Читать книгу Kiana - Zukunft beginnt jetzt - Bettina Bäumert - Страница 6
ОглавлениеZukunft, was ist das?
Das ist es, was der Himmel wünscht.
Wer Kraft hat, soll anderen helfen.
Wer Weisheit besitzt, soll andere lehren.
Wer Reichtum erwirbt, ihn mit anderen teilen.
(Alte chinesische Weisheit)
Der Unterricht hatte wieder einmal viel zu lange gedauert. Jetzt rannten Lukas und Rainir so schnell sie nur konnten durch die Gänge des Mureni-Hauses in den alten Teil des Gebäudes. In den Teil, der von Leona und Sebastian, ihren Ur-Großeltern bewohnt wurde.
Bevor das Geschwisterpaar an die Tür zu Großvaters Reich klopften, warteten sie einen Augenblick, bis sich ihr vom Laufen angestrengter Atem etwas beruhigt hatte. Erst nachdem sie die Aufforderung zum Eintreten erhielten, öffneten sie die Tür. Wie von ihnen erwartet, saß Großvater Sebastian hinter einem von Büchern und Schriften überladenen Schreibtisch. Uralte Schätze aus einer Welt, die es schon lange nicht mehr gab. Kostbarkeiten, die Lukas und Rainir völlig unbekannt waren. In der Welt, in der sie lebten, gab es schon lange kein geschriebenes Wort mehr. In ihrer Welt war alles digital.
Sebastian schmunzelte. Oh ja, er musste zugeben, er freute sich immer wieder aufs Neue, kamen die Kinder zu ihm. Er sehnte sich nach ihrer innigen Begrüßung und Umarmung. Und er war stolz auf ihre Wissbegierde und darauf, dass er mit ihnen in alten Zeiten schwelgen konnte.
Rainir und Lukas nahmen, wie stets waren sie hier, auf dem altertümlichen Sofa im gemütlichen Wohnzimmer ihrer Ur-Großeltern Platz.
„Na, wie war es in der Schule?“, erkundigte sich Großvater Sebastian gewohnheitsmäßig, wobei er sich wie üblich den Kindern gegenüber in einen antiken Ohrensessel fallen ließ.
„Och ja ... wie immer ...“, murmelte Rainir mit geröteten Wangen.
„Langweilig“, setzte Lukas hinzu.
„Hhmm“, brummte Großvater Sebastian.
Er wusste, die Kinder hatten gute Noten. Sie lernten schnell und gerne. Allerdings wurde in der Schule nicht das unterrichtet, was Lukas und Rainir ernsthaft interessierte, auf was sie neugierig waren. Die beiden wollten wissen, wie das Leben war, bevor sich alles veränderte. Sie waren neugierig, von der Zeit zu hören, in der er selbst und Leona vor langer, langer Zeit gelebt hatten. Genau wie vor vielen Jahren Kiana, wollten auch sie wissen, wie das Leben vor dem langen Winter war. Und sie wollten von dem Nephilim erfahren, der die Welt in eine neue, eine bessere Bahn gelenkt hatte.
„Großvater? Was ist Zukunft?“, wollte Rainir plötzlich wissen.
Sebastian sah seine Ur-Enkelin versonnen an. Sie hatte das Haar ihrer Mutter geerbt, rot und lockig. Nicht aber ihr Temperament. Das hatte Lukas, der Ältere der beiden von ihr. Lukas war, genau wie seine Mutter, ständig in den Wäldern unterwegs. Er hatte eine schnelle Auffassungsgabe und war ein kleiner Rebell. Sein Aussehen, seine Kraft und Ausdauer hatte er jedoch von seinem Vater. Rainir war bedächtig, wie ihr Vater. Sie überlegte erst, bevor sie sprach. Allerdings hatte sie die Gabe ihrer Mutter geerbt. Und ihre Liebe für asiatische Kampfkünste.
„Zukunft“, wiederholte er bedächtig. „Zukunft, mein Kind, ist die nächste Sekunde. Der nächste Wimpernschlag. Zukunft beginnt jetzt.“
Leona hatte die Frage ihrer Ur-Enkelin noch gehört.
„Zukunft“, sagte sie, wobei sie mit einem Tablett ins Wohnzimmer kam, das sie vorsichtig auf dem Tisch abstellte. „Zukunft ist Veränderung, Rainir. Manchmal sind diese Veränderungen nötig und gut. Und manchmal ...“
Rainir half ihrer Großmutter, die Leckereien auf den Tisch zu stellen. Milch und Kekse. Darauf freuten sich Rainir und Lukas, denn niemand konnte so lecker wie Leona backen. Nachdem Leona sich neben ihre Enkelkinder gesetzt hatte, redete Rainir weiter.
„Als die Engel auf dem Berg waren hat sich vieles verändert, nicht wahr Großmutter Leona?“, wollte sie wissen, bevor sie einen weiteren Keks in den Mund steckte.
Sebastian schüttelte mit dem Kopf.
„Nein. Nein. Nicht erst da“, sagte er bedächtig. „Die große Veränderung fand schon vorher statt. Lange vorher. Nur hatte niemand die Vorzeichen erkannt. Niemand hat sich etwas dabei gedacht, als der lange Winter die Welt in eisigem Griff hatte. Damals dachten wir noch ...“
Leona räusperte sich.
„Sebastian“, unterbrach sie ihren Mann sanft. „Beginne mit den Engeln. Du hattest sie schon bei Rainirs und Lukas letztem Besuch angesprochen. Glaube mir, niemand will einen wissenschaftlichen Vortrag hören.“
Großvater Sebastian schmunzelte.
„Richtig. Die Fünf. Damals standen sie auf dem Berg ...“