Читать книгу Hatschepsut. Die schwarze Löwin - Birgit Fiolka - Страница 5

Der Nachtfahrt 2 Stunde ist jene, welche klug ihren Herrn beschützt

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Nubien, im zweiten Jahr der Herrschaft des Thutmosis Aakheperenre

Sary riss seinen Bruder auf die Beine und zog ihn mit sich. Der glühend heiße Sand des elenden Goldlandes verbrannte ihnen die Füße, doch er wusste, dass sie laufen mussten, egal wie viele Schwielen und Brandblasen sie auch am Abend vom Schlaf abhielten. Gnadenlos brannten Res Strahlen auf ihre geschundenen Körper, unerbittlich folgten ihnen die Krieger der aufständischen Stammesfürsten. „Steh auf, Ameni, sie haben uns fast eingeholt!“

Ameni stieß einen Fluch aus und trat den Stein zur Seite, über den er gestolpert war. Dann liefen sie weiter über den heißen Sand, im Rücken die Rufe und Schreie der nubischen Krieger, die sie mit ihren Speeren, Bogen und der wilden Bemalung in ihren dunklen Gesichtern verfolgten. Wie lange liefen sie schon vor ihnen davon durch dieses unwirtliche Land? Einen Jahresumlauf oder sogar länger? Sary hatte aufgehört zu zählen, denn dafür blieb keine Zeit, wenn einem der Tod im Nacken saß. Und diesen wollte er hier nicht finden, in der rotsandigen Steinwüste, eingekeilt zwischen den Felsen, die ebenso rot glühten wie der Sand, ganz so als würde Re selbst sie in diesem öden Land verlachen. Der blaue Himmel, der über den Felsen prangte, verhöhnte sie auf seine Art. Wasser, dachte Sary voller Verzweiflung. Süße Hathor, die du dich die Göttin dieses Landes nennst, schicke uns Wasser. Die nubischen Krieger holten auf, denn sie waren die Gluthitze und die Kargheit ihres Landes gewohnt – sie wurden nicht von ihm verschlungen wie die ägyptischen Soldaten, die um ihr Überleben kämpften. Sarys Leib und der seines Bruders sollten jedoch nicht im Wüstensand verfaulen und von wilden Tieren angefressen werden. Sary wollte leben, damit er friedlich in Ägypten sterben konnte. Nach seinem Tod wollte er mit Binden umwickelt werden, sein Körper erhalten und in duftende Harze getränkt, sodass er friedlich in einem ewigen Haus würde ruhen können. Mehr noch als vor dem Tod fürchtete Sary sich davor, ohne Augen, Arme oder andere wichtige Gliedmaßen im Schönen Westen fortleben zu müssen. Und das würde er, wenn die Tiere ihn fraßen und die Götter ihn überhaupt fanden, um ihn vor das Jenseitsgericht zu bringen. Ein Mann, der in der Fremde ohne seinen Namen starb, wäre ausgelöscht bis in alle Ewigkeit. Wenn sie hier starben, würde es kein Weiterleben nach dem Tod für sie geben. „Lauf, Bruder ... wir haben es gleich geschafft.“

Ameni nahm seine letzten Kräfte zusammen. Hinter ihnen spien die nubischen Krieger ihnen Schmährufe in ihrer harten ungelenken Zunge hinterher und schlugen ihre Speere auf die mit Leder bespannten Schilde. Ein Ägypter schrie neben ihnen auf, von einem der Speere getroffen. Er fiel auf die Knie, spuckte einen Schwall Blut und blieb im Sand liegen. In Todesangst rief er die süße Hathor und dann Sary um Hilfe an. Sary schrie dem Himmel einen Fluch entgegen und kümmerte sich nicht weiter um den Sterbenden. Sie mussten ihn zurücklassen, einen der ihren, weil er verloren war. Niemand wollte hier leben, doch sterben schon gar nicht. Lass uns leben, damit wir in Kemet sterben können, Amun, schrie Sarys gepeinigter Verstand, und dann erreichten sie endlich den kümmerlichen Wall aus Steinen, den sie in aller Hast errichtet hatten, um sich wie Hasen dahinter zu verstecken. Ihr Atem ging keuchend, als sie sich hinter die Schutzmauer fallen ließen. Ihr Kommandant, eigentlich der zweite Befehlshaber, aber im Rang aufgestiegen, seit die Nubier den Ersten in die Hände bekommen und bei lebendigem Leib gehäutet hatten, schrie den aufgebrachten Männern Befehle zu, sie sollten die Bogen bereithalten und genau zielen. Doch ehe die Männer auch nur einen Pfeil von der Sehne lassen konnten, war es still. Die dunklen Krieger kamen nie bis an den Rand der Mauer. Stets zogen sie sich vorher zurück. Sie griffen nur an, wenn die Ägypter versuchten zu fliehen. Wild waren sie, gnadenlos und barbarisch – aber sie waren nicht dumm. Sie opferten keine Krieger, da es doch nur eine Frage der Zeit war, bis die durstigen Ägypter aufgaben und sich wie eine Herde Schlachtvieh in ihre Speere warfen. Außerdem waren sie hervorragende Bogenschützen und konnten ihre Beute auch von Weitem niederstrecken, wenn sie unvorsichtig wurde. Sary ballte die Hände zu Fäusten und spuckte Sand, der ihm auf der gehetzten Flucht in den Mund geraten war.

