Читать книгу Lockt - Блейк Пирс - Страница 9
KAPITEL DREI
ОглавлениеAls Riley sich mit dem Rest der Praktikanten für ihr offizielles Abschlussfoto aufreihte, hörte sie, wie sich die Tür zur Empfangshalle öffnete.
Ihr Herz tat einen Sprung und sie drehte sich erwartungsvoll um, um zu sehen, wer gekommen war.
Aber es war nur Hoke Gilmer, ihr Ausbilder während des Programms, der für ein paar Minuten vor die Türe getreten war.
Riley unterdrückte ein Seufzen. Sie wusste bereits, dass Agent Crivaro heute nicht hier sein würde.
Gestern hatte er ihr zum Abschluss des Kurses gratuliert. Er meinte, er würde zusehen, zurück nach Quantico zu kommen. Es war offensichtlich, dass er schlichtweg keinen Nerv für Zeremonien oder Empfänge hatte.
Insgeheim hatte sie gehofft, dass Ryan vielleicht hereinschneien würde, um mit ihr den Abschluss des Sommer-Praktikantenprogramms zu feiern.
Natürlich wusste sie sehr wohl, dass sie nicht ernsthaft erwarten konnte, dass dies auch geschah.
Trotzdem stellte sie sich zwangsläufig vor, dass er vielleicht seine Meinung geändert hatte. Er würde auf die letzte Minute hier ankommen und sich für sein gestriges kühles Benehmen entschuldigen. Dann würde er endlich die Worte sagen, die sie so gerne von ihm hören wollte …
»Ich möchte, dass du an die Akademie gehst. Ich will, dass du deine Träume weiterverfolgst.«
Aber ganz klar, das würde nicht passieren …
Und je eher ich das kapiere, umso besser, dachte sie.
Die zwanzig Praktikanten stellten sich in drei Reihen für das Foto auf – die erste Reihe saß an einem langen Tisch und die anderen zwei Reihen standen dahinter. Da die Praktikanten in alphabetischer Reihenfolge angeordnet waren, befand sich Riley in der letzten Reihe zwischen den andern beiden Studenten, deren Nachname mit einem S begann – Naomi Strong und Rhys Seely.
Sie hatte Naomi oder Rhys nicht sonderlich gut kennengelernt.
Aber schließlich galt das beinahe für alle der anderen Praktikanten. Seit dem ersten Tag des zehnwöchigen Programms fühlte sie sich unter ihnen deplatziert. Dem einzigen Studenten, dem sie während der ganzen Zeit etwas nähergekommen war, war John Welch, der ein paar Studenten weiter links von ihr stand.
An jenem ersten Tag hatte John ihr erklärt, warum die anderen sie so komisch ansahen und über sie leise flüsterten …
»Fast jeder hier weiß, wer du bist. Du könntest also sagen, dass dein Ruf dir vorauseilt.«
Sie war schließlich die einzige Praktikantin, die schon etwas ›Praktische Erfahrung‹, wie man es landläufig nannte, geschnuppert hatte.
Beim Gedanken an das Wort unterdrückte sie einen weiteren Seufzer.
›Praktische Erfahrung.‹
Sie fand es seltsam, die Geschehnisse damals an der Lanton Universität als ›praktische Erfahrung‹ zu bezeichnen. Der Begriff ›Alptraum» traf es eher. Sie würde niemals in der Lage sein, diese Erinnerungen abzuschütteln, als sie ihre beiden engen Freundinnen im Studentenwohnheim mit durchschnittener Kehle in ihrem Blut liegend fand.
Das letzte, was ihr zu der Zeit eingefallen wäre, war ein Training beim FBI zu machen. Sie war in den Fall verwickelt worden, ohne überhaupt eine Wahl gehabt zu haben – und sie hatte dabei geholfen, ihn aufzuklären. Darum wusste auch so ziemlich jeder hier vom ersten Tag an, wer sie war.
Und als das Programm dann angelaufen war und alle anderen Studenten etwas über Gerichtsmedizin lernten und wie sie ihre Computer zu bedienen hatten, hatte Riley den totbringenden Clown-Killer aufgespürt. Beide Fälle waren traumatisch und lebensbedrohlich gewesen.
