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Prälatenmord in Fulda

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Buchische Landplacker schlitzen Abt Fingerhut auf

Ein paar Pferdelängen vor den Mauern und Türmen, welche die Residenzstadt des Fürstabts schützten, blickte Giso von Steinau noch einmal zum Himmel. An diesem Märztag 1271 trieben Wolken gegen Fulda heran, Wolken, so dunkel wie Leichentücher.

Noch vor der Abenddämmerung werden Regenschauer vom Himmel prasseln, kreisten seine Gedanken, aber da ist der Pfaffe längst tot. Der buchische Ritter zog die Kapuze, die der Südwind zauste, wieder bis über die Stirn herab.

Hinter Giso von Steinau ritten, alle wie er selbst in Kapuzenumhänge gehüllt, sieben weitere Herren von Geblüt und drei Knappen. Unter der Vermummung verbargen sie ihre Blankwaffen und den Helm, manche auch ein Kettenhemd.

Die Stadtknechte am Heertor beachteten die auf der Strata Regia näherkommenden Reiter in den Kapuzenumhängen kaum. Wozu auch? Wie immer, wenn in der Jakobskapelle ein Gottesdienst stattfand, füllten sich die Gassen Fuldas mit zahlreichen Besuchern, die von weither kamen.

Vor allem an den Tagen, an denen Abt Bertho II. von Leibolz, der wegen seiner geringen Körperhöhe nur Abt Fingerhut genannt wurde, die Messe zelebrierte, fielen die Gläubigen in die Residenzstadt ein wie Bienenschwärme in den Stock. Heute, am 18. März 1271, war ein solcher Tag.

Scheinbar gleichgültig lenkten Giso von Steinau und seine Begleiter ihre Pferde ins Torhaus. Kein Stadtknecht hielt sie auf. Dass sich unter den Kapuzenumhängen der Ankömmlinge Schwerter und Dolche verbargen, ahnten sie nicht.

Im Übrigen waren die Wächter am Heertor nicht die einzigen fuldischen Stadtknechte, die keinerlei Befürchtungen hegten. Denn was diese nicht wussten, war, dass in diesem Augenblick weitere Reitertrupps in die Stadt einsickerten: Einer durch das Peterstor im Osten, einer durch das Florentor im Süden und einer durch das Kohlhäusertor im Südwesten.

Ungehindert passierten die Berittenen die Stadttore. Niemand versperrte ihnen den Weg, niemand durchsuchte sie nach Waffen.

Es überstieg die Vorstellungskraft der Stadtknechte, sich auszumalen, dass irgendjemand vorhaben könnte, den fuldischen Fürstabt während der Messe in der Kapelle des heiligen Jakob zu ermorden. Eine solche Vorstellung wäre zu ungeheuerlich gewesen.

Doch genau diese Ungeheuerlichkeit sollte nach dem Willen von 26 Angehörigen der buchischen Ritterschaft an diesem Märztag Wirklichkeit werden.

Darauf, nämlich den pfäffischen Hänfling in den Schlund der Hölle zu stoßen, hatten die burgsässigen Herren am Brunnen zu Steinau den Schwurfinger gehoben. Die meisten Leuten im Buchengau hielten die edlen Verschworenen allerding für Heckenreiter und Landplacker.

Den Mordplan veranlasst hatte das Vorgehen Abt Berthos gegen Hermann von Ebersberg. Dieser war im Verlauf der stetigen Fehden in Buchonien gefangen genommen und auf Geheiß des Fürstabts auf dem Marktplatz zu Fulda durch Gerlach Küchenmeister enthauptet worden. Die Möglichkeit, ihn überhaupt gefangen nehmen zu können, wäre freilich nicht größer als der Fortbestand eines Holzspans im Herdfeuer gewesen, hätte ihm der Kleriker heimtückischerweise zuvor kein freies Geleit zugesichert.

So kam, was kommen musste. Seit der öffentlichen Hinrichtung glomm in Heinrich und Albrecht von Ebersberg, den Brüdern Hermanns, anhaltender Hass. Nein, der Hass auf den fuldischen Zwerg glomm nicht, er loderte wie ein Pechkranz.

Die Herren von Stand davon zu überzeugen, das vermeintliche Unrecht zu rächen, war den Brüdern nicht schwergefallen. Denn dass Bertho von Leibolz im Verlauf seiner Amtszeit zwischen Rhön und Vogelsberg 15 Ritterburgen geschleift hatte, steckte diesen noch immer in den Knochen.

Zwei Dutzend adlige Herren folgten dem Ruf der Brüder von Ebersberg und leisteten auf dem Brunnenplatz zu Steinau den Racheschwur. Die Zustimmung, das Vorhaben zu planen und anzuführen, erhielten Heinrich und Albrecht freilich nicht.

Dazu erkoren die Verschworenen Giso von Steinau. Wie auch immer: Die Zeit der Vergeltung war gekommen ...

Die Vermummten ritten durch das Heertor, unbehelligt, niemand nahm Notiz von ihnen. Die Pferdehufe klapperten auf den Steinen, mit denen der überwölbte Torgang gepflastert war.

Es geschah, als sie das Torhaus verließen. Eine Windbö, rauer als die bisherigen, fegte Eberhard von Spahl die Kapuze vom Kopf. Das zurückgerutschte Tuch flappte um seinen Nacken wie ein dunkler Wimpel.

