Er war der Neue, kannte niemanden. Nein, er würde nicht klopfen.

Das Trommeln seiner Finger auf der Tischplatte übertönte eine Weile angenehm das monotone Summen der Kühlschränke. Aus einem unbekannten Grund ging ihm das Betriebsgeräusch auf die Nerven. Francis fühlte eine stärkere Unruhe. Kurz entschlossen stand er auf und verließ die Kantine. Im Gang wurde das Gefühl nicht besser. Die LED-Lampen an der Decke sprangen an, sobald er tiefer in Richtung der Wendeltreppe trottete. Dafür erloschen sie hinter ihm, tauchten den Eingangsbereich zum Speiseraum in Dunkelheit.

„Bewegungsmelder und Energiesparmodus“, sagte er laut vor sich hin, damit ein Geräusch entstand, die unangenehme Stille durchbrochen wurde.

Im Gang hörte man nichts, es gab keine Geräte, nur Lautlosigkeit. Francis hastete mehr die Treppe nach oben, als dass er normal lief. Das neue Ziel war die Luke zum Turmzimmer. Seine Hände ertasteten keinen Hebel, keinerlei Öffnungsmechanismus. Dabei hatte es bei Jane so leicht ausgesehen, ein kleiner Schwenk mit dem linken Arm. Francis fuchtelte herum, suchte eine Lichtschranke, einen Sensor, aber er fand weder das eine noch das andere. Wütend hieb er gegen das Metall.

Die Unruhe in Francis stieg an, er fühlte sich wie betäubt und hielt den Kopf mit beiden Händen fest. Doch die Benommenheit wollte nicht verschwinden. Kalter Schweiß erschien auf der Stirn und ein leichtes Zittern erfasste die Hände. Beim Rückweg klammerte Francis sich an das Geländer, der Boden schien zu schwanken. Er torkelte den Gang entlang. Vorne war der Ausgang, vielleicht konnte er diesen von innen öffnen.

Seine Hoffnung lag auf dem neuen Ziel.

Auch hier erwartete ihn eine Stahltür, ohne jeden Hebel oder ein Schloss. Verzweifelt sank Francis davor zu Boden, hämmerte sinnlos mit den Fäusten dagegen. Das Zittern der Hände wurde stärker, die Umgebung flog plötzlich um ihn herum, wie in einem Karussell.

„Was ist denn mit dir los?“

Andra stand neben ihm. Francis versuchte seine Gefühle in Worte zu fassen, berichtete von den Wänden in der Station, wie sie stetig näher zu kommen schienen. Statt einer Antwort strich das Mädchen mit ihrem linken Arm an der Tür entlang. Mit einem leisen Rollgeräusch glitt der Stahl zur Seite, frische Luft strömte herein und hinterließ auf dem schweißnassen Gesicht von Francis ein angenehm kühles Gefühl. Er robbte hinaus, streichelte mit den Händen die bemoosten Steine, blinzelte in die Sonne. Was für ein Luxus!

„Wir dürfen nicht zu weit weg“, ermahnte ihn Andra. „Die Gegend ist gefährlich. In dieser Zeitlinie gibt es Bären und Wölfe und ich habe keinen Zugriff auf Waffen.“

„Lass mich einen Moment ausruhen.“ Die Sonnenstrahlen erwärmten die Haut, drangen bis in den letzten Winkel seines Körpers. Die Luft roch nach Gras und Vögel verbreiteten frohes Gezwitscher. Ein Windstoß fuhr durch das Haar.

Andra setzte sich zu Francis, musterte ihn nachdenklich. „Klaustrophobie? Hast du Probleme mit engen Räumen?“

Francis hatte keine Ahnung. Normalerweise machte ihm Eingeengtheit nichts aus. Er vermutete eine Mischung aus der Düsternis der Station und dem Gefühl der Hilflosigkeit. Tief sog er die frische Luft ein, genoss das Gefühl des Windes auf der Haut.

„Wie geht das mit den Türen?“

„Es ist ein Chip. Jeder von uns trägt ihn im linken Unterarm. Darauf sind Rechte kodiert und er tauscht Informationen mit elektronischen Schlössern aus.“

Andra sah sich zunehmend nervös, beinahe ängstlich um.

„Wie kommst du alleine in diesem düsteren Bunker klar?“, fragte Francis.

„Es ist kein Problem. Meistens lese ich in meinem Zimmer. Jane nahm mich anfangs mit bei Ausritten. Wir besuchten einen alten Mann und ich freundete mich mit einem Mädchen an, das bei ihm lebt. Aber der Weg hin und zurück ...“ Sie machte eine Pause, schüttelte den Kopf. „In der Station fühle ich mich beschützt. Nur im Freien habe ich Angst.“

Francis lachte gekünstelt. Er fühlte die raue Oberfläche der Steine. Wie konnte man es schön finden, eingesperrt zu sein? Die Gedankenwelt des jungen Mädchens blieb ihm fremd. Die Station war ein verdammtes Gefängnis und keine Zuflucht!

