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Inhaltsverzeichnis

An einem regnerischen Nachmittage im Mai saß Liselotte in meinem Zimmer, als ich nach Hause kam. Ich war mit Pazzo im Walde gewesen.

Es war nicht Liselotte, es war Ingeborg, Ingeborg Giselher, die schöne Tochter des Holzfällers drinnen im schwarzen Hochwalde. Aber es war dämmerig in meinem Zimmer und auf den ersten Blick glaubte ich Liselotte, die Rothaarige, vor mir zu sehen. Und dann als ich längst wußte, daß es Ingeborg Giselher war, die Goldblonde, nahm mein Besuch immer wieder Liselottes Bild an, und alles schwankte vor meinen Augen.

Liselotte kam, um mit mir zu sprechen. Ja, nun saß sie da, wir kannten uns aus den Träumen, wir wußten viel von einander, wir zwei.

Es war Ingeborg, natürlich, sie hatten gar keine Ähnlichkeit, Liselotte und die Tochter des Holzfällers, und doch war es schwer für mich, Liselotte nicht zu sehen in Ingeborg, Liselotte nicht zu hören aus Ingeborgs Stimme.

Die süße Luft des Frühlings hatte mir den Sinn betäubt. Den ganzen Tag über hatte ich an Liselotte gedacht und mir zu erklären versucht, wie es kam, daß ich sie lieben mußte, obschon sie doch längst tot war. Ich war die Nacht vorher vor ihrem Bilde gesessen, bis mir die Augen zufielen.

Ingeborg kam, um mit mir zu sprechen. Sie schlug eine unangenehme Taste an. Gewiß, es war nicht angenehm, diese Dinge zu hören.

Zuerst sagte sie etwas von einer Jagd, und daß sie Grüße bringe, recht herzliche Grüße von Graf Flüggen.

„Sie müssen entschuldigen, daß ich Sie in diesen hohen Stiefeln und der alten Joppe begrüße, Fräulein Giselher,“ sagte ich, „ich komme von der Jagd.“

Bitte, bitte!

„Ich bringe recht herzliche Grüße von Papa. Er wollte Sie gerne einmal wieder bei sich sehen! Er wird Sie zur nächsten Jagd einladen.“

Dank und Gegengrüße.

Wir sahen uns an, und ich ging ans Fenster, um mich mit den Vorhängen zu beschäftigen. Ingeborg war geschmückt wie eine Prinzessin, sie sah aus wie eine Erscheinung aus den Bildern Botticellis.

Sie trug einen weißen breitrandigen Strohhut und ihre sorgfältig gelockten Haare hingen wie goldene Quasten über die Wangen herab.

Sie sah sich in meinem Zimmer um, das so groß war wie ein Saal, voll von Schränkchen, Vasen, Büchern. Es war etwas in Unordnung.

„Sie wohnen wie ein Dichter!“ sagte sie lächelnd.

„Ich bin noch bei keinem Dichter gewesen, aber ich glaube, so wohnen sie, die Dichter.“

Ich hörte ihr zu. Liselotte? dachte ich. Liselottes Bild an der Wand begann zu lächeln.

Wer diese Frau an der Wand dort sei?

„Liselotte, eine geborene Weikersbach,“ antwortete ich und mußte lächeln. „Eine schöne und lebenslustige Dame, nicht?“

Ja.

Dann blickte mich Ingeborg an und sagte: „Ich habe Ihnen noch andere Grüße zu bringen. Von Claire Davison. Sie ist gestorben, das wissen Sie?“

„Gewiß“, sagte ich. „Von Claire Davison?“ Ich war sehr überrascht.

„Sie ist sehr unglücklich gewesen. Wissen Sie, wie sie gestorben ist, Claire?“

Ingeborg sah mich an. Aber ich hatte mir nichts vorzuwerfen, ich konnte ganz ruhig bleiben.