„Wir hätten in Buhen bleiben sollen, Bruder. Der Kommandant der Festung hat uns gewarnt, aber wir waren überheblich diesem Land und seinen Menschen gegenüber.“ Ameni kam langsam wieder zu Atem und rieb sich den schmerzenden Fuß. Sary warf einen Blick auf den Knöchel des Bruders – nichts war gebrochen, den Göttern sei Dank. Einen fußlahmen Bruder hätte er nicht schützen können. Er konnte ja nicht einmal sich selbst beschützen. Trotzdem fühlte er sich zu einer bissigen Antwort gezwungen. „Wir hatten den Befehl, die Aufstände niederzuschlagen, und dieser Befehl kam vom Einzig Einen in Theben.“ Sary wusste, dass er dumm daher sprach, und es machte ihn zornig. Hatte der Einzig Eine Erkundigungen eingeholt, bevor er die abberufene Leibwache, eine Einheit von dreihundert gut ausgebildeten Soldaten, ins Goldland geschickt hatte, um die Aufstände einzudämmen? Hätte er nicht wissen müssen, dass es dieses Mal anders war und die Gegenwehr viel gewaltiger, als das immer wiederkehrende Aufbegehren der Fürsten, die es leid waren, Ägypten ihr Gold in die geöffneten Hände zu schaufeln? Sie waren klüger geworden - die Stammesfürsten kämpfen nicht wie sonst jeder für sich und gegeneinander, sondern hatten erkannt, dass sie stärker waren, wenn sie sich zusammentaten, um die ungeliebten Eindringlinge aus ihrem Land zu vertreiben. Thutmosis Aakheperenre war der Sohn Amuns, ein lebender Gott auf Erden – warum hatte er nicht gewusst, dass seine Soldaten wie Schlachtvieh in ihr Verderben liefen, als sie Buhen, die nördlichste Grenzfestung des Goldlandes, verlassen hatten? Es stimmte, was Ameni sagte. Der Kommandant von Buhen hatte sie gewarnt weiterzugehen, hatte gesagt, dass er schon vor längerer Zeit einen Boten nach Theben entsandt hatte mit einem Hilferuf und der flehenden Bitte um Unterstützung gegen die aufständischen Stämme des Goldlandes. Der Pharao hatte sie gewährt – dreihundert Soldaten der Leibwache seines toten Vaters hatte er ihnen geschickt – dreihundert Männer, die seinem Vater treu gedient hatten, denen er jedoch nicht traute. Sie waren zu wenige, um die Aufstände einzudämmen, und der Kommandant von Buhen hatte sich geweigert mit seinen Soldaten die schützende Festung zu verlassen, solange die Krieger wie entfesselt durch das Goldland tobten und alles niedermetzelten, was ihnen über den Weg lief. Sary und seine Einheit hatten ihn einen feigen Hund genannt und waren alleine weitergezogen, um den Befehl des neuen Pharao auszuführen. Sary presste die Lippen aufeinander. Dieser Kommandant war nicht feige, sondern klug gewesen. Und sie waren nicht mutig, sondern dumm. Nur Ameni hatte Bedenken geäußert, alleine weiterzugehen. Aber Ameni äußerte ständig Bedenken. Vielleicht, so gestanden sie sich mittlerweile jedoch alle ein, hatte Ameni doch recht mit seinem festen Glauben daran, dass Thutmosis sie opfern wollte, weil er sie fürchtete – die treu ergebene Leibwache des verstorbenen Gottkönigs.

„Bruder, wir werden hier sterben.“ Ameni hatte sich aufgesetzt, fuhr sich durch das staubig verschwitzte Haar und riss Sary aus seinen düsteren Gedanken. Amenis Blick war nicht verängstigt, sondern schicksalsergeben. Dies war der Augenblick, vor dem Sary sich stets gefürchtet hatte - vor dem Tag, an dem sein Bruder seinen Lebenswillen verlieren würde. Er war schmaler geworden, wie sie alle, die Haut tiefbraun, gegerbt von Sonne und Hitze, die Wangen ausgezehrt vom Hunger. Sary sah den kläglichen Rest der einst stolzen Leibwache des Einzig Einen, wie sie hinter dieser Mauer aus Felsgestein hockte und nicht wusste, was zu tun war. Dreihundert waren sie gewesen, gut die Hälfte war noch übrig. Der Pharao hatte sie vergessen und wollte sich ihrer auch nicht erinnern – sie waren vollkommen allein. Den Göttern hatten sie gedient, dem Lebenden Gott auf Erden, und jetzt hatte der neue Herr der beiden Länder sie wie Fliegen in den Staub getreten. Trotzdem verbot Sary es sich aufzugeben. Viel zu zornig war er über sein vergeudetes Leben, als dass er es einfach fortwerfen würde. „Wir werden nicht sterben, Ameni. Heute Nacht versuchen wir im Schutz der Dunkelheit zu fliehen und uns zurück nach Buhen durchzuschlagen.“

Ameni lehnte sich gegen die Mauer, betrachtete die trostlosen Gesichter der Kameraden, und Sary tat es ihm gleich. Kaum noch Wasser hatten sie, die Pferde nacheinander erschlagen und gegessen und überall lagen Knochen und verrottendes Fleisch. Fliegen tummelten sich um die fauligen Überreste. Es stank zum Himmel in ihrem erbärmlichen Lager. Ein paar wenige abgeschlagene Hände der Nubier lagen auf einem Haufen, wie ein Mahnmal nicht aufzugeben, und stattdessen weitere klägliche Trophäen zu sammeln für einen Gott, dem sie soviel bedeuteten, wie das Geschmeiß, gegen das er sie ausgesandt hatte. Sie soffen das Blut der geschlachteten Pferde, tranken ihre eigene Pisse und legten rohes Pferdefleisch auf eiternde und entzündete Wunden in der Hoffnung, der Brand würde gelindert. Wie lange würden sie noch durchhalten können? Jeden Tag starb mindestens einer von ihnen an seinen Verletzungen. Ameni sprach die gnadenlose Wahrheit - sie würden hier elendig verrecken, aber Sary war noch nicht verzweifelt genug, sich das einzugestehen. „Wir brechen aus der Umklammerung aus, Ameni! Heute Nacht – entweder wir schaffen es, oder nicht. Month möge uns beistehen. Wir müssen zurückkehren nach Ägypten, damit Gott Amun sieht, was der Pharao in seiner Selbstgefälligkeit tut. Wir müssen leben, damit wir es erzählen können – jedem, der zuhören will! Was uns geschehen ist, kann nicht Maat sein!“

Ameni betrachtete seine wund gescheuerten Hände. „Es interessiert die Götter einen Dreck, ob wir verrecken, Sary.“ Dann schien er sich zu besinnen und fuhr sich über die aufgesprungenen Lippen. „Einer muss sich opfern, damit die anderen fliehen können. Einer lenkt sie ab, die anderen laufen um ihr Leben.“

Sary trat einen Stein mit dem Fuß von sich fort. Er traf einen der Kameraden am Arm, der ihm einen kraftlosen Fluch entgegen schleuderte, aber zu erschöpft war, einen Streit zu beginnen.. „Keiner wird sich freiwillig opfern.“

