Читать книгу Lehrer Lämpel lebt! - Bernd Franzinger - Страница 6

2. Kapitel

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»Ihre erste Aufgabe am heutigen Tag lautet: Kaufen Sie in der Dorfbäckerei ein Roggenbrot und fünf Brötchen. Geld finden Sie im untersten Fach der Vitrine«, las Lehrer Lämpel sich am nächsten Morgen selbst vor.

Am angegebenen Ort entdeckte er eine gusseiserne Schatulle. Banknoten waren Lämpel nicht unbekannt, aber solche hatte er noch nie gesehen. Wie ein Kriminalbeamter, der Papiergeld auf Echtheit hin überprüft, begutachtete er die bunten, knisternden Scheine. Am meisten faszinierten ihn die glitzernden Regenbogenfarben der Hologramme.

Ein Plastikkärtchen versetzte ihn noch mehr in Erstaunen.

Mit dieser EC-Karte können Sie an jedem Bankautomaten Geld abheben, hatte Theodor Busch geschrieben. Lämpel verzog das Gesicht so, als ob ihm gerade ein üblen Geruch in die Nase steigen würde. Machen Sie sich keine Sorgen, das kriegen Sie schon hin. Heute Nachmittag trainieren Sie spielerisch die dafür erforderlichen Abläufe. Und jetzt besorgen Sie endlich frische Brötchen.

»Gemach, gemach«, grummelte Lämpel, während er den Chip der Plastikkarte mit seiner Fingerkuppe streichelte.

»Was für ein seltsames, goldenes Ding. Und damit soll ich an Geld kommen?«

Höhnisch stieß er einen Schwall Luft durch die Nase. »Da bin ich aber gespannt wie ein Flitzebogen, ob das wirklich geht.«

Lämpel öffnete die Haustür, stellte sich auf die Treppenempore und sog tief die frische Morgenluft ein. Es war windstill, die Wiesen dampften und am Himmel war kein einziges Wölkchen zu sehen.

Richtig schön ist es hier, dachte er mit Blick auf den gepflegten Vorgarten, der mit einem grüngestrichenen Lattenzaun eingefriedet war.

Vor eineinhalb Jahrhunderten war seine Heimatgemeinde noch stark von der Landwirtschaft geprägt. Doch die Bauernhöfe, die früher an das Haus der Familie Busch angrenzten, wurden in der Zwischenzeit entweder abgerissen oder umgebaut. Auch bei seinem anschließenden Rundgang entdeckte Lämpel nirgendwo auch nur den kleinsten Hinweis auf einen bäuerlichen Betrieb.

Ein Dorf ohne Misthaufen ist doch gar kein richtiges Dorf, grollte er im Stillen. Diese modernen Menschen halten noch nicht einmal Hühner. Ja, wo kriegen die denn ihre Eier her? Na, wenigstens steht unsere alte Kirche noch.

Als er die zentrale Straßenkreuzung der Ortschaft erreichte, hielt er nach dem Schulgebäude Ausschau, in dem er damals als Dorfschulmeister mehrere Jahrzehnte lang gewirkt hatte. Doch seine geliebte alte Schule war wie vom Erdboden verschluckt. An dem Platz, an dem sie früher stand, parkten einige Autos.

Vor seinem geistigen Auge tauchte das Fachwerkhaus auf. Hinter den zur Straße gelegenen Sprossenfenstern war die Schulstube untergebracht. Im rückwärtigen Gebäudeteil hatte er logiert. Wehmut erfasste ihn. Er riss sich von diesem beklemmenden Anblick los und trottete weiter.

Hinter der nächsten Straßenecke erspähte er das Ziel seiner zweiten Exkursion: die Bäckerei. Gemeinsam mit einem Drogeriemarkt, einer Metzgerei, einem Getränkeshop und der Sparkassenfiliale bildete sie das Einkaufs- und Dienstleistungszentrum der Gemeinde.

Zu seiner Zeit gab es hier im Dorf lediglich den von Wilhelm Buschs Vater betriebenen Kramladen, in dem allerdings nur selten Brot verkauft wurde. Damals brachte der Bäcker den Sauerteig zu den Bauernhöfen. Mit dem hauseigenen Weizen- oder Roggenmehl wurde eine große Menge Brotteig angerührt und zehn bis fünfzehn Brotlaibe daraus geformt. Diese wurden dann in das Backhaus des Dorfes gefahren und gebacken.

Die Brote mussten im Schnitt für etwa vier Wochen reichen. Damit sie nicht austrockneten, bedeckte man sie mit Tüchern und lagerte sie im Keller. Als Schulmeister musste sich Lämpel um die Brotbeschaffung nicht kümmern, denn er wurde von den Eltern der Kinder stets reichlich mit allen möglichen Naturalien versorgt.

