Читать книгу Fräulein Else von Arthur Schnitzler: Reclam Lektüreschlüssel XL - Bertold Heizmann - Страница 5
2. Inhaltsangabe
ОглавлениеOrt und Zeit: genau bestimmbarOrt und Zeitpunkt des erzählten Geschehens lassen sich aufgrund einiger nachvollziehbarer Daten genau feststellen: Es spielt am 3. September 18964. Die Titelfigur ist um vier Uhr zum Tennis gegangen und hat beinahe drei Stunden gespielt. Also setzt die Handlung gegen 19 Uhr ein, »zwei Stunden bis zum Dinner« (S. 5), und endet wenige Stunden später. Es liegt somit tendenziell eine Zeitdeckung vor, da Erzählzeit und erzählte Zeit weitgehend übereinstimmen. Auch der Ort wird benannt: Das Geschehen findet im Hotel Fratazza in San Martino di Castrozza am Fuße des Cimone, eines Gipfels der Palagruppe in den Südtiroler Dolomiten, statt. (Das Hotel Fratazza existierte im Jahre 1896 allerdings noch nicht, es wurde erst 1908 errichtet.)
Da die Novelle nicht in Kapitel unterteilt ist, orientiert sich die folgende Inhaltsangabe an Sinnabschnitten der Geschichte.
Der Leser lernt die Else, die »arme Verwandte«Titelfigur als ein 19-jähriges Mädchen aus Wien kennen, das seinen Urlaub auf Einladung der »reichen Tante« Emma in dem noblen Hotel verbringt; normalerweise hätte sie, die »arme Verwandte« (S. 6), sich einen solchen Luxus nicht leisten können. Im selben Hotel halten sich auch ihr Cousin Paul sowie die verheiratete Cissy Mohr auf. Mit den beiden, die sie im Verdacht hat, ein Verhältnis miteinander zu haben, hat Else gerade Tennis gespielt, möchte sich jetzt aber zurückziehen. Sie behauptet, nicht in den gut aussehenden Paul verliebt zu sein, er sei ihr zu »affektiert« (S. 5). In Gedanken ist sie bei einem angekündigten Expressbrief, den sie von zu Hause erwartet und der sie in Unruhe versetzt. Um vier Uhr, als sie zum Tennis ging, war er noch nicht da. Sie befürchtet, möglicherweise in die Stadt zurückkehren zu müssen, denn eigentlich genießt sie das luxuriöse Leben. Andererseits wird spürbar, dass sie sich in der Atmosphäre des vornehmen Hotels manchmal fehl am Platze fühlt, denn die reichen Müßiggänger mit ihrem affektierten Gehabe fallen ihr auf die Nerven. Die Frage, ob und wieweit sie zu diesen gehört, spielt in ihren Gedanken eine wesentliche Rolle, da sie ursprünglich aus »besseren Verhältnissen« (S. 6) stammt und sich selbst als »Snob« (S. 7) fühlt, aber verarmt ist. Eine solche luxuriöse Existenz könnte so schön sein, sagt sie sich, denn sie sei »zu einem sorglosen Leben geboren« (S. 7).
Am Abend begegnen ihr im Hotel verschiedene Gäste, mit denen sie kurz ins Gespräch kommt, so auch der reiche jüdische Kunsthändler Dorsday. Das oberflächliche gesellschaftliche Geplauder enthält deutlich herauszuhörende erotische Erotische UntertöneUntertöne. Else fühlt sich körperlich und seelisch unwohl: körperlich, weil ein Ziehen in den Beinen die Menstruation ankündigt, seelisch, weil der verhängnisvolle Brief immer noch nicht da ist. Schließlich übereicht ihr ein Portier den Brief dann doch, den sie aber erst später in unheilvoller Erwartung auf ihrem Zimmer öffnet.
