Читать книгу Der Zimmermannsvogel - Bianca Maria Gutmann - Страница 9

Shine a Light

Оглавление

Santiago war nun seit gut dreieinhalb Jahren Student und es ging allmählich auf das Ende seines Elektrotechnik-Studiums zu. Es war bisher gut gelaufen, er hatte seine Entscheidung in nur wenigen schwachen Momenten bereut, wenn er vor scheinbar unlösbaren Aufgaben brütete. Gerade in den ersten beiden Semestern war es ihm besonders schwer gefallen, wieder die Schulbank zu drücken, doch seine Kommilitonen bewunderten ihn, spornten ihn an und suchten hin und wieder Rat bei ihm. Er nahm an vielen gemeinsamen Projekten teil, war trotz des Altersunterschieds einer von ihnen und brachte seine Erfahrung ein. So fand er seinen Rhythmus genau wie es der Zimmermannsvogel damals vorausgesagt hatte.

Wissensdurstig und interessiert an allem wie er von Natur aus war, konnte er schnell Fortschritte machen und entgegen allen Unkenrufen musste er kein zusätzliches Semester anhängen, was auch gar nicht möglich gewesen wäre, denn dafür hätten seine Reserven nicht ausgereicht.

Wohnen im Haus der Eltern sparte ihm natürlich Kosten. Wenn er nach Hause kam, stand eine kleine Mahlzeit bereit. Wenn er das Haus verließ, dann nicht ohne Bocadillos, die seine Mutter vorbereitet hatte, zudem Obst, Energieriegel oder Schokolade.

Sein Computer hatte einen Platz im Vorzeige-Esszimmer, das nur an Festtagen genutzt wurde, weil es an der Gartenseite noch eine geräumige Essküche gab. An seinen Arbeitsplatz zog er sich zurück, wenn er am Nachmittag von der Hochschule kam. Zeit für Gespräche mit den Eltern gab es beim Abendessen. Oft setzte er sich bei angenehmen Temperaturen gern mit seinen Büchern in den Garten, wo er seinen koffeinfreien Kaffee nach dem Essen trank. Gelegentlich kamen Nachbarn vorbei um ihn mit kleineren Arbeiten für das Wochenende zu beauftragen oder einfach nur um mit ihm zu sprechen. Er wurde auch über sein Studium befragt und die Fortschritte, die er machte. Seine Eltern konnten den Menschen, die neugierige Fragen stellten, nur wenig Auskunft erteilen, denn sie wussten im Grunde gar nicht so genau, was er studierte. Sie dachten immer noch, er ruhe sich an der Fachhochschule aus, anstatt zu arbeiten.

Doch davon konnte keine Rede sein: Er studierte, projektierte, rechnete, saß am Computer, der Kopf rauchte und die Stirn war nur allzu oft in Falten geworfen. Er wollte ein gutes Abschlussprojekt vorlegen und er hatte schon eine Idee, die allerdings noch ein paar Wochen reifen musste.

Um sich ein wenig von Elektroden, PEN-Leitern, Frequenzen, LEDs und Versorgungsspannung zu entspannen, ging er ab und zu im Internet auf eine Seite, auf der man sich mit Großmeistern und auch ganz normalen Menschen messen konnte. Wieder keine Sache, bei welcher der Kopf hätte abschalten können, aber Santiago fand Entspannung dabei, gelegentlich eine Partie zu spielen. Obwohl er nicht die Absicht hatte, Schachprofi zu werden, um es Bobby Fischer gleich zu tun, so war er doch ein richtig guter Schachspieler. Das für ihn bedeutendste Brettspiel war eine weitere seiner großen Leidenschaften, eine Strategie, ein historisch, königliches Spiel mit Taktik, ein Spiegel des Lebens, ein Abbild des Krieges, ein Kampfspiel. Und ein Kämpfer war er, wenn auch kein guter Verlierer. Er wurde zwar nicht missmutig und bekam keine schlechte Laune, wenn er verlor, doch stampfte er innerlich auf und ärgerte sich über sich selbst, versuchte sofort ehrgeizig alles ungeschehen zu machen und unbedingt einen Sieg in der nächsten Partie zu erringen, ja manchmal schon fast verbissen war er – siegen wollte er. Dann war er zufrieden. Ein Remis oder gar eine Niederlage kamen nicht in Frage, weshalb er immer volle Konzentration in sein Spiel legte.

Santiago war auf dieser Webseite mit einem eigenen Profil registriert. Er hatte die Möglichkeit, sich einen virtuellen Schachpartner entsprechend dessen Niveau aus einer Liste zu wählen und ebenfalls, ob er eine Partie am Stück spielen wollte oder zumindest zügig oder über mehrere Tagen oder Wochen verteilt. Diese letztere Option hatte er gewählt, denn so verlor er nicht viel Zeit im Internet, konnte nach dem Stand der Partie schauen, einen Zug machen und wieder seinem Studium nachgehen. Außerdem gab es die Option, mit dem Gegenspieler Nachrichten über die Partie auszutauschen. Vor allem war dies dazu gedacht, dem anderen mitzuteilen, wenn man eventuell an den nächsten Tagen verhindert war oder um nachzufragen, ob man vielleicht an einem Tage eine halbe Stunde einplanen könne, um die Partie voranzutreiben.

