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Der Tote im Kartoffelkeller

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Es ist der 7. November 1963. Eine Frau tastet sich kurz nach Mitternacht durch ihre stockdunkle Parterrewohnung in Weferlingen bei Haldensleben. Sie hat kein Licht gemacht, damit den anderen Bewohnern im Haus in der Straße der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft nicht auffällt, dass sie zu so später Stunde noch herumhantiert. Sie schlurft in der Stube vorsichtig zwischen Plüschsofa und Radiohocker hindurch bis zur Tür mit dem Kastenschloss. Dahinter befindet sich eine eineinhalb Quadratmeter große Abstellkammer. Früher war dort der Treppenaufgang, der von der Toreinfahrt des Hauses heraufführte. Doch bereits vor einiger Zeit wurde die Außentür verriegelt.

Minna Brauer* öffnet die Tür und fühlt vor sich die aufrecht stehende Kastenmatratze aus dem Bett ihres Mannes. Die hat sie vor einigen Tagen in den kleinen Abstellraum gestellt. Sie legt die Matratze vorerst in die Stube der Dreiraumwohnung. Dann fühlt sie nach dem Toten, der seit drei Tagen in der Kammer liegt. Es ist die Leiche ihres Mannes. Die Wanduhr über dem Sofa und neben dem gerahmten Hochzeitsfoto der Brauers schlägt ein Mal – halb eins.

Minna Brauer, die Toilettenfrau aus der Zuckerfabrik Weferlingen, greift dem Toten unter die Arme und schleift ihn durch das Wohnzimmer bis zur Tür, die in den Hausflur führt. Zuerst öffnet sie die Tür nur einen Spaltbreit und lauscht mit angehaltenem Atem, ob sich draußen irgendetwas regt. Sie hört jedoch nur ihren eigenen, lauten Herzschlag. Sie nimmt den Leichnam hoch und stößt mit dem Fuß die Tür ganz auf. Dann trägt sie den Körper bis zur kaum 1,50 Meter hohen Tür in der Mitte des Hausflurs. Dahinter liegen die gewölbeartigen Kellerräume des alten Hauses.

Selbst die nicht allzu große Frau kommt nur gebückt den niedrigen Kellergang und die Treppe hinunter. Sie geht rückwärts und zieht den Toten, den sie nun wieder unter die Arme gefasst hat, hinter sich her. Nach jeder der elf Stufen hält sie inne, um zu lauschen, ob ein Hausbewohner durch das Poltern der Füße auf den Stiegen wach geworden ist. Doch niemand wird aufmerksam.

Unten angekommen steuert die 54-Jährige auf einen der fünf Lattenverschläge zu. Sie legt den Toten vor dem linken Keller gegenüber der Treppe ab und öffnet das Vorhängeschloss. Im hinteren Teil des Verschlags liegen vier Zentner Kartoffeln. Davor befindet sich eine Grube – etwa drei Spatenstiche tief und so lang und breit, dass ein Mensch mit angewinkelten Beinen darin liegen kann.

Minna Brauer hat das Loch eine Stunde zuvor gegraben, um darin den Leichnam ihres Mannes verschwinden zu lassen. Jetzt legt sie den Toten hinein und deckt eine große Natursteinplatte darüber. Anschließend füllt sie das Kellergrab mit der ausgehobenen Erde auf, verteilt den Rest im Keller und tritt ihn fest.

Zurück in der Wohnung legt sie sich ins Bett. Einen Plan, wie sie das Verschwinden des 64 Jahre alten Invalidenrentners erklären kann, hat sie sich bereits zurechtgelegt: „Am besten ist es, ich erzähle, dass Paul in den Westen abgehauen ist“, denkt sie beim Einschlafen. Aber erst mal sage ich gar nichts. Dann muss ich auch keine neugierigen Fragen beantworten.

Doch im Haus und in der Nachbarschaft bleibt es nicht lange unbemerkt, dass Paul Brauer* nicht mehr da ist. Freunden und Bekannten erzählt Minna Brauer nun, dass ihr Mann im Krankenhaus liegt. Er sei mit dem Fahrrad in das Waldstück am Kalkwerk gefahren, um Tannengrün für den Totensonntag zu holen, sagt sie. Dabei sei er schwer gestürzt und ins Krankenhaus Haldensleben eingeliefert worden.