Staunend suhlten sich seine Augen in der Schaufensterauslage, in der die verschiedensten Backwaren feilgeboten wurden. Wellness-Krustenlaibe, 5-Körner-Brote, Baguettes, Laugen-Croissants, Ciabattas, Bio-Vital-Stullen, las er abgehackt, ohne den Inhalt der jeweiligen Begriffe zu verstehen.

Die modernen Menschen leben wahrlich in einem Schlaraffenland, kommentierte er in Gedanken. Aber diese Körner überall. Ganzkornbrot? Wieso essen diese Leute freiwillig Vieh- und Vogelfutter? Haben die denn keine Getreidemühlen?

Verstohlen beobachtete Lämpel den Verkaufsraum und wartete ungeduldig, bis der einzige Kunde endlich seinen Einkauf beendet hatte. Dann huschte er in die Bäckerei und gab seine auswendig gelernte Bestellung auf. Theodor Busch hatte ihn offensichtlich auch hier avisiert, denn die dickliche Dame hinter dem Tresen behandelte ihn wie einen alten Bekannten, jedoch ohne ihn mit aufdringlichen Fragen zu belästigen.

Nachdem er seinen Auftrag erfüllt hatte, schlenderte Lämpel gedankenversunken über einen mit Blaubasaltsteinen gepflasterten Fußweg, der sich neben einer prächtigen Lindenallee bis zum Bahnhof schlängelte.

Linker Hand zweigte ein Pfad ab, an den er sich noch sehr gut erinnerte. In seinem früheren Leben diente er ihm als Ausgangspunkt für seine täglichen Spaziergänge hinüber zu einem weitläufigen Waldgebiet.

Die Dorfbewohner konnten ihre Uhr danach stellen, denn er tauchte stets um dieselbe Uhrzeit auf. Der Dorfschullehrer Lämpel war ein sehr disziplinierter Mensch. Diese Kardinaltugend pflegte er mit allen Mitteln seinen Schülern einzutrichtern.

In den zwischen Dorf und Wald gelegenen Feldern und Wiesen war er häufig Wilhelm Busch begegnet. Der leidenschaftliche Dichter und Maler saß meist in der Nähe des schmalen Flüsschens auf einem Grenzstein, zeichnete Skizzen auf seinen Block oder bastelte an neuen Versen herum.

Vor 150 Jahren überspannte hier tatsächlich eine schmale Holzbrücke den Bach. Sie sah genauso aus, wie diejenige, die Wilhelm Busch in seine ›Max und Moritz-Geschichte‹ eingebaut hatte. Schmunzelnd rief sich Lämpel eine Szene ins Gedächtnis, die er selbst erlebt hatte.

Hieronymus Böck betrieb damals in unmittelbarer Nähe des Bachs eine Schneiderwerkstatt. Eines Nachmittags betrat er den Steg. Ehe er sich versah, zerbrach die Holzbrücke unter seinem Gewicht und er stürzte ins Wasser. Lämpel und eine tatkräftige Nachbarin retteten ihn vor dem Ertrinken. Die Nachbarin hieß Bolte. Sie war Witwe und hielt wie viele ihrer Zeitgenossen Hühner.

Dieser Wilhelm Busch war schon ein arger Schlingel, sagte Lämpel zu sich selbst. Er wiegte den Kopf hin und her. Welche bösen Streiche er sich für seine Max-und-Moritz-Geschichten ausgedacht hat. Dabei habe ich in all den Jahren nie einen Schüler unterrichtet, der Max oder Moritz hieß. Wen er wohl mit diesen beiden Vornamen gemeint hat?

Brummend strich Lehrer Lämpel über sein glattrasiertes Kinn.

Es gab ja viele Lausbuben damals, erinnerte er sich. Aber in meiner Schule waren sie alle brav.

Lämpel grinste und ergänzte in Gedanken: meistens jedenfalls. Und wenn mal einer nicht richtig pariert hat, habe ich ihn übers Knie gelegt und ihm mit dem Rohrstock anständig den Hintern versohlt.

Oder ich habe ihn ein paar Stunden in den Karzer gesteckt. Danach war selbst der schlimmste Lauselümmel handzahm wie ein Lämmchen. Wie steht es schon in der Bibel: ›Wer seine Rute schonet, der hasset seinen Sohn, wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald.‹

Lehrer Lämpel blieb stehen und reckte den linken Zeigefinger empor.

In meinem Unterricht habe ich großen Wert auf Ruhe, Ordnung, Fleiß, Sauberkeit und Disziplin gelegt, sagte er tonlos. Diese Kardinaltugenden sind die Grundpfeiler einer jeden guten und gerechten Schule!

Damit liegst du goldrichtig, mein lieber Lehrer Lämpel. Ich bin sehr gespannt, ob diese Kardinaltugenden auch heute noch gelten. Als dein amtlich bestallter Vorgänger die Bildungsanstalten zum letzten Mal inspizierte, wehte jedenfalls der Geist deiner alten Schule noch durch die Gemäuer. Das ist jetzt allerdings auch schon 50 Jahre her.

