Читать книгу Grundlagen der Philosophie: Einführung in die Geschichte und die Kerndisziplinen - Bernd Waß - Страница 11

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2 Philosophiegeschichte – eine Zeittafel des dokumentierten Nachdenkens

Warum sollte man sich überhaupt mit der Geschichte der Philosophie auseinandersetzen, so könnte man fragen, sind doch nicht wenige der Auffassung, dass die Ergebnisse des Nachdenkens vergangener Zeiten, ob des wissenschaftlichen Fortschritts zum größten Teil überholt, antiquiert oder schlichtweg falsch sind. Eine durchaus berechtigte Frage. Wir würden sagen: Das wertvolle Moment, das der Beschäftigung mit der Geschichte im Allgemeinen und mit der Philosophiegeschichte im Besonderen innewohnt, liegt in ihrer Erklärungskraft. Der Status quo des philosophischen Denkens wird über weite Strecken nur dann verständlich, wenn man sich die Genese dieses Denkens vor Augen führt. Insofern halten wir die Beschäftigung mit der Philosophiegeschichte für eine in der Tat lohnende Angelegenheit. Doch womit haben wir es eigentlich zu tun? Die Philosophiegeschichte, wie sie uns heute in zahlreichen Werken vorliegt, ist die Gesamtheit der philosophischen Deutungs- und Erklärungsversuche von Mensch und Welt. Von jeher ist sich der Mensch selbst ein Rätsel und seine Stellung im Weltganzen ist ihm unklar. Aus dieser Rätselhaftigkeit und Unklarheit resultieren dann auch die großen Fragen, die wir uns immer wieder von Neuem vorzulegen haben: Wer sind wir? Woher kommen wir? Was ist unsere Rolle im Universum? Welchen Sinn können wir unserem Leben geben? Was ist der Sinn von Geschichte und Welt? Usw. usf. Zu unterschiedlichen Zeiten wurden von den Philosophen unterschiedliche Antworten gegeben. Die Zusammenschau dieser Antworten heißt Geschichte der Philosophie.

Im vorliegenden Kapitel geben wir einen knappen, skizzenhaften Abriss dieser Geschichte. Als eine Sammlung von Gedankensplittern konzipiert, die den Ausgangspunkt eigener, vertiefter philosophiegeschichtlicher Betrachtungen bilden sollen, werden die wichtigsten Philosophen, philosophischen Schulen und Positionen vorgestellt: von der Zeit der Vorsokratiker bis ins 20. Jahrhundert. Mit wenigen Ausnahmen konzentrieren wir uns dabei auf die abendländische Philosophie, denn keine andere hat eine so große Vielfalt hervorgebracht und eine so weitreichende Entwicklung genommen. Es lässt sich nicht verhindern, gewissen Philosophen und Positionen mehr und anderen weniger Raum zu geben – viele werden gar nicht genannt. Das mag mit der tradierten Bedeutung mancher Philosophen und Positionen aber auch mit persönlichen Neigungen zu tun haben. Eine wie auch immer geartete Bewertung unsererseits geht damit aber nicht einher. Selbstredend sei endlich darauf hingewiesen, dass dieser Abriss lediglich einer ersten Orientierung dient und ein Studium der Philosophiegeschichte weder ersetzen kann noch will.26

26 Für das Studium der Philosophiegeschichte vgl. u. a.: Röd, Wolfgang (Hrsg.): Geschichte der Philosophie, Band 1-14, C. H. Beck, München, 2009; Störig, Hans Joachim: Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Kohlhammer, Stuttgart, 2016.

