Читать книгу Lost Vampire - Beth St. John - Страница 6
Kapitel 4
Оглавление24. März. Torch Creek. Später Abend.
George bekam wenig von der Autofahrt mit, nachdem sie das Museum verlassen und zu Evers Pickup gegangen waren. Sie wollte ihm unbedingt einen besonderen Ort in der Nähe zeigen, doch knapp danach verschwamm seine Erinnerung. Einige Dinge, die James erwähnte, versetzten ihn weit in die Vergangenheit und wecken unschöne Erinnerungen. Allen voran an Lukas Drake. Er war nie zuvor einem Wächter begegnet und hatte gehofft, nie wieder einen treffen zu müssen. Trotz seines Schweigens redete Ever jedoch lebendig über die Highschool, ihre Freundinnen und ihren Tag, während sie fuhr. Erst nachdem sie geparkt hatte und beide ausgestiegen waren, schien ihr seine gedankliche Abwesenheit richtig aufzufallen.
„Sehr genervt von mir?“, fragte Ever vorsichtig einige Meter neben ihm. Sie war auf einen kleinen Felsvorsprung geklettert und balancierte mit ausgestreckten Armen. So befand sie sich mit George auf Augenhöhe. Er fühlte die kalte, sandige Luft auf seinem Gesicht und sah weit und breit nur zerklüftete Felslandschaft.
„Gar nicht“, antwortete George sanft. Es stimmte tatsächlich. „Ich hatte nur ganz vergessen, dass es unmöglich ist, mit einem Wächter zu reden, ohne sich am Ende wie ein ahnungsloses Kind vorzukommen.“
Ever lächelte und blickte ihm kurz in seine dunklen Augen. „Dann geht es zum Glück nicht nur mir so. Ich schätze, es macht keinen Unterschied, ob es einen acht oder achthundert Jahre zurückwirft.“
„Ich bin nicht ganz so alt.“
„Sondern?“
„Alt“, erwiderte er und beließ es nach einem Moment des Schweigens dabei. Langsam trafen seine Gedanken wieder in der Gegenwart ein. Der Vampir beobachtete Ever beim Balancieren. Sie schien in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes zu sein. Denn abgesehen von ihrer übernatürlichen Fähigkeit sprühte sie nur so vor Lebendigkeit und einer Art unerschütterlicher Hoffnung. Zwei Begriffe, die für George bislang nur leere Hülsen waren. Zudem war Ever in Georges Augen außergewöhnlich hübsch. Wie schon bei ihrem ersten Treffen trug sie eine dunkelblaue Jeans, die ihre schöne Figur unübersehbar betonte. An diesem Abend hatte sie jedoch keinen dicken Kapuzenpullover an, sondern eine zarte hellblaue taillierte Bluse, die einen verführerischen Kontrast zu ihren dunkelbraunen Locken bildete.
Es fiel ihm schwer, seinen Blick von Ever abzuwenden. Als sie sich zu ihm drehte, blickte George verstohlen hinaus in die Steppe, die von einer geradezu farbenfrohen Landschaft aus Gestein durchsetzt war. „Ich schätze 'Petrified Forest' ist eine dieser unglücklichen Benennungen.“
Auf den ersten Blick erschien die südliche Grenze des Petrified Forest wie die mit feinem Sand überschüttete Glut eines Feuers. Das Land lag da wie ein Stück gefrorene und zersprungene Geschichte. Weit und breit gab es nichts als rotes und bläuliches Geröll, kleine Felsklippen und versteinerte Bäume. Von der Umgebung ging eine matte, wärmende Energie aus, die George erst jetzt bemerkte. Es war nichts im Vergleich zur verborgenen Naturgewalt des Sunset Crater, doch in diesem ruhigen Augenblick fühlte er die Erde atmen.
„James sagt, es sei die seit Jahrtausenden unberührte Natur, die ihre Kraft behalten konnte und sie jetzt ausstrahlt.“
Es dauerte nur einen weiteren Sekundenbruchteil, bis seine Sinne beinahe denselben tiefen Puls an Ever wahrnahmen. Vom Herzen zu den Schlagadern und weit darüber hinaus. Gleichklang. Ihr Blut rauschte verführerisch in seinen Ohren. Er atmete auf eine überflüssig menschliche Art tief ein und wieder aus. Dann war sie wieder bloß das Mädchen, welches vor ihm auf Felsen herumkletterte.
„Ich fahre oft hier raus, wenn ich mich auf meine Kräfte konzentrieren will“, erklärte sie.
„Macht sich niemand Sorgen, wenn du allein unterwegs bist?“ George brachte sich mit einer schnellen Bewegung an die Spitze des kleinen Vorsprungs und wartete auf die balancierende Gestaltwandlerin.
„Issy findet es alles andere als gut, aber sie versteht, dass ich mehr über mich und meine Fähigkeiten lernen muss, und James hat mich erst auf diese Orte natürlicher Kraft gebracht“, erwiderte sie und sah dann verwirrt zu ihm. „Hey, das ist nicht fair!“
„Und deine Eltern?“ Er ging in die Hocke und setzte sich dann auf den bloßen Stein.