»Hallo Dinosaurier«, las er, als er die Nachrichtenbox durchschaute und weiter: »Wie geht es dir? Ich möchte mich bei dir für die spannende letzte Partie bedanken. Ich weiß, dass sie noch nicht zu Ende ist, möchte dir aber mitteilen, dass ich in den nächsten Tagen kurzfristig an einem Seminar teilnehmen muss und keinen Internetzugang haben werde. Lösch bitte unsere Partie nicht, ich würde sie gerne zu Ende spielen, auch wenn meine Chancen schlecht stehen, gegen dich zu gewinnen. PS: Mich würde interessieren, wo du eigentlich lebst und was du beruflich machst? Du musst nicht antworten, wenn du nicht möchtest. Liebe Grüße, Dornröschen.«

»Hallo Dornröschen«, fing Santiago an zu schreiben, denn er war immer höflich und hätte diese Nachricht nicht einfach ignoriert. »Vielen Dank, dass du mir Bescheid gegeben hast, ich bin momentan auch sehr beschäftigt, denn ich studiere Elektrotechnik und bin kurz vor dem Abschluss. Ich lebe in einem kleinen Dorf in Nordspanien. Gruß, Santiago.«

Zur Sicherheit drückte er noch einmal auf den Senden-Knopf, weil er nicht sicher war, ob die Nachricht auch wirklich abgeschickt worden war und ein Signalton zeigte ihm an, dass schon die Antwort auf seine Zeilen da war:

»Hallo Dinosaurier, ich habe in deinem Profil gelesen, wie alt du bist. Es ist ungewöhnlich, dass du noch studierst. Wowww – Nordspanien! Ich bekomme richtig Heimweh, obwohl ich Nordspanien nicht gut kenne, ich komme aus der Nähe von Sevilla, lebe aber im Ausland, übrigens heiße ich im richtigen Leben Trinidad. Ich muss los, nochmals viele liebe Grüße, bis bald.«

Santiago war sich nicht sicher, ob er noch einmal antworten sollte und natürlich auch etwas neugierig geworden, wo die Schachpartnerin denn lebte.

In diesem Moment klopfte es an der Tür, die auch gleichzeitig aufging und ohne auf eine Antwort zu warten stand seine Mutter mitten im Raum, um ihn zum Abendessen zu rufen. Schnell machte er die Internetseite zu, schaltete den Computer aus, packte seine Unterlagen zusammen und so blieb er Trinidad die Antwort schuldig.

Natürlich verfolgte ihn die Frage und nur zu gerne hätte er gewusst, von wo sie ihm geschrieben hatte. Ausland – das war ein weiter Begriff; sie musste in Europa sein, sonst hätten sie sich nicht zu bestimmten Uhrzeiten verabreden können, ohne die Zeitzonen zu beachten.

Europa ist vergleichsweise klein, seine Fantasie groß und er stellte sich alles Mögliche vor, von Irland über Frankreich bis nach Griechenland. Gleich am nächsten Tag ging er wieder auf die Webseite und schrieb an Dornröschen:

»Hallo Trinidad, du hattest etwas von Ausland geschrieben, ich bin neugierig und würde gerne wissen, wo du bist und was du machst? Übrigens, ich lebe in Bosque, das nicht einmal auf allen Landkarten eingezeichnet ist, ein kleiner Ort in Asturias in der Nähe von Oviedo. Ich freue mich schon auf deine Antwort, liebe Grüße, Santiago.«

Es verging eine ganze Woche in der er täglich vergebens nachschaute, ob er eine Nachricht bekommen hatte. Doch die Nachrichtenbox blieb leer. Die Partie hatte er nicht gelöscht und auch keine neue mit einem anderen Schachpartner begonnen; er wartete auf Trinidad. »So etwas Unsinniges«, brummte er in sich hinein, »es kann mir egal sein, ob sie antwortet. Ich habe Wichtigeres zu tun und ohnehin keine Zeit, Schach zu spielen.«

Aber ging es ihm wirklich nur noch um Schach? Warum dachte er, wenn er in den Vorlesungen saß, an die Unbekannte im Ausland, von der er nur den Vornamen kannte, sollte dieser nicht frei erfunden gewesen sein. Nur weil ihn jemand gefragt hatte, wie es ihm ginge und erstaunt war, dass einer in seinem Alter noch studiere? Viele in seiner Umgebung fragten ihn, was also war das Besondere an den wenigen Zeilen von Trinidad?