Eberhard von Spahl grapschte nach der Kapuze und stülpte sie wieder über. Dennoch konnte er nicht vermeiden, dass sein Helm und die aus Eisenringen geflochtene Halsbrünne, die er unter dem Umhang trug, kurzzeitig sichtbar wurde.

Giso von Steinau stieß eine Verwünschung aus, als er das Ungemach sah. Er spähte in die Runde, seine Rechte tastete nach dem Dolchgriff unter dem Umhang. Hatte jemand erkennen können, was im Verborgenen bleiben sollte?

(01) Fürstäbtliche Residenz : Fulda am Rand der Rhön. Der Ort entstand aus der Gründung eines Klosters, das missionierende Mönche im 8. Jahrhundert am gleichnamigen Fluss gründeten. 1220 erhob Kaiser Friedrich II. die Äbte des Kloster zu Fürstäbten.

Jetzt, da die Heilige Messe in der Jakobskapelle unmittelbar bevorstand, hielten sich am Heertor kaum noch Besucher auf. Sein Blick fiel auf zwei gebeugte Gestalten in ärmlicher Kleidung, die sich in Richtung Abtsburg entfernten.

Doch die Burschen beachteten den Reitertrupp nicht. Auch die Torwächter benahmen sich nicht auffällig. Niemand schien von dem Missgeschick etwas bemerkt zu haben.

Der Ritter wischte mit der Rechten durch die Luft, als wolle er ein lästiges Trugbild verscheuchen. Dann setzte er den Ritt fort.

Statt den geradeaus führenden Weg zur Jakobskapelle in der Abtsburg zu nehmen, bog Giso von Steinau nun linker Hand ab. Der Reitertrupp verschwand im Gewirr der Gassen.

Nach einer kurzen Strecke gähnte in der der Reihe der Fachwerkhäuser eine Lücke. Brandgeruch hing in der Luft. Hier mochten vor nicht langer Zeit Flammen geloht haben.

Giso von Steinau zügelte sein Pferd und saß ab. Seine Begleiter schwangen sich ebenfalls aus dem Sattel.

Das letzte Wegstück zur Abtsburg wollten Giso von Steinau, Albrecht von Brandau, Konrad von Rossdorf, Eberhard von Spahl, Giso von Schenkwald und Konrad und Bertho von Luplen zu Fuß zurücklegen. Hermann von Steinau, genannt der Lange, und die Knappen würden bei den Pferden bleiben. Gerade in dem Augenblick, als die buchischen Ritter die Brandlücke verließen, läuteten von allen Kirchtürmen der Stadt die Glocken.

Auf dem Platz vor der Kapelle herrschte nahezu Leere. Vor dem Portal drängten sich noch ein paar Gläubige, die den Beginn des Gottesdienstes offenkundig verpasst hatten. Giso von Steinau und seine Begleiter warteten auf die Ankunft ihrer Spießgesellen.

Bald darauf trafen die übrigen Verschworenen vor der Kapelle ein. Giso von Steinau bedeutete ihnen, auf dem Platz zu verharren. Der zunehmende Wind zauste an ihren Umhängen.

Heinrich und Albrecht von Ebersberg drängten zur Eile. Sie wollten nicht länger untätig herumstehen, sie wollten dem Zwerg endlich die Gurgel durchschneiden. Trotz der Kapuzen, die die Gesichter der Brüder nahezu verhüllten, genügte dem Ritter ein Blick, um ihre Gemütslage zu erkennen.

Hass glühte in ihren Augen, unversöhnlicher Hass. Und Mordlust. Die Brüder schienen von dem Gedanken, sich für die Enthauptung ihres Bruders an dem fuldischen Abt rächen zu müssen, besessen zu sein.

Kurz rief sich Giso von Steinau das Verhalten der Brüder auf dem Spielberg unweit der Eberburg ins Gedächtnis zurück. Vor ihrem Aufbruch nach Fulda hatten Heinrich und Albrecht von Ebersberg noch darum gewürfelt, wer den klerikalen Hänfling zuerst aufschlitzen dürfe ...

Schon wollten sich die Brüder in Bewegung setzen, doch Giso von Steinau gebot ihnen Halt. Er wollte das Risiko so gering wie möglich halten. Heinrich von Ebersberg bleckte die Zähne wie ein knurrender Hund. Albrecht schien dem Ritter an die Kehle springen zu wollen.

Doch die Brüder lenkten ein. So närrisch, dass sie jetzt etwas Falsches unternahmen, waren sie nicht. Als das Gedröhn der Glocken verstummte, schritt Giso von Steinau auf das Portal der Kapelle des Heiligen Jakobus zu.

Weihrauchgeruch wallte den Landplackern entgegen, als sie das Gotteshaus betraten. Im Inneren der Kapelle herrschte Dämmerlicht. Die Messe hatte bereits begonnen.

An den Seiten des Kapellenschiffs breitete sich Unruhe aus. Dort, wo sich jene Gläubigen drängten, die auf dem Gestühl keinen Platz gefunden hatten, klangen Schimpfworte und Gezeter auf.

Hier nämlich packten unvermittelt kräftige Fäuste zu, roh, rücksichtslos. Vermummte Eindringlinge rissen und zerrten beiseite, wer ihnen im Weg stand, und schoben sich nach vorn.