„Doch – ich werde es tun.“

Amenis Worte trafen Sary wie einen Schlag mit der Kriegskeule im Nacken. Sein Kopf fuhr herum, um seinen Bruder einen Narren zu nennen. Doch Amenis Gesichtszüge wirkten entschlossen. „Ich muss am wenigsten von uns zurück nach Ägypten, Bruder. Ich habe keine Kinder und keine Frau, die auf mich wartet – keine, auf die ich hoffen darf.“

Sary schloss die Augen. Sie hatte es letztendlich doch noch geschafft. Haatsch, die Gottestochter mit dem dreieckigen Katzengesicht, den schräg stehenden Augen und dem tiefschwarzen Haar, die nun die Große Königliche Gemahlin eines Pharaos war, dem sein Volk wenig bedeutete. Es war gekommen, wie Sary es seit der ersten Nacht, als Haatsch sich zu Ameni schlich, gefürchtet hatte. Hätte sie doch lieber ihn angesehen anstelle Amenis. Er hätte ihr sein Min zwischen die Schenkel gestoßen und sie maunzen lassen, wie es eine Buhlin der Katzenköpfigen brauchte. Er wäre ihr nicht verfallen wie sein rührseliger Bruder! „Sie ist es nicht wert, Ameni!“

Sein Bruder lächelte freudlos. „Ich wusste, dass du das sagen würdest, doch glaub mir, dass sie es wert ist. Wenn niemand euch anhören wird, Haatsch wird es tun. Du musst nach Theben gehen, Sary, du bist der Stärkste von uns. Wenn der Pharao dich fortschickt, dann geh zu ihr. Haatsch wird dir helfen, denn sie liebt Ägypten und ihr Volk. Sie wird einen Weg finden.“

Die Sonne brannte gnadenlos auf sie hinab, die verdammte rote Erde glühte, und sein Bruder redete von seinem eigenen Tod. Gerne hätte Sary Haatsch genommen und mit dem Gesicht durch den Dreck gezerrt, ihren göttlichen Arsch in den roten Staub getreten und ihr mit der Nilpferdpeitsche die Selbstgefälligkeit ausgetrieben. Er konnte doch nicht seinen Bruder opfern, um sein eigenes Leben zu retten. Alles in Sarys Herz wehrte sich gegen diesen Gedanken, doch die Dämonen der Unterwelt fraßen sich in sein Herz, und die Angst vor einem ewigen Tod ließ ihn schweigen. Bei allen Göttern Ägyptens und der zornigen Sachmet – ich will leben! Sary wusste, dass er sich ewig dafür hassen würde, seinen Bruder an seine eigene Lebensgier und an ein Weib verloren zu haben, das nun die hohen Federn der Königin trug.

„Dann sei es eben so“, spie er sich selbst verachtend aus, und Ameni klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter. „Zürne mir nicht, Bruder. Wärest du an meiner Stelle – du hättest ebenso gewählt.“

Niemals!, dachte Sary voller Verachtung für sich selbst, für seinen Bruder und für Hatschepsut. „Mein Herz ist keines Weibes Sklave!“ Dann schwiegen sie beide, denn es gab nichts mehr zu sagen.


Am Abend sah Sary mit Bitterkeit auf der Zunge, wie Ameni sich in seinem zerrissenen Schurz in die Dunkelheit davon schlich. Zuerst gab er sich noch Mühe, nicht zu schnell entdeckt zu werden, denn er wollte die nubischen Krieger möglichst weit von der Lagerstätte seiner Kameraden fort wissen. Dann trat er jedoch mit voller Absicht gegen Steine, um die Aufmerksamkeit der Feinde auf sich zu ziehen. Sary kauerte mit den anderen hinter der Mauer, und in seinem Magen schien eine Doloritkugel zu liegen, die sich langsam durch seine zu enge Luftröhre bis zu seinem Herzen zu quälen begann. Plötzlich erklangen Schreie von jenseits des Schutzwalls, die Rufe von Kriegern in fremder Zunge und dann ein Aufschrei seines Bruders, so elend und schmerzvoll, dass Sary sich die Hände auf die Ohren legen wollte. Doch er tat es nicht, denn er wusste, dass er es Ameni schuldig war, von seinen Todesschreien bis an das Ende seines erbärmlichen Lebens verfolgt zu werden. Vielleicht würde der zornige Ach seines Bruders ihn heimsuchen und quälen – es war nur gerecht! Ein letzter Schrei ertönte, und dann rief Ameni den Gott Amun an, ihn nicht zu vergessen. Die plötzliche Stille ließ Sary den Schlag seines gequälten Herzens umso lauter vernehmen. Aus seinem Entsetzen erwachte er erst, als der zweite Kommandierende ihn an der Schulter rüttelte und ihm ins Ohr zischte: „Jetzt, Soldat ... lauf, lauf so schnell du kannst, und lass ganz Theben wissen, welches Unrecht der Einzig Eine an uns verübt hat!“

Sary sprang auf die Beine und fühlte kurz seine Kraft schwinden. Doch schon brüllte sein lebenshungriges Herz, er solle seinen lahmen Arsch in Bewegung setzen. Vielleicht war es auch der zweite Kommandant, der schrie, aber Sary wusste es nicht. Er sprang hinter der Mauer hervor und lief um sein Leben, immer den Namen seines Bruders im Gedanken vor sich hersagend Ameni! Er sah nicht, wohin er lief, denn die Nacht des Goldlandes war tief und unfassbar – wie der ewige Tod, der ihn erwartete, sollte es ihm nicht gelingen zu fliehen. Ameni hatte auf ihn vertraut und sich geopfert, die Männer hinter dem Wall vertrauten ihm. Sary wusste, er durfte nicht versagen. Aus dem Augenwinkel sah er eine grinsende Zahnreihe aufblitzen, dann traf ihn etwas am Auge und ein heißer Schmerz fuhr durch seinen Leib. Sary strauchelte, fiel aber nicht hin, obwohl er auf dem getroffenen Auge nichts mehr sah und warmes Blut ihm über das Gesicht lief. Der Schmerz, der seinen gesamten Kopf erfasste, ließ ihn kurz an eine gnädige Ohnmacht denken; doch Sary bezwang ihn und stolperte weiter. Sie benutzten Wurfschleudern, und er wusste noch während er lief, dass sein linkes Auge verloren war. Er hätte schreien wollen und durfte es doch nicht, um sich und die anderen nicht zu verraten! Stattdessen lief er weiter, da er wusste, dass sie ihn entdeckt hatten und ihm nachstellten. Aber es war dunkel unter Nuts nächtlichem Leib, und als ein Krieger im kurzen Schurz sich mit einer Keule von der Seite auf ihn stürzen wollte, schlug ihn Sary mit einem einzigen Schlag seiner vor Schmerz und Wut gehärteten Faust nieder. Stöhnend fiel der Schwarze vor ihm auf die Knie und hob die Hände als Zeichen dafür, dass er sich ergab. Du hast meinen Bruder abgeschlachtet ... du und deinesgleichen! Sary griff nach einem Stein am Boden und zertrümmerte ohne darüber nachzudenken dem Nubier den Schädel. Er ließ erst von dem anderen ab, als dessen Kopf nur noch eine breiige Masse war, die an seinen Händen klebte. Ameni!, hämmerte es wieder in seinem Herzen. Wenn sie uns nicht hilft, und dein Opfer umsonst war, werde ich das Gleiche mit ihr tun ... das schwöre ich bei Month und Sachmets rasendem Zorn!