2.1 Philosophie der Antike









2.2 Philosophie des Mittelalters




2.3 Philosophie der Renaissance: Renaissance-Humanismus




2.4 Philosophie der Neuzeit im 17. und 18. Jahrhundert







2.5 Philosophie des 19. Jahrhunderts













2.6 Philosophie des 20. Jahrhunderts




















2.6 Philosophie der Gegenwart

Eine Darstellung der gegenwärtigen Strömungen ist schwierig. Einerseits lässt sich die Gegenwart von der Gegenwart aus betrachtet – und eine andere Betrachtungsweise ist nicht verfügbar – nicht vollständig überblicken und andererseits hat die moderne Organisation des Wissenschaftsapparats zu einer derartigen Explosion philosophischer Produktion geführt, dass jeder Versuch einer Aufarbeitung, und zwar nicht zuletzt ob der fehlenden philosophischen »Leuchttürme«, die es einem erlauben würden, sich zu orientieren, aussichtslos erscheint. Daher werden wir im Folgenden lediglich kritisch auf den Zustand der Philosophie am Beginn des 21. Jahrhunderts eingehen, insbesondere auf jenen der deutschsprachigen Philosophie:

Wer außerhalb der Mauern philosophischer Fakultäten steht und mit Philosophen über den gegenwärtigen Zustand ihrer Disziplin spricht, der blickt in traurige Augen. „Die letzten Anfänge liegen mindestens 50 Jahre zurück. Und weit und breit niemand in Sicht, der es an Status, Denkkraft und globaler Präsenz mit den heute greisen Granden dieser Ära aufzunehmen wüsste […] – selbst das ewige Enfant terrible Peter Sloterdijk hat die 70 mittlerweile überschritten.“27

Von einer internationalen oder auch nur interdisziplinären Strahlkraft deutschsprachiger Philosophie kann derzeit keine Rede sein. Wie konnte es im Lande von Leibniz und Kant, Hegel und Schopenhauer, Nietzsche und Arendt nur dazu kommen? Vor allem in einer Zeit, da das öffentliche Interesse an philosophischer Reflexion geradezu explodiert und sich als Folge ein ganzes Gattungsbündel vermittelnder Formate erfolgreich am freien Markt etabliert. Philosophische Monatsmagazine wie Hohe Luft oder das Philosophiemagazin […] erreichen eine Auflage von 60.000 Exemplaren; Festivals wie diephil.cologne locken binnen einer Woche mehr als 10.000 Menschen. Die Sachbuch-Bestsellerlisten zeigen sich seit Jahren populärphilosophisch dominiert. Auch mag man unserer Gegenwart vieles vorwerfen, jedoch nicht, dass sie nicht zu großen und ernsten Fragen Anlass gäbe: Die Digitalisierung revolutioniert den Diskursraum, die Gentechnik greift in die Grundlagen der Schöpfung ein, die künstliche Intelligenz tief in unser Selbstbild, der Klimawandel fordert globales Umdenken, Ökonomie wie Physik befinden sich in einer schweren Grundlagenkrise, während das Wissen um die Weite und den Reichtum des Universums in einer Weise explodiert, die unsere Stellung im Kosmos abermals fraglich werden lässt. Die Welt ist in Bewegung, die kantische Urfrage ›Was ist der Mensch?‹ virulenter denn je. Die akademische Philosophie hingegen stagniert in zunehmend irrelevanter Selbstbespiegelung eigener Traditionsverhältnisse. Warum? Die Konstellation ist vertrackt. Niemals in der Geschichte gab es eine solche Vielzahl an akademisch bestens ausgebildeten Philosophen […]. Sofern Quantität also ab einem gewissen Punkt notwendig in Qualität umschlägt, sollte der nächste große Systemdurchbruch nur mehr eine Frage von Wochen sein. Zumal das Kenntnis- und Differenzierungsniveau gerade der jüngeren, noch um ihre akademische Karriere kämpfenden Garden, auf den ersten Blick geradezu atemberaubend anmutet.28

