Читать книгу NO auf Bildungsreise - Bernd Franzinger - Страница 5
1. Kapitel
ОглавлениеGedankenversunken schlendert Gero am Waldrand entlang. Der Spazierpfad schlängelt sich eine Anhöhe hinauf. Nach einer scharfen Biegung erreicht er eine Lichtung. Gero setzt sich auf eine Holzbank und genießt die herrliche Aussicht. Vor ihm liegt die in einer Talsenke ausgerollte Stadt, in der mehr und mehr Lichter aufflammen. Es folgt ein Kontrollblick auf die Nordfassade seines Hauses. Sie liegt im Schatten einer Straßenlaterne und ist dunkel. Ulla, seine Lebensgefährtin, ist also noch nicht zu Hause.
Da kann ich mir ruhig noch ein wenig Zeit lassen, freut er sich im Stillen. Nach ihrem Tai-Chi-Kurs ist sie bestimmt wieder mit ihren Freundinnen in irgendeiner Kneipe versackt.
Tief saugt er die frische, klare Herbstluft in seine Lungen.
Plötzlich bemerkt er in seinem Rücken einen hellen Lichtschein. Verdutzt dreht er sich um. Gero traut seinen Augen nicht. Ungläubig presst er die Lider aufeinander, reibt die Augäpfel. Doch als er die Augen wieder öffnet, ist das seltsame Bild noch immer da: Hundert Meter von ihm entfernt steht inmitten einer Wildwiese ein haushoher Zylinder, der ihn spontan an einen Getreidesilo erinnert.
Der chromfarbene Zylinder erstrahlt nur kurz in grellem Licht, dann wechselt er nacheinander in alle Spektralfarben und verharrt schließlich im dunkelsten Violett, das Gero jemals gesehen hat. Bezüglich dieses Farbtons ist Gero Experte, denn als militante Feministin hat Ulla im Laufe der Jahre alle möglichen Violett-Variationen ausprobiert.
Mit weit aufgesperrtem Mund starrt Gero auf die unwirkliche Erscheinung, die mit einem Mal ihre Gestalt verändert: Wie von Zauberhand umgeworfen, liegt der magische Zylinder nun auf der Erde, wobei die ehemalige Standfläche nach vorne weist. Die kreisrunde Unterseite wird von einem rotglühenden, pulsierenden Ring eingefasst, der sich langsam zusammenzieht und in der Kreismitte zu einem gleißenden Laserpunkt vereinigt. Dann ist der nächtliche Spuk vorüber.
»Du solltest deinen Mund schließen, sonst fliegt noch ein Nachtfalter rein«, vernimmt Gero plötzlich ein dünnes Stimmchen.
Erschrocken reißt er die Schulter herum, doch er kann niemanden entdecken.
»Nein, nein, das kann nicht sein. Das träume ich alles nur«, flüstert er, während sein Kopf wild hin und her pendelt.
»Träume sind Schäume, heißt es doch bei euch Menschen, oder liege ich da falsch?«
»Nee, ähm, nee«, stammelt Gero und schließt die Augen.
Ich muss dringend nach Hause und einen doppelten Cognac trinken, denkt er und versucht, sich in die Höhe zu drücken. Doch er kann sich nicht von den Holzplanken lösen.
»Das geht nicht, denn ich habe deine Energieströme unterbrochen«, behauptet das Kinderstimmchen.
»Was?«
»Als ehemaliger Sportlehrer würdest du meine Erläuterungen eh nicht verstehen.« Ein blechernes Kichern. »Hättest eben Physik studieren sollen. Aber dazu warst du damals ja zu faul, gell?«
»Woher weißt du …?«
»Ich weiß einiges über dich.«
Neben Gero wabert eine kleine violette Wolke über die Rückenlehne der Sitzbank und verdichtet sich zu einem putzigen, gnomenhaften Wesen, das sehr gut in einen Spielzeugladen gepasst hätte. Es ähnelt einem Stehaufmännchen aus Geros Kindertagen.
»Wer … wer bist denn du?«, stottert er.
»Ich bin NO-120856.«
Gero schürzt die Lippen. »Komischer Name.«
»Wieso? Alle Bewohner meines Planeten sind durchnummeriert. Aber wenn dir mein vollständiger Name zu kompliziert ist, darfst du mich auch gerne NO nennen. Freust du dich darüber?«
»Ähm, na ja«, antwortet Gero. Seine Augen werden immer größer, denn das Zauberwesen wechselt mit einem Mal die Farbe und ist nun plötzlich grün.
»Alle Affen glotzen«, sagt NO. »Wie du hörst, wurden mir die wichtigsten Floskeln und Redewendungen der menschlichen Sprache einprogrammiert. Hast du ’n Problem damit?«
»Nee, nee«, erwidert Gero.
»Was gefällt dir denn am allerbesten an mir?«, möchte NO gerne wissen.
Gero verschlägt es nun endgültig die Sprache.