Theben, im zweiten Jahr der Herrschaft Thutmosis Aakheperenres

Hatschepsuts Bauch war rund, noch nicht kugelig, aber sichtlich rund, und Ipu verwöhnte sie, schob ihr ständig Leckereien zu und sang fröhliche Lieder. Es hatte lange gedauert bis ihre Mondblutungen ausblieben, und Hatschepsut hatte bereits befürchtet, dass der Samen ihres kraftlosen Bruders zu schwach für ihren starken Leib sei. Sie hatte Amun angefleht, in Karnak im Allerheiligsten vor seinem Standbild gelegen, und als das nichts half, hatte Ipu sogar einen Wabu kommen lassen, damit er herausfände, was an Hatschepsuts Leib nicht stimmte und warum sie nicht schwanger wurde. Der Wabu hatte Hatschepsut genau betrachtet, sich gewichtig gegeben und über die seltsame Farbe ihrer Augen gesprochen. „Es scheinen mir zu viele Sprenkel die Klarheit der Pupille zu trüben. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Durchgänge der Großen Königlichen Gemahlin verstopft sind.“ Sodann hatte der Wabu die Zehe eines Knoblauchs in Hatschepsuts Unterleib geschoben, und sie angewiesen, diese eine ganze Nacht lang dort zu belassen. Am nächsten Tag war er gekommen und hatte ihren Atem gerochen, wonach er entschuldigend den Kopf geschüttelt hatte. „Die Durchgänge der Gottesgemahlin sind tatsächlich verstopft, denn es dringt kein Knoblauchgeruch aus ihrem Mund. Sie wird kein Kind des Einzig Einen empfangen können, solange das so ist. Bete nur weiter zu Amun und bringe Thoeris Opfer, damit sie deinen Wunsch nach einem Sohn erhört.“

Hatschepsut war untröstlich gewesen in Anbetracht der niederschmetternden Worte. Daraufhin hatte Ipu den Wabu fortgejagt und ihn einen dummen Schwätzer genannt. Verärgert und mit hoch erhobenem Haupt war der Priesterarzt verschwunden, nicht ohne noch einmal auf seine Stellung und Befähigung hinzuweisen. „Ich, Unesch, behandele seit vielen Nilschwemmen die königliche Familie. Der Einzig Eine vertraut mir – nur die Große Königliche Gemahlin zweifelt an meinen Fähigkeiten!“

Doch Ipu bestand trotzdem darauf, dass er ein Stümper war, daran änderte auch der Umstand nichts, dass Thutmosis ihm vertraute.

Schließlich hatte Hatschepsut in ihrer Ratlosigkeit nach dem obersten Priesterarzt in Karnak schicken lassen. Dieser hatte ihr durch seinen Schüler ein Amulett der Göttin Thoeris überbringen lassen, das Hatschepsut tragen und nicht mehr ablegen sollte – und bald darauf hatte ihr Bauch sich endlich gerundet. Zum Dank für seine Hilfe hatte der Arzt einen Schmuckdolch mit Edelsteinen von ihr erhalten, und den Titel „Leibarzt der Großen Königlichen Gemahlin“. Seit Hatschepsut ein Kind trug, hatte Thutmosis sie nicht mehr rufen lassen, und Hatschepsut hatte ihn ebenfalls nicht darum gebeten, ihr Lager zu teilen. Sie wussten beide, dass sie einander nicht begehrten – sie wollten nur das Kind, das sie zusammen gezeugt hatten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

„Noch vier Monde, Haatsch, dann hast du einen eigenen Sohn, und das Balg der Nebenfrau wird vergessen werden.“

Hatschepsut hätte es gerne vergessen, das Kind der Isis, doch sie konnte nicht leugnen, dass es ein kräftiger Knabe war, der bald sein erstes Jahr vollendet hätte, der gesund war und wuchs, und dem sein Vater den Namen Thutmosis gegeben hatte, als wäre er der Falke im Nest. Ein jeder wartete nun angespannt, was die Gottesgemahlin zustande brachte und ob auch sie einen kräftigen Knaben gebären konnte. Das Kind, das sich erst vor Kurzem in ihr zu regen begonnen hatte, schien ihr nicht kräftig, vielmehr waren seine Tritte zögerlich und sanft, wie das Treteln eines neugeborenen Kätzchens. Ipu half Hatschepsut auf und zog sie so aus ihren ängstlichen Gedanken. Natürlich würde sie einen Sohn haben, der das Kind der Isis übertraf! Sie war Hatschepsut. Wie hätte ihr Kind schlechter geraten können, als das von Isis.

„Sie warten bereits alle im Empfangssaal – du willst dieser Schlammfliege, die am Min deines Bruders hängt, doch nicht deinen Platz überlassen, oder? Also beeil dich, so rund bist du noch nicht, dass du trödeln darfst.“

Ipu war unverschämt, aber sie war ihre Vertraute. Sie war ehrlich und einer der wenigen Menschen, die nicht zahllose Litaneien zu Hatschepsuts Begrüßung herunterleierten, bevor sie mit ihr sprachen. Begleitet von einer Schar Priester und Hofdamen eilten sie durch die Gänge, bis zur Empfangstür des großen Thronsaals, in dem Thutmosis seine Gesandten empfing oder sich mit seinen Beratern besprach ... mit Mutnofrets und Isis Beratern, verbesserte sie sich selbst.

