Читать книгу Homestory - Seite 2 - Beth MacLean - Страница 7
Kapitel 3
Оглавление»Bestimmt steht wieder ein grandioses Buffet bereit. Mann! Vielleicht habe ich Glück und es ist noch niemand da. Dann kann ich wenigstens dort noch …« Jake schüttelte das Shirt aus und erstarrte. Eine Naht hatte sich gelöst. Der Faden kringelte sich um ein zentimeterlanges Loch, wodurch das Kleidungsstück denkbar ungeeignet für öffentlichkeitswirksame Kontakte mit Pressevertretern war. Jake biss sich auf die Zunge und unterdrückte ein Fluchen. Noch mehr Zeitdruck konnte er jetzt beim besten Willen nicht brauchen.
»Hol dir ruhig ein paar Leckereien – wenn du dich das traust. Du weißt doch, dass Will früher oder später alles mitbekommt«, foppte Kisha, während sie einen Blick über ihre Schulter warf. Sie hatte nichts von dem Dilemma mitbekommen.
»Warte!«, hielt Jake sie auf. Die beiden hatten einen der Salons erreicht, in dem die Interviews stattfinden sollten. »Ich bin sofort wieder da!« Ohne eine weitere Erklärung machte Jake kehrt und rannte zum Schlafzimmer zurück, um sich ein anderes Oberteil zu holen, und griff wahllos zu. Wenig später kehrte er zurück, bremste seinen Schwung ab und blieb atemlos vor Kisha stehen. »So, wir können.« Sofort bemerkte er ihren tadelnden Blick und bereute, dass er in der Hektik nicht auf die Farbe des Shirts geachtet und sich nicht an ihre Vorgabe gehalten hatte. Egal, das Grau passte auch zu den Jeans. Sie würde sich damit abfinden müssen, denn er hatte keine Lust, noch einmal zurückzulaufen.
Jake zupfte den Saum auseinander, schlüpfte in die Ärmel und ließ sich von ihr die Tür aufhalten. Mit wehendem Gewand eilte sie voraus, steuerte direkt auf den Flügel zu, der schwarz glänzend in der Mitte des Raumes stand und die Blicke der Besucher auf sich zog. Beim ersten Rundgang durch die Suite war es ihm zumindest so ergangen und Jake hatte sich gefragt, ob jemals ein Gast auf diesem Instrument spielte. Leider beherrschte er es nicht, hörte aber gern zu.
»Komm schon, beeil dich, Honey!«, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Kisha schnippte mit den Fingern und warf ihre beneidenswerte Haarpracht, einen armdicken Rastazopf, auf den Rücken.
Jake zog sich das Shirt über den Kopf und brachte die nächsten Schritte blind hinter sich.
»Himmel! Das fängt ja wieder gut an! Janine hätte mich wirklich vorwarnen können!«, zeterte Jake. »Wieso kommt sie erst so kurz vor knapp damit an, dass wir früher beginnen?« Er wusste, dass er Janine Unrecht tat. Sie konnte schließlich nichts dafür, dass diese Prescott sich nicht schon einen Tag eher gemeldet hatte. Das sah danach aus, als wüsste die Chefredakteurin, dass sie auch so kurzfristig noch eingeplant und ihrem Wunsch entsprochen würde. Er kannte sie nicht persönlich und durfte sich daher eigentlich kein Urteil erlauben, aber Sharon Prescott hatte bei Jake allein durch diese Aktion schon Minuspunkte auf ihrem Konto verbucht.
Jake konnte nur hoffen, dass nach diesem holprigen Start der Tag wieder geradliniger verlief.
Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Fuß, als ihn plötzlich eine Wand aus weicher Körpermasse abbremste und sein Zeh durch den Stoß gegen Kishas Schuhe nach hinten gebogen wurde. Jake biss die Zähne zusammen und stöhnte. Adrenalin flutete seinen Körper, trieb seinen Herzschlag in die Höhe. Humpelnd versuchte er, sein Gleichgewicht wieder zu erlangen, ohne den pochenden Zehen zu belasten. Zum Fluchen fehlte ihm der nötige Atem, was in diesem Augenblick sicher besser war.
Auf die Gefahr hin, die Naht dieses Shirt ebenfalls zu beschädigen, zerrte er am Stoff und blinzelte die Tränenflüssigkeit weg, während er nach Luft schnappte. Sein Brustkorb entspannte sich langsam und es dauerte einen Moment, bis die Punkte sich auflösten, die vor ihm zu schweben schienen.
Jake fragte sich, ob Kisha das Anrempeln überhaupt bemerkt hatte. Sie stand reglos vor ihm und starrte in den angrenzenden Salon. Dort hatte Charly neben dem Interviewbereich, der aus einem Tisch und zwei Sesseln bestand, bereits die Scheinwerfer in Betrieb genommen. Daneben stand ein Typ und starrte zu ihnen herüber. Jake war sicher, dass dieser Mann ihm aufgefallen wäre, wenn er ihn zuvor schon einmal gesehen hätte. Er suchte in den unzähligen Gesichtern, die er in der Vergangenheit abgespeichert hatte, nach einer Übereinstimmung. Nichts – er blieb ein Fremder. Einen Wimpernschlag später hatte Jake ihn abgecheckt und ihn anhand seiner äußeren Attribute beurteilt. Studien belegten glaubhaft, dass innerhalb von Millisekunden der erste Eindruck entstand, der gnadenlos über Sympathie oder Ablehnung entschied. Genauso wie in den Produktionsstraßen mancher Firmen in atemberaubender Geschwindigkeit Aufnahmen gemacht wurden, um dann bei Mangel der Ware durch einen elektrischen Befehl das entsprechende Objekt durchfallen und mit einem seelenlosen Schubs aussortieren zu lassen.
Er wusste, er selbst bildete da keine Ausnahme, war von den uralten Verhaltensmustern nicht ausgenommen. Der Typ bestand den Test. Er war etwa so groß wie Jake und vermutlich auch im selben Alter. Braunes Haar, das zwar modisch geschnitten, aber längst nicht so perfekt gestylt war wie Jakes. Allerdings musste man ihm zugutehalten, dass ihm sicher die Wind- und Wetterattacken bei der Anreise zum Hotel zugesetzt hatten und er sich nicht wie Jake vertrauensvoll in Kishas Hände hatte begeben können. Lässige Jeans betonten die langen Beine. Keine MacKay, aber das Interesse für die neue Marke konnte im Laufe des Interviews sicher noch geweckt werden. Stehen würde sie ihm auf jeden Fall, befand Jake. Der Blick des Journalisten wirkte offen mit einem Tick Unsicherheit, was keinen Widerspruch zum kantigen Gesicht und den breiten Schultern darstellte, sondern durchaus harmonierte. Alles in allem war er von der Gattung Kumpeltyp – mit einer Spur perfekter Schwiegersohn.
So angenehm er das Erscheinungsbild seines Gegenübers auch fand, so enttäuscht war er, das Buffet nicht für sich allein zu haben. Der herrliche Duft, den das Essen verströmte, stieg ihm in die Nase. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen und Jake schluckte angestrengt. Tja, noch schnell etwas zu stibitzen, konnte er jetzt wohl vergessen. Dabei roch es so verführerisch, dass sein Magen erneut zu grummeln begann. Wenn Janine sich treu geblieben war, dann befand sich im anderen Raum ein fulminantes Buffet mit allem, was das Herz begehrte, das er aber leider nicht genießen durfte. Vor seinem inneren Auge tauchten Rühreier, Cerealien mit Knusperstückchen und Fettgebackenes auf. Speckstreifen vollendeten die Folter.
