Читать книгу Begegnung in der Weihnachtsnacht - Birgit Ebbert - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеMeine Gedanken lösen sich aus dem Kreis der Erinnerung. Sie bestehen auf einer Pause, in der ich meinen Augen Auslauf lasse.
Hinter dem Fenster scharen sich jetzt die Schneeflocken. Sie haben scheinbar einen Verbund gebildet, um den Einlass zu erzwingen.
Ich fühle mich sicher.
Die Erfahrung vieler Jahre lehrt mich, dass es ihnen nicht gelingen wird, mich zu besiegen.
Das Glas steht als unüberwindbare Mauer zwischen uns.
Das Feuer im Kamin hat seine Forderungen eingestellt und ruht sich aus, ehe ich ihm neue Arbeit vorlege.
Es muss sich als Verwandter des Sisyphos fühlen.
Sobald es einen Holzscheit verarbeitet hat, wird ihm ein neuer vorgeworfen.
Eine Pause wird ihm kaum gestattet.
Die Ur-Menschen haben erkannt, dass diese Freiheit ihr Ende bedeuten würde.
Sollte das Feuer auch nur für einen Moment seinen Traum erleben, müsste es für immer verstummen und die Menschen mit ihm.
Wird es mir auch so ergehen mit meinem Traum?
Aber heutzutage gibt es Streichhölzer und Feuerzeuge, die das Feuer neu entfachen, meine Sorge ist also überflüssig.
Die Gedanken treiben meine Augen weiter, sie wollen Erholung und keine Arbeit.
Sie führen den Blick auf den Rucksack und erinnern mich an Tee und Gebäck, die mir den einsamen Heiligen Abend versüßen sollen.
Auf dem Weg zur Kochplatte streife ich den Teddybären, der still und abwartend auf dem Tisch sitzt.
»Na du«, grüße ich ihn, aber er antwortet nicht, sicher sammelt er Kräfte für das Leben nach Mitternacht.
Ein Buch war es, das mir das Vertrauen in meine Puppen zurückgab.
Alice im Wunderland bestätigte sicher nicht nur mir, was ich als Kind ahnte: Mein Teddy war ein weiser, aber schweigender Beobachter meines Leides und meiner Freude.
Alice gab mir auch meine Eltern zurück.
Nun musste ich sie nicht als ständige Lügner betrachten, sondern nur als gelegentliche Schwindler.
Ich vertraute den anderen Erwachsenen, die mir das Buch geschenkt hatten.
Sie würden mir keine Märchen, nur Wahrheit geben. Also war dieses Märchen wahr.
Diese einfache Logik der Kindheit, die wir Erwachsenen meist ablehnen, ohne zu beachten, dass sie vieles erleichtert.
Alice hatte mir meinen Traum zurückgegeben.
Ich hatte ihn jedoch vergessen, denn bald darauf beschäftigten mich andere Dinge:
Ob der Klassenkamerad mich wohl auch liebte?
Warum hatte ich keine Freundin?
Hatten mich die Freundinnen verraten, als sie mich von ihrer Fete ausschlossen? Welch existenzielle Fragen den Teenager gequält hatten.
Heute sehe ich sie ganz anders.
Nein, ich lache nicht über sie, ich erkenne in ihnen den Schmerz, der mich weiter quält.
Das Leid an den Menschen, die nur an sich denken.
Das Leid an den Menschen, die sich selbst als Ebenbild Gottes darstellen und andere erniedrigen, die dieser Vorgabe nicht entsprechen.
Das Leid an den Menschen, die nicht erkannt haben, dass Gott viele Menschen geschaffen hat.
Er hätte sich mit einem begnügen können, wenn er einen Egoisten als sein Ebenbild gesehen hätte.
Die Fünfzehnjährige ahnte nicht, was sie erwartete, welche Schicksalsbahn ihr vorbestimmt war.
Sie haderte noch mit einer unbekannten Größe und sich selbst.
Auch die Dreißigjährige weiß nicht, wie der Weg aussieht, sie fühlt nur, dass er durch das Tor der Ich-Erkenntnis führt.