„Sie hat mir sehr leid getan“, sagte ich. „Ich habe alles gehört, es ist traurig. Sie war so schön und stolz.“

„Das war sie, ja.“

Sie habe ihr einige Wochen vor ihrem Tode geschrieben, daß sie mich grüßen solle, träfe sie mich irgendwo einmal. Vor einem Jahre etwa war das. Vor zwei Jahren sei Claire bei Graf Flüggen zu Besuch gewesen, drei Monate, sie seien einigemal hier vorbeigefahren. Ob ich sie nicht gesehen hätte?

„Nein.“ Ich sagte die Wahrheit. „Ich danke Ihnen für die Grüße, Fräulein Giselher.“

Damit war das unangenehme Gespräch beendet. Wir plauderten noch einiges. Vielleicht habe sie gehört, ob der Geiger Harry Usedom nun Rote Buche gekauft habe oder nicht?

Doch, Herr Usedom habe Rote Buche gekauft.

„Der alte Herr Usedom, wo lebt er gegenwärtig?“

Gegenwärtig lebe er auf Rote Buche bei seinem Sohne.

Es wurde dunkel. Ingeborg erhob sich. Ich erbot mich, sie ein Stückchen zu begleiten, da es dunkel und stürmisch sei.

Bis zur Höhe nähme sie die Begleitung mit Freuden an, aber nur bis zur Höhe.

Ich verstand, weshalb ich nur bis zur Höhe mitgehen sollte.

Ein hastiger feuchter Wind blies aus dem Tale herauf und die Wälder schüttelten sich. Zwischen den Bäumen war es dunkel und der Wald roch nach Regen und Nacht. Wir sahen nahezu den Weg nicht. Pazzos weißes Fell leuchtete, er schien abenteuerlich hohe Sprünge zu machen und jeden Augenblick seine Gestalt zu verändern.

Ingeborg hielt mit beiden Händen den Hut, und der Wind wehte ihr den Saum des Kleides um die Füße, so daß sie kaum vorwärts kam.

„Haha,“ lachte sie. „Welch ein Wind!“ Eine richtige Unterhaltung war nicht möglich und unsere Worte flogen vereinzelt und zerfetzt hin und her.

„Harry Usedom ist ein ganz außerordentlicher Geiger!“ schrie ich in den Wind hinein.

„Gewiß ist er das,“ schrie Ingeborg zur Antwort.

„Er ist ein schöner Mensch!“

„Ja.“

Der Wind hielt inne, es wurde auffallend warm. Wir atmeten auf.

„Wissen Sie, daß jene Liselotte, deren Bild Sie in meinem Zimmer sahen, im Schlosse umgeht? Man sagt es. Nachdem sie gestorben war, hat sie jede Nacht ihren Gemahl besucht. Er wurde immer bleicher und bleicher, war guter Dinge allezeit und starb acht Wochen nach Liselottes Tod.“ Erzählte ich. Das sei sehr merkwürdig, sagte Ingeborg und blickte mich an und lächelte unmerklich. Sie lächelte genau wie Liselotte im Traume mich anlächelte, und ein leises Grauen rieselte über meinen Rücken.

„Sagen Sie,“ begann sie, „man hat mir viele Dinge von Ihnen erzählt. Ist es wahr, daß Sie buchstäblich das Geld auf die Straße warfen? Sie öffneten das Fenster des Hotels und warfen das Geld auf die Straße.“

„Ja, es war ein kleiner Scherz, es war auch nicht viel eigentlich.“

Ingeborg lächelte und schüttelte den Kopf.

Ich lachte, weil ich an die Balgerei vor meinem Fenster dachte und an meine lustigen Streiche.

Der Wind setzte wieder ein und trieb uns den Berg hinauf, über die Höhe fiel blasser Lichtschein. Der Mond kam herauf, in Wolken eingehüllt, wie ein blindes Auge sah er aus. Alle Dinge warfen plötzlich blasse und wässerige Schatten, die Bäume, wir beide, Pazzo. Ingeborgs Lockenbüschel flatterten und ihre Kleider.

„Das ist die Höhe“, sagte Ingeborg. Wir blieben stehen. Pazzo wartete abseits und begriff die Störung nicht. Sein Schatten sah aus wie die Silhouette eines hochbeinigen Fabelwesens.

