Читать книгу Yasirahs Erbe - Die Prophezeiung - Bettina Lorenz - Страница 6
Der Traum
ОглавлениеLangsam wurde der tägliche Gang zur Uni wieder zur Routine.
Eigentlich war alles beim Alten geblieben, nur eine Sache hatte sich verändert:
Immer wieder begegnete Celina Aaron.
Er besuchte exakt die gleichen Kurse und auch sonst schien er immer in ihrer Nähe zu sein. Nach ihrem peinlichen Abgang gleich am ersten Tag hatte er zwar kein weiteres Wort mit ihr gewechselt, aber sie spürte seine Blicke und irgendwie beruhigte es sie. Wahrscheinlich hätte es sie mehr stören müssen, aber absurder Weise fühlte sie sich sicherer, wenn er da war.
Celina und Anne saßen gerade in der noch fast leeren Cafeteria und genossen den ersten Kaffee des Tages, als ihre beste Freundin begann, nervös auf ihrem Hintern herumzurutschen.
Merkwürdigerweise passierte das nur dann, wenn Aaron sich in der Nähe befand.
«Er ist schon wieder da», murmelte Anne und bestätigte damit Celinas Beobachtung.
Ihr Blick war auf die Tischplatte gerichtet und sie sprach ganz leise weiter:
«Er scheint wieder nicht mit dir reden zu wollen. Ich versteh echt nicht, warum er dich die ganze Zeit so komisch anstarrt. Anfangs war das ja vielleicht noch ganz süß, aber mittlerweile finde ich es einfach nur noch schräg. Wenn er so weiter macht, solltest du dir ernsthafte Gedanken machen.»
Celina warf einen kurzen Blick über die Schulter, aber er hatte sich schon drei Tische weiter mit dem Rücken zu ihnen gesetzt.
Flüsternd nahm sie das Gespräch mit Anne wieder auf:
«Wieso? Er macht doch gar nichts!»
«Genau das ist ja auch das Problem. Sein Verhalten ist echt fraglich. Entweder hast du jetzt einen neuen Verehrer oder einen Stalker. Egal ob das Eine oder das Andere, denkst du nicht, dass du langsam mal was unternehmen solltest?»
Celina hatte wirklich keine Ahnung, wo genau Annes Problem lag. Deshalb sah sie diese fragend an und schnaubte, bevor sie ihr antwortete:
«Und was genau soll ich jetzt deiner Meinung nach tun? Die Campuspolice rufen oder was genau hattest du dir vorgestellt?»
Anne hielt sich die Hand vor den Mund und begann laut loszuprusten. Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie weitersprechen konnte:
«Vielleicht würde es ja schon helfen, wenn du dich endlich mal trauen würdest, mit ihm zu reden, bevor wir zu den ganz drastischen Maßnahmen greifen. Was hältst du davon?»
Das kommt ja sowas von überhaupt nicht in Frage, dachte Celina, aber die Antwort fiel dann doch ein bisschen sanfter aus:
«Nicht wirklich viel…»
«Naja, du wirst wohl kaum eine andere Wahl haben. Es sieht nämlich so aus, als ob er dieses Mal wirklich zu uns rüberkommen würde», verkündete sie grinsend.
Bitte nicht!
Celina wurde sofort nervös und ihr Kopf kam ihr ganz plötzlich so unendlich schwer vor. Was sollte sie bloß sagen? Sie spürte, dass er näher kam, doch noch ehe sie ernsthaft in Panik verfallen konnte, machte er einen Bogen und verließ das Gebäude.
So lief das jedes Mal ab.
Er war zwar immer irgendwie da, aber er vermied es, mit ihr zu reden oder ihr auch nur zu nahe zu kommen.
Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm und auch Anne hatte nicht viel über ihn herausgefunden. Das wiederrum war wirklich erstaunlich und machte Aaron in Celinas Augen umso sympathischer.
Sonst wusste ihre sensationsgierige Freundin immer alles über jeden, noch ehe sie überhaupt mit Demjenigen gesprochen hatte.