Sicher spielte sein Wissensdurst über andere Länder eine Rolle. Er hatte eine Vorliebe für Reiseberichte aus aller Welt, hatte in seiner Kindheit bereits alles von Marco Polo bis Alexander von Humboldt gelesen und schaute im Fernsehen, wenn es gerade nichts über Geschichte oder einen interessanten Spielfilm gab, meist Reisesendungen an. Er war ebenfalls ein Fan des Programms »Españoles en el mundo«, in dem gezeigt wurde, wo überall auf der Welt seine Landsleute erfolgreich eine Arbeit und oftmals sogar die große Liebe gefunden hatten. Dabei konnte man viel über Geographie, Geschichte, Sehenswürdigkeiten, Sitten und Gebräuche, Land und Leute erfahren und Santiago war auf diese Weise durch die halbe Welt gereist. In Gedanken nahm er seinen Panamahut und seinen grün marmorierten Koffer und los ging es: Wien, Malta, Sardinien oder weiter weg nach Nepal, Südkorea oder Bora Bora.

»Eigentlich« kam ihm die Idee »ist es nicht normal und ziemlich unüblich über virtuelles Schachspiel private Kontakte zu knüpfen. Andererseits ist die Internet-Schachseite keine jener typischen Kontaktseiten, wo man Partner suchen und finden kann.« Trotzdem hatte er nun den Traum über diese seriöse Seite eine persönliche Beziehung mit Trinidad beginnen zu können, auch wenn er praktisch nichts von ihr wusste. Vielleicht hatte er zu viele Filme gesehen oder war er einfach nur zu romantisch an diesem Punkt seines Lebens? Aber es brachte ihn nicht weiter, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie würde schon antworten und wenn nicht, wäre es sicher besser so.

Er schob die trüben Gedanken beiseite und begann, sich voll und ganz auf die Vorbereitung für sein Abschlussprojekt zu konzentrieren, denn er war der Überzeugung, dass Dinge auftauchten, wenn man am wenigsten nach ihnen suchte oder sich Probleme lösten, wenn man am wenigsten über sie grübelte oder nachdachte.

Er hatte bereits die Grundplatte vorgebohrt und lackiert, denn darauf sollte die Szenerie montiert werden. Santiago nannte es Szenerie wie im Theater, obwohl es sich um ein sehr technisches Projekt mit Kabeln, Dioden, Widerständen, Schaltern, Dimmern, Transformatoren, Bewegungsmeldern und vielen anderen mit buntem Kunststoff überzogenen oder metallisch glänzenden Teilen handelte. Er verglich es mit dem Landschaftsaufbau für Modelleisenbahnen; davon hatte er immer geträumt und leider vergeblich jedes Jahr am 6. Januar gespannt gewartet, ob die Heiligen Drei Könige eine gebracht hatten, denn die Geschenke bringen die Könige in Spanien, nur ihm leider keine Modelleisenbahn.

Er konnte also seiner Fantasie freien Lauf lassen und auf diese Weise verpasste Kindheitsträume nachholen. Er hatte bereits im Vorfeld die Platte in Erdgeschoss und 1. Etage eingeteilt und den Grundriss der einzelnen Räume aufgezeichnet. In einem Spielzeugladen hatte er Zubehör für Modelleisenbahnen besorgt: Möbel, Dekorationsobjekte und vor allem Lampen, Lämpchen, Halogenträger, Spots und Leuchten, da es bei seinem Projekt um Illumination und Lichtplanung ging. Ein faszinierendes von ihm selbst gewähltes Thema. Die Mischung von direktem und indirektem Licht, Licht- und Schattenzonen sowie Lichtinseln, visuelle Differenzierung von Rezeption, Wartebereich und Behandlungsräumen. Die Lichtgestaltung für das Haus eines Plastischen Chirurgen sollte Professionalität ausstrahlen. Wichtig war es, den Wohlfühlfaktor für die Patienten durch Lichtstimmungen zu erhöhen, während im Wohnbereich die teuren Gemälde ins rechte Licht gerückt werden sollten: Für die Wendeltreppe, welche die beiden Etagen verband, musste die passende Beleuchtung integriert werden und jeder Wohnraum und Arbeitsraum wurde fast zu einem eigenen Mini-Projekt innerhalb des großen Ganzen.

Es steckte viel Kleinarbeit in dem Projekt und es dauerte Stunden, manche Ideen auf das halbfertig vor ihm stehende Modell umzusetzen. Er lötete gerade ein paar kleine Schalter an der Außenseite der Platte fest, eine eher mechanische Arbeit, die er perfekt beherrschte, als er überraschend im Unterbewusstsein das Klopfen eines Spechts wahrnahm – hatte er zu viel gearbeitet und inzwischen Halluzinationen? Da bemerkte er, dass es sich um einen Bericht aus dem Radio handelte, der im Hintergrund leise lief, ein Bericht über das Brutverhalten der Spechte – das konnte doch nicht wahr sein! Genau in jenem Moment als er einen entscheidenden Schritt mit seiner Arbeit vorangekommen war und das Projekt Gestalt annahm, drang das Klopfen eines Spechts aus dem Radio an sein Ohr – das war kein Zufall, sondern ein Zeichen, dass er auf dem besten Wege war. Es war als klopfte der Specht Beifall.