Ein direkter Sprung ins kalte Wasser in punkto ›praktischer Erfahrung‹ hatte sie bei den anderen Praktikanten nicht sonderlich beliebt gemacht. Vielmehr war die ganze Zeit über die stillschweigende Abneigung ihr gegenüber fühlbar gewesen.
Und jetzt beneideten sie mindestens eine Handvoll Praktikanten dafür, dass es nun für sie weiterging - auf die Akademie.
Wenn die wüssten, was ich durchgemacht habe, dachte sie.
Sie bezweifelte, dass sie sie dann weiterhin beneiden würden.
Sie fühlte das Entsetzen und die Schuld, wenn sie an ihre beiden ermordeten Freundinnen in Lanton dachte. Sie wünschte, sie könnte die Zeit zurückdrehen und es verhindern, bevor es überhaupt passierte. Nicht genug damit, dass ihre Freundinnen dann noch am Leben wären - ihr eigenes Leben wäre jetzt vollkommen anders. Sie hätte einen Abschluss in Psychologie und irgendeinen 08/15-Job. Und sie würde sich ziemlich unsicher fühlen, was den Rest ihres Lebens betraf.
Und Ryan wäre überglücklich.
Sie bezweifelte jedoch, dass sie selbst glücklich sein würde. Sie hatte keine besondere Neigung zu einer bestimmten beruflichen Laufbahn an den Tag gelegt, bis sich die Möglichkeit ergeben hatte, FBI-Agentin zu werden – auch wenn es sich so anfühlte, dass der Beruf sie gewählt hatte und nicht andersherum.
Als die drei Reihen ordentlich saßen bzw. standen, erzählte Hoke Gilmer einen Witz. Damit alle lachten, wenn der Fotograf den Auslöser drückte. Riley war nicht zu Scherzen aufgelegt, deswegen erschien ihr der Witz als nicht besonders lustig. Sie war überzeugt, dass ihr Lächeln gezwungen und unsicher aussah.
Sie fühlte sich zudem nicht ganz wohl in ihrem Hosenanzug, den sie vor ein paar Monaten in einem Kleiderladen für gemeinnützige Zwecke gekauft hatte. Die meisten anderen Praktikanten waren finanziell bessergestellt als sie und auffallend besser gekleidet. Sie freute sich nicht darauf, das gerade geknipste Foto zu Gesicht zu bekommen.
Dann löste sich die Gruppe auf, um an einem anderen Tisch in der Mitte des Raumes den Imbiss und die Erfrischungsgetränke zu sich zu nehmen. Jeder scharte sich in seinem Freundesgrüppchen zusammen und wie gewöhnlich, fühlte sich Riley isoliert.
Sie bemerkte, dass Natalie Embry an Rollin Sloan hing. Er war ein Praktikant, der direkt auf einen gut bezahlten Posten als Daten-Analytiker rückte – in einem großen Büro in einer Außenstelle im Mittleren Westen.
Riley hörte eine Stimme neben sich sagen …
»Also Natalie hat sicher das bekommen, wofür sie gekommen ist, oder?«
Riley drehte sich um und sah, dass John Welch neben ihr stand.
Sie lächelte und sagte: »Also komm, John. Ist das nicht ein bisschen zynisch?«
John sagte achselzuckend: »Willst du mir erzählen, dass ich auf dem falschen Dampfer bin?«
Riley sah nochmals in Richtung Natalie, die jemandem stolz ihren brandneuen Verlobungsring präsentierte.
»Nö, wahrscheinlich nicht,« erwiderte sie.
Natalie hatte ihren Ring überall herumgezeigt, seit Rollin ihn ihr vor ein paar Tagen angesteckt hatte. Die beiden hatten sich wirklich überraschend schnell zum Pärchen entwickelt – dabei hatten sie sich vor Beginn des Sommerprogramms noch gar nicht gekannt.
John seufzte mit gespieltem Mitgefühl.
»Armer Rollin,« sagte er, »da geht er denn hin mit Gottes Gnaden - an meiner statt.«
Riley lachte laut auf. Sie wusste genau, was John meinte. Schon am allerersten Tag des Programms hatte Natalie sich auf die Suche nach einem potentiellen Verlobten gemacht. Sie hatte sogar John ins Visier genommen, bis dieser klargestellt hatte, dass er sie wirklich nicht mochte.
