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ROM DER MÄNNER,
ROM DER FRAUEN Eine Einführung

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Das Rom der frühen Kaiserzeit war die größte Stadt der Welt. Eine brodelnde Metropole mit einer Million Einwohnern, fast das Zehnfache Athens und zweieinhalbmal so viel wie die alte chinesische Hauptstadt Luoyang. Keine andere Stadt reichte an Rom auch nur annähernd heran, nicht in Asien, nicht in der blühenden Kronprovinz Ägypten und schon gar nicht im bäuerlich geprägten Mittel- und Nordeuropa. Um das Jahr 50, also zur Regierungszeit von Claudius, hatten Köln und Trier, die größten Siedlungen Germaniens, jeweils 30.000 Einwohner. Für die damalige Zeit ansehnliche Städte, verglichen mit dem Zentrum des Weltreichs aber nicht mehr als bessere Marktflecken.

Römer nannten ihre Metropole einfach nur urbs: die Stadt. Sie bildete das Herz einer Militärmacht, die schier unaufhaltsam ihre Eroberungen auf drei Kontinenten fortsetzte. Aber die urbs war auch ein Zentrum der Zivilisation, des ungeheuren Reichtums und der phantastischen Prachtentfaltung mit prunkvollen Palästen, Tempeln, Flaniermeilen, Gärten, Bibliotheken und Theatern. Waren aus dem ganzen Reich wurden in den Tiberhäfen gelöscht und in riesigen Lagerhallen gehortet: Getreide und Ziegelsteine, Marmor und Wein, Stoffe und Gewürze, Metalle und Edelsteine, Papyrus und Wolle. Auf dem Fluss und an seinen Ufern arbeiteten Tausende als Flößer, Kahnschiffer, Lagerarbeiter, Wachmänner und Sackträger, schließlich als Müller, die das Korn aus Ägypten und Sizilien zu feinem Mehl verarbeiteten. Auf den Straßen wimmelte es von Lastenträgern und Maultiertreibern, Maurern und Zimmerleuten, von Menschen, die zur Arbeit gingen, Einkäufe tätigten, Werkstätten aufsuchten, vor dem Friseur warteten, einen Happen in den Garküchen aßen oder ein Glas Wein in einer taberna tranken. Andere waren unterwegs in die öffentliche Latrine oder in die Thermen, in die Gerichte oder zur Aufwartung bei ihren »Schutzherren«.

In Bretterbuden oder auch unter freiem Himmel lernten Kinder Schreiben und Rechnen, priesen Händler ihre Waren an, wurden Sklaven verkauft. Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang spielte sich das Leben auf der Straße ab, in einem nie abnehmenden Gedränge und Gewühle, das alle mitriss. Nachts blieben die meisten in der von keiner Laterne erleuchteten Finsternis zu Hause. Nur die Reichen konnten sich Fackelträger leisten, die sie nach einem ausgedehnten Gastmahl nach Hause begleiteten. Still wurde die Stadt auch im Dunkeln nicht, denn nach Sonnenuntergang durften Transportfahrzeuge verkehren. Tagsüber galt ein von Gaius Julius Cäsar erlassenes Fahrverbot, das Rom über Jahrhunderte zu einer riesigen Fußgängerzone machte. Wenn die Sonne unterging, fuhren die Wagen und erfüllten die Hauptverkehrsstraßen mit einem Höllenlärm, der den des Tages womöglich noch übertraf.

Nie schlief diese Stadt, immer war sie in Bewegung. Sueton berichtet, dass es zu den liebsten Vergnügungen des Augustus gehörte, durch die Stadt zu streifen und sich Boxkämpfe des niederen Volks anzuschauen, das »sich in den engen Gassen aufs Geratewohl und ohne technische Fertigkeit gruppenweise prügelte«. Wenn der Herrscher auch inkognito die Amateure bevorzugte, so tat er sich offiziell als spendabler Veranstalter von Theatervorstellungen, Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen hervor. Manchmal überraschte Augustus die Menschen damit, dass er mitten in der Stadt ein Rhinozeros zeigen ließ, eine Schlange oder einen Tiger. Die Teilnahme an allen möglichen Spektakeln waren ein beliebtes Freizeitvergnügen für Römer aller Schichten – und der Eintritt dazu war immer frei. In den Arenen und vor allem im Circus Maximus mit seinen fast 200.000 Plätzen konnten die Zuschauer ganze Tage verbringen.

Festtage gehörten zum römischen Leben und sie wurden überbordend gefeiert. Allen voran die Saturnalien, die sich über sechs Tage im Dezember zogen, mit Massengelagen auf dem Forum und überall in der Stadt. Der Wein floss in Strömen, die Zecher spielten Würfelspiele oder zogen Lose, und im allgemeinen Ausnahmezustand durften Sklaven sich von ihren Herren bedienen lassen. Der Kaiser persönlich verteilte Geschenke – Gold, Silber, Münzen, aber auch Kleidung und Haushaltsgegenstände wie Decken, Feuerhaken und Schwämme.

Im Alltag mussten die öffentlichen Prozesse in den riesigen Gerichtsbasiliken zur Volksbelustigung herhalten. Jeder durfte teilnehmen, Männer wie Frauen. An den eingeritzten Spuren antiker Brettspiele auf den Stufen der Basilica Iulia kann man heute noch ablesen, wie populär das »Spektakel« der Verhandlungen war – und wie lange es dauerte. Rechtsanwälte wie Seneca waren stadtbekannt wie Schauspieler, wie im Theater gab es bei manchen Szenen Applaus, allerdings kam der nicht spontan, sondern von bezahlten Claqueuren, den laudaceni. Nicht selten führte der Kaiser selbst den Vorsitz. Augustus soll bis in die Nächte hinein Recht gesprochen haben – wenn er buchstäblich nicht mehr im Richterstuhl sitzen konnte, arbeitete er in einer Sänfte weiter. In seinen Verhandlungen ging es mal um Vatermord, mal um Testamentsfälschung. Auch Claudius war ein sehr aktiver Richter, der in einem Strafprozess auch mal Prostituierte als Zeuginnen vernahm. Die Parteien, aber auch das Publikum gerieten bei manchen Verhandlungen derart in Erregung, dass sie auch den Kaiser beschimpften oder sogar gegen ihn handgreiflich wurden.

