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Von der Poesie einer Qual

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Sobald man jemanden liebt, ist sie da, die Eifersucht. Man sieht den kleinen Korb mit den Streichholzschachteln, die sie über die Jahre aus Restaurants und Bars mitgenommen hat, und denkt im stillen: Mit wem war sie dort? Und warum war das nicht mit mir? Es kann zu frühen Verwandlungswünschen kommen, indem man den andern nicht nur haben, sondern dieser auch sein möchte. Man geht zusammen durch die Straßen und folgt seinem Blick, um zu sehen, was er sieht. Mit seinen Augen begegnet man fremden Augen, wie eine Kamera nimmt man auf, wenn er sich einer Dritten zuwendet, als dürfte einem nicht entgehen, von ihm für die Länge eines Augenblicks vergessen zu werden. Und so bemerkt man Jahre später auch seine aufgesprungene Lippe, die einem ohne Eifersucht nicht aufgefallen wäre. Und war das wirklich ich damals? Die eines Abends ins Kino gegangen ist im Wissen, dass er mit seiner Frau in eben diesen Film geht. Man setzt sich drei Reihen hinter sie, starrt im Schein der Leinwand auf die beiden Köpfe, spürt das Herz bei jeder Neigung der Gesichter zueinander stärker schlagen. Vielleicht ist man heute zusammen, ist aus dem heimlichen Geliebten die eine Hälfte eines offiziellen Liebespaars geworden, aber auch dann betritt man noch keine Sicherheitszone: die Schuhe, die aus dem Fenster fliegen, damit sie nicht gehen kann; die Reiskörner, die den Küchenboden überfluten, um ihn zum Reden zu bringen. Eifersucht hat die Kraft des Dramas.

Man ist nie grundlos eifersüchtig, denn wer liebt, ist gefährdet. Man setzt sich aus, offenbart sein Innerstes und hat jetzt alles zu verlieren. Die Eifersucht soll dabei helfen, sich weniger schutzlos zu fühlen. Es gibt keine Liebe ohne Eifersucht. Und daran wird sich nie etwas ändern, so aufgeklärt die Menschen leben, so liberal sich eine Gesellschaft gibt. So sehr die romantische Liebe überwunden werden soll und ihre Forderung nach Ausschließlichkeit. Eifersucht hat einen Sinn, und auch wo sie scheinbar sinnlos ist und auf nichts anderem als auf Einbildung beruht, prägt sie die Liebe. Die Liebe, diese ungeordnete und unvernünftige Erfahrung, bringt Eifersucht mit sich. Eifersucht ist deren quälende Variante.

Man kann niemanden gewinnen, zuerst den Vater, später eine Frau oder einen Mann, wenn man nicht weiß, was es heißt, eifersüchtig zu sein. Die Eifersucht treibt einen zu kämpfen an, immer wieder an den Punkt zu gelangen, wo es keinen Grund mehr gibt, eifersüchtig zu sein. Es gibt den erlösenden Moment von diesem zehrenden Gefühl, eine Pause von der Angst, nicht die Erste und Einzige zu sein, abgehängt, überwunden und ersetzt zu werden. Doch fühlt man sich eben noch versichert, spürt man bald wieder die Stiche, die vielleicht zum bohrenden Zweifel werden. Die Eifersucht sucht sich Nahrung und findet sie auch.

Nicht jeder Mensch ist eifersüchtig wie der andere. Manchmal steigert sich der Leidende in einen Wahn. Was aber unveränderlich alle erfahren: Es geht letztlich immer darum, die ungeteilte Liebe zu erhalten. Das gehört zum Selbstverständnis, überhaupt auf der Welt zu sein, dadurch erhält das Leben eine Bedeutung. Man möchte eine Exklusivität darstellen als Liebespaar. Du und ich.