Doch genau daran krankt die deutschsprachige Philosophie; an ihrer Hyperspezialisierung und radikalen Verwissenschaftlichung; daran, dass die Philosophen weder Mut noch Möglichkeit haben ganze Bücher zu schreiben, sondern sich dem Konformitäts- und Normierungsdruck des Wissenschaftsapparats beugen, um in hoher Schlagzahl in angesagten Fachzeitschriften aufzuscheinen; und schließlich daran, dass sie sich der Peer-Review-Logik ausgelaugter Forschungsprogramme ausliefern, anstatt lebendig, frei und beseelt vom Neuen zu philosophieren. Sie vermögen es nicht mehr echte Akzente zu setzen oder gar echte Aufbrüche im Denken anzuzetteln. Niemand hat noch ein Interesse an ihren hyperspezialisierten Texten – am Ende nicht einmal sie selbst; und die akademische Philosophie liefert keine Antworten auf die wirklich großen Fragen der Zeit, sondern verheddert sich stattdessen, im Kampf um Legitimation, in der Anbiederung an die Einzelwissenschaften. Die deutschsprachige Philosophie ist in einem desolaten Zustand, und erlebt in der Gegenwart ihren geschichtlich schwächsten Moment.

Von innerhalb der Fakultätsmauern gesehen, zeigt sich naturgemäß ein anderes Bild: Von einer allgemeinen Hoffnungslosigkeit oder gar stillen Verzweiflung der akademischen Philosophie ist nichts zu spüren. Was also ist gemeint, wenn von einem desolaten Zustand die Rede ist? Vermutlich, dass die gegenwärtigen Philosophen nicht mehr denselben Einfluss in der Philosophie haben, den sie einmal zu Zeiten von Heidegger oder Cassirer hatten und den nur noch wenige hochbetagte Granden, wie etwa Jürgen Habermas, haben. „Nun es ist wahr, dass der Einfluss der deutschsprachigen Philosophie auf die Weltphilosophie gegenüber den frühen Tagen des zwanzigsten Jahrhunderts gesunken ist. Doch gerade jetzt blüht sie […] wieder wie lange nicht.“29 Man darf nicht vergessen, dass es zumeist einen bestimmten zeitlichen Abstand braucht, um die Größe philosophischer Bemühungen richtig einzuschätzen. „Auch der Vater der Analytischen Philosophie, Gottlob Frege, war in Deutschland zu Lebzeiten ein fast Unbekannter. Seine Bedeutung musste erst durch Russell und Wittgenstein entdeckt werden, bevor die Deutschen im Nachkriegsdeutschland auf ihn aufmerksam wurden. Wie dem auch sei, von Müdigkeit oder Trostlosigkeit ist die Arbeit deutscher Philosophen weit entfernt.“30 Ein Befund, der einem bestimmten Bild von Philosophie geschuldet ist, demzufolge die Philosophie nur dann eine Blütezeit erlebt, wenn Philosophen eine charismatische Strahlkraft weit über die Grenzen ihres Faches entfalten und wenn sie die althergebrachten Denkmuster anarchisch durchbrechen oder schlicht Neues denken.

