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4. Flucht aus Stuttgart nach Mannheim (1782)

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Der Erfolg der „Räuber“ ebbte in den folgenden Monaten nicht ab, im Gegenteil. Regelmäßige Aufführungen erfreuten sich nicht nur eines stetig großen Publikums, sondern einer größtenteils atemberaubenden Resonanz. Ein Kritiker schrieb damals sogar: „Haben wir je einen teutschen Shakespear zu erwarten, so ist es dieser.“

Freilich sprach sich ein solches Spektakel schnell herum, und so waren die „Räuber“ bereits im Frühjahr 1782 auch in Stuttgart in aller Munde. Herzog Karl Eugen hingegen war alles andere als erfreut darüber, dass sein Zögling und angehender Arzt an seiner frisch ernannten Universität im Ausland den Dichter und Dramaturgen gab. Er mahnte Schiller noch im Guten, jegliches nicht-akademisches Schreiben zu unterlassen, den Druck seines Werkes im Ausland einzustellen und seine Dissertation zu Ende zu bringen.

Schiller war sich der Ernsthaftigkeit der Situation bewusst. Auch wenn der Herzog ihm und seiner Familie zugetan war, mochte er die Geduld des Herrschers nicht strapazieren. Am 1. April 1782 wendete er sich in einem Brief an den Intendanten Dalberg: „Meine gegenwärtige Lage nötigt mich den Gradum eines Doktors der Medizin in der hiesigen Karlsschule anzunehmen, und zu diesem Ende muß ich eine medizinische Dissertation schreiben, und in das Gebiet meiner Handwerkswissenschaft noch einmal zurückstreifen. Freilich werde ich von dem milden Himmelsstrich des Pindus einen verdrießlichen Sprung in den Norden einer trockenen, terminologischen Kunst machen müssen; allein, was sein muß, zieht nicht erst die Laune und Lieblingsneigung zu Rat. Vielleicht umarme ich dann meine Muse um so feuriger, je länger ich von ihr geschieden war.“

In der Tat lenkte Schiller zu Zeiten seiner zweiten Dissertation viel Kraft und Mühe auf sein Zweitwerk: „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“. Der Erfolg der „Räuber“ bestärkte ihn in der Auffassung, dass er weder zum Arzt noch Jurist, sondern zum Dichter bestimmt war. Der „Fiesco“ sollte mindestens gleich fulminant werden und Schwächen des Erstlings vermeiden.

Gleichzeitig erlangte Schiller in seinem direkten Umfeld ein gewisses Ansehen, Freunde und Freundinnen traten an ihn heran, baten ihn, das Stück in seiner Gegenwart erleben zu dürfen. Schiller konnte nicht widerstehen, und so nutzte er eine Kurzreise des Herzogs, um am 25. Mai 1782 wiederum unerlaubt nach Mannheim zu reisen. Fest stand, dass er dieses Mal nicht in nächtlicher Heimlichtuerei, sondern als gestandener Bühnenautor auftreten wollte. Und so begleiteten ihn Henriette von Wolzogen und seine Zimmerwirtin in Stuttgart, Dorothea Fischer.

Schillers Unternehmung blieb kein Geheimnis und sprach sich in den Kreisen Stuttgarts schnell herum. Der Herzog machte Ernst, verhängte einen vierzehntägigen Arrest und ein striktes Schreibverbot in allen nicht-medizinischen Angelegenheiten gegen den jungen Autor. In dieser Zeit ergriff Schiller mit seinem Freund Andreas Streicher den Entschluss zur Flucht. Zugunsten Schillers verzichtete Streicher auf sein Musikstudium bei Carl Phillip Emanuel Bach in Hamburg und lieferte damit das nötige Reisegeld.

Auch wenn die Flucht beschlossene Sache war, wusste Schiller nicht, wohin sie denn führen sollte, und so wandte er sich am 4. Juni 1782 wieder an den Intendanten Dalberg, in der Hoffnung, von diesem aufgenommen zu werden: Darf ich mich Ihnen in die Arme werfen, vortrefflicher Mann? Dieses macht mich nun auch so dreust, mich Ihnen ganz zu geben, mein ganzes Schicksal in Ihre Hände zu liefern und von Ihnen das Glück meines Lebens zu erwarten. Noch bin ich wenig oder nichts. In diesem Norden des Geschmacks werde ich ewig niemals gedeihen. Wenn mich sonst glücklichere Sterne und ein griechisches Klima zum wahren Dichter erwärmen würden.“ Dalberg, der vom jungen Schiller bisher nur profitierte, da er ihm als Honorar für die „Räuber“ lediglich die Kosten der ersten Reise erstattet hatte, antwortete nicht.