„Die große königliche Gemahlin, Gottesgemahlin, geliebt von Amun, geliebt vom Herrn beider Länder, Hatschepsut“, leierte der Zeremonienmeister ihre Titulatur herunter, als sie den von Menschen überfüllten Saal betrat. Die Höflinge wichen vor ihr zurück, kreuzten die Arme vor der Brust und taten ihre Verbeugungen - doch Hatschepsut wusste, dass sie es nicht um ihretwillen taten, sondern weil sie die große königliche Gemahlin des Pharao war und einen runden Bauch hatte, in dem vielleicht ein neuer Falke heranwuchs. Wie unsicher ihre Stellung war, nachdem Isis einen Sohn geboren hatte, sah man an der Zurückhaltung der Höflinge, die ihr nicht mehr Aufmerksamkeit schenken mochten als der dreisten Nebenfrau.

An ihr vorüber zogen zwei Wachen einen Mann, der zerlumpt aussah. Er war mager und müde und hing schlaff in den Armen der Wachen. Doch als sie an ihm vorüberging, hob er kurz seinen Kopf, und starrte Hatschepsut durchdringend aus einem einzigen bernsteinfarbenen Auge an. Goldlöwe! Hatschepsut zuckte zusammen, als die Erinnerung sie überkam wie ein längst vergessener Traum aus vergangenen Tagen. Dieses Bündel aus Knochen und Haut hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem schönen Mann, dem die Mädchen in Theben nachgestarrt hatten. Warum war er hier? Warum führten sie ihn aus dem Thronsaal wie einen Verbrecher? Sie überlegte ihn anzusprechen, doch ein ungutes Gefühl ließ sie schweigen. Sie musste wissen, was geschehen war und wessen Sary sich schuldig gemacht hatte, bevor sie den Unwillen aller auf sich zog. Obwohl es ihr schwerfiel, beachtete sie den Bruder ihres einstigen Geliebten nicht weiter, und ließ es zu, dass die Wachen ihn aus dem Thronsaal schleiften. Auf dem Thronpodest wichen im gleichen Augenblick, als Hatschepsut die Stufen hinaufkam, Mutnofret und Isis vom Ohr ihres Brudergemahls und krochen wie Schlangen zurück in die Schatten hinter dem Thron, aus denen sie ihr Gift in Thutmosis Ohren träufelten – langsam und stetig. Sie mussten ihr weichen, noch mussten sie es, denn sie wussten nicht, ob es ein Sohn war, der in Hatschepsut heranwuchs. Wäre es eine Tochter, würden sie bald nicht mehr vor ihr zurückweichen. Hatschepsut ließ sich neben Thutmosis auf dem Thronstuhl der Königin nieder, darauf bedacht, ihren runden Leib nicht zu verbergen.

„Schwester“, murmelte Thutmosis gequält und beinahe taub auf den vergifteten Ohren, ohne sie anzusehen. „Da ist einer aus dem Goldland zurückgekehrt und fordert, dass ich Truppen entsende, um die Aufstände einzudämmen. Denk dir nur – er fordert es – von mir, dem lebenden Gott! Weiterhin behauptet er, die Fürsten der Söhne von Kerma hätten sich gegen den Horusthron verschworen. Aber Mutnofret und Isis glauben, dass er einfach feige geflohen ist und seine Kameraden allein gelassen hat. Isis rät mir, keine Zeit mit ihm zu verschwenden und ihn unverzüglich hinzurichten.“ Seine Augen glänzten wie im Fieber, ein Zeichen dafür, wie verunsichert Thutmosis war. „Was soll ich tun? Er hat mich beschimpft und mich einen Heuchler und Menschenschlächter genannt. Das bin ich doch nicht, Haatsch! Ich habe die Leibwache unseres Vaters ausgesandt, um die Aufstände in Nubien einzudämmen, aber er behauptet, ich hätte sie mit voller Gewissheit in den Tod geschickt. Warum geschieht das gerade mir? Tue ich Recht daran, wenn ich ihn hinrichten lasse oder nicht? Laufen lassen kann ich ihn nicht, denn er wird in Theben gegen mich hetzen.“ Er jammerte beinahe wie ein Kind, und Hatschepsut sah sich genötigt, seine Hand zu nehmen, obwohl sie ihn lieber an den Schultern gerüttelt hätte. Thutmosis war wie ein junger Hund und forderte ihre Hilfe ein, ohne ihr die Seine zu gewähren. „Haatsch, was soll ich denn nur tun ... er will, dass ich Truppen nach Nubien entsende, aber gestehe ich nicht Schwäche ein, wenn ich mich von ihm beleidigen lasse?“

Du hast bereits Schwäche gezeigt, als du auf Mutnofrets Geheiß die Leibwache deines Vaters aus Theben fortgeschickt hast, als wären sie Dreck unter deinen göttlichen Füßen. Sie hätten dich geliebt und beschützt, wie sie unseren Vater schützten, doch nun werden sie nichts mehr tun, auch wenn du sie befreist. Jetzt wirst du nichts als Dreck unter ihren einfachen Soldatenfüßen sein. Aber das sagte Hatschepsut ihrem verängstigten Bruder nicht. Statt dessen begann ihr Verstand zu arbeiten. Ihr Vater hatte die mächtige Stadt Kerma, die über das Goldland herrschte, besiegt, doch der Stolz der Bewohner und derjenigen, die sich für die rechtmäßigen Erben hielten, war ungebrochen. Bisher hatten sie sich gegenseitig bekämpft, da jeder Anspruch auf den Herrschertitel erhob. Nun schienen sie erkannt zu haben, dass ohnehin niemand von ihnen herrschen würde, wenn sie den Horussohn nicht aus ihrem Land vertrieben. Ihren Vater hatten sie gefürchtet – Thutmosis kannten sie nicht. Ihr Bruder hätte es wissen müssen und anstatt einer Leibwache von dreihundert Mann ein Heer ins Goldland schicken sollen ... mit ihm selbst an der Spitze, damit sie wussten, dass Ägypten stark war und ein Aufstand sich nicht lohnte.