Schon befanden sich Giso von Steinau und die vier ihn begleitende Ritter an der linken Raumseite in den vorderen Reihen der Versammelten. Aus dem Dämmerlicht des Chors glotzte sie die Ewige Lampe an wie ein rubinrotes Auge.

Fürstabt Bertho II. von Fulda stand nur noch ein paar Schritten von den Eindringlingen entfernt vor dem Altar und predigte mit lauter Stimme. Gerade hob er die Arme, als wolle er den himmlischen Vater umfangen.

Was dem Fürstabt an körperlichen Vorzügen fehlte, glich selbst das prächtige Pontifikalgewand nicht aus. Aber trotz seines kleinen Wuchses ging etwas Achtung gebietendes von ihm aus. Dieser Kleriker feilschte nicht um Vorrechte, sondern schuf vollendete Tatsachen. Dies hatten die buchischen Burgherren mehr als einmal schmerzhaft zu spüren bekommen.

Die Kopf an Kopf stehenden Gläubigen versperrten Giso von Steinau die Sicht zur gegenüberliegenden Raumseite. Er reckte den Hals, um von dem Geschehen dort einen Blick zu erhaschen. Wo steckten die Ebersberger?

Doch während der Ritter noch überlegte, wie er sich mit seinen Gefährten verständigen könne, um gemeinsam loszuschlagen, waren diese Überlegungen bereits hinfällig. Denn plötzlich brach drüben die Reihe der Andächtigen auseinander, als wäre ein Rammbock hineingesaust.

Zeitgleich dazu stürzten sich mehrere vermummte Gestalten auf den Fürstabt. In den vorgereckten Fäusten hielten sie Schwerter und Dolche. Im Vorschnellen glitten die Kapuzen, mit denen sie ihre Köpfe verhüllt hatten, herunter.

Der Prälat schien nicht im Geringsten überrascht zu sein. Ganz ruhig, fast demütig faltete er die Hände zum Gebet. Er wusste, dass er sterben würde, hier und jetzt. Die buchischen Landplacker umringten ihn wie Hatzrüden ein gejagtes Wild.

Eine Schwertklinge flirrte nach vorn und drang dem klein gewachsen Kleriker tief in die Brust. Blut floss aus der Wunde und besudelte das Ornat. Der nächste Stich riss ihm fast den halben Leib auf.

Drei, vier weitere Eisenklingen zerschmetterten dem Abt den Schädel. Hirnmasse, Knochen und Zähne spritzten auf den Altar. Der Prälat rutschte wie ein feucht gewordener Mehlsack in die Blutpfütze, die sich um ihn gebildet hatte.

In den Gesichtern der Gläubigen standen Fassungslosigkeit und Entsetzen. Hier geschah etwas Unerhörtes. Warum bot der Herr seinen frommen Dienern hinter den geweihten Mauern keinen Schutz? Warum gebot er den rüden Frevlern nicht Einhalt?

Schreie gellten durch den Raum. Unter den Gläubigen kam Panik auf, fluchtartig verließen sie die Kapelle. Im gleichen Augenblick setzte wolkenbruchartiger Regen über Fulda ein.

(02) Prälatenmord: Kurz nachdem Fürstabt Bertho II. am 18. März 1271 in der Fuldaer Jakobskapelle zu predigen begonnen hatte, lag er erstochen und enthauptet auf dem Boden.

Giso von Steinau stand vor Überraschung da wie angewurzelt. Im Unterbewusstsein registrierte er, dass Albrecht von Ebersberg als Erster zugestochen hatte. Neben ihm brüllte Eberhard von Spahl seine Wut hinaus und stürmte los.

Das Gebrüll seines Spießgesellen löste die Erstarrung in Giso von Steinau. Er zerrte seinen Dolch unter dem Umhang hervor ...

Die Legende behauptet, der fuldische Abt sei an diesem 18. März 1271 von 26 Stichen tödlich getroffen worden. Jeder der Heckenreiter hätte einmal zugestoßen. Diese Darstellung bagatellisiert freilich das Geschehen.

Die Wirklichkeit war grausamer. Tatsächlich wurde der fuldische Abt zerteilt wie ein Opferlamm. Zuletzt hackte man ihm den Kopf ab.

Die kaiserlose, die schreckliche Zeit

Als Kaiser Friedrich II. im Dezember 1250 in Castel Fiorentino eine Darmerkrankung hinwegraffte, hatte der Staufer das Heilige Römische Reich (ab dem 15. Jahrhundert mit dem Zusatz Deutscher Nation) schon nicht mehr fest in der Hand. Denn zu diesem Zeitpunkt amtierte, von den rheinischen Erzbischöfen hierzu erhoben, nördlich der Alpen mit Wilhelm von Holland bereits der zweiten Gegenkönig.

Nach der wiederholten Belegung des Stauferkaisers mit dem Kirchenbann und seiner päpstlichen Absetzung war im Mai 1246 von der kurialen Anhängerschaft zunächst der thüringische Landgraf Heinrich Raspe zum König gewählt worden. Unterstützung von den weltlichen Fürsten erhielt er nicht. Die Bevölkerung verspottete ihn als Pfaffenkönig.

