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Tausendschön

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Ich widme diese Geschichte meiner besten Freundin

- B. C. Elgengard

Ein Schnee war in der Nacht überraschend auf die Wiese ge­kommen. Kälte hatte er mitge­bracht. Eine Kälte, die noch frostiger und eisi­ger war, als die letzte verbliebene Winterkälte, in der die Blumen allmählich aufgewacht wa­ren.

Das kleine Tausendschön konnte das Bib­bern all der an­deren Blumen spüren, als wenige Stunden nach Sonnenuntergang die ersten großen Flocken auf ihnen und dem hohen Gras landeten. Mit geschlossenen Blüten harr­ten die frühen Blumen in der dunklen Schnee­nacht. Höher und höher stieg die weiße Decke, glit­zernd wie tausend Kristalle, über der Wiese an. Aber die Schönheit der späten weißen Pracht trog: Kälte und Lichtlosigkeit würden die Blu­men und auch das kleine Tausendschön erfrie­ren lassen.

Immer schwerer lastete das Weiß auf ihnen, drückte das kleine Tausendschön weiter zum gefrierenden Erdboden und gegen die Gräser. Jede weitere der unzähligen Flocken ließ das Gewicht ansteigen. Stunde um Stunde sanken mehr und mehr Flocken hinab, als ob die Nacht nimmer enden mochte.

Nach drei Stunden in der Kälte, jedoch, da lichteten sich die Wolken. Sie zogen von dan­nen, als sei ihr grausiges Werk ihnen langweilig geworden, und nahmen die Kälte und alle ihre verbliebenen Flöckchen mit. Wohin sie zogen, das wusste das kleine Tausendschön nicht. Doch es wusste wohl, dass, wenn die Winter­wolken fortgezogen waren, sich ein wunder­schöner endlos weiter Himmel auftat, an dem Sonn' und Mond einander abwechselnd ihr war­mes Licht zur Wiese warfen.

Nun erstrahlte ein später Nachthimmel über der weiß gewordenen Wiese. Seine Milliarden Sterne glitzerten und funkelten mit den Schnee­kristallen um die Wette. Frische klare Luft wur­de von einem seichten Winde aufge­wirbelt.

Von alledem bekam aber das kleine Tausend-s­chön nichts mit, denn es war noch im­mer be­graben unter der Decke aus Schnee und kämpf­te gegen den eisigen Tod an. Zerdrückt und un­fähig, sich zu rühren, hielt es an dem einen Ge­danken fest, der es retten konnte: die Sonne. Das Tausendschön musste nur lange ge­nug aus­halten, dann würde die Sonne aufgehen und mit ihren Feuern den Schnee von ihm nieder­schmelzen.

Wieder und wieder war das Tausendschön dem Aufgeben nahe. Die erdrückende Schwere des Schnees und die gefrorene Kälte brachten allenthalben eine Ohnmacht zu dem tausend­schönen Blümelein. Immerzu kämpfte es dage­gen an, doch mit jeder weiteren Ohnmacht, die sich ihm näherte, verlor das Tausendschön an Kraft und Mut. Als es nach vielen Stunden auf­zugeben drohte, da erkannte es ein Licht, das sich von dem Funkeln der Schneekristalle hin- und hergeworfen bis zu ihm hinab verirrte. Der Sonnenaufgang war gekommen!

Eine ungeahnte Kraft löste dieses schwache kleine Licht aus, und es genügte, damit das klei­ne Tausendschön weiterkämpfte.

Heller und heller schien die Schneedecke zu werden und ganz langsam rieselten Tröpfchen durch die dicht beieinander liegenden Flöck­chen bis hin zum Erdengrund. Ein Was­ser, das dem Tausendschön genehm war, denn es glitt an seinem geschlossenen Blütenköpf­chen und dem langen Hals hinab, sank in die Erde ein und nährte seine Wurzeln.

