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Mit leerem Blick starrte Bob durch das Schaufenster, jedes Mal angestrahlt von dem warmen rollenden Licht des Kopierers, wenn das Gerät seinen Handzettel klonte.

Statt des traditionellen Bewerbungstextes, den Mary mit Sicherheit vor Augen gehabt hatte, hatte Bob einen Text kreiert, in dem er für seine Idee der vollbiologischen Schädlingsvernichtung warb. Mit so einem Handzettel war garantiert, dass er nicht durch seriöse Jobangebote belästigt wurde, und außerdem, so dachte er, bestand immer die Chance, dass sich jemand bei ihm meldete, der sich für sein Konzept interessierte. Schließlich hatten Amerikaner zu verschiedenen Zeitpunkten geglaubt, Polyester, Käseersatz/Ersatzkäse und Richard Nixon seien alles tolle Ideen, wieso sollten sie sich da nicht mal auf eine wirklich gute Idee einlassen?

Die erste Fassung von Bobs Text war mit zu viel wissenschaftlicher Terminologie überfrachtet, und er fand, dass das Ganze viel zu sachlich war und nicht genug Pep hatte, wie die Werbefachleute so was nannten. Also änderte er den Entwurf, wählte jetzt eine knappe, markige Schreibe und einen packenden Blickfang, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu erregen. Zu diesem Zweck hatte er den Handzettel als Piratenflagge entworfen – weißer Totenschädel mit gekreuzten Knochen auf schwarzem Hintergrund. Der Text, der über den Totenschädel gedruckt war, lautete folgendermaßen:

Zufrieden mit seinem neuen Design, wartete Bob geduldig darauf, dass die Maschine ihm die fünfzig Kopien für seine begrenzte Direktversand-Kampagne lieferte. Während das Gerät vor sich hin summte, starrte Bob durch das Schaufenster und dachte über seine Zukunft nach.

Trotz seines unbeirrbaren Optimismus war Bob Realist genug, um zu wissen, dass es nicht leicht sein würde, sein Ziel zu erreichen. Mary hatte was erwähnt, dass an die siebzig Prozent aller Geschäftsneugründungen innerhalb der ersten sechs Monate scheiterten. Weitere zwanzig Prozent gingen innerhalb eines Jahres den Bach runter. Blieben noch zehn Prozent, um mit harter Arbeit, ein bisschen Glück und der Wahl der richtigen Gelben Seiten Erfolg zu haben. Das Schlimmste war, dass Bob sich nicht einmal für dieses knallharte Rennen qualifizieren konnte, wenn es ihm nicht gelang, die perfekte Mordwanze herbeizukreuzen.

Und selbst wenn Bob mit einem Frankensteinkäfer aufwarten konnte, der wirklich funktionierte, brauchte er trotzdem noch zwei Dinge: verseuchte Gebäude und einen kooperativen Immobilieneigentümer. Ersteres wäre in dieser Stadt leicht genug zu finden, Letzteres – na ja, er arbeitete daran. Wenn er nur diesen Termin bei Mr. Silverstein bekommen könnte.

Es gab eine Menge »wenns« zwischen hier und Bobs Traum, etwa so viele wie Schlaglöcher auf der West 5th Street.

Bob war von dem Gesumme und dem Rhythmus des Kopiergeräts so fasziniert, dass er den Typen mit der KÄFER-EX-Baseballmütze gar nicht bemerkte, der die Bedford Avenue überquerte und dann auf dem Bürgersteig stand und Bob zuwinkte. Schließlich klopfte der Mann gegen die Scheibe und riss Bob wieder in die Wirklichkeit zurück. Bob grüßte ihn mit einem Lächeln.

Es war Johnny Meehl, ein einfacher Typ aus Brooklyn, der mit Bob zusammengearbeitet hatte. Johnny stapfte in den Kopierladen.

»Yo, Bobby-Boy, wie läuft’s so? Siehst ein bisschen bedusselt und verwirrt aus.«

»Hey, Johnny, kopier grade meinen Bewerbungstext.«

»Wieso das denn?«, fragte Johnny. »Ich dachte, du machst dich selbstständig, nachdem du Rick gesagt hast, er soll sich verpissen.«

»Ja, ich arbeite dran. Diese Dinge brauchen Zeit, verstehst du?« »Das hab ich gehört«, sagte Johnny, als er einen der Handzettel las. »Hör mal, bist du hier bald fertig? Wie wär’s, wenn wir danach auf ein kaltes Bier zu ›Freddie’s‹ rübergehen?«

»Liebend gerne, Johnny, aber ich bin völlig abgebrannt.«

»Hey, ich will keine Ausreden hören. Geht auf meine Rechnung.«

Bob dachte, ein Bier, das er nicht bezahlen musste, wäre genau das Richtige für ihn, und so stapelte er voller Vorfreude die warmen Kopien seines Flugblatts zusammen mit ein paar Umschlägen und Briefmarken und verließ mit Johnny den Laden.

Neben dem Kopierladen befand sich »Freddie’s Tavern«, das nicht gerade eine Schickimicki-Bar war. Die Kundschaft bestand aus Meistern der Verdrängung. Hier gab’ s keine Ehefrauen oder Freundinnen; Ko-Abhängigkeit war das unbenutzte geheime Passwort und billiges Bier vom Fass die einzige Hilfe zur Selbsthilfe.

Das Dekor war Standardausrüstung: Poster von verschiedenen New Yorker Sporthelden, die üblichen Neon-Bierschilder und elektrisches Brimborium mit Bierwerbung. Und hinter der Theke klebten Hunderte von Polaroid-Schnappschüssen von Gästen in verschiedenen Stadien der Trunkenheit.

Bob und Johnny saßen an der Theke hinter zwei leeren Krügen, während sie sich gerade durch einen dritten durcharbeiteten. Johnny ergriff den Krug und saugte geräuschvoll dran. Einen Moment später gab er ein ungeheures AAARRRRRRRRRRRRRR-RUP! von sich.

»Jeder Schuss ein Treffer!«, kommentierte Bob.