Da der Thüringer im darauffolgenden Jahr freilich auf der Wartburg starb, mussten die deutschen Kirchenfürsten wiederum nach einem geeigneten Kandidaten Ausschau halten. Nach längerer Suche fanden sie diesen in Wilhelm von Holland.

So lasteten in der Mitte des 13. Jahrhunderts statt einem nun zwei deutsche Könige auf dem Reich zwischen Mittelmeer und Nordsee. Denn in Italien hielt sich ja auch noch Konrad IV. auf. Und der Sohn Friedrichs II. aus der Ehe mit Isabella von Jerusalem schien entschlossen zu sein, sich der staufischen Anhänger im Süden zu versichern und den niederrheinischen Gegenkönig in die Schranken zu verweisen.

Konrad IV. war im Übrigen durch eine Fürstenversammlung rechtmäßig zum deutschen König und künftigen Kaiser gewählt, jedoch bislang nicht gekrönt worden. Den unter päpstlichen Einfluss stehenden Gegenkönig Wilhelm von Holland hingegen hatten die Kirchfürsten zwar förmlich gekrönt, allerdings unter Verwendung imitierter Reichsinsignien ...

Tatsache blieb, dass es im Heiligen Römischen Reich zwei Bewerber gab, die sich um königliche Privilegien und Regalien balgten. Damit brach für das Land der Deutschen eine Zeit der Ungewissheit und Unsicherheit an – die Zeit desInterregnums. Friedrich Schiller kennzeichnete sie in seiner Ballade „Der Graf von Habsburg“ als „die kaiserlose, die schreckliche Zeit.“

Den Beginn des Interregnums datieren die meisten Historiker auf das Jahr 1250, dem Jahr, in dem Friedrich II. starb. Für andere beginnt dasselbe erst mit dem Tod Konrads IV. im Jahr 1254. Und noch andere gehen sogar in das Jahr 1245 zurück, in welchem Papst Innozenz IV. den Staufer Friedrich II. als Kaiser und König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation abgesetzt hatte.

Wie dem auch sei: Das Reichsgebiet versank nun im Chaos. Allerorten herrschten Wirrwarr und Durcheinander, die anarchischen Zustände wucherten wie Unkraut auf dem Feld.

Wen all dies nicht scherte, das waren die deutschen Landesfürsten. Ganz im Gegenteil, bessere Zeitläufte als die gegenwärtigen Wirren hätten sie sich nicht wünschen können. Jetzt, da es keinerlei Reichsgewalt mehr gab, streiften sie jede lehnsrechtliche Fessel ab.

Ungehemmt und zügellos trieben sie ihre Eigenständigkeit voran. Jeder Fürst ließ nur das eigene Wohl gelten. Jeder nutzte das Durcheinander aus, um seinen Landbesitz durch Aneignung von Königsgut und Reichslehen auszuweiten.

Damit nicht genug. Darüber hinaus erhoben sie Zölle und führten Abgaben jeglicher Art ein, um sich zu bereichern. Ihre Raffgier kannte keine Grenzen. Vornehmlich auf die emporstrebenden Städte und den Fernhandel lastete die landesfürstliche Willkür wie ein Albdruck.

In dem Maße, wie das Interregnum die Fürsten begünstigte, geriet der niedere Adel in Bedrängnis. Während die Landesherren Machtzuwachs erzielten, ihr Reichtum beständig wuchs und sie sich eine luxuriöse Hofhaltung leisten konnten, führte der niedere Adel ein bescheidenes Dasein. Schlimmer noch: Die Ritterschaft, welche bislang der Stützpfeiler des feudalen Heerwesens gewesen war, verarmte.

Der Ausbau der Territorialgewalt durch die Fürsten, die Ablösung der traditionellen Ritteraufgebote durch Söldnerhaufen, der Aufstieg des Stadtbürgertums, das Aufkommen neuer Waffentechniken, das Erblichwerden der Lehen, das schwindende Ansehen – alles das waren die Ursachen, weshalb es zum Niedergang des Rittertums kam.

Doch all dies geschah später, etliche Jahrzehnte später. In den Wirren der kaiserlosen Zeit bedrängte die Ritter vor allem eines: die chronische Finanznot.

Die meisten Ritter hockten als Lehensnehmer in einer Felsen- oder Wasserburg und mussten dementsprechend Zins entrichten. Den Grundzins an den Lehensherrn, den Bischofspfennig an die Kirche. Hinzu kam, dass die abzugebende Geldsumme, welche sie aufrechnen mussten, im krassen Missverhältnis zu ihren Bareinkünften stand.

Der Vasallendienst kostete ebenfalls Geld. Fortwährend musste Münzgeld aufgetrieben werden, um die Burgleute mit Pferden, Waffen, Rüstzeug und Kleidung zu versorgen. Kurzum, die Einnahmen konnten den Aufwand der ritterlichen Vasallen nicht mehr decken.

Wo aber sollten die ständig klammen Burgherren die Barmittel hernehmen? Im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts übertraf der steigende Geldbedarf der Lehensträger längst die tatsächliche Möglichkeit, sich solches zu beschaffen.

Die Hoffnung, mit dem Schwert in der Faust ins Heilige Land aufbrechen zu können und beutebeladen in die Heimat zurückzukehren, bestand nicht mehr. Der Kreuzzugsgedanke stand im Verruf, nach nahezu zwei Jahrhunderten ging die Zeit der bewaffneten Pilgerreisen ins Morgenland – welche ohnehin fast immer desaströs verlaufen waren – zu Ende.