Ende November erfährt Grete Ebel* diese Geschichte. Die Familien Brauer und Ebel kennen sich schon seit vielen Jahren und besuchen sich auch gegenseitig. Die 52-Jährige holt für einige ältere Weferlinger die Rente ab und Minna Brauer fragt deshalb: „Du, sag mal Grete, wann gibt es denn im Dezember Geld?“ Und sie fügt an: „Kannst du nicht gleich Pauls mitbringen?“ Als ihre Bekannte fragt, ob der Ehemann krank sei, antwortet Minna Brauer: „Er ist im Wald so schwer gestürzt, dass er gleich mit der Schnellen Hilfe ins Krankenhaus gefahren werden musste.“

Mitbewohnern in der Straße der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft Nr. 20 berichtet sie, dass ihr Mann einen Unfall bei Everingen gehabt habe. Sie sei schon mehrmals im Haldensleber Krankenhaus gewesen, ihn zu besuchen. „Paul ist bald wieder gesund und kommt nach Hause.“

Anfang Dezember besucht Grete Ebel ihre Freundin. Sie sieht den Sonntagsmantel Minna Brauers an der Flurgarderobe hängen. „Na, dann besuchst du wohl morgen Paul in der Klinik?“ Doch die Gefragte meint nur: „Nein, nein, ich kann meine Arbeit nicht versäumen.“

Ein paar Tage später treffen sich die beiden Frauen erneut. „Du, ich habe von Paul einen Brief gekriegt – ohne Absender, aber in Haldensleben abgestempelt“, sagt Minna Brauer. „Ich soll seine Rente und seine Papiere bereitlegen. Er will in den nächsten Tagen kommen, um sie abzuholen.“ Als ihre Bekannte sie fragend ansieht, äußert die 54-Jährige einen Verdacht: „Der Paul wird wohl eine andere haben.“ Sie werde nun zur Polizei gehen, um ihn „abzumelden“.

Ernst Litte, Abschnittsbevollmächtigter der Volkspolizei, sitzt am Vormittag des 14. Dezember in seinem Dienstzimmer in Weferlingen. Er hat an jenem Freitag eine Besprechung mit dem VP-Landgebietsinstrukteur Leutnant Wolters. In das Gespräch platzt Minna Brauer hinein. Und obwohl der Polizeiunterleutnant darauf hinweist, dass er erst am Nachmittag Sprechstunde hat, lässt sich die Frau nicht abweisen. Ihr Anliegen sei sehr wichtig. „Mach man, Genosse Litte“, sagt Wolters, „ich habe Zeit.“

Was denn so eilig sei, will der ABV wissen. Minna Brauer legt einen Personalausweis auf den Tisch und sagt: „Ich will meinen Mann abmelden.“ Litte und sein Kollege sehen sich verdutzt an. „Wie, abmelden, wo ist er denn?“, fragt der Unterleutnant. Ihr Mann Paul sei in Haldensleben bei einer anderen, antwortet die 54-Jährige. Woher sie das denn wisse, schaltet sich Wolters ein. „Vorgestern habe ich einen Brief von ihm bekommen. Er schreibt, dass es ihm gut geht, und ich soll seine Rente abholen.“

„Kommen Sie morgen zwischen 8 und 12 Uhr zur Sprechstunde in die Meldestelle“, sagt Litte. „Da können Sie Ihren Mann abmelden.“ Sie habe erst Montagvormittag Zeit, entgegnet Brauer. „Gut, dann Montag.“ Als die Frau schon an der Tür steht, ruft der ABV noch: „Und bringen Sie den Brief mit.“

„Kurios, um nicht zu sagen verdächtig“, meint Wolters, nachdem die Frau gegangen ist. Litte nickt nur und ruft den Sachbearbeiter in der Meldestelle an. Er richtet ihm aus, dass er Minna Brauer am Montag sofort zu ihm ins Dienstzimmer schicken soll.

Zwar kommt die Frau am Montag, doch den Brief hat sie nicht dabei. „Ich habe ihn leider schon verbrannt“, erklärt sie. Aber inzwischen habe Paul ihr erneut geschrieben. Sie legt einen Zettel auf den Tisch des ABV: Unterschrift „Paul“. Er trägt das Datum 14. Dezember 1963. Der ABV liest, dass der Ehemann Minna Brauers mit einer Frau in Richtung Grenze unterwegs ist. „Und der Umschlag?“, fragt Litte. Den habe sie auch verbrannt. Aber der Brief sei am 14. Dezember in Haldensleben abgestempelt worden, könne sie sich genau erinnern. Das kommt dem Polizisten seltsam vor. Denn er weiß, dass die Post von Haldensleben nach Weferlingen wenigstens zwei Tage unterwegs ist. Doch vorerst behält er seine Gedanken für sich. Er nimmt unter der Tagebuchnummer 1196/​63 die Anzeige auf.

Eines Tages Ende November 1963 in den Vormittagsstunden sei ihr Ehemann aus der Wohnung gegangen, ohne sie wissen zu lassen, wohin. Auf die Frage nach dem Eheverhältnis sagt die 54-Jährige: „In den ersten Jahren war es nicht geordnet. Ich habe öfter mal Schläge von meinem Mann gekriegt.“ In den letzten Jahren seien sie jedoch gut miteinander ausgekommen.

