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Inhaltsverzeichnis

Wollte ich in das Schloß mit den vielen erleuchteten Fenstern hineingehen und durch den Diener sagen lassen: es steht einer im Korridore, einer, den Hut in der Hand?

Es war gegen Morgen, der Tag blaute. Ich blickte aus meinem Fenster, das auf den Park hinausging, und lauschte auf den Gesang eines Vogels. Er sang in der weiten Stille des Morgens, da alles schlief.

Die ganze Nacht hindurch sang er, bis die Sonne aufging, der Frühling ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Oft hatte ich mich schon an seinem Gesange gelabt, aber heute verstand ich den kleinen Vogel und mein Herz bebte. Ich wußte wohl was das bedeutete. Nur die Unglücklichen und die Glücklichen zittern beim Gesang eines Vogels. Mein Herz zuckte bei jedem Tone, und wenn er leise zwitscherte, daß man ihn kaum noch hörte, so erschrak ich, ich öffnete die Lippen und mein Atem stockte.

Meine Zeit war gekommen!

Ich preßte die Hände vors Gesicht und lächelte und drückte einen Kuß in meine Hände.

Meine Zeit war gekommen! — — —

Mein Sinn ist dunkel, dunkelgolden ist mein Sinn, es kreist etwas in meinem Hirn. Ich habe ein lautes Herz in der Brust.

Ich gehe umher, berühre die Schränke, Tische, als ob sie von Fleisch wären, ich gehe umher und spreche mit mir selbst. Ich ziehe die Vorhänge des Zimmers zu, so daß es ganz golden um mich wird. In einem goldenen Zimmer sitze ich und lächle vor mich hin. Ich nehme den Stock und wandere. Mit großen Schritten, in weiten Kreisen muß ich gehen. Mein Schritt hallt durch schlafende Dörfer, die Hunde kläffen, ich wandere, in weiten Kreisen muß ich wandern. Ich lächle. Die Sterne lächeln. —

Ich ließ anspannen und fuhr nach Graf Flüggens Schloß.

Ich hatte mich sorgfältig rasiert und eine weiße Binde umgebunden. Ingeborg war nicht zu sehen.

Graf Flüggen erschöpfte sich in Liebenswürdigkeiten. Er war ein gebückter Greis mit langem Barte, wie ein Zwerg kam er mir vor. Ich zog das Gespräch in die Länge, erzählte von fernen Ländern und ihrer Sonne, Ingeborg war nicht zu sehen.

Wagen liefen durch den Abend, vorüber an meinem Hause. Ich sah nicht wer darinnen saß. Über Rote Buche stiegen bunte Leuchtkugeln in die dunkele Nacht. Ein Fest! dachte ich. Mitten in der Nacht rollten die Wagen wieder die Bergstraße herauf. Ingeborg saß im vordersten Wagen, ich erkannte sie an ihrem Hute, ich erkannte sie an dem Wirbeln meines Herzens.

Harry Usedom ging zweimal im Laufe einer Woche an Edelhof vorüber, er ging schnell den Berg hinauf, langsam und schwebend den Berg hinunter. Es gingen Dinge vor sich.

Wie ein Knabe durch ein Astloch in eine Schaubude späht, so spähte ich in diese Dinge. Sie huschten und zuckten an meinen Augen vorüber.

Ein leises trauriges Lied klang eines Abends durch meine Seele.

Mich fröstelte . . . . .

Eines Abends, als der Wald rot leuchtete in der untergehenden Sonne, begegnete ich Ingeborg und Harry Usedom droben auf der Höhe. Sie kamen des Weges daher, trugen große Sträuße von Maiglöckchen in der Hand und lachten. Ich sah es, ich hörte es. Lächelnd kamen sie beide heran, in Ingeborgs Augen schimmerte nicht die leiseste Erinnerung an jenen Abend.

Harry Usedoms Augen strahlten. Nie hatte ich solche Augen gesehen, sie hingen wie Lampen in seinem Gesichte und sein Gesicht, das immer weiß und krankhaft erschien, war von einer feinen Röte des Glückes überzogen.

„Die Herren kennen sich? Natürlich — — natürlich —“ sagte Ingeborg und lächelte. Dann sprach sie mit Pazzo, und ich wechselte einige Worte mit Harry Usedom. Ob es ihm auf Rote Buche gefalle. Sehr schöne Wälder, nicht wahr? Prachtvolle Wälder! Und den See habe er auch noch!

Es gefalle ihm sehr gut auf Rote Buche! Seine Augen strahlten, sie waren wie dunkle Höhlen voller Geschmeide. Ich mußte immerfort diese strahlenden Augen ansehen.