»Guten Morgen.« Der Fremde wirkte ein wenig steif, war aber offensichtlich in der Lage zu sprechen. So weit, so gut, schoss es Jake durch den Kopf. Das war vermutlich die Kategorie ›überforderter, ehrfürchtiger Ersttäter, der umsorgt werden musste‹. Er wusste gar nicht mehr, wann er begonnen hatte, Kategorien zu erstellten und Menschen, vorzugsweise Journalisten, diesen zuzuteilen. So gab es zum Beispiel noch die ›karrieregeilen Schleimer‹, ›die Anbetenden‹ oder ›die Hinterlistigen‹, die plötzlich mit einer zweideutigen Frage über sein Privatleben daherkamen, nachhakten und sich notfalls wie ein Pitbull verbissen, um ganz frech auszutesten, ob er seine Überraschung und Unsicherheit hinter einem Pokerface verstecken konnte.
Die Schublade, in die er dieses gutaussehende Exemplar gesteckt hatte, war ihm da bei Weitem am liebsten. Auch wenn ein Makel blieb – der Typ war Journalist.
Der Schmerz in seinem Fuß ließ merklich nach. Also war es jetzt möglich, sich mehr auf sein Gegenüber zu konzentrieren.
»Janine hat mich gebeten, hier zu warten.« Er warf einen flüchtigen Blick zu der Tür, durch die er den Salon wohl betreten hatte, als erwartete er, die Assistentin dort zum Beweis vorzufinden.
Jake nahm hinter sich Geräusche wahr, schloss seinen Mund, ohne zu antworten, und wandte sich kurz um. Janine war im Anmarsch. Die Redewendung ›Wenn man vom Teufel spricht‹ traf es ungemein. Erstaunlicherweise blieb sie trotz ihrer energischen Schritte nicht mit ihren Absätzen im Boden stecken, sondern hackte weiter ihrem Ziel entgegen.
»Oh, gut! Ihr habt euch gefunden! Dann ist ja alles in bester Ordnung.« Ein ironischer und zugleich vorwurfsvoller Unterton hatte in ihren Worten mitgeschwungen. Von wegen in bester Ordnung. Es war doch nun wirklich nicht seine Schuld, dass sie unter Zeitdruck standen und Janine durch die Räume hasten musste! Jake hielt für eine Sekunde den Atem an und rief sich in Erinnerung, dass sie beide nicht allein waren. Er wusste, dass er die aufmüpfige Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, hinunterschlucken musste.
Atemlos blieb Janine bei Kisha und Jake stehen, der nicht überrascht gewesen wäre, wenn es den Knopf, der die Bluse auf Höhe ihrer Brüste im Moment noch zusammenhielt, mit einem leisen ›Plopp‹ abgesprengt hätte. »Der Redaktion von WM wurde das erste Interview zugesagt. Nun sollten wir aber wirklich beginnen«, drängte sie, als hätte er zuvor widersprochen. Kühl verzog sie ihre Lippen zu einem Lächeln. Nach einem eiligen Blick auf ihr Clipboard wirbelte Janine herum und verschwand wieder.
Jake sah ihr nach und verspürte Widerwillen. Bildete er sich ihre herablassende Art nur ein? Reagierte er gereizt, weil er übernächtigt war oder sich vor dem Typ keine Blöße geben und wie ein unmündiger Trottel dastehen wollte? Er wusste auch ohne ihre Bevormundung, was er zu tun hatte. Es fehlte gerade noch, dass sie ihm wie einem Welpen den Kopf tätschelte. Jake riss sich zusammen und ließ sich nichts anmerken. Schließlich nutzte es niemandem, wenn sie sich stritten – außer natürlich dem Journalisten, wenn er Zeuge wurde und eine Story daraus machte.
Als hätte jemand einen Startschuss abgegeben, hakte Jake das, was in den vergangenen Minuten geschehen war, ab und schaltete in seinen Interviewmodus. Lächeln, aufmerksam, freundlich und gesprächig sein – aber auch nicht zu viel preisgeben, war das Motto.
Zumindest versuchte er es, denn da war plötzlich noch etwas anderes. Etwas, eine Empfindung, die so zart wie ein faszinierender Schmetterling war und nicht ignoriert werden konnte. Wenn er tief in sich hineinhorchte und sich darauf konzentrierte, dann konnte er es fühlen – und es weckte gleichzeitig Argwohn und Erstaunen.
Argwohn, weil dieses Gefühl nicht sein durfte und Jake ahnte, welche Schwierigkeiten daraus entstehen konnten.
Erstaunen, weil er nicht für möglich gehalten hatte, diese enorme Anziehungskraft, gegen die man mit bloßem Menschenverstand nichts ausrichten konnte, ausgerechnet jetzt und hier wieder zu spüren.
Mit Bedauern fragte Jake sich, warum er die Person, die dieses Gefühl auslöste, unter Umständen traf, die Jake nur deshalb ertrug, weil sie zu seinem Job gehörten.
Für Jake waren Interviews und Journalisten ein notwendiges Übel, das er sich, so gut es ging, vom Hals hielt. Was leider bedeutete, dass sein Gegenüber zu dem Schlag Menschen zählte, die er zu meiden versuchte.
Und genau hier lag das Problem. Er bezweifelte, dass er das in diesem Fall wollte – oder konnte.
Jake brauchte es erst gar nicht zu leugnen. Dieser Mann hatte etwas an sich. Etwas, das Jakes Interesse weckte und vermutlich noch Stunden oder Tage später seine Gedanken fesseln konnte – wie das Netz einer Spinne einen gefangenen Schmetterling.
Warum hatte er ihm nicht in einem einsam gelegenen schottischen Dorf, beim Joggen oder irgendwo sonst über den Weg laufen können? Am besten in einer anderen Welt, in der er nicht Jake Crawford und der andere kein Journalist war. Einfach begegnen – ohne diese negativen Begleiterscheinungen im Schlepptau. Ohne das Misstrauen, das wie ein tiefsitzender Stachel einen unbeschwerten Umgang unmöglich machte.
Er spürte, dass dieser Mann seinem Seelenheil gefährlich werden konnte – und das, obwohl Jake ihn gerade zum allerersten Mal traf!
Jake wandte sich seinem Interviewpartner zu, der immer noch neben den Scheinwerfern stand, eine Faust vor den Mund hielt und sich räusperte. Im selben Moment, als er sich in Bewegung setzte, machte auch Jake einen ersten Schritt und testete aus, ob er wieder auftreten konnte. Und tatsächlich, den Druck, den er immer noch im großen Zeh spürte, konnte er getrost ignorieren. Betont lässig schlenderte er ihm entgegen.
Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des Journalisten und Jake hatte mit einem Mal das Gefühl, von einem guten Freund begrüßt zu werden.
»Guten Morgen.« Jake fiel auf, dass er sich wiederholt hatte und ihm wäre daraufhin beinahe ein ›doppelt hält besser‹ rausgerutscht. Sie waren voreinander stehen geblieben. Wenn Jake sich nicht täuschte, dann hatten die Wangen seines Gastes eine gesunde Farbe angenommen. Die Vorstellung, den Fremden aus der Fassung zu bringen, brachte Jakes Herz einen Augenblick aus dem Takt und er musste aufpassen, dass er sich nicht ebenfalls verriet. Blieb nur noch die Frage, ob er ihn körperlich anzog und als Mann nervös machte oder ob das Ganze lediglich Jakes Bekanntheitsgrad geschuldet war. Auch wenn Jake es gewohnt war, dass manche seiner Gesprächspartner aufgeregt waren und er für gewöhnlich darüber hinwegsah – ihm wollte er die Unsicherheit nehmen.
Ohne darüber nachzudenken, streckte er dem Typ die Hand entgegen, um ihn zu begrüßen, und wäre beinahe wieder zurückgewichen. Schon allein diese Geste überführte ihn, wenn man ihn gut genug kannte. Er begann ein Interview niemals mit Handschlag, sondern immer nur mit einer distanzierten Floskel. Nicht in diesem Fall. Ein Gedanke durchzuckte ihn und er fühlte sich ertappt. Bemerkte Kisha das verräterische Händeschütteln, wo er doch sonst immer gegen Journalisten wetterte? Oder war sie noch mit dem Make-up beschäftigt?
Er gestand sich ein, dass er sogar neugierig war und darauf brannte, den Fremden zu berühren – wenn auch nur zur Begrüßung. Glücklicherweise war es dadurch möglich, die Distanz unauffällig zu überwinden. Jake wollte ihn spüren.