Das fanden die beiden Schädlingsvernichter zum Schießen, und sie lachten und klopften sich gegenseitig auf die Schulter und benahmen sich insgesamt so, wie Männer es in solchen Kneipen zu tun pflegen.

Als eine kleine Kakerlake über den Boden der Bar huschte, kam Bob ein bierseliger geschäftlicher Vorschlag in den Sinn. Er wandte sich zum Barkeeper: »Yo, Freddie, weißt du, dass du Kakerlaken hast? Du solltest mich engagieren. Ich mach mich selbstständig.«

»Hey, das gehört zur Atmo«, erklärte Freddie. »Ich misch mich da nicht ein. Wollt ihr Typen noch eins?«

In dem Moment fiel Bob auf, dass das Leben schön war. Er hatte eine wunderschöne Frau und ein Kind, einen Freund, der das Bier bezahlte, und – am allerwichtigsten – er hatte einen Traum. Natürlich, nach drei Krügen Budweiser hat das Leben die Tendenz, schön auszusehen, egal wie die Dinge wirklich sind, das ist schließlich der Sinn des Biertrinkens.

Als Krug Nummer fünf zur Hälfte geleert war, begannen Bob und Johnny die philosophischen Implikationen zu diskutieren. Johnny, der keinen akademischen Abschluss in Philosophie besaß, wartete trotzdem mit einer Analyse auf: »Issalb leer ...« Bob, der einmal eine Vorlesung über den Existenzialismus besucht hatte und daher qualifizierter war, sich mit derartigen gewichtigen Konzepten zu befassen, konterte mit: »Issalb voll ...«

Die Debatte wütete weiter.

»Du bis’ bloß son Opmotis … son Otpomis … son Op ... Du siehs’ die Dinge immer vonner guten Seite.«

»Der Optimist«, nuschelte Bob, »sieht den Krapfen, und die Brezel sieht das ... Moment, das stimmt nicht.« Bob hielt einen Augenblick inne und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. »Der Optimist sieht die Brezel, und der Pessimist sieht – das Loch. Ich weiß nicht, wieso ich auf Krapfen gekommen bin.«

»Ich weiß, wo’s Super-Krapfen gibt!«, sagte Johnny.

»Neinneinnein. Krapfen haben nichts damit zu tun. Wovon haben wir grade gesprochen?«, fragte Bob. »Ach ja, jetzt weiß ich’s wieder ... Ich will dich mal was fragen, Johnny ... Was willst du eigentlich vom Leben?«

Das war so eine Frage, um die sich Johnny gewöhnlich nie kümmerte, also ließ er sich jetzt etwas Zeit, um mal ernsthaft drüber nachzudenken. Nach einigen Sekunden war ihm die Antwort klar.

»Weiß nich, alles, was ich so hab, schätz ich. Job, Familie, Kabel. ‘ne Satellitenschüssel wär schön, ab und zu mal ‘n paar gute Hockey-Karten. Und du?«

»Alles, was ich vom Leben haben will, ist mein eigener Kombi mit einer von diesen großen Glasfaserwanzen obendrauf. Verstehst du, was ich meine?«

Bestätigend nickte Johnny. »Ich weiß genau, was du meinst, Mann, wär das super. Aber wie zum Teufel willst ‘n den kriegen? Die verschenken die nich einfach so.«

»Hab ich dir doch schon gesagt, ich mach mich selbstständig. Eine brandneue Idee, Bobs Vollbiologische Schädlingsvernichtung. Viecher ohne Chemie töten.«

Johnny, der in den vergangenen zehn Jahren für ein Dutzend Schädlingsvernichtungsbetriebe gearbeitet hatte, wies darauf hin, dass das nicht gerade eine neue Idee sei: »Für so was is’ da draußen ‘ne Riesenkonkurrenz.«

Während der nächsten zwanzig Minuten diskutierten sie über die Vorzüge anderer nicht chemischer Methoden, Haushaltsschädlinge zu eliminieren.

Es gab ein altes elektronisches Gerät, das Ultraschalltöne abgab und die Wirkung haben sollte, dass Haushaltsschädlinge das Gelände fluchtartig verlassen. Aber nachdem man entdeckt hatte, dass Mäuse in den Geräten nisteten, zog der Staatsanwalt den Hersteller aus dem Verkehr.

Es gab andere, technologisch solidere Methoden der Schädlingsvernichtung, einschließlich Mikrowellen, supererhitzter Luft, flüssigen Stickstoffs und Elektroschocks. Aber Bob kannte ihre Nachteile.

Die Probleme wurden in einer von der Uni Berkeley durchgeführten Studie enthüllt. Diese ergab, dass bei Mikrowellenbehandlung acht Prozent der Termiten noch am Leben waren, während die Holzverkleidung akut verbrannt war. Bei dem Elektrogewehr, einem Gerät, das erhebliche Stromstöße abgab, blieben sogar zwanzig Prozent der Termiten am Leben.

Einige Schädlingsvernichter arbeiteten mit extremer Hitze oder Kälte, um Insekten zu vertilgen. Flüssiger Stickstoff funktionierte, indem man die Schädlinge auf eisige zweihundertneunzig Grad unter Null abkühlte, aber man musste dafür Löcher durch sein Haus bohren, und es neigte dazu, Trockenmauern zu wellen. Supererhitzte Luft erhöhte die Innentemperatur von tragendem Holz bis auf fast hundertneunzig Grad. Das tötete die Insekten, die der Hitzequelle am nächsten waren, aber andere überlebten. Außerdem verzog sich das Holz.

Das Problem war, dass diese Methoden in erster Linie termitenspezifisch waren, und bei einigen blieben genug Viecher übrig, die sich vermehren konnten, sodass das Ganze wieder von vorne anfangen konnte. Ein anderes Problem war – und für Bob war das das Wichtige –, dass jemand anders sie schon erfunden hatte.

Bob gab sich große Mühe, seinem Freund die vollbiologische Idee zu erläutern, aber Johnnys begrenztes Wissen über Insekten war ein Hindernis.

»Wie heißen die Viecher noch mal?«, fragte Johnny.

