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WAS IST LEBEN?

Die Frage »Was ist Leben?« ist eine der grundlegendsten Fragen überhaupt. Sie hat die Menschheit seit ihren Anfängen beschäftigt. Und sie zählt auch zu den schwierigsten – vor allem, wenn man an die ungeheure Vielfalt des Lebens denkt.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Frage »Was ist Leben?« vieldeutig ist, denn sie richtet sich nicht nur an die Biologie, sondern ebenso an die Philosophie, die Theologie und die Sozialwissenschaften. Und so überrascht es nicht, dass nicht nur die herausragendsten Wissenschaftler, sondern auch die bedeutendsten Philosophen, Theologen und Schriftsteller dazu Stellung genommen haben.

Wir wollen hier die Biologie, die Wissenschaft vom Leben, zurate ziehen. Um der Vieldeutigkeit zu entgehen, konzentrieren wir uns auf die Fragen: Was sind Lebewesen? Worin unterscheidet sich die belebte von der unbelebten Materie?

DER ZELLULÄRE AUFBAU ALLER LEBEWESEN

Es gibt ein ebenso einfaches wie praktisches Merkmal, mit dem sich Lebewesen von allen anderen Erscheinungsformen unterscheiden lassen: Es ist der zelluläre Aufbau. Alle Lebewesen sind aus Zellen aufgebaut, die Einzeller aus einer einzigen Zelle, die Vielzeller aus vielen Zellen. Erscheinungsformen, die nicht aus Zellen bestehen, sind keine Lebewesen. Dies gilt insbesondere für die Viren, die nicht zellulär, sondern viel einfacher gebaut sind und denen wesentliche Eigenschaften der Lebewesen fehlen, beispielsweise ein eigenständiger Stoffwechsel und eine eigenständige Vermehrung.

So nützlich das strukturelle Merkmal »zellulärer Aufbau« auch ist, um Lebewesen zu identifizieren, so wenig erfahren wir daraus über weitere grundlegende Eigenschaften lebendiger Systeme. Ohne dieses Wissen lässt sich die Frage »Worin unterscheidet sich belebte von unbelebter Materie?« nicht befriedigend beantworten.

WACHSTUM UND ENTWICKLUNG

Wir alle sind zumindest mit einigen wesentlichen Eigenschaften sämtlicher lebendiger Systeme vertraut. Dazu zählen Wachstum, Entwicklung, Stoffwechsel, Fortpflanzung und einiges mehr. Im Folgenden werden einige besonders eindrucksvolle Beispiele aufgeführt, um daraus erste Besonderheiten der Lebewesen abzuleiten.

Die auffälligsten Wachstumsvorgänge finden sich im Pflanzenreich: Bambussprossen wachsen unter optimalen Bedingungen über 50 Zentimeter pro Tag. Blattscheiden der Banane bringen es sogar auf 160 Zentimeter pro Tag. Selbstverständlich gelten diese Werte nur für kurze Perioden zu Beginn des Wachstums. Sie sind auch nur möglich, weil hier alle Zellen dieser Organe bereits zu Beginn des Wachstums vorliegen und sich nur noch strecken müssen.

Mithilfe ihres Wachstums erreichen einige Organismen erstaunliche Größen: Der Blauwal bringt es auf eine Länge von 33 Metern, dies entspricht der halben Breite eines Fußballfeldes. Sein Maximalgewicht beträgt 136 Tonnen – dem Gewicht von mehr als drei voll beladenen Sattelschleppern mit einem Gewicht von je 42 Tonnen. Unter den heute lebenden Bäumen ragt der Küsten-Mammutbaum (Sequoia sempervirens) mit einer Höhe bis zu 120 Metern heraus. Der Hallimasch, um einen Vertreter der Pilze zu nennen, ist einer der bedeutendsten Schadpilze im Forst. Im Staat Oregon (USA) wurde das Pilzgeflecht (Myzel) eines einzigen Pilzes mit einer Flächenausdehnung von 9 Quadratkilometern entdeckt. Dies entspricht einer Fläche von etwa 1200 Fußballfeldern. Man hat ausgerechnet, dass hierzu 2400 Jahre Wachstum erforderlich waren.