Auf das Drama vor Gericht folgte als letzter Akt nicht selten die Hinrichtung. Auch Exekutionen waren öffentlich. Elternmörder wurden im Tiber versenkt, andere Delinquenten den Kapitolshügel heruntergestürzt, gekreuzigt oder wilden Tieren vorgeworfen. Letzteres drohte als Todesstrafe den Niedriggeborenen, die beim kleinsten Vergehen verurteilt wurden. Sich der Strafe durch Selbstmord zu entziehen, war hingegen Senatoren vorbehalten, die dadurch ihr Vermögen vor der Beschlagnahmung retten und sich selbst eine angemessene Trauerfeier sichern konnten. Die Trauerzüge der tonangebenden Familien folgten einer ausgeklügelten Choreographie und zogen sich mit Herolden, Musikanten und dem Defilee von Ahnenmasken aus Wachs oder purem Gold über Stunden. Auch hier waren bezahlte »Stimmungsmacher« am Werk, allerdings handelte es sich nicht um Beifallsspender, sondern um professionelle Klageweiber.

Eine Minderheit in Rom konnte sich diesen und allen anderen erdenklichen Luxus leisten. Die Oberschicht der Millionenstadt, etwa drei- oder viertausend Menschen, residierte geschützt von Staub, Hitze und Krach, verwöhnt von einem Heer von Sklaven in weitläufigen Villenanlagen, umgeben von Parks mit Schatten spendenden Bäumen, duftenden Blüten und erfrischenden Schwimmbecken. Die Reichen wohnten auf den Hügeln oder am Flussufer des Tibers, verbrachten die heißen Sommer außerhalb der stickigen Stadt auf ihren Landgütern oder in einer standesgemäßen Residenz am Meer. Familien aus Roms Senatsund Geldadel besaßen neben dem Stadthaus oft gleich mehrere »Ferienvillen« an beliebten Orten der Sommerfrische in den Albaner oder Sabiner Bergen oder am Golf von Neapel. Die Masse der Bevölkerung hingegen drängte sich sommers wie winters in den Vierteln der urbs mit engen, dunklen und vermutlich auch stinkenden Straßen, von denen viele nicht gepflastert waren.

Die meisten Römer lebten in den winzigen Wohnungen großer mehrstöckiger Mietshäuser. Der Wohnraum war knapp und teuer, deshalb wuchsen die Häuser in den Himmel. Fünf, sechs oder gar sieben Stockwerke waren keine Ausnahme. Von einer Heizung oder auch nur einer Küche konnten die Bewohner dieser insulae nur träumen. Ihre Apartments wurden im Sommer drückend heiß und im Winter schneidend kalt. Brände waren in den Armenvierteln an der Tagesordnung.

Mindestens ein Drittel der Bevölkerung war auf die Wohlfahrt angewiesen. Der Kaiser versorgte diese Bedürftigen monatlich mit Getreide und regelmäßig mit Geldspenden – eine gute Gelegenheit, um neben dem Sponsoring von Circus-Wettkämpfen und Festgelagen die eigene Großzügigkeit zu beweisen. Die Armen auf der kaiserlichen Versorgungsliste waren wohlgemerkt freigeborene Bürger, denn Sklaven mussten von ihrem eigenen Herrn versorgt werden, der als pater familias vollumfänglich für sie zuständig war und sie als sein lebendes Kapital gut ernährte. Das führte dazu, dass die Leibeigenen meistens deutlich besser versorgt waren als die freien, aber besitzlosen humiliores der einheimischen Unterschicht und die honestiores – Soldaten, Arbeiter und Handwerker mit einem Jahreslohn um tausend Sesterzen, der im teuren Rom nicht mehr garantierte als ein Existenzminimum.

Sklaven und Sklavinnen bildeten schätzungsweise ein weiteres Drittel der Bevölkerung. Es handelte sich zumeist um verschleppte Kriegsgefangene und deren Nachkommen, die rechtlos als Besitzgut ihrer Herren aufwuchsen. Viele mussten schwere Arbeit verrichten oder als Gladiatoren und Wagenlenker für das Vergnügen der Römer ihr Leben riskieren. Mit Glück konnte man aber auch in einer jener reichen Familien landen, die sich aus Statusgründen Hunderte von Sklaven leisteten, oft mehr, als sie beschäftigen konnten. In solchen Häusern arbeiteten Sklaven als ornatrix (Friseurin) oder Zofe, als Mundschenk, Kellermeister, Buchhalter oder gar Vermögensverwalter, zumeist gegen Lohn. Manche bekamen so viel, dass sie sich freikaufen konnten, andere wurden von ihrem Herrn befreit. Das war so verbreitet, dass Augustus für liberti (Freigelassene) ein Mindestalter von dreißig Jahren festlegte. Für testamentarische Freilassungen, die den größten Anteil ausmachten, wurde eine Höchstzahl von hundert pro Erblasser angeordnet.

