Читать книгу Snørgl der Waldwicht - Betty Kamer - Страница 6
Meine neue Baumwohnung
Оглавление„Ich bekomme diesen vermaledeiten Knoten nicht auf. Verwichtelt und zugenäht.“
Oh je, diese Stimme erkenne ich unter hundert anderen Stimmen. Das ist ganz sicher Galdur, der sich wieder einmal über etwas ärgert.
Ich gehe lieber einmal nachsehen, was da los ist. Galdur hat seine Wohnung nämlich im gleichen Baum, wie ich. Wir sind also quasi Nachbarn, auch wenn sich der Eingang zu seiner Wohnung auf der anderen Seite des Stammes befindet. Doch lass mich dir zuvor erzählen, was es mit den Bäumen auf sich hat:
Nun, wir Wichte leben schon seit sehr langer Zeit zusammen mit den Tieren in Mischwäldern. Weißt du, das sind Wälder, in denen es viele Laubbäume gibt, wie zum Beispiel Buchen, Birken, Ahorn, Eichen und auch Nadelbäume wie Tannen, Lärchen und Fichten.
In den Wäldern halten alle Bewohner ganz fest zusammen, weil wir uns gegenseitig helfen können.
Freundschaft ist ja nicht nur für Wichte sehr wichtig, sondern auch für die Menschen. Ich denke, wer ohne Freunde ist, muss sehr einsam sein und auch wenn man sich nicht jeden Tag sieht oder miteinander sprechen kann, so ist es doch wichtig, immer aneinander zu denken und füreinander da zu sein.
So pflegen die Wichte schon immer eine ganz dicke Freundschaft zu den Vögeln, die ja auch in diesen Wäldern leben. Einige von ihnen haben sogar ihre Brutplätze tatsächlich in den Bäumen und nicht in einem Nest auf einem Zweig. Ja wirklich. Das sind richtige tolle Höhlen im Innern der Baumstämme. Diese Vögel nennt man 'Höhlenbrüter'.
Das ist zum Beispiel die Meise, der Star, der Buntspecht, die Kohlmeise und der Waldkauz, um dir nur einige Vögel zu nennen.
Verwichtelt, verwichtelt … ich rede und rede. Ich wollte dir eigentlich etwas anderes erzählen.
Also, wir Wichte lebten früher in kleinen, etwas windschiefen Häusern am Boden des Waldes. Jedoch kam es immer wieder einmal vor, dass Menschen mit ihren Vierbeinern in den Wäldern spazieren gingen und sie von der Leine ließen. Unverantwortlich, wenn du mich fragst. Ständig schnupperten sie mit ihren feuchten Nasen am Waldboden herum, gruben Löcher in den Boden und zerstörten oftmals sogar unsere Häuser. Und ich sage dir, es ist nicht nur einmal geschehen, dass wir uns vor den erwachsenen Menschen verstecken mussten, die nach ihren Vierbeinern suchten. Die dürfen uns nämlich gar nicht sehen!
Warum, fragst du?
Naja, manche von den erwachsenen Menschen haben keine Fantasie mehr und glauben nicht, dass es uns wirklich gibt. Und wenn sie uns entdecken, dann verlieren wir für einige Tage unsere Fähigkeiten und können in dieser Zeit keine Traumreisen unternehmen.
So haben wir Wichte uns mit den Tieren des Waldes beraten und es wurde die perfekte Lösung für uns gefunden: mit Hilfe der Stare, der Buntspechte, der Rotkelchen und der Waldkäuze haben wir unsere Wohnungen genau so gebaut, wie die Höhlenbrüter ihre Nester bauen. Nur eben nicht hoch oben in den Bäumen, sondern ganz unten in den Stämmen. Und wir bekamen sogar kleine Fenster und Türen.
Aber wieder zurück zu dem, was ich dir erzählen wollte: Warte mal, verwichtelt noch einmal. Was war das gleich noch? Ach ja, jetzt weiß ich es wieder:
Also … bis zu dem Moment, als Dellingur mir den Umzug in diese Baumwohnung anbot, wohnte ich mit Tamin gemeinsam in einer Baumwohnung. Ich freute mich sehr über eine eigene Wohnung. Nicht, dass wir uns nicht verstanden hätten. Im Gegenteil: Ich fand es immer sehr schön, mit ihm über alles Mögliche zu reden, während er etwas für uns anderen Wichte nähte. Ein Hemdlein hier, ein Höslein da. Die Stoffe färbt er immer in den schönsten Farben, die Gulltoppur speziell für ihn anmischt. Jedoch brauchten seine Stoffe, die Nähmaschine und der große Tisch, auf dem er die Stoffe zuschneiden konnte, mehr und mehr Platz und ich musste meine Bücher – du musst wissen, ich bin ein absoluter Lesewicht – sogar schon unter dem Bett verstauen. Da kam mir das Angebot von Dellingur schon ganz gelegen.
Nach der Verbannung von Böggvir, Amur und Allsvartur waren nämlich zwei Baumwohnungen frei geworden.
Was fragst du? Warum zwei Wohnungen?
Weißt du, weil Böggvir und Amur sich auch eine Baumwohnung geteilt hatten. Die Wohnung der beiden war sehr groß und so haben wir in einer Versammlung beschlossen, dass nach ihrer Verbannung Gosi dort seine Werkstatt einrichten sollte. Ich sage dir, wenn wir Gosi nicht hätten, würden wir wahrscheinlich alle auf dem Boden sitzen, schlafen und essen. Er ist es nämlich, der uns so wunderschöne Möbel fertigt und immer alles reparieren kann, was zu Bruch gegangen ist. Dafür lieben wir ihn alle sehr.
Ganz oft verschönert uns Reifur die Möbel dann auch noch mit Moos. Darin ist er ein wahrer Meister.