Das Wenige, was sie in Erfahrung bringen konnte, hatte sie ihr gleich am Tag nach der ersten Begegnung brühwarm serviert:
Aaron hatte vorher in Milwaukee gelebt und war in den Semesterferien auf ihre Uni gewechselt. Jetzt lebte er bei seinem Onkel – Samuel Laurent. Als Celina das hörte, lief es ihr eiskalt den Rücken herunter. Das Anwesen der Laurents -Laurent Manor- war den meisten Leuten aus der Gegend unheimlich. Früher hatte sie sich immer vorgestellt, dass die Bewohner des Hauses der Adams Family nicht ganz unähnlich sein konnten, wenn auch nur die Hälfte der Sachen stimmte, die sich die Einwohner von Fort Kain erzählten.
Es lag abgeschieden im Wald und keiner der klar bei Verstand war, verirrte sich jemals dorthin. Es kursierten sogar Geschichten, dass Menschen sich nur in die Nähe des Hauses verirrt hatten und seitdem spurlos verschwunden sind.
Seit Celina Aaron kannte, war sie sich sicher, dass das alles nur alberne Horrorgeschichten sein konnten. Aber dass die Familie Laurent etwas zu verbergen hatte, bestätigte sich schon allein durch Aarons merkwürdiges Verhalten.
Es musste einen Grund dafür geben, dass er sie bewusst auf Abstand hielt und sie war sich nicht sicher, ob sie diesen Grund wirklich wissen wollte.
Etwas in ihr warnte sie davor, tiefer zu graben und deshalb wollte sie auch nicht mit Aaron sprechen.
Es war ihr dabei auch herzlich egal, was Anne davon hielt. Sie würde sich wohl oder übel damit abfinden müssen.
Mittlerweile war es Freitag.
Gegen siebzehn Uhr hatte Celina es dann auch endlich geschafft nach Hause zu kommen. Anne fühlte sich heute kränklich und war deshalb besonders wehleidig gewesen. Celina war bei ihr geblieben, bis Annes Mutter den Pflegedienst übernommen hatte und sie endlich beruhigt gehen konnte.
Wie gewohnt stand Maries Ford Focus in der Auffahrt und Celina parkte direkt dahinter.
«Hallo. Wie war dein Tag», rief sie, als sie die Haustür aufschloss und ihre Tasche geräuschvoll auf die Garderobenablage fallen ließ.
Maries fröhliche Antwort kam aus dem Atelier:
«Super und deiner?»
Zu antworten lohnte sich nicht wirklich. Marie war sicher schon wieder voll und ganz in ihre kreative Arbeit versunken. Celinas Tante hatte das Glück, mit ihrem künstlerischen Schaffen tatsächlich die Familie ernähren zu können und deshalb malte sie den ganzen Tag und wenn ihre Nichte nicht auf sie achten würde, würde sie wahrscheinlich darüber hinaus auch noch das Essen und Schlafen vergessen.
Celina war drauf und dran, zu ihr zu gehen und sich bei ihr auszukotzen, weil Annes ständige Sticheleien sie langsam an sich selbst zweifeln ließen.
In solchen Augenblicken legte sie viel Wert auf die Meinung ihrer Tante.
Denn eins musste man dieser echt lassen: hatte man irgendein Problem, konnte man immer zu ihr kommen. Sie würde sich dann alle Zeit der Welt nehmen, um zuzuhören, Ratschläge zu erteilen oder einen einfach nur in den Arm zu nehmen.
Etwas davon hätte sie jetzt echt gut gebrauchen können.
Aber weil ihr dermaßen der Magen knurrt, entschied sie sich dagegen und ging lieber in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten.
Mit Hunger ließen sich schließlich selten Probleme lösen.
Im letzten Moment fiel ihr ein, dass sie unbedingt mehr kochen sollte, weil ja das tolle Exkursionswochenende vor der Tür stand. Wie sie aus eigener Erfahrung wusste, war Marie eine miserable Köchin.
Celina würde es zwar nicht beschreien, aber sie war sich fast sicher, dass ihre Tante es sogar schaffen würde, Wasser anbrennen zu lassen und deshalb war auch die Mikrowelle ihr liebstes Küchengerät.
