Читать книгу Der Nerd und sein Prinz - B.G. Thomas - Страница 9
Kapitel 4
ОглавлениеDas Innere des Hauses ließ eine Menge Erinnerungen wach werden, aber Gott... Wie hatte der Boden innerhalb von ein paar Jahren so stark nachgeben können? Als er seinen Blick hob, sah er den dunklen Fleck in der oberen Zimmerecke. Oh Mann. Hatten Kathy und Melissa Probleme mit dem Dach gehabt?
»Ah ja. Mit der Reparatur habe ich Mr. Jeske beauftragt.«
Jason errötete. Er hatte nicht starren wollen. Würde...? War das unhöflich? Zur Hölle, er wusste nicht einmal den Namen seines neuen Nachbarn!
»Hier entlang?«, schlug Mr. Gutaussehend vor. »Gehen wir an einen sichereren Ort? Wie wäre es mit meiner Piazza? Da ist es ganz nett, finde ich.«
Piazza?
Die Piazza stellte sich als die kleine Veranda hinter dem Haus heraus. Sie hatte ein hübsches schräges Dach, das neu aussah.
Jasons Gastgeber stellte die Quiche auf den Tisch und deutete dann auf einen der zwei Stühle, die an dem kleinen Tisch standen. Natürlich stolperte Jason auf dem Weg zum Tisch über seine eigenen Füße. Hätte er irgendetwas Schlimmeres tun können? Als Jason sich setzte, hielt sein Gastgeber den Stuhl für ihn fest und schob ihn dann an den Tisch heran. Meine Güte! Das hatte noch nie jemand für ihn getan.
Jasons neuer Nachbar nahm seinen albernen Hut ab und rauschte wie die Anmut in Person zurück ins Haus. Einen Moment lang betrachtete Jason den Hut, bevor sich ein Grinsen über sein Gesicht ausbreitete. Irgendwie erinnerte er ihn an den Hut des Munchkin-Gerichtsmediziners aus Der Zauberer von Oz. Beinahe hätte er angefangen zu lachen. Aber Gott, was, wenn sein Gastgeber das gesehen hätte?
Mr. Gutaussehend kam mit einem Tortenmesser zurück. Es wehte eine leichte Brise, die die dunklen Strähnen seiner Haare, die ihm lang in die Stirn fielen, ein klein wenig durcheinanderbrachte. Sexy. Jason wusste nicht, warum, aber das war sexy. Die Haare, nicht das Messer.
»Wir essen deine Quiche. Sagt man das so? Richtig? Aber zuerst muss ich mich entschuldigen. Ich habe mich weder vorgestellt noch nach deinem Namen gefragt, signore.« Dabei knallte er doch tatsächlich die Hacken zusammen, verneigte sich kaum merklich und sagte: »Ich bin Adam Terranova. Ich komme aus Rom in dieses hübsche Dorf und freue mich darauf, dieses Land kennenzulernen. Willkommen in meinem Zuhause.«
Jason lächelte. Er konnte nicht anders. Er fühlte sich wie in einem Film oder einem Märchen. Und es gefiel ihm. Sehr sogar.
»Mein Name ist Jason Evander Brewster«, antwortete er aus dem Bedürfnis heraus, seinen vollen Namen zu sagen.
Daraufhin schenkte Adam Terranova ihm sein bisher schönstes Lächeln. Jasons Herz setzte einen Schlag aus. »Ah«, machte Adam. »Du bist nach den Helden der Antike benannt. Wäre mir dieser Segen nur auch zuteilgeworden.«
Unter Jasons Blick schnitt Adam die Quiche in Stücke, die etwa halb so groß waren wie die, die Jason seinen Gästen servierte. Das überraschte ihn, aber er sagte nichts. Vielleicht hatte Adam schon gegessen. Außerdem war es ein wenig merkwürdig, mit einem völlig Fremden zu essen. Sie hatten sich ja gerade erst einander vorgestellt.
Aber dann kam der Kaffee – gelinde gesagt eine weitere Überraschung.
Die Tassen waren klein. Sehr klein. Sie erinnerten ihn fast an die Tassen, mit denen er und Daphne als Kinder gespielt hatten. Und sie waren nur halb mit Kaffee gefüllt.