Doch anfänglich war ich etwas skeptisch, als Dellingur zu mir kam und mir den Einzug in die Baumwohnung von Allsvartur anbot. Alles an Allsvartur war schwarz. Seine Kleidung und auch die Einrichtung in seiner Baumwohnung. Wie schrecklich, findest du nicht auch? Es ist doch viel schöner, wenn man sich bunt kleidet und auch bunte Bilder an den Wänden hat oder etwa nicht?
Denn 'Allsvartur' heißt in die Menschensprache übersetzt: der Tiefschwarze. Und ich sage dir, als ich die Wohnung zum ersten Mal betrat, sträubten sich mir die Haare unter meiner Wichtenmütze zu Berge.
Mit der Kohle aus dem erkalteten Lagerfeuer hat er alles geschwärzt. Und ich meine wirklich alles: Sein Bett, den Tisch, die Wände, sein Regal und auch seinen Stuhl. Fürchterlich, ganz fürchterlich. Damit die Farbe hält und nicht bei jeder Berührung abfärbt, hat er alles in seiner Baumwohnung mit dem Harz aus den Bäumen überzogen. Es war immer so dunkel bei ihm, dass ihn niemand von uns besuchen mochte.
Doch mit tatkräftiger Unterstützung durch meine lieben Wichtenfreunde haben wir diesen dunklen Ort in ein wahrhaft 'goldiges' zu Hause für mich verwandeln können. Gosi zum Beispiel, baute mir ratz fatz einen neuen Tisch mit zwei passenden Stühlchen und sogar auf meinen Wunsch hin in meine Leseecke ein richtig tolles Regal, in dem alle meine Bücher ihren Platz gefunden haben.
Sogar der schüchterne Styggur (er wird in der Menschensprache Stügur ausgesprochen), der eigentlich nicht so gern mit uns anderen aktiv ist, schenkte mir eine alte, selbstgebastelte Lampe.
Das Geschenk von Reifur war jedoch der Oberknaller: Er hatte extra für mich seinen alten Ohrensessel frisch mit Moos bezogen und mir noch zwei von ihm bestickte Kissen dazu überreicht. Oh, ich liebe es, mich in den Sessel mit der hohen Lehne und den dicken Kissen einzukuscheln. Der Bezug ist so herrlich weich, dass ich schon so manches Mal beim Lesen eingeschlafen bin.
Und von Pokki habe ich zum Einzug eine große Platte voller selbstgebackener Wichtenkekse bekommen, von denen wir alle unbedingt Naschen mussten. Manche schmeckten nach wilden Erdbeeren, andere nach Nüssen. Am leckersten waren jedoch wieder einmal die Kekse, die nach Kräutern schmecken. Er probiert immer neue Rezepte aus und hat schon ein ganz dickes Buch darüber geschrieben. Darauf ist er natürlich sehr stolz und lässt uns immer mal wieder von seinen neuen Köstlichkeiten probieren. Aber ich verrate dir jetzt mal ein Geheimnis:
Manchmal schmecken die auch überhaupt nicht oder sind total verkohlt und wenn er uns dann in seiner Vorfreude fragt, ob sie uns schmecken, nicken wir meist nur, um ja nicht schwindeln zu müssen. Aber verrate ihm das bitte nicht.
Ach herrje, ich wollte dir ja eigentlich erzählen, warum mein zu Hause 'goldig' ist. Verzeih mir bitte, ich bin manchmal doch etwas schusselig und schweife beim Erzählen ab.
Also: Es hatte sich in Wichteneile herumgesprochen, dass ich in die Baumwohnung von Allsvartur einziehen würde und nicht wenige waren entsetzt. Da war mir der Vorschlag von Gulltoppur, mir bei der Renovierung zu helfen, herzlich willkommen. Gulltoppur hat ein absolutes Händchen zum Anmischen von goldener Farbe. Er behauptet, dass er sie nach einem uralten und geheimen Wichtenrezept seiner Ur-Ur-Großmutter herstellt.
So stand er mitten in meiner neuen Wohnung: mit einem großen Eimer dieser unfassbar schönen Farbe in der einen und einem zweiten Eimer mit weißer Farbe in der anderen Hand und ließ sich nicht davon abbringen, die Wände in Weiß, sowie so manches Möbelstück golden anzustreichen. Die goldene Farbe kannte ich zwar schon, war aber wieder einmal zutiefst beeindruckt. Am zweiten Eimer hing mein Blick aber richtiggehend fest.
„Meine Güte, so eine weiße Farbe habe ich noch nie gesehen. Wo hast du die denn her?“, fragte ich ihn.
„Weißt du, ich mische mir alle meine Farben selbst. Das haben wir in meiner Familie schon immer so gemacht. Wenn du zum Beispiel die Lichtfarben Blau und Grün mischst, bekommst du die Farbe Türkis. Mischt du hingegen Rot und Grün, so erhältst du die Farbe Gelb. Und nun halte dich fest: wenn du sie alle miteinander vermischst, also Blau, Grün, Türkis, Rot und Gelb entsteht die Farbe Weiß.“
Da war ich tatsächlich baff und freute mich sehr, dass er es mir so gut erklärt hatte.
Mein lieber Tamin brachte mir selbstgenähte orange-weiß karierte Gardinen und eine dazu passende Tischdecke, Pokki dekorierte meinen Esstisch, die Kommode und sogar eine im Baum befindliche Nische mit selbst gepflückten Blumensträußen aus wunderschönen Wald- und Wiesenblümchen. Gosi hatte mir ein Türschild mit meinem Namen darauf gebastelt und Pegjandi schenkte mir einen aus Stroh gefertigten Teppich.
Meine neue Wohnung war perfekt.