Am unteren Ende der biologischen Größenskala finden wir die Bakterien. Sie zählen zusammen mit den Archaeen zu den Prokaryoten und verfügen über keinen echten Zellkern. Ihre Zellen liegen gewöhnlich in einer Größenordnung zwischen 1 und 5 Mikrometern (1 Mikrometer ist der tausendste Teil eines Millimeters). Die Eukaryotenzellen – sie besitzen einen echten Zellkern – weisen Größenordnungen vom Zehnfachen und mehr auf. An der Spitze liegen die Pflanzenzellen, die durchschnittlich 50 bis 100 Mikrometer groß sind.

Aber es ist nicht so sehr die Zellgröße, die den Eukaryoten Größenordnungen ermöglichen, wie wir sie von den Bäumen oder Säugetieren her kennen. Entscheidend ist die Vielzelligkeit, die wir nur bei den meisten Eukaryoten antreffen. Der Mensch besteht aus etwa 10 Billionen (1013) Zellen, wie übrigens auch eine stattliche Eiche. Der Hauptvorteil der Vielzeller liegt jedoch nicht in erster Linie in ihrer Größe, sondern in der Möglichkeit zur Arbeitsteilung innerhalb der Zellen und damit letztendlich in der besseren Anpassung des Organismus an seine Umwelt.

Klein zu sein muss dabei nicht von Nachteil sein. Bakterienzellen können sich wegen ihres besonders günstigen Oberflächen-Volumen-Verhältnisses die raschesten Stoffwechselprozesse leisten. Dagegen vermögen sie nur wenig Biomasse und Energie zu speichern. Ihre Überlebensstrategie setzt auf hohe Vermehrungsraten. So kann sich das Bakterium E. coli alle 20 Minuten teilen. Der Mensch beherbergt 100 Billionen (1014) Bakterien in seinem Darm – das Zehnfache seiner eigenen Zellzahl! Bakterien und viele andere Einzeller zeigen sich als Reproduktionsstrategen. Sie erreichen in nur kurzer Zeit hohe Individuenzahlen. Allerdings sind Bakterienpopulationen eher instabil. Gehen die Ressourcen zu Ende, bricht die lokale Population schnell zusammen. Andererseits sind sie auch in der Lage, bei günstigen Bedingungen zügig neue Lebensräume zu besiedeln.

Die genannten Größenangaben sind kein Ausdruck bloßer Zahlenspielerei. Sie sollen vielmehr auf eine weitere Besonderheit der Biologie hinweisen: Ihre Objekte, die Lebewesen, sind in einem Skalenbereich angesiedelt, der mehr als acht Größenordnungen umspannt: Das reicht von Größen um 1 Mikrometer bei den Bakterien bis zu 100 Metern bei den höchsten Bäumen.

STOFFWECHSEL

Lebende Organismen geben sich durch ihren Stoffwechsel zu erkennen. Sie müssen Substanzen aus ihrer Umgebung aufnehmen. Zum Teil werden diese zur Energiegewinnung abgebaut, zum Teil in andere, körpereigene Substanzen umgewandelt. Die nicht mehr verwertbaren Reste werden ausgeschieden. Der Stoffwechsel gleicht einem komplizierten Wegenetz aus Tausenden von Reaktionen, die von Enzymen gesteuert werden.

Einige Organismen sind in der Lage, Energie direkt aus der Atmosphäre zu tanken und diese in chemische Energie umzuwandeln. Hierzu zählen die grünen Pflanzen. Neidvoll können wir angesichts einer bevorstehenden Energieknappheit die Leistung der Pflanzen bewundern, Lichtenergie mit hohem Wirkungsgrad in chemische Energie umzusetzen. Man bezeichnet diesen Vorgang als Photosynthese. Nur photoautotrophe Organismen sind dazu in der Lage. Pflanzen nutzen die Lichtenergie, um aus den einfachen anorganischen Rohstoffen Wasser und Kohlendioxid Kohlenhydrate herzustellen. Bei der Photosynthese wird gleichzeitig Sauerstoff frei. Wir und fast alle übrigen Organismen einschließlich der Pflanzen benötigen ihn für die Atmung! Die energiereichen Kohlenhydrate nutzen die Pflanzen gleichzeitig als Energiespeicher und als Baustoffe. Von hier aus führt der Stoffwechsel zu weiteren Makromolekülen, darunter Proteine und Nukleinsäuren. Hierzu müssen die Pflanzen noch Ammonium oder Nitrat sowie Phosphat aus ihrer Umgebung aufnehmen. Sie sind also nicht auf die Aufnahme organischer Verbindungen angewiesen.