„Dachtest du jemals über deine persönliche Situation nach? Du bist abhängig von den Entscheidungen anderer. Die Organisation kann mit dir machen, was sie will.“

Andra zupfte Moos von den Steinen, warf es achtlos weg. „Sie waren bisher großzügig und ich vermute, dass sie es weiter sein werden. Ohne die Organisation wäre ich tot, ich hatte schweren Typhus.“

Francis empfand solche Empfindungen als naiv und voreilig. „Ich verstehe deine Dankbarkeitsgefühle. Doch du wirst benutzt!“

„Ich weiß!“ Andra drehte den Kopf zu Francis um, registrierte sein Erstaunen. „Man gab mir Bildung, vergiss das nicht. Du bist Eydis begegnet. Sagte sie dir etwas über ihr Gebiss?“

Francis erinnerte sich an die grauenhafte Geschichte, worauf Andra weiter sprach.

„Ich war dabei, als sie nach der Operation und der Erholungsphase erstmals in ein großes Stück fester Schokolade biss. Sie weinte fast eine halbe Stunde lang.“

„Waren die Schmerzen sehr schlimm?“

Andra schüttelte den Kopf. „Nein, sie hatte keine. Sie weinte, weil sie endlich wieder Zähne besaß. Eydis umgibt sich gern mit einem harten Panzer der Gleichgültigkeit. Doch ich habe sie als Mädchen in Erinnerung, dem die Tränen über die Wangen flossen und deren Körper vor Schluchzen bebte. Das sind die Dinge, die uns Natives verbinden. Die Organisation gibt uns eine Zukunft. Solange sie besser ist als die Vergangenheit, mache ich alles mit.“

Sie stand auf und prüfte nochmals die Umgebung.

„Wir müssen hinein. Wenn Probleme auftauchen, klopfe an meine Tür und ich öffne dir die Luke zum Turmzimmer. Dort kannst du stundenlang ohne Risiko die Landschaft betrachten.“

Francis war nicht begeistert. „Ich bin ungern von anderen abhängig.“

„Dann hast du ein Problem!“ Andra sah ihn mit einem Gefühl der Überlegenheit an, hob ihren linken Arm. „Das Ding da drin fehlt dir.“

Grimmig überdachte Francis seine Situation. Sein Tagesablauf bot keine Abwechslung, das Gefühl der grenzenlosen Handlungsfreiheit hatte sich in das Gegenteil verkehrt. Er war nun ein Getriebener, abhängig von der Hilfsbereitschaft eines jungen Mädchens. Die Erkenntnis traf ihn hart.

Francis blickte nicht zurück, als die Luke hinter ihm automatisch die Station abschloss. Er passte weder in die Zeit noch in die Pläne einer obskuren Organisation. Andererseits gab es nur mit Hilfe dieser Leute einen Weg nach Hause. Welche Optionen blieben offen? Die momentan von ihm gewählte totale Verweigerung führte ins Nichts. Er brauchte einen besseren Plan.

Francis grinste verschlagen, als ihm eine passende Idee einfiel. Er musste sich mit Jane anfreunden, den reuigen Mitarbeiter mimen und so sukzessive mehr über die Organisation und die Hintermänner zu erfahren. Irgendwann würde eine Gelegenheit zur Flucht in das 21. Jahrhundert und einem Kontakt zur Polizei auftauchen. Vertrauen heucheln, Jane einlullen und dann diese Geheimgesellschaft auffliegen lassen! Das klang für Francis nach einem ausgezeichneten Plan.

*

„Nützlich machen?“ Jane spielte mit ihrem Bleistift, drehte ihn hin und her. Sie lehnte sich in den Bürostuhl zurück, betrachtete den vor dem Schreibtisch stehenden Besucher kritisch. „Was ist mit dem Typ passiert, der null Bock auf die Arbeit für die Organisation hat?“

„Er ist noch da“, erklärte Francis freimütig. „Aber ich gebe zu, dass mich die Situation verrückt macht. Ich bin gestrandet, irgendjemand im 21. Jahrhundert entscheidet irgendwann über meine Rückkehr. Ich möchte etwas tun, nicht nur herumsitzen.“

Jane drehte den Bleistift mehrmals um die Längsachse, schwieg für die Begriffe von Francis viel zu lange. Ihm fiel auf, dass sie grundsätzlich mit dem Stift spielte, wenn sie ihre Nervosität bekämpfen wollte. Manche kneteten die Finger, sie benutzte einen Bleistift. Ließ das Rückschlüsse auf Charaktereigenschaften zu?

„Nun, Misstrauen ist bei mir vorhanden. Bist du scharf auf den Chip im Arm?“

„Während eurer Abwesenheit bat ich Andra ständig um Zutritt zum Turmzimmer. In deinem Bunker bekomme ich psychische Probleme.“

Jane verriet nicht, ob sie die Freimütigkeit respektierte. Mit ausdruckslosem Gesicht betrachtete sie Francis. Kälte lag darin und tiefe Ungläubigkeit. Sie schenkte seinen Worten wenig Glauben, das war ihm klar.