»Zucker?«, fragte sein Gastgeber und hätte beinahe einen gehäuften Teelöffel Zucker in die Tasse gekippt, noch bevor Jason antworten konnte. Er hielt im letzten Moment inne. Ein paar Kristalle rieselten trotzdem hinein.
»Ah, sicher«, antwortete Jason, hauptsächlich aus Erstaunen.
»Sahne?«
Jason zuckte mit den Schultern und beobachtete, wie Adam Sahne in die Tasse goss, bis sie gefüllt war. Dann wiederholte er das Gleiche bei einer zweiten Tasse, bevor er sich gegenüber von Jason hinsetzte und ihn wieder anlächelte.
»Prego! Prost. Mangia! Lass es dir schmecken.«
Jason nahm einen Schluck Kaffee und hätte sich fast verschluckt. Er war nicht nur süß, sondern auch verdammt stark. Heilige Scheiße, war der stark!
»Ma dai! Ist alles in Ordnung, Jason?«
Mit feuchten Augen hob Jason eine Hand. Er traute sich fast nicht aufzusehen. Zum Glück schaffte er es irgendwie, den Kaffee nicht auszuspucken. »Alles okay.« Er lächelte schwach. »T-Tut mir leid. Ich habe nur nie... Dein Kaffee. Der ist was Besonderes.«
Selbst mit der großen Sonnenbrille wirkte Adam schockiert. Und irgendwie... enttäuscht? »Es tut mir so leid! Scusa!«
Jason schüttelte entsetzt den Kopf. Himmel, was für ein erster Eindruck. Was sollte dieser Mann nur von ihm denken? »Mir geht’s gut. Ich komme mir wie ein Idiot vor.«
»Nein, nein! Du bist kein Idiot. Vielleicht bin ich einer. Ich wusste, dass ihr Amerikaner euren Kaffee schwach mögt.«
Gott, er sah wirklich bestürzt aus. Was habe ich getan?
»Und ihr trinkt so viel davon. Ich konnte nicht glauben, wie viel die Leute im Flugzeug getrunken haben, als ich in diesem Land angekommen war. Und an den Flughäfen. Wirklich erstaunlich!«
Jason lachte bei dem Gedanken daran, wie er morgens herumeilte, um die Tassen seiner Gäste zu füllen. »Viva la Unterschied?«, fragte er.
Adam lächelte wieder und Gott, war das schön. Vielleicht war der unangenehme Moment vorüber? Seine Zähne waren perfekt und so weiß. »Viva la differenza. Lang lebe der Unterschied. In der Tat. Kann ich dir etwas anderes bringen? Etwas... weniger Starkes?«
Jason schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Aber ich hätte gern etwas Wasser.«
»Certo!«, sagte Adam und war auf und davon. Seine Worte hallten in Jasons Kopf nach: Es lebe der Unterschied. Oh Mann! Dann kam Adam mit einem Glas und einer Flasche Wasser zurück.
Dieses Mal machte er etwas anders: Er nahm seine Sonnenbrille ab. Endlich konnte Jason seine Augen sehen. So blau! So intensiv blau.
Es waren die schönsten Augen, die Jason je gesehen hatte.
Und Jason war verloren.
Zum zweiten Mal erschien plötzlich dieser... verlorene Ausdruck auf dem Gesicht seines neuen Nachbarn – Jason, der Name gefiel ihm sehr.
Oh Gott! Er hat mich erkannt.
Tief durchatmen. Bleib ruhig.
»Alles in Ordnung, Jason?«, fragte er und hoffte, dass seine Befürchtungen unbegründet waren.
Jasons Wangen färbten sich rosig. Er wandte seinen Blick ab, nur um ihn kurz darauf wieder anzusehen. Oh, diese Augen. Diese wunderschönen Augen. Er könnte in diesen Augen versinken. Er wollte sie küssen.
»Ich... ich... es tut mir leid.« Jason wandte erneut seinen Blick ab.
Adam griff nach ihm, hätte beinahe Jasons Hand berührt und hielt sich dann doch zurück. Er war sich nicht sicher, ob das hierzulande angebracht war. Man hatte ihm gesagt, dass die Art, wie Männer sich in Europa berührten und einander auf die Wange küssten, in Amerika verpönt war.
Unmännlich. Schwul. Finocchio. Frocio.
