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Prolog

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Vor einigen Jahren

In dieser stürmischen Nacht fing für den sechunddreißigjährigen Eberhard Templ aus Neustrelitz in einem verlassenen Forsthaus in der Mark Brandenburg ein neues Leben an. Die Umstellung kam sehr plötzlich für ihn, obwohl er darauf wartete. Monatelang hatte er sich auf dieses Ereignis vorbereitet; hatte sich Tattoos stechen lassen, wie sie Rocker trugen; hatte die Sprechweise der Rocker geübt; hatte seine Fahrfertigkeiten auf dem Motorrad vervollkommnet und gelernt, mit dem Motorrad nur auf dem Hinterrad zu fahren. Er bekam eine neue Biografie, die ihm kleinere Straftaten nachsagten und die Verwicklung in eine Massenschlägerei am Rande eines Spiels des FC Hansa Rostock, die auch in den Unterlagen der Polizei verzeichnet war. Niemand konnte wissen, wieweit die Verbindungen der Rocker reichten.

Die Biografie des Rockers musste glaubwürdig aussehen: zu unauffällig, als dass er in der Rockerszene bekannt war – zu unsauber, als dass man sofort einen Spion witterte. Er hatte bereits vor einiger Zeit die ohnehin nur sporadischen Kontakte zu seiner Familie abgebrochen. Sie glaubte, er sei verschollen.

In dieser stürmischen Nacht im Forsthaus wechselte Eberhard Templ komplett sein Leben gegen ein anderes aus. Er kam mit einem PKW und fuhr mit einem Kultmotorrad, nahm eine neue Identität mit gefälschten Daten auf echten Rohdokumenten an und stieß in dieser Nacht zu den DarkDevils, die in der vergangenen Nacht ein Gangmitglied bei einer Auseinandersetzung mit einer anderen Gang verloren hatten.

Schon nach wenigen Wochen gehörte er zu den führenden Köpfen der Gang, der die Vorhaben der Rocker kannte und insgeheim dem Staatsschutz weiterleitete. Nur ganz Wenige wussten von der Kreation des Rockers, dessen Geburtsname Eberhard Templ war.

„Kriminalrat Petersen, guten Tag“, stellte sich der Leiter der Dienststelle gewohnheitsmäßig vor, als er den Hörer ans Ohr gehalten hatte.

Untertänigst sprang er trotz seiner 51 Jahre von seinem Schreibtischsessel auf und nahm militärische Haltung an. „Guten Tag, Herr Innenminister“, wiederholte er sich in einem Ton der Unterwürfigkeit. Wenn es einen Zeugen in diesem Büro gegeben hätte, würde er aussagen, dass Kriminalrat Petersen bei dem Wort Innenminister eine Verbeugung gemacht hatte.

„Ja, in dem Rockerfall sind wir gut vorangekommen, Herr Innenminister“, gab er bereitwillig Auskunft, wohlwissend, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn seit einiger Zeit waren die Ermittlungen ins Stocken geraten.

„Selbstverständlich, Herr Innenminister. Ich werde Ihren Gesandten persönlich am Tor empfangen.“

Kriminalrat Petersen wischte sich verstohlen den Angstschweiß von der Stirn.

„Ja, Herr Minister. Heute gegen 16 Uhr. Es wird mir eine Freude sein, Ihren Gesandten zu empfangen.“ Dabei machte er wieder eine leichte Verbeugung.

„Auf Wiederhören, Herr Innenminister.“

Schlaff ließ sich der Kriminalrat auf seinen Sessel fallen und schloss für einen Augenblick die Augen. Wo sollte er nur so schnell die versprochenen Ermittlungsergebnisse herbekommen. Ein bisschen mehr Zeit hätte er sich schon gewünscht, um das Vorhandene wenigstens etwas positiver aufzubereiten. Udo Voss, der Teamleiter der Rockerermittlungen, musste die Kastanien aus dem Feuer holen, ja das musste er!

Petersen öffnete seine Bürotür und trat in den Flur.

„Voss, zu mir!“

Wenn man auch sonst immer Stimmen aus den Büros auf dem Flur vernehmen konnte, verstummten sie augenblicklich nach dem Befehl. Offenbar hatte der Chef schlechte Laune und da war es allemal besser, sich in die Arbeit zu stürzen.

Ohne die Tür zu schließen, setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte.

Eine Tür klappte und kurze Zeit später erschien Udo Voss in Petersens Büro.