Die liberti bildeten eine Klasse für sich auf dem Weg nach oben. Vor allem diejenigen mit höherer Bildung wie etwa Lehrer, Ärzte und Verwalter hatten gute Chancen, als römische Bürger Karriere zu machen. Unter Claudius konnten sie in höchste Regierungsämter aufsteigen, aber schon Augustus verkehrte persönlich im Haus des reichen Vedius Pollio. Der Sohn eines Ex-Sklaven war zum Ritter aufgestiegen und beschäftigte nun seinerseits jede Menge Sklaven. Als einer seiner Leibeigenen aus Ungeschick ein teures Kristallglas zerbrach, wollte der aufgebrachte Pollio ihn zur Strafe auf der Stelle töten. Augustus ließ sich daraufhin alle im Palast befindlichen Gläser bringen – und gab Befehl, sie zu zertrümmern. Pollio vermachte, um weiterer Bestrafung zu entgehen, dem Prinzeps testamentarisch seinen ganzen Besitz.

Die Ritter, zu denen der Sklaventreiber Pollio gehörte, waren als »zweiter Stand« gleich unter den Senatoren etabliert. Es handelte sich gewissermaßen um den Geldadel, denn das vorgeschriebene Mindestvermögen von 400.000 Sesterzen zur Aufnahme in den Ritterstand musste nicht nur aus Landbesitz bestehen, sondern konnte auch aus Handwerk, Handel oder Kreditvergabe erwirtschaftet werden. Besonders Letzteres machte nicht wenige Ritter reicher als die Senatoren. Den Gewinn aus ihren Geschäften investierten diese Bankiers beispielsweise in Immobilien, manchen gehörten halbe Stadtviertel. Der jüngere Plinius, ein erfolgreicher Anwalt und Staatsbediensteter, der es unter Trajan zum Konsul gebracht hatte, vererbte laut Testament fast zwanzig Millionen Sesterzen, betrachtete sich aber deshalb noch lange nicht als reichen Mann.

Plinius war vom Kaiser in den Senatorenstand befördert worden und hatte damit die oberste Schicht der Gesellschaftspyramide erreicht. Senatoren mussten mindestens eine Million Sesterzen (unter Augustus 1,2 Millionen) besitzen, die meisten waren aber sehr viel wohlhabender. Ihre Domänen in den Provinzen warfen so viel Ertrag ab, dass sie in Rom mit dem Geld nur so um sich werfen konnten. So soll Crassus, der wichtigste Geldgeber Cäsars, und reichste Römer seiner Zeit, über zweihundert Millionen Sesterzen verfügt haben. Cornelius Lentulus, ein Zeitgenosse von Tiberius, hatte sagenhafte vierhundert Millionen Sesterzen aufgehäuft, ebenso Narcissus, der mächtigste von Claudius’ Freigelassenen. Neros Berater Seneca kam immerhin auf dreihundert Millionen Sesterzen – obwohl er als Stoiker angeblich gar nicht an Geld interessiert war.

Augustus verkleinerte den Senat von tausend auf sechshundert Plätze. Gleichzeitig machte er das Senatorenamt erblich, verwandelte diesen Stand also in eine städtische Aristokratie. Diese existierte allerdings nicht unabhängig vom Kaiser, der jederzeit Senatoren berufen oder ihnen den Sitz entziehen konnte. Offiziell war Rom keine Monarchie, und so blieb die alte Adelsrepublik mit dem Senat als repräsentativem Staatskörper zumindest der Form halber weiter bestehen. Debatten fanden nach wie vor zweimal im Monat statt und wurden gewissenhaft protokolliert. Auch das Konsulat wurde weiter als höchstes Staatsamt von zwei Männern ausgeübt, allerdings war oft einer von ihnen der Prinzeps selbst. Doch die Senatoren ließen sich nicht zu bloßen Befehlsempfängern herabwürdigen, schließlich konnte niemand das riesige Reich allein regieren. So teilten sich die Oligarchen nach wie vor einen Gutteil der Macht und Pfründen in einer verwirrenden Vielzahl von Posten und Ämtern, die von der Verwaltung der reichsten Provinzen über den Kurator des Tibers und der städtischen Kanalisation bis zum Kommando der Legionen reichte.

Rom war ein klientelistisches Gefüge, in dem jeder Senator eine Vielzahl von Schutzbedürftigen (clientela) vertrat, ihr bei Gericht beistand oder sie finanziell unterstützte. Daraus ergab sich ein fein gesponnenes, politisch-soziales Netz wechselseitiger Abhängigkeiten, mit dem Prinzeps als Verknüpfer der Fäden im Zentrum der Macht. In seinem Rechenschaftsbericht bezeichnet sich Augustus als princeps senatus, also erster Mann des Senats, wie es seinem Selbstverständnis und seiner Herrschaftsideologie entsprach. Die Dialektik zwischen Prinzeps und Senat bestimmte die Politik, wobei jeder Herrscher mit Verschwörungen und Umsturzversuchen zu kämpfen hatte. Als primus inter pares war der Prinzeps auf eine möglichst breite Zustimmung angewiesen, die er erhielt, indem er sich möglichst nicht als Diktator gerierte. Augustus gelang das meisterhaft, seinen Nachfolgern weniger. Tiberius wollte dem Ältestenrat zunächst republikanische Macht zurückerstatten und ließ ihn dann von seinem Vasallen Sejan unterwerfen. Claudius gewährte Freigelassenen zu viel Macht. Caligula und Nero brachten die Aristokraten derart gegen sich auf, dass sie gestürzt wurden.