Energisch verbannte er diesen Gedanken und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, für das er sich nicht einmal anstrengen musste.
»Hi, Jake Crawford.« Er hatte bewusst eine Übung aus dem Sprechtraining angewandt und das ganze Volumen seines Brustkorbs genutzt, um seine Stimme tief und voll klingen zu lassen. Wie ein Platzhirsch, der all seine Vorzüge zur Schau stellte, schoss es ihm durch den Kopf. Im Ernst? Schlich sich da etwa ein wenig Prahlerei und Überheblichkeit ein? Was wollte er sich und diesem Typ beweisen? Entschlossen stoppte Jake seine Selbstanalyse. Anziehungskraft konnte man eben unmöglich logisch erklären.
Eigentlich war es albern, dass er sich wie ein Teenager zu solch einem Verhalten hinreißen ließ.
Nun war er mit einem Mal froh, dass der Ball im gegnerischen Feld lag. Für einen Moment hatte sein Gegenüber den Blick gesenkt und sich auf das Ergreifen von Jakes Hand konzentriert, um gleich darauf mit einem atemberaubenden Augenaufschlag den Blick wieder anzuheben. Jake bezweifelte, dass Berechnung dahinterstand. Dafür wirkte er zu … unschuldig. Vielleicht täuschte er sich aber auch. Ihm entging nicht, dass die ansonsten gerade Nase an der Wurzel von der Norm abwich und ein Bruch in der Linie zu erkennen war. Neugier regte sich in ihm. Was wohl die Ursache hierfür gewesen war? Ein Unfall? Oder täuschte seine sympathische Ausstrahlung und er hatte bei einer Schlägerei ordentlich einstecken müssen? Nun ja, erfahren würde er es ohnehin nicht.
So nah bei ihm konnte Jake auch die Farbe der Iris ausgezeichnet erkennen und er fragte sich, wie stark das Blau wohl erst bei direktem Lichteinfall leuchten würde.
Gletschersee. Das war die erste Assoziation, die sich in seinen Gedanken manifestierte. Ein eiskaltes, unergründliches Gewässer, in dem sich der wolkenlose Himmel spiegelte und in dem man für alle Ewigkeiten versinken würde, wenn man nicht aufpasste.
Beinahe hätte Jake sich zu einem ›Wow!‹ hinreißen lassen. Ein flaues Gefühl breitete sich gefährlich intensiv in seiner Magengegend aus. Ein Gefühl, das er zwar kannte, das er jedoch eher mit der Schubkraft seines Privatjets in Verbindung brachte als mit einem Journalisten.
Während die Sekunden verstrichen, hielt Jake ihn fest und registrierte dabei den festen Händedruck. Ein angenehmes Gefühl, auch wenn die Finger für eine gut temperierte Hotelsuite zu klamm waren.
Sein Gegenüber hielt seinem Blick zunächst stand. Ob er allerdings auch diese Spannung wahrnahm, die zwischen ihren Körpern zu fließen schien, konnte Jake nicht beurteilen. Schließlich blinzelte der Fremde und unterbrach damit den Bann.
Der Groschen schien endlich zu fallen. »Oh … ähm … Finley. Tom Finley«, stellte er sich verspätet vor. Nun gab es leider keinen Grund mehr, diese Nähe aufrechtzuerhalten. Jake ließ die Hand seines Gegenübers widerwillig los und deutete ein Nicken an. Irgendwie schlingerten beide durch die Begrüßung. Auch wenn sie vielleicht aus ganz unterschiedlichen Beweggründen nervös waren.
»Tom«, wiederholte er und ließ die Silbe wie Schokolade im Mund schmelzen. Seinen Vornamen auszusprechen, der sich, wie Jake fand, harmonisch in das Gesamtbild einfügte, hatte etwas Intimes, Vertrautes.
Anscheinend empfand jedoch nur Jake so. Tom Finley ließ sich zumindest nichts anmerken, das über Professionalität hinausging. Dabei hätte Jake so einiges dafür gegeben, zu sehen, wie der strenge Zug um seinen Mund sich in einem Lachen auflöste.
»Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen, Mister Crawford.« Mit einem intensiven Blick und einem Stirnrunzeln gab er zu verstehen, dass er es ernst gemeint hatte.
»Bitte, einfach nur Jake.« Die Worte waren ausgesprochen, ehe er darüber nachdenken konnte. Jake stutzte, hielt das Lächeln jedoch aufrecht, während er seine Daumen in die Hosentaschen einhakte. Dort waren sie versteckt und verrieten nicht das Zittern. Was war nur los mit ihm? Er forderte diesen Journalisten geradezu dazu auf, die Distanz, auf die er sonst immer penibel bestand, abzubauen. Die Situation verselbständigte sich und der vernünftige Teil in ihm wusste, dass es eigentlich an der Zeit war, die Reißleine zu ziehen.
Tom schien es ähnlich zu gehen. Er sah ihn irritiert an und zögerte, als hätte er vergessen, was er sagen wollte.
Jake war machtlos dagegen, dass die Gedanken über Tom mehr Raum einnahmen, als er ihnen zugestehen wollte, doch Kisha kam ihm unerwartet zu Hilfe. Sie klapperte im Hintergrund geräuschintensiv mit ihrem Equipment, konnte es sich offenbar nicht verkneifen, sich bemerkbar zu machen. Außenstehenden mochte es nicht auffallen, aber Kisha schien es erkannt zu haben. Er verriet tatsächlich seine Prinzipien für diesen Mann!
Ohne auf die Bemerkung über die persönliche Anrede einzugehen, die eigentlich eine unsichtbare Tür hatte öffnen sollen, wandte Tom sich ab, schien seine Gedanken zu ordnen und sich zu orientieren. Er hatte das Angebot ungenutzt verstreichen lassen, was eindeutig den Beigeschmack einer Abfuhr hatte. Etwas unschlüssig beäugte er die Sachen, die er mitgebracht hatte.
In Jake gärte der Ärger über seinen unbedachten Vorstoß. Er hatte sich umgänglich zeigen und nicht verschreckend wirken wollen. Das freundschaftliche Auftreten überraschte und überforderte Tom offenbar.
Natürlich konnte Jake mit Rückschlägen umgehen. Das war wichtig und eine gesunde Methode, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben, die Anbindung an die Realität nicht zu verlieren. Auch in seinem Leben lief nicht immer alles glatt. Hier allerdings machte es ihm doch mehr aus, als er für möglich gehalten hatte. Er wollte eine Verbindung schaffen – wie auch immer diese dann aussah oder wie lange sie Bestand hatte.
Jake beschloss, dass es besser war, erst einmal Ruhe einkehren zu lassen und eine neutrale Basis zu finden, auf der sie beide sich begegnen konnten. In Anbetracht des knappen Zeitrahmens ein anspruchsvolles Unterfangen.
»Bitte.« Er ließ Tom den Vortritt – nicht nur aus Höflichkeit, sondern auch um die Gelegenheit zu nutzten, ungestört nochmals ein Auge auf ihn zu werfen. Unwillkürlich blieb sein Blick an Toms Hintern hängen, als er sich etwas vornüberbeugte und seine Kamera vom Tisch nahm. Etwas zu tun zu haben, schien ihm ein wenig Sicherheit zu verleihen. Er nahm ein, zwei Einstellungen vor, streifte Jake mit einem Blick und sah sich in der Suite um.
Tom verlor wirklich keine Zeit. »Okay, dann schlage ich vor, dass wir gleich …«
Ehe er den Satz beenden konnte, stürmte Kisha heran, den Pinsel unheilvoll erhoben.