»Es lag nur am Kaffee«, sagte Jason, begegnete Adams Blick aber immer noch nicht. Zu schade. Er wollte in seine Augen blicken.
»Jason. Sicuro? Bist du sicher?«
»Deine Augen«, flüsterte Jason. Oder zumindest glaubte Adam, dass er das gesagt hatte.
»Meine Augen?«
Jason sah ihn an, öffnete seinen Mund und schloss ihn wieder. Er lief rot an und wandte schon wieder seinen Blick ab.
»Jason?«
»Sie sind schön...«, wisperte er.
Wisperte. Aber Adam hörte ihn und merkte, wie seine Wangen heiß wurden. Er findet meine Augen schön?
»Danke, mein neuer Freund«, sagte er. »Ich finde deine auch sehr schön. Bellissimo.«
»B-Bellissimo?«, echote Jason.
Adam nickte. »Das heißt wunderschön.«
»Als du also gesagt hast, dass...«
»Si?«, hakte Adam nach. »Ja?«
Jason schüttelte den Kopf. »Nichts«, erwiderte er leise. Mit schweren Lidern sah er zu Adam auf. In diesem Blick lagen so viele Möglichkeiten. War dieser reizende junge Mann vielleicht schwul? Konnte das Schicksal ihm so wohlgesonnen sein? Dass er so bald jemanden traf?
Timothy Jeske gibt es auch noch.
Adam schüttelte den Gedanken ab. Wie konnte er überhaupt an Timothy zur Stelle denken, jetzt, wo er Jason Evander Brewster kannte?
Nun ja, zumindest weißt du, dass Timothy Männer mag. Oder zumindest mit ihnen schläft.
Und auch wenn Letzteres gut klang, war er nicht hergekommen, weil er mehr wollte?
Jason sah ihn immer noch nicht an und Adam hatte keine Ahnung, was er als Nächstes tun sollte.
Sorg dafür, dass er sich wohlfühlt. Verjag ihn nicht.
»Weißt du, in meiner Heimat«, begann Adam, »ist es für Männer nicht... tabu, etwas schön zu finden. Wir suchen nach Schönheit. Schätzen sie wert. Feiern sie. Das macht uns nicht...« Er hätte beinahe schwul gesagt. Doch das Wort blieb ihm in der Kehle stecken. Er konnte es nicht aussprechen. Konnte es nicht, weil er schwul war. Er war von seinem Zuhause und seiner Familie, die er liebte, dem Land, das ihm so am Herzen lag, und der Verantwortung, die ihm in die Wiege gelegt worden war, davongelaufen. Er hatte all das hinter sich gelassen, um ein schwules Leben zu führen, in dem er vielleicht – vielleicht – die Liebe mit einem anderen Mann finden würde. Könnte er jetzt auch nur irgendwie so tun, als wäre es etwas Schlechtes, schwul zu sein?
Nein.
»Wo ich herkomme, kann ein Mann bemerken, wie schön die Augen eines anderen Mannes sind. Es macht ihn nicht... weniger männlich.«
»Aber... Ich bin schwul«, sagte Jason.
Adam erstarrte einen Augenblick. Wie erstaunlich. »Welch angenehme Überraschung.«
Ein winziges Lächeln zupfte an Jasons Mundwinkeln. Er hatte einen schönen Mund. »Angenehm?«, fragte Jason.
Adam nickte und sein Herz schlug schneller. »Si. Meine Heimat ist so weit entfernt. Und ich hatte Angst, weißt du? Ich habe gehört, dass Amerika ein gutes Land für Homosexuelle ist. Man kann heiraten. Das geht, wo ich herkomme, nicht. Ihr habt den Gay Pride. So etwas hatten wir noch nie. Keine Parade. Keine Feier mit Patti LaBelle und Ariana Grande und RuPaul. Ihr produziert Serien wie Unbreakable Kimmy Schmidt mit Titus Andromedon, der ist zum Schreien komisch.«
Jasons hübsche blaue Augen weiteten sich.
