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4 Bogarts Kidnapping

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Die Schritte kamen näher bis direkt vor die Haustür. Das sind bestimmt Norling und Lena, dachte ich und versuchte, Schröders Hand über meinem Mund wegzuschieben. Aber er drückte nur noch fester zu und starrte auf die Türklinke. Sie bewegte sich nach unten, weil jemand vorsichtig prüfte, ob die Tür verschlossen war.

Danach war es eine Weile still, und dann schepperte die Klingel, die oben im Flur angebracht war. Chandler bellte laut und kam in vollem Galopp die Treppe runter. Schröder ließ mich los und hob die Fleischeraxt auf.

„Still“, sagte er zu Chandler und machte das Licht vor der Haustür an, bevor er mit ziemlicher Mühe die Tür öffnen konnte.

Im letzten Moment bekam ich Chandler am Halsband zu fassen und konnte ihn zurückhalten.

Es waren auch jetzt nicht Lena und Norling, aber es waren auf jeden Fall zwei. Der eine war in Schröders Alter, hatte Jeans an und eine dufflecoatähnliche Jacke, die ziemlich teuer aussah. Er hatte kurze Haare und ansonsten so ein Aussehen, das man sich nie merken kann.

Den anderen dagegen würde man jederzeit wiedererkennen, denn er hatte extrem abstehende Ohren und graue, fast weiße Haare, die sich im Nacken lockten. Das Gesicht war braungebrannt und ziemlich zerfurcht – er sah ungefähr wie eine Morchel aus. Er war über fünfzig, trug einen häßlichen, grauen Mantel, ein schmuddeliges weißes Hemd und einen fettigen schwarzen Schlips.

Beide schauten unruhig den knurrenden Chandler an. Der zog und zerrte am Halsband, um loszukommen und sie anspringen zu können.

„Ähm ... guten Abend“, sagte der jüngere. Sein Blick wanderte zu Schröders „Never-stop-the-action-Schürze“ und dann weiter zu der großen Fleischeraxt. „Wir kommen von der Polizei in Täby. Entschuldigen Sie, daß wir stören, aber wir würden gerne wissen, ob Sie möglicherweise in der letzten Zeit Besuch hatten von ...“

„Da können Sie Gift drauf nehmen!“ rief Schröder aus. „Ein verrückter Schuhdieb hat meine Mountaineers gestohlen!“

„Ha-ha-haben Sie einen Ausweis?“ stotterte ich mit zittriger Stimme und dachte dabei an einen unangenehmen Typ mit einem Walroßschnurrbart, der auch behauptet hatte, von der Polizei zu sein, und den wir auch nach dem Ausweis hätten fragen sollen.

Die Morchel mit den Elefantenohren schien unsicher zu werden und wollte etwas sagen, aber der Kurzhaarige machte eine beruhigende Geste und schaute mich freundlich lächelnd an.

„Selbstverständlich“, nickte er. „Wir haben sie unten im Auto. Wir wollen nicht lange stören. Es geht um eine Ausweisung, wir sind von der Einwanderungsabteilung, und es könnte sein, daß derjenige, der Ihre ... ähm, Ihre ...“

„Mountaineers!“ blökte Schröder.

„War er vielleicht dunkelhäutig und ziemlich klein?“

„Genau!“ Schröder nickte eifrig. „Er hatte eine rote Pudelmütze auf und einen Persianer an. Verfluchter Weihnachtswichtel aus New Delhi. Er kann noch nicht so schrecklich weit sein.“

Ein wütendes Telefonklingeln aus dem Schlafzimmer brachte ihn völlig durcheinander, und er schaute sich verwirrt um. Die beiden Polizisten schauten sich erstaunt an und schienen auch nicht zu wissen, was sie machen sollen.

„Nun geh schon rauf, und nimm ab!“ sagte Schröder zu mir.

„Still, Chandler!“

Chandler wehrte sich und knurrte, als ich ihn die Treppe hochzog, aber als wir oben waren, schien er alles zu vergessen. In Schröders Schlafzimmer ließ ich das Halsband los, und da sprang er völlig beruhigt auf das ungemachte Bett und legte sich zurecht.

Das durchdringende altmodische Klingeln des Telefons hörte nicht auf. Ich betrachtete das unglaubliche Chaos auf dem Schreibtisch, und es dauerte eine Weile bis ich das graue Telefon gefunden hatte. Es war versteckt hinter einer großen Olivettischreibmaschine, die gekrönt wurde von einem Teller mit zwei vertrockneten Salamischeiben und einem trockenen, dunklen Stück Brot, dessen Ränder sich hochgebogen hatten.

„Ja, hallo?“ sagte ich unsicher.

„Kevin?“

Es war Lena.

Ich mußte schlucken.

„Hallo?“ sagte sie erstaunt.

„Doch, ich bin ... ja, ich bin’s. Hallo.“

„Was ist los? Du klingst so außer Atem?“

„Ich komme gerade von unten“, sagte ich undeutlich.

