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Die Enemies of Books waren das erfolgreichste Buch von William Blades. Alleine zu seinen Lebzeiten erfuhren sie vier weitere Auflagen. Bis heute ist es im anglo-amerikanischen Raum in unzähligen verschiedenen Editionen erhältlich: ein Klassiker der Bücherkunde.

Und doch ist es durch und durch Frucht des 19. Jahrhunderts. Denn spätestens mit der Einführung der Dampfpresse wurden Bücher zum bezahlbaren Massenartikel, während gleichzeitig der alte auratische Nimbus sie noch nicht verlassen hatte. Wenn überhaupt eines, dann stellte das 19. Jahrhundert das Zeitalter der Bücher bzw. die Galaxis Gutenbergs dar. Die Jahrhundertwende, die Blades nicht mehr erlebte, war mit der Erfindung von Grammophon, Film und Typewriter zugleich eine Epochenwende. Die Druckerpresse war nicht mehr allein selig machendes Medium zur Verbreitung das Wahren, Schönen, Guten. Und geißelte schon Blades Ignoranz und Vernachlässigung, so war im 20. Jahrhundert der Abstieg des Mediums Buch vom Träger ewiger Wahrheiten zum Dutzendartikel in einem Medienpotpourri nicht mehr aufzuhalten. Was Bücherfeinde angeht, hätte Blades alle Hände voll zu tun gehabt, um weitere Kapitel an sein Lexikon der bibliophoben Scheußlichkeiten anzuhängen.

Eines dieser fehlenden Kapitel beträfe Bibliothekare. Darauf wies schon in den 1930er Jahren Randolph G. Adams hin, Direktor der berühmten Clements Library in Michigan:

Das erste Kapitel hätte eigentlich den Bibliothekaren gewidmet sein müssen, denn sie verschandeln Bücher durch Prägestempel und andere Werkzeuge, kritzeln auf die Titelseiten, schneiden stümperhaft Seiten heraus, schreiben mit weißer Tinte Signaturen auf die Rücken der Einbände und behandeln sie insgesamt so, wie es ein Bibliothekar ausdrückte: »Wir pflegen Bücher solange, bis sie für niemanden mehr irgend einen Nutzen haben«.

Der amerikanische Schriftsteller Nicholson Baker hat in jüngerer Zeit Partei für die Bücher und gegen die Bibliothekare ergriffen. In seiner Anklageschrift Der Eckenknick Oder Wie die Bibliotheken sich an den Büchern versündigen weist er nach, wie Bibliothekare Altbestände auf benutzerunfreundliche Mikrofilme kopiert hätten oder diese neuerdings digitalisierten.

Der beschönigende Fachbegriff für diese Art der Buchvernichtung lautet »de-akzessionieren«. Die zuständigen Fachabteilungen nennen sich »Bestandskontrolle«. Dabei handelt es sich nicht nur um ein amerikanisches Problem. Dies belegt der Fall, der sich an der Katholischen Universität Eichstätt zugetragen hat. Im Jahr 2007 wurden hier 80 Tonnen alte Bücher aus den Beständen der bayerischen Kapuziner in den Müllcontainer entsorgt. Das waren 1400 Bücherkisten mit zum Teil mehr als 200 Jahre alten Werken! Hans Magnus Enzensberger resümierte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

Längst ist der Feind ins Innere der Bibliotheken vorgedrungen. Wozu, flüstert die fünfte Kolonne, wozu diese Regale, diese Zettelkästen, diese Magazine? Wozu die Mühe, die ein so tonnenschwerer Bestand, die diese Altlast aus Pergament, Hadern und Zellulose bereitet? (…) Schluss mit der sentimentalen Idee, als sei es die Aufgabe des Bibliothekars, etwas zu bewahren.

Im Zentrum eines weiteren Kapitels über die Bücherfeinde müssten der Leser und die Leserin selbst stehen. Nicht nur im Fall der Leser sehr alter Handschriften und Bücher, in dem tatsächlich jeder Lektürevorgang eine physische Gefahr für das Medium darstellt und häufig nur mit den buchstäblichen Samthandschuhen (die zumeist aus Baumwolle sind) erfolgen darf. Auch die Benutzerordnungen unserer Bibliotheken sprechen eine deutliche Sprache, wenn sie sich vor den offensichtlich weit verbreiteten Unarten der Buchbenutzung schützen zu müssen glauben und damit zum Ausdruck bringen, wie die Bücherfeinde ins Allerheiligste der Buchkultur eingedrungen sind:

(1) Bibliotheksgut ist sorgfältig zu behandeln. Hineinschreiben, An- und Unterstreichen, Markieren sowie Durchpausen sind nicht gestattet.