Eine Wallfahrt in Waffen brachten dem Kreuzzügler inzwischen kaum noch die Vergebung seiner Sünden, geschweige denn Beutegut ein. Während früher aus den Händen der Heimkehrer die Gulden gehüpft waren wie Ungeziefer vom Strohsack, so drehte heute jeder Ritter den Pfennig mehrfach um.

Jeder dienstpflichtige Burgherr hatte die Kreuzzüge immer auch als passable Mühe betrachtet, die sich zunächst in Beute und später in Besitz auszahlte. Das Seelenheil und die himmlische Zukunft stand – wenn überhaupt – an zweiter Stelle.

Denn wer irgendwann selbst Eigentümer einer Grundherrschaft sein wollte, der konnte das nur über ein erbeutetes Vermögen erreichen. Kein Wunder, dass im ritterbürtigen Adel Wut und Groll gärten, als die Plünderungen in den Ländern der Sarazenen Ende des 13. Jahrhunderts zum Erliegen kamen.

Gezwungenermaßen mussten die verarmten Ritter über neue Erwerbsquellen nachdenken. Im Grunde bot ihnen die veränderte Situation zwei Möglichkeiten: Sie konnten sich entweder in einer der aufblühenden Städte oder beim Landesfürsten als Söldnerführer verdingen. Oder sie sanken zu Heckenreitern, Staudenhechten oder Stegreifrittern herab, die aus dem Sattel des Streitrosses ihren Lebensunterhalt bestritten.

Der überwiegende Teil der burgsässigen Ritter wählte den zweiten Weg. Fortan überfielen sie Reisende und verschleppten sie auf ihre Burgen, um von ihnen Lösegeld zu erpressen. Von den Kaufleuten verlangten sie Straßen- und Brückenzoll.

Wenn um ihre Burg ein Handelsweg führte oder sich diese an einem schiffbaren Fluss erhob, beanspruchten sie nach dem Aneignungsrecht dieGrundruhr. Bei dieser handelte es sich um eine legitimierte Form des Eigentumerwerbs.

Sobald reisenden Handelswagen beim Passieren des Hoheitsgebietes dann einen Achsbruch erlitten und demzufolge dessen Boden berührten, verfiel die Ladung dem Grundherrn. Gleiches galt für gestrandete Schiffe.

Obschon bereits 1220 ein gesetzliches Grundruhrverbot erlassen worden war, ließen sich die Bodeneigentümer solcherart Einnahmen natürlich nicht entgehen. Sie missachteten das Verbot nicht nur, sondern setzten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel ein, um die Einkünfte zu erhöhen. Ihre unredlichen Übergriffe kannten keine Schranken.

(03) Interregnum: In „der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit“ lauerten Raubritter überall im Heiligen Römischen Reich. Vorüberziehende Kaufleute überfielen sie im Wald oder an einer Flussfurt.

Neben dem Missbrauch des Grundruhrrechts raubten die Burgherren die benachbarten Dörfer aus und verschonten auch kirchliche Einrichtungen und Besitzungen nicht. Nebenbuhlern setzten sie den roten Hahn aufs Burgdach.

Zeitgenössische Annalenschreiber bezeichneten die Wegelagerer, Plünderer und Mordbrenner als Landplacker. Ab Ende des 18. Jahrhunderts kam schließlich jene Etikettierung auf, die vielen Historikern ein Gräuel ist – jetzt hießen sie Raubritter. Trotz allem trifft der Begriff Raubrittertum das Phänomen einer seit Mitte des 13. Jahrhunderts dem Verfall preisgegebenen Adelsschicht, der Gewaltanwendung als Mittel zur Selbstbehauptung dient, rational im Kern ...

Der Raub der Königin

Je unergiebiger die Einnahmequellen der Ritter im Interregnum sprudelten, desto übler überzogen sie das Land mit Mord, Unheil und Brand. Die Raubritter wurden zur Landplage.

Schlimmeres hätte nicht passieren können. Der Konflikt um das römische Kaisertum schwelte, die Landesfürsten befehdeten einander um das letzten Königsgut. Und nun brach auch noch wie eine alles vernichtende Woge das ritterliche Raubgesindel über das wehrlose Land herein. Tag für Tag streunten irgendwelche Burgherren mit ihren Bewaffneten durch das Land, um wie ein Rudel hungriger Wölfe in die Dörfer einzudringen, lechzend nach Blut und Beute.

Die Unholde nahmen mit, was nicht niet- und nagelfest war. Kessel, Töpfe, Pokale und Tiegel aus Kupfer, und falls sie derlei aufstöberten, Löffel und Leuchter aus Silber. Das metallische Beutegut schmolzen die Burgschmiede ein und schlugen Münzen daraus.

Vorräte an Speisen und Getränke brauchten die Raubgesellen immer, das Getier in den Burgställen verlangte nach Heu und Hafer. Und wenn es alles dies nicht zu holen gab, verschmähten die Plünderer selbst Wandbehänge, Bettzeug, Körbe und eisenbeschlagene Truhen nicht.

Das Federvieh schlachteten sie an Ort und Stelle, das Großvieh trieben sie fort.