Am 9. oder 10. Dezember habe sie einen Brief von ihrem Mann bekommen. Darin habe er geschrieben, sie solle seine Bekleidung zurechtlegen, da er seine Sachen in den nächsten Tagen abholen wolle. „Außerdem sollte ich zur Polizei und ihn abmelden und veranlassen, dass seine Rente nach Haldensleben überwiesen wird.“

Im zweiten Brief vom 14. Dezember habe Paul mitgeteilt, dass sie ihn nicht abzumelden braucht. Er habe geschrieben: „Wir sind unterwegs zur Grenze. Meine Rente schenke ich dir zum Abschied.“

Bei ihren Töchtern in Magdeburg und Gerbstedt habe sie sich noch nicht erkundigt. „Ich glaube nicht, dass sich mein Mann bei ihnen aufhält.“ Lediglich ihrer Schwester in Neu-Hillersleben habe sie geschrieben. „Doch sie hat geantwortet, dass Paul nicht dort ist.“

Abschließend sagt sie dem ABV noch, dass ihr Mann ohne Papiere gegangen sei. „Ich habe seinen Ausweis und alle persönlichen Unterlagen in der Schublade unseres Stubenschrankes gefunden.“

Der ehrgeizige Ortspolizist versucht am nächsten Morgen Licht in die mysteriöse Sache zu bringen. Er klingelt in der Straße der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft Nr. 20 an den Türen der drei Familien, die dort neben den Brauers wohnen. Die Mieter sind sehr erstaunt, dass sich Paul Brauer von seiner Ehefrau getrennt haben soll. Der ABV erfährt die Geschichte von dem angeblichen Unfall, die Minna Brauer im Haus verbreitet hat. Die Mieter schütteln die Köpfe darüber, dass ihnen die 54-Jährige „so viele Lügen aufgetischt“ hat. Besonders verärgert ist Wilhelm Samt*. Am nächsten Tag passt er Minna Brauer ab und stellt sie zur Rede. „Ich dachte doch immer, dass Paul zurückkommt“, sagt sie kleinlaut. „Ich habe mich einfach geschämt, die Wahrheit zu sagen.“

Die Sache lässt Litte keine Ruhe. Am 18. Dezember geht er zu Minna Brauer. Er hofft, dort vielleicht doch noch den angeblich verbrannten Brief und das Couvert des zweiten Schreibens zu finden. Und die Frau zeigt sich sehr kooperativ. „Hier, Herr Litte, hier ist meine ganze Post. Gucken Sie selbst nach.“ Doch das Gesuchte ist nicht darunter.

„Wenn Sie nicht glauben, dass mein Mann weg ist, können Sie sich die Wohnung ansehen. Ich habe nichts zu verbergen.“ Minna Brauer öffnet die Schränke und hält die darin hängende Bekleidung zur Seite, um zu zeigen, dass ihr Mann nicht da ist. Der ABV lässt sich vom sicheren Auftreten der 54-Jährigen überzeugen.

Kurz nach Weihnachten bekommt Litte vom Weferlinger Bürgermeister die „kollektive Beurteilung“ des Verschwundenen. Brauer sei seit „jeher Gelegenheitsarbeiter gewesen, der es nirgendwo lange aushielt und an einem festen Arbeitsverhältnis nicht interessiert war“. Wenn Geld da war, habe der Invalidenrentner mit seiner Frau „einen guten Tag in Gastwirtschaften verlebt. War das nicht der Fall, wurde versucht, auf Pump zu leben.“

Da Litte weiß, dass Minna Brauer mit Brunhilde Bosse* und Grete Ebel, die in derselben Straße wohnen, freundschaftlich verkehrt, bittet der Abschnittsbevollmächtigte die beiden Frauen, beim nächsten Treffen das Gespräch auf den Vermissten zu bringen. Am 2. Januar 1964 erzählt Minna Brauer, dass sie das Bett ihres Mannes in den Stall gestellt habe, weil sie nicht mehr daran glaube, dass er wiederkommt. Dabei hinterlässt sie einen ungewöhnlich aufgeregten Eindruck. Als die beiden Frauen bohren und Näheres wissen wollen, steht Minna Brauer abrupt auf und verlässt die Wohnung Grete Ebels.

Nachdem Litte von diesem Vorfall erfahren hat, besucht er die Toilettenfrau auf ein Neues. Sie teilt ihm mit, dass sie immer noch hofft, dass ihr Paul eines Tages, wenn sie von der Zuckerfabrik kommt, in der Stube sitzt.

Die Kripo des Polizeikreisamts hat inzwischen auch Nachforschungen angestellt, um etwas über den verbrannten Brief in Erfahrung zu bringen. Doch Postzustellerin Helga Sokolowsky* kann nicht weiterhelfen. Sie kann sich nicht entsinnen, ob sie Minna Brauer vor Weihnachten etwas zugestellt hat. „Gerade vor dem Fest kommt so viel Post, ich weiß es einfach nicht.“

Minna Brauer erhält eine Vorladung ins Polizeikreisamt. Dort wird ihr der Text aus dem angeblichen Brief ihres Mannes diktiert:

„Du brauchst mich nicht ab zumelden denn wir sind unter wegens zur Grenze meine Rente die schenke ich dir zum Abschied. Paul.“

Sie muss die Zeilen zehnmal schreiben. Der Originalzettel und das Vergleichsmaterial werden nach Magdeburg an das Dezernat Kriminaltechnik der Bezirkspolizeibehörde geschickt.

