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Vorwort

Der spirituelle Weg, von dem dieses Buch handelt, ist ein Lebens-Weg. Er ist nicht auf eine Phase oder einen Bezirk des Lebens begrenzt, sondern ist von der Art, dass er das Leben allmählich in seiner Gänze durchdringt. Er ist eine Weise, sein Leben zu leben, ja durchzuerleben. Wer sich auf diesen Weg einlässt, der stellt sich Leben und Tod und überprüft seine Vorstellungen an der Wirklichkeit, der er sich öffnet. Der Inhalt dieses Buches ist weder Spekulation noch Ideologie. Er ist Niederschlag eines nun über vierzig Jahre währenden „Selbstversuchs“ eines Christen, dessen Erfahrungen immer wieder einfließen werden. Die grundlegenden Prinzipien des Weges begegnen in unterschiedlicher Akzentuierung bei den spirituellen Suchern der Weltreligionen gleichfalls. So werden insbesondere der Buddhismus, der hinduistische Vedanta und der Sufismus zu anregenden Gesprächspartnern und Helfern für den abendländischen Pilger. Christen, die sich vor allem als Glieder ihrer Gemeinde oder Kirche fühlen, werden sich erinnern, dass die frühe Kirche sich als „der neue Weg“ (Apg 9,2) verstand, der das Ende aller Religionen und Kulte bedeutete, die es damals im Mittelmeerraum in großer Zahl gab.

Meinen Weg in Gang gebracht haben Erfahrungen von Mangel und Sehnsucht nach Erfüllung. Der Mangel, den ich erlitt, war kein äußerer. Ich wuchs behütet auf, konnte ein Mathematikstudium abschließen, trat in den Jesuitenorden ein, in dem ich auf vielerlei Weise Förderung und sinnvolle Arbeitsmöglichkeiten erhielt. Was mir fehlte, war etwas Inneres: Sinn und Lebendigkeit; die Fähigkeit, Liebe geben und empfangen und Enttäuschungen meistern zu können. Arbeit und Ablenkung, Erfolg und Anerkennung können das Innere eine Zeit lang zudecken. Heilen können sie es nicht. Der Schlüssel zur Erfüllung kann nicht allein außen liegen; er ist im eigenen Herzen verwahrt.

Ich wurde gläubiger Christ und lernte beten. Mein Gebet entwickelte sich, es wurde einfacher und stiller. Eines Tages entschwand mir das Gegenüber, an das ich bis dahin meine Gebete gerichtet hatte. Ich erkannte, dass alles von Gott erfüllt war, dass „alles aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist“. Mein Gebet wurde in der Folge zu einem achtsamen, gelassenen und liebevollen Hören nach innen. Die inneren Bewegungen, die dabei wahrgenommen werden, also Gedanken, Körperempfindungen, Gefühle, Wünsche, geistige Haltungen usw., sind die Resonanz der eigenen Person auf die Ereignisse des Lebens. Somit ist das Innere, wie es jetzt und hier erlebt werden kann, Echo der eigenen Biographie auf aktuelle äußere Ereignisse. Insofern eröffnet das Leben selbst einen Zugang zum Inneren und zu seiner teils unbewältigten Geschichte. Ohne sich ihren konflikthaften Wahrheiten zu stellen, ist ein Weiterkommen auf dem spirituellen Pfad unmöglich. Dazu braucht es allerdings eine Begleitung.

Im Alltag besteht der Schritt auf dem spirituellen Weg zunächst im Innehalten und Hören. Ohne innezuhalten und nach innen zu hören, bleibt das eigene Leben oberflächlich und ausgeliefert an die in der Luft liegenden Mächte. Was geschieht, kann dann nur als dumpfes Schicksal verstanden werden, das einmal günstig ausfällt, ein anderes Mal unbarmherzig zuschlägt. Hört die Person aber und verweilt sie dabei, wird sie dadurch in ihre Tiefe geführt. Aus Illusionen und selbstgemachten Vorstellungen erwacht sie zur Wirklichkeit. Dabei kommt sie bei sich selbst an, dort, wo sie ganz sie selbst und von tiefer Freude und Liebe erfüllt ist. In diesem Zustrom neuen Lebens erahnt sie ihren wahren Grund, einen Grund, der grundlos ist, und gewinnt Klarheit darüber, was zu tun ihr nun aufgegeben ist.

Dies auch tatsächlich zu tun, ob es um ein Handeln, eine Entscheidung oder ein Unterlassen geht, ist neben dem Innehalten und Verweilen das zweite wesentliche Moment des spirituellen Weges. Die Person macht sich dadurch nämlich das neue Leben zu eigen, das ihr in der Tiefe mitgeteilt wurde, und inkarniert zugleich die erfahrene Liebe und Versöhnung in die Geschichte. Wo aus diesem Geist heraus gehandelt und gelebt wird, gedeihen Friede, Freiheit und Gerechtigkeit auf Erden.

Solches Schreiten wird vermittelt und eingeübt im Ashram Jesu, einer Christlichen Lebensschule, die selbst eine Frucht eines solchen Schreitens ist. Der Weg, der daraus entsteht, öffnet denjenigen, der auf ihm pilgert, und stiftet Gemeinschaft. Und der Pilger braucht Gemeinschaft und Dialog. Denn er lebt in Kontrast zu jedem gesellschaftlichen Mainstream, der sich als Brot- und-Spiele-Betrieb organisiert. Heute muss das Brot meist unter Druck und unter der Herrschaft von Maschinen erworben werden, so dass der Mensch sich selbst dabei verliert. Um diesen Verlust nicht zu spüren, lenkt er sich mit den Möglichkeiten der Konsumgesellschaft ab und kommt sich so noch mehr abhanden. Kreativität und Bescheidenheit, Halt und Flexibilität sind damit bedroht. Die Zukunft einer solchen Gesellschaft macht Sorgen.

Ohne die Ermutigung, Hilfe und Kritik vieler Menschen, von Freunden und Feinden, aus meinem Orden und aus der Gesellschaft für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik hätte auch ich den Weg nicht finden können. Gleichfalls wäre dieses Buch ohne die Gäste des Ashram Jesu mit ihren Lebenserfahrungen, Fragen und Anregungen nicht entstanden. Ihnen allen sei von Herzen Dank gesagt. Eine besondere Erwähnung verdienen diejenigen, die mir bei der Abfassung des Buches geholfen haben, besonders Sr. Petra Maria Hothum.

Ich hoffe und wünsche, dass dieses Buch alle Leserinnen und Leser inspiriert, den ernsthaft Suchenden Orientierung gibt und zur Verständigung zwischen den Religionen und damit zum Frieden auf Erden beiträgt. In einer aus ihren Fugen geratenen Welt wird es immer dringlicher, die Wirklichkeit und sich selbst in einem Grund verankert zu erfahren, der tiefer als alles liegt, um das Leben bewältigen zu können.

Ashram Jesu, am 23. Oktober 2015

Bertram Dickerhof

Der spirituelle Weg

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