Eigentlich aber sollte es der Philosophie nicht um Originalität, Wirkung und Denkanregungen als Selbstzweck gehen. Denn der Philosoph ist kein Künstler oder Anarchist. Er sucht behutsam, sorgfältig und diszipliniert nach der Wahrheit. Wahrheit ist aber nicht immer spektakulär, sie ist manchmal auch langweilig und unaufregend. Der Philosoph sollte dabei niemals nur Einsichten wie Offenbarungen verkünden, sondern argumentativ mit Gründen verteidigen. Dann ist Philosophie aber ihrem Wesen nach wissenschaftlich. Das ist beileibe kein neuer Gedanke, sondern so haben es fast alle großen Philosophen seit Aristoteles gesehen. Aber es ist ein Gedanke, der nicht ohne Konsequenzen ist. Sobald man die Philosophie nämlich als Wissenschaft versteht, kann man erkennen, dass die gegenwärtige Philosophie […] sich keineswegs im Zustand fortgesetzter Agonie befindet, sondern quicklebendig ist. […] Philosophen arbeiten […] beharrlich an wichtigen Sachfragen und versuchen Stück für Stück, Probleme zu lösen. Keine der großen und gesellschaftspolitisch wichtigen Zeitfragen wird dabei ausgeklammert, nur wird die Arbeit daran eben nicht spektakulär inszeniert. Und die Philosophen gehen dabei auch Fragen an, die neu sind oder lange nicht als theoriefähig galten. So fragt die politische Erkenntnistheorie danach, ob und unter welchen Bedingungen demokratische Verfahren zu richtigen Entscheidungen und wahren Ergebnissen führen. In der sich neu formierenden analytischen Existenzphilosophie geht man Fragen nach dem eigenen Tod, dem Sinn des Lebens und der Vernünftigkeit von Liebe mit rationalen Methoden nach. Damit wird aber auch klar, dass […] neben einem falschen Befund auch gleich noch die falsche Diagnose [geliefert wird]. Philosophie als Wissenschaft lebt von der Spezialisierung, denn nur Spezialisten können über die schwierigen Fragen im Detail kompetent urteilen. Philosophie als Wissenschaft lebt auch von anonym begutachteten Fachzeitschriften. [.] Sie filtern aus einer unüberschaubaren Flut von Publikationen die qualitativ hochwertigen heraus. Nur so können Debatten fokussiert ablaufen. Die Angst, dass ältere Professoren als »gate keeper« im Begutachtungsprozess abweichlerische Ideen aussondern, ist in Anbetracht der Tatsache, dass umstürzende Ideen […] regelmäßig in solchen Journalen veröffentlicht wurden und nach wie vor werden, haltlos. Das gilt übrigens auch für den Konformitätsdruck, den Forschungsprogramme angeblich erzeugen. Solche Programme erlauben es überhaupt erst, ungeschliffene philosophische Ideen sorgsam zu entfalten. Nur durch diesen Normalbetrieb entsteht so etwas wie wissenschaftlicher Fortschritt, auch in der Philosophie. Der Blick auf andere Wissenschaften, wie die Physik, hilft zu sehen, wie bizarr [die] Diagnose ist. Man müsste dann auch den […] Physikern vorwerfen, dass seit der Zeit der Giganten des Faches im frühen 20. Jahrhundert, also seit Einstein und Heisenberg, in der Physik nicht mehr viel passiert ist, sondern nur noch relativistische oder quantenphysikalische Forschungsprogramme stupide verfolgt wurden. Doch wer wollte den Physikern so etwas ankreiden? Wer sich den philosophischen Idealen einer behutsamen und rationalen Annäherung an die Wahrheit verpflichtet fühlt, der sollte sich daher nicht zu sehr beeindrucken lassen, wenn ihm mangelnde Originalität, fehlende Ausstrahlung und zu wenig Querdenken attestiert werden.31

Man sieht: Die Beurteilung der Philosophie der Gegenwart, die wir hier beispielhaft aus der Perspektive jenseits und diesseits der Mauern philosophischer Fakultäten skizziert haben, liefert entgegengesetzte Vorstellungen dessen, was die Philosophie dieser Zeit ist und was sie zu leisten hat. Letztlich, so könnte man zusammenfassend sagen, wird es wohl einer zukünftigen Gegenwart bedürfen, um die gegenwärtige Gegenwart als eine Episode in der Geschichte der Philosophie angemessen betrachten und einordnen zu können.

27 Eilenberger, Wolfram: Die deutschsprachige Philosophie ist in einem desolaten Zustand. Woran liegt das?, Zeit Online, Campus, 2018.

28 Ebenda.

29 Grundmann, Thomas: Die Philosophie lebt – und sucht diszipliniert nach der Wahrheit, Der Tagesspiegel Online, 2018.

30 Ebenda.

31 Grundmann, Thomas: Die Philosophie lebt – und sucht diszipliniert nach der Wahrheit, Der Tagesspiegel Online, 2018.

Grundlagen der Philosophie: Einführung in die Geschichte und die Kerndisziplinen

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