Nichtsdestotrotz verließen Streicher und Schiller am Abend des 22. September 1782 heimlich Stuttgart. Wegen der Festlichkeiten zu Ehren des russischen Großfürsten blieb die Flucht zunächst unbemerkt. In Ermangelung einer Alternative suchten die beiden Mannheim auf. Schiller ging davon aus, dass der Erfolg mit den Räubern und der mittlerweile fertige „Fiesco“ Dalberg überzeugen würde, ihn fest als Bühnenautor anzustellen. Der Intendant aber war nicht anzutreffen, und so mussten die beiden schnell erfahren, dass Flüchtlinge auch im Pfälzer Kurfürstentum allzu ungern gesehene Gäste waren. Der Theaterregisseur Christian Dietrich Meyer, den Schiller für einen engen Vertrauten hielt, besorgte den beiden fürs Erste eine Bleibe, mahnte Schiller aber, unbedingt an die Gnade des Herzogs zu appellieren. Schiller leistete Folge:

„Ich bin der unglücklichste Flüchtling, wenn mich Serenissimus nicht zurückkommen lassen. Ich kenne die fremde Welt nicht, bin losgerissen von Freunden, Familie und Vaterland. Und meine wenigen Talente wären zu wenig in der Schale der großen Welt, als dass ich mich auf sie verlassen könnte.“

Der Appell an den Herzog hatte nicht nur taktische Hintergründe, denn ohne soziale Sicherungssysteme, Urheberrechte oder ähnliche Schutzmechanismen für seine literarischen Erzeugnisse und ohne medizinische Promotion war er gänzlich erwerbsunfähig. Zusammen mit seinen früheren Schulden ergab sich eine finanziell aussichtslose Situation für Schiller. Der Dichter hatte die Brisanz der Lage unterschätzt, seiner Schwester Christophine gestand er, „leer an Börse und Hoffnung“ zu sein.

Schiller gegenüber bekräftigte der Herzog, gnädig gestimmt zu sein, sollte dieser zurückkehren, stellte dem Flüchtling aber nicht in Aussicht, weiterhin als Dichter tätig sein zu können. Für Schiller war die Rückkehr damit ausgeschlossen. Aus Angst vor Verfolgung schrieb er Freunden, auf dem Weg nach Berlin, Wien oder sogar Nordamerika zu sein. Seinem Vater versprach der Sohn, eine Anstellung in Berlin in Aussicht zu haben und in Zukunft wieder mit der Medizin Geld verdienen zu wollen. In Wirklichkeit reisten Streicher und er zu Fuß über Darmstadt nach Frankfurt. In Sachsenhausen fanden die beiden ein günstiges Zimmer, von wo aus Schiller einen verzweifelten Brief an Dalberg verfasste.

In dem Brief gestand Schiller offen, auf der Flucht zu sein. Er bot Dalberg den fertigen „Fiesco“ an und bat um einen Vorschuss über 300 Gulden, die er dringend für Schulden in Stuttgart und für seine Lebenskosten brauchte. Der Regisseur Meyer hatte zu diesem Zeitpunkt den „Fiesco“ bereits gelesen und für gut befunden, Dalberg aber hielt das Werk für bühnenuntauglich und antwortete Schiller, dass eine Bezahlung erst nach einer Überarbeitung möglich wäre.

Schiller leistete widerwillig Folge, doch Dalberg lehnte auch die überarbeitete Fassung vorerst ab. Resigniert blieb Schiller nichts anderes übrig, als dem Angebot von Henriette von Wolzogen aus Stuttgart zu folgen, auf ihrem Hof im sächsisch-thüringischen Bauerbach Zuflucht zu finden. Andreas Streicher kehrte hingegen nach Mannheim zurück, um als Klavierlehrer tätig zu werden.

Im Dezember 1782 kam Schiller schlussendlich im ländlichen Bauerbach an, in Briefen aber sprach er stets von Hannover, um die drei Kinder der von Wolzogens, die zu dem Zeitpunkt alle auf der Karlsschule waren, nicht in Gefahr zu bringen. Zum einen fand der Dichter in der Abgeschiedenheit die Freiheit und Ruhe, nach der er sich gesehnt hatte, und arbeitete nach einiger Eingewöhnungszeit an „Louise Millerin“ und „Don Karlos“. Zum anderen langweilte ihn die Isolation auf Dauer: „Gelegentlich muss ich anmerken, dass ich nunmehr der Meinung bin, dass das Genie, wo nicht unterdrückt, doch mächtig zurück wachsen, zusammenschrumpfen kann, wenn ihm der Stoß von außen fehlt. Man sagt sonst, es helfe sich in allen Fällen selbst auf, ich glaub es nimmer.“

Friedrich Schiller – Basiswissen #02

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