»Mordwanzen. Die sind von der Familie Reduviidae.«

»Nie gehört«, meinte Johnny. »Sicher, dass du das nicht alles erfindest? Ich meine, ich arbeite mit so Viechern, man könnte annehmen, ich hätte von denen schon mal gehört.«

»Wenn du mir nicht glaubst«, sagte Bob, »solltest du mal meine Werkstatt besuchen, die ist voll mit denen. Das sind ganz gemeine Dreckskerle!«

»Und du kreuzt die? Mann! Pass lieber auf, du fummelst mit Mutter Natur rum«, warnte Johnny.

»Hey, das ist alles natürlich«, wehrte Bob ab. »Na ja, okay, ich geb zu, ich muss eine Wanze schaffen, die es noch nicht gibt, aber ansonsten ist alles ganz natürlich. Keine chlorierten Kohlenwasserstoffe oder organische Phosphate, die das Grundwasser vergiften oder dein Nervensystem versauen.«

»Hey! Was hast’n gegen chlorierte Kohlenwasserstoffe?« Johnny zeigte auf das Zucken an seinem rechten Auge. »Machst du dich darüber lustig?«

»’türlich nich!«, sagte Bob. »Fällt kaum auf.«

»Ja, dann will ich dir mal was erzählen, Kumpel. Dieses Zucken hat zwei Kinder durch die staatliche Schule gebracht!«, sagte Johnny. »Und ich würde noch mal zwei durchbringen, wenn ich noch welche haben könnte.«

Johnny hielt inne, als ihm beinahe klar wurde, was er da sagte. »Was bist du überhaupt für einer, einer von diesen Umweltspinnern?«

»Von wegen. Ich versuch nur, ‘n eigenen Laden aufzuziehen, weiter nichts. Is’ ne verdammt gute Idee, weißt du das? Wenn sie funktioniert, bin ich reich.« Bob schlürfte sein Bier. »Aber wie du gesagt hast, die verschenken diese Wagen nicht gerade, mit den großen Wanzen drauf«

»Also«, kombinierte Johnny, »schätze, die Frage is’, wo kriegste genuch Geld her für dein Kombi?«

»Ich schätze, ich brauch ‘n Job«, sinnierte Bob.

»Du hattest doch ein’.«

»Nein, ich brauch einen, der mehr Kohle bringt.« Er sah zu Freddie, der am anderen Ende der Theke hockte und Zeitung las. »Hey, Freddie, is’ das ‘ne Sonntagszeitung? Gib mir mal den Anzeigenteil.«

Freddie schob den dicken Anzeigenteil die Theke hinunter, wobei er unterwegs eine Schale Erdnüsse umstieß.

Johnny schlug die Zeitung aufs Geratewohl auf und fokussierte seinen Blick dergestalt, dass er lesen konnte. Bald benahm er sich so, als wäre er auf eine Goldmine gestoßen.

»Hey«, rief er, »wie hört sich das an: sechshundertfünfzig die Woche, Teilzeit?«

»Verdammt gut«, sagte Bob. »Was ist das für ein Job?«

»Ähh, das ist ... ähh, oh. Nichts für dich. Bauchtanz.«

»Hey«, meinte Bob. »Würde mich interessieren, ob Käfer-EX versucht, einen Ersatz für mich zu finden.« Er suchte die Stellenangebote und blätterte zu »S«.

»Mal sehen«, murmelte er. »Ähhh ... Sachverständige für Bäume, Sanitäter, Saunabetreuer ...«

Bob hörte auf zu lesen, und seine Augen weiteten sich. »Ich fress ‘n Besen! Sieh dir das an!« Bob deutete mit einem Finger auf die Zeitung, wobei er das Blatt fast zerriss. Er begann, fröhlich auf seinem Barhocker herumzuwirbeln.

Johnny versuchte zu erkennen, wo Bob hinzeigte, aber die Kreisbewegung machte das schwierig. »Hör mit der Dreherei auf und lass mich sehen!«

Bob hielt an und las laut vor: »Professioneller Schädlingsvernichter umgehend gesucht. $50K an einem Wochenende! Akutes Schädlingsproblem. Bewerbungen an: Kavkastraße 251, 8000 Zürich. Nur Profis.«

»Fünfzigtausend Dollar?!«, sagte Johnny ungläubig. »Das muss ein Druckfehler sein! Zeig mal.« Er griff nach der Zeitung, aber Bob wirbelte wieder herum, sodass Johnny mit dem Kopf gegen die Theke krachte.

Bob war ganz schwindlig, nicht nur von dem Bier und dem ganzen Herumgewirbel auf seinem Hocker, sondern von dem Gedanken, um wie viel fünfzigtausend Dollar ihn der Verwirklichung seines Traumes näher bringen könnten. Mit dem Geld könnte er zwei Wanzen auf seinem Kombi haben!

Einen Augenblick lang wankte er: »Ich glaube, ich muss mich übergeben.«

Johnny rieb sich den schmerzenden Schädel und schnappte sich die Zeitung, damit er es mit eigenen Augen sehen konnte. »Fünfzigtausend Dollar! Was meinst du, was das für ein Job ist? Ratten? Muss Ratten sein, meinst du nicht?«

»Das müssen aber ein paar verdammt große Ratten sein, bei dem Geld«, meinte Bob.

»Zürich ...« grübelte Johnny. »Das ist in Schweden, oder?«

»Nein, du Schnapsnase, das ist in der Schweiz.«

»Wer hätte gedacht, dass die Schweiz ‘n großes Rattenproblem hat?«

»Wahrscheinlich dieser ganze Schweizer Käse«, mutmaßte Bob. »Wahrscheinlich liegt er einfach tonnenweise herum, und die Ratten fressen ihn, und deswegen werden sie wahrscheinlich so verdammt groß.«

»Du hast bestimmt Recht. Scheiße! Ein Haufen riesiger, Schweizer Käse fressender Ratten. Kein Wunder, dass die so viel bezahlen. Aber wieso inserieren die ausgerechnet hier?«

»Wo sonst sollen die jemanden finden, der Erfahrung mit solchen Riesenratten hat? Nur in New York, Babe!« Bob war so aufgeregt, dass er wie ein zweitklassiger Schauspieler klang. »Und wer sitzt hier mit einem Riesenhaufen Bewerbungen?!« »Scheiße!« Johnny wedelte mit seiner Rechten zu Freddie und mit seiner Linken zu der Polaroid-Kamera. »Yo, Freddie, gib mir mal die Kamera.«

Freddie ließ die Kamera die Theke entlangschlittern und beförderte diesmal die Schale mit den Nüssen über den Rand.

