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Kapitel 2

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Geheim, in der krakeligen Schrift des achtjährigen Kindes warnt das Wort unbefugte Leser.

Ich schlage die nächste Seite auf.

Ein misstrauisches Kind war ich.

Hier steht: Wenn du weiterliest, spreche ich nie mehr mit dir.

Die größte Strafe, die ich kannte.

Wie oft hatte meine Mutter gedroht, wenn du jetzt nicht still bist, rede ich kein Wort mehr mit dir.

Ein einziges Mal musste sie den Worten Taten folgen lassen.

Eine kindische Ungezogenheit, die in der Erinnerung verblasst ist vor dem Angstbild jenes Tages, an dem jede Frage, jede Schmeichelei, jede Bitte mit einer Bewegung des Kopfes beantwortet wurde.

Dieses Gesicht, dessen Lippen sich nicht öffneten, erschien von dem Tag an, sobald die Mutter mahnte.

Kinder sind Abbilder ihrer Eltern, in Taten und Worten.

Ich war es die ganze Kindheit hindurch.

Erst als Jugendliche erlaubte ich der Elterntempelfassade zu brechen, um Blicke ins Heiligtum zu wagen.

Meine Augen lösen sich von den drohenden Worten.

Die Hand blättert die Seite um.

Da springen mir die gegenwartsbestimmenden Sätze der Vergangenheit noch einmal entgegen.

24.12.1973

Heute Abend bleibe ich wach. Mama hat gesagt, in der Weihnachtsnacht werden Puppen und Teddys lebendig.

25.12.1973

Ich bin eingeschlafen.

Eine leichte kleine Wölbung des Papiers spricht weiter. Von dem Schmerz der verpassten Gelegenheit, über die Enttäuschung des Versagens.

Achtlos überblättere ich die nächsten Seiten. Kümmere mich nicht um das Leben, das sie verbergen, finde die Eintragung des nächsten Jahres.

24.12.1974

Ich habe mir eine Taschenlampe gewünscht, damit ich bis Mitternacht lesen kann.

Das Kind wusste, warum diese Stunde von Bedeutung war, es konnte auf eine Erklärung verzichten.

25.12.1974

Scheiß-Schlaf.

Da hatte ich sicher gelernt, Wut in Sprache zu verwandeln.

Was den Mund so verließ, musste sich nicht mehr als Tränen den verschlungenen Weg nach außen bahnen.

An das nächste Jahr erinnere ich mich noch.

Es war das Jahr, in dem das Vertrauen in meine Eltern zum ersten Mal einen Riss bekam.

»Ihr weckt mich auch ganz bestimmt?«, hatte ich unter dem leuchtenden Christbaum gefragt.

»Das haben wir dir doch versprochen«, hatten sie einträchtig geantwortet.

Aber dann war ich am anderen Morgen wach geworden und hatte sie mit ihrer Waffe gezüchtigt: dem stummen, anklagenden Schweigen.

Im nächsten Jahr war ich klüger.

Es schien mir ganz einfach, mein Teddy sollte mich um Mitternacht wecken.

Wenn er es tat, konnte ich diese Nacht mit ihm erleben, wenn nicht, dann war die ganze Geschichte ein Lügenmärchen der Erwachsenen.

An diesen Weihnachtsmorgen habe ich noch oft gedacht.

Niemand hatte mich geweckt.

Jetzt kannte ich den Schlüssel zur Lüge.

Ich musste die Drohungen und Warnungen nur an der Wirklichkeit überprüfen.

Von diesem Tag an führte ich den Schwarzen Mann, den Osterhasen und Gott in Versuchung. Immer wieder, bis ich erkannte, dass Erwachsene sich mit Lügen umgaben, um die Macht zu behalten.

Ich lernte die großen Menschen zu unterscheiden.

Meine Eltern und noch ein paar andere versuchten, ihre Geheimnisse zu verstecken.

Hinter Märchen, die sie selbst wohl einmal geglaubt hatten.

Manche Erwachsene aber antworteten mit richtigen Sätzen.

Ihre Geschichten konnte ich anhand von alten Fotografien, Bilderbüchern und mit Hilfe meiner eigenen Erfahrungen überprüfen.

Die Welt sah plötzlich ganz anders aus.

Es gab keinen Schwarzen Mann, der mich holte, wenn ich Schokolade stibitzte.

Doch am nächsten Samstag konnte es keine Süßigkeiten geben wie sonst, die Geldbörse war leer und die Bonbondose auch.

Ich fing an, vieles zu verstehen und an die Erklärungen dieser Erwachsenen zu glauben.

Noch heute liebe ich es, ihnen zuzuhören und die Bücher, die sie empfehlen zu lesen.

Ein solches Buch, das ich vor vielen Jahren gelesen habe, hat mir meinen Traum zurück gebracht.

Ihm verdanke ich diese Nacht hier. Auch wenn es Jahre gedauert hat, bis ich den Traum wiederfand.

Neue Träume hatten diesen weit fortgeschoben.

Das Vertrauen zu meinen Eltern brach mehr und mehr auseinander.

Schon rebellierte ich gegen ihr Weihnachtsfest.

Mit Freunden auf einer einsamen Hütte im Schnee sah ich mich.

Ein Bild, das jedes Jahr wiederkehrte, bis ich mich an den Heiligen Abend gewöhnt hatte.

Auch mich hatten das Altern und der Alltag gezähmt, aus der Rebellion war Resignation geworden.

So wäre es sicher geblieben, wenn mich nicht diese kleinen Hefte aus meiner Lethargie gerissen hätten.

Erinnerungen spazierten plötzlich durch meinen Kopf, manche fanden Gefallen aneinander und bedrängten mich, den Heiligen Abend hier oben zu verbringen.

Begegnung in der Weihnachtsnacht

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