Ich nahm den Hut ab.

„Ich danke Ihnen!“ sagte Ingeborg. Ein eigentümliches demütiges Lächeln schimmerte in ihren Augen.

„Dank für den Besuch,“ sagte ich, den Hut in der Hand haltend, „vielleicht führt Sie der Weg wieder einmal an meinem Hause vorüber, Fräulein Giselher?“

Ingeborg lachte.

„Ja, es kann sein, daß ich wieder einmal vorbeikomme“, rief sie und blickte in den Mond, der hinter glänzenden Wolken zog. Bläuliches Licht huschte über ihr Gesicht, ihre Zähne und ihre Augen glänzten wie Email.

Ingeborg blickte in den Mond, dann wandte sie mir den Blick zu und sie sagte unvermutet: „Abscheulich müssen Sie gegen Claire gewesen sein, Fürst! Ja, abscheulich!“ Sie sprach sehr schnell. Sie schüttelte den Kopf und fuhr leise fort:

„Ich begreife Sie gar nicht! Nein! Ich bringe Ihnen Grüße von ihr, von Claire, wir sprechen von ihrem Tode, und Sie verändern keine Miene und sagen, daß Claire Ihnen sehr leid getan habe. Was ist das? Sehr leid hat sie Ihnen getan! Und Sie haben sie doch ermordet, ja, das haben Sie getan.“

Sie sah mir dicht in die Augen, aber ihr Blick war schüchtern und demütig. Ihre Haare wehten.

„Wissen Sie, was mir Claire alles von Ihnen erzählt hat? Nein, sie hat nicht oft von Ihnen gesprochen, das ist wahr. Sie sagte, Sie seien edel und gütig. Sie sagte, sie hätte nicht mehr als hundert Worte mit Ihnen gewechselt. Sie haben es wohl gewußt, Sie haben alles gewußt, aber Sie waren doch abscheulich! Was hätte Claire für ein Wort von Ihnen gegeben? Wir fuhren zweimal an Ihrem Hause vorüber, Claire wurde so weiß wie Kreide. Nein, ich weiß nicht, was zwischen Claire und Ihnen war, aber Sie waren nicht edel gegen sie. Sie hätten bei Papa einen Besuch machen können, um Claire eine Freude zu bereiten, — nichts taten Sie, gar nichts!“

Ich sah sie an und konnte nichts erwidern. Ich dachte an diese sonderbaren Menschen, an alles dachte ich und an nichts.

Ingeborgs Antlitz war bleich, ihre Augen füllten sich mit dem Lichte des Mondes und wurden bleich. Auch ihre Stimme klang bleich.

„Fürst,“ flüsterte sie, „wer sind Sie doch? Sie wissen nicht wer Sie sind, nein.“ Sie hielt inne. Sie lächelte und schüttelte ganz unmerklich den Kopf. „Nein, Sie wissen nicht, wer Sie sind!“ wiederholte sie noch leiser. Dann lachte sie, ganz kurz. Sie sah mich mit schwärmerischen Augen an und sagte:

„Ich liebe Sie nicht, nein, aber ich muß immerfort an Sie denken. Weshalb kamen Sie am Sonntag nicht? Ich schrieb noch eine Zeile unter die Einladung, ich dachte, Sie müßten nun kommen. Aber dann bekam ich Angst und ich fuhr auf Umwegen an Edelhof vorüber. Aber doch kamen Sie nicht. Ich habe gewartet und gewartet, ich saß auf der Treppe und der Wind blies. Herr Usedom war da, auch Harry Usedom, alle waren sie da. Ich sprach kein Wort. Was werden sie sich von mir denken? Das ist mir ganz gleichgültig. Harry Usedom sagte zu mir: Was haben Sie doch? Nichts, sagte ich. Ich sagte es sehr unhöflich. Ich wartete auf Sie, auf Sie ganz allein! Es ist mir gleichgiltig, daß ich unhöflich gegen Harry Usedom war — — haha — — alles hat sich vor meinen Augen gedreht, dann lief ich bis zur Höhe, bis hieher und wartete. Sie kamen aber nicht!“

Ich wollte sprechen, aber Ingeborg ließ es nicht zu.