»Ist eine gute Idee, zusammen mit deiner Bewerbung gleich ein Foto mitzuschicken«, erläuterte Johnny und zielte umständlich mit der Polaroid. »Die möchten gerne sehen, mit wem sie es zu tun haben.«

»Ja, das ist eine gute Idee«, sagte Bob, als er auf seinem Hocker wankte und seine rot-schwarze TERMINATOR-Mütze zurechtrückte.

»Hör auf zu schielen«, schlug Johnny vor.

Bob war gerade dabei, seine Glotzer zu begradigen, als die Kamera schon ein sich entwickelndes Bild von Bob ausspuckte. Bei dem Versuch, scharf zu sehen, waren seine besoffenen Augen zu bedrohlichen Schlitzen verengt. Er sah entweder sehr betrunken oder sehr gefährlich aus, je nachdem, wie man es interpretierte.

Dann, trotz Johnnys Hilfe, gelang es Bob, das Foto und einen seiner Zettel in einen Umschlag zu stecken. Er tunkte seine Zunge ins Bier, beleckte den Umschlag und klebte ihn zu. »So. Diese fünfzig Riesen sind so gut wie verdient.«

Dann rollten Bobs Augen in seinen Kopf zurück, und stockbesoffen fiel er von seinem Hocker und träumte von einer großen Glasfaserwanze, die triumphierend auf seinem eigenen Kombi hockte.

Louis, der unterwürfige Gastgeber des Casinos von Monte Carlo, begrüßte Klaus mit einer schwungvollen Verbeugung. Ein befrackter Kellner erschien mit einem Bombay-Martini, den er auf einem Silbertablett balancierte.

Klaus schlürfte den eisgekühlten Begrüßungstrunk. »Perfekt, wie immer. Danke, Louis.«

Er trug einen glänzenden neuen Aktenkoffer, was, wie Louis wusste, bedeutete, dass Klaus vor kurzem bezahlt worden war und hier war, um sich zu »entspannen«. Das war eine gute Nachricht für das Casino, und Louis sorgte dafür, dass sein Gast fürstlich behandelt wurde.

Klaus hatte nicht immer gezockt. Aber in den letzten Jahren, als die Depressionsanfälle immer öfter kamen, hatte er etwas entdeckt, das zumindest die Symptome kaschierte. Er stellte fest, dass seine Aufmerksamkeit am Spieltisch derart konzentriert war, dass er nicht in der Lage war, an irgendetwas anderes zu denken. Solange er zockte, konnte er nicht über das nachgrübeln, was er allmählich als sein völliges Scheitern im Leben betrachtete.

Nachdem Klaus diese Verbindung erkannt hatte, verbrachte er immer mehr Zeit in den berühmten Casinos der Welt. Er sagte, es entspanne ihn und es sei ihm egal, wie viel Geld er verlor.

Anfangs gewann er mehr, als er verlor, aber dann spielte er immer gewagter, und bald überstiegen die Verluste die Gewinne. Er begann auch bei Sportveranstaltungen zu wetten, setzte immer auf den Underdog, den Außenseiter, den sicheren Verlierer: Tampa Bay in der Super Bowl, Vietnam bei der Weltmeisterschaft, weiße Schwergewichtsboxer, so in dem Stil.

Unter jenen, die Klaus kannten und über die Gründe für seine Zockerei spekulierten, kursierten mancherlei Theorien. Die erste war ziemlich prosaisch und verworren und lautete folgendermaßen: Klaus’ Arbeit war so gefährlich und stimulierend, dass er für normale Freizeitaufregung desensibilisiert war, und um große Geldbeträge zu wetten befriedigte seine Sehnsucht nach solchem Nervenkitzel. Diese Theorie gründete ferner auf dem Glauben, dass Menschen von Natur aus den Adrenalinschub des Risikos brauchten, und da Klaus es sich nicht leisten konnte, bei seiner Arbeit Risiken einzugehen, musste er einen anderen Weg finden, dieses Bedürfnis zu befriedigen.

Die zweite Theorie, die eher von Anhängern Freuds vertreten wurde, lautete, dass die zerstörerischen Aspekte seines Es die konstruktiven Triebe überwältigt hätten, was in einem konkreten Todeswunsch resultierte.

Er hatte weder Frau noch Familie. Er hatte nichts, was einem Hobby ähnelte, und er hasste seine Arbeit. Kurz, er hatte wenig Grund zu leben.

Andere spekulierten, dass Klaus allmählich Schuldgefühle bekam wegen all den Menschen, die er auf dem Gewissen hatte, und dass sein eigener Tod die einzige Möglichkeit war, diese Vergehen zu sühnen. Aber während kein Zweifel bestand, dass Klaus den Mumm hatte, andere zu beseitigen, hatte er ebenso sicher nicht den Mut, sich selbst zu töten. Nach dieser Theorie hoffte Klaus unbewusst, dass er durch seine Zockerei, vor allem indem er riesige Summen auf Außenseiter setzte, so viel Geld verlieren würde, dass er eines Tages jene nicht mehr bezahlen könnte, bei denen er Schulden hatte, und dass sie schließlich kommen und ihn von seinen Qualen erlösen würden.

Klaus selbst verwarf alle diese Theorien mit der üblichen Antwort: »Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre.«

Was immer seine Gründe sein mochten, er schlürfte einfach seinen Martini und steuerte auf den Baccarat-Tisch zu.

Die Frau von Time war gebührend beeindruckt von Bobs fantastischer Insektensammlung und seiner entomologischen Bibliothek. Der Fotograf hielt den Wanzsaal für die Nachwelt fest und möglicherweise für einen Bildband-Bestseller. Es gab sogar die Chance, dass Bob, mit seinem noch nie da gewesenen Konzept der vollbiologischen Schädlingsvernichtung, der von diesem Nachrichtenmagazin erkorene Mann des Jahres werden könnte – das waren zumindest die Möglichkeiten in dieser speziellen Fantasie.