Auch die sogenannten Nachermittlungen durch Kriminalisten des Haldensleber Polizeikreisamts bringen kein Licht in den Fall. Allerdings geben die gesamten Umstände und das Verhalten Minna Brauers den zuständigen Kriminalisten zu denken. Im Abschlussbericht kommt Unterleutnant Fechner von der Abteilung Kriminalpolizei des VPKA Haldensleben deshalb zu dem Schluss: „Auf Grund der geschilderten Sachverhalte ergibt sich der dringende Tatverdacht, dass die Frau Brauer ihren Ehemann auf irgendeine Art und Weise beiseitegeschafft hat und somit ein Verbrechen gemäß Paragraph 211 (Mord, B. K.) oder 212 (Totschlag, B. K.) des StGB zu vermuten ist.“

Das Protokoll landet auf dem Tisch des Kripochefs der Bezirkspolizeibehörde in Magdeburg. Polizeimajor Zirm weist an, dass sich die Mordkommission des Falles annehmen soll. Mitarbeiter der MUK fahren am 14. Januar 1964 nach Haldensleben zum Polizeikreisamt und lassen sich die bisherigen Untersuchungsergebnisse vorlegen. Der Leiter der Mordkommission merkt kritisch an, dass bei den geführten Ermittlungen „die Version eines Verstoßes gegen das Passgesetz (Westflucht, B. K.) zu sehr im Vordergrund stand und die Version eines Verbrechens gegen das Leben des vermissten Brauer weniger oder kaum berücksichtigt wurde“.

Als erste Konsequenz wird das Verfahren sofort in die Zuständigkeit der Bezirkspolizei übernommen. Von nun an sind Polizeihauptmann Winter und seine MUK zuständig. Als zweite Maßnahme wird ein Mordermittlungsverfahren gegen Minna Brauer eingeleitet. Der Chef der Mordkommission weist an: Heute noch Zeugen verhören, morgen Minna Brauer festnehmen und als Beschuldigte vernehmen, gleichzeitig Wohn- und Nebenräume der Frau durchsuchen.

Winter will Spuren eines Gewaltverbrechens finden. Nötigenfalls durch Wasserstoffsuperoxyd, wodurch nicht mehr erkennbare Blutspuren sichtbar gemacht werden können. Wohnung, Stallungen, Keller, Hof und Garten sollen gründlich untersucht werden. „Vielleicht hat die Frau ja die Leiche ihres Mannes irgendwo versteckt“, vermutet der erfahrene Kriminalist. „An verdächtigen Stellen graben“, gibt er seinen Leuten mit auf den Weg.

Der Haldensleber Kreisstaatsanwalt unterschreibt am 15. Januar die Hausdurchsuchungs-Anordnung und am frühen Nachmittag stehen Leutnant Thiele und Leutnant Fechtner von der Magdeburger Mordkommission vor dem Haus Nr. 20 in der Straße der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft.

Zuerst untersuchen die beiden Ermittler im Beisein des Staatsanwalts einige Bekleidungsstücke. An einigen stellen sie dunkle Flecken fest. „Möglicherweise ausgewaschenes Blut“, vermutet Thiele. Doch der Nachweis mit dreiprozentigem Wasserstoffsuperoxyd verläuft negativ. Lediglich an einer Schürze reagiert die Chemikalie leicht. Doch ist die Spur geringfügig und die Kriminalisten wissen, dass somit eine Blutgruppenbestimmung nicht möglich ist.

Bei der Hausdurchsuchung öffnen Kriminaltechniker Thiele und Sachbearbeiter Fechtner auch die Abstellkammer. Sie nehmen die Kastenmatratzeheraus. Sie wird ebenfalls untersucht. Doch auch an ihr gibt es keinerlei Blutanhaftungen. Ebenso wenig am Bettzeug im Schlafzimmer und der Oberbekleidung des Ehepaars.

Nachdem beinahe die gesamte Wohnung mit H 2 O 2 abgesprüht wurde, packen die Ermittler ihr kriminaltechnisches Material zusammen und gehen in die gewölbeartigen Kellerräume. Leutnant Thiele öffnet das Vorhängeschloss vom Keller der Brauers. Auf den ersten Blick macht der Boden des Bretterverschlags den Eindruck, als sei er fest. Thiele nimmt einen Spaten und sticht in regelmäßigen Abständen in die Erde. Plötzlich dreht er sich zu Fechtner um, der am Eingang wartet: „Hier stimmt was nicht. Hier ist der Boden ganz locker.“ Doch als er tiefer graben will, stößt der Bezirkspolizist auf etwas Hartes. Er kniet sich hin und scharrt mit den Händen. Die Steinplatte kommt zum Vorschein, gut einen Meter lang und über einen halben Meter breit. Fechtner hilft Thiele, die 60-Kilogramm-Platte an die Wand zu stellen. Wenig später kommt im lockeren Erdreich der linke Arm einer Leiche zum Vorschein. Es ist 16.20 Uhr.

Kreisstaatsanwalt Studzinski weist an, dass die Arbeit am Fundort eingestellt, der Keller gesichert und der Leiter der Mordkommission in Haldensleben verständigt wird.