»Nein, nein, nein! Noch nicht!« Sie rauschte divengleich an Jake vorbei und machte erst kurz vor Tom Halt. Erstaunlicherweise wich er angesichts ihres herrischen Auftretens nicht einmal zurück, obwohl sie etwas von einer Löwin hatte, die ihre Jungen verteidigte. Jake zollte ihm insgeheim Respekt. Am Gesichtsausdruck konnte er jedoch zweifelsfrei erkennen, dass Kisha ihr Opfer dennoch überrumpelt hatte. Jake konnte nicht verhindern, dass er sich amüsierte, während er die beiden beobachtete. In Ehrfurcht erstarrt ließ Tom die Visagistin nicht aus den Augen und harrte der Dinge, die ihn vielleicht noch ereilen würden.
Jake wusste, dass sie gehörig Eindruck machen konnte, wenn sie es drauf anlegte. In Momenten, in denen sie für etwas entbrannt war und es auch durchsetzen wollte, sprachen ihre Augen Bände. Je größer sie dann wurden, umso klüger war es, seinen Standpunkt nochmals zu überdenken, wenn man nicht unter die Räder kommen wollte.
»Keine Fotos ohne mein professionelles Make-up. Ich habe einen sehr guten Ruf zu verlieren, Honey!« Jake atmete erleichtert auf. Tom Finley war durch dieses ›Honey‹ in einen erlesenen Kreis aufgenommen worden – innerhalb kürzester Zeit und sicher, ohne dass er sich dessen bewusst war. Nach welchen Kriterien seine langjährige Mitarbeiterin diese Adelung vornahm, blieb Jake ein Rätsel, aber es war tatsächlich so, dass ihre Einschätzungen sich mit den seinen deckten und er diese Personen ebenfalls sympathisch fand. Kisha vergab diese Auszeichnung äußerst sparsam und meist unbewusst, vermutete Jake, während er neben sie trat.
Toms Blick streifte ihn. Wieder nahm das Blau ihm den Atem. Unglaublich! Ein kurzer Moment wie dieser genügte dafür völlig.
Trotzdem nahm Jake die Unsicherheit wahr, die in seinen Augen aufblitzte. Der Arme! Wahrscheinlich wusste er jetzt überhaupt nicht mehr, was er noch tun durfte oder was er unter Kishas Regiment gefälligst zu lassen hatte.
Er schien regelrecht um Hilfe zu flehen und Jake gab sich einen Ruck. Es war an der Zeit, Tom Finley zu retten und die Situation zu entschärfen, ehe der sich wieder fing, vielleicht auf stur schaltete und in eine Diskussion schlitterte, ohne zu wissen, dass er bei Kisha hundertprozentig auf Granit biss. Eine Gratwanderung. Einerseits wollte Jake beweisen, dass er sein Team im Griff hatte. Andererseits wollte er Kisha nicht bevormunden und ihre Kompetenz schmälern.
»Keine Sorge, Kisha. Du hast noch genügend Zeit für das Make-up.« Jake drückte sie an sich, strich mit dem Daumen beruhigend über ihren Arm und beobachtete aufmerksam ihre Reaktion, um noch rechtzeitig gegensteuern zu können, falls er sich verschätzt haben sollte. »Wir fangen einfach mit den Fragen an. Das ist ohne Probleme nebenher machbar. Die Fotos kommen später dran.« Mit diesem Vorschlag schien sie glücklicherweise einverstanden zu sein. Erleichtert bemerkte er, dass die Spannung schneller als erwartet aus ihrem Körper wich, ehe sie sich von ihm löste und zum Flügel zurückkehrte. Nun konnte Jake nicht widerstehen, diesen kleinen Triumph, den er errungen hatte, auszukosten. Er ignorierte den Hauch des schlechten Gewissens und wechselte ins gegnerische Team. Auch wenn es auf Kishas Kosten ging, schnitt er hinter ihrem Rücken eine Grimasse und spekulierte darauf, Tom damit aus der Reserve zu locken, wenn der Jake auf seiner Seite wähnte.
Jake spürte, wie sich Wärme in seinem Bauch ausbreitete. Es war ihm egal, ob so etwas Albernes zu einem Interview passte oder nicht, denn es fühlte sich richtig an – zumindest mit Tom. Und bei ihm schienen Jakes Signale tatsächlich anzukommen. Der überraschte Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand. Er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein und seine Mundwinkel zuckten verdächtig, als er den Blick senkte und sich auffallend intensiv mit seiner Kamera beschäftigte.
Ein Glücksgefühl durchströmte Jake. Er hatte das Eis gebrochen! Jake schlenderte zu Kisha hinüber und versuchte konzentriert, seine Mimik unter Kontrolle zu halten. Unentwegt wollte sich ein Lächeln auf seine Lippen stehlen. Er wusste, dass er sich in Toms Gegenwart anders verhielt, als er das normalerweise einem Journalisten gegenüber tat. Und genau das vermittelte ihm Kishas durchdringender Blick. Sie hatte ihn entlarvt und hob anzüglich ihre Augenbrauen. Ein, zwei gezielte Fragen würde er sich später sicher noch anhören müssen. Und wenn schon? Warum sollte er sich rechtfertigen? Tom hatte nun mal sein Interesse geweckt.
Er nahm Platz und ließ die gewohnte Routine über sich ergehen. Geschickt hantierte Kisha mit Puder und Pinsel, was Jake mit einem Mal gar nicht so recht war. Das hatte nichts mehr von einem Platzhirsch. Plötzlich zwickten ihn Schamgefühle und es störte ihn, vor Tom geschminkt zu werden. Hielt der ihn jetzt für weibisch? All das nur, weil sie zuvor zu viel Zeit vertrödelt und diese Aufhübschung nicht schon vorab zu Ende gebracht hatten! Seine Bauchmuskeln verhärteten sich und am liebsten hätte Jake Kishas Hand weggestoßen, um diese unmännliche Prozedur zu beenden.
Sie schien nichts von dem Aufruhr in seinem Innern zu merken und puderte hochkonzentriert sein Gesicht, während seine Gedanken um Tom kreisten und ein Herzflattern verursachten.
Jake löste den Blick von Kishas ausladendem Busen, schielte zu ihm hinüber und musterte ihn unauffällig – immer darauf bedacht, seine Position möglichst nicht zu verändern. Er wusste, dass er sich eine Rüge einhandeln konnte, wenn er den Kopf zu weit drehte.
Tom trug ein sportliches Karohemd, unter dessen Kragen ein weißes Shirt hervorlugte. Die Farben passten hervorragend zu Toms Augen und unterstrichen dezent das Blau. Durch den legeren Schnitt war sein Körperbau nur zu erahnen. Höchstwahrscheinlich war er nicht so durchtrainiert wie Jake – aber was machte das schon. Entgegen der landläufigen Meinung musste er nicht neben einer Ken-Puppe aufwachen, um glücklich in den Tag zu starten. Auch wenn es abgedroschen klang – aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen waren ihm Persönlichkeit und Charakter viel wichtiger als das optische Erscheinungsbild. Er liebte schöne Menschen – das Aussehen spielte dabei keine Rolle.
Jake senkte den Blick und unterdrückte ein Schmunzeln. Der Zipfel einer Hemdseite hing weiter nach unten. Tom hatte Knopfleiste und Löcher falsch zusammengefügt. Genau das verlieh ihm in dieser Interviewsituation einen ganz eigenen Charme. Frauen wie Männer erschienen teilweise übertrieben gestylt zu einem Termin. Tom fiel da etwas aus dem Rahmen.
Noch ein Gedanke ging ihm durch den Kopf. Möglicherweise verriet sein Aufzug auch etwas über seine Persönlichkeit. Vielleicht war er unordentlich oder ein Morgenmuffel, der verschlafen hatte. Oder Tom scherte sich einfach nicht darum, dass er einen Weltstar vor sich hatte, was ihn für Jake nur noch interessanter machte und ihn aufmerken ließ.
Hochkonzentriert hatte er inzwischen einen Kugelschreiber gezückt, sah von seinen Notizen auf und schien für die erste Frage bereit zu sein.
Jake konnte dieses niedliche Detail jedoch einfach nicht ignorieren. Er passte einen Zeitpunkt ab, in dem Kisha seinem Mund mit dem Pinsel nicht zu nahekam und er nicht Gefahr lief, den bitteren Geschmack des Puders auf die Zunge zu bekommen.