Zwischen den einzelnen Schichten der Gesellschaftspyramide herrschte eine gewisse Durchlässigkeit, doch die ökonomischen Unterschiede waren riesig. Eine gewaltige Kluft trennte einfache Bürger von Senatoren, aber auch die Aristokraten vom Prinzeps. Bereits Augustus war der reichste Mann von Rom. Sein Besitz stammte aus Kriegsbeute und den Enteignungen seiner Feinde, bevor er dazu überging, auch noch seine Freunde zu beerben – den Feldherrn Marcus Agrippa und Maecenas, den sprichwörtlich spendablen Ur-Mäzen von Künstlern und Literaten. Zum Prinzeps flossen die Steuern aus den reichen Provinzen, von denen die reichste, Ägypten, ihm ohnehin persönlich unterstand. Sein Reichtum stand quasi emblematisch für die Größe Roms, er nahm gigantische Summen ein und gab viel Geld mit vollen Händen wieder aus, wobei er den Anschein des Maßhaltens wahren musste, denn nichts schadete seinem Ansehen mehr als der Exzess. Rom leistete sich einen gottgleichen Prinzeps, aber keinen Despoten. Bei aller Macht und Prachtentfaltung blieben die Herrscher nahbar. Das Volk begegnete ihnen im Theater und bei Gericht und ließ sie dabei Beliebtheit oder Kritik deutlich spüren. Überall gehörten zu diesem Volk ganz selbstverständlich auch die Frauen. Bei Gericht hatten sie im Publikum ebenso Zugang wie in den Thermen und im Circus. Sie arbeiteten – als Schneiderinnen, Friseurinnen, Hebammen, Ammen, Händlerinnen, aber auch als Ärztinnen, Erzieherinnen und Schreiberinnen. Rom war also auch eine Stadt der Frauen. Aus dem Geflecht der Macht allerdings waren sie ausgeschlossen. Weder konnten sie Aufwartungen machen, noch öffentlich, also etwa im Gericht, reden. Frauen waren von Staatsämtern ausgeschlossen, sie durften den Senat noch nicht einmal betreten. Je stärker sich das Kaisertum etablierte, desto emanzipierter wurden allerdings die Frauen der Oberschicht und desto stärker beanspruchten die Frauen innerhalb der Kaiserfamilie ihren Teil an der Macht.

So gewaltig, wie sich Stand und Leben der römischen Männer voneinander unterschieden, waren auch die Unterschiede zwischen den Frauen. Eine frei geborene Näherin aus der suburra (Unterstadt) zwischen Forum und Esquilin-Hügel konnte sich beim besten Willen nicht den Alltag der Augustus-Tochter Julia vorstellen, die in ihrem Palast rund um die Uhr von Kosmetikerinnen und Ankleidesklavinnen betreut wurde und mit ihrem Vater beim Abendessen um einen Einsatz würfelte, der dem zwanzigfachen Jahreslohn eines Handwerkers entsprach. Eines jedoch verband Julia in ihren freskengeschmückten Privatgemächern mit der Plebejerin in ihrer rauchgeschwärzten insula-Wohnung: Sie gehörten zum benachteiligten Geschlecht. In jedem Lebensalter und in jeder Gesellschaftsschicht bestimmte ein Mann über ihr Leben und ihren sozialen Status. Ihre Hauptaufgabe war es, Kinder zu gebären, je nach Stand Sklaven, Bürger oder sogar Prinzen, alle möglichst männlichen Geschlechts.

Der Chronist Cassius Dio berichtet, dass im Rom des Augustus weitaus mehr Männer als Frauen lebten. Das Ungleichgewicht erklärte sich zum einen aus der hohen Sterblichkeit der Wöchnerinnen, aber auch aus der höheren Kindersterblichkeit bei Mädchen. Kindsaussetzungen oder die Tötung von Neugeborenen, durchaus gängige Praktiken zur »Familienkontrolle«, trafen weibliche Babys häufiger. Frauen hatten nur durch Heirat Aufstiegschancen, sie waren für die Familien ein Kostenfaktor. Also sparte man bei ihnen an Nahrung, Bildung und medizinischer Versorgung. Auch von den staatlichen Getreidespenden waren sie ausgeschlossen und mussten sich mit dem zufriedengeben, was ihnen die Männer in der Familie übrigließen. Ein Frauenleben war in allen Ständen weniger wert.

Sogar ganz unten, in der Leibeigenschaft, gab es zwischen den Geschlechtern noch Abstufungen der Rechtlosigkeit. Sklaven beider Geschlechter mussten für ihre Herrn jede Art von Arbeit verrichten, auch sexuelle Dienste gehörten dazu. Männlichen Sklaven aber durften mit Erlaubnis ihres Besitzers sexuell über ihre weiblichen »Kolleginnen« verfügen. Vom älteren Cato, einem der großen Moralprediger der untergehenden Republik, erzählt Plutarch, er habe seine Leibeigenen für Sex mit Sklavinnen zahlen lassen, schließlich benutzten sie sein Eigentum. Römische Haushalte verfügten über weitaus mehr männliche als weibliche Sklaven. Von den Kindern der Leibeigenen im kaiserlichen Palast waren über sechzig Prozent Knaben, weil die Mädchen oft schon im zartesten Alter an andere Familien oder in Bordelle verkauft wurden.

Männer waren als Arbeitskräfte gefragter. Sklavinnen verrichteten seltener qualifizierte Arbeiten und hatten deshalb geringere Chancen auf eine Freilassung als ihre männlichen »Kollegen«. Privilegiert waren nur jene, die im direkten Kontakt für Römerinnen der Oberschicht oder gar des Kaiserhauses arbeiteten – als Hebammen, aber auch als Vorleserinnen oder Gesellschaftsdamen. Sehr reiche Frauen beschäftigten Sklavinnen, die ihnen den Sonnenschirm halten oder den Trittschemel zum Ausstieg aus der Sänfte tragen mussten. Auf diese Weise konnte im täglichen Umgang ein Vertrauensverhältnis entstehen, das den leibeigenen Frauen Vorteile verschaffte und ihnen den Weg zur Freilassung bahnte.