„Was gibt's, Guido?“

„Setz dich, Udo. Heute um 16 Uhr muss ich einem Gesandten des Innenministers die Ergebnisse in deinem Fall darlegen. Sag mir, dass du was Neues hast und dass die Ermittlungen bald abgeschlossen sein werden.“

„Eines vorweg. Abschließen können wir diesen Fall wohl vorläufig noch nicht. Aber ich habe tatsächlich was Neues. Die KTU hat einen Satz Fingerabdrücke extrahieren können, aber leider nicht zuordnen. Fest steht aber, dass diese Person auch bei der Randale am Stadion involviert war. Möglicherweise auch noch woanders, aber das wissen wir noch nicht. Zumindest sagen das die Kollegen der KTU.“

Kriminalrat Petersen musste nicht lange am Eingang warten. Selbst ein Uneingeweihter hätte den korrekt gekleideten Gesandten des Innenministers mit seinem Aktenkoffer erkannt. Der Mittvierziger mit seiner Halbglatze und dem Duft eines guten Parfüms passte einfach nicht in die Umgebung.

Er grüßte kurz und hielt seinen Ausweis zur Legitimation Petersen hin.

„Kriminalrat Petersen. Guten Tag.“ Fragend sah er den Gesandten an.

„Mein Name tut nichts zur Sache. Namen sind nur Schall und Rauch, Herr Petersen.“ Der Fremde versuchte ein Lächeln und Petersen wurde etwas mulmig zumute.

Das ließ er sich aber nicht anmerken. Petersen hatte schon von der Existenz dieser Legitimationen vom Staatsschutz gehört, war ihm aber in seiner dreißigjährigen Geschichte bei der Kripo noch nicht unter die Augen gekommen. Er führte den Gesandten durch sein Büro in den abhörsicheren Raum.

„Kaffee?“, fragte Petersen fast beiläufig.

Der Fremde lehnte dankend ab. „Das wird nicht nötig sein.“

„Herr Petersen“, fuhr er fort, „nicht umsonst ist auf meiner Legitimation kein Name vermerkt. Es handelt sich bei meinem Besuch um ein höchst staatliches Interesse, das eine äußerste Geheimhaltung verlangt. Ich vergattere Sie deshalb zum Schweigen.“

Ganz wohl fühlte sich Petersen bei dieser Vergatterung nicht. Warum fuhr der Fremde nur solche Geschütze auf?

„Selbst der Innenminister weiß nichts vom Inhalt der Weisung. Das Leben und die Gesundheit von mehreren Personen sind in Gefahr. Für Sie springt dabei die Beförderung zum Kriminaloberrat heraus, die eine Versetzung in Ihre Heimat beinhaltet. Und Sie wissen, dass das ein wesentlich besseres Einkommen bedeutet.“

Woher wusste dieser Fremde nur von seinen inneren Wünschen? Dass ihm unheimlich zumute war, war stark untertrieben.

„Wenn Sie sich nicht an diese Weisung halten, können sie sich ausrechnen, welche Folgen das für Sie hat. Ich denke, mehr brauche ich nicht dazu sagen. Aber ich nehme an, dass Sie auch noch morgen Dienststellenleiter sein wollen.“

Petersen schluckte. „Was also ist Ihre Weisung?“

Für eine derartige Beförderung würde er das scheinbar Unmögliche möglich machen. „Da ich schon in der Falle sitze, und es oberstes Gebot der Sicherheitsorgane ist, Leben zu schützen, bin ich für Ihre Weisung bereit.“

„Die Ermittlungen gegen die Rockerbande sind einzustellen, und zwar aufgrund des Abhandenkommens von Beweismitteln. Dafür ist Ihr Kollege Kriminaloberkommissar Udo Voss wegen Vertrauensbruch und Unbrauchbarmachung von Beweismitteln zu suspendieren.“

„Aber Voss ist einer meiner besten Männer ...“

„Wenn Sie das nicht veranlassen, wird es Ihr Nachfolger morgen oder in den nächsten Tagen bewirken.“

„Schon gut, schon gut. Wenn es die Situation verlangt, dann mache ich es! Selbstverständlich mache ich es“, beeilte sich Petersen zu sagen. Er wollte noch ‚aber ganz wohl ist mir nicht dabei‘ sagen, ließ es dann aber.

„Das ist gut. Vielleicht ist es für Sie ja leichter, wenn ich Ihnen verrate, dass Kriminaloberkommissar Udo Voss in den Fokus unserer Ermittlungen geraten ist, bei dem unter anderem eine mögliche IM-Tätigkeit bei der Stasi eine Rolle spielt.“

Dass gegen Voss in Wirklichkeit gar nicht ermittelt wurde und dass es bei der Überprüfung von Voss außer den unvermeidlichen dienstlichen Kontakten mit den Mitarbeitern des MfS nachweislich keine weiteren Kontakte gegeben hatte, verschwieg der Fremde. Da Voss aber den umfassendsten Überblick über den Rockerfall hatte und er als verantwortlicher Ermittler Konsequenzen zu tragen hatte, musste er geopfert werden.

Schmarotzer

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