„Du, es tut mir schrecklich leid, aber ich kann heute abend wirklich nicht kommen.“

„Was?“

„Nein, ich mußte unbedingt nach Helsingborg fliegen und ...“

„Helsingborg?“

„Ja, genau, mein Job. Ich bin jetzt hier unten. Ich habe mich so geärgert, aber sie konnten niemand anders schicken und – tja, ich konnte einfach nicht nein sagen ... Aber ich bin morgen wieder zurück, können wir uns nicht statt dessen dann treffen?“

„Ähm ... doch, natürlich, aber ...“

„Ist Raymond in der Nähe?“

„Was?“ sagte ich und verstand überhaupt nicht, wen sie meinte.

„Raymond.“

„Ach so, du meinst Schröder?“ sagte ich und kam mir mal wieder so unglaublich blöd vor. „Nein, er steht unten und redet mit den Bullen ...“

„Den Bullen?“

„Ja, genau, die haben gerade geklingelt und ...“

Ich wurde von einem dröhnenden Grollen aus dem Garten unterbrochen. Es klang ungefähr wie ein gigantischer Bagger, und es bestand überhaupt kein Zweifel, daß das Bogarts Motor war. Dann hörte ich Schröder schreien: „Haltet den Dieb!“ und dann Schritte über die Steinplatten des Vorplatzes.

„Ruf später noch mal an!“ schrie ich und warf den Hörer auf die Gabel. „Komm, Chandler!“ rief ich und rannte die Treppen runter. Unten war niemand, aber die Tür stand sperrangelweit offen. Chandler lief mir keuchend hinterher.

Ein weiteres Auto wurde angelassen und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Bevor ich die Schuhe angezogen hatte, war Chandler nach draußen gesaust und bellte.

Als ich auf den Vorplatz kam, stand er auf halbem Weg auf der abschüssigen Auffahrt und beschnüffelte etwas, das ich trotz stockendem Herzen als Schröder identifizierte. Bogart stand nicht mehr bei der Mülltonne, mein Moped war umgefallen und glänzte in dem schwachen orangenen Licht der Straßenlaternen vom Täbyvägen, große, nasse Schneeflocken segelten friedlich herab. Ein roter Saab raste in Richtung Stadt vorbei, das Nummernschild leuchtete auf, aber ich konnte es nicht lesen. Von ferne hörte man Bogarts Motor.

Ich lief hinunter zu Chandler, schob ihn beiseite, und genau, wie ich es mir gedacht hatte, es war Schröder, der da im nassen Schneematsch lag. Er keuchte und rieb sich den Nacken.

„Was ist passiert?“ schrie ich.

„Unglaublich! Also wirklich total unglaublich! Ich werde verflucht noch mal morgen den Justizminister anrufen. Was lassen sie heutzutage nur für Leute in die Polizeihochschule!“

„Aber was ist denn passiert?“ sagte ich und half ihm aufzustehen.

„Das werde ich dir erzählen – der Bangladeschtrollo muß sich im Garten versteckt haben, denn während ich mit den Bullen redete, hat er Bogart gekidnappt, hat einen atemberaubenden Bogen um das Bullenauto in der Einfahrt gemacht und ist davongesaust! Meine Schuhe und mein Auto! Ich meine, was habe ich ihm getan? Meint er vielleicht, daß sie zu wenig Entwicklungshilfe kriegen oder was? Aua!“ stöhnte er plötzlich und faßte sich ins Kreuz.

„Aber, hat denn der Schlüssel gesteckt?“

„Natürlich hat der gesteckt. Wie sollte ich ihn denn sonst finden?“

Er lehnte sich schwerfällig an mich, und wir trotteten zum Vorplatz hoch, Chandler blieb uns immer dicht auf den Fersen.

„Ja und dann?“

„Dann? Ich lief ihnen natürlich hinterher und wollte im Bullenauto mitfahren. Aber da bleiben diese verdammten Amöben plötzlich stehen und schlagen mich zusammen! Was? Das darf doch wohl nicht wahr sein. Und dann sind sie abgehauen.“

Als wir in den Flur kamen, setzte Schröder sich mit einem tiefen Seufzer auf die Treppe, und ich machte die Tür zu. Chandler trottete zu ihm und schleckte ihm hingebungsvoll das Gesicht ab. In dem Moment klingelte wieder das Telefon.

„Verflucht, kann man denn nie seine Ruhe haben?“

„Immer mit der Ruhe“, sagte ich. „Das ist bestimmt Lena. Sie hat schon mal angerufen.“

„Warum hat sie angerufen? Und wo ist sie überhaupt?“

„In Helsingborg“, murmelte ich, aber er hörte mir nicht zu und redete weiter:

„Sie wollten doch um sieben, halb acht kommen, hat sie gesagt!