»Turbulenter Morgen?«, fragte Jake im passenden Moment gerade heraus. Gern hätte er an die lockere Stimmung angeknüpft, doch Tom konnte die Worte offenbar auf die Schnelle nicht einordnen.
»Hm?« Auf seiner Stirn erschienen Falten und in seinen Blick mischte sich Ratlosigkeit.
»Das Hemd«, schob Jake eine Erklärung hinterher und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Um noch deutlicher zu werden, starrte er auf den Saum und zuckte mit den Brauen. Dabei veränderte er minimal seine Haltung. Sofort drückte Kisha ihren Finger gegen sein Kinn und sah ihn streng an. Die Gelbe Karte hatte Jake damit also erhalten.
»Turbulenter Morgen?«, wiederholte Jake. Er schloss gerade noch rechtzeitig vor dem nächsten Pinselstrich die Lippen. Für einen Augenblick herrschte absolute Stille. Dann konnte er zusehen, wie Toms Gesichtszüge entgleisten, als der den Modefauxpas bemerkte. Zumindest hatte er sich so weit im Griff, dass er nicht laut fluchte. Ein anderer Grund für die Bewegungen seiner Lippen fiel Jake nicht ein. Flammendes Rot überzog die Wangen und nun bereute Jake die Bemerkung beinahe schon wieder. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet, sondern allenfalls einen lockeren Spruch erwartet. Es war nicht seine Absicht gewesen, Tom zu blamieren, dennoch bekam Jake die Quittung für seine unbedachten Worte, die dafür gesorgt hatten, dass die aufkeimende Verbundenheit sich in nichts auflöste.
Offenbar verstand Tom keinen Spaß, selbst wenn es nur um dieses kleine Missgeschick ging. Erfahren hatte Jake dadurch auf jeden Fall etwas über ihn. Auch mal über sich selbst zu lachen, musste er eindeutig noch üben. Tom schien seinen Job sehr ernst zu nehmen und hohe Anforderungen an sich zu stellen – und wenn er es nicht schaffte, diese zu erfüllen, schien das an einen Weltuntergang zu grenzen. Würde er seinen Job wiederum auf die leichte Schulter nehmen, könnte er wahrscheinlich nur mäßige Ergebnisse liefern und wäre damit nicht in der herausragenden Position, ein wichtiges Interview für sein Magazin führen zu dürfen.
»Ja, tja.« Jake konnte ihm ansehen, dass er sich mehr als unwohl fühlte. »Aber auf das Interview wird es wohl keine Auswirkungen haben«, fügte er schroff hinzu. Seine Lippen bildeten nur noch schmale Linien und Jake erntete einen eisigen Blick. Damit schien das Thema für ihn erledigt zu sein. Er machte keine Anstalten, seine Kleidung in Ordnung zu bringen.
»Natürlich nicht.« Jetzt war es Jake, dem vor Verlegenheit unangenehm warm wurde. Hätte er doch einfach den Mund gehalten! Er setzte eine ernste Miene auf und sah Tom aufmerksam an, um zu signalisieren, dass das Interview nun endlich beginnen konnte.
Der atmete tief durch und versuchte, seine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen, was ihm allerdings nicht auf Anhieb gelang. Dennoch verhielt er sich professionell und konzentrierte sich auf das Wesentliche.
Beim Sprechen ließ Tom seinen Blick durch die Suite schweifen. »Also, was mir zuerst auffiel … das … das ist ein ungewöhnlicher Ort … für ein Interview.« Seine Stimme verriet, dass er sich wieder auf sicherem Terrain bewegte. Beim Sprechen bewegte er seine Hand, als würde er etwas aufzählen. »Eine ungewöhnliche Herangehensweise. Warum dieser zeitliche Aufwand, die ganzen Einzelgespräche, wenn die Fragen der Journalisten allesamt während einer Konferenz beantwortet werden könnten? Und das sind nicht wenige … bei solch einem Bekanntheitsgrad.«
Erwartungsvoll sah er Jake an. Tom verwendete nur Papier und Stift, registrierte Jake, während er die Intensität seiner Blicke spürte und es ihm alles abverlangte, ihnen standzuhalten. Tom schien, wie Janine auch, gern ohne die technischen Errungenschaften der heutigen Zeit zu arbeiten. Da er allein zum Termin erschienen war, ihn kein Kameramann begleitete und auch offensichtlich keine Tonaufnahmen gemacht werden sollten, die das Gesagte nochmals widergeben konnten, vermutete Jake, dass er mit einer Kurzschrift schneller zu Gange war, als mit dem Zehnfingersystem auf dem Laptop.
»Nun.« Jake runzelte die Stirn und zögerte. Für gewöhnlich zielten die ersten Fragen direkt auf die Kampagne ab und nicht auf die Örtlichkeiten, an denen das Interview stattfand. Den Impuls, den Grund dafür zu nennen, unterband er. Er durfte nicht vergessen, dass Tom ein Journalist war, wenn auch ein sehr sympathischer, der möglichst viel für seinen Artikel herausholen wollte.
Um noch ein wenig Bedenkzeit für sich herauszuschlagen, konzentrierte er sich auf Kisha, die wenig später ihre Arbeit mit einem letzten prüfenden Blick abschloss. Jetzt konnte er sich nicht mehr länger vor einer Antwort drücken. Jake erhob sich und schlenderte auf Tom zu.
»Es war meine Idee, etwas Neues auszuprobieren«, umschrieb Jake vorsichtig die Gründe für sein Vorgehen. Mehr wollte er nicht preisgeben.
Ohne Zögern wurde die nächste Frage gestellt. Allerdings keine, die Jake sich gewünscht hätte.
»Bedeutet das, dass das Management erst davon überzeugt werden musste?«
Jake unterdrückte ein Stöhnen und glaubte zu erkennen, dass Tom auf der Suche war nach Gräben zwischen ihm, dem Gesicht der Kampagne, und den Personen, die im Hintergrund die Fäden zogen. Warum sonst die Frage nach Jakes Management? Seine innere Stimme sagte ihm, dass er das Gespräch schleunigst auf das zentrale Thema, die Werbung, lenken musste.
Was hatte Tom vor, mit welchen Fragen wollte er noch aufwarten? Hatte Jake sich getäuscht und Tom war einer von der hinterlistigen Sorte? Unangenehme Erinnerungen an ähnliche Gespräche poppten hoch. Durchhalten, ermahnte er sich. In wenigen Minuten würde der Kerl aus der Suite spazieren und ihm vermutlich nie wieder begegnen.
»Wir waren uns zumindest schnell einig.« Er bemühte sich um ein Lächeln, verschränkte die Arme vor der Brust und wich Toms Blick schließlich aus. Anstatt einfach den Mund zu halten und gute Miene zum bösen Spiel zu machen, gab er dem Bedürfnis nach, sich rechtfertigen zu müssen. »Natürlich bedeutet es mehr Aufwand, aber es sollte schon mir … uns … überlassen werden, welche Art Kontakt wir mit den Medienvertretern anstreben. Ich denke, dass das … der richtige Weg ist«, formulierte er seine Gedanken mit Vorsicht, um keine neue Angriffsfläche zu bieten. Er versuchte, Ruhe zu bewahren und einen aufmüpfigen Tonfall zu vermeiden. Jake musste sich zusammenreißen. Er hatte aus seinen Erfahrungen gelernt. Je mehr ein Journalist Widerwillen spürte, umso mehr verbiss er sich.
