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Alinas Undank

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Alina! Alina!“, rief aufgebracht eine kleine Fee, „als sie stürmend in das kleine Häuschen Alinas gerannt kam.

Die junge Eisfee hatte gerade ihre Käferbohnen gezählt und war bei dem plötzlichen Lärm so sehr erschrocken, dass sie alle Bohnen durcheinander warf. Vor Schreck schwer atmend drehte sie sich der anderen Fee zu. Die hatte die Augen zugekniffen und stand mit schützend erhobenen Armen in der weit aufgerissenen Tür.

„Was erschrickst du mich denn so, Milena?“, wollte Alina wissen, als der Schreck ihre Worte frei ließ.

Die andere Fee, Milena, nahm die Hände runter und zückte aus ihrem Blätterbeutelchen eine Käferbohne. „Hier, die ist für dich!“, sprach sie aufgeregt und hielt Alina das Böhnchen hin.

Die junge Fee betrachtete das Böhnchen nachdenklich und sprach nach einer Weile: „Ich glaube nicht, dass ich sie brauche. Ich habe meine Bohnen noch nicht fertig gezählt, aber ich bin sicher, ich habe genug.“

Da senkte Milena die Hände mit der Bohne und sah Alina wütend an: „Ich will sie dir schenken! Kannst nicht einfach dankbar sein, wie es sich gehört?“, rief sie aus und verschwand darauf empört mitsamt der Bohne.

„Dankbar sein?“, wiederholte Alina verständnislos.

Sie lebte noch nicht sehr lange und wusste noch nicht alles so genau. Vieles hatte sie noch zu lernen. Deshalb wunderte sie sich über Milenas Zorn, der Alina sehr wohl nachdenklich machte. Ein leises, bislang ungekanntes Reuegefühl schlich in ihr Inneres. Der Begriff dankbar war ihr fremd, sie konnte nicht begreifen, was er bedeutete.

Kurzerhand entschloss sich die junge Eisfee, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie verließ das Häuschen hoch oben in den Bäumen ihrer kleinen Feenwelt. Mit starken Seilen führten viele blumengeschmückte Brücken zu den Häuschen der anderen Feen, kleine Hüttchen, die um die mächtigen Baumstämme herum gebaut und mit Stroh gedeckt worden waren und die Feen vor Witterung in den unfreundlichen Zeiten und vor Lärm und Vögeln in der Nacht bewahren sollten.

Sie schritt über die erste Brücke hinweg und weiter über viele andere. Die Feen, die ihr auf dem Weg begegneten, sahen Alina seltsam an. Sie tuschelten und flüsterten. Alina schnappte nur wenige Worte auf, an denen sie erkannte, dass die Feen über ihren Undank sprachen. Sie empörten sich regelrecht und das brachte ein tiefes Unwohlsein in Alina hervor. Sie wollte nicht undankbar sein, und dass, obwohl sie noch gar nicht verstand, was Dank überhaupt bedeutete.

Was hatte es mit Dank und Undank auf sich? Alina erinnerte sich zurück mit der drängenden Frage, was sie falsch gemacht hatte. Milena hatte ihr eine Käferbohne schenken wollen und Alina empfand es als äußerst freundlich und nett. Sie hatte sich gefreut, doch in dem Wissen, dass sie ausreichend Käferbohnen hatte, wollte sie das Geschenk nicht annehmen. Beim besten Willen mochte die junge Fee nicht verstehen, was daran falsch gewesen war.

Die Hohe Fee, die allen anderen in Weisheit und Wissen und sogar an Alter überlegen war, würde es wissen. So spannte Alina ihre Hände zu Fäusten an und ging trotz der unguten Gefühle entschlossen und eilig voran zur Hütte der Hohen Fee Iliya.

Jenseits der vor ihr liegenden Brücke erblickte die junge Fee mit ihren blauen Augen die Hütte der Hohen Fee. Das Feelein konnte auch Iliya erkennen, denn sie pflegte das kleine Käferbohnenbeet auf dem Balkon vor ihrer Hütte.

Alinas Entschlossenheit wich ihrer Faszination. Ein tiefes Gefühl von Ehrfurcht und Bezauberung durchdrang ihren vormals traurigen Körper. Die großen bunten Flügel der hochgewachsenen Hohen Fee schimmerten mit Lichtlein und sprühten kleine, liebliche Funken von sich. Ihr langes erdbraunes Haar war mit den frühen Blumen des Jahres geschmückt. Ein braunes Muster zog blass über die helle Haut und ihre Kleidung war so blühend grün wie die Blätter der Bäume.

„Alina?“, ertönte die liebliche Stimme der Hohen Fee. Sie hatte die kleine Eisfee bemerkt und sich ihr verwundert zugedreht. „Wolltest du zu mir?“

Alina nickte zaghaft.

Langsam näherte sie sich der Hohen Fee. Sie erkannte andere Feen, die neugierig hinzukamen, wohl, weil sie wussten, dass Alina eine Lektion zu lernen hatte, doch die junge Eisfee ließ sich nicht entmutigen, denn sie war entschlossen.

„Iliya“, begann Alina und bemühte sich, dem durchschauenden Blick der Hohen Fee standzuhalten, „Was ist Dank?“

„Dank?“, wiederholte Iliya und lachte kurz.

Alina nickte.

„Nun, Dank ist ein Wort, das anderen zeigt, wie sehr wir ihr Mitgefühl und ihre Hilfe schätzen“, erklärte die Hohe Fee freundlich und die anderen Feen nickten zustimmend. Alina hingegen blickte verständnislos in die Menge. Iliya bemerkte die Unsicherheit der Jungfee. „Willst du mir nicht erklären, wie du auf diese Frage gekommen bist?“

„Ja“, meinte Alina zaghaft, „Milena wollte mir eine Käferbohne schenken, aber ich habe genug. Da brauchte ich sie nicht“, erklärte sie in kurzen Sätzen.