Santiago lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete den Stand der Dinge, es fehlte nicht mehr viel, einige Details, die er noch ändern wollte. Man konnte immer alles noch besser machen. Er schaute sich sein Modell an, ließ es auf sich wirken und fing an, mit den Schaltern und Steuerungen herumzuspielen. Die Sendung über Spechte war zu Ende und Musik war zu hören. »Ich glaub’ es nicht«, durchfuhr es ihn nach ein paar Sekunden, denn er erkannte das Musikstück bereits bei den ersten Takten: »Love Shine A Light«, ein Song von Katrina and the Waves, der im Jahr 1997 den Eurovision Song Contest gewonnen hatte. Das war doch sein Thema: Licht! Er hatte es seit Jahren nicht mehr gehört und ausgerechnet jetzt spielten sie es im Radio. Leider beherrschte Santiago die englische Sprache nicht, erinnerte sich aber sehr gut an eine Cover-Version von Christian Anders, die er auf einem Musikkanal als Video mit Untertiteln und spanischer Übersetzung gehört hatte:

»Liebe und Licht,

lass sie in dein Herz hinein,

lass das Licht Dich führen

und dein Herz berühren.

Glaub an die Liebe,

vertrau dem hellen Schein,

und lass Liebe und Licht

stets in deinem Herzen sein.

La, la, la la, lalalalalalalaaa … «

Obwohl er sich nicht mehr an den Wortlaut des deutschen Textes erinnerte, so war ihm der Inhalt noch in bester Erinnerung. »Aller guten Dinge sind drei«, kam es ihm in den Sinn und er ging auf die Schachseite: Der Specht, »Shine a Light« und wirklich, das rote Nachrichtensymbol blinkte, er hatte Nachricht von Trinidad.

»Hallo Santiago, entschuldige, dass ich nicht früher antworten konnte, nach dem Seminar bin ich krank geworden und bin erst heute wieder den ersten Tag bei der Arbeit. Ich habe Bosque auf der Landkarte gefunden und verrate dir nun auch, dass ich seit fünf Jahren in der Schweiz lebe. Ich arbeite im Park Hyatt in Zürich als Hotelmanagerin. Es war mein Traumjob und ich hatte Glück, die Stelle hier zu bekommen. Ich bin sehr zufrieden. Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich, man lernt viele interessante Menschen kennen, ich habe viele Freunde und verdiene gut; dennoch vermisse ich Spanien und vor allem Sevilla. Kennst du Zürich? Wann wirst du mit deinem Studium fertig und was willst du danach machen? Hast du schon weitere Pläne? Viele liebe Grüße, Trinidad. PS: Ich habe gerade einen guten Zug in unserer Partie gemacht.«

»Hallo Trinidad, ein wirklich guter Zug, aber leider hast du meinen Läufer übersehen, der jetzt deinem König Schach bietet. So, du lebst also wie ›Heidi‹ in der Schweiz, das finde ich toll. Ich wollte immer schon einmal die Schweiz, Österreich und Deutschland kennen lernen, aber zu meinem Bedauern war ich noch nie im Ausland. Nur einmal als kleiner Junge bin ich mit meinen Eltern zu Verwandten nach Portugal gereist. Zurzeit befinde ich mich in der Endphase von meinem Abschlussprojekt, es fehlen mir noch einige Feinarbeiten, doch wenn alles glatt geht, werde ich in drei Monaten Ingenieur für Elektrotechnik sein.

Wahrscheinlich werde ich danach erst einmal ein paar Monate mit einem Kollegen zusammen wie bisher weiterarbeiten und alle angefangenen Aufträge zu Ende bringen, denn ich habe vor und während meines Studiums als Elektriker gearbeitet.

Auch möchte ich etwas ausspannen, bevor ich eine neue Arbeit anfange; voraussichtlich begebe ich mich mit einem Freund auf eine größere Bergtour. In der Natur kann ich mich herrlich entspannen. Wir haben hier ganz in der Nähe die Picos de Europa, die natürlich nicht die Schweizer Alpen sind, doch sind sie nicht zu unterschätzen. Ich kann dir gerne irgendwann Fotos schicken, hast du eine E-Mail-Adresse? Meine Adresse ist zimmermannsvogel@hotmail.com. Es wäre schön, wenn wir … «.

»Fehler – es können nur Nachrichten bis 200 Zeichen versandt werden.«

»Ich noch einmal: Gerade als ich dir vorschlagen wollte, dass es doch schön wäre, wenn wir in Kontakt blieben und ich dir meine E-Mail-Adresse mitgeteilt hatte, musste ich schnell die halbfertige Nachricht schicken, um sie nicht zu verlieren. Ich hätte noch viele Fragen, aber ich warte erst einmal ab, ob du überhaupt E-Mails mit mir austauschen möchtest. Ich würde mich riesig freuen. Liebe Grüße, Santiago.«

Am nächsten Tag sah er, dass Trinidad einen weiteren Zug in der Partie gemacht, jedoch nicht auf seine Nachrichten geantwortet hatte. Er öffnete die Partie, sah … und setzte mit seiner schwarzen Dame ihren weißen König schachmatt.