Tatsächlich sind ihre Befürchtungen berechtigt. Ihre Mutter teilt ihr Der verhängnisvolle Briefwortreich mit, dass der Vater, ein mit dubiosen Geschäften betrauter Anwalt in Wien, wieder einmal in große finanzielle Bedrängnis geraten sei und sich nicht mehr zu helfen wisse, da die bisherigen Freunde und Verwandten alle bereits im Übermaß in Anspruch genommen worden oder derzeit nicht verfügbar seien. Er benötige dringend dreißigtausend Gulden, sonst sei »alles verloren« (S. 11). Die Mutter scheint weniger die Insolvenz zu befürchten, als den damit ausgelösten Skandal. In dieser Situation wende man sich jetzt an sie, da sie, die Tochter, in ihrem letzten Brief geschrieben habe, Dorsday getroffen zu haben, den der Vater seit langem kenne, und man bitte sie, doch Dorsday, der Else schon als Kind »immer besonders gern gehabt« habe, um den »Liebesdienst« (S. 13) anzugehen, dem Vater mit dreißigtausend Gulden aus der Not zu helfen. Sollte der Vater die Summe nicht beibringen können, werde er wohl ins Gefängnis wandern müssen, da es sich, wie indirekt durchklingt (und sich später bestätigt), um veruntreute und an der Börse verspekulierte Mündelgelder handele.
Else liest den Brief mit Verbitterung. Ihr geht durch den Sinn, dass die Familie eigentlich schon seit Jahren am Ende ist, aber dennoch nach außen hin eine sorglose Existenz vortäuscht. Sie fühlt sich zerrieben zwischen dem gesellschaftlichen Anspruch einerseits, den insbesondere der Vater aufrechtzuerhalten sucht, und der moralischen Verurteilung der Ursachen dieser Verarmung andererseits. Sie sieht sich außerstande, dem Wunsch der Eltern nachzukommen und Dorsday anzubetteln, zumal sie realistischerweise befürchtet, mit den dreißigtausend Gulden sei es nicht getan (auch das bestätigt sich später); stattdessen gehen ihr einige Alternativen durch den Sinn, die aber allenfalls in der Selbstanklage enden, ihrerseits nicht über die Mittel zu verfügen, die dem Vater aus seiner Klemme helfen könnten. Auch verwirft sie die Möglichkeit, die geizige Tante anzusprechen – diese würde vermutlich solche Mittel auf die Schnelle ohnehin gar nicht flüssigmachen können. Dass sie in dem Ansinnen der Mutter eine Eine unmoralische AufforderungAufforderung zur Prostitution sieht, wird im Weiteren deutlich: Statt den »[w]iderliche[n] Kerl« (S. 17) Dorsday zu fragen, für den sie – befolgte sie den Plan ihrer Eltern – ein tief dekolletiertes Kleid anziehen würde, in dessen Ausschnitt sich dann seine Augen bohren könnten, geht ihr durch den Sinn, den Cousin Paul um die Dreißigtausend anzugehen: er könne dann von ihr haben, was er wolle. Eine solche Szenerie erschiene ihr jedoch wie aus einem schlechten Roman, zumal ein derartiges sexuelles Abenteuer ihr auch noch Vergnügen bereiten könnte. So kommt sie doch auf den Vorschlag der Mutter zurück.
Trotz ihres Abscheus vor den – unterstellten – finanziellen Machenschaften ihres Vaters und des zwischenzeitlich geäußerten Wunsches, dieser möge tot sein (vgl. z.B. S. 14, 36, 37), wächst in ihr dann doch das Bedürfnis der guten Tochter, den Vater zu »»Rettung« des Vatersretten« (S. 16). Und in den nächsten Stunden beginnt sie, sich mit dem Gedanken zu befassen, Dorsday »an[zu]pumpen« (S. 18), obwohl sie sich sehr wohl darüber im Klaren ist, dass dieser eine Gegenleistung fordern werde. Sie beschwört Erinnerungsbilder sowohl aus der eigenen Bekanntschaft als auch aus der Literatur herauf, die ihr – gegen alle Skrupel – das Alltägliche und Gewöhnliche eines solchen Arrangements zeigen sollen. Aber da sie selbst noch über keine Erfahrungen in diesem Gebiet verfügt, helfen ihr diese Vorstellungen nicht weiter. In ihrer Verzweiflung wünscht sie tot zu sein.