Wo willst du denn hin?“

„Rauf und abnehmen“, sagte ich.

„Scheiß drauf. Ich geh in der Garage dran.“

„Was?“

„In der Garage“, fauchte er und humpelte davon.

Chandler schaute ihm verblüfft nach und versuchte dann, mir das Gesicht abzuschlecken. Ich setzte mich auf die Treppe und kraulte ihm den Nacken. Da legte er sich sofort hin, drehte sich auf den Rücken, streckte die Pfoten in die Luft und wollte den wolligen Bauch gestreichelt bekommen.

Ich hörte Schröder fluchen, und dann klang es so, als ob ein Lager mit leeren Benzinkanistern auf einen Betonboden stürzen würde. Ich seufzte und fragte mich, wie ein Mensch wie Schröder sein konnte, und ob sein Leben schon immer so chaotisch gewesen war, und dann fragte ich mich noch, wie er eigentlich die Umwelt wahrnahm, aber ich kam nicht weit mit meinen Überlegungen. (Und vielleicht war das auch gut so.)

„Es war Norling“, sagte er und fuchtelte mit dem Armen. „Der wollte wissen, wo Lena ist! Und das möchte ich auch wissen. Verflucht, das darf doch nicht wahr sein, sie ist schon wieder verschwunden!“

„Sie ist in Helsingborg“, sagte ich ruhig und kraulte Chandler.

„In Helsingborg?“

„Ja, das hat sie gesagt, als sie anrief.“

„Sie hat angerufen?!“

„Schröder! Das habe ich doch vorhin gesagt.“

„Pah! Hast du nicht! Nie erzählst du mir was. Warum ist sie denn in Helsingborg? Sie wollte doch Norling abholen, oder nicht?“

„Irgendwas war mit ihrem Job, sagte sie. Und ... tja.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Weiter kamen wir nicht, weil du dann geschrien hast und ich runtergerannt bin.“

Schröder starrte mit leerem Blick in das Chaos auf dem Boden.

„Ich sage es doch!“ Er seufzte.

„Was?“

„Das ist eine Verschwörung. Gegen mich. So ist es.“ Er zuckte resigniert mit den Schultern, hob dann aber plötzlich drohend die Faust gegen die Decke. „Aber ich werde es verflucht noch mal schon rauskriegen, du Scheißhaufen!“ schrie er, riß sich die Schürze ab, knäulte sie zusammen und warf sie in Chandlers Richtung, der gerade noch entkommen konnte. Dann schaute er mich an. „Right, meine Junge, los jetzt!“

„Was?“

„Wir gehen jetzt zu den Bullen und melden einen Fall von schwerem Autodiebstahl.“ Er schleuderte die Pantoffeln von den Füßen und wühlte nach einem Paar protzigen Cowboystiefeln, die er sich unter großen Mühen anzog, wobei er gleichzeitig laut stöhnend auf einem Bein hüpfte.

„Willst du nicht lieber anrufen?“ schlug ich vor.

„Anrufen?!“ schnaubte er. „Und dann mit irgend so einem unfähigen Anfänger reden? Ich werde verflucht noch mal diese beiden Bullen wegen grober, unbefugter Gewaltanwendung im Dienst gegen eine unschuldige Zivilperson anzeigen, und das werde ich Auge in Auge mit einem diensttuenden Wachtmeister tun. Du darfst mich hinfahren, ganz einfach.“

„Was?“

„Ja, auf dem Moped natürlich. Zur Täby Police Station.“

„Aber ...“ fing ich an.

„Keine Widerrede!“ schrie er und zog den zweiten Stiefel an. Dann zog er ein fischgrätgemustertes, zweireihiges Tweedjackett an und holte seinen alten Trenchcoat, der in einer staubigen Ecke lag. Er schüttelte ihn rasch aus, bekam ihn unter lauten Fluchen schließlich an und machte die Tür auf.

„Ab nach oben mit dir“, sagte er zu Chandler, der natürlich nicht folgte, sondern freudig auf den Vorplatz hinauslief. „Also gut“, sagte Schröder müde. „Aber du mußt nebenherlaufen, ist dir das klar?“

Ich fand meinen Schal und die Handschuhe, die natürlich auf den Boden gefallen waren.

„Verflucht noch mal!“ stieß er hervor und rannte die Treppe hoch.

Als ich meine Lederjacke anhatte, kam er wieder runter.

„Hatte den Herd vergessen“, sagte er mit einem merkwürdigen Lächeln und hob die Achseln. „Das wäre was gewesen, wenn auch noch die Hütte abgebrannt wäre. Ja zum Teufel auch!“ Er drückte eine blaue Gitanesschachtel in die Trenchcoattasche. „Und dann hätte ich fast noch die Kippen vergessen! Ist mir auch noch nie passiert. Das wäre ja eine noch größere Katastrophe gewesen. Komm jetzt! Auf zu den Bullen!“

Die Diskette

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