Bob war in seinem Wanzsaal, werkelte mit seinen Kreuzungen herum und träumte von dem Interview mit der Frau von Time. Sicher würde sie ihn fragen, wie sein Interesse für Insekten überhaupt geweckt worden war.

Darauf würde er ihr erklären, dass er, wie die meisten Jungs, von Spinnen, Schlangen, Skorpionen und anderen bedrohlichen Wesen der Tierwelt fasziniert gewesen war. Er liebte diese Geschichten – die urbanen Legenden, die Jungs endlos wiederholen und die nie ihre Fähigkeit verlieren zu entsetzen. Wie jene von der Frau mit der toupierten Hochfrisur, die ihre Frisur ständig mit Haarspray behandelte, anstatt sie zu waschen. Erst als die Frau eines Tages ohne erkennbaren Grund tot umfiel und der Gerichtsmediziner einen Blick in ihre Haare warf, entdeckte man ein Spinnennest der Spezies Schwarze Witwe.

Bob entsann sich auch der Ohrwurmlegende – dabei ging es wahrscheinlich um den Gemeinen Ohrwurm (Forficula auricularia), da er an der Ostküste verbreiteter war als Euborellia annulipes: Spät eines Abends kroch ein Ohrwurm-Weibchen in das Ohr eines bedauernswerten Mannes, während er schlief. Mit seinen dämonisch gebogenen pinzettenartigen Afterraifen arbeitete es sich durch das bittere orangerote Ohrenschmalz, knabberte sich um das Trommelfell herum, vorbei am Ohrlabyrinth und der Schnecke und schließlich ins Gehirn, wo es seine dreißig Eier ablegte. Auf dem Weg nach draußen blieb es in dem Morast von Ohrenschmalz stecken und starb.

Am nächsten Tag ging der Mann zu einem Arzt – vermutlich ein Hals-, Nasen- und Ohrenspezialist – und klagte über Schmerzen im Ohr. Der Arzt spähte hinein, entdeckte das Insekt und entfernte es. Er verschrieb dem Patienten etwas gegen Ohrenschmalzbildung und verkündete, dass alles bestens sei.

Doch vierzehn Tage später, als der Mann gerade schlief, schlüpften die dreißig Nachkommen aus und begannen sich durch den Hypothalamus des Mannes zu fressen, wodurch er erwachte, vor Entsetzen und Qualen aufschrie und schließlich nur noch sterben konnte, während Blut und Gehirnmasse aus seinen Ohren sickerten.

Natürlich war nichts Wahres an dieser Legende. Es gab keinerlei Hinweise in der Literatur, dass Ohrwürmer sich in das menschliche Gehirn graben, um dort ihre Eier abzulegen, aber es ergab eine gute Geschichte.

Bobs wissenschaftliches Interesse für Insekten begann in der achten Klasse, als er gerade in der Bibliothek war, wo er eigentlich eine Zusammenfassung von Jack Londons Ruf der Wildnis verfassen sollte, weil er frech zu seiner Englischlehrerin gewesen war. Aber anstatt Londons primitivistische Hundeparabel zu lesen, blätterte Bob Die Insekten Nordamerikas durch und sah sich Bilder von Wespen an. Dort fiel sein Blick auf die so genannte Tarantel-Jagdwespe (Pepsis mildei).

Sofort stellte sich Bob eine riesige Spinne vor, von der Größe einer Hafenratte und mit einer Flügelspanne von zwei Metern, über und über mit räudigem Fell und Gefieder bedeckt. Zu seiner Enttäuschung erfuhr er, dass die Tarantel-Jagdwespe nicht größer als drei Zentimeter wurde. Trotzdem zeigte die Abbildung ein wildes blauschwarzes Ungeheuer mit roten Flügeln und Antennen und einem langen gebogenen Stachel. Außerdem beschrieb das Buch in blutrünstigen Einzelheiten, wie die weibliche Tarantel-Jagdwespe sich langsam einer viel größeren Spinne näherte. Diese verhielt sich wie hypnotisiert, selbst als das bösartige Insekt seinen Stachel tief in die verzauberte Beute versenkte und sie mit Gift vollspritzte. Dann wurde die riesige gelähmte Spinne in ein Nest geschleppt und bekam dort ein Ei implantiert. Nun diente sie als Nahrung für die sich entwickelnde Wespenlarve und wurde von innen nach außen verspeist.

Mann, dachte der junge Bob, das ist besser als die Ohrwurm-Story! Nie hätte er sich träumen lassen, dass Insekten so aufregend sein könnten.

An diesem Tag blieb Bob lange in der Bibliothek und stellte einen faszinierenden, wenn auch teilweise frei erfundenen Bericht über die Tarantel-Jagdwespe von Nordmexiko fertig. Er bekam ein A+ und so viel Lob von seiner Lehrerin, dass eine lebenslange Leidenschaft für jegliches Insektenleben geweckt wurde.

Diese Hingabe führte schließlich zu einem Abschluss in Entomologie, und eine Zeit lang spielte Bob mit dem Gedanken, seinen Doktor zu machen und College-Professor oder Forscher zu werden, der der Rolle der Insekten als Vektoren viraler, bakterieller und protozoaler Krankheiten nachspürt. Aber irgendwo unterwegs ließ die Begeisterung dafür nach.

Dann, eines Tages, nachdem er William Burroughs’ Naked Lunch gelesen (wenn auch nicht ganz verstanden) hatte, kam Bob diese Idee.

Die Idee führte zu seinem Traum, und der Traum führte zu seinem Wanzsaal, wo er jetzt auf seinem heruntergekommenen Drehstuhl herumrutschte und eine Schale Lucky Charms kaute, während er etwas auf dem Tisch vor sich betrachtete. Bob war bequem gekleidet, fleckiges Unterhemd, seine schwarz-rote TERMINATOR-Mütze und mit roten und schwarzen Ameisen geschmückte Boxershorts, die Mary ihm letzte Weihnachten geschenkt hatte.