Und noch eine Möglichkeit gab es, der Sklaverei zu entrinnen: dem eigenen Herrn eine stattliche Anzahl von außerehelichen Kindern zu gebären. Wenn er nicht wollte, dass diese als Sklaven aufwuchsen, ließ er ihre Mutter frei. Manche Besitzer heirateten sogar ihre Lieblingssklavin, allerdings war das nur für in den unteren Ständen geduldet, Rittern und Senatoren war eine solche Mesalliance gesetzlich verboten.

Frauenarbeit war im Volk weit verbreitet, besonders im Gastronomiebereich und im Handel. Insgesamt waren in der frühen Kaiserzeit mehr als hundert Frauenberufe bekannt, von der Amme bis zur ornatrix, der Friseurin, wörtlich »Schmückerin«, der Oberschichtsfrauen. Frauen waren Schankwirtinnen oder Kellnerinnen, sie verkauften Lebensmittel, Parfüm, Kleidung und Juwelen. Die römischen Theater und Arenen kannten Schauspielerinnen, Sängerinnen, Tänzerinnen und sogar Gladiatorinnen. Deren gesellschaftliches Ansehen war gering, ihr Einkommen dafür jedoch umso höher. Unzählige Frauen arbeiteten in Bordellen, andere in Handwerksbetrieben, vor allem in der Textilproduktion, und nicht wenige hatten ihr eigenes Unternehmen. In Pompeji etwa stieg die Ziegelei-Besitzerin Eumachia zur Schirmherrin ihres Berufsverbandes auf, vertrat also als Lobbyistin auch Männer.

Im Senatorenstand gab es keine Berufstätigkeit, weder für Männer noch für Frauen. Auch bei der Bildung wurden gemeinhin wenig Unterschiede gemacht. Töchter wie Söhne wurden von griechischen Lehrern erzogen, die ihnen Grundzüge der Grammatik und der Mathematik, in selteneren Fällen auch Philosophie und Rhetorik beibrachten. Bildung gehörte für die Mädchen zum notwendigen Gepäck, um sich möglichst Gewinn und Prestige bringend für ihre Ursprungsfamilie zu verheiraten. Liebesheiraten waren Glückssache, von den Vätern vereinbarte Verbindungen üblich. Das Mindestalter für die Hochzeit lag für Mädchen bei vierzehn Jahren, aber Verlobungen im Kleinkindalter waren, wie wir noch sehen werden, keine Ausnahme.

War sie erst einmal matrona (Ehefrau), so hatte die Oberschichts-Römerin eine Menge Freiheiten. Ihre Teilnahme an Gastmählern, wo Männer und Frauen selbstverständlich nebeneinander lagen, war nicht nur normal, sondern ausdrücklich erwünscht. Idealerweise konnten Frauen bei einem solchen convivium geistreich über Kunst, Literatur und Philosophie plaudern, allerdings ohne mit ihrem Wissen anzugeben und die anwesenden Männer übertrumpfen zu wollen. Dieser Balanceakt für die gebildete Frau war schon im alten Rom nichts Neues.

In Abwesenheit ihres Gatten durfte die matrona auch allein zu einem Abendessen außer Haus gehen. Manchmal waren ganze Gruppen von Frauen gemeinsam unterwegs – was bekannt ist, weil Cicero einmal einen Mann verteidigte, der wegen Belästigung einer solchen Frauengruppe angeklagt war. Die gemeinsam genossene Geselligkeit unterschied die Römer von den Griechen, bei denen Frauen im öffentlichen Raum tabu waren und auch private Gastmähler eine rein männliche Angelegenheit blieben. Aus Rom sind derartige Einschränkungen nicht bekannt. Hier gingen Frauen aller Schichten seit der späten Republik ins Theater, in den Circus oder auch zu Gerichtsverhandlungen und nahmen ohne Einschränkung am gesellschaftlichen Leben teil.

Dabei war das Leben der Oberschichtsfrauen voller Widersprüche. Einerseits unerhörter Luxus, viel Zeit für kulturelle Interessen und Teilnahme an allen Vergnügungen, andererseits überkommene moralische Vorschriften und ideologische Vorgaben, die kaum zu erfüllen waren. Die römische Matrone lebte in einem Dauerkonflikt zwischen gesellschaftlicher Realität und überlieferten Idealen. Eigentlich durfte sie ohne einen männlichen Vormund keine Entscheidungen für sich und ihre Angehörigen treffen. De facto aber wurde genau das etwa von Witwen oder Offiziersfrauen selbstverständlich erwartet. Letztere waren manchmal viele Monate oder sogar Jahre auf sich allein gestellt, wenn ihre Männer zu Feldzügen oder anderen Auslandseinsätzen abkommandiert waren – auch die in diesem Buch beschriebenen Frauen der Kaiserfamilie.

Ähnliches galt für Vermögen, die Frauen zwar erben, aber eigentlich nicht selbst verwalten und vermehren durften. Doch schon zur Zeit des Prinzeps Caligula stellten manche Römerinnen ihren Reichtum selbstbewusst zur Schau. Unter Claudius wurden Frauen verbannt, damit der Kaiser ihr Vermögen konfiszieren konnte. Und Lepida, eine Tante von Nero, verfügte auf ihren gigantischen Latifundien in Süditalien über so viele Sklaven, dass diese eine Rebellentruppe bilden konnten.