»Entstehen denn dadurch nicht noch mehr Konkurrenz und Missgunst? In diesem Business ist sich eh jeder selbst der Nächste. Zumindest die, die etwas erreichen wollen. Ich habe es erlebt. Diejenigen, die oben auf der Liste stehen, werden beim Verlassen des Aufenthaltsraums beinahe zerfleischt, weil sie einen unbestreitbaren Vorteil haben. Bereits eine halbe Stunde kann ausreichen, das Interview, oder zumindest Teile davon, zu veröffentlichen, während die Kollegen noch warten müssen.« Zusätzlich zum herausfordernden Tonfall hatte er eine Braue angehoben. »Wenn diese Vorgehensweise sich durchsetzt, wird dann nicht das Erkaufen der obersten Listenplätze gefördert? Irgendwann kommt es nur noch auf Kontakte und Vitamin B an. Ich denke, auf solche Auswüchse braucht man nicht allzu lange warten.«
Was sollte das? Heuchler! Tom nahm kein Blatt vor den Mund, dabei war er doch selbst Nutznießer und tat genau das, was er anprangerte. Widerwillen durchzuckte Jake nach dieser offenen Kritik und baute sich weiter auf. Dabei hatte Tom doch überhaupt keine Ahnung! Jake musste all seine Willenskraft aufbieten, jetzt nicht unüberlegt zu reagieren. Was war Toms Problem? Natürlich! Auch er war nur auf seinen Vorteil bedacht. Was für ein eingebildeter Fatzke! Jake hatte sich offensichtlich durch die hübsche Fassade täuschen lassen.
Wut bildete einen Klumpen in seiner Magengegend. In letzter Zeit war er durch den Stress ziemlich dünnhäutig geworden. So gern er es wollte, er konnte unmöglich alles stehen und liegen lassen, das Interview abbrechen und aus der Suite fliehen – Janine würde ihm gnadenlos die Hölle heiß machen. Und nicht nur Janine. Für die Presse wäre so ein Ausrutscher ein gefundenes Fressen.
Er musste nach einer anderen Möglichkeit suchen, sich eine Atempause und Zeit zu verschaffen, um den nächsten Zug planen beziehungsweise sich die nächste Antwort überlegen zu können. Gereizt biss Jake die Zähne aufeinander und wandte sich dem Fenster zu. Er wollte auf keinen Fall, dass Tom ihm die Emotionen ansehen konnte. Was sollte er sagen, was tun? Dieses Interview lief aus dem Ruder, ehe es überhaupt richtig begonnen hatte. Seine Kiefer begannen zu schmerzen und er beneidete Kisha, die in dem Moment einfach verschwand und Jake mit diesem Arsch allein ließ.
Die Zeit verstrich, der Druck, etwas auf Finleys Ausführungen zu erwidern, stieg. Schweigen würde ihn nicht retten. Es gab kein Räuspern und keinen respektvollen Übergang zum nächsten Thema. Dieser Journalist erwartete eindeutig eine Reaktion und wollte es offenbar partout aussitzen.
Ihm wurde heiß. Nach einem letzten Blick aus dem Fenster gab Jake sich einen Ruck, wappnete sich innerlich für die Konfrontation und drehte sich um. Es überraschte Jake, dass diese Situation ihn derart aufwühlte. Trotz regte sich in ihm. Wenn Tom Finley es unbedingt so haben wollte, dann sollte er seine Antwort bekommen!
Um das Zittern zu verbergen, trat er an den Sessel heran und stützte sich auf der Rückenlehne ab. Seine Fingerspitzen wurden weiß, so sehr krallte er sich in die Lehne. Das Blut rauschte unangenehm in seinen Ohren, während er den Blick aus den eisblauen Augen spöttisch erwiderte. Wenn schon nicht räumlich, so wollte Jake wenigstens Abstand schaffen, indem er eine distanziertere Formulierung wählte und zum ›Sie‹ wechselte.
»Ich bedaure, dass dies hier nicht Ihren Erwartungen entspricht. Eigentlich war ich der Meinung, dass meine aktuelle Kampagne im Mittelpunkt des Interviews stehen würde. Überraschenderweise liegt jetzt jedoch Ihr Hauptinteresse auf dem Wohlergehen der Journalisten.« Mit der Betonung des letzten Wortes hoffte Jake, seiner Geringschätzung noch mehr Ausdruck zu verleihen. Er schmeckte die Bitterkeit förmlich auf seiner Zunge. Zu oft schon hatte er indiskrete Fragen weglächeln müssen, das Verhalten oder unverschämte Berichterstattung ertragen müssen. Warum sollte er auf deren Befindlichkeiten auch noch Rücksicht nehmen? Sie wollten doch etwas von ihm!
Jake presste seine Lippen aufeinander. Sein Herz raste und seine Nasenflügel blähten sich, als hätte er eben erst eine Trainingseinheit mit Will beendet. Auch wenn es ihm schwerfiel sich zu beherrschen, schaffte er es, den Sessel zu umrunden und Platz zu nehmen. Es schien ein Vakuum zwischen ihnen zu entstehen, das das Atmen erschwerte.
Seine unverblümten Worte zeigten Wirkung. Auf Toms Gesicht erschien ein verblüffter Ausdruck. Beschwörend hob er eine Hand. »Ich wollte nicht … es schafft Atmosphäre, die Leser über solche Einzelheiten an das Interview heranzuführen«, versuchte er sich an einer Erklärung für seine Beharrlichkeit. »Sie wollen dabei sein, den Journalisten quasi auf dem Weg zu ihrem Star begleiten.«
Er schien das Interview retten zu wollen, nachdem er offensichtlich erkannte hatte, dass er den Einstieg ungeschickt gewählt und den Bogen überspannt hatte. Schuldbewusst rutschte er auf seinem Sessel hin und her. Trotzdem konnte Jake nicht über seinen Schatten springen. Auch auf die Gefahr hin, arrogant oder überheblich zu wirken, nahm er eine betont lässige Haltung ein. Es gab ihm in dieser Situation zumindest das Gefühl von Überlegenheit. So leicht wollte er ihn nicht davonkommen lassen. Dachte er wirklich, er brauchte nur einen harmlosen Dackelblick aufsetzen und alles war in Ordnung? Der Klumpen in seinem Hals schmerzte. Er wusste nicht, was ihn mehr ärgerte – die provokanten Fragen des Journalisten oder die Tatsache, dass er enttäuscht war, weil er ihn falsch eingeschätzt und anfangs sogar Sympathie empfunden hatte.
»Keine Angst. Nichts liegt mir ferner, als euch mit dieser Art von Interviews zu quälen oder euch dem Gerangel um die besten Listenplätze auszusetzten.« Obwohl es unter der Oberfläche brodelte, fixierte er Tom kühl und presste die Worte durch seine Zähne. »Es ist nur so … ich hasse es, in einem Raum voller Journalisten zu sein, die wie Aasgeier ständig auf jede noch so kleine Verfehlung warten, mich mit indiskreten Fragen löchern und anstarren, als wäre ich prämiertes Vieh auf einer Auktion!« Sein Ärger verpuffte mit einem Schlag und machte Panik Platz. Das, was er gerade getan hatte, war vergleichbar mit einem Ritter, der im Zweikampf sein Schild senkte und wider besseres Wissen das Visier hochklappte – sich völlig ohne Schutz präsentierte. Hätte Janine diese Antwort gehört, wäre sie höchstwahrscheinlich kollabiert – und er selbst war in diesem Moment vermutlich auch nicht weit davon entfernt. Was zum Teufel war nur in ihn gefahren? Himmel! Hatte er das wirklich laut gesagt? Offensichtlich, denn Tom starrte ihn entgeistert an und er vermutete, dass seine eigene Miene keinen Deut besser aussah.
Jakes Gedanken überschlugen sich, wirbelten wild durcheinander. Wie hatte das Gespräch derart entgleisen können? Er wusste nicht, wie oder ob er überhaupt noch etwas retten konnte. Einen Versuch musste er auf jeden Fall starten. Sehr viel schlimmer konnte der Artikel, der erscheinen würde, nun auch nicht mehr werden.
»Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe.« Das Pochen in seinem Schädel hatte schmerzhafte Ausmaße angenommen und ließ sich auch durch den Druck seiner Finger nicht lindern. »War wohl alles ein bisschen viel in letzter Zeit.« Genügte das als Entschuldigung für sein Verhalten? Jämmerlich! Journalisten erwarteten Professionalität und Perfektion.