„Du würdest meine Befehle ausnahmslos akzeptieren? Die Entscheidungen einer ehemaligen Türsteherin?“

„Nun, jemand hat sich etwas dabei gedacht, dich zur Stationsleiterin zu machen.“

Jane verzog genervt den Mund, begann am Bleistift zu kauen. „Das klingt nicht überzeugend! Ich habe keine Offiziersausbildung, doch viel Erfahrung mit Menschen und diesem Jahrhundert. Ich spreche Gälisch perfekt, baute mir ein Netzwerk von Bekannten auf. Das ist meine Erfolgsstory.“

Francis zog die Augenbrauen hoch. Nutzloses Geschwätz um den heißen Brei. Sie wich aus. Er musste direkter werden. „Eine Verteidigungsrede?“

Jane hielt einen Moment inne, kaute intensiver auf dem Stift. „Quark! Kommen wir zurück zu deinem Antrag. Du sprichst Alt-Irisch und kannst ein Pferd reiten. Was fehlt, ist die Waffentechnik.“

Francis winkte ab. „Aus meiner Zeit bei den Marines kenne ich viele Waffentypen. Ebenfalls bin ich Experte für Sprengstoff.“

Jane warf verächtlich den Bleistift auf den Tisch. Er rollte auf der Oberfläche entlang, fiel schließlich klappernd auf den Metallboden. „Wie sieht es aus mit Schwertern und Pfeilen?“

Francis zwinkerte irritiert. „Was?“

Jane schlug lässig die Beine übereinander und faltete die Hände auf dem Schoß. „Wir arbeiten getarnt, geben uns als Einheimische aus. Leider gibt es viel Gewalt, Typen mit Schwertern und Äxten. Unsere Pistolen sind nur zum Selbstschutz als letzte Verteidigung gedacht.“

„Schwerter? Äh, ich meine, das ist - ähm - eine altmodische Kampfmethode!“

Jane richtete ihren Körper auf, legte die Arme auf dem Schreibtisch ab.

„Passend zum Jahr 902. Galam bildet dich im Schwertkampf aus und wird mir berichten, ob du was taugst.“ Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Die letzte Mission brachte merkwürdige Erkenntnisse. Wir verhalten uns die nächsten Wochen deshalb ruhig, bleiben in der Station. Die Zeit kann Galam für dein Training nutzen.“

„Was für Erkenntnisse?“

„Nichts, was dich betrifft“, wich Jane aus. „Seitdem der USB-Stick bei uns liegt, geschehen da draußen ungewöhnliche Dinge.“ Sie blickte nervös zur Seite. Es kam Francis vor, als wollte sie ihre Mimik vor ihm verbergen. Wozu? Was lief im Hintergrund? „Ich sage Galam Bescheid. Verlasse jetzt mein Zimmer.“

Francis fand die Situation mysteriös. Mit Schwertern zu üben hielt er für anachronistisch, jedoch führte der Weg zurück in das 21. Jahrhundert nur über die Mitgliedschaft in der Organisation. Im Detail bedeutete dies, den Anweisungen und Forderungen einer ehemaligen Türsteherin zu folgen. Francis fühlte sich unwohl bei dem Gedanken. Jane war nett, doch das reichte nach seiner Ansicht nicht für die Qualifikation als Anführerin einer Gruppe aus. Sie verbarg vor ihm die bei den Ausritten gewonnenen Ergebnisse. Ihre nebulösen Bemerkungen fand Francis wenig vertrauenserweckend. Sie verschwieg ihm Details nicht nur aus Misstrauen, wie er zu erkennen glaubte. Jane wusste wenig, hatte aber Vermutungen, die ihr Angst einjagten.

„Ich werde üben“, sagte Francis mit trockenem Mund und flauem Gefühl im Magen.

*

Francis taumelte zurück. Die Wucht des Schlages von Galam traf ihn unvorbereitet. Bedrohlich hob sein Sparringspartner erneut das Schwert und ließ es in einem eleganten Schwung herabfallen. Diesmal wich Francis aus, entging dem Treffer an den Beinen. Sein Gegenangriff scheiterte grandios, die Klinge Galams schlug hart gegen die linke Schulter und verursachte einen stechenden Schmerz. Francis schrie auf, krümmte den Rücken. In der linken Körperhälfte fühlte er gar nichts mehr.

„Du bist zu langsam“, bemerkte Galam sachlich. „Deine Bewegungen sind vorhersehbar und die Beinarbeit ist grauenhaft. Außerdem ermüdest du zu schnell, die Gesamtfitness ist das größte Problem.“

„Ich bin aus der Übung.“ Francis keuchte und griff zur Wasserflasche am Boden. Wie ein Verdurstender schüttete er fast die Hälfte in einem Zug gierig in die Kehle. Die Wochen seit seiner Entlassung hatte er im Pub verbracht. Die Rache dafür folgte nun auf dem Fuße. Ein drahtiger junger Mann zeigte ihm deutlich die Fehler der Vergangenheit auf.

„Du solltest die Wendeltreppe mehrmals am Tag hinauf und wieder herunterlaufen“, schlug Galam vor. „Das ist ein gutes Training. Wir machen eine Pause.“

Francis nickte dankbar. Sie übten in einem fast leeren Lagerraum. Lediglich in einer Ecke standen gestapelte Dosen, die Etikette deuteten auf Fertignahrung hin. Galam saß auf dem Boden, drehte gelangweilt das Holzschwert in den Händen, während Francis den Schweiß von der Stirn wischte. Er atmete stoßweise und schnell.