Gleich einer Schlange schob sich Isis von ihrem Platz hinter dem Thron an Thutmosis Ohr. „Lass diesen Mann hinrichten und vergiss sein Gerede. Du bist der Herr allen Lebens. Das Goldland wird sich beruhigen. Das hat es immer getan.“

Thutmosis nickte, während in Hatschepsut die Erinnerung an Amenis Gesicht aufflammte. Schon längst war er ein Teil ihrer Vergangenheit geworden – das hatte sie zumindest geglaubt. Doch Sarys Auftauchen ließ die gestohlenen Nächte und die verbotenen Umarmungen in ihrem Herzen aufleben, als wären sie nie getrennt worden. Und die Männer, die nun im Goldland dem Tode geweiht waren ... ihre Verschworenen. Sie alle hatten geschwiegen und hatten sie und Ameni beschützt. Hatschepsut wusste im gleichen Augenblick, dass sie es nicht zulassen konnte, dass sie dort starben - schon wegen Ameni und um das zu erhalten, was ihr Vater für Kemet erkämpft hatte. „Du bist ihr Pharao – sie vertrauen dir ... noch. Wenn du nichts tust, werden sie sich fragen, ob die Worte dieses Mannes wahr sind. Du musst seine Behauptungen überprüfen lassen – und bevor nicht geklärt ist, ob er die Wahrheit gesagt hat, darfst du ihn nicht hinrichten lassen“, zischte Hatschepsut ihrem Bruder zu, während die Höflinge unruhig wurden, da sie das Getuschel auf dem Thronpodest sahen, aber nicht die Worte verstehen konnten, die gesprochen wurden.

„Haatsch – ich brauche die Truppen im Norden. Syrien, die Hethiter, von dort droht größere Gefahr.“

Hatschepsut verschloss sich gegen die feigen Reden des Bruders und selbst das Kind in ihrem Bauch schien aufzubegehren und trat kräftiger als sonst gegen ihre Bauchdecke. Sie waren sein Volk, wie konnte er nur so gleichgültig sein. „Ein paar Hundert Männer würden ausreichen – zusammen mit den Soldaten der Grenzfestung Buhen. Du musst gerecht bleiben, damit sie dich achten, und du musst Truppen ins Goldland schicken, sonst verlierst du die nubischen Minen.“

Das schien Thutmosis endlich zu beunruhigen, denn er suchte den Blick von Isis, die jedoch abwehrend den Kopf schüttelte. Hatschepsut fasste einen Entschluss, kaum dass sie länger über ihren Gedanken nachgedacht hatte. „Entsende mich ins Goldland in deinem Namen. Lass uns eingreifen, bevor es zu spät dafür ist. Wir müssen ihnen zeigen, dass auf Ägyptens Thron ein starker Herrscher sitzt, der die Maat achtet.“

Seine weichen Züge unter dem Nemestuch mit dem Uräus zeigten sich überrascht, und es fiel ihm schwer, sein Misstrauen nicht zu verbergen. „Haatsch, du trägst meinen Sohn. Sein Leben ist wichtiger als das der Soldaten.“

Hatschepsut legte sich ihre Worte sorgfältig zurecht, bevor sie antwortete. „Du weißt, dass er nicht nur dir wichtig ist. Ich schwöre bei allen Göttern, dass ich ihn schützen werde, den Falken im Nest.“ Sie sagte es laut und deutlich und meinte zu spüren, wie Mutnofret und Isis auf ihren Plätzen hinter dem Thron des Königspaares zusammenzuckten.

„Lass sie doch gehen, wenn sie es unbedingt will“, schnippte Isis Stimme gerade zur rechten Zeit in ihrem Rücken auf. Hatschepsut verbot sich ein zufriedenes Lächeln, da Isis so schnell den Köder gepackt hatte.

„Kann ich dir vertrauen, Schwester?“, fragte Thutmosis unter zusammengekniffenen Augen, und winkte dann bereits seinen Schreiber heran. Hatschepsut nickte mit klopfendem Herzen und wich seinem Blick nicht aus. Plötzlich schnellte Mutnofrets Kopf hinter dem Thron hervor wie der einer Königskobra. „Sie will die Truppen auf ihre Seite ziehen, mein Sohn, siehst du das denn nicht!“


Hatschepsut hätte Mutnofret gerne befohlen zu schweigen, wagte es jedoch nicht, da sie fürchtete, Thutmosis würde sie vor allen Augen in ihre Schranken weisen und damit den versammelten Höflingen ein deutliches Zeichen ihres geringen Einflusses geben. Thutmosis gab dem Schreiber einen Wink zu warten, denn wieder war er verunsichert. Scheinbar unendlich lange hielten die Höflinge die Luft an, und im Thronsaal war es so leise, dass Hatschepsut kaum zu atmen wagte. Endlich wandte sich Thutmosis ihr wieder zu. „Ich werde dir vertrauen, Schwester! Aber ich gebe dir nur fünfhundert Soldaten. Wie du die Aufstände eindämmst, ist dir überlassen. Wenn es dir nicht gelingt, das Goldland zu befrieden und sich die Geschichte des Soldaten als Lüge herausstellt, wirst du den Schaden haben – nicht ich.“

Hatschepsuts Mut sank so schnell, wie er aufgeflammt war. Fünfhundert Soldaten! Das war wenig, viel zu wenig, aber mehr würde Thutmosis ihr nicht zugestehen, aus Angst, seiner Schwester ein Heer in die Hände zu spielen, das sich hinter sie stellen würde. Hatschepsut lächelte nicht noch dankte sie Thutmosis für sein Misstrauen – sie wusste, dass Mutnofret und Isis die Zeit ihrer Abwesenheit zu nutzen wüssten. „Den Einäugigen nehme ich mit, damit er uns führen kann.“

Ihr Bruder verweigerte ihr auch das nicht, froh darüber, nicht selbst entscheiden zu müssen, was mit ihm geschehen sollte. Er trug Hatschepsut jedoch auf, den Soldaten, egal ob er die Wahrheit gesprochen hatte oder nicht, entweder in Nubien hinrichten zu lassen oder auf einem Außenposten zurückzulassen. „Ich traue ihm nicht“, war seine Begründung für seine Entscheidung. Hatschepsut hatte seine Worte kaum noch gehört. Sie wusste mit einem Mal, wen sie jetzt brauchte. Wenn du nicht mehr weißt, wem du trauen kannst – ihm kannst du vertrauen.