Als Lämpel die Stimme in seinem Kopf hörte, fuhr er zusammen und schaute sich mit weit aufgerissenen Augen um.

Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich jetzt gleich um die Ecke biege. Nein, nein, du wirst mich niemals zu Gesicht bekommen. – So, und nun spitz die Ohren, denn ich habe eine neue Aufgabe für dich. Bist du bereit?

»Ja«, erwiderte Lämpel alles andere als begeistert.

Du fragst nun irgendjemanden, wo der Kindergarten ist.

»Der Kin-der-gar-ten?«, erwiderte Lämpel mit geschürzten Lippen, wobei er das Wort in seine einzelnen Silben zerlegte.

»Was ist denn das? Ich weiß zwar, wie ein Kräutergarten oder ein Gemüsegarten aussieht, aber ein Kindergarten. Werden dort Kinder angepflanzt?«

Wilhelm Busch lachte herzhaft.

Frag einfach, wo er ist, dort findest du die Antwort auf deine Frage.

Auf einer Ruhebank in der Nähe des Bahnhofs entdeckte Lämpel ein älteres Ehepaar. Die beiden saßen wie in Beton gegossen reglos nebeneinander und starrten stur geradeaus. Er fühlte sich unwillkürlich zu ihnen hingezogen, denn ihr Anblick erinnerte ihn an die rechtschaffenen Bauersleute, die damals in seinem Dorf lebten und die nach ihrer beschwerlichen Arbeit auch oft stundenlang vor sich hin stierten.

Die Frau war stämmig, hatte pralle, rote Wangen und trug ein Kopftuch. Unter dem Saum ihres braunen Wollmantels lugten dicke Strümpfe hervor, die in knöchelhohen Schnürschuhen verschwanden. Auch das Schuhwerk und die Bekleidung ihres Ehemannes waren altmodisch, nicht vergleichbar mit dem heute üblichen sportlichen Seniorenoutfit, das Lämpel im Fernseher und in der Zeitung bestaunt hatte.

»Einen schönen Guten Morgen wünsche ich. Weiß jemand von Ihnen, wie ich von hier aus zum Kindergarten gelange?«, erkundigte sich Lämpel nach dem Weg.

»Nix weiß, nix versteh«, knurrte die Alte, ohne dabei die Blickrichtung zu ändern.

Mit solch einer barschen Reaktion hatte Lämpel nun wirklich nicht gerechnet.

Irritiert stammelte er »Ach, ach so« vor sich hin und trottete weiter.

Der Mann bellte ihm irgendein Schimpfwort hinterher. Der ehemalige Schulmeister hatte es noch nie zuvor gehört, war sich aber sicher, dass es unmöglich seiner Muttersprache entstammen konnte.

Auf einem schmalen Fußweg begegneten ihm zwei junge Männer. Der eine hatte eine sehr dunkle Hautfarbe und gekrauste Haare, der andere war etwas hellhäutiger, hatte aber ebenfalls pechschwarze Haare. Lämpel gaffte sie derart aufdringlich an, dass die entsprechende Reaktion nicht lange auf sich warten ließ.

»Was glotzt du so blöd, du Lackaffe?«, fragte der mit dem Wuschelkopf und stemmte die Hände in die Hüften. »Ist dir deine Jacke zu eng?«

Irritiert betrachtete Lämpel sein Sakko.

Der andere fixierte ihn mit einem furchteinflößenden Blick, packte ihn am Kragen und fauchte ihm »Verpiss dich, Alter« ins Gesicht. Anschließend stieß er ihn mit der flachen Hand so fest gegen die Brust, dass er taumelte und mit dem Hosenboden auf dem Zierrasen der kleinen Parkanlage landete.

Mit denen ist nicht gut Kirschen essen, dachte Lämpel, während er sich wieder aufrichtete. Die beiden finsteren Gesellen frage ich wohl besser nicht nach dem Kindergarten.

Wie ein geprügelter Hund klemmte er den Schwanz ein und machte sich eiligen Schrittes aus dem Staub. Als die jungen Männer außer Sichtweite waren, lehnte er sich erschöpft an eine Hausmauer. Er schlotterte am ganzen Leib, sein Puls raste und er rang wie ein Asthmatiker nach Atemluft.

Das wird ja immer verrückter, dachte er. Die einen sehen aus wie Einheimische, können aber kein Deutsch. Die anderen sehen nicht aus wie Einheimische, sondern wie Menschen aus fernen Ländern – und sprechen Deutsch. Er hing noch eine Weile seinen Gedanken nach, dann erinnerte er sich an seinen Auftrag. Und ich weiß immer noch nicht, wo ich diesen Kindergarten finde.

»Entschuldigung, wissen Sie vielleicht, wo hier im Dorf der Kindergarten ist?«, fragte er eine ältere Frau, die gerade mit einer Gießkanne und einem kleinen Rechen in der Hand ihr Grundstück verließ.

»Ja sicher, weiß ich das. Gehen Sie einfach immer flussabwärts, bis Sie zur evangelischen Kirche kommen«, tönte es zurück.

