Читать книгу Kunstphilosophie und Ästhetik - Bernhard Braun - Страница 13
2.1. Der Gang in die Abstraktion
ОглавлениеI.3.4.
II.3.2.6./IV.5.1./IV.5.1.2.f.
IV.8.2.
Die vermutlich einschneidendste und nachhaltigste Brucherfahrung in der Kunst des 20. Jh.s ist der Verlust der Gegenständlichkeit. Natürlich gab es dazu Vorläufer in der Geschichte. Bereits am Beginn der Kunstgeschichte, bei den Höhlenmalereien der Steinzeit, waren wir mit dem Rätsel eines abstrakten Formenschatzes konfrontiert. Zur Darstellung ihres Gottes verwandten Juden und die frühen Christen abstrakte Zeichen. In gewisser Weise ließ sich die Ikone als abstraktes Kunstwerk bezeichnen, das seinen Bildcharakter ausdrücklich verleugnete. Es gibt die große Tradition der Ornamentik, die zusammen mit der Skepsis gegenüber dem materiellen Bild in der byzantinischen, viel mehr noch in der islamischen Kunst eine große Rolle spielte. Neben allen anderen, im nächsten Kapitel aufgeführten Aspekten spielte die Tradition der Ornamentik sowohl bei der Entstehung der ungegenständlichen Kunst am Beginn des Jahrhunderts und – beinahe noch mehr – bei der Fortführung der Abstraktion nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle.
VIII.6.2.2.
Brüderlin 1990, 120
Wilhelm Worringer, den wir im letzten Abschnitt als Theoretiker der Einfühlung kennen lernten, bestimmte die Abstraktion als einen von zwei Polen der Malerei. Die Einfühlung funktioniere beim Organisch-Lebenswahren, während für die Abstraktionen ein Abstraktionsdrang zuständig sei, mit dem jede Kunst beginne. Das sei ein Grundantagonismus der Kunstgeschichte. Markus Brüderlin sprach mit Blick auf die mit Ready-Made auf der einen und dem weißen Quadrat auf der anderen Seite anhebende Avantgarde von »absoluter Dingmagie und absoluter Formerfahrung«. Dazu komme seiner Meinung nach noch der dritte Weg, jener der biomorphen Abstraktionen (Hans Arp).
z.B. Walther 1998, 219–268
Die Entwicklung der Abstraktion und Gegenstandslosigkeit in der europäischen Kunst war umfangreich und eine entsprechende Dokumentation muss kunsthistorischen Werken überlassen bleiben. Für unseren Zweck können wir den Weg in die Abstraktion um das Jahr 1910 anheben lassen, als Kandinsky in seinem Aufsatz Über das Geistige in der Kunst zwischen »reiner Abstraktion« und der »reinen Realistik« unterschied. Auf die zahlreichen frühen Beispiele wie etwa den der Dachauer Schule entstammenden Adolf Hölzel, der vielleicht einer der ersten Deutschen war, die einen (allerdings einmalig bleibenden) Vorstoß in die abstrakte Malerei riskierten (Komposition in Rot I; 1905) und die Kraft der Farbe sprechen ließen, kann hier nicht eingegangen werden. Hölzel bezeichnete sicherheitshalber sein Unternehmen als naturwissenschaftliche Farbenlehre. Eine Verbindung zwischen Hölzel und Kandinsky, der seine Improvisation IV 1909 malte, ist bislang unklar.
5.1.1.
594 Wassily Kandinsky, Erstes abstraktes Aquarell (1910/1913); CGP
Ruhrberg Karl in Walther 1998, 221
Die Tendenz zur Ungegenständlichkeit hatte jedenfalls zwei Impulse: Sie war inspiriert (1) durch philosophische Konzepte von im weitesten Sinn platonisierender Provenienz, welche die Aufhebung der Materie in den Geist (das bedeutete zunächst vielfach: in die Form) empfahlen, und (2) durch Eliminierung der »Last« und der Umzingelung durch die Geschichte zugunsten einer völligen Autonomie der Kunst. In Europa erhielt diese Position durch die kritischen Sechzigerjahre einen Impuls, in den USA stand man der europäischen humanistischen Tradition ohnehin skeptisch gegenüber, hatte sie doch die Katastrophe von zwei globalen Kriegen und die Abgründe der Shoah nicht verhindern können. Vor allem der zweite Punkt weist darauf hin, dass die Entwicklung zur Ungegenständlichkeit parallel mit der Entwicklung einer freien Kunstszene in einer offenen Gesellschaft vor sich ging und nur so vor sich gehen konnte. Die diktatorischen Unterbrechungen bedeuteten einen völligen Stillstand der Entwicklung von Kunst und Architektur: »Stalinistischer, nationalsozialistischer und – in geringerem Maße – faschistischer Terror italienischer Prägung, der die Kunst zum Propagandainstrument des Staates herabwürdigte, hatte zunächst in der UdSSR, dann in Deutschland eine Entwicklung in vollem Fluß jäh unterbrochen. […] Wie sehr die Kunst der Freiheit bedarf, beweist die erstaunliche Tatsache, daß die Jahrzehnte stalinistischer und faschistischer Herrschaft trotz immenser staatlicher Förderung der offiziellen Kunst nicht ein einziges Bild, nicht eine einzige Plastik hervorgebracht haben, die ins Bewußtsein der Kulturwelt gedrungen wären.«