Dort vernehmen Winter und Polizeileutnant Kühnhardt seit 15 Uhr Minna Brauer. Kurz zuvor war sie vorläufig festgenommen worden. Die 54-Jährige erzählt, dass sie „ständig sehr eifersüchtig gewesen“ sei. „Ich habe vermutet, dass Paul Verhältnisse mit anderen Frauen hat. Deshalb habe ich ihn öfter abgepasst, wenn er von der Arbeit bei der LPG kam.“ Man hätte ihr „gesteckt“, dass ihr Mann fremdginge, und das habe zu Streitereien geführt. Die Toilettenfrau, die über die dritte Klasse der Grundschule nicht hinausgekommen ist, räumt allerdings ein, dass sie selbst kein Kind von Traurigkeit gewesen ist: „Mitte der 30er Jahre hatte ich selbst Beziehungen zu anderen Männern.“ Nach 1945 hätte sie sich mit ihrem Mann besser verstanden, obwohl sie immer noch eifersüchtig gewesen sei. „Aber ich gebe zu, dass ich keinen Grund dafür hatte.“

Dann berichtet die 54-Jährige, was sich Anfang November in ihrer Wohnung zugetragen hat. Dabei bricht sie immer wieder in Tränen aus und hält sich ihr Kopftuch vor das Gesicht. Einige Male schreit sie laut auf: „Er ist tot, er ist tot. Sperrt mich ein, macht mit mir, was ihr wollt. Ich will nichts mehr hören und sehen.“ …

Minna Brauer hat am 3. November Nachtschicht in der Zuckerfabrik. Seit einiger Zeit verdächtigt sie ihren Mann mal wieder, dass er eine Freundin hat. „Während ich nachts im Betrieb bin, besucht er das Flittchen bestimmt“, ist sich die Klofrau sicher. Und ihr fällt eine List ein, wie sie ihren Paul überführen kann. Dazu stellt sie seine Schuhe in den Kasten unter einem dafür umgebauten kleinen Tisch. Sie fragt ihren Mann: „Gehst du heute Abend noch aus dem Haus?“ – „Nee, nee, heute bestimmt nicht mehr“, antwortet er vom Sofa aus.

„Wenn morgen früh die Schuhe an einem anderen Platz stehen, war er noch unterwegs“, denkt Minna Brauer. Und tatsächlich, als sie am 4. November nach der Schicht nachsieht, stehen die Schuhe im Wohnzimmer neben der Nähmaschine. „Wusste ich’s doch“, ärgert sich die Frau. Sie macht auf dem Hacken kehrt und geht ins Schlafzimmer. Dort steht ihr Mann gerade auf. „Du bist ja doch noch fort gewesen“, schreit sie ihn an. Doch Paul Brauer brummt nur: „So’n Quatsch, ich war nicht weg.“ Damit lässt sich seine Ehefrau nicht abspeisen: „Du kannst aber lügen. Ich habe deine Schuhe extra in den Schuhkasten gestellt, jetzt stehen sie unter der Maschine.“ Dem Invalidenrentner ist die ganze Sache zu dumm. Er tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und lässt seine Frau stehen.

Minna Brauer geht in die Küche und wäscht sich. Dann legt sie sich im Schlafzimmer ins Bett. Doch sie kann nicht einschlafen. Zu sehr beschäftigt sie das vermeintliche Lügen des 64-Jährigen. Sie steht wieder auf, um nachzusehen, was ihr Mann macht. Er hat sich in der Stube auf das Sofa gelegt. Wortlos macht sie kehrt und legt sich auch wieder hin.

Gegen Mittag wacht sie auf. Sie stellt fest, dass Paul inzwischen das Wohnzimmer geputzt und geheizt hat. Seine Frau würdigt er keines Blickes.

Am Nachmittag stopft Minna Brauer in der Stube Strümpfe. Ihr Mann sitzt auf dem Sofa, liest Zeitung, hört Radio und trinkt eine Flasche Bier. Auch seine Ehefrau hat sich eine Flasche aufgemacht, trinkt sie jedoch nicht ganz aus. Ihr Zorn ist inzwischen abgeflaut. Sie versucht, mit Paul ins Gespräch zu kommen. Doch auch als sie ihm anbietet: „Lass uns doch wieder vertragen“, winkt er nur ab.

Gegen 17 Uhr legt sich Paul Brauer auf das Sofa und schläft sogleich ein. Zwei Stunden später wacht er auf. Der 64-Jährige ahnt nicht, dass seine Frau inzwischen den Entschluss gefasst hat, ihn umzubringen. Sie hat im Rest Bier, der noch in der Flasche ist, Schlaftabletten aufgelöst. Nachdem sich Paul aufgesetzt hat, reicht sie ihm die Flasche mit dem „Elrodorm“. „Habe ich extra für dich aufgehoben.“ Der Mann trinkt die Neige auf einen Zug aus, schüttelt sich und sagt: „Schmeckt aber bitter.“ Minna Brauer antwortet: „Meins hat auch so bitter geschmeckt.“ Nach ein paar Minuten fallen dem 64-Jährigen die Augen zu. Er legt sich wieder hin und ist nach einer halben Stunde eingeschlafen.