Von solchen widersprüchlichen Widersprüchliche EmpfindungenEmpfindungen erfüllt, bereitet sie sich auf ein Treffen mit Dorsday vor. Mehrere Variationen gehen ihr durch den Sinn, wie sie ihn ansprechen könnte. Und immer wieder schweifen ihre Gedanken ab und zeigen ihre ganze Verwirrung. Es sind durchweg erotisch gefärbte Bilder und Emotionen: die Mutter, die sicherlich immer eine treue Gattin war – sie selbst würde aber nicht treu sein; sie will später keine Kinder haben (sie sei nicht »mütterlich«, S. 21), dann aber möchte sie einen Gutsbesitzer heiraten und doch Kinder haben (vgl. S. 21); sie schwankt hin und her zwischen der Zuneigung zu dem (allzu) anständigen Jugendfreund Fred und der Imagination eines »Filous«. Sie stellt sich vor, einen Mann und »tausend Geliebte[]« zu haben, findet aber die Vorstellung, dass Paul und Cissy zusammen im Bett liegen, »[u]nappetitlich« (S. 22). Sie fühlt sich »ganz allein«, »so furchtbar allein« (S. 22).
Sie geht in die Hotelhalle hinunter. Noch ist es nicht Zeit zum Dinner. Paul und Cissy kommen vom Tennis, Cissys Geplapper stört Else, und selbst Pauls Komplimente empfindet sie als lästig, da sie innerlich mit der Begegnung mit Dorsday beschäftigt ist. Endlich verabschiedet sich Paul, und es kommt zum Aufeinandertreffen mit Dorsday, dessen verbale und körperliche Zudringlichkeiten sie im Bewusstsein erduldet, bereits »so tief gesunken« zu sein (S. 29). Größtenteils widerstrebend (»O, Gott, wie ich mich erniedrige«, S. 30) bringt sie die Rede auf den Brief der Mutter, die verzweifelte Situation des Vaters, dessen frühere private und geschäftliche Beziehungen zu Dorsday. Dieser durchschaut die Hintergründe, scheint allerdings anfangs bereit, dem Vater zu helfen, wenngleich er – so wie schon zuvor Else – überzeugt ist, dass dieser finanzielle Kraftakt lediglich »[e]in Tropfen auf einen heißen Stein« sein dürfte (S. 31). Dem widerspricht Else jetzt heftig; aber als sie zu spüren meint, ihre Bitten seien vergeblich, möchte sie das Gespräch beenden. Da zeigt sich Dorsday zu der Maßnahme bereit, »unter einer Dorsdays »Bedingung«Bedingung« (S. 33). Er gibt unumwunden zu, Else zu begehren, und als Gegenleistung für sein finanzielles Entgegenkommen wünscht er, Else solle sich ihm nackt zeigen. Dies solle auf seinem Hotelzimmer geschehen oder auch auf einer Waldlichtung; sie solle sich entscheiden. Er gibt ihr Bedenkzeit und verabschiedet sich.
Diese Bedingung ist zwar weniger, als Else befürchtet hatte, aber sie weiß, dass es ein Sündenfall wäre. In den folgenden Stunden gehen ihr erneut die widersprüchlichsten Elses GedankenchaosGedanken durch den Sinn: Sie stellt sich vor, der Vater sei im Gefängnis und die Familie litte unter der Schande, oder aber er erschieße sich, wenn der Haftbefehl käme. Sie verurteilt zwar die Veruntreuung der Gelder durch ihren Vater, dessen »verbrecherischen Leichtsinn[]« (S. 39), sieht dann aber auch wieder entlastende Gründe für seine Taten, und vielleicht werde der Vater ja auch als unzurechnungsfähig eingeschätzt und freigesprochen. Immer wieder fantasiert sie von alternativen Lösungen für die Situation – vielleicht werde doch irgendein Onkel aushelfen. Aber der Gedanke, dass sie von den eigenen Eltern an Dorsday verkauft worden ist, obwohl diese wissen mussten, dass der reiche Kunsthändler »nicht[s] für nichts und wieder nichts« tue (S. 39), lässt sich nicht verscheuchen. Die Abfolge der durch Assoziationen heraufbeschworenen Bilder nimmt rapide zu: Vater, Mitbewohner des Hotels, Geld, Nacktheit, die Vision ihres eigenen Todes, alles geht Else durch den Sinn, so dass sie hinterher nicht weiß, ob sie geschlafen und diese Bilder geträumt hat.
Die Vorstellung, selbst Imagination des eigenen Todestot zu sein, nimmt einen breiten Raum in Elses Gedanken ein. Sie sieht sich selbst als Tote aufgebahrt und vermeint die Stimmen der anderen zu hören, die über die Gründe ihres Todes spekulieren. Dorsday könne ja dann ihren nackten Leichnam sehen – somit habe sie ihren Teil der Abmachung erfüllt. Diese Vorstellung erfüllt sie mit einer finsteren Schadenfreude. Dann wieder schreckt sie davor zurück, sich selbst zu töten, sie fühlt sich dazu »viel zu feig« (S. 52).