Senenmut blickte hinaus durch den Eingang seiner Empfangshalle, wo er gerne seine Nachmittage verbrachte und die friedliche Stimmung genoss. Seine Räume im Palast bewohnte er nur noch selten, seit der Einzig Eine in seiner Barke über den Himmel fuhr. Er war ihm schon immer zu laut, zu verlogen und zu unübersichtlich gewesen, dieser Palast mit seinen Höflingen und Intrigen. Nur um seinem Herrn besser dienen zu können, hatte er seiner Bitte entsprochen, dort zu leben. Doch nun war es nicht mehr nötig. Senenmut war ein Mann der Klarheit und geraden Wege. Wie sein Vater Ramose ihn gelehrt hatte, sich nicht von vergänglichen Dingen täuschen zu lassen, hatte er als junger Mann seinen stetigen Aufstieg begonnen und war aus den bescheidenen Verhältnissen seines Elternhauses zum Freund und Berater des Lebenden Gottes aufgestiegen. Nach der Priesterweihe hatten die Götter es ihm bestimmt, im Heer des Pharaos zu dienen, wo er sich durch Klugheit und Tapferkeit verdient gemacht hatte. Als Dank für seine Treue war Senenmut nach seiner Zeit in Pharaos Heer schließlich zum Vorsteher der Kornspeicher des Amun ernannt worden, was nicht weniger bedeutete, als dass er die zugedachten Erträge des überaus reichen Karnaktempels verwaltete. Senenmut tat dies klug und bescheiden, was ihm den Oberpriester des Amun zum Freund gemacht hatte. Nun war er selbst ein wohlhabender Mann mittleren Alters und konnte die Früchte ernten, die er über viele Nilschwemmen gesät hatte. Sogar die Heirat mit einer Thebanerin adeligen Blutes würde ihm nicht mehr verwehrt sein, denn niemand fragte noch nach seiner geringen Herkunft – Senenmut hatte den Makel seiner einfachen Geburt mit Ehre, Ansehen und Wohlstand überdeckt; und mit seinem Herrn waren auch seine Pflichten dem Horus gegenüber gestorben, die ihm lange nicht die Zeit für eine eigene Familie gelassen hatten – Senenmut war endlich frei für ein eigenes Leben - oder doch nicht?

Vor ihm saß Hatschepsut, die Lieblingstochter seines toten Herrn, in einem schlichten Leinenkleid, das schwarze Haar fiel ihr glatt über die Schultern, und nur der Uräus, der sich über ihrer Stirn erhob, ließ erkennen, wer sie war. Sie war feingliedrig und voller jugendlicher Ungeduld, wie sie auf dem zierlichen Ebenholzstuhl herumrutschte und den Becher mit Wein nicht anrührte, den sein Diener Anen ihr gebracht hatte. Die aus der Familie des Horus lernten bereits früh, ohne Vorkoster keine Speise anzurühren, die ihnen gebracht wurde. Hatschepsuts Bauch begann sich zu runden – sie hatte es vollbracht, ihrem Brudergemahl ein Kind abzutrotzen, obwohl die Höflinge Wetten darauf abgeschlossen hatte, dass Thutmosis seine Schwester nicht anrühren würde. Ipu, ihre hübsche aber etwas überhebliche Dienerin, stand hinter ihr und sah sich verstohlen in seinem Haus um. Es war kein ansprechendes Haus für das Auge einer verwöhnten Palastfrau, denn es enthielt zu wenig Tand und Zierrat, um den Augen einer Frau zu schmeicheln. Aber Senenmut liebte es, denn es war sein Heim – seine Flucht vor der Welt des Palastes. Doch heute war der Palast ohne Vorankündigung in sein sicheres Nest eingedrungen. Senenmut wusste nicht, ob er zornig war oder einfach überrumpelt. Hatschepsut war eine Gottestochter, und diese machten sich wenig Gedanken darum, ob sie erwünscht waren oder nicht. Sie redeten viel und hörten wenig auf die Worte von anderen.

„Senenmut, kann ich dir vertrauen, und bist du mein Freund?“, fragte Hatschepsut mit ihrer weichen Mädchenstimme bereits das zweite Mal und zwang ihn, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Senenmut tat sich schwer mit einer Antwort, denn er wusste, sie musste von Ehrlichkeit zeugen und würde ihn einmal mehr dem Göttlichen verpflichten. Wollte er der Freund dieser jungen königlichen Gemahlin sein und ihr dienen? Senenmut wusste, dass er ihrem Bruder auf keinen Fall dienen wollte, aber in Hatschepsut schien etwas von ihrem göttlichen Vater aufzuflackern. Wie sie ihn mit ihren schräg stehenden Augen ansah und ihn aufforderte, endlich zu antworten erkannte er den großen Willen, der auch ihrem zu Osiris gegangenen Vater zu eigen gewesen war. Ihrem Vater hatte er einst ein Versprechen gegeben, von dem Senenmut inbrünstig gehofft hatte, dass es nicht nötig wäre, es einzulösen. Aber die Götter achteten nicht auf die Wünsche der Sterblichen. Es war ein schöner Traum gewesen – eine eigene Familie, Söhne, die dereinst Opfer für ihn bringen würden, eine freundliche Gemahlin an seiner Seite ... Dies ist nicht, was Amun von mir erwartet!

„Du bist die große königliche Gemahlin, und dein Vater hat die Wahrheit gesprochen, als er sagte, dass du dich vertrauensvoll an mich wenden kannst. Ich werde dich ins Goldland begleiten und die Truppen führen.“ Ich wünschte jedoch, dass es nicht nötig wäre, denn ich kenne die Menschen des Goldlandes. Mit ihrem Vater hatte er einst den Herrscher von Kerma niedergezwungen und die Mauern seiner Stadt geschliffen, aber die Menschen würden immer wieder aufbegehren, so oft Kemet auch Truppen entsandte. Doch wie konnte er diese ahnungslose junge Königin allein gehen lassen, wo er ihrem Vater einen Schwur geleistet hatte? Senenmut sah in ihr dreieckiges Gesicht, das weder lieblich noch hart war, aber auf eine seltsame Art und Weise anziehend. Wusste dieses Mädchen denn überhaupt, was es da tat oder basierte der Entschluss ihres Handelns auf unüberlegten Gedankengängen, wie es bei ihrem Bruder der Fall war? „Du weißt, dass sich viel verändern kann, wenn du lange aus Theben fort bist. Die, die gegen dich sind, werden die Zeit nutzen. Bist du dir sicher, dass du nur wegen ein paar Soldaten diese Reise auf dich nehmen möchtest? Du trägst ein Kind – dies scheint mir die klügste Art für eine Königin, ihr Leben und ihren Rang zu sichern.“