Riley fragte sich, ob Natalie jemals ein wirkliches Interesse am Programm gehabt hatte? Schließlich war Natalie schlau und versiert genug gewesen, um in das FBI Honors-Praktikantenprogramm aufgenommen zu werden.
Wahrscheinlich nicht, schlussfolgerte sie.
Natalie schien das Training aus demselben Grund absolviert zu haben, weswegen einige ihrer Freundinnen aufs College gegangen waren – um sich einen vielversprechenden Ehemann zu angeln.
Riley versuchte sich vorzustellen, wie es wohl wäre, mit Natalies Prioritäten durchs Leben zu gehen. Die Dinge würden sicherlich einfacher sein - zumindest dann, wenn Entscheidungen derart schablonenhaft ausfielen …
Einen Mann finden, in ein schönes Haus ziehen, ein paar Kinder bekommen…
Riley beneidete Natalie mindestens in einem Punkt: Sicherheit.
Dennoch war sich Riley sicher, dass sie sich mit einem derartigen Leben zu Tode langweilen würde – und genau deswegen stand es um Ryan und sie gerade so schlecht.
Dann sagte John: »Ich nehme an, dass du direkt nach Quantico fährst, sobald das hier vorbei ist.«
Riley antwortete: »Klar. Du auch, nehme ich an?«
John nickte, Riley fand den Gedanken aufregend, dass sie und John unter den Handvoll Praktikanten waren, die weiterführend auf die FBI-Akademie gehen würden.
Die meisten der restlichen Praktikanten freuten sich auf andere Möglichkeiten. Einige würden auf Hochschulen für Aufbaustudien gehen – auf Gebieten, die diesen Sommer ihr Interesse geweckt hatten. Andere würden neue Stellen in Laboren oder Büros direkt hier im J. Edgar-Hoover-Gebäude antreten oder in FBI-Hauptquartieren in anderen Städten. Sie würden ihre Laufbahn beim FBI als Informatiker, Daten-Analytiker und Techniker starten. Diese Jobs boten geregelte Arbeitszeiten und führten nicht zu lebensbedrohlichen Situationen.
Jobs, die Ryan befürworten wurde, dachte Riley wehmütig.
Riley hätte John fast gefragt, wie er heute nach Quantico käme. Aber natürlich wusste sie es – er würde in seinem teuren Wagen dorthin fahren. Riley überlegte kurz, ihn zu fragen, ob er sie mitnehmen könne. Schließlich würde sie sich so das Geld für das Taxi und die Zugfahrkarte sparen.
Aber sie konnte sich nicht dazu durchringen. Sie wollte John gegenüber nicht zugeben, dass Ryan sie nicht einmal zum Bahnhof fahren würde. John war ein intelligenter Kerl und würde sicher mitkriegen, dass die Dinge zwischen ihr und Ryan nicht okay waren. Sie zog es vor, dass er darüber nichts erfuhr – zumindest nicht im Moment.
Als sie und John weiter miteinander plauderten, bemerkte sie von neuem, wie gut er aussah – kräftig und athletisch gebaut, mit kurzem, lockigem Haar und einem ansprechenden Lächeln.
Er war wohlhabend und trug einen teuren Anzug, aber Riley hielt ihm seinen Reichtum und seine Privilegien nicht vor. Seine Eltern waren beide hervorragende Rechtsanwälte in D.C., die viel im Politikgeschäft zu tun hatten. Riley bewunderte Johns Entscheidung – ein bescheideneres Leben im ehrenwerten Dienst der Strafverfolgung zu führen.
Er war ein netter Kerl, ein wahrer Idealist, und sie mochte ihn sehr gern. Sie hatten nämlich zusammengearbeitet, um den Clown-Killer-Fall zu knacken. Sie hatten heimlich mit dem Mörder, der ihnen Rätsel stellte, kommuniziert, um ihn aus seinem Versteck zu locken.
Als sie so in seiner Nähe stand und sein Lachen und das Gespräch mit ihm genoss, fragte sich Riley, inwiefern ihre Freundschaft an der Akademie sich noch intensivieren würde.