»Aber ich sehe auch, dass manche der Politiker hier homosexuelle Männer und Frauen nicht mögen, selbst wenn ihr eigener Sohn, ihre eigene Tochter oder Schwester schwul oder lesbisch ist. Dass ihr Fast-Food-Ketten habt, die Hühnchen verkaufen und schwule Mitarbeiter feuern. Und Verrückte mit Maschinengewehren, die Dutzende Menschen in Nachtclubs umbringen. Das sind sehr widersprüchliche Botschaften, si? Weißt du?«
Jetzt wurden Jasons Augen noch größer und Adam war sich nicht sicher, ob das gut war.
»Vielleicht habe ich zu viele Akte in einer Komödie untergebracht?«, fragte er.
»Hä?«, machte Jason offensichtlich verwirrt.
»Kennst du diese Redewendung nicht? Fare troppi atti in commedia. Zu viele Akte in eine Komödie packen. Verstehst du?«
Jason wirkte nicht so, als hätte er verstanden.
»Normalerweise hat ein Stück drei Akte«, fuhr Adam fort. »Wenn man zu viele davon hat, ist das, als würde man versuchen, zu viel auf einmal zu sagen. Als Mann, der in einem fremden Land ist, einem Land mit guten und schlechten Dingen, hätte ich einfach sagen sollen« – jetzt wagte er es und griff nach Jasons Hand – »dass es eine angenehme Überraschung ist, diese Quiche als Einweihungsgeschenk zu bekommen. Und herauszufinden, dass mein neuer Nachbar schwul ist. Das freut mich außerordentlich. Ich hoffe, dass wir Freunde werden. Es wäre schön, einen schwulen Freund zu haben. Besonders einen mit so schönen Augen.«
Der letzte Satz war vielleicht etwas zu dick aufgetragen, doch so war er nun mal. Er ging oft ein paar Schritte zu weit. Sein Vater schüttelte dann den Kopf, sein Bruder rollte mit den Augen und seine Mutter zuckte mit den Schultern und sagte: »Er ist, wer er ist.« Und die Leute liebten ihn dafür.
Aber was würde Jason sagen?
Dann schenkte Jason ihm ein umwerfendes Lächeln, das ihm den Atem raubte. Vielleicht, dachte Adam, war er auch gerade weit genug gegangen.
»Vielleicht sollten wir jetzt essen? Ich hoffe, es ist nicht kalt geworden, während ich geredet habe.«
»Na ja... Wir könnten sie immer noch in die Mikrowelle stellen.« Adam hörte das Zögern in Jasons Stimme.
»Tut mir leid, ich habe noch keine Mikrowelle. So magia. Greif zu!«
Und genau das taten sie.
Die Quiche war nicht zu kalt und schmeckte sehr gut, aber nicht ganz so, wie er erwartet hatte. Da Jason Sahne erwähnt hatte, hatte er mit etwas Süßerem gerechnet.
»Schmeckt sie dir nicht?«
Adam löste seinen Blick vom Teller und richtete ihn auf Jasons tiefblaue Augen. Sie wirkten besorgt. Oh nein! Hatte er es schon wieder getan? »Nein! Nein!«, sagte Adam. »Sie ist delizioso!«
Jasons Blick wurde wieder warm.
»Sie ist nur ein wenig... salziger, als ich es erwartet habe. Wir essen morgens normalerweise nichts Herzhaftes.« Er nahm einen weiteren Bissen. Die Kombination aus Eiern, Käse, Artischocken und der perfekten Menge an Spinat war wirklich ausgezeichnet. »Das erinnert mich an ein Gericht, das wir torta salata nennen. Das ist sehr ähnlich.«
»Nur weniger salzig?«, fragte Jason.
Adam biss sich auf die Unterlippe. »Ah. Nein. Wir würden sie nur nicht zum Frühstück essen.«
»Was isst du normalerweise?«
»Süßes«, antwortete Adam lächelnd. »Cornettos oder Crostatas oder Donuts.«
Jason blickte ihn neugierig an.
»Cornettos sind so ähnlich wie Croissants, aber kleiner, weniger buttrig und mit einem Guss, der geriebene Orangenschale enthält. Eine Crostata ist eine Tarte, die mit Marmelade gefüllt ist. Und Donuts sind...«
»Ich glaube, ich weiß, was Donuts sind. Sofern sie in Italien nicht anders sind als hier. So wie die Briten ihre Cookies Biscuits nennen.«
Adam lachte. Es fühlte sich gut an, zu lachen. »Ja. Ich habe Donuts bei Walmart gesehen. Dort gibt es einfach alles! So etwas habe ich noch nie erlebt.«
Jason verdrehte die Augen.