Er hatte sich selbst ans Messer geliefert und Toms Redaktion genügend Material für einen großen Bericht beschert, in dem Platz für allerlei Spekulationen war, die breitgetreten werden konnten. Nervenzusammenbruch, Burnout, Liebeskummer, Starallüren – dies alles und noch viel mehr konnte in den nächsten Tagen in Form von Schlagzeilen auf ihn niederprasseln!
Den noch verbliebenen Teil der Fassade, eine erbärmliche Ruine, musste er um jeden Preis aufrechterhalten, was allerdings gar nicht so einfach war. Als hätte man bei einer vollen Badewanne den Stöpsel gezogen, floss alle Energie ungehindert aus ihm heraus. Der Wunsch, die Augen zu schließen, alles zu vergessen und zu schlafen, wurde übermächtig. Sein Magen krampfte sich zusammen. Wenn Janine mitbekäme, was er da ablieferte, würde sie ihn ganz sicher ungespitzt in den Boden rammen.
Das flaue Gefühl im Magen verstärkte sich. Jake wusste, dass er Tom auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.
»Vielleicht … könntest du das einfach streichen?« Jake schluckte angestrengt. Ein armseliger Versuch, an die Gnade eines Fremden zu appellieren, der Geld mit den Schwächen bekannter Persönlichkeiten verdiente. In den letzten Minuten war er immer tiefer gesunken und inzwischen sogar schon auf der Stufe eines Bittstellers angekommen.
Prompt kam Toms Antwort. »Nein, kann ich nicht.« Jake wurde speiübel, doch dann bemerkte er das Augenzwinkern. »Ich hab’s nämlich noch gar nicht aufgeschrieben.« Zum Beweis zeigte ihm sein Gegenüber die leere Seite und lächelte. Sofort löste sich die Anspannung. Dann wurde Tom ernst und dämpfte seine Stimme, als wollte er Jake ein Geheimnis verraten. Dabei war es genau anders herum. Er versprach, eins zu bewahren – und Jake glaubte ihm. »Keine Sorge. Ich überspringe das.«
»Puh, heute ist wirklich nicht mein Tag.« Das musste als Erklärung genügen.
Tom betonte jedes seiner Worte. »Meiner auch nicht.« Er legte den Block beiseite, stand auf und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Jakes Verwunderung mischte sich mit Unsicherheit. Was war das nun schon wieder? Litt Tom unter Hitzewallungen oder hatte Jake mit Tom einen durchgeknallten Fan am Hals, der sich Zugang zur Suite verschaffen konnte? Hatte er sich nur als Journalist getarnt, um hier mit einem Stripteaseauftritt auf sich aufmerksam zu machen und eine Rolle zu ergattern? Nicht, dass er nicht gern mehr über Tom erfahren und auch gern einen Blick auf seinen Körper geworfen hätte, aber so?
Jake sah unauffällig zur Tür und spielte verschiedene Szenarien durch. Sein Sicherheitsteam war in der Nähe, aber würde es ihm gelingen, sie zu alarmieren und sich gleichzeitig einen kräftigen Mann vom Hals zu halten?
Er spannte unwillkürlich seine Muskeln an und drückte sich in den Sessel.
Tom nestelte am letzten Knopf herum. Bereits im nächsten Moment öffnete er sein Hemd. Mit einem schiefen Grinsen sah er Jake an. Ganz offensichtlich hatte Tom heute auch schon die eine oder andere Klippe umschiffen müssen. Auf seiner Brust prangte ein dunkler Fleck. Kaffee, mutmaßte Jake und schmunzelte.
Tom knöpfte sein Hemd wieder zu und machte sich bereit, das Interview fortzusetzen. Jake beobachtete ihn, fühlte ein wenig Neid aufblitzen. Neid auf sein vielleicht langweiliges Leben, das zeitweise einfach vor sich hin plätscherte. Vermutlich kannte er das Gefühl nicht in dem Maße wie Jake, wenn die Erwartungen überhandnahmen und er, im übertragenen Sinne, in alle Himmelsrichtungen gezerrt wurde. Jake sehnte sich im Moment nach dieser Unaufgeregtheit. Tom wirkte einfach – normal.
Die Situation hatte sich zwar eindeutig entspannt, aber das, was Jake aufgebracht von sich gegeben hatte, fühlte sich wie ein Fremdkörper an, den er unmöglich ignorieren konnte. Obwohl Jake wusste, dass es klüger war, den Mund zu halten, wollte er das Gesagte nicht einfach so im Raum stehen lassen. Nervös rieb er seine Finger aneinander. Unglaublich! Was brachte ihn bloß dazu, diesem Mann innerhalb kürzester Zeit Einblicke in sein Innerstes zu gewähren und die Regeln, die Janine ihm eingebläut hatte, so zu missachten? Jake holte tief Luft. Nach einem letzten Zögern ließ er die Maske fallen und hoffte, dass er sich damit nicht vollständig ins Aus manövrierte.
Kleinlaut versuchte er sich an einer Erklärung für sein Verhalten und hoffte auf Verständnis. »Also, das, was ich über Journalisten gesagt habe …« Jake zögerte, ehe er fortfuhr. »Es ist nur so, dass mir ein direktes Gespräch viel leichter fällt als diese unpersönlichen Massenveranstaltungen. Die vielen Gesichter verschwimmen vor meinen Augen und es ist, als ob ich keinen Halt finde. Ergibt das einen Sinn?« Für einen Moment fürchtete er, Tom könnte nach diesem Geständnis lauthals loslachen, doch es geschah nichts dergleichen. Die Befangenheit, die sich wie ein Stachel in ihn bohrte, legte sich, als Tom den Kopf schüttelte und das Geschehene großzügig mit einer lässigen Handbewegung abtat.
»Schwamm drüber. Ich nehme es nicht persönlich. Im Grunde gehöre ich ja gar nicht zu denen. Ich schreibe normalerweise Rezensionen. Bücher sind mir viel lieber – die haben seltener einen Nervenzusammenbruch.« Sein Lächeln brachte Jakes Herz zum Hüpfen. Dann wurde er ernst und senkte den Blick. »Um mich geht es aber gar nicht. Wenn ich noch irgendetwas Brauchbares für den Artikel zusammenbekommen will, dann sollte ich mich jetzt endlich auf meine Fragen stürzen.«
Jake wusste, dass jeder Journalist, der einen Interviewtermin mit ihm ergattern konnte, unter Druck stand, möglichst viele Fragen zu stellen und darauf dann auch Antworten zu bekommen. An Toms Dilemma, wertvolle Minuten vergeudet zu haben, trug Jake eine Mitschuld. Daher machte er ein Zugeständnis, von dem er nicht wusste, ob er es letztlich halten konnte.
»Ich denke, es lässt sich einrichten, dass deine Zeit erst ab jetzt läuft«, warf er ein, um Tom ein wenig den Druck zu nehmen. Ehrlicherweise musste er sich eingestehen, dass es durchaus etwas für sich hatte, dadurch großzügig und gönnerhaft zu wirken. »Mach dir wegen Janine keine Sorgen. Sie wird es überleben.« Ganz sicher war Jake sich dessen zwar nicht, aber er verfolgte den Gedanken nicht weiter, sondern war guter Dinge, dass er ihren drohenden Tobsuchtsanfall schon überstehen würde. Immerhin war es ihm sogar gelungen, Kisha zu bändigen. Die Gelegenheit, das Treffen mit Tom zu verlängern, war greifbar und verführerisch.
Tom wirkte erleichtert und stürzte sich hochkonzentriert auf die Aufgabe, die er zu erledigen hatte. Auch Jake hatte sich wieder im Griff und wartete auf die nächste Frage.