Das Warten ging weiter und er überlegte sich, ob er sie nicht einfach so hätte schachmatt setzen sollen, er hätte sie darauf hinweisen können, Abzugsschach zu spielen und sie hätte mit ihrem weißen Turm seine schwarze Dame angreifen können; nachdem sie auch dies übersehen hatte, blieb ihm keine andere Wahl.

Er schloss die Seite und nahm sich fest vor, ein paar Tage nicht nachzuschauen; seinen Posteingang kontrollierte er natürlich täglich: »Ich muss meine E-Mails checken«, sagte er sich, als müsse er sich vor sich selbst rechtfertigen; er wartete nicht nur auf eine Nachricht von ihr, sondern ebenfalls auf Antworten von seinem Professor, um in seinem Projekt weitere Details einzupassen.

Also konzentrierte er sich wieder auf die Fertigstellung von seinem Modell, was das Wichtigste für ihn in diesem Moment war. Er musste nur noch drei Tage pro Woche zur Fachhochschule, den Rest der Zeit konnte er mit Amador arbeiten, an seinem Modell basteln, seinen Eltern und Nachbarn helfen oder aber auch einfach nur im Garten sitzen, die Landschaft betrachten oder eine Siesta schlafen und ein paar Wochen vorbeiziehen lassen.

Sein Computertisch befand sich direkt an der Wand. Er hatte keinen Ausblick ins Freie, links neben ihm die Zimmertür, rechts ein großer dunkler Wandschrank. Er hatte gerade sein E-Mail-Programm geöffnet, da ging fast geräuschlos die Zimmertür auf, als wäre diese mit dem Computer verbunden.

»Witzig«, ging es ihm durch Kopf und es schob sich der Kopf seiner Mutter durch die Türe, nur so weit geöffnet, dass der Blick ins Zimmer frei war. Der zum Kopf gehörende Körper stand noch draußen auf dem Flur.

»Ich dachte, du wärst nicht zu Hause«, stammelte die verdutzte Mutter und zog die Tür wieder zu.

»Es wird immer besser«, dachte er, »warum schaute sie vorsichtig ins Zimmer und war überrascht, wenn sie meinte ich sei nicht da? Was suchte sie? Wollte sie mich kontrollieren?«

Er kannte dieses Verhalten sehr gut, schmunzelte in sich hinein, doch gleichzeitig nervte es ihn gewaltig. Er war kein kleiner Junge mehr, den man bei den Hausaufgaben kontrollieren musste. Er atmete drei Mal tief durch und öffnete endlich seine E-Mails:

»Hallo Santiago, es tut mir leid, mich nicht mehr gemeldet zu haben, ich war zu beschäftigt, man hat mir einen größeren Verantwortungsbereich übertragen und ich hatte abends einfach keine Zeit und Lust mehr, mich noch einmal an den Computer zu setzen. Du hast mich also besiegt, Glückwunsch, du bist wirklich ein ausgezeichneter Spieler und ein Siegertyp! Ich kann mir gut vorstellen, dass auch du in der Zwischenzeit sehr beschäftigt warst. Wann bist du fertig mit deinem Projekt? Was hast du sonst noch gemacht? Ich schicke dir ein paar Fotos von hier und einen Link zum Hotel, in dem ich arbeite. Liebe Grüße, ich umarme dich, Trinidad.«

»Sie umarmt mich«, blieb es Santiago im Gedächtnis, den ganzen Tag, die halbe Nacht und ebenfalls am nächsten Tag ging das Bild nicht weg. Dabei hatte er überhaupt kein Bild, keine Vorstellung, wie Trinidad aussah. Sie hatte einige Fotos geschickt: Zürichsee, Grossmünster, Urania Sternwarte, Lindenhof und andere Sehenswürdigkeiten. Alles höchst interessant, vor allem die Sternwarte erweckte besonders seine Aufmerksamkeit, darüber müsse er mehr im Internet lesen. In einem zweiten Anhang waren Fotos vom Berner Oberland, dem Jungfraujoch und vom Titlis, eindrucksvolle Berglandschaften, die er sich lange und ausgiebig betrachtete. Er bekam richtig Lust, endlich wieder die Berge hautnah zu erleben und überlegte, ob er nicht gleich eine E-Mail an seinen Freund Carlos schreiben sollte, denn alleine wollte er nicht gehen, obwohl er das oft in der Vergangenheit getan hatte. Er kannte die Berge, seine Picos und brauchte niemanden, der ihn führte oder ihm Gesellschaft leistete.

Er konnte stundenlang Vorträge halten über die drei Teilmassive: das westliche Cornión, das zentrale Urrieles und das östliche Ándara. Die Picos sind ein kompaktes Faltengebirge mit etwa 200 Gipfeln über 2000 Metern Höhe. Erstaunlich ist die Nähe der höchsten Berge zum Atlantik, nur etwa zwanzig Kilometer.

Am Ende der E-Mail fand er noch den Link zum Hotel von Trinidad, als hätte er ihn gebraucht! Als er nichts von ihr gehört hatte, hatte er sich natürlich auf die Suche im Internet begeben; den Namen ihres Hotels hatte er schließlich und fand auch die Webseite, leider ohne Foto der Hotelmanagerin.