»Was?« Hatte er schon wieder etwas Falsches gesagt? Was war nur mit seinen diplomatischen Fähigkeiten passiert? Wenn das zu Hause passiert wäre, wäre sein Vater nicht erfreut gewesen.
»Egal. Das ist ein Thema für einen anderen Tag.« Jason lächelte.
Adam beschloss, es dabei zu belassen. Er mochte Jasons Lächeln. Dann nahm er einen weiteren Bissen. »So etwas würden wir mittags essen. Eier, Bacon, Würstchen...«
»Und Pasta?«
»Natürlich!«
»Und tarta...«
»Torta salata«, verbesserte Adam.
»Die wie Quiche ist, nur...« Sein Tonfall und das Funkeln in seinen Augen verrieten, dass Jason ihn aufzog.
»Eine meiner Nannys hat mal gesagt, dass man damit gut die Reste aus dem Kühlschrank verarbeiten kann. Das hätte die Köchin nie gesagt!« Die Erinnerung brachte ihn schon wieder zum Lachen. Durchhängender Boden hin oder her, er fühlte sich gut. Wann hatte er gelernt, sich an so kleinen Dingen zu erfreuen?
Wann hatte er das letzte Mal einem anderen schwulen Mann an einem Tisch gegenübergesessen? Besonders einem, der auch wusste, dass er schwul war? Die Antwort lautete: vor sehr langer Zeit.
»Die Köchin hat nie Reste serviert. Sie hat sie weggeworfen.«
»Weggeworfen?« Jetzt machte Jason wieder große Augen.
Ja. Denn sie servierte der königlichen Familie ausschließlich die hochwertigsten Gerichte. Er hatte ganze Vorspeisen im Müll gefunden, weil sich falsche Bläschen gebildet hatten oder sie ein klein wenig zu braun geworden waren. Als Kind hatte es ihn immer mehr gestört und er hatte seinen Vater mehr als einmal deswegen angesprochen. »Außerhalb dieser Mauern gibt es Menschen, die Hunger haben, Vater«, hatte er eines Morgens mit Tränen in den Augen gesagt. »Sie suchen im Müll nach Essen. Und die Köchin wirft sehr gutes Essen weg!«
Zum Glück hatte sein Vater nachgegeben. Oder war einen Kompromiss eingegangen. Ihm war bewusst, dass die Köchin ihnen nichts servieren würde, das nicht fotografiert und in einem Kochmagazin abgedruckt werden konnte. Aber von da an wurde das übrig gebliebene Essen abwechselnd an die Angestellten im Palast verteilt. Als wäre das ganze Jahr über Boxing Day. Die Leute liebten ihn dafür. Menschen, die auf solches Essen bisher nur flüchtige Blicke hatten werfen können, verspeisten es nun recht regelmäßig.
»Nun ja, früher hat sie das getan. Jetzt nicht mehr.«
Er hatte seine Nanny mehr als einmal dazu gebracht, ihm ein Stück von ihrer torta salata zu bringen. Einmal hatte sie nur aus Käse, Fleisch und Basilikum in einer Kruste bestanden. Delizioso!
»Wie auch immer, so etwas gibt es zum Mittagessen und süße Teilchen zum Frühstück –«
»Und dazu Kaffee, so stark wie ein Elefant und so süß wie du«, sagte Jason, bevor er hektisch blinzelte, sich eine Hand vor den Mund schlug und ein weiteres Mal errötete.
Adam brach in Gelächter aus, unfähig, sich nicht darüber zu freuen. Wenn Jason jetzt nur noch sein Kaffee schmecken würde... Schade, dass er es nicht tat.