»Okay, dann also zurück zu deiner Kampagne.« Ein Kribbeln huschte über Jakes Nacken. Endlich – die erste vertraute Anrede! Ob Tom es bewusst gesagt hatte oder es ihm herausgerutscht war, weil er sich in seinen Fragenkatalog vertieft hatte, konnte Jake leider nicht beurteilen. Wichtig war erstmal nur – er hatte es sich nicht eingebildet und gestattete sich einen imaginären Luftsprung. »Sie läuft ja bereits eine ganze Weile und war in den Medien sehr präsent. Welches Resümee ziehst du?« Erwartungsvoll hing sein Blick an ihm und Jake musste sich ermahnen, nicht in diesem Blau zu versinken, sondern konzentriert zu antworten.
»Ja, richtig. Heute stehen tatsächlich schon die vorerst letzten Termine an. Danach müssen wir uns leider von einem Großteil des MacKay-Teams verabschieden. Alle sind in den vergangenen Wochen wie eine Familie zusammengewachsen und es fällt schwer, das wieder aufzulösen. Wir hatten eine sehr arbeitsintensive, aber auch großartige Zeit.« Fasziniert beobachtete er Tom. Zugegeben, schon seine eigene Handschrift war gewöhnungsbedürftig, aber was Jake hier zu sehen bekam, übertraf das Ganze noch um ein Vielfaches. Tom kritzelte etwas auf den Block, das Jake wahrscheinlich nicht einmal dann würde entziffern können, wenn er die Linien und Haken nicht auf dem Kopf stehend betrachten müsste. Während Toms Stift über das Papier flog, brachte er ein anderes Thema zur Sprache.
»Warum ausgerechnet eine Zusammenarbeit mit MacKay, einer Kiltmanufaktur?«
Mit schlafwandlerischer Sicherheit betete Jake die Antwort herunter – aber auch nach gefühlt unendlich vielen Wiederholungen verspürte er immer noch ein Feuer der Begeisterung in sich brennen. Er stand hinter dem, was er tat und was er mit dieser Kampagne über Wochen auf den Weg gebracht hatte. Ein langer Weg von der Idee bis zur Umsetzung, auch wenn sein Name die eine oder andere Tür geöffnet hatte. Jake hatte mehrere Termine vor Ort wahrgenommen und sich alle Schritte – von der Rohmaterialbeschaffung, über die Produktion in der erweiterten Näherei, bis hin zum Verkauf – genau erklären und zeigen lassen. Für den Standort der Kiltmanufaktur waren neue, strapazierfähigere Nähmaschinen gekauft und zusätzlich zu den Schneiderinnen eine spezialisierte Vorarbeiterin eingestellt worden, deren Aufgabe es war, alle auftretenden Fragen und Probleme zu klären. Mit solch einem Team im Rücken konnte Jake sich getrost um neue Aufgaben kümmern, die anstanden. Er hatte sich dennoch fest vorgenommen, in regelmäßigen Abständen vorbeizuschauen. Nicht um den Ablauf misstrauisch zu kontrollieren, sondern um die Zufriedenheit und die Energie zu spüren, die ihn durchströmte, wenn er sah, wie aus seiner Idee am Ende tatsächlich unverwechselbare Unikate wurden.
»Nun, diese Entscheidung fiel uns sehr leicht und fand auch bei den Firmeninhabern sofort großen Anklang. Es handelt sich um ein altes Familienunternehmen in den Highlands. Wichtig war uns auf jeden Fall, dass ausschließlich im Inland produziert wird. Die MacKays würden natürlich auch ohne dieses neue Projekt bestens zurechtkommen. Es wurde lediglich frischer Wind in das Unternehmen gebracht, indem man nicht mehr nur Kilts schneidert, sondern zusätzlich eine Sonderkollektion Jeans auf den Markt bringt. Das Unternehmen ist nicht sehr groß. Es gilt also Klasse statt Masse durch hochwertige Verarbeitung. Auch wenn die Warteliste für Warenbestellungen länger und länger wird, was ja wiederum zeigt, dass die Linie gut angenommen wird.«
Tom nickte. »Davon bin ich überzeugt. Bei einem so prominenten Paten und Werbeträger darf man davon auszugehen. Eigentlich kann da nichts mehr schiefgehen.« Jake hoffte inständig, dass Tom recht behielt, hüllte sich jedoch in Schweigen. Ihm zuzustimmen hätte eingebildet gewirkt – es abzustreiten würde von falscher Bescheidenheit zeugen. Jake wusste genau, welchen Marktwert er besaß. Tom bestimmt auch. Trotzdem gab es keine Garantie für ein Gelingen. Diese Unbekannte bereitete ihm manchmal schlaflose Nächte, von denen er jedoch niemandem erzählte.
Toms Blick streifte Jake. »Bei der Nachfrage ist es ein unglaublicher Vorteil, dass du direkt an der Quelle sitzt.« Für den Bruchteil einer Sekunde zog Jake in Erwägung, Tom einfach eine Jeans zu schenken, doch der Moment war vorüber, als der keine Zeit vergeudete und bereits den nächsten Punkt anklingen ließ, der ihn interessierte. Seine Augen wurden schmal, als wollte er das letzte Fünkchen Wahrheit aus Jake herauskitzeln. »Warum überhaupt Jeans? Ist das für ein Unternehmen, das seit Generationen auf Kilts spezialisiert ist, denn nicht … artfremd? Wären da nicht eher Entwürfe für Plaids oder Broschen naheliegender gewesen?«
Sofort spannte Jake gedanklich den Bogen zur Werbung. Er konnte nicht verhindern, dass in seiner Vorstellung cartoongleiche Bilder dieser möglichen Kampagne entstanden. Er zunächst in Kilt und Plaid, umringt von Journalisten, die allesamt nur die eine Frage interessierte – ob er etwas darunter trug. Dann auf der Flucht vor dem sensationslüsternen Mob, dem es beim Rennen trotz der wehenden Stoffe nicht gelang, unter den Rock zu spicken und hinter Jakes Geheimnis zu kommen.
»Ja, eigentlich schon. Ich könnte ja einige davon signieren, um die Nachfrage und den Marktwert zu steigern.« Wieder schlich sich der Comic in seine Vorstellung, ehe Jake ihn endgültig verdrängte. »Nein, im Ernst. Mit Plaids oder Broschen erreichen wir nur einen begrenzten Kundenkreis. Wir haben aber etwas gesucht, womit wir möglichst viele Menschen ansprechen können.« Jake fühlte, wie der Enthusiasmus seinen Herzschlag beschleunigte. Er wurde unruhig, widerstand aber dem Impuls, aufzustehen und im Zimmer auf und ab zu gehen. Stattdessen lehnte er sich nach vorn, stützte sich mit den Ellenbogen auf seinen Schenkeln ab und unterstützte seine Worte mit Gesten.
So fühlte er sich immer, wenn es um den Kern der Kampagne ging. Das, was ihm wichtig war, seine Botschaft, hatte er leicht verständlich verpackt und nun sollte sie gebührende Aufmerksamkeit erhalten – und hoffentlich etwas bewirken. Er konnte sich nicht oft genug dafür einsetzen, jede Form der Liebe zu tolerieren.
Tom wirkte ehrlich interessiert. Er hörte zu und hob hin und wieder den Blick, während er mit dem Stift unaufhörlich Hieroglyphen auf das Blatt kritzelte. »Die Botschaft dahinter soll alle erreichen, denn immerhin betrifft sie jeden in irgendeiner Form. Egal, ob Jung oder Alt. Egal, ob Mann oder Frau. Egal welche Berufsgruppe oder Religionszugehörigkeit.«
Tom hörte auf zu schreiben und hinterfragte den Begriff, den er aus Jakes Ausführungen für sich herausgefiltert hatte.
»Du hast von einer Botschaft gesprochen.« Tom bedachte Jake mit einem intensiven Blick. »Kannst du mehr darüber verraten – das Geheimnis lüften?«
Genau das und nicht weniger hatte Jake von ihm erwartet! »Schön! Du hast aufmerksam zugehört.« Während Jake aufstand, winkte er Tom zu sich und ging voran. Deutlich spürte er die Anspannung und das Pochen in seiner Brust. War es Vorfreude oder war ihm bange? Eins zumindest war sicher – der Moment der Wahrheit rückte näher.