Wenn sie ihr nicht wenigstens eine halbwegs brauchbare Alternative zu ihrem über alles geliebten Fast Food bieten würde, müsste sie danach nur wieder eine Woche mit ihr diskutieren, warum man sich nicht immer so unkonventionell ernähren konnte. Ihr Totschlagargument würde sein, dass es ja an diesem Wochenende auch geklappt hatte und darauf hatte Celina nun wirklich keinen Bock. Es hatte ewig gedauert, bis ihre Nichte sie davon überzeugt hatte, dass sie ab jetzt den Kochdienst übernehmen würde. Damals war sie zwölf Jahre alt gewesen und Marie hatte murrend nachgegeben, weil sie nicht diskutieren wollte. Was wirklich selten vorkam.
Celinas eigene Kochkünste waren zwar auch nicht herausragend, aber immerhin halbwegs passabel und definitiv besser als Maries.
Sie bereitete eine große Lasagne vor, schob sie in den Herd und ging nach oben.
Celina hatte das größte und schönste Zimmer im Haus. Die bodenlangen Fenster gaben einen fantastischen Blick auf den Wald frei, der direkt hinter dem Haus anfing.
Trotzdem war das Zimmer wunderbar hell und um dies noch zu unterstreichen, hatte sie es komplett in Weiß gehalten.
Sie öffnete die Fenster ganz weit, atmete die frische Luft ein und setzte sich an ihren großen Schreibtisch, weil sie sich vorgenommen hatte, ihre Aufgaben unbedingt noch zu erledigen, bevor das Essen fertig war. Eine Stunde sollte doch vollkommen ausreichend sein.
Punkt achtzehn Uhr hatte sie ihr Tagesziel erreicht und das Essen stand auf dem Tisch.
Tatsächlich hatte Marie es sogar geschafft, sich von ihrer Arbeit loszureißen, sodass sie jetzt gemeinsam aßen.
Das kam zwar selten vor, aber es war eine gute Gelegenheit noch einmal die Exkursion anzusprechen. Schließlich wollte sie ja nicht, dass ihre vergessliche Tante morgen aus allen Wolken fiel.
«Ich hoffe, du hast daran gedacht, dass ich dieses Wochenende nicht da bin.»
«Das war dieses Wochenende? Das hab ich ja total vergessen! Bist du dir ganz sicher», rief sie mit gespieltem Entsetzen.
Celina hätte sich jetzt aufregen können, aber sie entschloss sich, das Spiel mitzuspielen und fragte ängstlich:
«Kommst du wirklich klar oder soll ich lieber hierbleiben? Es findet sich bestimmt auch noch ein anderer Termin. Ich muss nicht gehen, wenn du dir das nicht zutraust.»
Das hatte gesessen. Sie erntete einen nicht ganz ernst gemeinten, düsteren Blick und war zufrieden.
«Mein liebes Fräulein, nur um hier mal die Fronten zu klären: ich bin in dieser merkwürdigen Beziehung die Erwachsene und du bist das Kind. Du bist zwar jetzt schon neunzehn, aber selbst in zwanzig Jahren wird sich daran nichts ändern. Ob dir das nun passt oder nicht. Akzeptier das bitte!»
Celina schenkte ihr ein sanftes Lächeln und ermutigte sie ungewollt zu einem Themenwechsel:
«Apropos, Kind. Ist es nicht eigentlich normal für Studenten, Freitagabend alle Verantwortung über Bord zu werfen und sich so richtig gehen zu lassen. Partys, Jungs, jede Menge Alkohol und so weiter? Was machst du heute Abend Schönes?»
Celina war klar gewesen, dass diese Frage kommen würde und doch verdrehte sie die Augen, weil es sie wirklich nervte.
Dementsprechend fiel dann auch die Antwort aus:
«Ich werde mit dir, wie jeden Freitagabend, dieselbe Diskussion führen, dass ich lieber zuhause bleiben möchte. Ich sag dir auch gleich, dass du mich dieses Mal nicht umstimmen kannst. Anne geht es nicht so gut und deshalb kann ich nicht mal zu ihr fahren, damit du deinen Willen kriegst. Also versuch es bitte gar nicht erst. Außerdem muss ich morgen wirklich früh raus, weil wir uns schon um sieben vor der Uni treffen und dann mehrere Stunden durch den Wald tigern, um in einem unbequemen Zelt in Klassenfahrtatmosphäre zu campen. Also verschone mich bitte mit deiner Vorstellung von meiner Abendplanung!»