»Danke.«

»Den Kindergarten können Sie gar nicht verfehlen. Diese Rasselbande veranstaltet immer einen Höllenlärm, den hören Sie schon von weitem. Bei dem herrlichen Wetter sind die kleinen Plagegeister garantiert alle im Garten.«

Kinder-Garten, na, wer sagt’s denn, freute sich Lämpel. Er bedankte sich nochmals und folgte der Wegbeschreibung.

Gut einhundert Meter hinter der Christuskirche stieß er auf ein schmuckloses Flachdachgebäude, in dem die Kindertagesstätte mit dem bezeichnenden Namen ›Räuberhöhle‹ untergebracht war. Das dazugehörige Grundstück wurde von einem hohen, massiven Metallzaun eingefriedet.

Lämpel postierte sich hinter einem blühenden Fliederbusch und spähte durch die Gitterstäbe. Als ihm der betörende süßliche Duft in die Nase kroch, schloss er die Augen und schnupperte intensiv. Nachdem er sich sattgerochen hatte, beobachtete er eine Weile die Kleinkinder. Sie waren unterschiedlichen Alters und tobten ausgelassen auf dem Freigelände herum, fuhren Dreirad, schaukelten, kletterten oder spielten im Sandkasten.

Bei seinem Rundblick konnte er zunächst keinen einzigen Erwachsenen ausmachen. Erst als sich rechts von ihm jemand räusperte, bemerkte er eine knabenhaft wirkende Frau. Sie saß nur unweit von ihm entfernt auf einem Campingstuhl und sonnte sich. Er konnte seine Augen nicht mehr von ihr losreißen.

Die silbernen Ringe und Stäbchen, die Augenbrauen, Lippen und Nase durchbohrten, zogen seinen Blick magisch an. In Natura hatte er derartigen Körperschmuck noch nie gesehen, nur als Zeichnungen in seinem Buch über Expeditionen zu den Naturvölkern des Amazonasgebietes.

Vielleicht ist die Frau ja eine Eingeborene aus dem Urwald, suchte er nach einer Erklärung. Obwohl, danach sieht sie mir eigentlich gar nicht aus: rötliche Haare, bleiche Haut. Nein, nein, das kann nicht sein. Obwohl, vielleicht gehört sie zu einem Eingeborenenstamm, den man zu meiner Zeit noch nicht entdeckt hatte.

So als ob sie den auf ihr festgeklebten Blick gespürt hätte, schlug die Erzieherin plötzlich die Augen auf und drehte den Kopf zu ihm hin. Doch Lämpel wich gerade noch rechtzeitig vom Zaun zurück. Er hatte fürs Erste genug gesehen und machte sich umgehend auf den Nachhauseweg.

Warum pfercht man heutzutage kleine Kinder in ein Gatter?, fragte er sich kopfschüttelnd. So hat man bei uns früher die Schweine gehalten. Damals sind die Kinder entweder frei im Dorf herumgerannt oder haben ihre Eltern auf die Äcker und Viehweiden begleitet. Wo sind denn eigentlich die Eltern dieser Kinder?

Sein verstorbener Gastgeber hatte ein weiteres Tiefkühlgericht als Mittagessen vorgesehen. Doch Lämpel war noch bedient vom letzten Mal und ließ die Mikrowelle unangetastet. Stattdessen belegte er zwei Brotscheiben dick mit Hausmacherwurst und garnierte sie mit Salzgurken. Nachdem er sich gestärkt hatte, schmauchte er sein Pfeifchen und gönnte sich ein Verdauungsschläfchen.

Am Nachmittag lernte Lehrer Lämpel einige der von Theodor Busch vorbereiteten Texte auswendig. Sie beinhalteten Antworten auf Fragen, die man ihm möglicherweise stellen würde. Die fachgerechte Bedienung eines Geldautomaten trainierte er anhand eines detaillierten Ablaufplans, wobei der Küchenschrank als Ersatzobjekt fungierte.

Eine Stunde später zog er 200 Euro aus dem Schlitz des Bankautomaten und steckte sie mit stolzgeschwellter Brust in die Innentasche seines Sakkos. Als Belohnung kaufte er in der Bäckerei ein, und zwar für sich ein großes Stück Apfelkuchen und für die Enten drei Brötchen. Dann wanderte er frohgemut hinaus zum See. Am Ortsrand spitzte er die Lippen und pfiff die ›Freude-schöner-Götterfunken‹-Melodie vor sich hin.

Er passierte das hohe Schilfspalier, welches den östlichen Teil des Seeufers begrenzte und hatte nun freie Sicht auf die idyllisch unter mächtigen Trauerweiden postierten Sitzbänke. Plötzlich war seine gute Stimmung wie weggeblasen.