Seit den letzten beiden Jahrhunderten der Republik erlebten Roms Frauen eine fortschreitende Emanzipation. Namentlich mit dem Verschwinden der manus-Ehe, durch die Ehegattinnen mitsamt ihrer Mitgift der Kuratel ihres Mannes unterstellt wurden, erhielten Frauen aus wohlhabenden Familien weitergehende Rechte. Sie konnten nun im Falle einer Scheidung ihr Vermögen zurückverlangen und sich auch aus eigenem Antrieb scheiden lassen. Bis zum 25. Lebensjahr waren sie zwar noch ihrem Vater unterstellt, danach aber übernahm die Vormundschaft ein tutor, der sie nur noch formal ausübte. Cicero etwa beklagte, dass die Tutoren unter der Fuchtel ihrer Mündel ständen und nicht umgekehrt. Und Claudius legalisierte lediglich eine weit verbreitete Praxis, als er es Erbinnen gestattete, einen Sklaven als Finanzverwalter einzustellen. Der Reichtum mancher Erbinnen provozierte die Konservativen: Die Multimillionärinnen konnten sich nicht nur Sklaven kaufen, sondern durchaus einen »bedürftigen« Senator politisch vor ihren Karren spannen. Bei den wohlhabendsten und einflussreichsten Frauen Roms machte so mancher Aristokrat seine Aufwartung – wie bei den Kaiserfrauen die Vasallenkönige und Provinzstatthalter.

Im Jahr 42 v. Chr. befanden sich bereits so viele Vermögen in weiblichem Besitz, dass das regierende Triumvirat, darunter der spätere Augustus, eine Sondersteuer für 1400 reiche Römerinnen verfügte. Damit sich niemand der Abgabe entziehen konnte, wurde eine Belohnung für alle Verwalter ausgelobt, die ihre Herrinnen anzeigten. 1400 Adressatinnen waren eine große Anzahl für die geplante Vermögenssteuer, noch beachtlicher ist allerdings, dass die Frauen sich dagegen wehrten, und wie sie es taten. Weil es kein Mann wagte, sie zu vertreten, erwählten sie Hortensia, Tochter des Konsuls und berühmten Redners Hortensius, zu ihrer Sprecherin. Hortensia tat das Unerhörte: Mitten auf dem Forum hielt sie, umjubelt von ihren Standesgenossinnen, vor den Triumvirn und deren Gefolgsmännern eine flammende Rede – dabei war das Frauen untersagt. Doch Hortensia hatte ihren skandalösen Auftritt gründlich vorbereitet, mit Besuchen bei den weiblichen Angehörigen der Triumvirn. Die mächtigsten Frauen Roms standen hinter ihrer Argumentation, wer keine Ämter besetzen dürfe, der müsse auch keine Steuern zahlen.

Die Männer gaben sich geschlagen, und die reichen Matronen durften ihr Geld behalten. Später bat Augustus sie dann allerdings doch zur Kasse. In den letzten Jahren seiner Herrschaft, als es immer schwieriger wurde, das riesige Heer zu unterhalten, rekrutierte er Sklaven aus den reichsten Haushalten. Deren Eigentümer, gleichgültig ob Männer und Frauen, mussten diese Soldaten noch sechs Monate lang verköstigen. Vermögende Frauen mussten also Staatsbürgerpflichten erfüllen, konnten sich aber auch als Wohltäterinnen gerieren. Beides garantierte ihnen im Gegenzug zumindest ungeschriebene Rechte.

Augustus förderte die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen, indem er Mütter von mindestens drei Kindern von männlicher Vormundschaft befreite. Wer jedoch weniger als drei Kinder hatte, wurde erbrechtlich benachteiligt. Und mit der Strafverfolgung des Ehebruchs sowie der gesetzlichen Verpflichtung zur Ehe und zur Mutterschaft verhinderte der Prinzeps jede echte Emanzipation. Unter seinem Regime hatten Römerinnen nur als devote Ehefrauen und Mütter ihre Existenzberechtigung.

Im Zentrum der überlieferten und von Augustus perfektionierten Rollen-Ideologie stand die Keuschheit der Frau. Sexuelle Zurückhaltung war die Bedingung für Treue und Gehorsam gegenüber Vater und Ehemann und damit auch gegenüber dem Staat. Eine Frau, die sich amourösen Leidenschaften hingab, war nach herrschender Moral zu allem fähig. Mächtige Männer wie der Republikaner Cato und Neros Hof-Philosoph Seneca stellten Ehebrecherinnen sogar unter den Generalverdacht der Giftmischerei.

Die unkontrollierte, entfesselte Sexualität der Frau galt als zerstörerisch, ja staatszersetzend. Die Römer glaubten, dass unmoralisches Verhalten die Götter reize, so wie umgekehrt die mos maiorum, die strenge Sitte und moralische Disziplin der Vorväter, den Aufstieg Roms zur Weltmacht erst ermöglicht habe. Um die Götter gnädig zu stimmen, galt es also, die tierhaften Triebe der Frau gewissenhaft zu kontrollieren. »Die Frau an sich ist unvernünftig und, falls man ihr keine Kenntnisse vermittelt und nicht viel Bildung zukommen lässt, ein wildes Tier, maßlos in seinen Begierden«, warnte Seneca.

Für die römische Oberschicht und insbesondere die Kaiserdynastie ergab sich daraus eine Doppelmoral: Während Männer ihre Männlichkeit durch eine aggressive Sexualität auch und vor allem außerhalb der Ehe unter Beweis stellen durften, unterlag die Keuschheit ihrer Frauen harten gesetzlichen Auflagen und strengster Sozialkontrolle, wobei Letztere durch die enklavenhafte, räumliche Abkapselung der Aristokratie erleichtert wurde. Denn Roms bedeutendste Familien waren nicht nur über eine ausgeklügelte Heiratspolitik miteinander verschwägert, sie wohnten auch Tür an Tür. Insbesondere der Palatin-Hügel über dem Forum Romanum entwickelte sich seit der Regierungszeit von Augustus zum Luxusviertel derjenigen, die im Dunstkreis der Macht leben wollten, möglichst nah am Prinzeps und dessen Familie.