»Na, dann schau mich eben mal genauer an«, fordert NO, woraufhin ihn Gero von unten nach oben mit Blicken abscannt.
NO ist etwa einen Meter groß und besitzt keine Beine. Seine schlauchähnlichen Arme münden in fingerlosen Händen, die an Boxhandschuhe erinnern. Der ballonartige Kopf ist überdimensioniert und fast genauso groß wie der übrige Körper. Haare, Ohren, Nase und Hals fehlen vollständig. Über den ovalen, pupillenlosen Augen sprießen zwei antennenähnliche Fühler, die an ihren Enden knubbelartig verdickt sind und unaufhörlich blinken. Die Vorderseite des Kugelkopfes wird von einem riesigen, halbmondförmigen Mund dominiert, der NOs Gesicht einen gleichermaßen freundlichen wie schelmischen Ausdruck verleiht.
»Im Gegensatz zu deinem Mund ist meiner nur eine Attrappe. Ich kann ihn weder bewegen, noch damit essen oder trinken«, erklärt der kleine Kerl. »Mein Programmierer hat gemeint, Lächeln würde auf der Erde einen guten Eindruck machen. Weil die Menschen meistens die Mundwinkel nach unten ziehen. Und deshalb bin ich eben ein kleiner Dauergrinser.«
»Und wie ernährst du dich, wenn du nichts isst?«, fragt Gero verdutzt.
»Bei uns läuft alles über Energieaustausch.« NO macht eine abwiegelnde Geste. »Aber wie schon gesagt: Solche komplizierten physikalischen Zusammenhänge sind für Sportlehrer eh böhmische Dörfer. Was gefällt dir denn nun am besten an mir?«
Gero antwortet nicht, sondern rümpft die Nase und schnüffelt. »Wieso riecht es denn hier auf einmal so intensiv nach Pfefferminz?«
»Weil diese Duftnote das passende Aroma zu meiner mintgrünen Körperfarbe ist. Hast du vorhin nicht das Veilchenodeur meines violetten Outfits bemerkt?«
»Doch, schon«, lügt Gero.
»Du riechst anscheinend sehr gut«, lobt NO. »Aber du riechst nicht sehr gut.« Er wartet auf eine Reaktion, doch als sich diese nicht einstellt, schiebt er nach: »Ich glaube, du solltest dich öfter waschen. Man kann dich ja drei Meilen gegen den Wind riechen.«
Reflexartig neigt Gero seinen Kopf zur Achselhöhle hin und nimmt eine Nase voll.
»Kein Wunder, dass ich ein bisschen muffele, schließlich bin ich stramm gewandert«, grummelt er.
»Das Wandern ist des Müllers Lust, das Wa-an-dern«, singt NO.
Das kann doch alles überhaupt nicht wahr sein, denkt Gero. Er zieht die Brille ab und klatscht sich mit beiden Händen auf die Wangen.
»Au! Hör sofort auf damit, das tut doch bestimmt verdammt weh!«, schimpft NO.
»Das soll es ja auch«, gibt Gero scharf zurück. »Die Schmerzen sollen mich aus diesem Albtraum aufwecken.«
Wieder versucht er, sich von der Bank zu erheben, doch erneut tut sich nichts.
»Vergiss es endlich. Du kommst hier nicht weg. Stell dir einfach vor, dein Hintern wäre auf der Bank festgetackert«, empfiehlt NO.
Gero grunzt resigniert. »Okay, von mir aus. Dann verbringe ich eben die Nacht hier oben bei dir.«
»So gefällst du mir schon bedeutend besser.«
»Sag mal, wo kommst du denn eigentlich her?«, fragt Gero.
»Von einem fernen Planeten. Mehr brauchst du nicht zu wissen.«
»Und wo ist dein Raumschiff abgeblieben?«
»Ich habe es auf Miniaturgröße geschrumpft und im Waldboden versenkt.«
»Hm«, macht Gero und zieht ungläubig das Kinn zum Hals. »Was willst du überhaupt von mir?«
»Mit dir reden.«
»Worüber?«
»Über das deutsche Bildungssystem.«
Dieser locker dahingestreute Satz verschlägt Gero erneut die Sprache. Verblüfft starrt er das fremde Wesen an.
»Du willst mit mir über unser Bildungssystem reden?«
»So ist es.«
»Weshalb nicht über Fußball?«, höhnt Gero.
»Alles zu seiner Zeit.«
»Und wieso willst du ausgerechnet mit mir über dieses Thema sprechen?«
»Weil unser Rechercheteam dich als qualifizierten Interviewpartner eingestuft hat. Dir eilt der Ruf eines engagierten Bildungsexperten weit voraus – sogar bis tief ins Weltall hinein.«
NO kichert stakkatoartig.