Hatschepsuts Brauen hoben und senkten sich wieder, als überlege sie ob Senenmut sie hatte beleidigen wollen. „Senenmut, hältst du mich für dumm oder willst du herausfinden, ob ich klüger bin, als du es mir zutraust? Wenn ich nach Nubien gehe und das Goldland befriede, das Leben der Soldaten dort rette, wem werden sie es danken? Mir oder meinem Bruder?“

Er zwang sich, das aufkommende Lächeln zu unterdrücken und ernst zu bleiben. „Und wenn es dir nicht gelingt, wem werden sie es anlasten?“

Das Mädchen vor ihm ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn er spürte, dass es ihr schwerfiel. Sie hatte Angst, dachte jedoch nicht daran, dies vor ihm einzugestehen. Aber Senenmut musste genau wissen, mit wem er es zu tun hatte, bevor er sich entschloss, seinen Frieden aufzugeben und sich wieder in die Schlangengrube des Palastgeschehens zu begeben. „Willst du deinen Bruder stürzen, meine Königin?“

Er hatte damit gerechnet, dass diese Frage sie endgültig aus der Fassung brachte. Sie hätte aufspringen und ihn beschimpfen sollen, mit hoch erhobenem Kopf sein Haus verlassen, doch Hatschepsut tat nichts dergleichen. „Ich will nur Schutz für mich und mein Kind. Ich will leben, ohne mich ständig umsehen zu müssen, ob ein gedungener Mörder mit dem Dolch auf mich wartet oder Gift in mein Mahl gibt. Wenn Kemets Truppen mir wohlgesonnen sind, kann ich das tun ... und ich will das Beste für mein Land und das bewahren, was mein Vater so trefflich für Kemet errungen hat.“ Hatschepsut ließ ihn nicht aus den Augen. „Also, Senenmut, den der Einzig Eine seinen Freund nannte. Willst du auch der Freund der großen königlichen Gemahlin Hatschepsut sein?“

Endlich gestattete er sich eines seiner schief geratenen Lächeln, nickte und deutete eine Verbeugung im Sitzen an. Hatschepsut sprang von ihrem Stuhl auf und gab ihrer Dienerin einen Wink ihr zu folgen. Anscheinend hatten seine Worte ihr doch zugesetzt, denn sie wandte sich zum Gehen. Dann überlegte sie es sich anders und sah ihn noch einmal an. „Nun denn, Senenmut, einzig wahrer Freund der großen königlichen Gemahlin. Du hast eine für Kemet heilsame und durchaus ehrbare Wahl getroffen, wenn auch eine gefährliche. Viele Freunde besitze ich wahrlich nicht.“ Ihre Augen schienen zu funkeln und gleichzeitig zu lächeln, als sie weitersprach. Senenmut wunderte sich wie gut sie ihre Gefühle beherrschte, obwohl sie noch so jung war.

„Und meine Freunde nennen mich Haatsch, wenn sie mit mir allein sind. Hapuseneb wird es dir bestätigen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schwebte Hatschepsut aus seinem Haus und hinterließ einen Hauch von Weihrauch, mit dem die Priester sie an jedem Morgen reinigten.

Senenmut sah ihr nach und bewunderte ihren Gang, der trotz der Schwangerschaft leichtfüßig und gerade war. Ihre Dienerin spannte einen Sonnenschatten aus Stoff über ihr auf sobald sie sein Haus verließen, doch Hatschepsut schob ihn beiseite, als fühle sie sich gestört. Senenmut erhob sich von seinem Stuhl und rief nach seinem Diener, dem alten Anen, der seit mehr als zwanzig Nilschwemmen in seinen Diensten stand. Sein Rücken war krumm, sein Kopf fast kahl, und flink war er auch nicht mehr ... aber seine Ohren waren wie die eines Knaben. Sie hörten, was sie hören wollten, und waren taub für alles, was sie nicht interessierte. Als der Alte vor ihm stand, das Gewand des obersten Dieners des Hauses schlotterte an seinem eingefallenen Leib, sprach Senenmut ihn ohne Umschweife an. „Hast du gelauscht, Anen?“

Der Alte verbeugte sich, obwohl es ihm schwerfiel. „Wie immer, Herr.“

Senenmut nickte – das Alter Anens und der lange Dienst in seinem Haus gewährten ihm große Freiheit im Umgang mit seinem Herrn. „Und was hältst du von ihr?“

Die Stimme des Alten klang brüchig, aber seine Worte waren scharf wie Dolche. „Sie ist fast noch ein Kind, dem man ein Land in die Wiege gelegt hat. Sie weiß kaum, wie gefährlich das Spiel ist, das sie sich ausgedacht hat.“

Senenmut nickte und wollte Anen fortschicken, doch dieser hielt seinen Herrn am Arm fest und blinzelte ihn aus seinen wässrig trüben Augen an. „Aber ein Kind wird erwachsen, und Kemets neuer Gottkönig ist nicht so stark, wie der, welchem du gedient hast. Das Land kann eine starke und kluge Königin gut brauchen, wenn es nicht wie damals im Chaos enden will, als die Hyksos über uns herfielen. Außerdem liebt sie ihr Land ebenso, wie ein Fellache seine Scholle.“ Der Alte lächelte herausfordernd und zeigte dabei die letzten bräunlichen Zahnstümpfe, die er noch in seinem Mund hatte.

Senenmut wusste, weshalb er den Alten nicht fortschickte. Das Alter konnte eine Weisheit und Hellsichtigkeit mit sich bringen, welche kaum durch Schulung zu erlangen war. „Du bist sehr klug, Anen – ich habe es niemals bereut, dich in meinem Haus zu haben.“

Anen verbeugte sich erneut unter Mühen vor seinem Herrn, dem ernsten Mann mit den scheinbar mürrischen Falten in den Mundwinkeln, und entgegnete: „Und ich habe es niemals bereut, dir gedient zu haben, Herr.“ Senenmut legte dem Alten eine Hand auf die Schulter und schicke ihn fort. Dann ließ er seinen Schreiber kommen und wies ihn an, ein Sendschreiben an Hapuseneb aufzusetzen. Mein Freund, ich fürchte, die Götter haben nicht vergessen, was wir ihnen schuldig sind. Halte dich bereit, denn Amun ist erwacht ...

Hatschepsut. Die schwarze Löwin

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