Unter der groben Sachherrschaft der Besitzer läuft jedes Buch Gefahr, nicht nur durch Eselsohren und Kaffeeflecken, sondern auch durch Glossen und Randbemerkungen Schaden zu nehmen. Kurt Tucholsky ärgerte sich:

Wenn einer und er entleiht ein Buch von einer Bibliothek, sagen wir den Marx: Was will er dann lesen? Dann will er den Marx lesen. Wen aber will er mitnichten lesen? Den Herrn Posauke will er mitnichten lesen. Was aber hat der Herr Posauke getan? Der Herr Posauke hat das Buch vollgemalt. Pfui!

Eine weitere Spezies von Bücherfeinden hat Blades selbst noch nicht ins Visier nehmen können, weil sie sich erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Es handelt um diejenigen, die meinen, am approximativen »Ende der Gutenberg-Galaxis« das Ende der Buchkultur insgesamt ausrufen zu müssen. Das Schlagwort stammt vom kanadischen Medienpionier Marshall McLuhan, der in den 1960er Jahren in seinem Buch The Gutenberg Galaxy als erster auf den grassierenden Medienwandel hingewiesen hat. Dass er dabei beständig missverstanden wurde, teilt er mit so vielen Propheten. Denn McLuhan war Philologe. Seine Dissertation schrieb er über einen englischen Dichter der frühen Neuzeit. McLuhan war in seinem Shakespeare zuhause und als konvertierter Katholik, der ausschließlich an katholischen Hochschulen lehrte, strenger Anhänger der Buchreligion. Noch mehr homme de lettre geht kaum.

Ärgere Feinde des Buches sind da jene Adepten, die aus dem Medienwandel eine Medienbeerdigung machen und den Teufel mit dem Belzebub, sprich: das Buch mit dem Computer, auszutreiben versuchen. Ob Bill Gates sich auf einem baumhohen Stapel Bücher fotografieren lässt, um zu demonstrieren, dass all diese unnötigen Papiermassen auf eine einzige CD-Rom passen; ob Schulen ihre Schulbibliotheken abschaffen, um stattdessen einen Computerraum einzurichten; oder ob Kataloge und Telefonbücher, Register und Karteikästen abgeschafft werden, weil mit Google & Co. doch sowieso alles viel leichter und schneller gehe – all diese Maßnahmen von Technikeuphorikern und Nerds, Computerapologeten und Bücherfeinden verkennen, was ein anderer Altphilologe namens Wolfgang Riepl schon 1913 verkündet hat: Dass nämlich Medien sich nicht ablösen, sondern bestenfalls ergänzen, und dass es in der Weltgeschichte der Medien noch nie vorgekommen ist, dass durch die Einführung eines neuen Mediums ein altes restlos abgeschafft worden wäre. Dieses als »Riepl’sches Gesetz« bekannt gewordene Theorem ist vielleicht nicht hundertprozentig richtig, spricht aber eines deutlich aus, was Bücherfeinde nicht wahrhaben wollen: Dass Bücher auch nach dem Ende der Gutenberg-Galaxis noch eine Zukunft haben.

Wie ihr einst konkurrenzloser Vorfahr, das »alte Medium« Buch, sind auch die Neuen Medien nicht frei von Anfeindungen. Zu unguter Letzt wäre darum auch ein Kapitel über deren Feinde ganz im Sinne von William Blades gewesen. Die von Bakunin beschworene »Lust der Zerstörung« wendet sich nämlich nicht nur gegen das gute alte Buch, das auch in diesem Punkt seinen sakrosankten Status verloren hat: Das gesamte Arsenal von Bücherfeinden hat sich innerhalb kurzer Zeit in Medienfeinde verwandelt und neue Jagdreviere für seine Zerstörungswut gefunden. Nicht nur menschliche Sorglosigkeit und Ignoranz, Aggression und Wahn machen auch vor den Neuen Medien, vor Fernsehgeräten und Computern, Radioempfängern und Handys, nicht halt. Auch tierische Schädlinge sind längst vom Buch in die Neuen Medien migriert und richten dort Unheil an.