Jason schluckte, sein Adamsapfel hüpfte. »Ich... Ah...«
»Es ist okay«, sagte Adam. Er ergriff die Chance und berührte Jasons Hand erneut. Zu seiner Überraschung drehte sein neuer Nachbar sie sofort um, sodass Adams Finger auf Jasons Handteller zum Liegen kamen. Ein wundervoller kleiner Stromstoß durchzuckte ihn, der – schon wieder eine Überraschung – direkt in seinen Schwanz fuhr. Aber beabsichtigte Jason überhaupt, diese Wirkung auf ihn auszuüben? Er kannte sich mit amerikanischen Gepflogenheiten nicht aus. Er hatte sich mit Botschaftern und Würdenträgern aus ganz Europa getroffen, aber selten mit jemandem aus den Vereinigten Staaten. Vielleicht konnten Männer in Amerika das in der Öffentlichkeit tun? »Denk daran«, fuhr er fort. »Wir sind jetzt Freunde. Es gibt keinen Grund, dich zu schämen.«
Dann zog er seine Hand zurück und widersetzte sich dem Drang, leicht über diese weiche Hand zu streichen. Aber Gott, er wollte es!
»Möchtest du noch ein Stück?«, fragte Adam dann, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.
Jason schüttelte den Kopf. »Ich hab noch vier zu Hause.« Er deutete über das Geländer der Veranda hinweg zu seinem Haus. Es war in einem hübschen Mintgrün gestrichen. Die Farbe war viel angenehmer als die seines eigenen Hauses. »Außerdem verdiene ich damit meinen Lebensunterhalt. Ich serviere Frühstück und Mittagessen und habe auch eine Menge gebrauchter Bücher auf Lager.«
»Wirklich?« Eine weitere angenehme Überraschung.
»Sicher«, antwortete Jason. »Wenn du Zeit hast, komm gern jederzeit vorbei. Wenn ich gerade kein Essen anbiete, gibt es immer noch Bücher.«
»Ich liebe Bücher! Hier sind meine Regale leer, bis auf zwei Exemplare.« Das war entzückend, was für ein Zufall. Während er nach Büchern stöberte, hätte er einen Vorwand, um mit diesem schönen jungen schwulen Mann zu sprechen. Wer wusste schon, was passieren würde? Und dabei hatte er sich Sorgen gemacht, hier keine anderen schwulen Männer zu finden.
In diesem Moment erinnerte er sich an Timothy den Handwerker, der einen Sixpack vorbeibringen und sich mit ihm das Baseball-Spiel ansehen wollte. Gott. In dem Moment, als er Jason begegnet war, war jeder Gedanke an ein Stelldichein mit Timothy verflogen. Jason war nicht nur gut aussehend und süß – er hatte ihm ein Einweihungsgeschenk gebracht, was in Monterosia keine Tradition hatte –, sondern las auch noch. Timothy dachte, dass Rom in Frankreich lag. Dann kam ihm eine Idee.
»Jason, magst du dieses Baseball?«, fragte er, drückte gedanklich die Daumen und hoffte.
Jason zuckte leicht mit den Schultern. »Klar. Hier kann man nicht viel unternehmen, außer sich die Badgers anzusehen. Sie sind auch nicht mal schlecht. Warum?«
»Der Handwerker... Er will vorbeikommen und sich mit mir das Spiel ansehen. Er bringt einen Sixpack mit. Ich habe den Verdacht, dass er mehr will, und glaube, dass ich nicht interessiert bin. Wenn ich einen Freund dabeihätte, würde das vielleicht... wie sagt man? Die Situation entschärfen?«
Jason riss die Augen auf. Das schien eine seiner Angewohnheiten zu sein – eine süße.
Entspann dich, Adam. Du wirst die Liebe nicht innerhalb von achtundvierzig Stunden finden, nachdem du an einen Ort gezogen bist, wo du nach ihr suchen kannst. So funktioniert das Leben nicht.
Aber sein Atem stockte trotzdem, als er auf eine Antwort wartete.
»Na ja... klar.«
Er atmete fast explosionsartig aus. Gott, hatte Jason es bemerkt?
Jason lachte leise. »Also willst du nicht allein mit Tim Jeske festsitzen, hm? Kann ich nachvollziehen. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Punkt in meinem Leben allerdings...«
Adam hielt inne, wartete darauf, dass Jason seinen Gedanken beendete. Dann verstand er. »Oh! Ist er ein alter Liebhaber?«
»Ich weiß nicht, ob wir uns je geliebt haben. Ich war sein Geheimnis, weil er nicht wollte, dass die Leute wissen, dass er auf Männer steht. Oder zumindest darauf, Sex mit ihnen zu haben. Wir waren auf der Highschool und ich habe mich Hals über Kopf in ihn verknallt, aber es war nur Sex. Er sagt, dass er nicht schwul ist. Ein... ein bisschen bi vielleicht. Das sagte er zumindest. Aber für einen Mann, der nur ein bisschen bi ist, ist seine Libido nie abgekühlt. Na gut, er war nie passiv. Aber mannomann, hat er es geliebt, mir einen zu blasen...« Jason riss die Augen auf und schlug sich schon wieder eine Hand vor den Mund. Dieses Mal wurde er buchstäblich scharlachrot.