Ihr Gegenüber grinste sie breit an. So mochte Celina Marie am liebsten. Ihre Augen hatten dann so ein Funkeln und sie versprühte eine Fröhlichkeit, der man sich einfach nicht entziehen konnte.
«Ok, für heute gebe ich mich geschlagen, aber beim nächsten Mal brauchst du wirklich bessere Ausreden», feixte sie und befand sich schon auf halben Weg zu ihrem Atelier.
Celina sprang auf und wollte gerade den Tisch abräumen, als Marie noch einmal den Kopf durch die Küchentür steckte.
«Hauptsache du weckst mich morgen früh nicht. Um sieben ist wirklich eine unchristliche Zeit, dafür das ja eigentlich Wochenende ist…»
Bevor sie den Satz beenden konnte, traf sie ein Geschirrhandtuch am Kopf.
Volltreffer!
Aber die Beschossene ließ sich gar nicht weiter stören. Sie warf es geschickt zurück und tänzelte summend zurück ins Atelier.
Als Celina den Geschirrspüler eingeräumt hatte, ging sie wieder in ihr Zimmer. Nach Fernsehgucken stand ihr heute nicht der Sinn.
Wieder einmal!
Deshalb holte sie sich einen dicken Wälzer von ihrem Schreibtisch und machte es sich auf dem Bett gemütlich.
Gegen Mitternacht kam Marie in ihr Zimmer und wünschte ihr ein schönes Wochenende und eine gute Nacht.
Schweren Herzens legte das Mädchen das Buch weg und ging ins Bad. Sie hatte es nicht eilig ins Bett zu kommen und sich abermals den Alpträumen zu stellen, deshalb ließ sie sich besonders viel Zeit beim Waschen und Zähneputzen. Erst als es sich wirklich nicht mehr aufschieben ließ, ging sie endlich ins Bett und knipste das Licht aus. Inzwischen war es bereits halb eins.
Jetzt lag sie im Dunkeln und wartete wie immer darauf, dass die Müdigkeit sie dazu zwang einzuschlafen. Nach einer ganzen Weile hatte das Bedürfnis nach Schlaf gesiegt und Celina entglitt in die Traumwelt.
Am Anfang war es wie in jeder Nacht. Zuerst kam die Dunkelheit. Wie immer tappte Celina orientierungslos herum. Jetzt musste nur noch der Nebel kommen und dann wäre das Grundszenario ihres Alptraums absolut perfekt. Sie wartete und wartete, aber der Nebel blieb einfach aus.
Nachdem sie eine ganze Weile so stehen geblieben war, fällte sie eine Entscheidung.
Dieses Mal würde sie nicht warten, bis sie die Panik überfiel.
Zielstrebig rannte sie in die Richtung, in der sie den Hügel und somit auch den rettenden Wald vermutete. Vielleicht hatte sie endlich mal eine halbwegs realistische Chance, der Gefahr zu entgehen? Sie lief bergauf, also musste sie sich einfach auf dem richtigen Weg befinden. Das hoffte sie zumindest. Noch bevor die Zweifel kommen konnten, hatte sie ihr Ziel erreicht. Direkt vor ihr erstreckte sich der wundervolle, Sicherheit verheißende Wald.
Endlich war sie angekommen!
Vor Erleichterung begann sie zu weinen und ihre Tränen verschleierten ihr den Blick. Sie wischte sie weg und als sie aufsah, befand sie sich erneut in tiefster Dunkelheit. Die Verzweiflung wurde übermächtig und Celina brach zusammen. Wohl wissend, dass das Spiel endgültig aus war und ihr Verfolger sie dieses Mal kriegen würde, blieb sie einfach regungslos liegen und erwartete ihr Schicksal. Wieder einmal hatte sich alle Hoffnung in Nichts aufgelöst und ihr legte sich eine zentnerschwere Last auf die Brust, sodass sie kaum zu atmen vermochte.