Das beginnt schon in den Zeiten von Alexander Graham Bell und einem der ersten »neuen Medien«, dem Telefon. So glaubte man, dass die störenden Knistergeräusche beim Telefonieren von Käfern herrührten, die in die Telefonleitungen eingedrungen seien. Gewittertierchen sind in der Landwirtschaft schon länger als Schädlinge bekannt, jetzt aber haben sie sich auch in Computermonitoren eingenistet. Über 300 verschiedene Arten dieser Tierchen gibt es, die auch als Fransenflügler, Blasenfüße oder kurz als Thripse bezeichnet werden. Die Tiere sind so klein, dass sie kaum aktiv fliegen müssen, sondern eher in der Luft schwimmen, weswegen sie auch als »Luftplankton« bezeichnet werden. Bei Gewitter werden sie aufgrund ihrer Kleinheit besonders stark verdriftet, daher ihr volkstümlicher Name. Die Gewittertierchen sind offenbar so winzig, dass sie es schaffen, zwischen die Folie und den äußeren Teil des Displays von TFT-Monitoren zu gelangen. Dort machen sie den Eindruck beweglicher Pixelfehler, wenn sie aber zu viele werden, können sie zu erheblichen Bildstörungen führen.

In Japan haben die Betreiber von Datennetzen noch mit einem anderen Schädling zu kämpfen. Zikaden der Art Cryptotympana facialis legen nicht nur ihre Eier unter die Ummantelung von Glasfaserkabeln, sondern damit auch die Datenübertragung lahm. Ingenieure der Telegraph and Telephone Corp. (NTT) haben schon mindestens tausend Störfälle auf die Attacken dieser Insekten zurückgeführt. Offenbar haben die bis zu sieben Zentimeter langen Tiere die Kabel mit Zweigen verwechselt, in die sie sonst ihre Eier ablegen, wie der Entomologe Hideharu Numata von der Osaka City University darlegt.

Doch wie schon beim Buch gilt auch bei den Neuen Medien: Der schlimmste Schädling ist der Mensch. Die Soziologin Marleen Brinks legte im Jahr 2004 eine aufsehenerregende Studie vor, der zufolge zwei Drittel der Befragten, die mehr als 30 Stunden pro Woche am Computer arbeiten, angaben, dass sie gegenüber ihrem Rechner schon einmal laut geworden sind. Mehr als 30 Prozent haben nach der Computermaus geschlagen. Und immerhin fünf der Befragten gestanden, dass sie aus Aggression den Monitor oder den gesamten PC vom Tisch gestoßen haben. Besonderen Groll erregen offenbar die zeitgeistgemäßen Statussymbole des Informationszeitalters, sprich: Smartphones wie das »Iphone« der Firma Apple. Internet-Themenseiten und Video-Foren unter der Rubrik »Iphones zerstören« erfreuen sich, wie der Stern-Online-Kolumnist Carsten Scheibe herausgefunden hat, enormer Beliebtheit. Da wird das stylische Telefon mit einer Lupe zum Brennen gebracht, mit einer Beretta 9mm beschossen, im Aquarium ertränkt, mit einem Winkelschleifer traktiert oder mit allem, was der Werkzeugkasten hergibt, angebohrt, aufgesägt, zerhämmert oder auseinandergeflext. Der amerikanische Mixer-Hersteller Blendtec hat ein Gerät im Sortiment, das wirklich alles klein bekommen soll. Zum Beweis stopfen die Blendtec-Leute in ihrem Videopodcast alles in ihren Zertrümmerer, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Videos allerdings, in denen erst ein Iphone und dann sogar ein Ipad solange durchgemixt werden, bis nur noch grauer Staub übrig ist, sind die Abruf-Hits auf der Internetseite der Firma.

Es bleibt festzustellen: Die Feinde der Bücher sterben zwar nicht aus; dies konnte auch die Aufklärungsarbeit von William Blades nicht verhindern. Aber während sich die traditionellen Bücherfeinde auf ein einziges Ziel konzentrierten, steht für die Zerstörungswut ihrer modernen Nachfahren eine breit gefächerte Angebotspalette bereit. Und so lassen sich denn auch die düsteren Prophezeiungen über das angeblich bevorstehende Ende der Bücher mit Gelassenheit zur Kenntnis nehmen.

Die Bücherfeinde

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