„Du bist vermutlich der einzige Kerl im Bundesstaat, der mit einer Frau allein ist und das fragt“, lachte sie und kam etwas außer Atem bei ihm an.
„Ich bin auch nicht ganz die klassische Definition von Kerl“, gab George zurück und sah an ihr hinauf. Ihre Jeans war staubig von den Felswänden, doch ihre Augen funkelten so klar wie die Sterne am Himmel.
„Mein Dad sieht seine Regeln erfüllt, solange ich pünktlich zu Hause bin. Mum ruft gelegentlich mal aus L.A. an und fragt, ob ich jemand Nettes kennengelernt hab.“
Ever drehte ihm den Rücken zu und blickte über die Steppe zu zwei entfernten Bergen.
„Heißt das, sie wissen es nicht…“, bekam er zusammen, bevor sie ihn unterbrach.
„Sie sind nicht meine leiblichen Eltern.“
„Verzeih, ich wollte nicht...“
„Kein Problem, das konntest du nicht wissen. Ich wurde als Säugling in der Nähe des Craters abgelegt. Hätte mich der Sheriff nicht zufällig gefunden… jedenfalls brachte er mich zum Bürgermeister und seiner Frau – Mum und Dad – die mich dann adoptierten. Glück für mich, würde ich sagen.“
Ever ließ sich etwas unsanft neben George nieder und lehnte sich mit dem Rücken an Georges Knie. Selbst durch diese leichte Berührung spürte er ihre Wärme.
„Und der Wächter?“, wollte der Vampir dann wissen.
„James ist praktisch in dem Moment aufgetaucht, als ich mich zum zweiten Mal in die Gestalt unserer Katze verwandelt hatte und hat seitdem ein Auge auf mich. Oder was immer Wächter genau tun. Er hilft mir dabei, die Kontrolle über mich zu behalten und nicht so viele Ausrutscher zu haben.“
George kommentierte Evers Erklärung nicht. Der Vampir sah James keineswegs in so positivem Licht und misstraute ihm. Denn alle Wächter waren übernatürliche Wesen, die zwar sehr unauffällig unter den Menschen lebten, jedoch auf unerklärliche Weise für das Gleichgewicht von Gut und Böse sorgten. Dies bedeutete dementsprechend, dass ihr Handeln und ihre Absichten nicht immer zugunsten des Guten ausfielen. Es ging schlicht um das Gleichgewicht der Kräfte – nicht mehr und auch nicht weniger.
„Ich hoffe, du verstehst das. James ist so etwas wie ein Vater für mich“, setzte sie hinterher, nachdem er für einen Moment nichts antwortete.
„Hast du nicht einen Vater, der so etwas wie ein Vater für dich ist?”, fragte George skeptisch.
„Michael ist mein Dad in der normalen Welt, James in der übernatürlichen“, meinte sie beiläufig. „Aber lass' uns nicht die ganze Zeit über diesen langweiligen Alltagskram reden. Ich wollte dir eigentlich was Spannendes zeigen und ein bisschen Spaß haben.“
Noch bevor George wirklich auf die merkwürdige Ankündigung reagierte, kauerte Ever sich auf dem Boden neben ihm zusammen. Er hörte ihren beschleunigten Herzschlag und das feine Zerren von Sehnen und Muskeln. Ihre Verwandlung dauerte nicht lange an, sondern war ein fließender Ablauf einfacher Bewegungen. Nach wenigen Sekunden stupste ihn eine kalte Schnauze auffordernd ans Schienbein. Zuerst hielt er das Tier für einen kleinen Fuchs, doch ihr Aussehen changierte. Ever bellte ihn einmal an, dann rannte sie los.
Ohne einen weiteren Gedanken darüber zu verlieren, folgte er ihr. Der Kojote war schnell und bewegte sich mit spielerischer Leichtigkeit durch die zerklüftete Landschaft. Ever kletterte über versteinerte Baumstümpfe, hastete durch enge Schluchten und verschwand in kleinen Höhlen und Felsvorsprüngen, nur um weit voraus wieder aufzutauchen. Das Tier bellte und heulte und George war sich ziemlich sicher, dass Ever sich über ihn lustig machte.
Es brauchte nicht viel seiner Kraft, um mit der Tiergestalt Schritt zu halten. Mit seiner Geschwindigkeit machte er fünf Schritte für einen der ihren und selbst das Tempo des schnellen Vierbeiners änderte daran wenig. Schwerer war es, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Im Petrified Forest wimmelte es von Wildtieren, die nun aufgescheucht von Evers Umwegen zum Leben erwachten. Gerade wenn der Vampir sich sicher war, auf der Spur des Kojoten zu sein, entpuppte es sich nur als eine fremde Fährte und Ever tauchte weit von ihm entfernt auf.