Was half es, wenn ein Dörfler sich wehrte. Wer sich den Raubgesellen in den Weg stellte, wurde niedergehauen. Überhaupt: Wenn den Halunken etwas verquer ging, verschonten sie keinen der Dorfbewohner. Keinen Greis, keinen Mann, keinen Säugling. Über die Mädchen und jungen Frauen fielen sie her, bevor sie ihnen die Kehle durchschnitten.

Gelegentlich verschleppten sie die weiblichen Geschöpfe auch. Meist solche, die hübsch waren und über schwellende Körperformen verfügten. In den Burgen würden sie dann ihr Leben als Stallmägde und Huren fristen, und zwar so lange, bis ihre Gesundheit ruiniert war. Zu guter Letzt prügelte man sie aus dem Raubnest wie räudige Hunde. Überflüssige Fresser konnte sich der Burgherr nicht leisten.

Andere Ritter lauerten entlang der Handelsstraßen den Reisenden auf. Die Überfallenen brachten sie in ihre Burgen und hielten sie in den Verliesen fest. Ziel der Strauchritter war es, für die gefangenen Kaufleute Lösegeld zu fordern.

Obwohl die ritterlichen Burgherren ihr Überleben indessen fast ausnahmslos durch Plünderungen, Wegelagerei und Verschleppungen zu sichern suchten, verbesserten sich ihre Lebensumstände kaum. Die Erkenntnis, dass sie trotz fortwährender Beutezüge arm wie Kirchenmäuse blieben, wirkte ernüchternd auf sie. Folglich blieb ihnen nichts anderes übrig, als danach zu streben, durch aufsehenerregende Unternehmungen eine Verbesserung des bestehenden Zustands herbeizuführen.

Angesichts solcher Schlussfolgerungen kam es 1255 zu einer Untat, die ein Schlaglicht auf die Entwicklung werfen sollte, die sich mehr und mehr abzuzeichnen begann. Denn im November dieses Jahres raubte ein rheinpfälzischer Burgherr nicht etwa eine Bauerndirne oder die Gemahlin eines Fernhändlers, sondern eine leibhaftige Königin ...

Ein Schneeschleier bedeckte die Erhebungen und Hänge der Haardt. Auch die Bäume beiderseits des Fahrwegs, der parallel zum Ostrand des Waldgebirges verlief, trugen das makellose Weiß frisch gefallenen Schnees. Am Tag zuvor hatte es in der Vorderpfalz geschneit.

Heute fiel kein Schnee mehr. Es war sonnig, aber kalt an diesem Tag.

Auf dem Fahrweg zogen etliche Reiter und zwei Wagen nach Süden. Der Zug bestand aus etwa einem Dutzend gewappneter Reiter, die vier berittene Damen und zwei Reisewagen begleiteten. Die Reiter kamen aus der Bischofsstadt Worms und wollte zur Reichsburg Trifels im Wasgau. Dort hielt sich im November 1255 der von den rheinischen Erzbischöfen gewählte König Wilhelm von Holland auf.

Graf Adolf von Waldeck ritt an der Spitze des Zuges. Sein Auftrag lautete, Wilhelms Gemahlin unterwegs Schutz und Sicherheit zu gewähren. Königin Elisabeth beabsichtigte, zusammen mit ihrem Eheherrn und dem Sohn Florens auf dem Trifels das Weihnachtsfest zu feiern. Wilhelm von Holland war mit der Tochter des Herzogs Otto I. von Braunschweig-Lüneburg seit drei Jahren verheiratet.

Der Reiter neben dem königlichen Hofrichter trug ein prunkendes Wappenbanner im Sattelschuh, das den steigenden Löwen der holländisch-seeländischen Grafen zeigte. Jeder sollte erkennen, welch eine edle Dame die Gerüsteten eskortierten.

Adolf von Waldeck und dem Bannerträger folgten sechs Gewappnete. Ihnen schlossen sich Königin Elisabeth und ihre drei Gesellschafterinnen im Damensattel an. Dahinter rumpelten ein Tross- und ein Kastenwagen. Florens, der einjährige Sohn des Königspaares, befand sich in letzterem Gefährt. Den Schluss des Zuges bildeten weitere Reiter im Harnisch.

Der Atem der Menschen und Tiere verwehte in der Kälte, die Pferdehufe wirbelten den lockeren Schnee auf, die Rüstungen der Reiter schimmerten im Sonnenschein. Doch dafür hatte der Hofrichter so wenig einen Blick übrig wie für die winterliche Landschaft.

Adolf von Waldeck nagte an der Unterlippe. Von Edenkoben aus waren es nur noch wenige Meilen bis zur Reichsburg Trifels. Doch augenblicklich fühlte er sich so unbehaglich wie lange nicht mehr.

Der Graf hob die Schultern, als wolle er die Last der Verantwortung von sich werfen. Sein Blick schweifte zum Rand des Haardt hinüber. Die Burg, die da wie ein Adlerhorst auf einer Felsnase des Blättersbergs lag, gehörte Hermann von Rietburg.

Dem Besitzer der Burg eilte der Ruf voraus, ein übler Landplacker zu sein. Schon die Aufzählung seiner Schandtaten schmerzte in den Ohren. Bedeutsamer und bedrohlicher für den Hofrichter schien freilich die Gewissheit zu sein, dass der Ritter von Rietburg als ergebener Vasall der Staufer galt.