Momentan war er nicht in der Stimmung, ihr zu antworten und so schrieb er zunächst an seinen Freund, der ihm auch prompt antwortete und eine dreitägige Bergtour wurde vereinbart.

Santiago fing rechtzeitig an, alles für die Tour vorzubereiten und schrieb lediglich ein paar Zeilen an Trinidad, um sie zu informieren, dass er in die Berge gehen werde, bedankte sich für die schönen informativen Fotos und versprach, sich nach seiner Rückkehr zu melden und ihr die schönsten Fotos von der Tour zu schicken.

… Verdutzt blickte die Prinzessin den Frosch an und dieser wiederum aus der verzierten Schachtel heraus. Was wollte er ihr mitteilen? Er heftete seinen Blick einmal auf sie und sogleich danach auf eine Ecke der Schachtel; dieses Spiel wiederholte er drei Mal bis die Prinzessin selbst in jene Ecke blickte und etwas Glänzendes entdeckte, auf das sie vorher nicht aufmerksam geworden war. Sie näherte sich und bewegte ihre feine, elegante Hand vorsichtig und langsam in die Schachtel hinein, denn sie wollte den Frosch nicht verschrecken, und nahm den Gegenstand heraus: eine goldene Kugel.

Welch’ große Freude empfand die Prinzessin, weil sie sich immer schon genau so eine Kugel gewünscht hatte. Freudig warf sie diese in die Luft, einmal, zweimal, doch beim dritten Mal griff sie daneben und die Kugel fiel zu Boden und zerbrach in zwei Teile. Die Prinzessin war bestürzt, kniete sich auf den Perserteppich nieder, um über ihr Unglück zu weinen und erspähte neben der zerbrochenen Kugel … ein goldenes Ringlein mit einem wunderschön schimmernden Smaragden. Die Kugel musste es bei Aufbersten auf den Marmorboden freigegeben haben. Andächtig steckte sie sich den Ring an den Finger und er glänzte und funkelte nochmal so viel. Jetzt liefen ihr Tränen des Glücks über die Wangen. Ein Diener kam herbei gesprungen, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein, hob auch die beiden Kugelhälften vom Boden auf und siehe da … sie verschmolzen in seiner Hand wieder zu einer Kugel, die er mit untertäniger Geste der Prinzessin übergab.

Diese nahm voller Freude die Kugel und machte sich auf den Weg in den königlichen Garten, der Frosch folgte ihr und setzte sich neben sie auf eine Bank. Die Prinzessin dachte laut vor sich hin: »Wer mir wohl diese Kugel und den wertvollen Ring gesandt hat? Bei wem soll ich mich bedanken und warum verbirgt sich der Absender hinter einem Frosch als Überbringer?« Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie ganz nebenbei den Frosch gestreichelt hatte, denn plötzlich durchzuckte es die Prinzessin, als dieser aufsprang und davonhüpfte.

Sie verlor ihn rasch aus den Augen und konnte ihm nicht folgen, aber schon nach kurzer Zeit kam er zurück und legte eine kleine Pergamentrolle neben sie. Sie nahm das Schriftstück und sah, dass es mit dem Siegel des Prinzen von Hohen-Aschach versehen war. Sie streichelte den intelligenten Frosch erneut, der anscheinend ihre Sprache verstand, und hatte eine märchenhafte Idee …

In dieser Nacht mischten sich in Santiagos Träume Teile aus dem Märchen: Die Prinzessin war gleichzeitig Dornröschen mit Namen Trinidad, sie trug einen goldenen Armreif, den er ihr geschenkt hatte und er sah sogar, dass der Armreif eine Gravur trug, die er aber nicht entziffern konnte. Sie saß neben ihm in der Sternwarte und gemeinsam schauten sie in den Nachthimmel und suchten sich einen Stern aus.

Auf dem Weg in die Berge erzählte er Carlos von seinem Studium, seinem Abschlussprojekt, der Schachseite, dem Zimmermannsvogel und dem Lied über Licht und Liebe und von Trinidad. Carlos war nicht ganz so erfahren als Bergwanderer wie er, Psychologe und ein guter Zuhörer und irgendwie brauchte Santiago einen aufmerksamen Zuhörer. Er hörte ihm interessiert zu und bemerkte am Schluss:

»Mein lieber Santi, ich glaube, du bist drauf und dran dich zu verlieben. Von Herzen wünsche ich dir eine glückliche Beziehung, aber sei vorsichtig, man weiß ja nie. Du hast sie nie gesehen, nie mit ihr gesprochen, du kennst sie überhaupt nicht. Sie kann verheiratet sein, Kinder haben, ist womöglich überhaupt keine Hotelmanagerin. Schließlich hast du keinen Hinweis auf der Webseite gefunden. Vielleicht hat sie alles nur erfunden und lebt sogar in Bosque? Ich rate dir zur Vorsicht und nimm dir Zeit, um sie besser kennen zu lernen.« Und er fügte hinzu: »Du könntest sie doch anrufen, wenn wir zurück sind und von unserer Bergtour berichten. Aus der Stimme lässt sich einiges heraushören. Wirkt sie sympathisch? Fühlst du dich wohl, wenn du mir ihr sprichst?«