»Das ist doch dieser aufdringliche Zeitgenosse von gestern«, grummelte Lämpel. »Was treibt sich der denn schon wieder hier herum? Hat der nichts anderes zu tun, als sich faul die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen? Und dann sitzt der auch noch auf meiner Bank! Das macht der mit Absicht. Dieser Hundsfott will mich ärgern.«

Während Lämpel seinen Schritt verlangsamte, presste er die Kiefer so fest aufeinander, dass die Zähne knirschten. Die Anwesenheit dieses Fremden hatte seine Vorfreude auf das Entenfüttern gründlich verdorben. Er verspürte den spontanen Impuls kehrt zu machen und unverrichteter Dinge nach Hause zu gehen. Doch dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er schritt zügig weiter.

Dir überlasse ich nicht meinen See, dir nicht!, grollte er im Stillen.

Für einen Rückzug war es sowieso zu spät, denn die Enten hatten ihn bereits entdeckt und kamen laut quakend aus dem Röhricht auf ihn zu gewatschelt. Der Anblick der drolligen Gesellen verscheuchte Lämpels düstere Gedanken. Er zog das erste Brötchen aus der Tüte, rupfte es auseinander und streute die Krumen aus.

»Enten sind ja auch nur Menschen«, polterte der Mann von der Sitzbank her..

»Wie?«, gab Lämpel irritiert zurück, ohne den Schreihals auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen.

»Na ja, wir stellen doch auch alles Mögliche an, nur um etwas zu Fressen zu kriegen.«

Ist das ein vulgärer Mensch, dieser Landstreicher, dachte Lämpel bei sich, während er die zartgelben, putzigen Entenküken beim Streit um einen dicken Brösel beobachtete.

»Von den Tieren kann man viel über die Menschen lernen. Ich sitze manchmal den ganzen Tag hier am See rum und beobachte die Tiere.« Der Mann lachte auf. »Manche Menschen sind schon komische Vögel, gell?«

Dieser unflätige Rohling meint garantiert mich damit, schoss es Lämpel durchs Hirn.

»Womit verdienen denn Sie die Brötchen, die sie gerade verfüttern?«, legte der Mann nach. Ein hüstelndes Kichern erklang.

»Wahrscheinlich ködern Sie damit die Enten und wenn keiner zuguckt, schlagen Sie ihnen die Köpfe ab und verkaufen sie schwarz an irgendeinen versoffenen Gastwirt. Stimmt’s, Sie alter Gauner? Na, womit machen Sie denn nun Ihre Kohle? Raus mit der Sprache!«

Das primitive, unverschämte Gebaren dieses dahergelaufenen Vagabunden schrie geradezu nach Maßregelung, fand Lämpel. Schließlich war er ein gestandener Schulmeister – und somit eine Respektsperson, mit der niemand in dieser Art und Weise ungestraft umspringen durfte.

Außerdem hatte er als Lehrer immer und überall einen Erziehungsauftrag zu erfüllen, auch wenn es sich wie in diesem Fall um einen höchstwahrscheinlich einwirkungsresistenten Zeitgenossen handelte.

Natürlich konnte er diesen Menschen schlecht übers Knie legen, wie er es früher mit einem ungezogenen Schüler getan hatte. Was er sehr bedauerte, denn die fast mit der Hand zu greifenden Weidenruten hätten sich prächtig als Züchtigungswerkzeug geeignet.

Lämpel grübelte angestrengt über eine geeignete Sanktionsmaßnahme nach. Schließlich wählte er eine perfide Form der Bestrafung, eine, die diesem ungehobelten Klotz durch die Blume genau das sagen würde, was es zu seinem indiskutablen Verhalten zu sagen gab. Lehrer Lämpel lächelte, wandte sich zu dem Barbaren um und verkündete wohlintoniert:

»Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden,

Wie eine der langbeinigen Zikaden,

Die immer fliegt und fliegend springt

Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;

Und läg er nur noch immer in dem Grase!«

Lämpels Stimme schwoll zu einem Donnergrollen an:

»In jeden Quark begräbt er seine Nase.«

Der trotz der frühsommerlichen Temperaturen mit Hut und langem schwarzem Mantel bekleidete Fremde erhob sich und nahm ebenfalls eine theatralische Pose ein:

»Hast du mir weiter nichts zu sagen?

Kommst du nur immer anzuklagen?

Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?«

Geschockt von der Fortführung seiner Faust-Rezitation glitt Lämpel die Tüte aus der Hand. Zwei Enten steckten die Hälse hinein und schnappten nach den Brötchen.

»Da staunet nun der werte Herr nicht schlecht«, reimte der Mann weiter.

Er wartete auf eine Reaktion, aber Lämpel war dazu nicht in der Lage. Er war stocksteif gefroren, nur sein Unterkiefer bewegte sich immer weiter nach unten.

»Wie Sie hören, kenne auch ich diese schöne Passage über die Neugierde, die Goethe Mephistopheles in den Mund gelegt hat«, fuhr der Mann grinsend fort.