Darauf hat seine Ehefrau nur gewartet. Sie nimmt ihren grauen Seidenschal mit den roten Blüten und windet ihn ihrem Mann, der auf dem Rücken liegt, um den Hals. Sie macht vorne einen Knoten und zieht zu. Ein ersticktes Stöhnen ist die einzige Reaktion des Strangulierten. Sie hält die Schalenden etwa fünf Minuten fest. Paul Brauer regt sich nicht mehr.

Sie löst den Schal vom Hals der Leiche und setzt sich an den Stubentisch. Sie bleibt die ganze Nacht wach. Hin und wieder geht sie durch die Wohnung. Am Morgen zieht sie den Toten vom Sofa und legt ihn in die Abstellkammer.

Minna Brauer gibt auch zu, den angeblichen Brief ihres Mannes selbst geschrieben zu haben. Das Geständnis wird durch das Gutachten des Schriftsachverständigen der Bezirkspolizeibehörde untermauert. Er hat inzwischen Brief und Vergleichsschrift untersucht. Polizeioberleutnant Schönebein hatte neben dem Brief einen Fragebogen für Kampagnehelfer in der Landwirtschaft, den Minna Brauer ausgefüllt hat, und einige Schriftstücke mit der Handschrift ihres Ehemanns Paul Brauer zur Verfügung gehabt. Der Kriminaltechniker kommt zu dem eindeutigen Schluss, dass der angeblich von Paul Brauer geschriebene Brief nicht mit den Originalschriftstücken des Mannes übereinstimmt. Zwar gebe es eine gewisse Ähnlichkeit in der Buchstabenformung, doch sei das lediglich durch die Schriftart begründet. Die Schrift des von Minna Brauer bei der Polizei geschriebenen Vergleichsbriefes stimme hingegen mit dem Brief überein. Besonders deutlich sei das am kleinen „a“ und in den Anfangszügen der Kleinbuchstaben „b“, „s“ und „w“ zu erkennen. Der Schriftexperte verweist auf zehn weitere individuelle Merkmale, die aufdecken, dass Minna Brauer den Brief gefälscht hat.

Das Kreisgericht Haldensleben erlässt am späten Vormittag des 16. November wegen Mordverdachts Haftbefehl. Vor Haftrichter Mitzenheim gibt sie erneut zu, ihren Ehemann vorsätzlich getötet zu haben, weil sie eifersüchtig war. Anders als vor der Mordkommission sagt sie jetzt, dass sie bereits um 15 Uhr Schlaftabletten in der Apotheke besorgt habe, um den 64-Jährigen „einzuschläfern“, damit er sich nicht wehren könne. „Ich habe drei ‚Elrodorm‘ im Bier aufgelöst.“

Sie habe geglaubt, die Tat würde nicht aufgedeckt, wenn sie erzählt, dass ihr Mann sie verlassen hat. „Zumal wir ja im Grenzgebiet wohnen.“

Am selben Tag wird die Weferlinger Kellerleiche in Magdeburg geöffnet. Doch die Sektion allein ergibt wegen der „fortgeschrittenen Fäulnis mit teilweiser Autolyse (Selbstauflösung, B. K.) und beginnender Mumifikation“ keinerlei Anhaltspunkte für die Todesursache. Drosselmarken werden nicht gefunden. Ebenso wenig die für eine Drosselung charakteristischen, punktförmigen Blutungen in den Bindehäuten. Auch für eine vorausgegangene Vergiftung gibt es keine Beweise. Der Magen war leer.

Am 17. November sitzt Minna Brauer zum zweiten Mal vor Polizeileutnant Kühnhardt. Es geht um einen Brief, den sie vor ihrer Festnahme an ihre Tochter in Gerbstedt im Kreis Hettstedt geschrieben, aber nicht abgeschickt hat. Einen „Abschiedsbrief“, wie sie sagt. Denn sie habe vorgehabt, sich umzubringen. Inhalt des weißen Umschlags seien 240 Mark und die Kohlenkarten für 1963 und 1964 gewesen.

„Ich hatte eine größere Menge Schlaftabletten genommen und war gerade dabei, eine Marke auf den verschlossenen Umschlag zu kleben, da ist der ABV, Herr Litte, gekommen. Er wollte mit mir über meinen vermissten Mann sprechen.“

Kühnhardt will wissen, wie oft sie noch die Rente ihres Mannes unrechtmäßig in Empfang genommen habe. „November und Dezember“, antwortet Minna Brauer. „Insgesamt 268 Mark.“ Sie bietet an, den Betrag mit den 240 Mark aus dem Brief und mit 20 Mark, die sie ihrer Nachbarin geliehen habe, an die Sozialversicherungskasse zurückzuzahlen.

Dann fragt der Kriminalist noch einmal, wie viele Tabletten sie in dem restlichen Bier aufgelöst habe. „Drei“, so die Antwort.