Auf dem Tisch war ein Kasten mit winzigen, maschendrahtüberzogenen Luftlöchern, die kreisförmig in den Deckel gestanzt waren. In hellroten Buchstaben verkündete der Kasten kühn: ARILUS CRISTATUS (Reduviidae). Es war eine Gruppe von Radwanzen. Sie ließen sich gut mit anderen Mordwanzen kreuzen, und ihre Eigenschaft als gefräßige Räuber wurde stets an die nächste Hybridgeneration weitervererbt.

Bob hatte auch immer die Tatsache gefallen, dass die Radwanzen aussahen, als wären sie von denselben Ingenieuren entworfen worden, die den Stealth-Bomber geschaffen hatten, denn ihr Chitinpanzer war hart und eckig mit überlappenden Platten, die aussahen, als wären sie aus irgendeinem exotischen radarabsorbierenden Kohlenstofffaser-Material. Das war nun wahrlich eine Wanze, mit der nicht zu spaßen war.

Zwischen zwei Löffeln von Marshmallow-Getreideflocken wanderte Bobs Blick zwischen den Wanzen und einem geöffneten Fachbuch hin und her.

Nicht weit von Bobs Haus fuhr langsam eine Mercedes-Limousine mit getönten Scheiben die 48th Street hoch, am Friedhof New Calvary vorbei. Im Fond der Limousine saßen Marcel und Jean, die gerade aus Paris eingetroffen waren. Marcel trug einen weiteren Fünftausend-Dollar-Anzug und eine fragwürdige Krawatte. Jean, sein modischer Assistent, war weniger teuer gekleidet, aber wenigstens griff seine Krawatte etwas von der Farbe seines Hemdes auf.

Der Mercedes rollte an den Bordstein, und die Männer blickten durch die getönten Scheiben auf Bobs Haus. Marcel ließ den Anblick auf sich wirken. »Das ist es. Zweifellos ein geheimer Unterschlupf.«

»Was sollte es sonst sein?«, fragte Jean verächtlich.

Marcel öffnete die Tür, um auszusteigen.

»Sei vorsichtig«, mahnte Jean, während er einen Fussel von Marcels Bundfaltenhose in dezent strukturierter Wollmischung zupfte. »Vergiss nicht, wir wissen nichts über diesen Mann. Er könnte ebenso gut einer von diesen psychotischen Vietnam-Veteranen sein, von denen es in diesem Land offenbar nur so wimmelt.«

Bob schlürfte gerade aus der Schale mit den schwammigen Lucky Charms, als es an der Tür klingelte und er sich etwas Milch über die Backen goss. In der Annahme, es sei Pratt, der vorbeigekommen war, um ihm das Blut aus der Rübe zu pressen, verdoppelte sich Bobs Irritationspegel. Aber Bob war kein Typ, der sich vor dem Vermieter versteckte, und so ging er, den Mund voll grünen Klees und gelber Monde, um aufzumachen.

Nervös rückte Marcel hin und her, während er vor der Tür stand, wobei das Holz unter seinem beträchtlichen Gewicht knarrte. Er erschrak, als die Tür aufging und Bob erschien, der immer noch seine Lucky Charms kaute. Irgendwie sah Bob bedrohlich aus, nur in seinen Boxershorts, seiner TERMINATOR-Mütze, einem Milchbärtchen und einem rosafarbenen herzförmigen Marshmallow an der Wange.

Erschrocken wich Marcel zurück. Sie beäugten sich einen Moment lang stumm.

Im Mercedes krümmte sich Jean vor Entsetzen, als er die Polyester-Baumwoll-Mischung von Bobs Boxershorts erblickte. Schließlich zog Marcels zitternde Hand etwas aus dem braunen Umschlag, den er in der Hand hielt. Er sah Bob an. »Robert Dillon?«, erkundigte er sich auf unnachahmlich französische Art. Bob kniff die Augen vor der grellen Sonne zusammen, was eine Art Clint-Eastwood-Effekt ergab. Vorsichtig antwortete er: »Äh, ja.« Ein milchweißer Rülpser entwischte ihm.

»Der professionelle ... Schädlingsvernichter?«

»Richtig.« Bob wischte sich mit dem Handrücken das Milchbärtchen ab.

»Darf ich eintreten?«, fragte Marcel. Er war argwöhnisch und leicht angewidert.

Bob betrachtete den dicken Mann in dem glänzenden Anzug. »Äh, wollen Sie irgendwelche Rechnungen kassieren?«

Marcel wiegte sich hin und her, während er sich umsah. »Nein, wir haben vor kurzem Ihre, wie soll ich sagen ... Bewerbung erhalten.«

Bob sah, dass der Fremde den Handzettel mit dem Totenschädel und den gekreuzten Knochen in der Hand hielt, den er entworfen hatte.

»Ha?« Bob war verwirrt. Er hatte sein Flugblatt an verschiedene Immobilienfirmen geschickt, in der Hoffnung, eine von ihnen für seine Idee begeistern zu können. Auch wollte er sein Versprechen, Arbeit zu suchen, erfüllen, das er Mary gegeben hatte. Bob war verwirrt, weil er dachte, alle diese Firmen hätten ihm gesagt, er solle sich verpissen mit seiner idiotischen Schnapsidee, oder etwas in diesem Sinne. Aber trotzdem, hier war jemand auf seiner Türschwelle und wedelte mit einem seiner Handzettel.

»Sie interessieren sich also für meine, äh, neue Methode?«, fragte Bob.

Marcel blickte sich nervös um. »Ja, genau. Darf ich reinkommen?«

»Ja, bitte.« Bob trat zur Seite und winkte Marcel herein. Als er die Tür schloss, bemerkte er den großen Mercedes, der am Bordstein stand. Es war ein ungewöhnlicher Anblick. Das einzige andere deutsche Auto, das Bob jemals in seinem Viertel gesehen hatte, war ein zerdellter VW-Käfer, Baujahr ’69.