„Es war freundlich von Milena, dir ein Geschenk zu machen, ob du es nun brauchst oder nicht“, sagte die Hohe Fee verständnisvoll, „Für Geschenke bedankt man sich gewöhnlicherweise!“

„Aber wenn ich es doch nicht brauchte?“, bestand Alina auf der unausweichlichen Tatsache.

„Man sagt dennoch Danke!“, bestand Milena auf ihrem Recht. Sie trat aus der Menge heraus und stellte sich neben Iliya mit einer erbosten Miene.

„Ich fand es nett, aber ich bin nicht dankbar. Warum sollte ich es dann sagen?“, wollte Alina wissen, denn sie mochte den Sinn nicht verstehen. Zunehmend mies fühlte sie sich.

„Ich verstehe deine Verwunderung, Alina“, bestätigte Iliya die Eisfee, „Es ist üblich, sich auch für Geschenke zu bedanken, die man womöglich nicht braucht.“

„Ja! Also bedanke dich endlich!“, fiel Milena der Hohen Fee ins Wort, „Es ist unhöflich, das nicht zu tun!“

„Na na, Milena!“, ermahnte Iliya, „Alina hat nicht ganz Unrecht. Wenn sie keinen Dank verspürt, dann ist es auch an ihr, ihn auszusprechen, oder nicht.“

„Aber, Hohe Fee! Das gehört sich einfach nicht!“, beharrte Milena auf den moralischen Gewohnheiten.

Alina schmollte, nicht etwa, weil sie trotzig war, sondern, weil sie versuchte, ihre aufkommenden Tränen zu unterdrücken: „Ich … ich verstehe es nicht. Sollte ich nicht dann Danke sagen, wenn ich es auch meine? Müsste ich nicht lügen, wenn ich es einfach so sage?“, meinte sie stotternd und wohl wissend, dass Lügen als etwas Schlechtes galt.

„Aber ich habe dir eine Käferbohne geschenkt!“, bestand Milena weiterhin auf ihr Recht, ein Dankeschön zu erhalten.

Mit fiepender, zitternder Stimme brachte Alina nicht allzu viel heraus: „Das fand ich auch nett! Ich habe mich gefreut, weil du an mich gedacht hast, aber…“

„Kein Aber! Du musst dich schon bei mir bedanken!“

„Milena!“, unterbrach Iliya den aufkommenden Streit, ehe er zu sehr ausartete, „Warum hast du Alina die Käferbohne geschenkt?“

Milena wollte gegen die Unterbrechung protestieren, doch die Frage der Hohen Fee machte sie stutzig: „Was meinst du?“

Iliya drehte nun den ganzen Leib Milena zu und holte weiter aus: „Wolltest du Alina eine Freude machen, oder hattest du von vorn herein nur den Wunsch, eine Dankeschön zu hören?“

„Ähm…“, stammelte Milena und suchte nach erklärenden Worten.

„Man darf kein Dankeschön erzwingen, Milena!“, begann Iliya eine ausschweifende Erklärung mit strengem aber weiterhin sanftem Ton, „Ein von Herzen kommendes Geschenk bedarf keines Dankes, denn dafür wird es nicht gemacht. Man sollte niemals in Erwartung eines Dankeschöns oder Gegengefallens handeln, sondern mit dem eindringlichen Wunsch, jemandem etwas Gutes zu tun oder eine Freude zu bereiten.“

„Aber was bringt mir das denn?“, wollte Milena wissen und spürte gleich darauf ein mieses Gefühl in ihrem Bauch aufsteigen. Sie bereute die Frage, noch ehe sie sie in Gänze ausgesprochen hatte.

„Freundlichkeiten und Geschenke, die von Herzen kommen, bringen dir ein wundervolles Gefühl von Glück und Zufriedenheit. Anderen etwas zu geben ist kein Akt des gleichwertigen Tausches, sondern ein Akt der Herzlichkeit. Ein anderer erfreut sich an deiner Freundlichkeit und Anteilnahme, während du selbst dich mit deiner guten Tat wohl fühlst, und das auch ganz ohne ein Dankeschön.“

„Aber sie hat es nicht angenommen, Iliya“, meinte Milena nun mit Trauer in der Stimme.

Iliyas Blick fiel auf Alina, die dastand und mit unsicheren Blicken zwischen der Hohen Fee und Milena schwankte. Sie suchte offensichtlich nach tröstenden Worten.

„Aber sie hat sich sehr darüber gefreut, dass du an sie gedacht hast“, meinte Iliya und sah erwartungsvoll zu Alina.

„Ja, das stimmt!“, bestätigte Alina, „Es tut mir so leid, dass du dich jetzt schlecht fühlst, Milena.“ Langsamen Schrittes ging sie auf die traurige Fee zu, legte eine Hand auf Milenas Schulter und brachte mit freudestrahlendem Lächeln ein Dankeschön heraus. Und obwohl sie beide wussten, dass Alina noch immer keinen Dank verspürte und es deshalb unehrlich war, hatte sie der traurigen Fee eine große Freude bereitet. Sie fühlten beide ein warmes Wohl, eine fröhliche Zufriedenheit.

„Von nun an soll mir ein Dankeschön nicht mehr gar so wichtig sein!“, sprach Milena, „Dieses Gefühl gerade, das mag ich lieber leiden. Deshalb will ich Freude verbreiten und mich an eurer Teilhabe daran selbst erfreuen!“

Ruhe kehrte zurück in die kleine Feenwelt und wann immer eine Fee kein Dankeschön sagte, so empörte man sich fortan nicht mehr darüber.

[veröffentlicht am 2. Februar 2018]

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