Die Staatsanwaltschaft hebt am 17. November die Beschlagnahmung der 240 Mark aus dem Umschlag auf, da das Geld aus einer strafbaren Handlung stammt, und überweist es an die Sozialversicherung.

Am nächsten Tag geht ein Fernschreiben der Magdeburger Mordkommission an das Polizeikreisamt in Hettstedt. Darin wird angefragt, ob die Tochter der geständigen Mörderin als Zeugin vernommen werden kann – sie ist hochschwanger. „(…) ferner wird gebeten, ihr mitzuteilen, dass ihr Vater am 4. November verstorben ist und sich ihre Mutter in Untersuchungshaft befindet.“

Hettstedter Kriminalisten unterrichten Isolde Sack* am 18. November über den Fall. Die 26-Jährige reagiert auf die Verhaftung der Mutter „sehr gelassen“, wie der Magdeburger Mordkommission in einem Antwortfernschreiben mitgeteilt wird.

Am 5. Februar wird die junge Mutter in Magdeburg vernommen. Sie teilt Hauptmann Winter mit, dass sie in der letzten Zeit nur noch brieflichen Kontakt zur Mutter hatte. Zwei Jahre sei es her, dass sie Vater und Mutter das letzte Mal gesehen hat. Sie bestätigt, dass sich ihre Eltern „nie gut vertragen haben“. Beziehungen ihres Vaters zu anderen Frauen habe sie nie feststellen können. Dass der Vater vermisst wurde, habe ihr die Mutter nicht geschrieben.

Am 10. Februar 1964 trifft das Gutachten der chemischen Untersuchung von Leber und Niere des Ermordeten vom Bezirkshygieneinstitut ein. Darin wird festgestellt, dass in beiden Organen Glutethimid nachgewiesen wurde; ein Wirkstoff, der sich in den Medikamenten „Elrodorm“ und „Doriden“ befindet. Eine mengenmäßige Bestimmung sei nicht möglich gewesen.

Und noch ein Gutachten bekommt die Mordkommission am selben Tag auf den Tisch: Die nervenfachärztliche Untersuchung in der Medizinischen Akademie Magdeburg hat ergeben, dass bei Minna Brauer zwar „eine gewisse intellektuelle Minderbefähigung“ bestehe, diese schränke jedoch „die Fähigkeit der Angeschuldigten, das Gesetzwidrige ihrer Handlungsweise zu erkennen oder sich einer Erkenntnis entsprechend zu verhalten, nicht in erheblichem Maße ein“. Die volle strafrechtliche Verantwortlichkeit müsse bejaht werden.

Der Fall steht kurz vor seinem Abschluss und die Kripo ist bereits dabei, den Abschlussbericht aufzusetzen, da verlangt Minna Brauer, dass sie erneut gehört wird. Vor Staatsanwalt Kiehl widerruft sie am 15. Mai 1964 ihr Geständnis: „Ich habe das nur gesagt, weil ich Hermann Hoppe* nicht ins Gefängnis bringen wollte.“

Hoppe wohne in Weferlingen und mit ihm habe sie 1941 ein halbes Jahr lang ein intimes Verhältnis gehabt. „Es muss im Jahr 1962 gewesen sein, da hat er mich gefragt, ob ich mich nicht von meinem Mann scheiden lassen und mit ihm zusammen sein will. Das habe ich abgelehnt.“ – „Dann mache ich das mit Zwang“, soll Hoppe daraufhin gesagt haben. Eines Tages 1963 habe er sie dann abgepasst, als sie gerade von der Mittagsschicht kam. „Er umarmte mich gleich und gab mir einen Kuss. Ich habe ihm eine Backpfeife gegeben. Doch er hat nur gelacht und gesagt: ‚Dich kriege ich doch noch.‘“

Am 3. November 1963 habe Hoppe sie auf ihrem Weg zur Nachtschicht auf der Allerbrücke erneut abgefangen. „Heute komme ich das letzte Mal und die Folgen trägst du“, soll er gedroht haben. Auf diese Szene sei ihr Mann zugekommen. „Ich habe Hoppe darauf aufmerksam gemacht. Er hat sich auf sein Fahrrad gesetzt und ist weggefahren.“ Ihr Mann habe das von Weitem gesehen, habe sich umgedreht und sei gegangen.

„Als ich am nächsten Morgen von der Schicht kam, hing mein Mann an einem Strick an der Türklinke. Auf dem Tisch stand ein Wasserglas. Daneben lagen drei leere Schachteln Schlaftabletten.“ Nachdem sie den Strick durchgeschnitten hatte, habe sie den Toten im Keller vergraben.

Der Staatsanwalt will wissen, warum sie ihren Mann vermisst gemeldet und überall die Geschichte von der Westflucht mit der anderen Frau erzählt habe? „Weil ich alles auf mich nehmen wollte. Ich dachte, dass Herr Hoppe bei meinem Mann war, mit ihm über mich gesprochen und sich Paul danach umgebracht hat.“

Doch der Staatsanwalt ist nicht im Geringsten überzeugt. „Sie lügen, Frau Brauer“, sagt er ihr auf den Kopf zu. Aber die Untersuchungsgefangene ist stur: „Ich bleibe bei meiner jetzigen Aussage. Vergraben habe ich meinen Mann deshalb, weil ich ihn noch so lange bei mir behalten wollte, bis ich genügend Geld für sein und mein Begräbnis gespart habe.“

Die Staatsanwaltschaft weist Nachermittlungen an und verlängert die Frist für den Abschlussbericht.