Trotz des Reichtums der Großgrundbesitzer galt Protzerei als dekadent und »unrömisch«. Als die schöne Lollia Paolina einmal als Gast bei einem Verlobungsbankett kostbaren Schmuck trug, mokierte sich halb Rom darüber – dabei handelte es sich nicht etwa um ein Geschenk von Paolinas zeitweiligem kaiserlichen Gatten Caligula, sondern um das Erbe ihres Großvaters, der »durch Plünderung der Provinzen« einen Schatz aufgehäuft hatte, wie der ältere Plinius berichtet: »Da war sie mit Smaragden und Perlen bedeckt, die immer abwechselnd aneinander gereiht überall glänzten: am ganzen Kopf, im Haar, an den Ohren, am Hals und an den Fingern. Sie hatten einen Gesamtwert von vierzig Millionen Sesterzen, und Lollia war sogleich bereit, den Preis durch Kaufurkunden zu belegen!«

Das war nun wirklich nicht die feine römische Art, aber wenn Lollia Paolina es auch mit ihrer Prahlerei übertrieb, so war sie durchaus nicht die Einzige, die sich über die strengen Moralvorstellungen der Altvorderen hinwegsetzte. Schließlich waren die filigranen Kunstwerke kreativer Juweliere der Kaiserzeit nicht nur für den Hausgebrauch edler Damen bestimmt, und so glitzerten und glänzten die Römerinnen öffentlich um die Wette. Plinius berichtet von länglichen Perlen, »dem ganzen Stolz der Frauen, wenn sie solche am Finger und je zwei oder drei an den Ohren hängen haben«. Und damit nicht genug, trugen die Verwegensten Schmuck auch an ganz anderen Körperteilen: »Man befestigt (Perlen) sogar an den Füßen, und zwar nicht nur an den Schuhriemen, sondern überall an den Schuhen. Es ist nicht mehr genug, Perlen zu tragen, wenn man sie nicht auch unter den Füßen hat und auf den ›Einmaligen‹ sogar einhergeht.«

Dabei konnte man die Sandalen der vornehmen Römerin unter ihrem bodenlangen Kleid kaum sehen. Die Tunika, ein schlichtes Woll- oder Leinenhemd mit kurzen oder langen Ärmeln, fiel ihr nämlich bis auf die Füße. Prostituierte mussten zur Unterscheidung von »anständigen« Frauen kurze, schwarze Tuniken tragen, wohlhabende Kurtisanen entschieden sich für feinste, durchsichtige Seide. Die Bessergestellten hingegen drapierten über dem langen Kleid eine Stola mit Purpurband. Das war aber auch die einzige Abweichung von der Einheitskleidung für die ehrbare Matrone, über die Horaz spottete: »Bei Ehefrauen siehst du nichts als das Gesicht, das übrige verdeckt das Kleid, das tief herabwallt.«

Doch auch hier hatten die Gesetzgeber die Rechnung ohne jene Frauen gemacht, die sich etwa unter Tiberius ohne Ganzkörperverhüllung auf die Straße trauten. Prompt wurde von einem besonders sittenstrengen Senator vorgeschlagen, den Verstoß gegen die Kleiderordnung für Ehefrauen ebenso streng zu ahnden wie einen Ehebruch, nämlich mit Verbannung. Der Eiferer wurde jedoch ausgebremst und die Matronen trugen selbstbewusst ihre aus Griechenland importierte »Palla«, einen Mantel aus leichten, farbigen Stoffen. Die jüngere Agrippina etwa präsentierte bei besonderen Gelegenheiten eine auffällige »Palla« aus edlem, golddurchwirktem Stoff.

Bereits nach Ende des Zweiten Punischen Krieges 200 v. Chr. hatten Roms Oberschichtsfrauen die Abschaffung eines Gesetzes durchgefochten, das ihnen verbot, mehrfarbige Kleidung zu tragen, sich mit mehr als einer halben Unze Gold (dreizehn Gramm) zu schmücken oder mit einem Pferdegespann näher als eine Meile an die Stadt heran zu fahren. »Die Männer jener Epoche durchschauten nicht, zu welchem Luxus es das hartnäckige Drängen des ungewöhnlichen Bündnisses bringen wollte und bis wohin sich der Wagemut, der die Gesetze besiegt hatte, erstrecken würde«, klagte Valerius Maximus, der gut hundert Jahre später die weibliche Aufsässigkeit für den Niedergang der Republik mitverantwortlich machte. Immer wieder wird die angebliche »Unbezähmbarkeit« der Frauen von den antiken Chronisten thematisiert. Trotz aller Anstrengungen der jeweils regierenden Männer ließen sich die Römerinnen offenbar einfach nicht unterkriegen.

Der tiefe Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit entsprang womöglich der Unerreichbarkeit jener Vorzeigefrauen, die seit den Zeiten der Republik als Ideal propagiert wurden. Namentlich die Frauen der Herrscherfamilie mussten diesen Vorbildern nacheifern – ohne nennenswerten Erfolg, wie wir noch sehen werden. Und doch sollten die Ikonen der römischen Vorzeit das Frauenbild weit über den Untergang des Römischen Reiches prägen. Sie blieben in der christlichen Lehre lebendig, überlebten Kirchenspaltungen und die Französische Revolution. Besonders zwei legendäre Frauengestalten prägten das Rollenbild der Römerin als keusche Gattin und als stolze Mutter: Lucrezia und Cornelia, die Mutter der Gracchen.