„Gibt es eigentlich eine Art Terminplan für deinen Einsatz im 21. Jahrhundert?“, erkundigte er sich wie beiläufig, um sein Wissen zu vergrößern.

„Nein. Es ist abhängig von der Punktzahl des Personalkontos. Der Dienst in Stationen erhöht die Zahl, sofern die Leiter mit der Arbeit zufrieden sind. Eydis durfte in deine Zeit reisen. Sie war bereit.“

„Diese Politikersache“, ergänzte Francis und studierte dabei die Mimik von Galam. Doch er blieb gelassen, schien den Auftrag nicht zu kennen. „Welche Fähigkeiten besitzt du, die im 21. Jahrhundert gebraucht werden?“

„Wenige“, gab der junge Mann zu, spielte mit seinem Schwert. „Ich beherrsche Schusswaffen, bin körperlich gut trainiert. Außerdem habe ich einen sechsten Sinn für Gefahren. Lediglich Eydis ist darin besser als ich. Jane meinte, dass ich als Bodyguard arbeiten könnte. Da passt man auf wichtige Leute auf. Ist das korrekt?“

Francis nickte zustimmend. Wer gefährdete Personen schützte, erfuhr viel über ihr Privatleben. Gewisse Leute würden intime Details interessant finden, sie für eigene Zwecke verwenden. Unruhe erfasste Francis. Während in der Gegenwart ein Netzwerk geflochten wurde, dessen Ausdehnung und Gefährlichkeit keiner kannte, saß er in der Vergangenheit fest. Weshalb die ominösen Meister der Zeit und die Organisation miteinander kämpften, war für Francis unwichtig. Beide Parteien mussten gestoppt und zerschlagen werden.

„Wieso ist diese Inga desertiert? Warum machte sie die Spielchen hier nicht mehr mit?“

Der junge Mann stoppte das Spiel mit der Waffe, seine Hände umklammerten für einen Moment den Schwertknauf sehr heftig. Dann wurde er ruhig. Galam machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Ich mag lange Geschichten“, erwiderte Francis. Galam wollte dem Thema ausweichen, Francis spürte es deutlich. Wenn er am Ball blieb, redete der Mann bestimmt. Sein Gesprächspartner schwieg einige Sekunden, starrte die gegenüberliegende Wand an.

„Inga war die gute Seele der Station und die Stellvertreterin von Jane.“

„Mit Jane kommt man prima aus, oder?“

„Sogar perfekt!“

Francis grübelte. Positive Zusammenarbeit und trotzdem Desertion? Wieso entschied Inga so? Das passte nicht zusammen. Francis ließ das Thema fallen. Andere Informationen waren jetzt wichtiger.

„Bestimmt freust du dich schon auf das 21. Jahrhundert und kannst die Versetzung kaum erwarten?“

Galam drückte den Schwertknauf so fest, dass die Knöchel der Finger weiß wurden. „Es hält mich etwas hier. Sie heißt Fenella.“

Abrupt stand Galam auf. Eine Zornesfalte zeigte sich auf seiner Stirn. Francis überraschte die Reaktion. Was war schief gelaufen?

„Wir machen heute Nachmittag weiter. Bis dahin läufst du mehrfach die Treppe auf und ab. Dein Training war bisher nicht aktiv genug, du strengst dich zu wenig an. Falls keine Änderung passiert, werde ich Jane sagen, dass du ungeeignet bist.“

Francis blickte irritiert. Okay, das mit dem Schwertkampf hatte er etwas ruhig angehen lassen. Galam hingegen nahm es anscheinend sehr ernst.

„Du wirst dich die nächsten Tage anstrengen wie verrückt, oder es ist vorbei mit der Aufnahme in die Organisation. Ist das klar? Ich bin dein Trainer und kein Ausgleich für fehlende Gesprächspartner. Ab sofort keine Fragen mehr sondern viel Schweiß!“

Er ließ er das Holzschwert fallen und stürmte aus dem Raum. Francis blieb erschrocken zurück und trank die Wasserflasche leer. Leicht schwankend verließ er den Übungsraum. Die mangelnde Fitness zeigte sich deutlich, der Kreislauf machte Probleme. Francis erkannte bitter seine Unfähigkeit, den Anforderungen gerecht zu werden. Der Mitgliedschaft in der Organisation war er nicht wesentlich näher gekommen. Das Training musste intensiviert werden, sonst fiel jede Hoffnung auf eine Heimkehr flach.

Langsam begann die Verzweiflung an Francis zu nagen.

*

Einige Tage später vermisste Francis seinen Sparringspartner. Im Übungsraum empfing ihn gähnende Leere. Galam besaß einen ausgeprägten Sinn für Pünktlichkeit. Einen Termin zu versäumen passte nicht zu ihm. Francis fühlte aufsteigende Unruhe. Hatte Jane heimlich das Training abgesagt? War sie mit seiner Leistung unzufrieden? Francis hatte alle Möglichkeiten zur Formsteigerung ausgenutzt, bis zur völligen Erschöpfung trainiert. Das sollte man honorieren.