Im Gegensatz zu den photoautotrophen Organismen verschaffen sich die heterotrophen Organismen ihre organischen Verbindungen über ihre Nahrung. Das heißt, sie müssen organische Verbindungen, die andere Lebewesen erzeugt haben, aufnehmen und verstoffwechseln. Am Anfang der Nahrungskette stehen somit die Pflanzen. Zu den Heterotrophen zählen der Mensch und alle Tiere, die Pilze sowie die meisten Bakterien.

Verweilen wir kurz bei den Abbauwegen. Die meiste Energie lässt sich den Nahrungsmolekülen entziehen, wenn der Abbau in Gegenwart von Sauerstoff erfolgt. Man spricht von Zellatmung. Dieser Prozess lässt sich mit einer brennenden Wachskerze vergleichen. Wachs wird dabei unter Sauerstoffverbrauch zu Kohlendioxid (CO2) verbrannt. Ähnlich werden im Stoffwechsel Verbindungen wie Kohlenhydrate und Fette verbrannt – allerdings mit dem Unterschied, dass beim Stoffwechsel ein Großteil der (freigesetzten) Energie nicht in Wärme überführt, sondern in vielen kleinen Schritten freigesetzt und von Energie-Zwischenträgern aufgefangen wird.

Der wichtigste Energie-Zwischenträger im Stoffwechsel ist das ATP (Adenosintriphosphat): Diese Verbindung kann man als Energiewährung der Zelle bezeichnen. Ähnlich wie durch Arbeit Geld verdient und dieses zum Bezahlen der Einkäufe wieder ausgegeben wird, wird die im Stoffwechsel freigesetzte Energie zur ATP-Synthese genutzt. Die Zelle »bezahlt« für ihre Energie verbrauchenden Prozesse mit ATP. Obwohl die Zellkonzentrationen niedrig liegen, sind die Tagesumsätze enorm. Ein Mensch setzt pro Tag sein eigenes Körpergewicht an ATP um. In Ruhe sind dies etwa 70 Kilogramm, bei Hochleistungssport kurzfristig bis zu 200 Kilogramm!

Es gäbe noch viel über die besonderen Merkmale der Lebewesen zu berichten. Vor allem bei der Fortpflanzung, dem Bewegungsvermögen und der Reizbarkeit stößt man auf die erstaunlichsten Dinge. Aber irgendwann stellt sich die Frage, ob es nicht noch allgemeinere, umfassendere Eigenschaften gibt, die lebendige Systeme auszeichnen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund unserer Ausgangsfrage, woran man extraterrestrisches Leben erkennen könnte. Baut es auf derselben Biochemie auf wie die Lebewesen auf der Erde? Ist ein Stoffwechsel, der vornehmlich auf Kohlenstoffverbindungen basiert, zwingend? Diese Einschränkung ist eigentlich ein entschiedener Kohlenstoff-Chauvinismus. Wäre theoretisch Leben nicht auch auf Silicium-Basis vorstellbar? Und wie steht es mit dem Wasser? Wäre es nicht denkbar, dass sich Lebensprozesse in anderen Lösungsmitteln als Wasser abspielen? Diese könnten auf anderen Planeten und unter ganz anderen Temperaturbedingungen an die Stelle des Wassers treten, zum Beispiel Ammoniak, das zwischen -78 °C und -33 °C flüssig ist?

Zugegeben, solche Überlegungen sind äußerst spekulativ. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, darüber nachzudenken, welche Merkmale und Eigenschaften solche Erscheinungsformen mitbringen müssten, um sich als Lebewesen zu qualifizieren.

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