Eifersucht eröffnet einen Phantasieraum, das fesselt an ihr, trotz der Qual, die sie verursacht. Man beginnt beim Warten auf den Anruf des andern im Telefon ein Orakel zu sehen. Ist eifersüchtig auf die Zeit, in der man nichts von ihm hört. Ihr hätten die »Injektionen von Wirklichkeit gefehlt«, sagt die Ich-Erzählerin in Ingeborg Bachmanns Roman »Malina«, nachdem sich Ivan eine Woche lang nicht bei ihr gemeldet hat und ihr spöttisch vorhält: »Eifersüchtig sind wir aber hoffentlich nicht, mein Fräulein.« Eifersüchtige stellen sich alles vor und beweisen geradezu ein Talent, zum Dichter oder Opernregisseur zu werden. Was wäre die Oper ohne die »dunkle Schwester der Liebe«, als die die Eifersucht bezeichnet wird? Sie erst bewirkt den Überschwang, wofür man Opern liebt. Was wäre eine Tosca oder ein Rigoletto ohne die Eifersucht? Nichts triebe die Handlung voran, es gäbe keine Steigerung, keine Verwicklungen. Die verschiedenen Kräfte zerrten nicht an den Protagonisten, es entwickelte sich keine Dynamik. »Le nozze di Figaro« oder »Die lustige Witwe« wären nach einem Akt zu Ende, zumal auch die Intrige, von der die Oper lebt und die als Katalysator der Eifersucht funktioniert, sich als wirkungslos erwiese. Gräfinnen, Pagen, Diener würden sich langweilen und lebten auf der Bühne gleichgültig dahin. Das will niemand sehen. Und die Kultur wäre um viele großartige Erzeugnisse ärmer.

Das lässt sich genauso an Beispielen aus der Literatur und dem Film illustrieren. Shakespeare hätte Othello zwar auch mit Desdemona verheiratet. Aber statt des »grünäugigen Ungeheuers«, als das die Eifersucht in dieser Tragödie bezeichnet wird, führten vielleicht Standesunterschiede oder Othellos dunkle Hautfarbe zu Hindernissen, die knapp genug Stoff für ein Drama hergegeben hätten. Auch wenn das keine wahren Geschichten sind, so sagen sie doch etwas über die Möglichkeiten der Liebe aus, wie sie das Leben größer machen. Sie bilden die Gefühle ab, die einem dann filmisch oder der Literatur entnommen vorkommen. Die Gefühlen finden in den Geschichten eine Resonanz.

Das versuchte vor ein paar Jahren eine Literaturprofessorin ihren Schülern zu vermitteln. Die wichtigste Sache im Leben sei, verkündete sie in ihrer Vorlesung, das eigene Leben zu leben, als wäre es ein guter Roman – als handle es sich um ein gutes, aufregendes Drehbuch. »Würde das Publikum während des Films eures Lebens hinauslaufen?« fragte sie ihre Studentinnen und Studenten. Die meisten antworteten insgeheim mit »Ja«.

Man könnte der Lehrerin vorwerfen, sie handle verantwortungslos, indem sie junge Leute dazu anhalte, sich in der Liebe nicht zufriedenzugeben. Nehmt euch »In the Mood of Love« zum Vorbild, besagt ihre Aufforderung, haltet die Sehnsucht wach und feiert den Verzicht wie das Paar im Film von Wong Kar-Wai. Macht es wie Elizabeth und Mr. Darcy bei Jane Austen und kämpft umeinander, als wäret ihr füreinander bestimmt. Versucht euch als Lady Chatterley, seid gefährlich wie Murakamis Geliebte! Damit könnte die Literaturprofessorin viele junge Menschen unglücklich machen, weil diese irgendwann merken, dass das wirkliche Leben kleiner ist als ein Roman oder ein Drama auf der großen Leinwand.