Francis blickte suchend und mit nervös gefalteten Händen in den menschenlosen Gang. An der Wendeltreppe sah er einen fahlen Lichtstrahl, was auf eine offene Luke zum Turmzimmer hindeutete. Neugierig geworden, erklomm Francis kurzentschlossen die Stufen.

Galam und Jane standen an der als Felsen kaschierten Brüstung, starrten angestrengt durch Ferngläser. Niemand beachtete ihn. Die beiden schwiegen, bewahrten äußerste Konzentration. Francis stellte sich absichtlich neben Jane, versuchte das anvisierte Objekt zu entdecken. In der Blickrichtung sah er nichts, was zunächst Frust bei ihm weckte. Erst nach einer Weile bemerkte er eine Rauchsäule, die in größerer Entfernung hinter einer Hügelkette in den Himmel stieg. Die Farbe war dunkelblau bis schwarz, der Rauch hatte nur eine kleine Ausdehnung. Es schien kein Waldbrand zu sein.

Jane setzte ihr Fernglas ab, während Galam weiter auf die Rauchsäule starrte.

„Probleme?“, erkundigte sich Francis.

„Vielleicht!“, erwiderte Jane wortkarg. Ihr Gesicht spiegelte Nachdenklichkeit und Besorgnis.

„Könntet ihr mich einweihen? Was bedeutet der Rauch?“

„Große Schwierigkeiten!“, entgegnete Galam.

Francis verdrehte verärgert die Augen, was Jane zu einem schwachen Grinsen reizte.

„Der Ort ist etwa fünf Meilen Luftlinie entfernt. Es handelt sich um einen befestigten Platz, Sitz eines Clans. Häuser aus Holz, Torf und Lehm, umgeben von zwei konzentrischen Steinmauern und tiefen Gräben. In dieser Zeit bedeutet das knapp vierzig Krieger und deren Familien.“

„Die Rauchmenge entsteht nur, wenn buchstäblich alles brennt“, fügte Galam hinzu. „Ich schließe einen Unfall aus. Wir hatten bis vor kurzem Regenwetter. Das Stroh der Dächer muss noch feucht sein. Darum ist der Rauch dunkel.“

„Die Häuser brennen also von innen nach außen“, meinte Francis, worauf Jane nickte.

„Vermutlich ein Überfall. Aber ich kapiere das nicht! Der Clan ist uneingeschränkter Herrscher des Gebietes um uns herum, friedlich zu anderen. Niemand redet schlecht über sie. Die Steinmauern sind gut zu verteidigen. Seit Sonnenaufgang vergingen nur ein paar Stunden. Jetzt brennt alles!“

„Okay, irgendjemand hat den Clan überfallen“, bemerkte Francis ungerührt. Wieso schenkte man den üblichen Zwistigkeiten des aktuellen Jahrhunderts so viel Aufmerksamkeit? „Diese Zeit ist brutal, dauernd sterben irgendwelche Leute einen gewaltsamen Tod. Was kümmert uns das?“

„Das sind keine Fußnoten in einem Geschichtsbuch, sondern Tragödien, du Universitätsfuzzi“, knurrte Jane. „Ob es mit den Nachrichten in den letzten Tagen ...“

Sie ließ den Satz unvollendet, hob stattdessen abermals das Fernglas. Sie schien mit sich selbst zu hadern. Die Hände zitterten leicht.

„Wir müssen näher heran“, forderte Galam.

Jane schwieg, starrte die Rauchsäule an. Francis wurde zunehmend unruhig. Warum klärte man ihn nicht auf? Was war besonders an diesem Überfall, dass Jane so nervös darauf reagierte? Wen interessierte der Angriff auf ein Dorf? Die Organisation arbeitete geheim und ohne Einmischung in die Zeitlinie, wie man erklärt hatte. Nach dem Verständnis von Francis konnte man die Angelegenheit mit dem Clan ignorieren.

„Wir müssen sicher sein“, sprach Galam nochmals eindringlich. „Du weißt, was auf dem Spiel steht!“

Jane kämpfte sichtlich mit ihren Emotionen, vermied den direkten Blickkontakt und legte die Hände auf die Brüstung. Ein Windstoß blies eine Haarsträhne in ihr Gesicht, sie ignorierte es. Ihre Augen schweiften über die Landschaft. Die Finger trommelten auf dem Plastik, erzeugten dumpfe Töne. Schier endlos vergingen die Sekunden.

„Einverstanden, aber nicht mehr heute. Die Angreifer könnten noch in der Gegend sein. Morgen bei Sonnenaufgang reiten wir los.“ Sie drehte sich zu Francis um. „Es gibt in letzter Zeit komische Gerüchte von herumziehenden Händlern. Da draußen geschehen merkwürdige Dinge und sie wandern vom Landesinneren in Richtung Westküste.“

„Was für Dinge?“

Jane verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust und blickte zu Boden.

„Leider macht keiner den Mund auf. Vor lauter Aberglauben und Angst weigern sie sich, es genauer zu beschreiben. Sie wollen damit verhindern, dass es sie trifft.“

„Hüte dich, über den Teufel zu sprechen, sonst kommt er zu dir“, zitierte Francis einen alten Spruch.