Er strich sich über seinen Dreitagebart und verlagerte sein Gewicht nach vorne. »Wobei ich leider eingestehen muss, dass die letzte Zeile nicht vom Meister selbst, sondern von mir stammt.«

Immer noch keine Reaktion Lämpels.

»Ja, ja, das mit der höheren Bildung ist schon eine verflixte Sache«, tönte die Männerstimme unverdrossen weiter. »Dem einen Menschen sieht man sie gleich auf den ersten Blick an, dem anderen dagegen nicht.«

Peinlich berührt kniete Lämpel nieder, fischte die Brötchen aus der Papiertüte und rupfte sie auseinander.

»Wenn Sie so unglaublich belesen sind, spielen Sie bestimmt auch Schach, oder?«

»Ja, das tue ich«, gab Lämpel über die Schulter zurück.

Ein wenig zu voreilig, wie ihm schlagartig klar wurde. Vor 150 Jahren war er zwar ein passabler Schachspieler gewesen, der sogar den bester Spieler der Gegend ab und an Matt setzen konnte. Aber war er auch gut genug, um diesen gebildeten Vagabunden zu besiegen? Vor allem nach der langen Spielpause?

Ach was, nur Mut, feuerte er sich selbst an. Dass dieser ungehobelte Geselle aus dem Faust zitieren konnte, war bestimmt nur Zufall. Wahrscheinlich hat er irgendwann einmal den Prolog im Himmel auswendig lernen müssen.

Nein, ich muss gegen ihn antreten. Lämpel verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Ich werde ihn besiegen und ihm sein vorlautes Maul stopfen.

»Na, wie wär’s mit einer zünftigen Partie?«, legte die Stimme in seinem Rücken nach.

»Hier am See?«

»Ja, warum denn nicht?« Der Mann hielt ein kleines Schachbrett in die Höhe. »Ich habe schließlich alles dabei, was wir dazu brauchen: ein Brett mit 64 Feldern, 32 Figuren, und einen Tisch haben wir auch.«

Er wies auf eine Sitzgruppe hin, die sich unmittelbar am Seeufer befand und den Besuchern zum Picknicken diente.

»Aber wenn Sie wollen, können wir natürlich auch in eine Wirtschaft gehen und einen zwitschern. Dann spiele ich allerdings noch besser«, posaunte er lauthals hinaus.

Die Vorstellung, gemeinsam mit diesem merkwürdigen Vagabunden in eine Gaststätte einzukehren, behagte Lämpel ganz und gar nicht.

»Nein, wir bleiben lieber hier in der schönen Natur, wo die frische Luft den Geist beflügelt«, lehnte er deshalb den Vorschlag ab.

»Auweia, auch noch so ein verschrobener Naturapostel«, spottete der Schachspieler. »Na, dann setzen Sie Ihr klappriges Fahrgestell mal in Bewegung und eilen hierher zu mir zum Ort Ihrer vernichtenden Niederlage.«

Widerwillig drückte sich Lämpel in die Höhe und schlurfte betont gemächlich zu einem Holztisch, der aus zwei stützenden Eichenpfählen und einer faustdicken Stammholzplatte zusammengesetzt war.

Der verwegen aussehende, circa 1, 85 m große Mann richtete sich auf, streckte Lämpel die Hand entgegen und lupfte dazu seinen breitrandigen, schwarzen Hut.

»Rheinhold Eschenfelder«, stellte er sich vor.

»Lämpel«, erwiderte sein Gegenüber mit scharfer Klangfärbung versetzt.

»Wie dieser verknöcherte Lehrer aus ›Max und Moritz‹?«, fragte Eschenfelder. Er prustete los und musterte Lämpel von oben bis unten. »Ähnlich sehen Sie dieser verschrobenen Gestalt schon irgendwie.«

Verknöchert? Verschroben?, wiederholte der ehemalige Schulmeister im Stillen. Na, dir werde ich gleich eine Lektion erteilen, die du dein Leben lang nicht mehr vergessen wirst, grollte er.

Eschenfelder grinste breit. Anschließend verkündete mit ernster Miene: »Das war doch der Lehrer mit dem legendären Ausspruch ›Also lautet der Beschluss, dass der Mensch was lernen muss‹, nicht wahr?«

»Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss«, korrigierte Lehrer Lämpel. »Wenn man schon Wilhelm Busch zitiert, sollte man ihn auch richtig zitieren«, belehrte er weiter.

Jawohl, gib’s diesem kulturlosen Banausen!, feixte die Stimme des Dichters in Lämpels Kopf.

»Der werte Herr ist wohl einer, der immer alles ganz genau haben muss; einer vom Typ ›Erbsenzähler‹, frotzelte Eschenfeder. »Ich möchte wetten, Sie sind Finanzbeamter oder so was in der Art. Und, liege ich damit richtig?«

»Wie mir scheint, liegen Sie nicht, sondern stehen«, bemerkte Lämpel trocken.

»Ach, ein Scherzkeks sind Sie auch noch«, höhnte sein Gegenüber.