Immer wieder sträubt sich ihr Inneres dagegen, sich vor Dorsday zu prostituieren. Sie wird sich zwar bewusst, dass sie sich noch vor kurzem ausgemalt hat, ein Leben als »»Luder« oder »Dirne«?Luder« (S. 38 und 39) zu führen – dazu gehöre weit mehr als sich vor einem Mann für Geld nackt zu zeigen (vgl. auch S. 53) –, aber sie unterscheidet doch zwischen »Luder« und »Dirne«: »[I]ch verkaufe mich nicht« (S. 39).
Als sie wieder die Hotelhalle betritt, trifft sie auf Paul, der sich Sorgen um sie gemacht hatte, weil sie nicht zum Diner gekommen war und weil sie blass aussieht. Sie vertröstet ihn und möchte auf ihr Zimmer gehen. Da überreicht ihr der Portier eine Depesche. Bevor sie diese öffnet, blitzt kurz die Hoffnung in ihr auf, der Vater könne sich tatsächlich umgebracht haben und somit würde die Abmachung mit Dorsday hinfällig sein – sofort aber bekommt sie wegen dieser Gedanken ein schlechtes Gewissen. Das Telegramm enthält jedoch die Mitteilung, es müssten nicht dreißig-, sondern fünfzigtausend Gulden aufgebracht werden, sonst sei »alles vergeblich« (S. 55). Dies stürzt Else in erneute Neue VerlegenheitVerlegenheit, denn sie weiß nicht, wie sie Dorsday die Erhöhung der Summe plausibel machen soll, zumal sie ja immer noch nicht mit sich ins Reine gekommen war, ob und wie sie sich überhaupt auf den Handel einlassen soll. Mit Macht kehren die Gedanken an Selbstmord wieder. Die Tütchen mit Veronal sind ihr jetzt »die lieben Pulver« (S. 57). Schließlich fasst sie den Entschluss, sich nackt auszuziehen und, nur in einen Mantel gehüllt, in die Hotelhalle hinunterzugehen; sie spielt mit dem Gedanken, sich vor allen Anwesenden zu entblößen. Zuvor will sie Dorsday einen Brief zukommen lassen, in dem sie kundtut, sie habe die Bedingung erfüllt und er solle seinerseits den erhöhten Betrag anweisen; anschließend will sie das Veronal zu sich nehmen und einschlafen. Sie weiß nur noch nicht, ob sie es nur schluckweise als Schlafmittel dosiert nehmen soll oder als tödliche Überdosis, jedenfalls bereitet sie ein Glas mit dem ganzen verbliebenen Pulver vor.
Zögerlich und in banger Erwartung, die sich mit einer Art morbider Vorfreude mischt, macht sie sich auf den Weg; sie legt den Brief vor Dorsdays Zimmertür. In der Halle begegnet sie nur einigen Fremden und dem Portier, die sie teils »verdächtig«, teils »hochachtungsvoll« (S. 66) zu mustern scheinen. Dorsday selbst ist zunächst nicht zu finden, auch im Spielzimmer nicht, wo sie ihn am ehesten vermutet hat. Dies erfüllt sie jeweils vorübergehend mit Freude, sie fühlt sich »[g]erettet«, weiß aber doch, dass sie »verdammt [sei], Herrn von Dorsday zu suchen bis an [ihr] Lebensende« (S. 68). Die Tante, die zufällig vorbeikommt, bemerkt besorgt ihr blasses Aussehen und will sogar nach einem Arzt rufen, gibt sich dann aber mit Elses Ausflüchten zufrieden. Den Klängen eines vertrauten Klavierstückes – Schumanns »Carnaval« – folgend, kommt sie schließlich ins Musikzimmer, in dem einige Herren, darunter Dorsday und ein junger Mann, der ihr schon früher aufgefallen ist, da er nicht nur ein schöner Jüngling (ein »Römerkopf«, z. B. S. 69), sondern auch ein »Filou« (S. 69) zu sein scheint, dem Klavierspiel lauschen. Als Dorsday sie erblickt, öffnet sie den Mantel und zeigt sich in ihrer Sie zeigt sich nacktNacktheit. Die Augen aller sind auf sie gerichtet; insbesondere die Blicke Dorsdays empfindet sie als körperliche Berührung. Sie beginnt, hysterisch zu lachen. Unfähig, dem psychischen Druck, dem sie in den letzten Stunden ausgesetzt war, weiter standzuhalten, bricht sie zusammen und wird von den heraneilenden Hotelgästen – darunter Paul und Cissy sowie Tante Emma – für ohnmächtig gehalten.