„So ungefähr. Morgen werden wir auf jeden Fall Neues erfahren. Vielleicht sogar mehr, als uns lieb ist.“ Sie musterte Francis herausfordernd. „Interesse an einem ersten Ausritt für die Organisation?“

„Wie sieht die Bewaffnung aus? Bekomme ich eine Pistole?“

Als Jane den Kopf schüttelte, klappte bei Francis der Unterkiefer nach unten. „Nein! Galam ist mit deinen Fortschritten im Schwertkampf zufrieden. Auch deine Fitness wird besser.“

„Was? Ich soll morgen in das Unbekannte reiten mit einem Schwert als alleinige Waffe?“

Jane zeigte keine Gefühlsregung. Ruhig musterte sie Francis, mit einer Spur Spott im Blick, wie er meinte. Er wurde aus der Frau nicht schlau. Sie führte ihn an der Nase herum.

„Wie du schon sagtest: Die Zeit ist brutal und dauernd sterben irgendwelche Leute einen gewaltsamen Tod.“ Sie grinste schnippisch. „Das ist die Gelegenheit für einen Universitätsfuzzi, diese Dinge persönlich kennenzulernen. Interesse?“

Francis kämpfte mit seinen Emotionen. Der Ausflug in die Landschaft wäre ein Sprung in das kalte Wasser einer gefährlichen Welt. Jane warf ihn direkt hinein, ohne geeignete Ausrüstung. Sollte er zustimmen? Wie würde sie auf eine Ablehnung reagieren? Er musste ein vollwertiges Mitglied der Organisation werden, um jeden Preis! Sonst kam er nie zurück in seine eigene Zeit.

„Ich gehe mit“, erwiderte Francis schließlich tonlos. Was ging hier vor?

*

Jane wählte einen Pfad dicht an den Bergen. Die Landschaft zeigte ihre herbe Schönheit, wenige Gräser und Sträucher wuchsen auf dem dünnen Humus, die Pferde traten zumeist auf Moose und Flechten. Licht und Schatten wechselten je nach Höhe der umgebenden Hügel. Flächen mit großen Steinen bildeten Hindernisse, zwangen zum Absteigen. Francis fragte sich, ob sie überhaupt jemals ankommen würden.

Sie wichen weitläufigen Moorlandschaften aus, mit vielen Büschen und einzelnen Bäumen. Francis hatte öfters den Eindruck eines Zickzack-Kurses, den Jane einschlug. Mal ging es durch dichten Wald, Vögel zwitscherten fröhlich, dann kam wieder eine karge Steinebene. Nur Grasbüschel wuchsen in rauer Menge. Die Hufe der Tiere machten helle Geräusche auf dem felsigen Untergrund.

Nur Galam und Jane besaßen Pistolen, versteckt unter dem Überwurf, welcher, mit Spangen an der Tunika befestigt, als Mantel diente. Beim Aufbruch aus der Station hatten sie merkwürdige längliche Lederbeutel an ihren Sätteln angebracht, Auskünfte über den Inhalt abgelehnt.

Francis schwitzte unter den beiden Tuniken. Man trug in dieser Zeit eine Leinentunika, die bis zu den Oberschenkeln reichte, direkt am Körper und eine aus grober Wolle darüber. Das unterband zwar das Scheuern auf der Haut, doch in den sommerlichen Temperaturen führte es zu einem Hitzestau. Der Schweiß rann in Strömen, machte unangenehm die Leinenhose nass. Francis fragte sich ernsthaft, ob es für einen Beobachter aussah, als hätte er es nicht zur Toilette geschafft. Das Gefühl einer vollen Blase spürte Francis keineswegs. Die Unmengen an Wasser, die er aus den Feldflaschen trank, schien er vollständig auszuschwitzen.

Hinter zwei eng beieinanderstehenden Bergen sah Francis ein bewaldetes Tal, in das der breite Bach mündete. Die Pferde wurden an der Hand langsam durch das Wasser geführt, das in die Lederstiefel der Reiter eindrang. Francis kam die Abkühlung nicht ungelegen. Platschend tönten die Beine der Tiere im Wasser, Libellen flogen elegant herum. Francis widerstand dem Wunsch, sich einfach hineinfallen zu lassen und die Erfrischung zu genießen. Jane würde schlimmer reagieren als sein alter Sergeant während der Grundausbildung.

Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich der Bach in die Landschaft eingegraben. Links und rechts verhinderten dichte Sträucher einen Blick von außen hinein. Leider galt das auch umgekehrt, wie Francis mit Bedauern feststellte. Bei jedem Rascheln in den Sträuchern griff er erschrocken nach dem Schwert an seiner Seite. Am Ende des Einsatzes hatte er bestimmt einige graue Haare. Verkniffen ging er weiter. Das Rascheln störte außer ihm niemanden sonst.

