Читать книгу Tödliches Blut - Beth St. John - Страница 5
Prolog
ОглавлениеNicholas war seit Tagen in diesem Kerker an einen Pfahl gefesselt und seine Kräfte hatten den tapferen Tempelritter längst verlassen. Er war kaum in der Lage zu sprechen. Als sich die eisenbeschlagene Tür mit lautem Knarzen öffnete, hob er den Kopf.
Der Inquisitor betrat den Raum.
„Im Angesicht Gottes müsst Ihr die Wahrheit sprechen!“, forderte der schwarz bekleidete Mann mit der Maske ihn auf.
„Was wird mir vorgeworfen und wer seid Ihr?“, keuchte Nicholas, der noch nicht einmal wusste, was ihm zur Last gelegt wurde. Er war im Jahre des Herrn 1189 für die Kirche in den Krieg um Jerusalem gezogen. Nach seiner Rückkehr hatte man ihn, noch bevor er Bericht vor dem Erzbischof von Canterbury, Primas von ganz England, erstatten konnte, in einen Hinterhalt gelockt und nun in diesem Loch festgehalten.
„Ihr leugnet Eure Verbrechen also.“ Der Inquisitor wandte sich zur Tür und machte eine beiläufige, kaum wahrnehmbare Handbewegung, woraufhin ein muskulöser Mann den Raum betrat, der sich geschmeidig wie eine Raubkatze bewegte.
„Wo bin ich?“, wollte Nicholas wissen.
Der Inquisitor lachte herablassend. Im gleichen Moment nahm der andere Mann auf sein Zeichen hin eine Ketzergabel von einer der Wandhalterungen ab. Dieses Werkzeug bestand aus vier scharfen Spitzen, die dazu gedacht waren, sich in das Brustbein zu bohren. Nicholas wusste, dass er danach nicht mehr in der Lage sein würde, auch nur einen Satz zu sprechen, aber das mussten die Opfer der Ketzergabel auch nicht. Es genügte, wenn das in die Ketzergabel eingravierte Wort „abiuro“ – ich schwöre ab – gerade noch über die Lippen kam.
„Lasst uns mit der Befragung beginnen.“
Der Muskulöse legte das Folterwerkzeug an und Nicholas spürte das kalte Eisen, das sich langsam in sein Fleisch bohrte. Nicholas biss die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerzen loszuschreien. Dann ließ der Helfer von ihm ab und der Inquisitor wollte wissen:
„Nun, wollt Ihr jetzt gestehen?“
Nicholas atmete schwer und musste um jedes Wort kämpfen. „Ich bin Kreuzritter. Gott ist mein Zeuge, ich weiß nicht was Ihr von mir wollt.“
„Blasphemie!“, schrie ihn der Inquisitor an. „Ihr wagt es den Namen Gottes zu erwähnen! Der Leibhaftige ist es, dem Eure Gebete gelten.“
Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, die er so fest zusammenpresste, dass er helle Punkte auf der Innenseite seiner Augenlieder tanzen sah.
„Das ist eine Lüge!“, schrie Nicholas den Inquisitor an. Der Schmerz weckte die letzten Kräfte in ihm.
„Bring es zu Ende“, befahl der Inquisitor seinem starken Helfer, „aber lass ihn leiden.“
Dann drehte er sich um und verließ die Folterkammer.
Nicholas verstand nicht, was vor sich ging. Er wusste nur, dass er nach all den Kämpfen für die Kirche nun mit dem Tod belohnt werden würde.
Er wandte sich dem Folterknecht zu, der jetzt seine Kapuze abnahm. Der Mann hatte ein auffällig ebenmäßiges Gesicht, leuchtend wässrig blaue Augen und ein grausames Lächeln umspielte seinen Mund. Nicholas fragte sich, auf welche Art er ihn zu Tode quälen würde.
„Habt keine Angst, Euer Bruder Richard schickt mich“, sagte der vermeintliche Henker und näherte sich Nicholas, in dem gerade ein Funken Hoffnung auf Rettung aufkeimte, bis er plötzlich glänzende Reißzähne erkannte.
„Du bist ein Dämon“, stellte Nicholas erstaunlich sachlich fest.
„Nicht doch. Ich bin der Engel, der dir das ewige Leben schenkt“, sagte er ruhig und biss sich selbst ins Handgelenk. Dann presste er die zerfetzten Adern an Nicholas Mund und befahl: „Trink!“
Außerstande sich zu wehren, füllte schwarzes kaltes Blut seine Mundhöhle. Nicholas schloss die Augen und spürte, wie die Zähne des Dämons sich in seinen Hals bohrten. Langsam ließen alle Schmerzen nach und sanfte Dunkelheit umhüllte ihn.
Als Nicholas erwachte, saß sein Bruder Richard bereits neben ihm an seinem Bett. Er umarmte ihn voller Freude und sagte: „Shamus hat dich gerettet!“
Nicholas spürte eine nie da gewesene Kraft in sich und einen ebenso starken Hunger. „Was ist passiert, Richard?“
Der treue Bruder versuchte sich kurz zu fassen, denn er wusste um Nicholas neue Bedürfnisse: „Eine Gruppierung der Inquisition, sie nennen sich Obsta Nocte – die Kämpfer gegen das Dunkle – haben dich und einige andere Ritter bezichtigt, mit dem Teufel im Bunde zu sein, weil Jerusalem verloren wurde. Ohne offizielle Zustimmung des Vatikans nehmen sie treue Männer gefangen, versuchen ein Geständnis zu erwirken und vollstrecken dann ihr eigenes Urteil.“
„Und wie hast du mich da herausgeholt?“
„Ich habe vor einiger Zeit Shamus kennengelernt, er und einige Mitglieder seines Clans kämpfen gegen Obsta Nocte. Sie schleusen Mittelsmänner ein und versuchen, die Gruppierung von innen heraus zu schädigen“, erklärte Richard seinem Bruder, der sichtlich nervöser wurde.
„Shamus, der Dämon? Was hat er mit mir angestellt?“
„Er ist kein Dämon. Er ist ein Vampir. Er hat dich verwandelt – nur durch deinen Tod konnten wir dich aus den Fängen des Inquisitors befreien.“
Wäre Nicholas nicht schon knochenbleich gewesen, wäre er spätestens jetzt blass geworden. „Was heißt das?“
Richard erklärte ihm, was es bedeutet, ein Vampir zu sein. Es bedeutete Wiedergeburt, ewiges Leben und unermessliche Kraft, aber auch eine Existenz in der Finsternis. „Doch du wirst nicht alleine sein“, sagte Richard zum Schluss.
Nicholas verstand. Richard hatte sich längst der dunklen Seite zugewandt. Doch war diese Seite so viel schlechter als die christliche, die er bislang kennengelernt hatte? Im Kreuzzug, beim Niederschlachten vermeintlich Ungläubiger und beim Meucheln Unschuldiger durch die Hand der Inquisition?
„Komm Bruder, du musst dich stärken“, unterbrach Richard Nicholas Gedanken und führte ihn aus dem Schlafgemach. Im Nebenzimmer wartete eine bildschöne Rothaarige, die bereitwillig ihren nackten Hals darbot. Instinktiv wusste Nicholas, was er brauchte. Er bohrte seine spitzen Eckzähne in die zarte Haut und ihr heißes Blut erfüllte ihn mit einer Wärme, die das schönste Sonnenlicht nicht schenken kann.
***