George spürte das Leben durch seinen Körper fließen, wie es ihm in den letzten Jahren fremd geworden war. Als Vampir brauchte er höchstens einen Bruchteil seiner Kraft, um bequem sein Dasein zu bestreiten. Die wilde Hetzjagd mit Ever hingegen öffnete lang verschlossene Türen und mit jeder Sekunde schärften sich seine Sinne wie ein Messer am Schleifstein. Er wusste nicht, wie lange sie gerannt waren, als er sich über die Lippen leckte und fast selbst an den entblößten Fangzähnen schnitt.
„Stopp“, rief er halb zu sich, halb nach außen.
Der Vampir kam mitten auf einem flachen Plateau zum Stehen und wäre als Mensch vermutlich ziemlich außer Atem gewesen. Stattdessen stand George regungslos und still und spürte das Monster von innen an die Fassade hämmern. Langsam ließ er sich nieder und schloss die Augen. Er witterte, wie das Mädchen näher kam, und der Geruch ihrer menschlichen Gestalt brannte in seiner Kehle.
„Alles in Ordnung?“ Ihre Stimme klang besorgt, doch sie kam sofort auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Schulter.
„Du hast wirklich Feuer, wo deine Vorsicht sein sollte, Ever“, antwortete der Vampir. „Ich brauche einen Augenblick“, ergänzte er und streifte ihre Hand sachte von seiner Schulter. „Ich habe in der Eile vergessen zu trinken, bevor ich James und dich getroffen habe.“
„Du meinst Blut?“, hakte Ever nach und er bemerkte wie ihr Herzschlag kurz stolperte.
Er antwortete nur mit einem Nicken und verbarg seinen Kopf zwischen den verschränkten Armen. Es musste das erste Mal in diesem Jahrzehnt sein, dass er seine Routinen derart vernachlässigte. Vielleicht ging die Umstellung zu schnell.
„Oh“, brachte Ever heraus. Sie verlagerte ihr Körpergewicht einige Male unsicher und kniete sich dann direkt neben ihm auf den Boden. „Wenn es sehr gefährlich für dich ist, dann kann ich dir …“
„Bei allem, was mir lieb und teuer ist, nein!“, wehrte George energisch ab und starrte sie entgeistert an. Sie erwiderte fragend seinen Blick. Nach außen wirkte die Gestaltwandlerin ruhig, doch ihr Puls verriet etwas mehr.
„Wie kannst du mir so etwas aus Notwendigkeit anbieten? Das ist, als würdest du mit mir ins Bett gehen, weil ich die Grippe habe!“, sagte George streng.
„Hey, du hast ja Humor“, bemerkte Ever und verzog einen Mundwinkel zum Grinsen. „Dann kann es ja nicht ganz so schlimm sein.“
„Es geht gleich wieder.“ Das Hämmern in seinem Inneren verlor sich in ein Pochen zwischen seinen Schläfen. Das Monster zog sich langsam wieder dorthin zurück, wo es immer lauerte. Nach einigen Minuten des Schweigens gestand er leise: „Ich will keine Gefahr für dich sein, Ever.“
„Ich zittere.“
„Das solltest du.“ George meinte es ernst, doch Ever setzte sich unerschrocken ganz dicht neben ihn.
„Du hast wirklich keinen Funken Angst vor mir?“ Es war weniger eine Frage als die Erkenntnis, welche George in dem Moment hatte, als er sie aussprach.
„Nicht annähernd genug.“ Vom einen Moment auf den anderen flachte ihr Ton zu einem Flüstern ab. Sie hatte die Knie angezogen und legte den Kopf auf die darüber verschränkten Arme. „Es ist einfach befreiend, mit jemandem so offen sein zu können, George.“
„Ich könnte dich verletzen“, warnte er und wusste, dass er ihr nichts Neues erzählte.
„Das beruht auf Gegenseitigkeit“, entgegnete Ever frech.
„Es ist nicht dasselbe.“ Er seufzte.
„Ich bin bereit, es darauf ankommen zu lassen.“ Jetzt grinste sie verführerisch und rutschte noch ein Stück näher an ihn heran.
„Wovon versuchst du mich gerade zu überzeugen?“
„Dass ich kein blauäugiges und zerbrechliches Geschöpf bin, sondern eines, das einen verlorenen Vampir wie dich weder als Monster noch als romantisches, verklärtes Wesen sieht“, erklärte sie mit fester Stimme, „und das durchaus weiß, mit wem es seine Zeit verbringen möchte und mit wem nicht.“
Ever drehte sich ihm zu, doch sie ließ ihm den Raum für den nächsten Schritt. George fühlte sich ruhig und mit einem Mal kehrten sich alle Befürchtungen, in die er sich verstrickte, für einen kurzen Augenblick in ein warmes Gefühl. Er lehnte sich hinüber, legte einen Arm um sie und zog sie eng an sich. Er spürte wie ihre schmalen Hände seinen Rücken entlangfuhren und sich schließlich sehr vertraut um ihn schlangen. Sie zitterte ein wenig von der kalten Nachtluft, doch die beiden verharrten für eine Weile in ihrer innigen Umarmung.
Später, als sie auf dem Rückweg nach Torch Creek waren, fragte er, wann sie sich wiedersehen würden. Sie überlegte kurz und antwortete dann sanft: „Triff' mich morgen bei Dämmerung.“