Der Wind spielte mit den Büschen an den Ufern und gelegentlich flog ein Vogel vorbei. Ansonsten saßen sie in den Sträuchern, sangen laut. Alles vermittelte einen friedlichen Eindruck, den nur die besorgten Gesichter der beiden Begleiter trübten. Jane hatte auf dem Bachbett bestanden, wollte eine unbemerkte Annäherung an den Wohnort des Clans.

Galam hob die Hand, forderte zum Halt auf. Francis erkannte weiter vorne eine Biegung und eine sonnenbeschienene Fläche. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass der Graben des Baches seichter wurde. Jane nagte an der Unterlippe, hielt die Zügel ihres Pferdes fester als vorher. Dann öffnete sie den Lederbeutel an ihrem Sattel und zog einen metallisch schimmernden Gegenstand daraus hervor. Francis hätte beinahe durch die Zähne gepfiffen.

„Eine L85? Woher habt ihr das Standardgewehr der Armee?“

Jane legte den Finger auf den Mund und drückte ihm das Gewehr in die Hand. Francis betrachtete es fachmännisch. Es war gepflegt, besaß ein Zielfernrohr und ein gut gefülltes Magazin mit Patronen des Kalibers 5,56 mm. Der Knauf war glatt, ohne Kratzer, genau wie die anderen Teile. Die Waffe sah aus, als käme es direkt aus der Fabrik, unbenutzt, unberührt. Francis glaubte den leichten Geruch nach Öl wahrzunehmen, vermengt mit Plastik. Die L85 sah unterschiedlicher aus als die Versionen, die er aus seiner Dienstzeit kannte. Keine Gebrauchsspuren, keinerlei Abnutzung, fast ein Ausstellungsstück.

„Ab hier kann es brenzlig werden“, flüsterte Jane und nahm ihm die Zügel seines Pferdes ab. Zusammen mit ihrem band sie es an einem Baum fest, der am Rande des Baches wuchs. Galam tat dasselbe. Francis sah ebenfalls ein Gewehr des gleichen Typs bei ihm, was sein Misstrauen verstärkte. Hatte Jane nicht gesagt, dass Schusswaffen die letzte Option seien? Womit rechnete sie, dass man mit Schwertern und Pistolen schlecht bekämpfen konnte?

Jane ging langsam vorwärts, trug keine Waffe in der Hand, nur ein Fernglas. Lediglich die Schwertscheide an ihrer Hüfte schimmerte im Sonnenlicht. Das Gewässer wurde breiter, Francis sah braune Erde an den Uferbänken. Bäume schwankten im auffrischenden Wind, zauberten ein Spiel von Licht und Schatten. Neben dem Geruch nach feuchtem Gras und Moos bemerkte Francis eine andere Duftnote – Rauch! Schwach drang er in die Nase, die Quelle musste nahe sein.

Galam blieb am rechten Ufer, lief geduckt die Büsche entlang. Dabei schritt er betont langsam durch das Wasser wie ein Storch, um kein verräterisches Plätschern zu erzeugen. Weiter vorne mündete der Bach in eine Wiese und das Gelände wurde flacher. Ein Bergtal lag vor Francis, mit dunkelgrünen Weiden und wenig Bewuchs mit Sträuchern und Bäumen. Wer die Zone des Bachbettes ab hier betrat, konnte von jedem gesehen werden, hatte keinerlei Deckung. Jane stoppte deshalb und winkte ihren Begleitern zu. Sie legte sich am Ufer an den Hang, der ihr knapp bis zur Hüfte reichte, und drückte vorsichtig Zweige eines Gebüsches auseinander. Francis bezog Stellung daneben, während Galam absichtlich mit dem Rücken an der Böschung lehnte, um die gegenüberliegende Seite beobachten zu können. Jane deutete mit verkniffenem Gesicht nach vorne.

Francis sah einen kleinen Hügel in der Mitte des Bergtales. Der Bach floss daran vorbei. Auf der Anhöhe erkannte er zwei konzentrische Steinwälle mit einer Holzpalisade und einem zusätzlichen Graben vor dem ersten Wall abgesichert. Hinter den Mauern mussten einmal Hütten gestanden haben, doch jetzt bemerkte Francis nur schwarze Holzstümpfe, aus denen Rauch schwach hervortrat. In den steinernen Wänden klaffte ein breites Loch, das aussah, als hätte ein Riese es mit der Faust zertrümmert. Die ausgebrochenen Steine erzeugten weit ausgebreitet davor ein unregelmäßiges Muster. Raben flatterten in den Ruinen, bildeten an vielen Stellen dichte Gruppen am Boden.

Francis legte das Gewehr an, um durch das Zielfernrohr einen genaueren Blick zu haben. Ein kalter Schauer jagte über den Rücken. Die Vögel hackten auf Leichen herum, die zwischen den Trümmern lagen. Manche hielten noch das Schwert in der Hand, andere hingen in bizarren Positionen an Resten von Viehtränken oder streckten verkohlte Arme in den Himmel. An der Außenseite des ersten Mauerwerks sah Francis Frauen liegen. Man hätte sie für Schlafende halten können. Die Oberkörper lehnten an der Mauer, doch die Köpfe waren zur Seite gekippt. Kinder und Babys lagen daneben. Raben landeten bei ihnen, hüpften näher.