Sie befindet sich allerdings in einem halbwachen Elses »Ohnmacht«Zustand, in dem sie die verschiedenen Stimmen vernimmt und sie für sich kommentiert. Die Äußerung, eine »Tragbahre« (S. 72) werde sofort hier sein, empfindet sie, nicht ohne Sarkasmus, als durchaus passend, da eigentlich nur Leichen aufgebahrt werden. Aus dem Stimmengewirr hört sie auch deutlich heraus, dass die – zuvor schon von Else als unangenehm empfundene – übertriebene Sorge der Tante eher geheuchelt war. Der Tante ist die Situation wegen des »Skandal[s]« (S. 75), den ihre Nichte hervorruft, peinlich; sie möchte anderntags abreisen, allerdings nicht zusammen mit »dieser Person«, die sie in einer »Anstalt« (S. 74) unterzubringen beabsichtigt. Auch wird Else gewahr, dass Cissy Paul duzt – darin sieht sie die endgültige Bestätigung für eine Liaison zwischen den beiden. Paul, der ja selbst Arzt ist, auch wenn ihm seine Mutter wenig zuzutrauen scheint, hat sich als Erster Elses angenommen und verspricht, sich um sie zu kümmern. Man schafft Else in ihr Zimmer und legt sie dort ins Bett. Die Tante geht und wiederholt dabei ihre Ansicht, Else benötige eine »Wärterin« (S. 75). Paul und Cissy wollen die Nachtwache halten; Paul ist in echter Sorge, wohingegen die – offensichtlich eifersüchtige – Cissy Else eher misstraut. Dorsday kommt an die Tür und erkundigt sich nach Else. Während Paul vor der Tür mit ihm sich flüsternd unterhält, beugt sich Cissy über Else und wirft ihr, in der Überzeugung, diese könne alles hören, vor, den ganzen »hysterische[n] Anfall« (S. 76) lediglich inszeniert zu haben. Als auch sie auf den Flur tritt, um an dem Gespräch zwischen Paul und Dorsday teilzunehmen, greift Elses EndeElse nach dem bereitstehenden Glas mit dem Veronal und trinkt es leer. Das Glas fällt klirrend zu Boden; aufgrund des Geräusches kommen Paul und Cissy zurück. Die misstrauische und eifersüchtige Cissy hält es nach wie vor für möglich, dass Else wach ist; Paul aber kommt, nachdem er ihr den Puls gefühlt hat, zu dem Schluss, Else sei eingeschlafen. Ihm entgehen also Elses Bemühungen, tatsächlich wach zu werden und Paul, den Arzt, anflehen zu können, sie zu »retten« (S. 78, 79).
Diese letzten Regungen des Überlebenswillens und der Todesangst werden begleitet von wirren Visionen einer SterbendenErinnerungsfetzen, in denen Personen teils aus der Kindheit, teils aus der jüngsten Vergangenheit, in abenteuerlichen Kostümen und mit grotesken Handlungen an ihrem inneren Auge vorbeiziehen. Dominant ist der Gedanke, alle seien »Mörder« (S. 77), weil sie ihren Tod verschuldet haben; im Sträflingsgewand singen diese Figuren einen schauerlichen Chor, in dem sich kindlich-vertraute und erotische Elemente vermischen. Von allen fühlt Else sich alleingelassen – wie eigentlich ihr ganzes Leben schon. Bevor sie das Bewusstsein endgültig verliert – Pauls Rufe dringen nicht mehr zu ihr vor –, wähnt sie zu fliegen; ein anderer Chor, begleitet von Orgelklängen, in den alle, auch sie selbst sowie die »Wälder […] und die Berge und die Sterne« (S. 81), einstimmen, scheint ihr das Schönste zu sein, was sie je gehört hat. Erst »[m]orgen früh« (S. 81) möchte sie wieder geweckt werden, auch wenn vieles dafür spricht, dass sie diesen Morgen nicht mehr erleben wird.