Bob gesellte sich zu Marcel ins Wohnzimmer. »Verzeihen Sie, ich hab Ihren Namen nicht mitgekriegt.«

»Nennen Sie mich Marcel.« Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. Das Innere sah für ihn so aus, wie er sich ein amerikanisches Heim der unteren Mittelschicht vorstellte, und er verspürte den professionellen Drang, einen Kommentar abzugeben. »Das ist eine sehr gründliche Tarnung«, sagte er, auf das Zimmer deutend.

Bob hatte keine Ahnung, was Marcel meinte, aber da er es sich mit einem potenziellen Klienten nicht gleich verderben wollte, bedankte er sich und bot Marcel einen Platz an. Jemand hatte tatsächlich auf seinen Handzettel reagiert! Von wegen völlige Überraschung. Das war fantastisch! Wenn das so weiterging, dass solche Sachen aus heiterem Himmel fielen, würde Bob im Nu diesen Kombi mit der Wanze drauf haben.

Marcel ließ sich in dem tiefen Sofa nieder und stocherte in den abgegriffenen Zeitschriften auf dem Couchtisch herum, während er beiläufig sagte: »Wir haben natürlich Ihre Antwort auf unsere Anzeige erhalten.« Er hielt inne, um zu sehen, ob Bob das Stichwort aufgreifen und mitgehen würde. Dies war eine extrem heikle Situation, da Marcel keine Ahnung hatte, was für ein Killer Bob sein könnte.

Während sich Marcel Sorgen machte, dachte Bob fieberhaft nach, von welcher Anzeige Marcel wohl redete.

Dann fiel es ihm wieder ein. Dieser betrunkene Abend bei »Freddie’s« und die Anzeige in der New York Times.

»Oh!«, platzte er heraus. »Dann sind Sie wohl dieser Schweizer Typ mit dem Rattenproblem!«

»Mit dem Rattenproblem?«

»Nicht? Ach ja, ich hatte nur angenommen, dass es Ratten sind. Es könnten ja genauso gut Schaben sein, nicht? Schädlinge ganz allgemein, egal, ich werd damit fertig.«

»Ja«, meinte Marcel, »es ist tatsächlich ein Schädling, bei dem ich Ihre Hilfe brauche.«

»Ja, komisch. Wissen Sie, ich weiß nicht mal, wieso ich annahm, dass es Ratten sind. Tatsache ist, dass ich mich an diesen Abend nicht mehr so gut erinnere, aber das ist egal. Jedenfalls erinnere ich mich an Ihre Anzeige. Ich schätze, der französische Akzent hat mich etwas verwirrt, aber ich nehme an, es macht Sinn, dass Sie einen haben, ich meine, Frankreich ist doch ziemlich nah an der Schweiz, nicht?«

Marcel hatte erwartet, dass Bob vorsichtig sein würde. Schließlich war Bob ein Profikiller und musste sichergehen, dass er es nicht mit den Behörden zu tun hatte. Deswegen redete er so verschlüsselt.

»Ja, die beiden Länder sind Nachbarn«, sagte Marcel gewieft. »Nun, Sie sind bei der richtigen Adresse gelandet. Meine Methode ist gründlich erprobt«, log Bob. »Ich glaube, Sie werden sehr beeindruckt sein. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«

Er sprang auf und rannte in den Wanzsaal, durchsuchte die Unterlagen, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten, schnappte sich dann ein einziges Blatt Papier und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

»Das ist das Einzige, das ich für Sie finden konnte, da hinten ist ein ziemliches Chaos, aber es wird Ihnen eine Vorstellung davon geben, was ich meine«, sagte Bob.

Marcel las:

Die Dornen-Mordwanze (Sinea diadema). Einer der erbarmungslosesten und hinterhältigsten Räuber der Insektenwelt. Ihr glänzender Chitinpanzer ist mit acht starren, nadelspitzen Dornen bedeckt, von denen jeder einen hellgelben Ring am Stamm hat. Ursprünglich zur Verteidigung gedacht, werden die Dornen nun als Waffen benutzt, wobei die Dornen-Mordwanze ihre Beute so gegen einen festen Gegenstand drückt, dass sie nicht entkommen kann, und dann wie ein unbemannter Bulldozer loswalzt, bis die Beute durchlöchert ist wie ein Nadelkissen. Die Dornen-Mordwanze ernährt sich von den Körpersäften verschiedener großer Insekten.

Damit war die Sache für Marcel klar. Das Wort »Mord« stand schwarz auf weiß auf dem Blatt, doch war es so eingebettet, dass es Bob nicht eindeutig als einen käuflichen Killer auswies. »Ja, das ist brillant«, meinte er und legte das Blatt auf den Couchtisch. »Aber jetzt muss ich Sie doch mal was fragen, jetzt wo wir uns gewissermaßen verstehen.«

»Machen Sie ruhig. Glauben Sie, ich habe Verständnis dafür. Ich stelle mir vor, Sie wollen ein paar Dinge erklärt bekommen.«

»Ja, äh, genau.« Marcel schob sich zur Kante des Sofas vor und lehnte sich zu Bob hinüber. »Nachdem wir Ihre ... Anfrage erhalten hatten, haben wir, ich und meine Partner, uns gefragt, wieso wir bisher noch nichts von Ihnen gehört haben?«

»Na ja, in den letzten Jahren habe ich ausschließlich für diese Firma gearbeitet ...«

Marcel verstand. »Ahhh. Die Firma. Sehr gut. Das erklärt es natürlich.« Marcel war erfreut darüber, jemanden mit CIA-Ausbildung zu bekommen. »Und Sie haben die Firma verlassen, weil ...«

»Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit bezüglich der Firmenstrategie. Deswegen bin ich jetzt allein.«

»Draußen in der Kälte, wie es so schön heißt.«

»Na ja, so könnte man es vielleicht ausdrücken. Und was kann ich für Sie tun?«

Marcel reichte Bob eine Mappe. »Nun, wie Sie sich vorstellen können, haben wir etwas, um das sich jemand kümmern muss.« Bob schlug die Mappe auf, in der Erwartung, Blaupausen oder Fotos des Gebäudes zu sehen, das zu desinfizieren Marcel ihn beauftragen wollte. Stattdessen fand er ein Foto und ein paar biografische Informationen über einen Mann namens Hans Huweiler. Er fand auch das Polaroidbild, das an jenem bierseligen Abend bei »Freddie’s« aufgenommen worden war. Irgendetwas stimmte nicht, dachte Bob, aber im Moment war ihm noch nicht klar was.