Sicherlich war der Rietburger durch seine Späher inzwischen vom Herannahen der Königlichen unterrichtet worden. Dass er mit seinen Burgleuten den Reiterzug überfiel, lag durchaus im Bereich des Möglichen.

Lag der Landplacker vielleicht schon auf der Lauer? Fortwährend beobachtete Adolf von Waldeck die Büsche und Baumgruppen am Wegrand, als könnten sich dort Heckenreiter versteckt halten.

Doch ringsum blieb es ruhig. Fast zu ruhig, sagte sich der Graf.

Das Unheil geschah, als der Hofrichter schon nicht mehr damit rechnete. An der Leiselbrücke bei Edesheim nahm es seinen Lauf: Waffen klirrten, Pferde stampften, wieherten, bäumten sich auf.

Vorn, hinten, an beiden Seiten des Fahrwegs tauchten Bewaffnete auf, zu Fuß und zu Pferde. Hermann von Rietburg und seine Waffenknechte umzingelten das Gefolge der Königin wie ein Rudel hungriger Wölfe ihre Beute.

Der Graf sah sich um und erkannte, dass angesichts der erdrückenden Übermacht der Raubgesellen jeder Widerstand aussichtslos war. Er war nicht nur aussichtslos, sondern selbstmörderisch.

Adolf von Waldeck zerbiss einen Fluch auf den Lippen. Irgendwie zog Wilhelms Gemahlin das Ungemach an wie Unschlittlicht die Motten. Der heutige Überfall stürzte sie nach der Feuersnot in der Hochzeitsnacht bereits in die zweite Kalamität ihres Lebens. Während des Beilagers in Braunschweig hatte eine umgefallene Kerze das Brautbett in Brand gesetzt.

Noch einmal fluchte der Hofrichter das Blaue vom Himmel herunter, dann ergab er sich dem Unvermeidlichen.

Der Schlagetot ließ Wilhelms Gemahlin samt ihrer Begleitung als Gefangene auf die Rietburg bringen. Dass er die Königin im Burgverlies eingesperrt hätte, fügten übelwollende Skribenten ihren Schilderungen über die Begebenheit hinzu. Eine solche Ungeheuerlichkeit wagte selbst Hermann von Rietburg nicht.

In Wirklichkeit quartierte der Burgherr Elisabeth von Braunschweig, ihren Sohn und die vornehmsten Begleiter in den Gästekemenaten ein. Dass er es nicht zum Äußersten kommen ließ, sollte ihm später den Kopf retten.

Was indes stimmte, war, dass die Königin dem Staudenhecht ihren Schmuck und die Geldschatulle aushändigen musste. Kurze Zeit später verließen zwei Boten das Felsennest. Einer jagte nach Worms, der andere zum Trifels. Von den Wormser Bürgern verlangte der Rietburger ein Lösegeld von 1 000 Gulden, König Wilhelm sollte für die Herausgabe seiner Gemahlin ein Vielfaches der ohnehin nicht unerheblichen Summe berappen.

Doch es kam anders, als Hermann von Rietburg sich das vorgestellt hatte. Sowohl der König als auch der Wormser Rat kerkerten die Überbringer der Lösegelderpressung kurzerhand ein. Und da der 1254 gegründete Rheinische Städtebund und einige Fürsten gleichermaßen das Hauptziel verfolgten, den Landfrieden zu erhalten, stand der Bildung eines bewaffneten Aufgebots nichts im Weg.

Binnen kürzester Zeit rückte der Heerhaufen aus, um den Landfriedensbrecher auf der Rietburg Mores zu lehren. Pfalzgraf Ludwig der Strenge, Friedrich von Leiningen, Philipp von Falkenstein, Philipp von Hohenfels, Werner von Bolanden beteiligten sich mit Reisigen und barer Münze an der Strafaktion. Die Städte Worms, Mainz und Oppenheim boten ihre Wehrbürger auf.

Den Königinnenraub büßte der Übeltäter mit der Zerstörung seiner Burg. Nachdem Hermann von Rietburg am 4. Dezember 1255 Wilhelms Gemahlin und alle anderen Gefangenen unverletzt freigelassen hatte, steckten die Verbündeten das Felsennest in Brand.

Eigentlich hätte dem Raubritter wegen der Schwere seiner Schandtaten nun der Kopf vor die Füße gelegt werden müssen. Doch die Herren von Stand fanden, er sei mit dem Verlust seiner Güter und der Vertreibung außer Landes genug bestraft.

Die Entführung einer wahrhaftigen Königin und die haarsträubende Lösegeldforderung, mit der ihr Gemahl konfrontiert worden war, sorgten für Aufsehen im Heiligen Römischen Reich. Ohne jeden Zweifel stellte der Königinnenraub sämtliche Schandtaten seit dem Beginn des Interregnums weit in den Schatten. Andererseits brachte die skandalöse Begebenheit jedoch auch die Gewissheit ans Licht, dass die anarchischen Zustände nicht nur an den Grundfesten der bestehenden Ordnung rüttelten, sondern diese über kurz oder lang zum Einsturz bringen würden.