Mit der Zeit, während die Sonne warm und scheinend zu ihrem höchsten Punkt hin­auf-wanderte, da schwand allmählich das Ge­wicht des Schnees. Zunehmend strömte mehr und mehr Wasser durch die weiße Decke und ihm folgte Licht. Kaltes Licht, aber dennoch ein Schimmer voller Hoffnung. Das kleine Tau­sendschön erstarkte; gleich als es sich nach Stunden, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen, zum ersten Mal bewegt hatte, war es sicher ge­wesen, erst kaum merklich, doch nun mit unab­dingbarer Sicherheit, dass es die Eisesnacht überleben würde.

Nun konnte es sich langsam von den Hal­men lösen, gegen die der Schnee es gedrückt hatte.

Es konnte erkennen, wie das Licht der Son­ne nach und nach die Schneedecke aushöhlte, wie ihr Licht fast flutend hindurch kam, warm und gleißend hell nach der langen Zeit in Dunkel­heit, wie die anderen Blumen und all die Gräser sich erhoben und mit aller verbliebener Kraft ihre Leiber gegen die weiße Pracht stemmten, um gegen die tödliche eisigkalte Zerdrückung anzukämpfen.

Und da brach es plötzlich!

Unweit des kleinen Tausendschöns stürzte die untertunnelte Schneedecke. Eine warme Sonnenflut strömte hinein, als sich die befrei­ten Gräser und Blumen zur Sonne reckten und den verbliebenen Schnee in ihren Schatten begru­ben.

Das Licht berührte auch das kleine Tausend-s­chön, so wie es die Gräser und Blu­men in sei­ner Nähe berührte. Es war noch schwach, doch warm und wunderschön.

Und da brach es erneut!

Ferner als zuvor, doch hörbar.

Und wieder brach es irgendwo!

Das Tausendschön wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die weiße Pracht besiegt sein würde. Es gab nicht auf, jetzt nicht mehr. Es kämpfte fort und fort unter den sich meh­renden Geräuschen stürzenden Schnees.

Und dann stürzte er auch bald über dem klei­nen Tausendschön!

Er drückte wenige Blütenblätter krumm. Es schmerzte, doch das Tausendschön ertrug es tapfer und hob weiter und weiter sein Köpf­chen in die frische klare Luft und zur gleißend hellen Sonne.

Wenige Augenblicke später stand das Tau­sendschön aufrecht. Der Schmerz versiegte rasch zu einem dröhnenden Surren und so harr­te es für eine Weile, ließ sich sanft wiegen von dem Winde, ließ die Sonne den letzten Rest des Schnees verdunsten, der als feuchter Film an ihm haftete.

Stille überkam das Tausendschön, als das Surren nachließ. Eine beklommene Taubheit umhüllte es. Sie hielt das Tausendschön auf­recht, doch nahm ihm den Willen und die Fä­higkeit, sich zu rühren. Es tankte Sonnenlicht, Wärme, die sein Frieren beendete, Ruhe nach all den Stunden der Verzweiflung und des Kamp­fes. Bis hin zu dem Moment, als das ers­te Zwit­schern über sein Köpfchen flog. Da erwachte das Tausendschön aus seiner Starre, da hörte es das ferne und das nahe Vogelsin­gen, das trium­phal in halsbrecherischen Manö­vern über das erblühende Schlachtfeld zog. Nun endlich war es soweit: Das Tausendschön öffnete sein Köpfchen, spreizte die Blütenblät­ter, auch die krummen, so weit es konnte.

Überall auf der Wiese stieg ein Jubel in den Vogelsang mit ein, während die letzten Reste der weißen Pracht in den Schatten der Siegrei­chen eingingen. Die Kälte verschwand; das Licht war hell; die Sonne spendete ihnen Wär­me.

Und da wusste es das kleine Tausendschön mit einem Mal: Dieser Winter war vorüber! Auch wenn ihm klar war, dass irgendwann im endlosen Kreislauf des Seins ein weiterer Win­ter seine weiße Pracht über die Welt bringen würde, so wusste das kleine Tausendschön ganz sicher, dass immerzu ein Frühling folgen würde, in dem das Leben aufblühte.

[veröffentlicht am 21. März 2018]

Frühlingslied 2018

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