„Es hilft nichts, daß ich immer singe“, fuhr sie fort, und das eigentümliche demütige Lächeln auf ihrem Antlitze irrte hin und her. „Es hilft nichts mehr. Den ganzen Winter über habe ich an etwas gedacht und wußte nicht woran. Aber als es Frühling wurde, da fiel es mir ein. Ich bin zu Ihnen gegangen, was hat es mich gekostet? Das mit Claire ist ja gar nicht wahr, ach, es ist ja gar nicht wahr! Sie hat mir keine Grüße aufgetragen. Ich habe eine schwere Schuld auf mich geladen. Du könntest ihm Grüße bringen, schrieb Claire, aber dann sofort, ich dachte nur so, es war Scherz. Bringe ihm keine Grüße, nein, nein. Claire wollte es nicht, sie schrieb ausdrücklich, daß sie es nicht wollte, ich sage es Ihnen ganz der Wahrheit gemäß, aber ich habe es doch getan. Ich mußte doch einen Vorwand haben.“

Ich wollte sie unterbrechen.

„Nein, nein,“ sagte sie, „Sie haben mich freundlich empfangen. Sie taten nicht erstaunt. Sie lächelten auch nicht. Sie sagten, daß ich entschuldigen solle — ja wegen der alten Joppe und der Stiefel — das war so gütig von Ihnen! Sie sind gütig, ich weiß es, auch Claire sagte es, selbst sie. Ihre zwei Schlösser und sechs Dörfer haben Sie weggegeben für Almosen — ich weiß alles von Ihnen.“

Ich lächelte. „Ich habe gespielt,“ sagte ich.

„Hahaha,“ lachte Ingeborg, „jajaja — —“ sie sah mich an, lachte, dann senkte sie den Kopf.

„Fürst, Fürst,“ flüsterte sie und schwieg. Ihre Haare wehten. Was sollte ich tun? Ich fand kein Wort, das gepaßt hätte. Ich hätte ihr ja gerne ein sanftes Wort gesagt, aber es fiel mir nichts ein.

Was wollte sie doch von mir? Zuerst machte sie mir Vorwürfe wegen Claire und dann . . .

Plötzlich stieg ein Lächeln in mein Gesicht. All das kam mir lächerlich vor. Diese Worte, diese vielen wirren Worte.

„Ich bin dieser Worte nicht würdig,“ sagte ich. „Ich lächle. Ja, sogar eitel machen mich diese Worte.“

Ingeborg zuckte zusammen und blickte mich erschrocken an. Ihre Lippen lächelten verzerrt und sie sagte ganz tonlos: „Man hat mir viel von Ihnen erzählt, Fürst, dann dachte ich — ich habe dann oft an Sie gedacht. Ich würde Sie um etwas Liebe bitten, wenn es Wert hätte, selbst das würde ich tun. Ich habe keinen Stolz vor Ihnen. Aber ich glaube, Sie haben kein Herz.“

Ich erwiderte: „Ich lebe für mich, ich bin müde, ich kann Ihnen nicht sagen wie es kam.“

Das bleiche Mädchengesicht nickte traurig.

„Sie können also nicht mehr lieben?“ sagte sie.

Wie lächerlich klang das.

„Nein,“ entgegnete ich, „ich weiß nicht wie es kommt.“

Ingeborg wandte sich ab und ging mit zögernden Schritten davon. Alles flatterte an ihr.

„Fräulein Giselher,“ sagte ich, „ich wollte Sie mit keinem Worte verletzen. Ich gab mir Mühe aufrichtig zu sein. Ich habe mich gefreut, daß Sie heute zu mir kamen.“

Ingeborg ging. Ihre weiße Gestalt glitt still in die Dämmerung hinein, sie wurde düster, grau, dann sah ich sie nicht mehr.

Ich rief dem Hunde und stieg die Straße hinab.

Ingeborg

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