Читать книгу La Fidanzata - Birgit Schönau - Страница 7

Vorwort

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Ein Zeitungsbild vom 9. Mai 1978, schwarzweiß, schon etwas verblichen. Zu sehen sind elegant gekleidete Musiker auf einem festlich beleuchteten Platz. Es ist die Piazza San Carlo mit ihren eleganten Rokoko-Palazzi, den luftigen Arkaden, den taubengrauen Fensterläden der Freiluftsalon der Turiner. Viele von ihnen sind zu diesem besonderen Konzert gekommen. Die Bildzeile in der Zeitung verkündet: »Zur Feier des 18. Meistertitels von Juventus spielte das Orchester des Teatro Regio Musik aus My Fair Lady.«

Wo Damen feiern, da fließen keine Bierduschen. Allerhöchstens strömt im Stadion der Champagner und dazu gibt es eine riesige Sahne-Meistertorte vom Hofkonditor in den italienischen Nationalfarben Grün Weiß Rot. Noblesse oblige, und es gibt südlich der Alpen keinen nobleren Verein, keinen, dem von Anbeginn dieses Aristokratische anhaftet, das die einen verehren und die anderen verachten. Auch im Triumph bleibt Juventus ganz Primadonna, stilsicher und ein ganz klein wenig versnobt, wie es ihrem Ruf entspricht. Signora. Madama. My Fair Lady. Ausgerechnet dem berühmtesten Klub der Männer wird mit diesen Kosenamen gehuldigt wie einer Frau. Sicher, Juventus heißt Jugend, das ist im deutschen genauso weiblich wie im italienischen, und folgerichtig trägt die Juve auch in Deutschland ihr Emblem »Alte Dame«. Was höflich klingt, aber auch ein wenig hölzern und gewollt.

Für ihren Anhang ist sie la fidanzata. Gern mit dem Zusatz d’Italia. Verlobte Italiens. Denn Madama wie sie, typisch Turin, in einer italo-französischen Verballhornung gerufen wird, genießt ja tatsächlich im ganzen Land Verehrung, genauso übrigens wie Verachtung. Wie aber konnte sich aus den Nebeln der mysteriösen, magischen Stadt Turin ein Geschöpf emporschwingen, das mal als leichtfüßig-kapriziöse Dame die Welt erobert, mal als piemontesische Military-Stute ihre zahlreichen Gegner wegbeißt? Eines steht fest: Auch nach über 120, nicht immer mit Würde, stets aber mit Grandezza getragenen Lebensjahren bleibt die Juventus einer der schillerndsten Sportklubs des Planeten. Und ganz nebenbei ein Fanal für das Prinzip des Weiblichen im Fußball, wie es jenseits der Alpen eine Hertha oder Borussia niemals sein durften. Hertha Berlin ist nach einem Ausflugsdampfer auf der Havel benannt, die Farben des Schornsteins wurden die Vereinsfarben. Kein Wunder, dass aus Hertha nie eine echte Lady wurde. Man nennt sie zwar auch Alte Dame, aber sie trug wie eine Wilmersdorfer Kneipenwirtin immer eher Haarteil-Knoten als Chignon.

Die Juve aber, die Verlobte aus Turin, stellt man sich am besten mit langer Zigarettenspitze vor. Ja, sie raucht, wie einige ihrer besten Spieler, wie Zoff, Platini, Zidane. Sie wirft sich in Schale und wühlt doch manchmal im Schlamm, sie tanzt sogar Tango, wie einer ihrer berühmtesten Spieler. Raimundo »Mumo« Orsi, in den 1930er Jahre ein italo-argentinischer Weltstar, spielte nach dem Spiel im Nachtklub eines Teamgefährten Geige und tanzte Tango wie ein Profi. Orsi gehörte zu den Artisten im Dienste der Juventus, es gab aber immer auch die Architekten wie Andrea Pirlo und die Ballarbeiter wie Claudio Gentile.

Angeführt wurden sie von Trainern wie Giovanni Trapattoni, Marcello Lippi, Antonio Conte, je nach Temperament Feldmarschalle (oft) oder Feingeister (selten), die sämtlich das Motto des Über-Juventino Giampiero Boniperti verinnerlichen mussten: »Zu siegen ist nicht wichtig. Es ist das Einzige, das zählt.« Das stimmte nicht ganz. Wenn sich der stile Juve auch zu 90 Prozent aus Effizienz und Disziplin zusammensetzte, so gehörte dazu doch immer auch ein Hauch nonchalanter Extravaganz. Raubeinig und etepetete, eisern und entwaffnend emotional, bodenständig und weltläufig. Eben immer eine Klasse für sich.

Die Spieler und Trainer sind das Herz dieses Klubs, deshalb sei den begabtesten, bekanntesten oder auch berüchtigtsten unter ihnen ein umfangreiches Kapitel gewidmet. Sie allein machen die Juve indes noch nicht zum erfolgreichsten Klub des Landes und zur tragenden Säule der Nationalmannschaft. Und ihre Fertigkeiten allein schaffen auch noch keine Legende. Der Mythos Juventus ist mit einem Clan verknüpft, der über Jahrzehnte der reichste und mächtigste Italiens war, so dass er zeitweise wie eine heimliche Königsfamilie erschien: die Agnelli. Seit 1923 besitzen die Nachfahren des Fiat-Gründers Giovanni Agnelli den FC Juventus. Fast 100 Jahre Familienbesitz, das ist weltweit einzigartig für einen Fußballklub. Mit Andrea Agnelli ist mittlerweile ein Urenkel des Patriarchen Giovanni Präsident, seine Vorgänger waren der Großvater Edoardo, der Onkel Gianni und der Vater Umberto. 100 Jahre Juve und Agnelli, das bedeutet ein Jahrhundert Italien.

Die Geschichte des Klubs spiegelt den Aufstieg vom Agrarland zur Industrienation und schließlich zur postindustriellen Transformation, umfasst das Aufkommen des Faschismus, Krieg und Wiederaufbau, die Abschaffung der Monarchie und die Brüche der Demokratie sowie den Medienpopulismus des großen Konkurrenten Silvio Berlusconi. 100 Jahre Juve und Agnelli, dahinter stehen auch die Arbeitskämpfe der 1970er Jahre in Turin, die Hegemonie von Fiat und die anschließende Emanzipation einer Stadt, in der die Agnelli zwar noch präsent sind, aber nicht mehr den Ton angeben.

Die Geschichte dieses Klubs ist also mehr als eine Abfolge von Fußballspielen. Juventus ist eine Weltanschauung, wie Fans und Gegner meinen, sie eint und spaltet Italien. Die einen halten sie für unwiderstehlich, die anderen für unerträglich, den ersten schmeicheln ihre Trophäen, die letzten fühlen sich durch jene Skandale bestätigt, die Juventus, ganz Dame von Welt, ein Quentchen mysteriöser Verruchtheit verpassen. Nein, ein Blaustrumpf oder ein Vorbild an Tugendhaftigkeit ist sie nicht. Aber dafür ungeheuer interessant.

Dieses Buch ist keine Liebeserklärung und doch eine Hommage an eine der ganz großen Erscheinungen der Fußballwelt. Wenn es sie nicht gäbe, wer würde sie erfinden? »Die Juve ist keine Mannschaft, sondern ein soziales Phänomen« schrieb der große italienische Sportjournalist Gianni Brera. »Wenn du sie liebst, musst du nicht weiter darüber reden. Wenn du sie nicht liebst, musst du sie wenigstens bewundern. Denn das hat sie verdient.«

In diesem Sinne: Viva la Diva!

La Fidanzata

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