Diese Erkenntnis hat unzählige Beziehungsratgeber hervorgebracht und beschäftigt heute Kulturkritikerinnen und Paartherapeuten. Sie klingen immer gleich ernüchternd: Erfülle die Phase der Verliebtheit meistens noch alle Merkmale der romantischen Liebe, merke man spätestens nach ein paar Jahren, dass der Wunsch nach Aufregung, Leidenschaft und Begehren sich nicht mit der Dauer vertrage. Die Erwartung an die Liebe, ewig zu sein und ewig leidenschaftlich, bedeute gerade ihre vorzeitige Endlichkeit. Deshalb endeten die großen Liebesgeschichten meistens tragisch, wie Louis Aragon mit einem einzigen Vers klargemacht hat: »Il n’y a pas d’amour heureux«. In den meisten Leben aber führe fast jede Liebesgeschichte in die geregelte Beziehungsform der Ehe und finde ein vergleichsweise banales Ende. Derjenige, dem man das Träumen auf trage, könne also nur scheitern.

Und doch gibt es keinen Grund, die romantische Professorin zu schelten, die ihre Schüler zu größeren Erwartungen ermutigen will. Im Gegenteil, zu loben wäre sie für ihre Absicht, mehr Bedingungslosigkeit und Hingabe zu fordern und von der Literatur, der Kunst, dem Film fürs Leben abzuschauen. Damit schlägt sie nicht einmal etwas Neues vor. Schon im 19. Jahrhundert schulte der Liebes- und Eheroman Frauen und Mädchen aus der breiten Bevölkerung darin, wie Liebe, Treue und Ehe zusammengehen und was die explosive Kraft der Eifersucht anrichten kann. Sie erfuhren, wie sich eine Frau in eine außereheliche Affäre und damit ins Verderben stürzte. Auch eine Frau hat ein Anrecht auf ein eigenes Begehren, lernten sie daraus. Sie bekamen vor Augen geführt, wozu ein guter Mann fähig ist und was die Liebe mit ihm anrichtet.

Hielten die Leserinnen damals die Verschmelzung der Seelen in der Ehe für die Wirklichkeit, so wurden sie zwar desillusioniert, sobald sie selber heirateten. Doch das war immer noch früh genug. Wären sie hingegen gar nicht erst von der Literatur verführt worden, hätten sie nie erfahren, dass sich das Dasein nicht in Kochen und Stricken erschöpft und es eine andere Möglichkeit von Existenz gibt. Und darum geht es im Liebessehnen bis heute. Mittlerweile wird der Roman als Vorschule der Ehe noch um den Film ergänzt, und zudem müsste es jetzt Vorschule des Liebens heißen, da die eheliche Beziehung endgültig zum Synonym für Liebe geworden ist. Gleichzeitig ist die Ehe nur noch eine Option für andere Formen des Zusammenlebens als Paar und fast gleichwertig mit dem Konkubinat. Die Kunst vermittelt aber weiterhin ein Gefühlswissen, wie es die Lehrsätze aus der Psychologie nie vermochten. Diese ermahnen uns nur mehr, den andern nicht mit Liebe zu erdrücken, seine Grenzen zu respektieren, ihn frei zu lassen.

Die Allgegenwärtigkeit der Liebesvorbilder in Kultur und Literatur sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie es um die Liebesbegabung heute steht. Die oben zitierte Professorin vermisst diese bei ihren Studenten, wie ihre rhetorische Frage und die Antwort darauf deutlich machen. Was sie meint: Die Ehe anzustreben, ist nicht gleichbedeutend mit dem Mut, sich einzulassen, und zwar auch dann, wenn ein gemeinsames Leben aussichtslos scheint. Dieses Streben nach der Ehe als Ziel hat nichts mit der Bereitschaft zu tun, auf jemanden zu warten, ihn zu vermissen, eine Asymmetrie auszuhalten wie zum Beispiel im Falle ungleich starker Gefühle. Sich eine gleichwertige Beziehung zu wünschen, heißt noch nicht, dass man Gleichheit in jedem Bereich fordern muss, diesen Fetisch unserer Zeit. Die Liebe schert sich nicht um ein partnerschaftliches Verhältnis. Ungleichheit erst kann Leidenschaften wecken, und dazu zählen auch die quälenden. Zu ihnen gehört die Eifersucht. Werden die Ansprüche an die Liebe gleicher, muss man um die Einzigartigkeit der Liebe fürchten.

Freie Liebe ist für Feige

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