»Und genau den brauchen wir. Du bist Mitarbeiter am innovationspädagogischen Indoktrinationszentrum, kurz: IPIZ, und hast einige Jahre an einer Integrierten Gesamtschule unterrichtet. Stimmt doch, oder hat man mir da einen Floh ins Ohr gesetzt?«
»Nein, nein, das ist schon alles richtig«, bestätigt Gero mit stolzgeschwellter Brust.
»Warum arbeitest du denn nicht mehr an einer Gesamtschule?«
Gero lächelt verschmitzt. »Ich war wohl zu Höherem berufen.«
»Ach so. Und ich dachte schon, du wärst aus der anstrengenden Schulpraxis ins Sanatorium geflüchtet. So nach dem Motto ›Gesamtschullehrer wäre der absolute Traumjob – wenn es keine Schüler gäbe‹.«
NO presst die Fäustchen auf den Mund, so als wolle er dadurch ein erneutes Kichern verhindern.
»Du setzt dich für eine moderne, innovative Schulpädagogik ein, schreibst Fachartikel und hältst Vorträge über zukunftsweisende Reformen im Bildungswesen. Korrekt?«, fragt der kleine Außerirdische.
»Korrekt«, echot Gero.
»Und genau deshalb habe ich den Auftrag, ausgerechnet dich zu kontaktieren.«
»Das ehrt mich ja sehr, trotzdem weiß ich noch immer nicht, was du konkret von mir willst.«
»Ganz einfach: Wir wollen unser Bildungssystem auf Effizienz hin überprüfen. Deshalb soll ich mich auf der Erde auf den neuesten Stand bringen. Und nachdem ich mich schon über die Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien schlau gemacht habe …«
»Oh je, lasst bloß die Finger vom klassischen dreigliedrigen Schulsystem«, fällt ihm Gero ins Wort. Angewidert rümpft er die Nase, so als habe er gerade einen üblen Geruch wahrgenommen.
»Das dreigliedrige Schulsystem scheint ja inzwischen überholt zu sein.«
»Überholt?«, prustet Gero los. Er zieht abschätzig die Augenbrauen empor und erklärt mit einer abwertenden Handbewegung: »Diese reaktionären Standesschulen werfen wir gerade in Bausch und Bogen auf die Müllhalde der Schulgeschichte.«
»Warum denn?«
»Weil dieses Schulsystem zutiefst ungerecht ist und die soziale Ungleichheit zementiert!«
NO mustert ihn. »Dein roter Kopf und deine feuchte Aussprache zeigen mir, dass wir mit dir die richtige Wahl getroffen haben.«
Peinlich berührt wischt sich Gero mit dem Handrücken über den Mund.
»Du bist genau der Experte, den wir suchen. Du kannst uns bestimmt kompetent beraten.«
»Ja, das denke ich schon. Wie sieht’s denn aus mit einem Beraterhonorar?«
»Du wirst fürstlich belohnt werden.«
»Und wie?«
»Abwarten.«
Geros Miene verdüstert sich. »Muss ich zur Beratung auf deinen Stern fliegen?«, fragt er besorgt.
NO kichert. »Nein, das würde aus vielerlei Gründen nicht funktionieren.«
Auf Geros Miene macht sich Erleichterung breit. »Gut, dann will ich euch mit meinem Fachwissen und meinem reichen Erfahrungsschatz gerne helfen. Damit ihr euch nicht für dieses verstaubte dreigliedrige Schulsystem entscheidet.«
Er seufzt tief. »Weißt du, NO, wenn wir unser Bildungssystem einer radikalen Rosskur unterzogen haben, wird es so modern sein, als käme es von einem anderen Stern.« Er grinst und klatscht sich feixend auf die Oberschenkel. »Der Satz passt ja haargenau.«
»Lachst du dir gerade einen Ast?«, fragt NO.
»Wie?«
»Na, das macht ihr Menschen doch, wenn ihr lacht.«
»Nein, das ist doch nur so eine Redensart.« Gero schmunzelt. »Du bist schon ein komischer Vogel.«
»Ich bin kein Vogel, sondern ein Außerirdischer«, stellt NO unmissverständlich klar.
»Ja, sicher, pardon«, entschuldigt sich Gero. »Ich wollte dich nicht beleidigen.«
Er versucht eine Hand auf NOs Schulter zu legen, doch sie findet keinen Widerstand und gleitet quer durch den kleinen Körper hindurch. Verdutzt schüttelt er den Kopf.
Ich bilde mir das alles nur ein, denkt er zum wiederholten Male.
»Einbildung ist auch eine Bildung«, bemerkt NO trocken. »Schnüffel mal an deiner Hand.«
Gero tut, wie ihm geheißen.
»Bäh«, stößt er angewidert aus und verzieht dabei das Gesicht. »Die stinkt ja unheimlich penetrant nach Pfefferminz.«
»Das kommt davon, wenn man seine Hand hintut, wo sie nichts zu suchen hat. In diesem Falle in meiner Duftaura.«
Gero streckt NO die Handflächen entgegen. »Okay, es wird nicht wieder vorkommen.«
»Gut, dann werde ich nun mit der Expertenbefragung beginnen. Bist du bereit?«
»Ja.«
Gero räuspert sich und blickt kurz hinunter auf die nächtliche Stadt. Dann fasst er den kleinen Kerl mit dem eingeschalteten Lächeln erwartungsvoll ins Auge.