Sie unterhielten sich auch über vieles andere, aber irgendwie kamen sie immer wieder auf das eine Thema zurück. Sie schritten zügig voran, immer höher hinauf und wollten vor Einbruch der Dunkelheit die Berghütte unbedingt noch erreichen. Doch das Wetter in den Bergen war tückisch. Urplötzlich begann es zu regnen und sie suchten Schutz vor dem aufkommenden Unwetter unter einem Felsvorsprung. Dadurch verloren sie viel Zeit und die Nacht brach herein, ohne dass sie eine Chance hatten, die Hütte zu erreichen. Beide hatten sich nun voll auf das zu konzentrieren, was sie taten. Es war nicht der richtige Moment für eine entspannte Unterhaltung; sie bedachten jeden Schritt und kontrollierten genau jede Bewegung und Carlos hatte Angst, ja wirklich richtig große Angst. Dank Santiagos Erfahrung und seinem umsichtigen, überlegten Handeln überstanden sie heil die prekäre, durch Steinschlag und Absturzgefahr lebensbedrohende Situation. In Zukunft hatten sie ein Abenteuer mehr zu erzählen. Am nächsten Morgen schien die Sonne als sei nichts gewesen und sie erreichten erleichtert das Gipfelkreuz. Die Nacht verbrachten sie bequem in einer Hütte. Insgesamt waren sie drei Tage unterwegs. Die zweite Nacht gestaltete sich zum Glück weniger lebensbedrohlich und spektakulär.

Santiago nahm sich vor, Trinidad ausführlich davon zu berichten, denn so etwas wie in dieser ersten Nacht in den Bergen war ihm selten passiert. Er hatte die Wetterbedingungen genau studiert, Regen war nicht vorhergesagt, es war auch eher ein Wolkenbruch, der sich unglücklicherweise zu drei Stunden starkem Regen ausdehnte und wertvolle Zeit kostete.

Auf der Tour waren viele gute Fotos entstanden, auch etliche von Carlos und Santiago im Porträt mit dem Bergpanorama im Hintergrund: natürliche Bilder der beiden in Bergkleidung, mit Rucksack, Rangerhut und Drei-Tage-Bart. Santiago gefiel sich selbst auf den Fotos, was ihm Carlos lachend bestätigte.

Nach der Rückkehr aus den Picos überprüfte er voller Erwartung seine E-Mails: nichts. Dennoch fing er an, einen Entwurf zu schreiben, wollte sich genügend Zeit lassen, die passenden Fotos in Ruhe auswählen und musste letztendlich noch warten, bis Carlos ihm die Fotos schickte, auf denen er selbst zu sehen war. Er dachte, es sei eine gute Möglichkeit, sie indirekt nach einem Foto zu fragen, ohne aufdringlich zu wirken: Er würde einfach Fotos von sich unter die reinen Bergaufnahmen mischen und sehen, ob sie dann fairerweise auch ein Bild von sich schicken würde.

Santiagos Bericht las sich fast wie eine dramatische Szene aus einem Bergroman von Ludwig Ganghofer oder einem Luis-Trenker-Film:

» … Carlos wurde nervös. So kannte ich ihn gar nicht, denn er ist ein ruhiger und besonnener Typ, der sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lässt, aber ich spürte, dass er Angst hatte und sich nicht zu helfen wusste. Wir waren erschöpft, die Hütte war unmöglich zu erreichen und wir mussten dringend ein paar Stunden schlafen. Carlos konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und nickte ein paar Mal ein, rutschte unversehens aus, ich konnte ihn gerade noch sichern. Wir befanden uns an einem steilen Stück, dessen Ende nicht in Sicht war, es war schon viel zu dunkel. Ich nahm eins der beiden Seile, die bei einer Bergtour zur Grundausrüstung gehören, und forderte Carlos auf, der langsam leicht hysterisch wurde, sich gegen einen kahlen Baumstamm zu lehnen, der vom Wind gepeitscht in eine Richtung geneigt war, und band ihn fest, danach wickelte ich das Seil um mich herum, und sicherte uns auf diese Weise. So konnten wir schlafen, ohne dass die Gefahr bestand, den steilen Abhang hinunterzurollen und am Ende in die Schlucht abzustürzen. … «

Die Fotos von Carlos waren gelungen, er wählte drei aus, fügte sie den übrigen hinzu und schickte die E-Mail ab, rechnete allerdings damit, dass es wieder Tage dauern würde, bis eine Reaktion käme.

Doch hatte er sich getäuscht, denn die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und war komplett anders, als er erwartet hatte: Er fand nicht nur drei Fotos von Trinidad im Anhang, sondern unter dem Text stand außerdem noch ihre Telefonnummer und eine Adresse. Er hatte den Text selbst noch gar nicht gelesen, betrachtete nur die Bilder: ein Porträt, auf dem sie ein Kostüm trug und sehr professionell und seriös wirkte; eines in Flamencotracht in Sevilla, auf dem sie bezaubernd lächelte; das letzte in Freizeitkleidung mit fröhlichem Lachen, in Begleitung eines Dalmatiners.