Auf Unverständnis stieß überdies, dass sich die Verbündeten mit der Zerstörung der Rietburg zufriedengegeben hatten. Im Zuge dieser Maßnahme hätte sich gewiss die Möglichkeit ergeben, noch mehr Burgherren die Betätigung als Heckenreiter zu vergällen und vielerorts den Landfrieden wiederherzustellen.

So blühte das Raubritterunwesen weiter. Unverändert prasselten die Schreckensnachrichten auf die Menschen im Land zwischen Alpen und Nordsee wie Hagelschläge nieder.

Zum Sterben ins Gotteshaus

Trotz aller Widrigkeiten rafften sich einzelne Fürsten bisweilen dazu auf, gegen die Raubritter vorzugehen. Einer dieser Territorialherren war Bertho von Leibolz, der als Abt von Fulda den Titel eines Reichsfürsten beanspruchen durfte. Die Ritter im Buchengau freilich nannten ihn wegen seiner schmächtigen Gestalt nurAbt Fingerhut.

Zorn auf die Burgherren im Buchenland wallte in dem Abt, weil diese nicht davor zurückschreckten, selbst die nach Santiago de Compostela pilgernden Jakobsbrüder auszurauben. Solcherart Bedrückung im Speziellen und dem üblen Treiben der buchischen Ritter überhaupt wollte der Fürstabt ein Ende bereiten. Und dieses Vorhaben setzte er nach seinem Amtsantritt ins Werk.

Zwischen 1261 und 1270 zerstörte und schleifte er 15 Burgen zwischen Rhön und Vogelsberg. Darunter befanden sich die Burgen Blankenwald, Wartenberg, Niederschlitz, Eisenbach, Ebersburg, Osterburg, Seeburg, Oberkappel, Frankenstein und Boxberg. Den fuldischen Vasall Hermann von Ebersberg, der im Verlauf der Auseinandersetzungen in Gefangenschaft geraten war, ließ er hinrichten.

Im Kreis der buchischen Ritterschaft führte die Enthauptung auf dem Fuldaer Marktplatz zu heftiger Empörung, die in dem Plan gipfelte, den Fürstabt zu ermorden. So wurde Bertho von Leibolz am 18. März 1271 in der Jakobskapelle der Fuldaer Abtsburg während der Messe von 26 Eisenklingen aufgeschlitzt und anschließend geköpft.

Während die Mörder nach der Bluttat auf die Burg Steinau flohen, schien das Entsetzen darüber die Kleriker in Fulda zu lähmen. Aber wenn sie in dem entstandenen Wirrwarr nicht den Kürzeren ziehen wollten, mussten sie handeln. Folglich währte die Tatenlosigkeit in der Fürstabtei nicht lange.

Der Konvent wählte einen Amtsnachfolger für den ermordeten Abt. Und Bertho III. von Mackenzell, der selbst dem buchischen Ritteradel entstammte, ergriff umgehend die Initiative und erschien mit einem Waffenaufgebot vor der Burg Steinau. Als die Abtsmörder den Pulk anrücken sahen, zogen sie es vor, das Weite zu suchen.

Fortan befanden sich die Übeltäter vor Bertho von Mackenzells Suchtrupps auf der Flucht. Das Jahr 1271 über streifte die Rotte, die 22 Berittene und 30 Fußknechte zählte, raubend und mordend durch den Buchengau.

Zu Weihnachten spürte das Waffenaufgebot des Fürstabts die Raubschar in Kirchhasel auf und kreiste sie ein. Die Landfriedensbrecher, ihre Pferde am Zügel mitführend, flohen in die Kirche des Dorfes. Hier verbarrikadierten sie sich, so gut es ging.

Die Fuldischen fackelten nicht lange. Mit einem Balken aus Eichenholz rammten sie die Bohlentür auf und drängten ins Innere.

Nun erlitten die buchischen Schlagetots am eigenen Leib, was sie in der fuldischen Jakobskapelle an Abt Fingerhut vollzogen hatten: Sie starben in einem Gotteshaus, zerfetzt von blutverschmierten Eisenklingen. Nur Albrecht und Heinrich von Ebersberg überlebten das Gemetzel. Sie wurden 1274 in Frankfurt am Main gerädert.

Ob Giso von Steinau, der Anführer der buchischen Heckenreiter, während der Metzelei in Kirchhasel umkam oder fliehen konnte und später seine Untaten als Pilger büßte, sei dahingestellt. Sein Schwager Friedrich von Schlitz, der mit Hildegunde von Steinau verheiratet war, und sein Bruder Hermann der Langesetzten den Streit mit den fuldischen Fürstäbten jedenfalls fort.

Im März 1287 ging Friedrich von Schlitz mit Fürstabt Markward von Fulda schließlich einen Sühnevertrag ein, der vorsah, Hermanns Ganerbenteil an der Steinauer Burg zu schleifen. Hermann der Lange floh nach Bayern.

Währenddessen schienen auch die Fürsten anderer Herrschaftsbereiche ernsthaft dazu entschlossen zu sein, den haltlosen Zuständen entgegenzutreten. Wer indes geglaubt hatte, dass die Gebietsherren dem Raubritterunwesen für immer den Garaus machen würden, wurde enttäuscht. Die Plage nahm nicht nur in den folgen Jahrzehnten, sondern noch in den nächsten Jahrhunderten ihren Fortgang.

Blut, Beute und Bittgebet

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