Die geschiedene Ehefrau Hoppes wird als Zeugin gehört. Hermann Hoppe ist am 17. Januar 1963 nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Hedwig Hoppe weiß, dass ihr Mann während des Krieges ein Verhältnis mit Minna Brauer hatte, meint jedoch zu der Frage, ob ihr Mann in den letzten Monaten versucht habe dieses Verhältnis wiederzubeleben: „Das halte ich für ausgeschlossen.“

Minna Brauer sitzt im Magdeburger Untersuchungsgefängnis. Es ist Freitag – Wäschetausch. Jede Woche bringt ihr ihre Tochter Lieselotte frische Wäsche. Als sie das Päckchen aufmacht, findet sie darin auch eine Seifendose mit einem Zettel. Darauf steht: „Minna Brauer! Ich stehe draußen – alle viere – Isolde.“

Da sie von ihrem Zellenfenster aus auf die Straße blicken kann, schaut sie sofort hinunter. Sie sieht ihre Tochter Isolde, die aus dem Kreis Hettstedt gekommen ist. Sie steht jedoch zu dicht an der Mauer, so dass die Gefangene nur ihren Kopf sehen kann. Sie ruft der Tochter zu: „Geh ein Stück zur Straße hin.“ Dann kann sie die Töchter und ihre zwei größeren Enkeltöchter sehen. Nur das Neugeborene im Kinderwagen kann sie nicht richtig erkennen. Sie ruft erneut durch die Gitter, Isolde solle den Kinderwagen etwas ankippen. Doch das versteht die Tochter nicht. Ein weiteres Mal kann die Mörderin nicht rufen, denn draußen auf dem Gang geht eine Wachtmeisterin vorbei.

Am 4. Juni 1964 wird Minna Brauer von zwei Kriminalisten verhört. Dabei nimmt sie ihren Widerruf zurück. „Mein Mann starb nicht durch den Strick. Und auch Hermann Hoppe habe ich im vergangenen Jahr am 3. November nicht getroffen.“ Es habe sich alles so abgespielt, wie sie es in ihrem Geständnis erzählt hat. Die Geschichte habe sie erfunden, weil sie gehofft hatte, Hermann Hoppe gegenübergestellt zu werden. „Ich wollte ihn noch einmal sehen und sprechen, weil mich mit ihm schöne Erinnerungen verbinden.“

In einem Detail korrigiert sie jedoch ihre Aussage: „Es waren nicht drei, sondern zwanzig Tabletten, die ich Paul in die Flasche getan habe.“ Zuvor hätten sie und ihr Mann „Dreierlei Tropfen“ genommen, weil sie es „mit dem Magen“ hatten. Nachdem sich ihr Mann nun gewundert habe, warum sein Bier so bitter schmeckte, hatte sie ihn beruhigt: „Das liegt an den Tropfen, die wir vorher geschluckt haben.“

Am 11. August 1964 beginnt vor dem III. Strafsenat des Magdeburger Bezirksgerichts der Prozess gegen Minna Brauer. Drei Tage später spricht Richterin Schilling das Urteil: Wegen Mordes wird die Frau aus Weferlingen zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Die Vorsitzende sieht es für erwiesen an, dass Minna Brauer glaubte, allein besser leben zu können. Sie habe ihrem Ehemann übel genommen, dass er als Invalidenrentner Geld bekam, ohne dafür arbeiten zu müssen. „Zu diesem Groll kam noch die Eifersucht, deren Ursache in ihrem aus eigener Untreue resultierendem Misstrauen lag.“ Vor Gericht habe sie keinerlei Reue und Einsicht gezeigt.

Der Halberstädter Rechtsanwalt Klaus Stiebing legt gegen das Urteil Berufung ein. Denn erneut hat Minna Brauer ihm gegenüber ihr Geständnis widerrufen. Nach einem Streit habe sie drei Schlaftabletten in einer Flasche Bier aufgelöst, um einschlafen zu können. Den Rest habe ihr Mann getrunken. Als sie am nächsten Morgen aufgewacht sei, habe Paul Brauer tot auf dem Sofa gelegen. Da sie nach dem Ableben ihres Mannes auch nicht mehr leben wollte, sei es ihr egal gewesen, was mit ihr geschieht. Deshalb habe sie den Mord gestanden.

Das Oberste Gericht der DDR verwirft am 2. September 1964 die Berufung als „offensichtlich unbegründet“.

Der Staatsrat begnadigt die Mörderin am 3. September 1979. Am 1. Dezember wird die 70-Jährige aus der Haftanstalt Hoheneck entlassen.

Der Muttermörder mit dem Schal

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