NO reibt die Fäuste aneinander, ein untrügliches Anzeichen dafür, dass er nachdenkt. Die Augen schließen sich, und die Fühlerspitzen wippen rhythmisch auf und ab. Dann kreisen sie ein paar Sekunden lang und richten sich anschließend kerzengerade auf.
»Du forderst seit vielen, vielen Jahren die radikale Zerschlagung des dreigliedrigen Schulsystems. Nach deiner Meinung sollen die Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien flächendeckend durch Integrierte Gesamtschulen ersetzt werden. Das stimmt doch, oder?«, fragt NO.
»Ja, das ist richtig«, bestätigt Gero. »Ich sehe den unermüdlichen Kampf für ein sozialeres und gerechteres Schulsystem als meine Lebensaufgabe an.«
»Was ist denn eigentlich das Besondere an einer Gesamtschule?«
»Der Name sagt es doch schon: Die Integrierte Gesamtschule ist eine Schule für alle Kinder.«
»Also auch für solche, die noch gar nicht krabbeln können.«
»Nein«, erwidert Gero gedehnt. Amüsiert lehnt er sich zurück. »Die Gesamtschule beginnt nach der Grundschule. Erst wenn die Kinder die 4. Klasse absolviert haben, können sie eine Integrierte Gesamtschule besuchen.«
»Warum?«
Gero zieht die Schulterblätter hoch. »Das ist eben so.«
»Die Grundschule ist also keine Gesamtschule?«
»Nein, ich hab’s doch gerade gesagt: Eine Gesamtschule beginnt erst nach dem Abschluss der Grundschule«, erklärt Gero in leicht genervtem Ton. Er kraust die Stirn und atmet hörbar ein. »Obwohl, eigentlich ist die Grundschule doch eine Integrierte Gesamtschule, weil ja alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden.«
»Und warum heißt sie dann nicht so?«
Gero schiebt die Unterlippe vor und zuckt mit den Schultern. »Na ja, wahrscheinlich deshalb, weil die reaktionären bildungspolitischen Kräfte dies bislang erfolgreich verhindert haben.«
»Das verstehe ich nicht. Egal: Was ist denn nun eine Integrierte Gesamtschule?«, bohrt NO nach und wechselt die Farbe. Er ist jetzt dunkelrot und riecht wie ein Wildkirschbonbon.
»Puh, dieser süßliche Geruch raubt einem ja fast den Atem«, stöhnt Gero.
»Mit dir ist anscheinend nicht gut Kirschen essen«, bedient sich NO aus seinem einprogrammierten Zitatenschatz. »Bitte beantworte mir meine Frage.«
Gero räuspert sich. »Gerne, mein Lieber. Also: Strenggenommen ist die Integrierte Gesamtschule die Schule für alle Kinder, die ihre Grundschulzeit beendet haben. Danach werden die Schüler nicht wie im gegliederten Schulsystem voneinander getrennt und in die Standesschulen der Drei-Klassen-Gesellschaft des 19. Jahrhunderts verteilt, sondern sie besuchen anschließend alle gemeinsam die gleiche Schule.«
»Alle eine Schule?«
»Nein, natürlich nicht. Alle besuchen nicht dieselbe Schule, sondern dieselbe Schulart, eben Integrierte Gesamtschulen.« Gero mustert NO mit einem grimmigen Blick. »Du bist anscheinend einer, der alles haargenau wissen will.«
»So ist es. Schließlich hat man mich als kleinen Haarspalter auf die Erde geschickt. Aber lass dich bitte nicht von meinem Geschwätz unterbrechen«, versetzt NO.
Gero streicht sich lächelnd über den Mund. »Okay. Also weiter: Die Integrierte Gesamtschule verhindert eine frühzeitige Selektion und …«
»Was ist eine Selektion?«, wirft NO dazwischen. »Diesen Begriff hat mein Programmierer wohl vergessen.«
»Unter Selektion versteht man die Zuweisung der Schüler entsprechend der Noten ihres Grundschulzeugnisses zu den drei klassischen Schulformen Hauptschule, Realschule und Gymnasium.«
NO nickt eifrig. »Das habe ich bereits verstanden. In dem alten Schulsystem darf man bei guten Noten nach der Grundschule ein Gymnasium besuchen und bei schlechteren darf man das nicht.«
Gero kraust die Stirn und fuchtelt erregt mit den Händen herum. »Genau das ist doch diese unglaubliche Schweinerei: Die Guten kommen ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.«
»Dieses Zitat stammt aus ›Aschenputtel‹, stimmt’s?«
»Glaub schon«, brummelt Gero und reckt beschwörend die Arme zum blauschwarzen Nachthimmel empor. »Das musst du dir mal vorstellen: Den Kindern werden im zarten Alter von nur zehn Jahren die Bildungschancen für ihr gesamtes weiteres Leben verbaut.« Mit zusammengekniffenen Lippen schüttelt er den Kopf und wiederholt: »Für ihr gesamtes Leben.«
»Und deshalb braucht man Gesamtschulen, weil dort nicht die Bildungschancen für das gesamte Leben verbaut werden.«
Gero lacht. »Du hast es erfasst. Mir scheint, du bist ein kleiner Schnellmerker.«
NO lässt sich von dieser höhnischen Bemerkung nicht aus dem Konzept bringen. »Die Integrierte Gesamtschule ist also die beste Schule für alle Kinder?«, fasst er zusammen.