Als Tochter des Hannibal-Besiegers Scipio gehörte Cornelia im 2. Jahrhundert v. Chr. zu den vornehmsten Frauen Roms. Früh verwitwet, konzentrierte sie sich ganz auf die Erziehung ihrer Söhne Tiberius und Gaius Gracchus, widmete sich ihren Studien und schlug unter anderen einen Heiratsantrag des ägyptischen Königs aus. Als sie einmal gefragt wurde, warum sie (anders als später Lollia Paolina) niemals Schmuck trage, wies sie auf ihre Kinder: »Das sind meine Juwelen!« Die Gracchen wurden Volkstribune, scheiterten aber mit ihren von der Mutter kritisierten, kühnen Reformen und kamen bei den Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern ums Leben. Cornelia ließ sich ihre Trauer nicht anmerken. Denjenigen, die sie trösten wollten, soll sie entgegnet haben, als Mutter der Gracchen sei sie per se vom Schicksal begünstigt.

Bis heute ist Cornelia als Ikone soldatisch-disziplinierter Mütterlichkeit nicht nur in Italien ein Begriff. Als erster nichtgöttlichen Frau wurde ihr in Rom eine Statue gewidmet, deren Sockel sich heute in den Kapitolinischen Museen befindet. Dante platzierte sie neben Virgil und Homer in den Limbus seiner Göttlichen Komödie. Spätestens dadurch wurde die Gracchen-Mutter unsterblich.

Lucrezia hingegen ist in Vergessenheit geraten. Ob sie wirklich existiert hat, ist unsicher. Der Sage nach lebte dieses Muster der Tugendhaftigkeit in der mythenumwobenen Frühzeit. Der Königssohn Sextus Tarquinius, ein Freund ihres Ehemannes, lernte Lucrezia in ihrem Haus kennen. In Abwesenheit ihres Mannes drang er nachts in ihr Schlafzimmer. Als Lucrezia ihn abwehrte, drohte der Prinz, sie zu töten und anschließend einem Sklaven die Kehle durchzuschneiden, um seine Leiche nackt zur ihrer zu legen. So wollte er den Anschein erwecken, sie sei beim Ehebruch entdeckt und bestraft worden. Angesichts dieser Drohung war Lucrezia Sextus zu Willen. Später informierte sie Vater und Ehemann über die erlittene Vergewaltigung und stach sich vor ihnen einen Dolch in die Brust. Lucrezias letzte Worte überliefert Titus Livius: »Auch wenn ich mich von der Schuld losspreche, so befreie ich mich nicht von der Strafe; von nun an wird keine unsittliche Frau unter Berufung auf das Beispiel der Lucrezia mehr leben können!«

Die Selbsttötung der von dem skrupellosen Sextus Tarquinius missbrauchten Lucrezia soll einen Volksaufstand und das anschließende Ende der Monarchie ausgelöst haben. Vor allem aber avancierte Lucrezia bei Generationen von Römern zum leuchtenden Vorbild unerschütterlicher Tugendhaftigkeit. Die eigene Ehre zu bewahren, also jeden sexuellen Akt außerhalb der Ehe zu verhindern, wurde zur wichtigsten Pflicht der Frauen. Nicht von ungefähr bedeutete der Begriff stuprum gleichermaßen Vergewaltigung, Ehebruch und Hurerei: Stuprum war schlicht jede Form von außerehelichem Sex, den eine Frau nicht haben durfte. Eine passiv erlittene Vergewaltigung machte sie in den Augen der Sittenwächter genauso schuldig wie ein aktiv betriebener Seitensprung.

Selbst Dichterfürst Ovid, der uns mit seiner Ars Amatoria ein so poetisches Bild römischer Liebeskunst hinterlassen hat, und die Frauen seiner Zeit als erotisch selbstbewusste Wesen verehrte, hinterfragte nicht dieses Verständnis von weiblicher Ehre und Schuld. In den Metamorphosen erzählt Ovid die Geschichte von Jupiter, der sich in die amazonenhafte Jägerin Callisto verliebt, ihr zunächst in Gestalt der Göttin Diana erscheint und sie dann vergewaltigt. »Sie wehrt sich zwar, soweit sie es als Frau vermag (…). doch wen könnte ein Mädchen und wer könnte Jupiter besiegen?« Mit Begriffen wie Verfehlung (crimen) und Verschulden (culpa) unterstellt Ovid dem Opfer Callisto die Verantwortung für das Geschehen. Letztendlich verwandelt Jupiters Göttergattin Juno die Vergewaltigte zur Strafe für den »Ehebruch« in eine Bärin, die als Sternbild an den Himmel entrückt wird.

Für eine Frau hing die intakte Ehre und damit die Daseinsberechtigung selbst von Männern ab. Ehebrecherinnen konnten von ihren Familien zum Hungertod verurteilt werden, bevor Augustus als Strafe die lebenslängliche Verbannung einführte. Jede Römerin konnte wegen stuprum denunziert und angeklagt werden, auch die Frauen der kaiserlichen Familie. Augustus schickte mit einer solchen Anklage seine Tochter Julia und seine gleichnamige Enkelin in die Verbannung, Caligula seine Schwestern Livilla und die jüngere Agrippina. Claudius verbannte Livilla gar noch ein zweites Mal wegen Ehebruchs. Tiberius hingegen verzichtete auf den Vorwand des Sexualdelikts, als er die ältere Agrippina gefangen setzte. Er ließ seine Stieftochter als Staatsfeindin verurteilen und machte damit deutlich, über wie viel Macht die Frauen der Kaiserdynastie tatsächlich verfügten. Macht, die den herrschenden Männern gefährlich werden konnte.

Neros Mütter

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