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Anselm Grün

Bekenntnisse • Matthäus 16,13–20

Diese Stelle aus dem Matthäusevangelium ist in der Kirchengeschichte sehr kontrovers ausgelegt worden. Im 19. Jahrhundert zog man diese Stelle in der katholischen Kirche zur Begründung des Papsttums heran. Die evangelischen Exegeten haben dem immer widersprochen. Doch heute herrscht zwischen katholischen und evangelischen Exegeten ein großer Konsens. Wichtiger als die Frage, ob mit der Seligpreisung des Petrus der Primat des Papstes gemeint ist oder nicht, ist für mich eine Auslegung, die für unser ganz persönliches Leben als Christen eine Bedeutung hat. Eine Deutung ist für mich nur dann gut, wenn sie eine Bedeutung für mein persönliches Leben hat. Daher möchte ich diese Stelle in diesem Sinn auslegen.

Jesus fragt die Jünger, für wen die Leute ihn, den Menschensohn, halten. Die Antworten, die die Jünger geben, lauten: die einen für Johannes den Täufer, die anderen für Elia, wieder andere für Jeremia. Für mich werden in diesen drei Gestalten Bilder von Jesus sichtbar, die sein Wesen letztlich verfehlen.

Johannes der Täufer ist der typische Asket. Askese und Kampf gehören durchaus zum christlichen Glauben. Doch Jesus ist nicht wie Johannes. Wenn ich Askese absolut setze, wird der Glaube zur Lebensverneinung. Ich darf mir nichts mehr gönnen. Der christliche Weg wird dann zu einem Wettkampf, wer die größten Verzichte leisten kann. Das aber wäre eine Verfälschung des christlichen Weges. Askese ist Einübung in die innere Freiheit. Und als solche gehört sie durchaus zum Glauben. Aber sie darf eben nicht absolut gesetzt werden.

Elija dagegen ist der große Prophet. Jesus wird von den Evangelisten durchaus auch als Prophet gesehen, der den Menschen das Wort Gottes verkündet. Jesus selbst identifiziert sich manchmal mit dem Bild des Propheten, wenn er etwa sagt: »Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat« (Mk 6,4). Oder wenn er von sich selbst sagt: »Ein Prophet darf nirgendwo anders als in Jerusalem umkommen« (Lk 13,33). Doch schaut man sich die Gestalt des Propheten Elija genauer an, werden auch die Schattenseiten des Prophetentums deutlich: Er fühlt sich absolut im Recht und schleudert das Wort Gottes gegen die Menschen. Er tötet sogar alle Baalspriester, weil sie nicht dem rechten Gott opfern. Jesus kennt diese Rechthaberei nicht. Heute verstehen sich manche Christen ebenfalls als Propheten, die nicht auf die Menschen und ihre Sehnsucht zu hören haben, sondern im vollen Bewusstsein, dass sie im Recht sind, die Worte Gottes gegen die Menschen schleudern. Es bleibt zu fragen, ob es tatsächlich immer die Worte Gottes sind, die sie im Mund führen, oder ob sie sich mit dem archetypischen Bild des Propheten identifizieren und dann blind sind für das eigene Streben nach Macht und Rechthaberei, die sie im Bild des Propheten ausleben.

Jeremia als letztes Bild Jesu ist eine Symbolfigur für den leidenden Gerechten. Das ist durchaus passend für Jesus, denn die Passion ist wesentlich für ihn. Doch auch hier gilt: Wenn das Leiden verabsolutiert wird, wird es leicht zum Masochismus. Manche Christen sind direkt verliebt ins Leiden. Jesus hat es nicht gesucht. Es ist ihm widerfahren und er hat es in Hingabe verwandelt. Aber manche Menschen leiden lieber, anstatt aktiv zu werden und die Probleme, unter denen sie leiden, zu lösen. Jesus nimmt das, was sein Leben durchkreuzt, an. Aber er sucht das Kreuz nicht von sich aus.

In all den genannten Identifikationsfiguren ist also immer nur ein Teilaspekt Jesu enthalten. Nun fragt Jesus die Jünger: »Ihr aber, für wen haltet ihr mich?« (Mt 16,15). Und Petrus bekennt stellvertretend für alle Jünger: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16). Jesus ist der Messias, der uns in die Freiheit führt, der uns befreit von negativen Bindungen. Und er ist der Sohn des lebendigen Gottes, was Matthäus besonders betont. Im Griechischen heißt es hier: Theos zon. Das ist ein Bild für den lebendigen Gott, der in der Geschichte handelt, im Unterschied zu toten Götzen (vgl. Luz 461). Für mich sind das zwei wichtige Kriterien, ob mein Jesusbild stimmig ist oder nicht: wenn ich mich frei fühle und ich lebendig bin, kann ich sicher sein, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich kenne Christen, die vor lauter Gesetzesdenken innerlich unfrei sind. Sie zwängen sich in Normen hinein und meinen, diese seien von Jesus so vorgegeben worden. In Wirklichkeit entstammen sie dem eigenen Über-Ich. Andere sind vor lauter Druck, alle Gebote zu erfüllen, innerlich erstarrt. Von ihnen geht keine Lebendigkeit aus. Nur dort, wo ein Mensch voller Leben ist, wo das Leben in ihm aufblüht, hat er ein angemessenes Bild von Jesus.