»Auf alle Fälle!«
»Hast du eigene Kinder?«
»Nein. Brauche ich auch nicht, denn mein Kind ist die Gesamtschule.«
»Verstehe ich nicht. Wie kann eine Schule ein Kind sein?«
»Im übertragenen Sinne natürlich.«
NOs Antennen wippen und blinken. »Aber wenn du ein eigenes, richtiges Kind hättest, dann hättest du es auf eine Gesamtschule geschickt, weil diese ja die beste Schule für dein Kind gewesen wäre.«
»Genau das hätte ich getan.«
»Dann schicken also alle Gesamtschullehrer ihre Kinder an eine Gesamtschule, denn sie sind ja der Meinung, dass diese Schulart die beste Schule für alle Kinder ist, also auch für ihre eigenen.«
»Na klar«, antwortet Gero im Brustton der Überzeugung.
»Und das war auch an der Schule so, an der du unterrichtet hast, bevor Du ins IPIZ gewechselt bist?«
»Sicher doch.«
»Denk bitte mal scharf nach: Wie viele Gesamtschullehrer haben damals ihre eigenen Kinder an deine oder an eine andere Gesamtschule geschickt?«
Wie ein Kugelfisch bläst Gero die Backen auf und lässt die aufgestaute Luft geräuschvoll entweichen. »Viele.«
»Bist du dir da ganz sicher?«
»Ja.«
»Dann nenne mir doch bitte einmal die Namen deiner ehemaligen Kollegen, die das getan haben.«
Gero schiebt nachdenklich die Brauen zusammen. »Ähm, das war der Kollege Braun …« Dann verstummt er.
»War’s das schon?«
»Nein, nein, das waren sicher noch viel, viel mehr. Ich erinnere mich nur nicht mehr genau daran.«
»Du erinnerst dich aber richtig«, kommentiert NO. »Unser Rechercheteam hat diese wichtige Zahl ermittelt. In den Jahren, in denen du an einer Gesamtschule unterrichtet hast, hat nur der Sohn dieses Lehrers eine Gesamtschule besucht. Sein Sohn ist deshalb von einem Gymnasium auf eine Integrierte Gesamtschule gewechselt, weil er es am Gymnasium nicht geschafft hatte. Nach der Grundschule hat Herr Braun seinen Sohn an einem Gymnasium, nicht an einer Gesamtschule angemeldet.«
Gero schüttelt energisch den Kopf. »Nein, nein, das müssen noch viel mehr Kollegenkinder gewesen sein.«
NOs Antennen richten sich senkrecht auf, dann kippen sie in die Waagrechte. »Unsere Rechercheure irren sich nie«, stellt er in scharfem Ton klar. »Wie sagt ihr Erdenbürger so schön: Irren ist menschlich. Für uns gilt dieser Spruch nicht.«
»Wenn du wirklich recht hast, gibt es dafür eine einfache Erklärung: Als Lehrer möchte man eben nicht, dass die eigenen Kinder dieselbe Schule besuchen, an der man unterrichtet.«
»Du hast nicht richtig zugehört, Gero. Ich habe gerade gesagt, dass nur dieses eine Kollegenkind eine Gesamtschule besucht hat. Alle anderen Lehrkräfte haben ihre Kinder an Gymnasien beziehungsweise an Realschulen angemeldet. Die Gesamtschullehrer scheinen von ihrer eigenen Schulform nicht sonderlich viel zu halten, wie mir scheint.«
Gero macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, das ist doch nur Zufall, statistisch sieht das bestimmt ganz anders aus.«
»Eben nicht«, beharrt NO.