Etwas berührte sie am Arm, aber sie schaffte es nicht einmal zu schreien.
Die Stille breitete sich wie ein Mantel über ihr aus, als sie sich ergab.
Umso überraschter war sie, als sie eine fremde und doch so vertraute engelsgleiche Stimme vernahm:
«Celina, Schatz. Du wirst den Wald so nicht erreichen können. Das haben schon viele Generationen vor dir versucht und sie alle sind daran gescheitert. Es tut mir so leid.»
Verwirrt öffnete sie die Augen. Zuerst war da nur ein schwaches Licht, aber als sie sich darauf konzentrierte, erkannte sie darin eine Person. Sie war so überrascht, dass sie keinen einzigen Ton herausbrachte und diese einfach nur betrachten konnte.
Vor ihr stand ihre Mutter?!
Tausende Emotionen stürzten auf sie ein.
Sie wollte sie umarmen, von sich stoßen, küssen, hassen und gleichzeitig auch lieben.
Immer und immer wieder hatte Celina sich ihre erste Begegnung ausgemalt und sich gefragt, wie sie wohl jetzt aussehen würde.
Oft hatte sie die Angst geplagt, dass sie sie nach all den Jahren vielleicht nicht wieder erkennen könnte.
Völlig grundlos, wie sie nun erkannte.
Amanda Young war um keinen Tag gealtert und sah immer noch genauso schmerzhaft schön aus, wie auf dem letzten Foto, das von ihr gemacht worden war.
Seit Jahren stand es auf Celinas Schreibtisch und obwohl es ihr jedes Mal wehtat, wenn sie es ansah, hatte sie sich einfach nicht dazu durchringen können, es weg zu tun.
Celina schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich auf ihre Mutter, die genau in diesem Moment vor ihr stand.
Jetzt wo sie sie in Natura sah, war sie erstaunt, wie ähnlich sie sich waren. Obwohl Celina viele Fotos von ihr gesehen hatte, wurde ihr jetzt zum ersten Mal klar, dass sie einfach nur eine jüngere Ausgabe ihrer wunderschönen Mutter war. Seit wann war das so?
Amandas langes, braunes Haar umrahmte in Wellen ihr schönes Gesicht mit den großen, grünen Augen, die den ihren so unglaublich ähnlich waren.
Sie sah aus wie ein Engel, wie sie so über dem Boden schwebte und sich langsam entfernte.
Kurz fragte sich Celina, ob sie wohl gestorben war, aber bevor sie sie fragen konnte, veränderte sich die Gestalt ihrer Mutter. Ihr Körper verschwamm. Er wurde länger und schmaler. Alles an ihr war plötzlich so grazil und drückte dennoch so viel Kraft und Macht aus. Sie war einfach nur überirdisch schön.
Das Einzige, was dieses liebreizende Wesen noch mit ihrer Mutter gemein hatte, waren die Augen, die Celina überall erkannt hätte. Ihr Haar hatte sich im Mondlicht in Bronze verwandelt und ihre Stimme, die jetzt immer leiser wurde, klang wie ein Glockenspiel im Wind.
«Du musst aufwachen und erkennen, wer du wirklich bist!»
Das Trugbild wurde schwächer und schwächer, aber die wunderschöne Stimme hallte immer noch in Celinas Kopf wieder. Erst jetzt merkte sie, dass sie wieder einmal verlassen wurde.
Mit letzter Kraft stemmte sie sich auf die Knie und rief ihr unter Tränen nach:
«Bitte geh nicht! Lass mich nicht im Stich! Nicht schon wieder…Oh bitte, bitte…Nein…», aber ihr Flehen wurde nicht erhört.
Es war wieder finstere Nacht und ihre Mutter war abermals fort gegangen.
Celina erwachte mit einem Schrei. Sie lauschte in die Dunkelheit, aber alles, was sie hören konnte, war noch immer die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf.
Sie begann heftiger zu weinen, als sie es jemals zuvor in ihrem Leben getan hatte und ihre Trauer begleitete sie erneut in den Schlaf.