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London im November, heute

„Das war außerordentlich gute Arbeit, Sophie! Wir sind wirklich sehr stolz, Sie an unserer Universität beschäftigen zu dürfen“, sagte Professor Alfred Moody zu Sophie O´Donall. Es war ein anstrengender Tag gewesen, an dem die junge Wissenschaftlerin zwei Vorträge über ihre neuste Arbeit, das Verhalten des Epstein-Barr-Virus, gehalten hatte. Endlich waren sämtliche Gäste und Kollegen, nachdem alle Fragen gestellt und beantwortet worden waren, gegangen und wieder Ruhe im Labor eingekehrt.

„Die Fachwelt redet von einem Durchbruch in der modernen Wissenschaft, und es wird schon gemunkelt, dass Sie bestimmt einmal den Nobelpreis für diese Arbeit bekommen werden“, ergänzte der Professor euphorisch.

„Ich fühle mich sehr geschmeichelt, Professor, aber ich möchte mich für heute verabschieden. Es war ein anstrengender Tag und die letzten Monate haben mich viel Kraft gekostet. Ich brauche diesen zweiwöchigen Urlaub wirklich dringend“, erwiderte Sophie lächelnd, nahm ihre Tasche und ging aus dem Labor.

Über den einsamen Parkplatz ging Sophie so spät am Abend nicht gerne, deshalb summte sie irgendein Lied vor sich her, um sich von ihren mulmigen Gefühlen abzulenken. Diese Nacht war auch ganz besonders unheimlich. Eine fahle Mondsichel konnte man durch die dichten Nebelschwaden nur erahnen. Die alten Kastanienbäume, die den Parkplatz umringten, streckten bedrohlich ihre kahlen Äste nach den parkenden Autos aus. Der Nebel lag über dem gesamten Parkplatz und die Atmosphäre war furchtbar bedrohlich. Sophie war umso beruhigter als sie nur noch wenige Schritte von ihrem kleinen roten Sportwagen entfernt war, der mit seinen frechen Kurven der Düsterheit zu trotzen schien. Sie lief gerade an einem schwarzen Van mit verdunkelten Scheiben vorbei, als sie begann in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel zu kramen. Sie hörte, wie sich die Tür des Van aufschob und wie aus dem Nichts standen plötzlich zwei Gestalten direkt vor ihr. Einer von ihnen stülpte ihr einen Sack über den Kopf, der andere ergriff ihre Arme und hielt ihr die Hände hinter dem Rücken fest. Sophie fing sofort an zu schreien, was ihre Lungen hergaben, doch keiner konnte sie hören auf diesem einsamen Parkplatz.

Die Männer stießen sie unsanft ins Auto und fuhren mit ihr in die Nacht. Sophie war schrecklich aufgeregt und hatte Angst, sie konnte nicht begreifen, was soeben mit ihr geschehen war.

„Hilfe! Hilfe!“, schrie sie immer wieder mit greller Stimme.

Mit einem osteuropäischen Akzent sagte einer der beiden Männer ganz ruhig, aber sehr eindringlich zu ihr: „Hör auf zu schreien, dann ist gut, schreist du weiter, ist nicht gut.“

Seine kratzige Stimme wirkte so einschüchternd auf die junge Frau, dass sie sich sicher war, dass es besser wäre, seinen Ratschlag zu beherzigen. Und so hörte sie auf zu schreien und sich zu wehren. Sie zwang sich, still zu halten. Trotzdem war sie so in Panik, dass sie nicht aufhören konnte zu weinen. Alle möglichen Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Was wollten die Kerle von ihr? Und wie könnte sie um Hilfe rufen? Sie hatte ab morgen Urlaub und lebte alleine, keiner würde sie in den nächsten zwei Wochen vermissen.

Plötzlich sagte der andere in sanfterem Tonfall zu ihr: „Brauchst du nicht heulen, wird dir niemand weh tun.“

Tatsächlich beruhigte sich Sophie ein wenig. Es erschien ihr logisch, dass, wenn man sie hätte umbringen wollen, dies bestimmt schon längst erledigt wäre. Sie erlangte ihre Fassung wieder und begann, sich auf ihre Umgebung und die Geräusche zu konzentrieren.

Eine gefühlte Stunde später hielt das Fahrzeug plötzlich an und der Fahrer öffnete die Schiebetür des Vans. Die beiden Männer stiegen aus und griffen Sophie dabei rechts und links unter den Armen. Sie liefen mit ihr über einen Weg mit kleinen Kieselsteinchen, die unter ihren Schritten knirschten. Sie versuchte, Gerüche wahrzunehmen, doch das war unter dem stickigen Sack, unter dem ihr Kopf steckte, sehr schwer. Es roch nach modriger Jute mit der leichten Note eines feuchten Kellergewölbes. Nach kurzer Strecke gingen sie mehrere flache Stufen hinauf und man konnte eine schwere Holztür knarzen hören.

Offenbar mussten sie sich in einer Eingangshalle befinden, denn die Fußschritte hallten hier unheimlich laut. Als sie stehen blieben, hörte Sophie eine ihr bislang unbekannte männliche Stimme, die sagte: „Ihr habt sie, das ist ja sehr erfreulich. Er wird zufrieden sein.“

Es war eine sehr alt klingende, schier brüchige Stimme, Sophies lautes Herzklopfen machte es ihr schwer, ruhig und konzentriert zu bleiben. Sie wurde wieder nervös und ihr Atem ging schneller, als die Gestalt mit dem osteuropäischen Akzent ihr zuflüsterte: „Sage ich doch, brauchst du keine Angst haben, keiner tut dir weh, vielleicht der Nick, aber wir nicht“, und es hörte sich an, als ob die andere Gestalt mit der alten Stimme lachte. Dann setzten sie Sophie auf einen großen gepolsterten Stuhl, der mit Samt bezogen war. Das konnte sie fühlen, obwohl ihr die Hände hinter ihrem zierlichen Rücken gefesselt worden waren. Sie spürte auch Verzierungen und Stickereien, es musste sich um einen von diesen barocken Stühlen handeln, wie sie in Schlössern und Palästen vorzufinden sind.

Benommen von Angst malte Sophie sich aus, wie die Queen höchstpersönlich gleich vor ihr stünde und ihr zu ihrer tollen Arbeit gratulieren würde. Plötzlich hörte sie laute Schritte auf sie zukommen. Auf diesem massiven Steinboden hallten diese Schritte noch viel stärker als ihre eigenen wenige Minuten zuvor. Endlich nahm ihr jemand von hinten den Sack vom Kopf. Sophie jedoch kniff fest ihre Augen zusammen und senkte den Kopf, weil sie gar nicht sehen wollte, wer oder was da auf sie zukam. Die Schritte stoppten.

***

Tödliches Blut

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