Jesus preist nun den Simon Petrus selig: »Selig bist du, Simon Barjona, denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel« (Mt 16,17). So wie Petrus stellvertretend für die Jünger spricht, wird er nun von Jesus stellvertretend für die Jünger seliggepriesen. Das meint: Wenn wir Jesus wirklich verstehen, begreifen, wer er ist, dann ist das letztlich immer ein Geschenk der Gnade Gottes.

Das nächste Wort in der Bibelgeschichte wurde durch die Zeiten und Konfessionen auf ganz unterschiedliche Weise gedeutet: »Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen« (Mt 16,18). Heute sind sich die Exegeten einig, dass aus diesen Worten nicht die Einsetzung des Papsttums herauszulesen ist. Das hat die frühe Kirche ebenfalls so gesehen. Petrus steht hier vielmehr für den richtigen Glauben an Christus. Christus ist der eigentliche Fels, auf den die Kirche gebaut wurde. Dieser Überzeugung war bereits Augustinus. Für ihn ist nicht Petrus der Fels, sondern Jesus Christus: »Denn nicht von Petrus hat die Petra (lat. für »Fels«), sondern Petrus von der Petra ... den Namen. Auf diesem Fundament ist auch Petrus selbst erbaut. Denn ein anderes Fundament kann niemand legen als das, welches gelegt ist, welches ist Jesus Christus (1 Kor 3,11)« (Luz, 477). Der Kirchenvater Origenes sieht Petrus als Urbild des Jüngers, der wie Petrus das wahre Christusbekenntnis verkündet: »Fels ist nämlich jeder Jünger Christi, der aus dem geistlichen Felsen Christus (1 Kor 10,4) trinkt« (Luz, 474).

Die Exegese der griechischen Kirchenväter deutet den Felsen auf den Glauben beziehungsweise das Gottessohnbekenntnis des Petrus. So meint Theodor von Mopsuestia: Das Bekenntnis des Petrus »ist nicht dem Petrus allein zu eigen, sondern geschah für alle Menschen: Indem Jesus sein Bekenntnis einen Felsen nannte, machte er deutlich, dass er darauf die Kirche bauen werde« (Luz, 476f). Die römische beziehungsweise kirchliche Deutung auf Petrus und die Päpste als Nachfolger ist als eine weiterführende Auslegung möglich. Aber sie ist eben eine Fortschreibung und im Text selbst so nicht angelegt. Und zurecht weist der schweizer Neutestamentler Ulrich Luz darauf hin, dass die Deutung der biblischen Texte immer auch von zeitgeschichtlichen Situationen abhängig ist. Er sieht in diesem Text nicht das Petrusamt, sondern den Petrusdienst als bleibende Grundlage der Kirche. Der Petrusdienst ist für ihn »die öffentliche Bezeugung des ungekürzten Christusglaubens und die bleibende Verpflichtung der Kirche auf das Programm Jesu« (Luz, 472).

Kontrovers diskutiert wurde auch Vers 19 dieses Abschnitts. Katholische Exegeten haben diese Worte oft auf die Vergebung der Sünden im Bußsakrament hin ausgelegt. Doch das ist ebenfalls eine Fortschreibung, die zwar möglich, aber im Text selbst nicht intendiert ist. Zunächst geht es um das Bild der Schlüssel: Wer die Schlüssel besitzt, hat die Vollmacht über die Räume. Doch worin besteht die Schlüsselgewalt des Petrus? Im Text wird nicht mehr vom Öffnen und Schließen gesprochen, sondern vom Lösen und Binden. Wenn wir diese Worte auf dem Hintergrund jüdischen Denkens verstehen, so beziehen sie sich auf die richtige Gesetzesauslegung durch die jüdischen Lehrer. In Mt 23,13 klagt Jesus die Schriftgelehrten an, sie würden das Himmelreich vor den Menschen verschließen. Im Gegensatz zu den Schriftgelehrten ist es die Aufgabe des Petrus und der Kirche, die sich auf ihn beruft, »das Himmelreich für die Menschen zu öffnen, und zwar durch seine verbindliche Auslegung des Gesetzes. Er soll den Willen Gottes von Jesus her auslegen, um so die Menschen auf denjenigen schmalen Weg zu führen, an dessen Ende die schmale Pforte zum Himmelreich aufgeschlossen wird (vgl. Mt 7,13f). Der Schlüssel zum Himmel sind also die Gebote Jesu, die Petrus verkündigt und auslegt (vgl. Luz, 466).

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