Читать книгу Blockchain - Wirtschaft im Umbruch - Bettina Uhlich - Страница 7
Fehlt Vertrauen, droht der Kollaps
ОглавлениеStammesgesellschaften haben dieses Problem nicht. Da kennt jeder jeden und alle sind in die Kontrolle der Gruppe eingebunden. Vertrauen ist hier nicht notwendig. Vielmehr war das Misstrauen der Regelfall, zumindest gegenüber Fremden. Das jedenfalls hat Ute Frevert erforscht.4 Das Wort ›Vertrauen‘ taucht in historischen Quellen nur im Zusammenhang mit Gott auf. Nur Gott allein schenkte man Vertrauen, vor allem in Krisen wie Hungerzeiten oder Epidemien.5 Erst mit dem Beginn der Moderne im 17. und 18. Jahrhundert wird Vertrauen zum zentralen Thema. Das ist kein Zufall, denn diese Gesellschaft konnte sich nicht mehr auf Ständeordnungen und Traditionen und deren richtungsweisende Regeln verlassen. Davon hatte der Mensch sich gelöst. Zwar geht auch Frevert von einem angeborenen Grundvertrauen des Menschen aus, aber erst seit die Rechte und Interessen der Menschen durch Gesetz, Polizei und den Staat geschützt sind, wurde es leichter, auch Fremden zu vertrauen.6 Erst der moderne Mensch konnte es sich erlauben, Vertrauen auch Unbekannten zu gewähren, ohne ökonomische Risiko‐Nutzen‐Abwägung.7 Das Vertrauen in hochkomplexe Institutionen, das sich in der beginnenden modernen Gesellschaft nicht auf Tradition, sondern auf Funktion stützt, wird zur Pflicht oder genauer: zur Voraussetzung einer modernen Gesellschaft. Dieses Vertrauen ist kein Vertrauen von Mensch zu Mensch, sondern ein Vertrauen in das Funktionieren von Systemen. Was es bedeutet, in einer modernen Gesellschaft Vertrauen zu verlieren, haben wir in dramatischer Weise erlebt, als die Finanzkrise 2008 über uns hereinbrach. Als Erstes ging die Investmentbank Lehman Brothers pleite. Das hatte niemand für möglich gehalten. Ein gewaltiger Dominoeffekt war die Folge. Plötzlich wollten sich die strauchelnden Banken untereinander kein Geld mehr leihen, tiefes Misstrauen machte sich in der Branche wie ein bösartig wucherndes Krebsgeschwür breit, der Geldfluss kam ins Stocken. Genau wie die Banken entzogen auch die Verbraucher ihren Hausbanken das Vertrauen. Politiker verloren ihr Vertrauen in die Seriosität und das Verantwortungsbewusstsein der Bankvorstände. Der damalige Wirtschaftsminister Peer Steinbrück fühlte sich nach eigenen Angaben bei den Verhandlungen mit den Banken oft so, als ob er »hinter die Fichte geführt werden sollte«.8 Das Vertrauen in das Finanzsystem war komplett zusammengebrochen. Eine tiefgehende Vertrauenskrise. In einer modernen Gesellschaft bedeutet das: eine existenzielle Krise. Wer Vertrauen zerstört, zerstört die Hauptschlagader der modernen Gesellschaft. Es kostete vor allem den Steuerzahler Milliarden, inklusive größter Verluste bei Renten und Lebensversicherungen, diesen Vertrauensverlust einigermaßen wieder ins Lot zu bringen und damit den totalen Kollaps zu verhindern. Genau darauf, »too big to fail zu sein«, hatten die Finanzakrobaten gesetzt. Es hatte funktioniert. Bis heute mussten die Banken das geliehene Geld nicht zurückzahlen, wohingegen es für die Bankkunden nach wie vor selbstverständlich ist, ihre Kredite abzubezahlen. Kein Wunder also, dass auf Seiten des Verbrauchers bis heute das Misstrauen geblieben ist, zumal die Krise nach wie vor nicht behoben ist, solange die faulen Kredite im Markt sind. Und das sind sie noch immer.9 So dramatisch die Finanzkrise auch von allen empfunden wurde, so war sie trotz allem nur der Beinahezusammenbruch eines Teilsystems der Gesellschaft, des Finanzsektors, wenn auch mit heftigsten Auswirkungen auf die Wirtschaft. Doch dieses Erlebnis führte eindringlich vor Augen, wie essenziell das Vertrauen in einer modernen Gesellschaft ist, vor allem in der Wirtschaft. Vertrauen ist das Schmiermittel, das dafür sorgt, dass das Getriebe einer Gesellschaft reibungslos funktioniert, vergleichbar mit dem Motorenöl, das den Automotor am Laufen hält.