»Trotzdem ist die Integrierte Gesamtschule die beste, gerechteste und sozialste Schule, die es gibt.«
»Aber anscheinend nur für die anderen, nicht für die eigenen Kinder«, kann sich NO nicht verkneifen. »›Das Gymnasium ist die richtige Schule für die besten Kinder – und mein eigenes‹. Das soll der ehemalige hessische Kultusminister Ludwig von Friedeburg irgendwann mal gesagt haben.«
Gero fixiert den kleinen Kerl mit einem finsteren Blick, woraufhin NO in versöhnlichem Ton fortfährt: »Erkläre mir doch bitte, warum die Gesamtschule eine gerechte Schule ist.«
»Weil dort alle Kinder fair behandelt werden. Jedes wird entsprechend seiner Fähigkeiten optimal gefördert. Vor allem diejenigen Schüler, die aus bildungsfernen Elternhäusern stammen, haben in einer Integrierten Gesamtschule bedeutend bessere Bildungschancen als im dreigliedrigen Schulsystem.«
»Was sind denn bildungsferne Elternhäuser?«
»Na ja, das sind solche, in denen es nur wenige Bücher gibt und in denen die Eltern ihren Kindern nicht oder nur selten vorlesen.«
»Und warum tun diese Leute das nicht?«
»Weil sie keine Zeit dafür haben und weil sie nicht genügend Geld haben, um Bücher zu kaufen.«
»Aber die kann man doch auch ausleihen, wie ich inzwischen weiß.«
Gero macht eine flatternde Geste. »Ja, schon, aber diese Eltern müssen eben hart arbeiten und haben keine Zeit für Bildung. Diese wichtige Aufgabe muss dann die Schule für sie übernehmen.«
»Und wo bekommen diese Kinder die Schulbücher her?«
»Wenn die Eltern kein Geld haben, Lernmaterialien zu kaufen, können die Kinder sie in der Schule ausleihen oder sie erhalten Lernmittelgutscheine.«
»Stimmt es, dass früher an den Gesamtschulen alle Schulbücher nachmittags und über die Wochenenden hinweg eingeschlossen wurden?«
»Ja, klar. Und das war auch richtig so!«, stößt Gero erregt aus. Er schlägt eine Faust in die offene Hand. »Wenn’s nach mir ginge, wäre es noch immer so. Nur auf diese Weise konnte verhindert werden, dass die bildungsnahen Eltern mit ihren Kindern zu Hause lernen.«
»Und das ist nicht gut?«
»Nein, natürlich nicht. Das ist Chancenungleichheit pur. Dadurch werden diejenigen Kinder extrem benachteiligt, mit denen niemand zu Hause lernt.«
NO brummt eine Weile vor sich hin. Eine Verkehrsmaschine fliegt über die beiden mit einem Höllenlärm hinweg und steuert den am anderen Ende der Stadt gelegenen Flughafen an.
»Wieder einer, der mit einer Sondergenehmigung das Nachtflugverbot umgeht«, schimpft Gero.
»Wenn dich die Triebwerksgeräusche stören, musst du auf meinen Planeten umziehen«, bemerkt NO kichernd. »Die Antriebe unserer Flugmaschinen sind völlig geräuschlos.«
»Könnten wir diese Technologie denn nicht auch nutzen?«
NOs Antennen kreisen wild und produzieren stroposkopartige Blitze. »Nein, das geht nicht«, feixt er. »Erstens seid ihr Menschen viel zu blöd, um diese Technologie zu verstehen, und zweitens existieren die dazu benötigten Rohstoffe auf der Erde nicht.«
»Schade«, seufzt Gero.
»Wie war das denn eigentlich bei dir zu Hause, als du Kind warst? Du warst doch auch einmal ein Kind, oder?«
Gero grinst breit. »Na klar, jeder Mensch ist selbstverständlich zuerst Kind, bevor er zum Erwachsenen wird.«
»Aber manche Menschen sind doch auch noch als Erwachsene kindisch. Dann sind sie doch wieder ein Kind, oder?«
»Ja, irgendwie schon, aber eben nur im übertragenen Sinne.«
NO quietscht vor Vergnügen. »Noch mal zu deinen Eltern: Waren die bildungsnah oder bildungsfern?«
Gero zieht abschätzig die Mundwinkel nach unten. »Mit Bildung hatten meine Alten nichts am Hut.«
»Wieso denn nicht?«
»Meine Mutter war nur Hausfrau. Sie hat den ganzen lieben langen Tag nichts anderes gemacht als geputzt, aufgeräumt, Wäsche gewaschen und für ihre Söhne gekocht.«
»Du hast also mindestens einen Bruder?«
»Woher weißt du das?«, fragt Gero, doch gleich darauf kommt ihm die Erleuchtung. Er tippt sich an die Stirn. »Logisch, das hast du aus meinem Plural abgeleitet.«
»Aus dem von dir verwendeten Plural«, verbessert NO. »Ja, ich bin ein kleiner Schlauberger. Logik ist eine meiner großen Stärken. Ich habe übrigens einen IQ von über 500.«
Gero schnaubt verächtlich. »Solch einen hohen Wert gibt es doch gar nicht, du Angeber!«
»Neidhammel«, kontert NO. »Da könnte man vor Neid glatt grün werden, gell?«
Passend zu dieser Bemerkung verwandelt sich seine Körperfarbe in ein dunkles Tannengrün. Es duftet markant nach zerriebenen Fichtennadeln.