Lämpel verzichtete auf die deftige Replik, die ihm auf der Zunge lag.

»Na, ja, das kann ja heiter werden mit uns beiden«, legte Eschenfelder nach. »Lassen Sie uns endlich mit unserer Partie beginnen. Ich kann es nämlich kaum mehr erwarten, Ihnen Ihre intellektuellen Grenzen aufzuzeigen.«

Blöder Angeber, grollte Lämpel tonlos. Sein Blick wanderte von dem unrasierten, wettergegerbten Gesicht des provokanten Landstreichers hinunter zu einem Schachcomputer, auf dem es unentwegt blinkte.

»Könnten Sie bitte diese Lichter löschen?«, forderte Lämpel.

»Lichter löschen?«, fragte Rheinhold Eschenfelder mit gekrauster Stirn. »Ich drehe dem Kasten einfach den Saft ab.«

Die beiden Männer nahmen Platz und losten die Spielfarben aus. Lämpel durfte den ersten Zug machen. Er wählte die italienische Eröffnung, einen Klassiker der Schachgeschichte, der seit dem 15. Jahrhundert bekannt ist.

»Sie haben mir immer noch nicht verraten, was Sie von Beruf sind«, bohrte Eschenfelder weiter, während er in seinem dritten Zug mit Lf8-c5 antwortete.

»Was wäre die Welt ohne Geheimnisse«, entgegnete sein Kontrahent mit einem süffisanten Lächeln.

Lehrer Lämpel labte sich genüsslich an seiner offenkundigen Überlegenheit. Sein Gegner hatte bereits einiges an Qualität eingebüßt und schien die schwarzen Figuren nur noch ziellos hin und her zu bewegen.

Kein Wunder, denn Eschenfelder konzentrierte sich nicht auf das Spiel, sondern rutschte unruhig auf der Bank herum und reckte den Hals nach allen Richtungen.

»Na, das sind aber zwei süße Käfer«, raunte er seinem Schachpartner zu.

»Käfer? Wo?«, fragte Lämpel und blickte neben und unter den Tisch.

»Da drüben«, erwiderte Eschenfelder und wies mit dem Kinn zu einem nur unweit entfernten Spazierweg, auf dem zwei bedeutend jüngere Frauen ihre Hunde ausführten. »Wären die nichts für uns?«

Lämpel verstand noch immer nicht.

»Einen wunderschönen guten Tag die Damen!«, rief Eschenfelder derweil. »Wohin des Wegs? Möchten Sie uns nicht ein wenig Gesellschaft leisten?«

»Ein anderes Mal vielleicht«, antwortete eine der Frauen winkend. »Wenn wir die Hunde nicht dabei haben.«

»Wir würden uns sehr darüber freuen«, erwiderte Rheinhold Eschenfelder.

Lämpel dagegen war das forsche Gebaren seines Gegenübers ausgesprochen peinlich. Aus Scham wäre er am liebsten im Erdboden versunken. Mit betretener Miene beschirmte er sein Gesicht mit beiden Händen und wandte sich wieder der Schachpartie zu.

Schmunzelnd tätschelte Eschenfelder Lämpels Arm.

»Seien Sie doch nicht so schüchtern, mein Lieber«, sagte er.

Wie ein Prediger fächerte Eschenfelder die Arme auf.

»Schauen Sie, Lämpel, das Leben ist ein Menü, das aus mehreren Gängen besteht. Und wir beiden Hübschen sind nun leider schon beim Dessert angelangt. Aber wissen Sie was? Ich lasse es mir trotzdem schmecken. Das sollten Sie auch tun, denn bereits Morgen könnten Sie sich die Radieschen von unten betrachten müssen.«

Rheinhold Eschenfelders Lachen erinnerte an das Wiehern eines Pferdes.

»Wie sagt der Volksmund so treffend: Auch in einem alten Vulkan schlummert noch heiße Lava.« Lämpels Schachgegner machte eine abschätzige Geste. »Na ja, in Ihrer Hose herrscht wahrscheinlich Eiszeit.«

Lämpel verzog keine Miene, sondern grübelte weiter über seine Endspiel-Strategie nach.

»Sie verschwinden wohl zum Lachen in den Keller, oder täusche ich mich da?«, frotzelte Eschenfelder. »Jetzt seien Sie doch nicht so fürchterlich verklemmt, Mann. Gehen Sie doch einfach mal aus sich raus und lachen so richtig herzhaft drauf los. Das hat noch keinem etwas geschadet und ist zudem sehr gesund.«

Doch Lehrer Lämpel lachte nicht.

Stattdessen sah er sich zu einer Bildungsmaßnahme genötigt. Er richtete den Oberkörper auf, streckte den Zeigefinger in die Höhe und dozierte:

»Ihnen ist sicherlich nicht bekannt, dass bereits die alten Griechen dem Lachen durchaus kritisch gegenüberstanden. Platon zum Beispiel vertrat die Auffassung, dass Lachen des Menschen unwürdig sei und man dabei seine Selbstkontrolle verliere.