Sie würden ziemlich sicher eine Menge Zeit zusammen verbringen …
Und von Ryan werde ich weit weg sein …
Sie mahnte sich selbst zur Vorsicht, damit ihre Fantasie nicht mit ihr durchging. Zuerst einmal waren die Probleme, die sie gerade mit Ryan hatte, wahrscheinlich nur vorübergehend. Vielleicht brauchten sie einfach nur ein wenig Zeit voneinander getrennt. Dann würde ihnen auch wieder einfallen, warum sie sich überhaupt ineinander verliebt hatten.
Schließlich waren die Praktikanten mit ihrem Imbiss fertig und machten sich bereit zum Aufbruch. John winkte Riley auf dem Weg nach draußen zu. Sie lächelte ihm zu und winkte zurück. Natalie klammerte sich weiterhin an Rollin und präsentierte auf dem Weg durch die Tür immer noch ihren Ring.
Riley verabschiedete sich von ihrem Ausbilder Hoke Gilmer und der stellvertretenden Direktorin Marion Connor. Beide hatten kurze Reden vor der Gruppe gehalten und alle beglückwünscht. Dann verließ auch sie die Empfangshalle und ging zum Aufenthaltsraum, wo ihr Koffer stand.
Außer ihr war keine Menschenseele in dem großen, leeren Raum. Sie blickte sich wehmütig um. Dort hatten sich alle Praktikanten während des Sommers für diverse Treffen versammelt. Sie bezweifelte, dass sie irgendwann wieder hier zurückkäme.
Würde ihr das Praktikantenprogramm abgehen? Sie war sich nicht sicher. Sie hatte hier eine Menge gelernt und das meiste hatte ihr Spaß gemacht. Aber sie wusste, dass es definitiv an der Zeit war, zu etwas Neuem überzugehen.
Und warum bin ich dann so traurig? fragte sie sich.
Sie begriff schnell, dass es nur daran lag: Wie sie mit Ryan auseinandergegangen war. Sie dachte an ihre scharfen Worte, die sie ihm letzte Nacht an den Kopf geworfen hatte, ehe sie ins Bett gegangen war.
»Lass dir dein restliches Essen schmecken. Es gibt noch Käsekuchen im Kühlschrank. Ich bin müde. Ich werde duschen und ins Bett gehen.«
Danach hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Ryan war aufgestanden und zur Arbeit gegangen, ehe Riley am Morgen erwacht war.
Sie wünschte, sie hätte ihn nicht so angeblafft. Aber welche Wahl hatte er ihr denn gelassen? Er war nicht sehr zartfühlend mit ihren Hoffnungen und Träumen umgegangen.
Das Gewicht ihres Verlobungsrings fühlte sich am Finger komisch an. Sie streckte die Hand vor dem Gesicht aus und betrachtete ihn. Der kleine, aber hübsche Edelstein funkelte im fluoreszierenden Deckenlicht. Und sie erinnerte sich daran, wie Ryan schüchtern vor ihr niedergekniet war, um ihr einen Antrag zu machen.
Das schien jetzt schon wieder so lange her zu sein.
Nach ihrer hässlichen Verabschiedung gestern fragte sich Riley, ob sie jetzt überhaupt noch verlobt waren. War ihre Beziehung vorbei? Hatten sie miteinander Schluss gemacht, ohne es wirklich auszusprechen? Was es Zeit, Ryan zurückzulassen – ebenso wie sie alle anderen Dinge hinter sich ließ? Und war Ryan bereit, sie hinter sich zu lassen?
Einen Augenblick lang spielte sie mit der Idee, das Taxi und den Zug nach Quantico fahren zu lassen – wenigstens im Moment. Vielleicht wäre es kein Schaden, einen Tag zu spät zum Unterricht zu kommen. Vielleicht konnte sie nochmal mit Ryan sprechen, wenn er aus der Arbeit kam. Vielleicht könnten sie die Dinge zurechtrücken.
Aber sie begriff sehr schnell …
Wenn ich jetzt zu unserer Wohnung zurückfahre, fahre ich womöglich niemals nach Quantico.
Bei dem Gedanken erschauderte sie.
Irgendwie wusste sie, dass ihr Schicksal sie in Quantico erwartete und das wollte sie nicht verpassen.
Jetzt oder nie, dachte sie.
Sie nahm ihren Koffer und verließ das Gebäude. Dann nahm sie ein Taxi zum Bahnhof.