»Du kommst ja nur auf einen IQ-Wert von gerade mal 107«, legt No nach. »Und das war dein bisher bestes Testergebnis.«
»Woher weißt du denn das schon wieder?«
»Recherche, mein lieber Erdbewohner, professionelle Recherche.«
»Du verblüffst mich immer mehr.«
»Gut so. Zurück zu deiner Herkunftsfamilie.«
»Warum?«
»Mich interessiert deine Bildungsbiographie eben.«
»Okay, was willst du noch wissen?«
»Deine Eltern hatten also keine Bücher und haben dir auch nicht aus geliehenen Büchern vorgelesen?«
»So ist es«, nickt Gero und räuspert sich. »Obwohl, das stimmt nicht ganz«, korrigiert er. »Meine Mutter hat irgendwann einmal ein paar Kinderbücher gekauft und sie uns vorgelesen.«
»Wie oft?«
Denkpause. »Eigentlich jeden Abend, wenn wir ins Bett sind«, murmelt Gero vor sich hin.
»Und dein Vater?«
»Der hat immer nur malocht.« Abschätzig presst Gero Luft durch die Nase. »Der Alte hat richtig drangeklotzt. Überstunden um Überstunden hat er gemacht. Und sogar am Wochenende hat er geschuftet wie ein Brunnenputzer.« Mit einem Augenzwinkern ergänzt er: »Schwarz, versteht sich.«
»Konnte dein Vater denn auch die Körperfarbe wechseln, so wie ich?«
»He?« Geros verdutzte Miene bringt sein Unverständnis plakativ zum Ausdruck. Doch dann lacht er schallend los. »Nein, NO, er wurde nicht schwarz, er hat nur schwarz gearbeitet.«
»Also mir wurde nur die Redensart ›Er hat sich schwarz geärgert‹ einprogrammiert.«
»Schwarz arbeiten bedeutet, dass man dem Staat von seinem Arbeitslohn keine Steuern abführt. Ist zwar nicht legal, aber wie hieß es früher zu Sponti-Zeiten so schön: Legal – Illegal – Scheißegal!«
»Verstehe ich immer noch nicht.«
»Ja, gibt’s denn auf deinem Planeten keine Steuern?«
NO wiegt den Kopf hin und her.
»Auch kein Finanzamt?«
Dieselbe Reaktion.
»Ich glaube, ich fliege doch mit dir zu deinem Stern«, prustet Gero und klatscht in die Hände.
»Das geht nicht«, erklärt NO nüchtern.
»War ja auch nur Spaß.«
»Aus Spaß wurde Ernst, Ernst lernt jetzt laufen«, bedient sich NO aus seinem schier unerschöpflichen Sprüche-Fundus. »Zurück zu deiner Kindheit. Hast du eine Grundschule besucht?«
»Ja, sicher, schließlich gibt es in Deutschland eine Schulpflicht.«
»Wie lange dauert die Grundschule?«
»Leider nur vier Jahre. In einigen besonders fortschrittlichen Bundesländern beträgt die Grundschulzeit allerdings sechs Jahre. Dieses längere gemeinsame Lernen ist ganz, ganz wichtig für die gesunde soziale Entwicklung der Schüler und verhindert das frühzeitige Aussondern und Abschieben gerade der Kinder aus bildungsfernen Schichten.«
»Die Selektion.«
Gero nickt.
»Das hatten wir ja schon«, stellt NO lapidar fest. »Du warst sicher in einer sechsjährigen Grundschule?«
»Nein, die gab es damals leider noch nicht.«
»Dann bist du also sozial nicht gesund entwickelt.«
Gero lacht. »Na, das wollen wir doch nicht hoffen, oder?«
NO geht darauf nicht ein, sondern erkundigt sich nach Details aus Geros Kindheit. Ein Thema, auf das sich Gero gerne einlässt.
»Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, wundere ich mich schon manchmal, dass ich überhaupt groß geworden bin«, sagt der Bildungsexperte.
»Wieso?«
Gedankenversunken zeichnet Gero mit der Fußspitze ein Kreuz in den Sand. »Na ja, wir saßen ohne Sicherheitsgurte und Airbags im Auto. Beim Fahrradfahren trugen wir keine Schutzhelme.« Gero reckt bedeutungsvoll den Finger in die Höhe. »Kleine Anmerkung am Rande: Unsere Fahrräder besaßen keine Gangschaltung. Unvorstellbar heute!«
»Interessant«, bemerkt NO.
»Wir haben überall gespielt: im Wald, am Fluss, am See, in alten Bunkeranlagen.« Gero grunzt amüsiert. »Und das völlig unbeobachtet von unseren Eltern. Natürlich mussten wir nach dem Mittagessen zuerst unsere Hausaufgaben erledigen. Aber wenn wir damit fertig waren und Mutter sie kontrolliert hatte, konnten wir anschließend tun und lassen, was wir wollten.