Marcel räusperte sich. »Ich muss sagen, unter all den Anfragen, die wir bekamen, waren wir am allermeisten von Ihrem, wie würden Sie sagen, Flugblatt amüsiert.«

»Oh, mein Handzettel. Der hat Ihnen gefallen, ha?«

»Allerdings.« Marcel kicherte nervös. »Professioneller Schädlingsvernichter. Das war – wie würden Sie sagen? – recht fantasievoll. Von dem Totenkopf mit den Knochen waren wir besonders angetan. Ein hübscher Einfall.«

»Danke. Hab ich selbst entworfen.« Mit einem Kopfnicken wies Bob auf die Mappe und das Bild von Mr. Huweiler. »Äh, was ist das? Ist das der Typ mit dem Schädlingsproblem?«

»Äh, nein. Er ist das Problem«, sagte Marcel.

Bob dachte, ihm sei im Verlauf des Gesprächs irgendetwas entgangen. »Ich verstehe Sie nicht.«

»Mr. Huweiler ist Ihr ... ah, Ihr Schädling.«

Bob zögerte, bevor er sprach. »Der Schädling, der vertilgt werden soll?«

»C’est-ça!« Marcel lächelte.

Bob starrte ihn an, während er versuchte zu begreifen, was zum Teufel hier los war. Er ließ alle Indizien Revue passieren: die Mercedes-Limousine, ein Mann mit einem extrem teuren Anzug, die indirekten Fragen und Kommentare, die Anzeige in der New York Times, in der fünfzigtausend Dollar für einen Wochenendjob als Schädlingsvernichter geboten wurden.

Plötzlich wurde ihm klar, dass jemand mit einem französischen Akzent einen großen Fehler machte. Und Bob bekam allmählich eine grobe Ahnung, was das für ein Fehler war. Dieser Mann wollte jemanden tot sehen. Und er wollte, dass Bob ihn in diesen Zustand beförderte.

Schnell klappte Bob die Mappe zu und schob sie Marcel zurück, der die plötzliche, heftige Bewegung als aggressiv interpretierte.

Bob hatte aufrichtig Angst.

Marcel war gründlich entsetzt.

»Übernehmen Sie den Job?«, fragte er nervös.

»Was?! Äh, nein, nein danke, ich glaube nicht«, sagte Bob nervös und stand auf. Marcel stand ebenfalls auf.

»Die Bezahlung ist fünfzigtausend amerikanische«, bot er an, um sein Leben fürchtend.

Einige Papiere rutschten aus der Mappe und flatterten zu Boden. Bob machte eine erstaunlich schnelle Bewegung, um sie zu fangen.

Marcel sprang zurück und betete, dass er nicht an Ort und Stelle umgebracht würde.

Bob musste diese Sache im Keim ersticken. »Nein, Sie verstehen nicht. Ich bin nicht daran interessiert. Das ist nicht meine Richtung.«

Einen Moment lang war Marcel verwirrt, bis er begriff, dass Bob verhandelte. »Ahhh. Ich verstehe«, sagte Marcel. »Sehr gut. Ich bin berechtigt, bis hunderttausend zu gehen. Aber es muss wie ein Unfall wirken.«

Abrupt ging Bob zur Diele. Marcel folgte ihm, in der Annahme, die Verhandlungen würden bald abgeschlossen sein.

»Hören Sie, wenn es sich nicht mit Malathion, Diazonon oder Combat töten lässt, töte ich es nicht.«

»Ich verstehe«, meinte Marcel mit einem Handwedeln. »Sie können jede Methode wählen, die Sie wünschen, solange es wie ein Unfall aussieht.«

»Nein. Hören Sie, was ich Ihnen sage, ich töte bloß Viecher«, beharrte Bob. »Das hier interessiert mich nicht. Verstehen Sie?«

»Natürlich, Viecher. Wir würden natürlich nie erwarten, dass Sie so was wie das hier machen. Sehr gut.« Marcel hatte es allmählich raus.

»Nein, Sie hören mir nicht zu. Kommen Sie her.« Bob ergriff Marcels Arm und führte ihn den Flur hinunter zum Wanzsaal. Marcels Blick fiel sofort auf die Bücherregale, wo er Bände mit Titeln wie Organischer Tod oder Die Kunst des Gifts sah. Er bemerkte auch Bobs glänzenden selbst gemachten Bienen-Smoker, den er für eine effiziente und tödliche Waffe hielt, die Nicht-Profis selten zu Gesicht bekamen.

Marcel wich vor Bob zurück, überzeugt, dass er den richtigen Mann für den Job hatte. Er steuerte zur Haustür zurück, blieb stehen und hielt Bob die Mappe hin. »Werden Sie das hier brauchen?«

»Nein, wirklich. Ich glaube, Sie sollten jetzt lieber gehen.« Bob öffnete die Tür.

Natürlich, dachte Marcel, ein fotografisches Gedächtnis.

»Ich bin nicht interessiert, okay? Und es tut mir Leid, wenn ich Ihnen irgendwelche Unannehmlichkeiten bereitet habe.«

»Ja, ja, natürlich, ganz wie Sie wollen. Das ist in Ordnung. Aber früher wäre besser als später, wenn es in Ihren Terminplan passt.«

Bob drängte Marcel zur Tür hinaus und machte sie zu. Marcel zog sich in Windeseile zu dem Mercedes zurück und schlüpfte in den Fond.

»Du bist ja weiß wie ein Laken«, flüsterte Jean besorgt. »Hat er angenommen?«

Marcel nickte. »Ja, aber er hat den höheren Preis erzwungen.« »Bist du dir seiner sicher?«

Marcel tupfte sich den Schweiß von der Stirn und sah Jean an, Todesangst in den Augen. »Ich kann von Glück reden, dass ich noch lebe.« Er zog Bobs Foto aus der Mappe und sah es sich an. »Er ist sogar noch gefährlicher, als er aussieht.«

Der Kammerjäger

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