Er schreibe gegenwärtig eine Oper. Die Konzertreisen wolle er aufgeben.

Harry Usedoms Lippen waren breit, in den Mundwinkeln gekräuselt. Sie erinnerten an Orangenschnitten. Sie waren rot.

Die Herren zogen den Hut, Ingeborg nickte und verneigte sich leicht, wir trennten uns.

Ich bog in den nächsten Seitenweg ein und zündete mir die Pfeife an. Viele Dinge wirbelten im Rauch der Pfeife vor meinen Augen herum.

Pazzo sah mich an. Er kannte mich genau, und als ich ihn ansprach, sprang er an mir empor, um mich zu liebkosen. Ich streichelte ihm den Rücken mit sanfter Hand — immer auf und ab.

Einige Tage darauf. Ich ging mit Ingeborg oben auf der Höhe, am Waldesrande entlang. Die Sonne stand schräg und schon etwas rot über dem Walde und warf einen schattigen, dunkelen Spitzenkragen über den Hügel. Auf diesem Spitzenkragen schritten wir dahin, hoch über dem Tale und seinen kleinen Dörfern und blitzenden Bächen. Sonnenflecken zuckten über Ingeborgs Kleid und Gesicht, wir sprachen nichts. Pazzo schritt neben uns her, er tauchte mit Behagen die schlanken Füße in das hohe, saftige Gras.

Ingeborgs Gesicht erschien grün im Widerschein des Grases und des Waldes, zuweilen kam die Sonne, dann glühte es für einen Augenblick.

Ingeborgs Stirn war voller Gedanken.

Wir kamen an eine Bank und Ingeborg sagte: „Wollen wir uns ein wenig niederlassen?“ Sie blickte mich kurz an, während sie die Frage stellte. Ich war ihr dankbar für den Blick und für die nichtssagenden Worte. Sie fühlte es, denn sie blickte mich nochmals an und prüfte meine Mienen. Ich merkte es sehr gut. Ich stellte das Gewehr an einen Baum, Pazzo bewachte es.

Hinter der Bank sang ein Vogel. Ich lauschte, was für ein Vogel war es doch? Es war ein Vogel, den ich noch nicht gehört hatte. Vielleicht hatte er sich verflogen.

Es hatte sich manches geändert, das sah ich wohl ein. Ich saß neben Ingeborg und mein Herz klopfte. Ingeborg saß mit gleichgültigem, verschlossenem Gesicht da, das Kinn in die Hand gestützt und interessierte sich für die jungen Heupferdchen, die im Grase herumschnellten.

Eine feine Falte zog zwischen Ingeborgs Brauen, ich wagte es nicht, zu sprechen. Wenn sie bei schlechter Laune war, weshalb ging sie dann nicht?

Sie saß so nahe, daß ich meine Hand nicht neben mich legen konnte, ohne sie zu berühren, und plötzlich stieg mir das Blut in den Kopf, so nahe saß sie. Ich fühlte ihre Wärme.

Ich saß still, ich regte mich nicht, ich dachte an die feine Falte zwischen Ingeborgs Brauen. Sie konnte über mich befehlen, ja, das konnte sie. Ein Wink und ich verschwand, und ich trat ihr nie wieder unter die Augen. Ich verließ die Gegend, wenn sie es verlangte, meine Gegenwart sollte ihr nicht die Laune verderben.

Schön lag das Tal zu unsern Füßen, und bis auf die kleine Falte Ingeborgs wäre alles herrlich gewesen. Ein Bauer mähte mit einer blitzenden Sense tief unten, er war nicht größer als eine Ameise. Über dem Tale flimmerte es in einer grünen Wiese wie von einem Edelsteine, aber es war nur ein Stück Glas, eine zerbrochene Flasche, die dort blitzte. Drüben lagen zerstreute Häuschen, still, sie schienen unbewohnt zu sein.

Da tauchte plötzlich aus dem nahen Kornfelde ein Spaten auf, dann ein Hut, ein Kopf, der Kopf hüpfte auf und ab und verschwand wieder im Korn und auch der Spaten tauchte unter.

Dieser hüpfende Kopf scheuchte mich aus meiner Versunkenheit auf. Ein wahnsinnig kühner Gedanke schoß durch meinen Kopf. Wie, wenn ich einfach meinen Arm um Ingeborg legte und sagte: Nun —? Es ist schön hier neben Ihnen zu sitzen und das Tal zu betrachten. Stundenlang könnte ich hier neben Ihnen sitzen, wenn Sie auch nichts sprechen.

Ich bewegte die Lippen, feuchtete sie an, dann sagte ich: „Es ist schön hier zu sitzen und das Tal zu betrachten.“

Ingeborg

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