Adam zwang sich, nicht laut loszulachen. Das würde Jason vielleicht nur noch verlegener machen. Stattdessen nickte er. »Ich verstehe.« Aber was er unbedingt fragen wollte, war: Gibst du immer noch gerne Blowjobs? Er tat es allerdings nicht. Seine Erziehung hielt ihn davon ab, so derb zu sein.
Dann traf ihn die Erkenntnis – beinahe so fest, dass er aufkeuchte –, dass er so derb sein konnte, wenn er wollte. Nicht, weil es in dieser Situation angebracht wäre. Nein, er fand, es würde die Atmosphäre zunichtemachen, die sie aufgebaut hatten. Aber einfach, weil er zum ersten Mal wirklich frei war.
Im schlimmsten Fall ging Jason und sprach nie wieder mit ihm – was zugegebenermaßen ziemlich schlimm wäre. Aber es gäbe keinen weltbewegenden Skandal. Keinen Aufschrei in der Presse. Keinen Grund für seinen Vater, ihn entsetzt über sein Tun aufzusuchen. Nichts, das seiner Familie oder seinem Besitz schaden würde. Er hatte die Freiheit, etwas Geschmackloses zu tun.
Für einen Moment glaubte er, deswegen tatsächlich weinen zu müssen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jason und natürlich weiteten sich seine Augen. Waren sie zuvor schon so schön gewesen?
Adam lächelte aus dem Innersten seiner Seele heraus. »Ja«, sagte er. »Alles ist in bester Ordnung. Ich kann mich nicht erinnern, je so... mich je so...« Frei gefühlt zu haben? Was würde Jason denken, wenn er das sagte? Dass er seltsam war? »Mir geht es gut.«
Jasons Lächeln kehrte zurück. »Gut.«
Sie blickten einander an und es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Adam wollte den Moment nicht ruinieren, indem er etwas sagte.
Das Klingeln eines Telefons unterbrach ihr einvernehmliches Schweigen.
Jason blickte auf sein Handy hinab. »Meine Schwester«, sagte er und nahm ab.
»Hey, Daphne«, sagte er. Und schon wieder weiteten sich seine Augen. »Oh, Mist! Ich bin gleich da!« Er sprang auf die Füße. »Nein, ich mein’s ernst. Weniger als eine Minute. Ich bin in der Nähe.« Er legte ohne ein weiteres Wort auf. »The Briar Patch! Ich hätte längst öffnen sollen. Die Leute warten draußen!« Wieder deutete er auf das mintgrüne Haus. »Ich hab die Zeit total vergessen.«
Er sah sich um.
»Hier«, sagte Adam und stand auf. »Da ist ein Tor.« Er ging hinüber und öffnete es für seinen neuen Freund. Zumindest hoffte er, dass Jason ein Freund war. Wenigstens ein Freund.
»Danke«, entgegnete Jason und rannte fast auf das Tor zu. Dann hielt er kurz inne und starrte ihn an.
Adams Herz schien still zu stehen...
»Wir sehen uns heute Abend? Zum Spiel?«
… und begann, wieder zu schlagen. »Ja. Heute Abend.«
Jason grinste. »Okay.« Er ging durch das Tor und blieb noch einmal stehen. »Und wenn du ein Buch möchtest, komm einfach rüber. Geht aufs Haus.«
Adam wusste nicht genau, was das bedeutete, aber er nickte. »Vielleicht komme ich darauf zurück.«
Und dann rannte Jason durch ihren gemeinsamen Garten und verschwand hinter dem Haus. The Briar Patch hatte er es genannt. Interessanter Name. Er wollte mehr darüber erfahren.
Dann setzte er sich wieder. Sein Blick wanderte zu der Kii-sch. Er lachte.
Dachte über die Freiheit nach.
Und schnitt sich ein weiteres Stück herunter.
Es war riesig.