Francis wandte sich ab. Sein Magen rebellierte, die Übelkeit wollte nach oben. Er begann zu würgen. Mit ruhigem Atmen versuchte Francis es wieder unter Kontrolle zu bekommen. Jane hingegen starrte scheinbar gelassen durch ihr Fernglas.

„Das ist der Unterschied zwischen einem trockenen Satz im Geschichtsbuch und der Realität. So sieht es aus, wenn dauernd irgendwelche Leute umgebracht werden.“

Francis verzichtete auf eine Erwiderung, obwohl er sich für seine gestern so salopp gesprochene Bemerkung schämte. Jane hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Wieso reagierte sie so gelassen auf die Situation? Was hatte sie bisher erlebt?

Jane sah zu Galam. „Sie haben die Frauen und Kinder ebenfalls getötet!“

Der junge Mann schwieg, betrachtete die andere Seite. Doch außer einer Wiese gab es dort nichts zu sehen. Die Angreifer schienen weit weg zu sein. Trotz der modernen Waffen war Francis darüber erleichtert. Grauen lag in der Luft. Es kroch heran, in kleinen Schritten.

„Das macht die Sache kompliziert“, lautete Galams Antwort nach einer langen Pause. Francis konnte mit der Anspielung wenig anfangen. Warum sollte jemand Frauen und Kinder verschonen? Nächstenliebe? Kaum anzunehmen. Jane klärte ihn auf.

„Frauen im gebärfähigen Alter sind ein Vermögen wert, ebenso gesunde Kinder. Auf einem Bauernhof wird jede helfende Sklavenhand gebraucht, es gibt viele potentielle Käufer. Das Töten von Kriegern ist normal, doch Frauen und ihren Nachwuchs kann man für einen guten Preis als Sklavinnen verkaufen. Sie umzubringen ist Quatsch.“

„Dann waren die Angreifer wohl besonders brutale Typen“, vermutete Francis.

Jane schüttelte energisch den Kopf. „Man überfällt in diesem Jahrhundert niemanden aus Spaß, sondern wegen der Beute. Junge Frauen zu ermorden ist neben der Brutalität ökonomischer Schwachsinn. Das wäre übertragen auf unsere Zeit das Verbrennen der Geldscheine eines Banküberfalls am Lagerfeuer. Wer ist doof genug dafür?“

„Gibt es tote Tiere?“, fragte Galam plötzlich.

Jane hob erneut das Fernglas an und gab eine negative Antwort. „Sie wurden gestohlen. Das ist merkwürdig.“

Sie stand auf, ging in gebückter Stellung zurück zu den Pferden. Galam schloss sich ihr ohne Worte an. Francis konnte den raschen Rückzug nicht nachvollziehen. Es waren noch viele Fragen offen.

„Wieso hauen wir jetzt ab? Erst erzähltet ihr mir davon, dass angeblich alles kompliziert sei. Doch nun verfügen wir mit dem geraubten Vieh über das Motiv für den Überfall, den Wunsch nach Beute.“

Galam verstaute sein Gewehr in dem Lederbeutel, während Jane die Zügel der Pferde löste. Anschließend streckte sie Francis auffordernd die Hand entgegen, verlangte seine Schusswaffe. Widerwillig händigte er sie aus.

„Könnte mir jemand ...“

„Es ist kein klassisches Motiv!“, widersprach Jane mit ernster Miene. „Sie haben die Frauen getötet, aber das Vieh mitgenommen. Das Verhalten ist widersprüchlich. Es macht keinerlei Sinn, aber unter Berücksichtigung weiterer Möglichkeiten durchaus. Das ist meine Herausforderung.“ Sie warf Galam einen vielsagenden Blick zu. „Ich muss eine harte Entscheidung treffen!“

„Das Orakel?“, erkundigte sich der junge Mann.

„Es gibt kaum Alternativen.“

Francis verstand nichts. Was sollte das Geschwafel? Entscheidungen traf man nach gründlicher Überlegung. Orakel? Was bedeutete der Unsinn? Jane lachte für einen Moment, als sie das Gesicht von Francis sah, wurde dann aber wieder ernst.

„Es ist natürlich kein echtes Orakel, ich nenne ihn lediglich so. Es ist in Wahrheit ein alter Mann, er heißt Jeremiah und lebt in der Nähe in einer kleinen Hütte. Er stammt aus unserer Zeit und befindet sich schon seit etwa fünfzehn Jahren in diesem Jahrhundert. Früher sammelte er die ersten Kinder für die Organisation und seinem Netzwerk an guten Kontakten kann man vertrauen. Sogar Häuptlinge gehen zu ihm und fragen nach Rat.“

„Und was soll Jeremiah für dich tun?“

„Mich unterstützen.“ Jane griff die Zügel ihres Pferdes und führte es den Weg zurück.

Francis schüttelte verärgert den Kopf. Sie vertraute ihm kein bisschen, verschwieg weiterhin Informationen. Hier geschahen merkwürdige Dinge und Jane hatte Kenntnisse über die Angreifer, das spürte er. Ebenso hatte sie Angst! Jane bekam Panik, langsam aber stetig. Wieso?

Gestrandet in der Zeit

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