Meist gab es nur eine einzige Anweisung, an die wir uns zu halten hatten. Sie lautete: Bevor’s dunkel wird, seid ihr zu Hause. Und wenn es mal später wurde, hat man sich eben seine Ohrfeige abgeholt oder es wurde einem der Hintern versohlt – damit war die Sache dann aber erledigt.«
»Haben deine Eltern keine Kinderpsychologen, Erziehungsberatungsstellen oder Selbsthilfegruppen aufgesucht?«, fragt NO verwundert.
»So etwas gab’s früher nicht«, lacht Gero und schnäuzt sich trompetenartig die Nase. »Ja, das waren damals schon harte Zeiten für Kinder.« Er seufzt wehmütig. »Aber es waren auch sauschöne, wilde Jahre, in denen man …« Den Rest lässt Gero unausgesprochen.
»Erzähl bitte noch ein bisschen mehr aus deiner Kindheit«, versucht NO den unterbrochenen Redefluss wieder in Gang zu bringen.
»Das kann man sich heute im Handy-Zeitalter mit dieser schrecklichen Überall-Erreichbarkeit kaum mehr vorstellen: Unsere Eltern wussten nicht, wo wir waren«, sagt Gero mit verklärtem Blick. »Stell dir das mal vor«. Mit dem Daumennagel reibt er sich über den Handrücken und seufzt: »Welche traumhaften Zustände.«
»Wir hatten damals auch absolut keinen Freizeitstress, so wie heute, wo schon die Kleinsten tagaus, tagein durch die Gegend chauffiert werden: von der Musikschule zum Ballett, vom Nachhilfestudio direkt in den Tennisverein oder zum Event in die Spiel- und Spaßfabrik.«
Gero atmet hörbar aus. »Und wenn wir uns mal gegenseitig vermöbelt haben, kam nicht gleich ein hysterisches Elternteil mit Anwalt angerannt und hat den Sieger verklagt. Das haben wir alles unter uns geregelt.«
Er taucht völlig ab in die ferne Zeit seiner unbeschwerten Kindertage.
»Wir hatten weder einen Computer, noch eine Playstation. Und das Fernsehprogramm begann erst um 18 Uhr.« Er winkt ab. »Wir durften eh nur von unseren Eltern ausgewählte Sendungen anschauen – bei denen sie auch noch dabeisaßen.«
Gero grinst breit und lässt seinen verklärten Blick über die unzähligen Lichtpunkte der Stadt hinwegschweifen. »Wenn sich mal zwei Schauspieler geküsst haben, hat meine Mutter das Fernsehgerät ausgeschaltet.« Wieder legt er eine Pause ein.
»Ihr hattet also viel freie Zeit«, sagt NO.
»Ja, das kann man wohl sagen. Und vor allem verfügten wir über reichlich selbstbestimmte Zeit.« Gero kneift seine schmalen Lippen so fest zusammen, dass sie nicht mehr zu sehen sind und wiegt den Kopf sanft hin und her.
»Was wir damals so alles getrieben haben«, fährt er fort: »Ohne Seilsicherung sind wir von Baum zu Baum geklettert. Bei Wind und Wetter haben wir im Freien Fußball gespielt und uns dabei wie Schweine im Schlamm gewälzt. Wir haben Bäume gefällt, aus den Stämmen Flöße gebaut und Seeräuberschlachten gegen die Jungs aus dem Nachbardorf veranstaltet.«
»Und da haben alle mitgemacht?«, will NO wissen.
»Nee, nee. Damals herrschten klare Verhältnisse mit strengen Hierarchien, die aber jeder von uns akzeptiert hat. Zum Beispiel wurden die Kinder bei der Aufstellung von Fußballmannschaften knallhart nach Leistung aufgeteilt: Wer gut war, durfte mitspielen, und wer nicht gut war, musste eben mit der Enttäuschung klarkommen. Das war …«
»Ihr habt also selektiert«, wirft NO ein.
»Wie? Quatsch!«, zischt Gero. »Das ist doch etwas ganz anderes als die Selektion im Schulsystem.«
»Was hat derjenige, der nicht mitspielen durfte, denn gemacht?«
»Na ja, der hat sich eben mit seinem Schicksal abgefunden oder so lange hart trainiert, bis er besser wurde.« Gero lässt ein schmatzendes Geräusch verlauten.
»Ich war damals auch nicht gerade ein begnadeter Fußballer, musst du wissen«, verkündet er. »Weil ich als Feldspieler nicht so gut war, haben sie mich eine Zeit lang immer nur ins Tor gestellt, besser gesagt im Tor abgestellt. Aber dann habe ich mit meinem Bruder und meinem Vater trainiert bis zum Umfallen. Und irgendwann war ich dann ein guter Torwart, den man unbedingt in seiner Mannschaft haben wollte.«
»Qualität kommt eben von quälen«, murmelt NO.