Santiago war hin- und hergerissen, schaute abwechselnd mit großen Augen auf den Text und die Fotografien und konnte überhaupt nicht realisieren, dass sie ihm wirklich ihre Telefonnummer und Adresse anvertraut hatte. Das bedeutete, dass er sie anrufen durfte? Ihre Stimme, ihr Lachen hören konnte? Mit ihr reden konnte und sie näher kennen lernen konnte? Über die Adresse wollte er erst gar nicht nachdenken. Sogar ihren Geburtstag hatte sie ihm verraten. Seine Gedanken überschlugen sich und er stellte bei einem Blick auf den Kalender fest, dass ihr Geburtstag schon in drei Wochen war.

Beim Essen sprach er entgegen seiner Gewohnheit kaum ein Wort, sondern grübelte und reflektierte, da er dringend Ordnung in seine Gedanken bringen musste, er hatte zur Zeit zu viel im Kopf: Trinidad, sein Abschlussprojekt und noch die Prüfung zum Dritten Dan in Karate.

Auf die hatte er sich nebenbei in den letzten Wochen vorbereitet und beschloss, am nächsten Tag zum Training zu gehen, denn dort konnte er abschalten und sich auf seinen Sport konzentrieren. Falls er die Prüfung bestand, so würde ihm das genug Energie für die letzte Phase seines Projekts geben und sicher würde ihm auch die Erleuchtung kommen, wie er sich mit Trinidad weiter verhalten sollte. Am Anfang jeden Trainings stand eine Viertelstunde Zen-Meditation nach dem Motto »Die Kraft des Geistes ist grenzenlos, die Kraft der Muskeln begrenzt.« auf dem Programm. Durch Meditation gelingt es, den Geist, die Kraft und die Konzentration innerhalb einer Sekunde auf den Punkt zu bringen und damit beispielsweise Holz- oder Steinplatten mit der bloßen Hand zu zerschlagen.

Auf dem Weg ins Trainingsstudio kam Santiago an einem kleinen Geschäft vorbei, welches vor einiger Zeit in der Straße eröffnet hatte, aber nie hatte er ihm größere Beachtung geschenkt, weil er es meist eilig hatte. Es war eine Art Schmuckgeschäft, jedoch keines der klassischen Art. Er blieb stehen und warf zum ersten Mal einen Blick ins Schaufenster: »Personalisieren Sie Ihre Schmuckstücke selbst«, stand da und es lagen einige runde und längliche Plättchen in Gold und Silber aus, auf denen ein Spruch oder ein Symbol eingraviert war und die rechts und links von aus bunten Schnüren gewebten Bändern gehalten wurden, wie sie derzeit in Mode waren. Er hatte schon viele unbewusst gesehen, die solche Armbänder, Freundschaftsbänder trugen, aber man sieht wohl nur, was man kennt. Er selbst trug außer seiner Uhr keinen Schmuck und sein mangelndes Interesse an diesem Thema rührte sicher daher. Aber die Idee fing an, ihm zu gefallen: So etwas wäre wohl keine große Investition, dachte er sich, aber ein geeignetes persönliches Geschenk, und so betrat er das Geschäft.

Eine freundliche junge Dame begrüßte ihn und fragte, ob sie ihm etwas Bestimmtes zeigen könne, doch er hatte keine so rechte Vorstellung. Silber sollte es sein, denn er hatte auf einem der Fotos einen silbernen Anhänger gesehen. Und rund sollte es sein, eine harmonische Form. Die Verkäuferin war zuvorkommend und hilfsbereit; sie zeigte ihm Muster mit Symbolen und Textbeispielen, die man gravieren konnte. Sprüche wie Carpe Diem fand er zwar gut, aber sie schienen ihm zu häufig verwendet und nicht passend für ein erstes Präsent. Da fiel sein Blick auf einen Frosch mit einer Krone – zu kitschig?

Die Beraterin bekräftigte, dass dieses Motiv überhaupt nicht kitschig sei, da Frosch und Krone sehr abstrakt skizziert waren und guten Anklang bei den Kunden fanden. Santiago dachte an das Märchen, das er gerade las, wählte für das gewebte Armband eine angenehme dunkelrote Farbe aus, die ihm adäquat erschien. An den beiden Schnurenden, welche zum Verknoten am Armgelenk dienten, waren als Abschluss zwei silberne Kügelchen befestigt. Er war mit seiner Wahl zufrieden und kam fast zu spät zum Training.

Am anderen Tag ging ein kleiner gepolsterter Briefumschlag mit einer Ansichtskarte der Umgebung – Berge, Meer, grüne Wiesen – wenigen etwas unbeholfenen Zeilen und dem Wort Besos drunter, was soviel heißt wie Küsse und die in Spanien übliche Verabschiedung in Briefen unter Freunden ist, auf den Weg in die Schweiz.

Der Zimmermannsvogel

Подняться наверх