Jesus hat nie gelacht. In der Bergpredigt steht geschrieben: ›Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet klagen und weinen.‹ Deshalb verbot die Kirche das Lachen. Wer es dennoch tat, ging zum Lachen in den Keller.

Daher stammt übrigens die von Ihnen benutzte Redewendung. Das laute Lachen mit weit geöffnetem Mund, wie Sie es eben getan haben, galt im Bürgertum, bei Adel und Klerus als Verstoß gegen die guten Sitten. Nur Bettler, Narren, Betrunkene und Verrückte gebärdeten sich derart primitiv.«

»Ein schöner Vortrag war das. Danke, Herr Lehrer, ich werde es mir merken«, sagte Eschenfelder im Tonfall eines belehrten Grundschülers.

Lehrer Lämpel ließ sich nicht provozieren.

Auf dem Schachbrett werde ich mich für dieses respektlose Verhalten rächen, beschloss er selbstbewusst. Aus gutem Grund, denn er wähnte sich kurz vor dem Ziel.

»So, dann schlagen wir jetzt auch noch den weißen Läufer«, verkündete er mit einem triumphalen Schmunzeln auf den Lippen.

In Zeitlupe pickte er Eschenfelders Figur vom Brett und stellte sie in Reih und Glied zu seinen anderen Eroberungen. Dann stützte er die Ellbogen auf, faltete die Hände wie zum Gebet und blickte sein Gegenüber herausfordernd an.

Dieser zog unbeeindruckt einen Springer. Wie auf Knopfdruck verwandelte sich plötzlich seine angespannte Miene in ein breites Grinsen. Er klatschte in die Hände und brüllte so laut, dass die Enten ins Wasser flüchteten: »Matt!«

Erst jetzt schaute Lämpel wieder hinunter auf das Schachbrett.

»Das, das gibt’s doch nicht«, stotterte er.

»Tja, das war’s wohl, mein lieber leichtsinniger Lämpel. Wie reimte Wilhelm Busch einmal so schön:

»Stets findet Überraschung statt,

Da, wo man’s nicht erwartet hat.«

Entgeistert bohrte sich Lämpels Blick in Eschenfelders Gesicht, das von einer markanten Hakennase und lebhaften, tiefliegenden Augen dominiert wurde. Die silbergrauen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haare, der graumelierte Dreitagebart, die buschigen Koteletten sowie ein kleiner Ohrring rundeten das ungewöhnliche Erscheinungsbild dieses geheimnisvollen Mannes ab.

»Jetzt glotzen Sie aber wie ein schwangeres Mondkalb«, feixte der Sieger und klopfte sich auf die Schenkel.

Dann reckte er die Arme beschwörend gen Himmel. »Ich würde weiß Gott was dafür geben, wenn ich wüsste, was Sie gerade über mich denken.«

Seien Sie froh, dass Sie es nicht können, kommentierte Lämpel in Gedanken.

Um Zeit zu gewinnen, hüstelte er hinter vorgehaltener Hand und schnäuzte sich anschließend dezent die Nase. Liebend gerne hätte er sich nach Hause verdrückt, aber die Neugierde hatte ihn auf der Holzbank festgeschraubt. Mit einem Mal wollte er unbedingt wissen, mit wem er es zu tun hatte.

Doch bevor er sich danach erkundigen konnte, zog Eschenfelder mit einer schnellen Bewegung eine Taschenuhr hervor und ließ den goldenen Deckel aufspringen.

»Oh je, schon so spät«, seufzte er. »Ich muss sofort los zu meinem Rendezvous.«

Rheinhold Eschenfelder stemmte sich in die Höhe, packte das Schachbrett in eine Plastiktüte und erklärte augenzwinkernd: »Auf mich wartet nämlich ein ganz heißer Ofen.«

Ehe Lämpel sich versah, hatte ihm sein Schachpartner ein Pappkärtchen in die Hand gedrückt: »Wenn Sie mal wieder Lust auf eine deftige Niederlage haben, rufen Sie mich einfach an.«

»Prof. Dr. Rheinhold Eschenfelder, Lehrstuhl für Pä-da-go-gik«, murmelte Lämpel. »Was ist denn das?«

Mit offenem Mund schaute er auf den leicht gekräuselten See und grübelte über den ihm unbekannten Begriff nach.

Plötzlich hatte er eine Eingebung. Im antiken Griechenland wurde ein Sklave, der den Sohn des Hauses zum Gymnasium begleitete und wichtige Erziehungsaufgaben übernahm, Paidagogos genannt. Wahrscheinlich beschäftigte sich dieser Eschenfelder mit der Erziehung des Menschen. Dann muss ich ihn etwas Wichtiges fragen.

»Warum hält man heutzutage eigentlich Kinder wie Schweine?«, rief er dem Pädagogik-Professor nach.

Doch der war schon lange hinter dem Schilfspalier verschwunden.

Lehrer Lämpel lebt!

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